T 0093/89 (Polyvinylester-Dispersion) of 15.11.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T009389.19901115
Datum der Entscheidung: 15 November 1990
Aktenzeichen: T 0093/89
Anmeldenummer: 83106782.2
IPC-Klasse: C08F 18/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Hoechst
Name des Einsprechenden: Henkel
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: 1. Ist eine behauptete offenkundige Vorbenutzung nicht ausreichend substantiiert, so ist sie nicht relevant und kann, falls verspätet, nach Artikel 114 (2) EPU unberücksichtigt bleiben.
2. Eine offenkundige Vorbenutzung ist nur dann ausreichend substantiiert, wenn konkrete Umstände angegeben sind, was, wo, wann, wie, durch wen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.
3. Kann die Zusammensetzung eines Handelsproduktes nur durch chemische Analyse festgestellt werden, so sind die Bestandteile des Produkts der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht, wenn für Sachverständige kein Anlaß zur Untersuchung bestand.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Offenkundige Vorbenutzung nicht substantiiert und verspätet
Offenkundige Vorbenutzung eines chemischen Handelsprodukts
Handelsprodukt, Anlaß zur chemischen Analyse
Erfinderische Tätigkeit (bestätigt)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/92
T 0595/89
T 0953/90
T 0221/91
T 0441/91
T 0083/92
T 0097/92
T 0952/92
T 1002/92
T 0169/93
T 0097/94
T 0301/94
T 0575/94
T 0003/95
T 0633/95
T 1069/96
T 0037/98
T 0176/98
T 0240/99
T 0526/99
T 0864/99
T 0947/99
T 0837/02
T 1134/06
T 2043/07

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 83 106 782.2, die am 11. Juli 1983 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der Voranmeldung vom 16. Juli 1982 (DE 3 226 681) angemeldet worden war, ist am 12. März 1986 das europäische Patent Nr. 100 892 auf der Grundlage von drei Ansprüchen erteilt worden.

Anspruch 1 des ersten Anspruchssatzes für die Vertragsstaaten CH, DE, GB und LI lautete:

"Wässerige Polyvinylester-Dispersion mit einem Feststoffgehalt von 35 bis 65 Gew.-%, dadurch gekennzeichnet, daß 3 bis 60 Gew.-% der dispergierten Partikel einen Durchmesser von kleiner 1 µm aufweisen und zu 95 bis 100 Gew.-% aus Polyvinylacetat oder einem Vinylacetatmischpolymerisat und zu 0 bis 5 Gew.-% aus nativer Stärke bestehen, daß 40 bis 97 Gew.-% der dispergierten Partikel einen Durchmesser von 1 bis 40 µm aufweisen und zu 20 bis 95 Gew.-% aus Polyvinylacetat oder einem Vinylacetatmischpolymerisat und zu 5 bis 80 Gew.-% aus nativer Stärke bestehen, und daß die Dispersion 3 bis 12 Gew.-%, bezogen auf die Gesamtmenge der dispergierten Partikel, Polyvinylalkohol enthält."

Anspruch 1 des zweiten Anspruchsatzes für den Vertragsstaat AT war als Verfahren zur Herstellung einer wässerigen Polyvinylester-Dispersion mit einem Feststoffgehalt von 35 bis 65 Gew.-% formuliert.

II. Gegen die Erteilung des europäischen Patents hat die Einsprechende am 11. Dezember 1986 Einspruch eingelegt und dessen Widerruf wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit beantragt. Zur Stütze ihres Vorbringens hat sie auf folgende Dokumente

(1) Deutsche Patentanmeldung S 39 673 IV a/22i

(2) US-A-2 996 462

sowie auf mehrere später genannte Dokumente verwiesen.

III. Durch Entscheidung vom 23. November 1988, zur Post gegeben am 19. Dezember 1988 hat die Einspruchsabteilung entschieden, das genannte Patent könne in geändertem Umfang aufrechterhalten werden. Dabei wurde gemäß dem Vorschlag der Einspruchsabteilung vom 18. Februar 1988 am Ende des erteilten Anspruchs 1 des ersten Anspruchssatzes eingefügt, daß der in der beanspruchten Dispersion enthaltene Polyvinylalkohol "eine Esterzahl von 60 bis 210 besitzt und dessen 4 %ige wässerige Lösung eine Viskosität von 4 bis 60 mPa.s, gemessen bei 20 °C, aufweist".

