T 0035/92 () of 28.10.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T003592.19921028
Datum der Entscheidung: 28 October 1992
Aktenzeichen: T 0035/92
Anmeldenummer: 86117761.6
IPC-Klasse: B60K 17/356
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Antriebseinrichtung für Kraftfahrzeuge, insbesondere PKW
Name des Anmelders: BMW AG
Name des Einsprechenden: (01) ADAM OPEL AG
(02) MERCEDES BENZ AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 116
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Oral proceedings - substantial procedural violation
Orientierungssatz:

Stillschweigen kann nicht als Rücknahme eines Antrags auf mündliche Verhandlung aufgefaßt werden Wesentlicher Verfahrensfehler

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/88
T 0457/89
T 0484/90
T 0663/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0686/92
T 0879/92

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 86 117 761.6 vom 19. Dezember 1986, welche die Priorität aus der Voranmeldung vom 20. Dezember 1985 (DE 3 545 481) beanspruchte, wurde das europäische Patent Nr. 0 230 022 erteilt. Der Hinweis auf die Erteilung wurde am 8. März 1989 bekanntgemacht.

II. Gegen das erteilte Patent haben die Einsprechenden I und II am 25. November 1989, respektive am 5. Dezember 1989, Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent zu widerrufen, da dessen Gegenstand nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 52 und 56 nicht patentfähig sei und das Patent die Erfindung nicht so deutlich offenbare, daß ein Fachmann sie ausführen könne (Art. 100 b) EPÜ).

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Einsprüche und hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form und Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

III. Mit Entscheidung vom 31. Oktober 1991 hat die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen. In den Gründen wurde u. a. ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 4. April 1991 aufgefordert worden sei, im Hinblick auf einen in Aussicht gestellten Widerruf des Patents mitzuteilen, ob der mit Schreiben vom 27. August 1990 vorgebrachte Antrag zur hilfsweisen Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung aufrechterhalten werde. Infolge des Ausbleibens einer Antwort sei anzunehmen, daß die Beschwerdeführerin nicht mehr auf der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestehe. Die Sache wurde im schriftlichen Verfahren entschieden.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 20. Dezember 1991 Beschwerde eingereicht und am selben Tag mit einem Abbuchungsauftrag die Beschwerdegebühr entrichtet.

Die Beschwerdebegründung wurde am 4. März 1992 eingereicht. In der Beschwerdebegründung machte die Beschwerdeführerin geltend, daß die angefochtene Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergangen sei, obwohl mit Schriftsatz vom 27. August 1990 hilfsweise eine solche beantragt worden sei. Dieser Antrag sei aber nicht zurückgenommen worden, sondern die Einspruchsabteilung habe unbegründeterweise vermutet, daß an einer mündlichen Verhandlung kein Interesse mehr bestehe. Demnach liege ein Verstoß gegen Artikel 116 EPÜ vor.

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung sowie Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Sie reichte zudem neue Anspruchssätze gemäß einem Hauptantrag und zwei Hilfsanträgen ein und erklärte, die Sache werde darauf gestützt weiterverfolgt.

V. Die Beschwerdegegnerin II hat mit Schreiben vom 17. Juli 1992 um Mitteilung der Kammer gebeten, ob die Entscheidung der Einspruchsabteilung gegen die Beschwerdeführerin im Hinblick darauf, daß die Entscheidung ohne vorherige Ladung zur mündlichen Verhandlung getroffen wurde, aufzuheben und als unwirksam anzusehen sei, in welchem Fall sie eine Erwiderung auf die Beschwerdebegründung als hinfällig erachte.

Sollte die Entscheidung nicht aufgehoben werden, wurde beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen und hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Zudem wurde für diesen Fall Setzung einer neuen Frist zur Erwiderung auf die Beschwerdebegründung beantragt.

Die Beschwerdegegnerin I hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Verfahrensmangel

2.1. Im vorliegenden Fall ist die Einspruchsabteilung angesichts des Ausbleibens einer Antwort auf ihre Anfrage, ob im Hinblick auf den beabsichtigten Widerruf des Patents am Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung festgehalten werde (Bescheid der Einspruchsabteilung vom 4. April 1991), davon ausgegangen, daß dies nicht mehr der Fall sei.

Obwohl die Einspruchsabteilung billigerweise eine Antwort auf die von ihr gestellte Anfrage hätte erwarten können und ihre Aufforderung im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensökonomie durchaus seine Berechtigung hatte, fehlt dennoch jeglicher rechtliche Grund, das Schweigen der Beschwerdeführerin sinngemäß als Rücknahme des Hilfsantrags auf eine mündliche Verhandlung zu werten.

2.2. Sofern die Einspruchsabteilung nicht von sich aus zu einer mündlichen Verhandlung lädt, setzt die Durchführung einer solchen einen Antrag einer Partei, d. h. eine Willenserklärung voraus (Art. 116 (1) EPÜ). Ist ein Antrag gestellt, so kann dieser durch eine gegenteilige Willenserklärung zurückgenommen werden. Dafür, daß eine Rücknahme auch durch Untätigkeit, d. h. bloßes Stillschweigen erfolgen könnte, besteht im EPÜ keine Grundlage. Artikel 116 EPÜ sieht jedenfalls eine solche Wirkung des Schweigens einer Partei nicht vor. Die Aufforderung der Einspruchsabteilung an die Beschwerdeführerin betreffend Bestätigung des Antrags auf mündliche Verhandlung erging nach Artikel 101 (2) und Regel 58 (1) bis (3) EPÜ. Auch diese Normen sehen eine Gleichsetzung des Stillschweigens mit einem Rechtsverzicht nicht vor. Bei Vorliegen eines Antrags auf mündliche Verhandlung nach Artikel 116 (1) liegt deren Durchführung, im Gegensatz zu Artikel 116 (2), der das Verfahren vor der Eingangsstelle betrifft, jedenfalls nicht im Ermessen der Einspruchsabteilung (T 663/90 vom 13.08.1991, nicht veröffentlicht). Die Folgerung der Einspruchsabteilung, das Schweigen stelle eine Rücknahme des Antrags dar, ist daher unbegründet (vgl. hierzu auch G 1/88, ABl. EPA 1989, 189; T 457/89; T 484/90).

2.3. Die Nichtgewährung des Antrags auf mündliche Verhandlung stellt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar, welche im Verlust der Möglichkeit sich direkt vor der zuständigen Instanz zu äußern, resultiert. Darin ist ein so wesentlicher Verfahrensfehler zu sehen, daß dadurch die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückweisung der Sache zur erneuten Behandlung notwendig erscheint (Art. 10 VerfOBK).

3. Aus diesem Grunde entspricht auch die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit (R. 67 EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

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