T 0097/94 (Zeitplan für das Verfahren) of 15.7.1997

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1997:T009794.19970715
Datum der Entscheidung: 15 Juli 1997
Aktenzeichen: T 0097/94
Anmeldenummer: 86402042.5
IPC-Klasse: C08G 18/08
Verfahrenssprache: FR
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: Verbesserte Zweikomponenten-Polyurethane
Name des Anmelders: CECA S.A.
Name des Einsprechenden: Bayer AG
Grace GmbH
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: 1. Gemäß der Entscheidung G 6/95 ist die Anwendung der Regel 71a (1) EPÜ durch die Beschwerdekammern zwar insofern fakultativ, als die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ganz in das Ermessen der Kammern gestellt ist; für die Beteiligten hingegen ist sie verbindlich. Wenn also eine Beschwerdekammer an die Beteiligten eine Mitteilung nach Regel 71a (1) EPÜ ergehen läßt, so haben diese ihren Inhalt zu beachten, insbesondere was die Erwiderungsfrist betrifft (Nr. 3.5.1).
2. Wird in einem späten Verfahrensstadium der Vertreter gewechselt, ohne daß hierfür höhere Gewalt ursächlich ist, so hat der neue Vertreter das Verfahren ab dem Stadium fortzuführen, das es im Zeitpunkt der Übernahme von seinem Vorgänger erreicht hatte. Ein Beteiligter, in diesem Fall eine Beschwerdegegnerin/Einsprechende, darf diesen Wechsel keinesfalls zum Anlaß nehmen, eine neue, auf eine Zeugenvernehmung gestützte Verteidigungsstrategie anzuwenden, die angesichts der früheren Argumente und Anträge nicht vorhersehbar war (Nr. 3.5.3).
3. Wird der Einwand der offenkundigen Vorbenutzung erhoben, so muß ein gegenüber dem Abwägen der Wahrscheinlichkeit, auf das die Beschwerdekammern in der Regel ihre Überzeugung gründen, strengeres Kriterium angelegt werden, d. h., die Vorbenutzung muß praktisch mit absoluter Gewißheit oder, anders gesagt, zweifelsfrei stattgefunden haben (Nr. 5.1).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 Art 117(1)(d)
European Patent Convention 1973 R 71a(1)
European Patent Convention 1973 R 72(1)
European Patent Convention 1973 R 72(2)
Schlagwörter: Verspätete Benennung von Zeugen - Antrag auf Vernehmung abgelehnt
Offenkundige Vorbenutzung (verneint)
Unzureichende Beweiskraft der beigebrachten Beweismittel - keine lückenlose Beweiskette
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/92
G 0004/95
G 0006/95
T 0194/86
T 0093/89
T 0270/90
T 0939/90
T 0207/91
T 0685/91
T 0713/91
T 0141/92
T 0472/92
T 0848/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0249/93
T 0048/96
T 0494/96
T 0785/96
T 0611/97
T 0037/98
T 0176/98
T 0552/98
T 0895/98
T 1029/98
T 0012/00
T 0505/00
T 0805/00
T 0019/01
T 0284/01
T 0060/02
T 0339/02
T 0972/02
T 0225/03
T 0120/04
T 0442/04
T 0738/04
T 0313/05
T 0736/05
T 1210/05
T 1335/05
T 1600/06
T 1469/08
T 0071/09
T 0918/11
T 2451/13
T 0057/14
T 1646/16
T 1570/19
T 0778/21
T 1758/22