In der angefochtenen Entscheidung wird ausgeführt, Dokument (1) erwähne neben Getreidestärke zahlreiche andere, für den angegriffenen Patentgegenstand ungeeignete Füllstoffe; die im Streitpatent getroffene Auswahl lasse sich aus dieser Liste nicht herleiten. Außerdem sei der patentgemäß eingesetzte Polyvinylalkohol kein beliebiges Handelsprodukt, sondern ein Polymer mit ganz bestimmten Kenndaten, nämlich einer Esterzahl von 60 bis 210 und einer Viskosität seiner 4 %igen wässerigen Lösung von 4 bis 60 mPa.s. Dokument (2) sei auf eine Klebstoffzusammensetzung zum Verkleben von Pappe gerichtet, wobei der Klebstoff gelatinierte Stärke anstelle von Polyvinylalkohol enthalte. Der dortige Klebstoff enthalte somit genau denjenigen Bestandteil, der als Komponente in dem Streitpatent nicht vorhanden sein dürfe.

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die unterlegene Einsprechende (Beschwerdeführerin) am 4. Februar 1989 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und hierzu am 14. April 1989 eine Begründung eingereicht. In dieser Begründung hat sich die Beschwerdeführerin ausführlich mit den in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Argumenten bezüglich der Frage der erfinderischen Tätigkeit auseinandergesetzt. Die Verwendung von Polyvinylester-Dispersionen zum Verleimen gerade von Holz sei unzweifelhaft schon bekannt gewesen und im Hinblick auf die in Dokument (1) genannten Füllmittel sei die Auswahl nativer Stärke gemäß Streitpatent nicht erfinderisch; einerseits werde nämlich der Fachmann die dortigen anorganischen Mehle nicht bevorzugen, da sie die Viskosität erhöhen und dem Erzeugnis einen salbenartigen Charakter geben; andererseits werde er auch die erwähnten pflanzlichen Mehle nicht wählen, da sie ein Risiko für die Reproduzierbarkeit darstellen. Die Auswahl von Stärke habe demnach nahegelegen. Außerdem können die Kenndaten des Polyvinylalkohols nicht erfinderisch sein, da sowohl die Viskosität als auch die Esterzahl den handelsüblichen Produkten entsprechen, wie übrigens einer Firmenschrift der Beschwerdegegnerin zu entnehmen sei.

V. In ihren weiteren Stellungnahmen und vor allem in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 1990 hat die Beschwerdeführerin - erstmals andeutungsweise in ihrer Eingabe vom 15. März 1988, mehr als 15 Monate nach Ablauf der Einspruchsfrist - offenkundige Vorbenutzung durch eigene Handelsprodukte geltend gemacht und eine diesbezügliche eidesstattliche Erklärung vorgelegt.

Ferner hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung die tatsächliche Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe durch den Anspruchsvorschlag bestritten und sich dabei insbesondere auf Beispiel 11 bezogen.

VI. Demgegenüber trug die Beschwerdegegnerin vor, erst die beanspruchte Kombination von Stoffen und Parametern führe zu einer Erhöhung der Abbindegeschwindigkeit der Polyvinylester-Dispersion und zur Erzielung hoher Holzverklebungsfestigkeiten bereits nach wenigen Minuten. Ein solcher Eigenschaftssprung sei mit keinem der in Dokument (1) genannten Füllstoffe zu erzielen gewesen; der Autor dieser Entgegenhaltung habe eine solche Wirkung von nativer Stärke weder beschrieben, noch erkannt, noch vermutet.

Das Vorliegen einer offenkundigen Vorbenutzung hat die Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf eigene Analysenergebnisse bestritten.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin hingegen beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Das Streitpatent betrifft eine wässerige Polyvinylester- Dispersion sowie ein Verfahren zu ihrer Herstellung und ihre Verwendung. Eine gattungsgemäße Dispersion wird im Verfahren gemäß Dokument (1) eingesetzt, das die Kammer als nächsten Stand der Technik ansieht. Dort wird ein Verfahren zum Verkleben von Holzfußböden auf Betonunterlagen beschrieben, worin ein Leim verwendet wird, der aus 33 bis 95 % Polyvinylacetatdispersion, 2,5 bis 33 % Polyvinylalkohollösung und 2,5 bis 33 % Füllmitteln und Hilfsprodukten besteht (Anspruch 1). Als geeignete Füllmittel werden zahlreiche feingemahlene Industriemehle sowie organische und anorganische Produkte genannt; brauchbare Hilfsprodukte sind Weichmacher, Fällungsmittel sowie organische und anorganische Verbindungen, die dem Parkettleim spezifische Eigenschaften verleihen sollen (Seite 2, Zeilen 45 bis 76). Obwohl die Endbindefestigkeit der Verklebungen mit diesem Parkettleim sehr hoch ist und u. a. das Kleben von dünnem Mosaikparkett auf Beton ermöglicht (Seite 2, Zeilen 77 bis 85), wird diese hohe Festigkeit erst nach 1 bis 4 Stunden erreicht, was für die Verwendung des Klebstoffes im maschinellen Betrieb nachteilig ist.

Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe kann daher darin gesehen werden, eine wässerige Polyvinylester- Dispersion bereitzustellen, mit der eine hohe Festigkeit der Verklebung in kürzerer Zeit erreicht wird, ohne die Endbindefestigkeit zu beeinträchtigen.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt - vereinfacht dargestellt - das Streitpatent eine solche wässerige Polyvinylester-Dispersion mit einem Feststoffgehalt von 35 bis 65 Gew.-% vor, worin die dispergierten Partikel unter bimodaler Durchmesserverteilung aus Polyvinylacetat und nativer Stärke bestehen, und die ferner 3 bis 12 Gew.-% Polyvinylalkohol mit bestimmten Kenndaten (Esterzahl und Viskosität) enthält.

3. Die Beschwerdeführerin bestreitet, daß die oben genannte technische Aufgabe nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 mit beliebigen Mengen Stärke gelöst werden kann.

Bei der Prüfung der Lösung der Aufgabe ist es der Kammer nicht entgangen, daß der Wert der Bindefestigkeit nach 2 1/2 Minuten im Beispiel 11 (1000 g Polyvinylacetat- Dispersion A1, 560 g Polyvinylalkohol-Lösung B2 und 880 g Stärke) etwas niedriger ist als der Wert dieses Parameters für die reine Primärdispersion A1 im Vergleichsbeispiel A (3,4 bzw. 3,6 N/mm2). Die Kammer ist jedoch der Meinung, daß diesem einzigen Wertepaar keine große Bedeutung beigemessen werden sollte, da der Unterschied praktisch noch im Bereich der Meßgenauigkeit - 0,1 für jeden Wert - liegt, wie übrigens von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Dagegen zeigen die übrigen Daten in den Tabellen 1 bis 4 übereinstimmend, daß die Abbindegeschwindigkeit beim Verkleben von Holz mit den erfindungsgemäßen Dispersionen bei steigendem Gehalt an Stärke zunächst eindeutig ansteigt und erst bei hohem Stärkeanteil abfällt (vgl. Beschreibung, Spalte 4, Zeile 63 bis Spalte 5, Zeile 3). Laut der Beschreibung (Spalte 4, Zeilen 40 bis 43) tritt der geltend gemachte Effekt ein, wenn die Gesamtmenge der dispergierten Partikel zu etwa 2 bis 70, vorzugsweise 5 bis 50 Gew.-% aus Stärke besteht. Obwohl dies im Wortlaut des Anspruchs 1 nicht zum Ausdruck kommt, legt die Kammer diesen Anspruch so aus (Artikel 69 EPÜ), daß die Stärke in dem Maße zugegeben wird, daß sich eine gute Bindefestigkeit nach 2 1/2 Minuten ergibt und somit die o. g. technische Aufgabe gelöst wird.

4. Nach Prüfung der genannten Dokumente ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, daß der beanspruchte Lösungsvorschlag diesem druckschriftlichen Stand der Technik gegenüber neu ist. Da die Neuheit insoweit unbestritten ist, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.

5. Es bleibt zu untersuchen, ob die wässerige Polyvinylester- Dispersion nach Anspruch 1 des ersten Anspruchssatzes auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5.1 Die beanspruchte Lösung läßt sich nicht aus Dokument (1) herleiten. Insbesondere ist es für die Kammer nicht ersichtlich, wie das Weglassen von Hilfsprodukten, die nach dieser Entgegenhaltung erforderlich sind, und gleichzeitig die Auswahl nativer Stärke in Anbetracht der o. g. technischen Aufgabe naheliegende Maßnahmen hätten sein können.

