T 0254/89 () of 15.5.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T025489.19910515
Datum der Entscheidung: 15 Mai 1991
Aktenzeichen: T 0254/89
Anmeldenummer: 82101529.4
IPC-Klasse: C08L 71/04
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Thermoplastische Formmassen
Name des Anmelders: BASF AG
Name des Einsprechenden: Hüls AG
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123
European Patent Convention 1973 R 67
European Patent Convention 1973 R 68(2)
Schlagwörter: Inventive step (yes) - original disclosure (yes) -
Decisive overall context - Subsequent allegation of
advantages of the invention (allowable) -
Reimbursement of appeal fees - substantial procedural
violation (yes) - no reasons respective one ground for
opposition
Erfinderische Tätigkeit - bejaht
Ursprüngliche Offenbarung (bejaht) - maßgebender
Gesamtzusammenhang
Nachbringen von Vorteilsangaben - zulässig -
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Wesentlicher
Verfahrensfehler (bejaht) - Übergehen eines geltend
gemachten Einspruchsgrundes
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0027/86
T 0493/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 27. Februar 1982 unter Beanspruchung einer DE- Priorität vom 5. März 1981 eingereichte Patentanmeldung 82 101 529.4 wurde das europäische Patent 0 059 908 erteilt. Der diesbezügliche Hinweis erfolgte am 4. Dezember 1985 im Patentblatt 1985, 49.

Der einzige Patentanspruch lautete, wie folgt:

"Thermoplastische Formmassen auf der Grundlage von schlagfest modifizierten Styrolpolymerisaten und Polyphenylenethern, dadurch gekennzeichnet, daß der Weichkomponentengehalt mindestens 20 Gew.-%, bezogen auf das schlagfest modifizierte Styrolpolymerisat beträgt, und die mittlere Teilchengröße der Weichkomponente im Bereich von 0,6 - 4 µm liegt, 99 - 80 Gew.-% der Teilchen einen Teilchendurchmesser von 0,3 -0,9 µm und 1 - 20 Gew.-% der Teilchen einen Durchmesser von 3 bis 7 µm haben, der für die Schlagfestmodifizierung eingesetzte Kautschuk eine Glastemperatur unter - 20° C besitzt und die Grenzviskosität des Polyphenylenethers 0,55 bis 0,75 dl/g beträgt."

II. Gegen die Erteilung des Patents hat die Beschwerdeführerin Hüls Aktiengesellschaft am 26. Juli 1986 unter Bezugnahme auf Artikel 100 a) und b) EPÜ Einspruch eingelegt. Zur Begründung hat sie u. a. auf eine Reihe von Druckschriften verwiesen, von denen im Beschwerdeverfahren nur noch folgende eine Rolle spielen (Numerierung wie in der Zwischenentscheidung):

(2) DE-C-2 119 301 (entspricht im wesentlichen der vorveröffentlichten DE-B) sowie die nach Ablauf der Einspruchsfrist genannten

(6) DE-B-2 258 896

(9) EP-A-0 048 400 (angemeldet am 10.09.1981 unter Beanspruchung einer DE-Priorität vom 20.09.1980).

Im Einspruchsverfahren beschränkte die Patentinhaberin den Anspruch auf Mischungen zweier verschiedener modifizierter Styrolpolymerisate mit Polyphenylenethern wobei die beiden Weichkomponenten nicht mehr schlechthin durch Teilchendurchmesserbereiche, sondern nunmehr durch Bereiche von mittleren Teilchendurchmessern gekennzeichnet wurden. Darin sah die Einsprechende eine unzulässige Änderung.

III. Mit einer am 10. Februar 1989 gemäß Artikel 106 (3) EPÜ ergangenen Zwischenentscheidung hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß der Aufrechterhaltung des Patentes im Umfang des geänderten Anspruchs 1 Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ nicht entgegenstünden.

IV. Zur Neuheit führt die Einspruchsabteilung aus, daß Formmassen aus zwei modifizierten Stryrolpolymerisaten, deren Kautschukanteil zwischen 2 und 20 Gew.-% betrage und worin die Weichkomponenten verschiedene mittlere Teilchendurchmesser hätten und in ganz bestimmten Mengenverhältnissen zueinander vorlägen, in keiner der Entgegenhaltungen genannt seien. Bezüglich des nach Artikel 54 (3) EPÜ zu berücksichtigenden Dokumentes (9) stellt sie fest, daß dieses ebenfalls nicht neuheitsschädlich sei, da dort die Merkmale des Patentanspruchs der Streitanmeldung nicht in klarem Zusammenhang miteinander offenbart seien.