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 18. September 1986 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 86 402 042.5, für die die Priorität einer früheren Anmeldung in Frankreich (FR 8513951) vom 20. September 1985 in Anspruch genommen wurde, wurde am 3. Januar 1990 das europäische Patent Nr. 0 239 706 mit 6 Ansprüchen erteilt; die unabhängigen Ansprüche 1 und 4 lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Polyurethanen frei von gasförmigen Einschlüssen durch Mischen zweier Komponenten, die ohne wesentliche Veränderung der Reaktivität getrennt aufbewahrbar sind, wobei die das hydroxylierte Reagenz enthaltende Komponente ein Dehydratisierungsmittel enthält, das aus einem Zeolith besteht, dadurch gekennzeichnet, daß der Zeolith in seiner wasserfreien Form der allgemeinen Formel

a Na2O . b K2O . c MO . Al2O3 . m SiO2

entspricht, in der

b eine Zahl zwischen 0,1 und 0,5 ist,

c eine Zahl zwischen 0,1 und 0,5 ist;

in der a eine Zahl ist, so daß

a + b + c = 1 ergibt,

in der m eine ganze Zahl zwischen 1,35 und 2,35 ist, und in der M Calcium oder Magnesium darstellt."

"4. Lagerstabile Komponente für Polyurethane frei von gasförmigen Einschlüssen, bestehend aus wenigstens einem polyhydroxylierten organischen Reagenz und einem Zeolith, dadurch gekennzeichnet, daß der Zeolith in seiner wasserfreien Form der allgemeinen Formel:

a Na2O . b K2O . c MO . Al2O3 . m SiO2

entspricht, in der

b eine Zahl zwischen 0,1 und 0,5 ist,

c eine Zahl zwischen 0,1 und 0,5 ist;

in der a eine Zahl ist, so daß

a + b + c = 1 ergibt,

in der m eine Zahl zwischen 1,35 und 2,35 ist,

und in der M Calcium oder Magnesium darstellt."

Die Ansprüche 2 und 3 sind abhängige Ansprüche und betreffen besondere Ausführungsarten des Verfahrens nach Anspruch 1.

Die Ansprüche 5 und 6 sind abhängige Ansprüche und betreffen bevorzugte Bestandteile der Komponente für Polyurethane nach Anspruch 4.

II. Am 2. Oktober 1990 legten die Unternehmen Bayer (Einsprechende 1) und Grace (Einsprechende 2) Einspruch gegen das vorstehend genannte europäische Patent ein und beantragten, es aus den in Artikel 100 a) EPÜ genannten Gründen zu widerrufen.

i) Die Einwände, die Erfindung sei wegen offenkundiger Vorbenutzung nicht neu und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, stützten sich insbesondere auf die folgenden Druckschriften:

III. Mit einer am 7. Dezember 1993 zugestellten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent mit der Begründung, daß der Gegenstand aller Ansprüche nicht neu sei.

Sie hielt es für erwiesen,

v) daß folglich die in dem Streitpatent beanspruchte Erfindung als vor dem Prioritätstag gemeinfrei zu gelten habe.

IV. Am 1. Februar 1994 legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) gegen diese Entscheidung unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Argumente, die in der am 21. März 1994 nachgereichten Beschwerdebegründung und in einer später eingegangenen Erwiderung entwickelt wurden, konzentrierten sich auf den Unterschied zwischen den in den Firmenschriften und den in den Analyseberichten der Einsprechenden beschriebenen Stoffgemischen.

V. Die Beschwerdegegnerin 1 (Einsprechende 1) machte daraufhin in ihren Erwiderungen vom 2. August 1994 und 21. Februar 1995 folgendes geltend:

i) Das speziell als Dehydratisierungsmittel für Zweikomponentenpolyurethane entwickelte Produkt "Zeolith L", das dem Typ Na-K zugrunde liege, habe seit 1975 zusätzlich Ca-Ionen enthalten. Die Rezeptur dieses sowohl in Pulver- wie in Pastenform vertriebenen Produkts sei in der Zeit von 1975 bis 1986 nicht verändert worden. Aus den Dokumenten B1 bis B3 und den verschiedenen eidesstattlichen Erklärungen, die vor der ersten Instanz vorgelegt worden seien, gehe eindeutig hervor, daß auch bei der Änderung der Bezeichnung in "Baylith L" im Jahre 1980 die Rezeptur nicht geändert worden sei.

ii) Daß Calcium in den Dokumenten C1 bis C3 nicht erwähnt werde, lasse nicht den Schluß zu, daß dieser Bestandteil auch in dem Produkt selbst nicht enthalten sei. Es handle sich hier um anwendungstechnische Blätter für Anwender, die regelmäßig eher an den Eigenschaften und Einsatzgebieten des Materials als an dessen genauer Zusammensetzung interessiert seien. ...