Dort wird zuerst angegeben (Seite 2, Zeilen 45 bis 55), daß man als Füllmittel vorzugsweise feingemahlene Industriemehle, organische Produkte, wie Cerealien und mineralische oder anorganische Produkte, verwendet. Als Beispiele für geeignete Füllmittel werden Bohnenmehl, Erbsenmehl, Wickenmehl, Gerstenmehl, Roggenmehl, Stärke, beispielsweise Getreidestärke, Kartoffelstärke usw., Kreidemehl, Kaolin, bläuefreie Lithopone usw. genannt. Es wird ausdrücklich erwähnt, daß sich diese Mehle insbesondere empfehlen, um die Viskosität zu erhöhen und dem Erzeugnis einen salbenartigen Charakter zu geben. Das Argument der Beschwerdeführerin, wonach der Fachmann die letztgenannten Produkte nicht einsetzen würde, weil sie die Viskosität erhöhen, vermag die Kammer nicht zu überzeugen, da die Aufgabe des Streitpatents nicht darin besteht, eine innerhalb eines gewissen Bereichs liegende Viskosität der Dispersion zu erzielen, sondern darin, die Festigkeit der Verklebung bereits nach wenigen Minuten zu gewährleisten, und ein Zusammenhang zwischen Viskosität und Abbindegeschwindigkeit nicht belegt worden ist.

Wenngleich die Kenndaten des eingesetzten Polyvinylalkohols - Esterzahl und Viskosität - keine selbständigen erfinderischen Merkmale darstellen, so ist doch auch die bimodale Verteilung der Partikelgröße des Polymerisats sowie die unterschiedliche Zusammensetzung dieser Partikel dem Dokument (1) nicht zu entnehmen. Dort ist lediglich von einem beliebigen Polyvinylacetat in Form einer Dispersion die Rede, die man aus dem Polymerisat herstellt, welches in Wasser unter Zugabe von Hilfsprodukten, wie Katalysatoren, Emulgatoren und Stabilisatoren, polymerisiert wird (Seite 2, Zeilen 29 bis 33).

5.2 Auch die Berücksichtigung der Lehre des Dokuments (2) kann nicht zu der im Streitpatent beanspruchten Lösung führen. Der Gegenstand dieser Entgegenhaltung ist auf eine Klebstoffzusammensetzung zum Verkleben von Pappe gerichtet, wobei der Klebstoff neben Wasser 14 bis 25 Gew.-% einer Mischung aus gelatinierter und ungelatinierter Stärke in einem Gewichtsverhältnis zwischen 17:3 und 1:12, sowie 5 bis 10 Gew.-% Polyvinylacetat enthält (Anspruch 1). Das wesentliche Merkmal dieser Zusammensetzung, die auf eine hohe Abbindegeschwindigkeit abgestimmt ist (Spalte 2, Zeilen 34 bis 39), ist die Kombination von gelatinierter Stärke und ungelatinierter Stärke (Spalte 2, Zeilen 52 bis 59). Somit enthält der entgegengehaltene Klebstoff als wesentliches Merkmal genau denjenigen Bestandteil, der als Komponente in der beanspruchten Polyvinylester-Dispersion nicht vorhanden sein darf.

5.3 Die übrigen, verspätet vorgebrachten Dokumente, die jede Eingabe der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren wie im Beschwerdeverfahren begleiteten, sind nach Überzeugung der Kammer für die vorliegende Entscheidung nicht relevant und wurden deshalb nicht berücksichtigt (Artikel 114 (2) EPÜ).

5.4 Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Dokumente (1) und (2) den Fachmann nicht zur Lösung der oben genannten Aufgabe führen können, so daß der Gegenstand des Streitpatents nach Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

6. Entsprechende Erwägungen gelten auch für den unabhängigen Verfahrensanspruch 2, dessen stoffliche Merkmale auf die Lösung derselben Aufgabe abzielen, sowie für den Verwendungsanspruch 3.

7. Was die Ansprüche des zweiten Anspruchssatzes (AT) anbelangt, so entsprechen einerseits dessen Verfahrensansprüche 1 und 2 den Ansprüchen 2 bzw. 1 des ersten Anspruchssatzes und stimmt andererseits dessen Verwendungsanspruch 3 vollkommen mit Anspruch 3 des ersten Anspruchssatzes überein, so daß diese Ansprüche aus den bereits dargelegten Gründen gewährbar sind.

8. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung, nämlich, daß sie vor dem Prioritätstag des Patents Polyvinylacetat- Dispersionsklebstoffe auf den Markt gebracht habe, die (native) Stärke im Sinne des angegriffenen Patents enthalten hätten, läßt die Kammer in Anwendung von Artikel 114 (2) EPÜ als verspätet vorgebracht unberücksichtigt.

Diese Behauptung hat die Beschwerdeführerin erstmals in ihrem Schriftsatz vom 14. März 1988 ohne irgendeine nähere Substantiierung aufgestellt, also mehr als 15 Monate nach Ablauf der Einspruchsfrist. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ist die Beschwerdeführerin auf diese Behauptung in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 1988 nicht mehr zurückgekommen, so daß die angefochtene Entscheidung sich dementsprechend mit dieser Behauptung auch nicht auseinandersetzt. Auch in ihrer Beschwerdebegründung vom 12. April 1989 erwähnt die Beschwerdeführerin die behauptete offenkundige Vorbenutzung mit keinem Wort. Erstmals mit Schriftsatz vom 29. August 1989 kommt die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren auf die im Schriftsatz vom 14. März 1988 angedeutete offenkundige Vorbenutzung zurück, von der sie behauptet, daß sie sie auch in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erwähnt habe, ohne daß allerdings die Offenkundigkeit dieser Vorbenutzung diskutiert worden wäre. Wer jedoch nach Ablauf der Einspruchsfrist eine offenkundige Vorbenutzung lediglich kursorisch behauptet und nähere Angaben dazu erstmals im Laufe des Beschwerdeverfahrens macht, dessen Vorbringen muß im Sinne des Artikels 114 (2) EPÜ als verspätet angesehen werden, insbesondere dann, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um die eigene Vorbenutzung durch die Beschwerdeführerin handelt.

Ist ein Vorbringen verspätet, so kann es nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T 156/84 ABl. 1988, 372) nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn es der Kammer sachlich nicht relevant erscheint. Zu dieser Überzeugung ist die Kammer unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung und insbesondere aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren gelangt.

8.1 Bei der behaupteten Vorbenutzung handelt es sich um eine eigene Vorbenutzung durch die Beschwerdeführerin. Wenn diese Benutzung tatsächlich nach ihrem Inhalt dem vorliegenden europäischen Patent patenthindernd entgegenstünde, so hätte man nach der allgemeinen Lebenserfahrung erwarten können, daß die Beschwerdeführerin ihren Einspruch von vorneherein auf diesen Grund gestützt hätte. Aus der Tatsache, daß die Beschwerdeführerin selbst ihre eigene Benutzung im Verfahren erster Instanz ohne nähere Substantiierung lediglich vorgetragen und auch im Beschwerdeverfahren nicht in der Beschwerdebegründung erwähnt hat, schließt die Kammer, daß die Beschwerdeführerin offensichtlich selbst dieser behaupteten Benutzung keine größere Bedeutung beigemessen hat, denn sonst hätte sie ihre eigene Benutzung schon mit ihrem Einspruch vorgetragen.

In dieser Schlußfolgerung wird die Kammer durch die Unvollständigkeit des Vortrags der behaupteten Vorbenutzung bestärkt. Eine offenkundige Vorbenutzung ist nur dann ausreichend substantiiert, wenn ausreichend konkrete Umstände angegeben sind was, wo, wann, wie, durch wen in öffentlich zugänglicher Weise benutzt worden ist (T 300/86 vom 28. August 1989, Punkt 2.7, zitiert im Jahresbericht 1989, Beilage zum ABl. 1990, Heft 6, Seite 25; T 194/86 vom 17. Mai 1988, Punkt 2, Rechtsprechungskartei Gewerblicher Rechtschutz "EPÜ 54 Nr. 73"). Ein ausreichender Vortrag muß daher die behauptete Benutzung nach Art, Ort, Zeit unter konkreter Schilderung des Gegenstands sowie der öffentlichen Zugänglichkeit mit der Möglichkeit der Nachbenutzung durch andere Sachverständige enthalten.

Schon die Angabe des Zeitraums der Vorbenutzung "bereits im Jahre 1979" ist so vage gehalten, daß sie kaum als eindeutige Angabe über die Zeit der Vorbenutzung gewertet werden kann.