VI. Am 13. Februar 1997 erging an die Beteiligten die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 15. Juli 1997. In einem anschließenden Bescheid vom 18. März 1997 hatte die Kammer unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 472/92 vom 20. November 1996 (nicht veröffentlicht) die Kriterien festgelegt, anhand deren sie beurteilen werde, ob der Einwand der Vorbenutzung begründet sei.

In Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hatte die Kammer die Vertreter der einzelnen Beteiligten ausdrücklich aufgefordert, die Kammer und die übrigen Beteiligten mindestens einen Monat vor der Verhandlung entsprechend zu unterrichten, falls sie sich von anderen Personen begleiten oder unterstützen lassen wollten.

VII. Mit Schreiben vom 10. Juni 1997 teilte die Beschwerdeführerin die Identität ihrer beiden Vertreter mit. Auch die Beschwerdegegnerin 2, die die Beschwerdebegründung in der Sache nicht erwidert hatte (Schreiben vom 19. Juli 1994: Antrag auf Verlängerung der Erwiderungsfrist; Schreiben vom 6. Juni 1995: hilfsweise Beantragung einer mündlichen Verhandlung), gab die Identität ihres Vertreters mit Schreiben vom 9. Juni 1997 bekannt.

Mit Schreiben vom 30. Juni 1997 ließ die Beschwerdegegnerin 1 wissen, sie wolle in der mündlichen Verhandlung Zeugen vernehmen lassen, deren Identität sie am 7. Juli 1997 mitteilte:

VIII. Auf ein Schreiben der Beschwerdeführerin vom 9. Juli 1997 hin, in dem sie gegen die verspätete Benennung von Zeugen protestierte, begründete der Vertreter der Beschwerdegegnerin 1 am selben Tag die Nichteinhaltung des von der Kammer festgelegten Terminplans für das Verfahren damit, daß gemäß der Entscheidung G 6/95 (ABl. EPA 1996, 649) die Regel 71a (1) EPÜ nicht für die Beschwerdekammern gelte und er eben erst von der Firma Bayer bevollmächtigt worden sei, sie in der Verhandlung zu vertreten.

IX. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin vorab, etwaige Ausführungen der Personen nicht zu berücksichtigen, die die Vertreter der Beschwerdegegnerin 1 als Zeugen begleiten sollten. ...

Die Beschwerdegegnerinnen ihrerseits machten zunächst verschiedene Argumente geltend, um die verspätete Benennung und die Anwesenheit von Zeugen zu rechtfertigen (Beschwerdegegnerin 1), und schlugen dann vor, die mündliche Verhandlung zu vertagen, damit sie formell vernommen werden könnten (Beschwerdegegnerin 2). In der Sache bemühten sie sich nachzuweisen, daß es eine lückenlose Beweiskette gebe bezüglich i) der Zusammensetzung des Produkts Zeolith L/Baylith L, ii) der Übereinstimmung zwischen dem analysierten Produkt und dem Handelsprodukt sowie iii) der Übereinstimmung zwischen dem gelieferten Produkt und dem bei der Polyurethanherstellung eingesetzten Produkt. Zu diesem Zweck wurde von der Beschwerdegegnerin 1 der Lieferschein Nr. A109/094818H31 (Dokument B3, Anlage 3a) im Original vorgelegt.

X. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent unverändert aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Verspätete Benennung von Zeugen

2. Sowohl im Ex-parte- als auch im Inter-partes-Verfahren ist es geläufig, daß ein Beteiligter eine mündliche Verhandlung beantragt, um bereits schriftlich vorgebrachte Argumente weiter auszuführen (Art. 116 (1) EPÜ).

2.1 Bei dieser mündlichen Darlegung des Falls kann der Beteiligte beispielsweise bestimmte technische Gesichtspunkte der Erfindung erläutern, er kann erklären, was ein Fachmann zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Lösung einer bestimmten Aufgabe unternommen oder nicht unternommen hätte oder auf welche Schwierigkeiten er bei der Ausführung der Erfindung gestoßen oder auch nicht gestoßen wäre.

2.2 Eine solche Form der Beweisaufnahme ist kennzeichnend für ein relativ flexibles Verfahren, das die Beteiligten bis zu einem fortgeschrittenen Stadium des Beschwerdeverfahrens aktiv gestalten können. Damit ein gerechtes und ausgewogenes Verfahren (Art. 113 (1) und 125 EPÜ) gewährleistet ist, muß in der Praxis jeder Beteiligte die übrigen Beteiligten in der Regel innerhalb einer angemessenen Frist von seiner Absicht unterrichten, bei der Erörterung dieser oder jener Frage einen Sachverständigen einzuschalten (G 4/95, ABl. EPA 1996, 412, Nr. 10 der Entscheidungsgründe). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kammer - wie im vorliegenden Fall - zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in einem Bescheid an die Beteiligten einen Terminplan für das Verfahren festgelegt und sie ausdrücklich aufgefordert hat, ihre diesbezüglichen Absichten bekanntzugeben.

2.3 Im Übereinkommen ist neben verschiedenen anderen Beweismitteln nach Artikel 117 (1) d) EPÜ auch die Vernehmung von Zeugen vorgesehen; hierzu muß ein relativ starres und kompliziertes Verfahren gemäß den Regeln 72 bis 76 EPÜ durchgeführt werden, und aus diesem Grund wird nur selten davon Gebrauch gemacht. Zu diesem Beweismittel wird insbesondere dann gegriffen, wenn das EPA die Vernehmung dieser Zeugen für erforderlich hält oder wenn sie ein Beteiligter ausdrücklich beantragt.

2.4 Regel 72 (1) EPÜ lautet wie folgt: "Hält das Europäische Patentamt die Vernehmung von Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen oder eine Augenscheinseinnahme für erforderlich, so erläßt es eine entsprechende Entscheidung, in der das betreffende Beweismittel, die rechtserheblichen Tatsachen sowie Tag, Uhrzeit und Ort angegeben werden. Hat ein Beteiligter die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen beantragt, so wird in der Entscheidung des Europäischen Patentamts die Frist festgesetzt, in der der antragstellende Beteiligte dem Europäischen Patentamt Name und Anschrift der Zeugen und Sachverständigen mitteilen muß, die er vernehmen zu lassen wünscht."

In Regel 72 (2) Satz 1 EPÜ ist ferner bestimmt: "Die Frist zur Ladung von Beteiligten, Zeugen und Sachverständigen zur Beweisaufnahme beträgt mindestens zwei Monate, sofern diese nicht mit einer kürzeren Frist einverstanden sind."

3. Im vorliegenden Fall führt die eine Woche vor dem Verhandlungstermin erfolgte Benennung von drei Zeugen, die den Vertreter der Beschwerdegegnerin 1 begleiten sollten, zu verfahrensrechtlichen Komplikationen.

3.1 Da die erste Prüfung der Akte gezeigt hatte, daß die Argumentation der Beteiligten in ihren jeweiligen Schriftsätzen zu keinen besonderen Bemerkungen Anlaß gab, die über die Gegenargumente hinausgingen, die von der anderen Partei/den anderen Parteien bereits geltend gemacht und sogar schon von der ersten Instanz geprüft worden waren, hatte die Kammer den Beteiligten in einem Bescheid vom 18. März 1997 lediglich folgendes mitgeteilt:

- Sie erinnerte daran, daß die einzige in der mündlichen Verhandlung zu prüfende Frage der Einwand der offenkundigen Vorbenutzung sei.