8.2 Darüber hinaus fehlt es an jeder konkreten Angabe über die Offenkundigkeit der Vorbenutzung. Insofern hat die Beschwerdeführerin lediglich vorgetragen, daß es aufgrund des nächsten Standes der Technik, nämlich der Druckschrift (1), für den Fachmann naheliegend gewesen sein dürfte, ihr Produkt "Ponal express" zu untersuchen und dabei festzustellen, daß in ihm erhebliche Mengen sowohl an Polyvinylalkohol als auch an nativer Stärke vorhanden sind. Mit diesem Vortrag führt die Beschwerdeführerin aus, daß sie selbst die Öffentlichkeit über die Zusammensetzung ihres Produkts nicht informiert hat; das ist auch nur natürlich, da ein Wirtschaftsunternehmen üblicherweise seine Mitbewerber im Markt über Art und Weise der Herstellung seiner Produkte aus eigenem wirtschaftlichem Interesse nicht zu unterrichten pflegt. Dem Produkt als solchem - einem Klebstoff - kann ein Fachmann seine Zusammensetzung nicht ansehen. Dazu bedürfte es einer chemischen Analyse. Für eine solche Analyse bestand aber nach Auffassung der Kammer kein Anlaß.

Die bloße Tatsache, daß eine Firma ein neues Handelsprodukt auf den Markt bringt, stellt für die Mitbewerber dieser Firma noch nicht notwendig einen ausreichenden Anlaß dar, dieses Produkt auf seine Bestandteile zu untersuchen. Es gibt keinen Erfahrungssatz, daß im Wettbewerb stehende Unternehmen sämtliche neuen Produkte ihrer Konkurrenten untersuchen; jedenfalls gilt das für die chemische Zusammensetzung von Handelsprodukten, die auf dem Markt neu angeboten werden. Dazu bedürfte es eines konkreten Anlasses, der eine solche Analyse, die immerhin mit einem Kostenaufwand verbunden ist, rechtfertigen würde. Einen solchen Anlaß vermag die Kammer im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Natürlich sind Konkurrenten daran interessiert, neue Produkte mit ihren eigenen zu vergleichen. Dazu bedarf es aber nicht unbedingt einer chemischen Analyse des neuen Produktes; es genügt vielmehr zunächst die Feststellung der Eigenschaften des neuen Produkts, im vorliegenden Fall des neuen Klebstoffs, dessen Eigenschaften ohne eine Analyse feststellbar sind. Daß das neue Handelsprodukt "Ponal express" der Beschwerdeführerin so besondere Eigenschaften aufgewiesen hätte, die einem Mitwettbewerber zur chemischen Analyse hätten Anlaß geben können, ist nicht vorgetragen. Daher vermag die Kammer in dem bloßen Erscheinen des neuen Handelsproduktes keinen Anlaß zur chemischen Untersuchung zu sehen.

Die Beschwerdeführerin meint, daß die Druckschrift (1) als nächster Stand der Technik für den Fachmann ein naheliegender Grund gewesen sei, das Produkt der Beschwerdeführerin zu untersuchen. Diese Überlegung beruht nach Meinung der Kammer auf einer lebensfremden Betrachtung des Verhaltens von Mitwettbewerbern. Diese beobachten den Markt aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten, nicht aber mit Patentschriften in ihren Händen. Erst wenn ein Produkt wegen seiner besonderen Eigenschaften interessiert und aus diesem Grunde untersucht und analysiert wird, mag man sich für die Frage, ob die Nachahmung erlaubt ist, mit dem bisherigen Stand der Technik befassen.

Aber selbst wenn ein Sachverständiger das Marktprodukt der Beschwerdeführerin analysiert hätte, wäre er keineswegs sicher gewesen, darin native Stärke als Bestandteil festzustellen, da nach der eigenen Bekundung der Beschwerdeführerin ihr Marktprodukt teils mit, teils ohne native Stärke hergestellt worden ist. Das bedeutet, daß eine chemische Analyse des Handelsproduktes nur zufällig zum Nachweis der Anwesenheit von Stärke geführt hätte. Damit dürfte auch das Fehlen von Stärke im Analysenergebnis der Beschwerdegegnerin (vgl. Schriftsatz vom 14. Februar 1990), die Proben des Handelsprodukts aus der Herstellung vor 1979 und von heute untersucht hat, eine natürliche Erklärung finden.

8.3 Aus all diesen Gründen fehlt der behaupteten Vorbenutzung die Relevanz gegenüber dem angegriffenen Patent, die allein zu einer Berücksichtigung der verspätet vorgetragenen Vorbenutzung hätte führen können. Sie bleibt demgemäß bei der Bewertung der Patentfähigkeit des angegriffenen Patents außer Betracht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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