- Sie machte darauf aufmerksam, daß die Kriterien, anhand deren die Kammer beurteilen werde, ob dieser Einwand begründet sei, in der Entscheidung T 472/92 (s. oben) genannt seien.

- Sie erwähnte abschließend ausdrücklich, daß die Vertreter der verschiedenen Beteiligten die Kammer und die übrigen Beteiligten mindestens einen Monat vor der Verhandlung entsprechend unterrichten sollten, falls sie sich in der mündlichen Verhandlung von anderen Personen begleiten oder unterstützen lassen wollten.

Diese Formulierung war mit Absicht so weit gefaßt, daß sie alle Personen einschloß, die unter Umständen zu einer Klärung der strittigen Punkte beitragen konnten, also nicht nur diejenigen, die im Einspruchsverfahren eidesstattliche Erklärungen abgegeben hatten, sondern auch Fachleute auf dem Gebiet der Herstellung von Zeolithen sowie die Erfinder selbst, sollte eine Erörterung und Auslegung der von den beiden Beschwerdegegnerinnen vorgelegten Analyseergebnisse notwendig sein.

3.2 ...

3.3 Sieht man vom Datum der Ladung zur mündlichen Verhandlung, die am 13. Februar 1997 an die Beteiligten erging, einmal ab, so war aufgrund der diesbezüglichen Anträge der drei Beteiligten (Beschwerdeführerin: 21. Oktober 1994; Beschwerdegegnerin 1: 2. August 1994; Beschwerdegegnerin 2: 6. Juni 1995) seit mehr als zwei Jahren klar, daß eine mündliche Verhandlung stattfinden würde und es somit der Beschwerdegegnerin 1 oblag, was sie anbelangt, geeignete vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen, damit die Personen, die eidesstattliche Erklärungen abgegeben hatten, zu gegebener Zeit an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnten. Insbesondere hätte sie sich, wenn sie in der Tat die Vernehmung von Zeugen gemäß Artikel 117 (1) d) EPÜ beabsichtigte, in diesem Sinne äußern müssen, ohne die Ladung zur mündlichen Verhandlung abzuwarten, damit die Kammer ihrerseits eine entsprechende Entscheidung hätte erlassen und die Frist festsetzen können, in der die Beschwerdegegnerin 1 dem EPA Name und Anschrift dieser Zeugen hätte mitteilen müssen (R. 72 (1) EPÜ). Die Erwiderung der Beschwerdegegnerin 1 vom 21. Februar 1995, bei der es sich um den letzten Schriftsatz der Beteiligten vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung handelte und in dem die Beschwerdegegnerin 1 abschließend ihren Antrag auf möglichst baldige Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wiederholte, bot die beste Gelegenheit, auch die Zeugenvernehmung zu beantragen. Der von der Kammer festgelegte Zeitplan für das Verfahren ermöglichte es nämlich, auch nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung die diesbezüglich im EPÜ vorgesehenen Maßnahmen einzuleiten.

3.4 Es versteht sich von selbst, daß die Benennung von drei Zeugen eine Woche vor der mündlichen Verhandlung für die Kammer überraschend kam und ihr die Möglichkeit nahm, entsprechend den Vorschriften der Regel 72 (1) EPÜ und, da ja die Beschwerdeführerin vorab beantragt hatte, etwaige Aussagen dieser Zeugen nicht zu berücksichtigen, der Regel 72 (2) EPÜ zu verfahren. Sie machte es auch der Beschwerdeführerin praktisch unmöglich, sich darauf entsprechend einzustellen und sich zu ihrer eigenen Verteidigung auf Aussagen technischer Sachverständiger und/oder Erläuterungen der Erfinder zu stützen oder gar eigene Zeugen aufzubieten. Eine qualitativ derart mangelhafte Vertretung widerspricht ganz offensichtlich den in den Vertragsstaaten im allgemeinen anerkannten Grundsätzen des Verfahrensrechts (Art. 125 EPÜ), wonach es jedem Beteiligten ermöglicht werden muß, seine Sache so angemessen wie möglich zu vertreten.

3.5 Den Argumenten, mit denen die Beschwerdegegnerin 1 die Nichteinhaltung der von der Kammer festgesetzten Erwiderungsfrist begründete, kann aus den nachstehenden Gründen nicht gefolgt werden.

3.5.1 Wie die Kammer in der mündlichen Verhandlung erläuterte, geht die Verweisung auf die Regel 71a (1) EPÜ und die Entscheidung G 6/95 (s. oben) im Schreiben der Beschwerdegegnerin 1 vom 9. Juli 1997 fehl. In dieser Entscheidung, bei der es ausschließlich um die Frage ging, ob die Beschwerdekammern der Ladung zur mündlichen Verhandlung eine Mitteilung nach Regel 71a (1) EPÜ beifügen müssen, entschied die Große Beschwerdekammer, daß die in dieser Regel enthaltenen zwingenden Verfahrenserfordernisse für die erstinstanzlichen Organe des EPA, nicht aber für die Beschwerdekammern gelten (Nr. 5 der Entscheidungsgründe). Gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer ist die Anwendung der Regel 71a (1) EPÜ durch die Beschwerdekammern zwar insofern fakultativ, als die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ganz in das Ermessen der Kammern gestellt ist; für die Beteiligten hingegen ist sie ebenso wie die übrigen Regeln der Ausführungsordnung verbindlich. Wenn also eine Beschwerdekammer, wie im vorliegenden Fall, an die Beteiligten eine Mitteilung nach Regel 71a (1) EPÜ ergehen läßt, so haben diese ihren Inhalt zu beachten, insbesondere was den Terminplan für das Verfahren betrifft.

3.5.2 Was die Verweisung auf die Entscheidung G 6/95 (s. oben) angeht, so ist noch zu erwähnen, daß die Regel 71a (1) EPÜ nicht die einzige Bestimmung über die Zulässigkeit neuer, in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens vorgebrachter Beweismittel ist. So stützt sich die Entscheidung dieser Kammer in der mündlichen Verhandlung, keine Zeugen zu vernehmen, nicht auf diese Regel, sondern auf Artikel 114 (2) EPÜ, wonach das EPA Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen braucht. Auch nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern brauchen verspätet vorgebrachte Beweismittel nicht zugelassen zu werden, wenn sie nicht relevant sind (vgl. zum Beispiel die Entscheidungen T 207/91 vom 2. Februar 1993, T 713/91 vom 26. Januar 1993 und T 141/92 vom 29. Juli 1993 (sämtlich nicht veröffentlicht)) oder die Billigkeitserfordernisse nicht beachtet worden sind (vgl. zum Beispiel die Entscheidungen T 939/90 vom 16. Dezember 1993 und T 685/91 vom 5. Januar 1993 (nicht veröffentlicht) sowie die Entscheidung T 270/90, ABl. EPA 1993, 725).

3.5.3 Die weitere Erklärung des Vertreters der Beschwerdegegnerin 1, er habe die Identität der Zeugen sofort mitgeteilt, als er von der Firma Bayer bevollmächtigt worden sei, sie in der mündlichen Verhandlung zu vertreten, und er habe unmöglich früher handeln können, kann die Kammer ebenfalls nicht gelten lassen. Sie weist darauf hin, daß nicht nachgewiesen wurde, daß für den Vertreterwechsel in einem derart späten Verfahrensstadium höhere Gewalt ursächlich war. Dieser schlicht auf Wunsch des Mandanten erfolgte Wechsel kann die Überlegungen in Nummer 3.5.2 nicht entkräften. Der neue Vertreter hatte somit das Verfahren ab dem Stadium fortzuführen, das es im Zeitpunkt der Übernahme von seinem Vorgänger erreicht hatte. Die Benennung eines neuen Vertreters durch die Firma Bayer rund zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung durfte die Beschwerdegegnerin 1 keinesfalls zum Anlaß nehmen, kurzfristig eine neue Verteidigungsstrategie festzulegen, die angesichts der bisherigen Argumente und Anträge nicht vorhersehbar war, mit dem von der Kammer festgelegten Terminplan für das Verfahren unvereinbar war und auch gegen die Bestimmungen des EPÜ verstieß.

3.6 Da die Kammer die Begleitpersonen des Vertreters der Beschwerdegegnerin 1 nicht als Zeugen im Sinne des Artikels 117 (1) d) EPÜ zulassen konnte, beschloß sie schließlich nach einer Zwischenberatung, daß ihr diese Personen weiterhin zur Verfügung stehen sollten, aber außerhalb des Verhandlungsraums, damit sie ihre etwaigen Erklärungen unbeeinflußt vom Gang der Verhandlung abgeben können. Die von den Beschwerdegegnerinnen in der Verhandlung vorgetragenen Argumente, die sich auf die bereits früher vorgelegten Analyseergebnisse und eidesstattlichen Erklärungen stützten, warfen jedoch kein neues Licht auf den schon aktenkundigen Sachverhalt, was die Vernehmung dieser Personen überflüssig machte; sie wurde im übrigen bei den Erörterungen im Anschluß an die Zwischenberatung von der Beschwerdegegnerin 1 auch nicht mehr gewünscht.

3.7 Die von der Beschwerdegegnerin 2 vorgeschlagene Alternativlösung, die mündliche Verhandlung zu vertagen, damit später eine formelle Zeugenvernehmung stattfinden könne, wurde von der Kammer aus zwei Gründen nicht berücksichtigt.

Erstens erschien es bei der Prüfung der Einspruchs- und der Beschwerdeakte nicht von vornherein erforderlich, die schriftlichen Informationen durch solche Zeugenaussagen zu vervollständigen, was sich im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung auch bestätigte.

Zweitens ist die Benennung von Zeugen eine Woche vor der mündlichen Verhandlung ein Verfahrensmißbrauch; die dadurch bewirkte Verzögerung wäre ausschließlich zu Lasten der Beschwerdeführerin gegangen, denn sie hätte das Beschwerdeverfahren und damit auch die Ungewißheit der Öffentlichkeit darüber, ob der Gegenstand der Ansprüche des Streitpatents neu ist, verlängert. In einer solchen Situation müssen nach Auffassung der Kammer die Interessen der Beschwerdeführerin als der Patentinhaberin eindeutig vorgehen.

4. ...

Kriterien für die Würdigung der von den Beschwerdegegnerinnen beigebrachten Beweise

5. Unter welchen Voraussetzungen eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht werden kann, ist in zahlreichen Entscheidungen der Beschwerdekammern, zum Beispiel in T 194/86 (s. oben), festgelegt worden. Für die Entscheidung der Frage, ob eine Erfindung der Öffentlichkeit tatsächlich durch Vorbenutzung zugänglich gemacht wurde, sind somit folgende Angaben zu machen:

a) der Zeitpunkt der Vorbenutzung

b) der genaue Gegenstand der Vorbenutzung

c) die Umstände der Vorbenutzung

5.1 In ihrem Bescheid vom 18. März 1997 erläuterte die Kammer unter Hinweis auf die Entscheidung T 472/92 (s. oben), welchen Maßstab sie in der mündlichen Verhandlung bei der Würdigung des von den Beschwerdegegnerinnen beigebrachten Beweismaterials anlegen werde. Dieser Entscheidung zufolge muß, wenn praktisch alle Beweismittel der Verfügungsmacht der Einsprechenden unterliegen, ein gegenüber dem Abwägen der Wahrscheinlichkeit, auf das die Beschwerdekammern in der Regel ihre Überzeugung gründen, strengeres Kriterium angelegt werden, d. h., die Vorbenutzung muß praktisch mit absoluter Gewißheit oder, anders gesagt, zweifelsfei stattgefunden haben. Dieses erst kürzlich in der Entscheidung T 848/94 vom 3. Juni 1997 (nicht veröffentlicht) bestätigte Konzept zur Beurteilung der Frage, ob ein Einwand offenkundiger Vorbenutzung begründet ist, wurde von den Beteiligten, insbesondere von den Beschwerdegegnerinnen, nicht angefochten.

5.2 In Anwendung dieses Konzepts auf den vorliegenden Fall hat sich die Kammer zur Klärung der Frage, ob die Beweiskette bezüglich der Zusammensetzung der Zeolithen bis zur Polyurethanherstellung lückenlos ist, in der mündlichen Verhandlung auf die folgenden Punkte konzentriert:

- Zusammensetzung des von der Beschwerdegegnerin 1 hergestellten Zeolithen - Übereinstimmung zwischen dem hergestellten Produkt und dem Handelsprodukt - Übereinstimmung zwischen dem Handelsprodukt und dem eingesetzten Produkt

6. ...

7. ...

8. ...

Ergebnis

9. Nacheinander wurde somit folgendes festgestellt:

- Das Produkt Baylith L ist ein Handelsprodukt, dessen Zusammensetzung innerhalb bestimmter Grenzen so schwanken kann, daß die Summe a + b + c, abgesehen von experimentellen Meßfehlern, zwischen rund 0,9 und rund 1 liegt. Nur die von der Beschwerdegegnerin 2 analysierten Proben N13.85 und N14.85 sind Produkte, wie sie in dem Streitpatent eingesetzt werden (a + b + c = 1) (erstes Glied in der Beweiskette).

- Es gibt keinerlei Beweise dafür, daß ein Produkt wie das von der Beschwerdegegnerin 2 analysierte an die Firma Gießharzwerk Frechen oder an die Firma Rütgerswerke geliefert wurde, und auch der Eingang von Baylith-L-Produkten, wie sie von der Firma Bayer identifiziert wurden, konnte bei den Empfängern nicht festgestellt werden, so daß keine Schlußfolgerung hinsichtlich der Beschaffenheit der vermarkteten und mithin für einen späteren Einsatz verfügbaren Zeolithen gezogen werden kann (zweites Glied).

- Auch wenn der Einsatz von Baylith-L-Produkten unter den erforderlichen Bedingungen tatsächlich substantiiert wurde (drittes Glied), so handelt es sich doch um Produkte mit unbestimmter Zusammensetzung, so daß keinerlei Schlußfolgerung möglich ist.

Aus diesen Teilfeststellungen geht hervor, daß die genaue Zusammensetzung der vermarkteten Zeolithen ungesichert ist und daß mit der gemeinsamen Bezeichnung Baylith L sowohl für das analysierte wie auch für das vermarktete und das eingesetzte Produkt kein Nachweis für die identische Zusammensetzung dieser verschiedenen Zeolithen und mithin kein Beweis dafür erbracht ist, daß die Kette der von den Beschwerdegegnerinnen vorgebrachten Beweise lückenlos ist. Die Beweiskraft der verschiedenen eidesstattlichen Erklärungen und Dokumente ist also völlig unzureichend, wenn es gilt, mit dem in der Entscheidung T 472/92 (s. oben) festgelegten Grad an Gewißheit nachzuweisen, daß Produkte, wie sie in dem Streitpatent als Dehydratisierungsmittel für die Polyol-Komponente eingesetzt werden, den Firmen Gießharzwerk Frechen und Rütgerswerke zur Herstellung von Polyurethanen durch Mischen zweier Komponenten zur Verfügung standen. Daraus folgt, daß die Behauptung, es habe eine offenkundige Vorbenutzung stattgefunden, unhaltbar und mithin der Gegenstand aller Ansprüche neu ist.

10. ...

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.

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