Was die erfinderische Tätigkeit betreffe, so seien die wichtigsten Merkmale des Streitpatentgegenstandes im nächstkommenden Stand der Technik (6) entweder überhaupt nicht erwähnt oder nicht als wesentlich offenbart. Ihre Kombination werde auch durch die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften, soweit sie vorveröffentlicht seien, nicht nahegelegt, so daß wohl von einer ex post facto-Analyse der Einsprechenden auszugehen sei. Auf den Einwand der unzulässigen Änderung geht die angefochtene Entscheidung nicht ein.

V. Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 8. April 1989 mit Begründung und unter gleichzeitiger Bezahlung der vorgeschriebenen Gebühr eingereichte Beschwerde. Die Beschwerdeführerin macht geltend, durch (9) sei der Anspruchsgegenstand neuheitsschädlich vorweggenommen, da dort alle Merkmale des Anspruchs im Zusammenhang miteinander offenbart seien. Ferner wendet sie sich gegen die Ausführungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit und rügt, daß die Entscheidung die Frage der unzulässigen Änderung nicht abhandle.

VI. In einem Annex zur Ladung äußerte die Kammer Bedenken bezüglich der Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1, worauf die Beschwerdegegnerin einen geänderten Anspruch einreichte, den sie zum Gegenstand eines Hilfsantrags machte. Während der am 15. Mai 1991 stattgefundenen mündlichen Verhandlung ließ die Beschwerdegegnerin ihren bisherigen Hauptantrag fallen und reichte einen Anspruch ein, der, von einer Korrektur abgesehen, dem des am 12. April 1991 eingegangenen Hilfsantrags entsprach. Dieser Anspruch lautet, wie folgt:

"Thermoplastische Formmassen auf der Grundlage von schlagfest modifizierten Styrolpolymerisaten, deren Weichkomponentengehalt mindestens 20 Gew.-% beträgt und der mittlere Teilchendurchmesser der Weichkomponente im Bereich von 0,6 bis 4 µm liegt, der für die Schlagfestmodifizierung eingesetzte Kautschuk eine Glastemperatur unter - 20 °C besitzt und Polyphenylenethern, deren Grenzviskosität 0,55 bis 0,75 dl/g beträgt, dadurch gekennzeichnet, daß die Formmassen Mischungen aus zwei modifizierten Styrolpolymerisaten enthalten, deren Kautschukanteil zwischen 2 und 20 Gew.-% beträgt, wobei die Weichkomponente eines Styrolpolymerisates einen mittleren Teilchendurchmesser von 0,3 bis 0,9 µm hat und die Teilchen 80 bis 99 Gew.-% der Teilchen der Weichkomponenten der Mischung ausmachen und die Weichkomponente des anderen Styrolpolymerisates einen mittleren Teilchendurchmesser von 3 bis 7 µm hat und die Teilchen 1 bis 20 Gew.-% der Teilchen der Weichkomponente ausmachen, wobei Formmassen auf der Grundlage von schlagfest modifizierten Styrolpolymerisaten und Polyphenylenethern, in denen die Weichkomponente eines Styrolpolymerisates einen mittleren Teilchendurchmesser von 0,3 bis 0,5 µm und die Teilchen 95 bis 85 Gew.-% der Teilchen der Mischung ausmachen und die Weichkomponente des anderen Styrolpolymerisates einen mittleren Teilchendurchmesser von 4 bis 7 µm und die Teilchen 15 bis 5 Gew.-% der Teilchen der Mischung ausmachen, ausgenommen sind."

Die Beschwerdegegnerin machte geltend, der nunmehr beanspruchte Gegenstand sei neu und weise die erforderliche erfinderische Tätigkeit auf. So gebe (6) keinen Hinweis auf die Art und Menge der zu verwendenden Styrolpolymerisate. Die eingereichten Vergleichsversuche belegten einen erfindungsgemäßen Effekt bezüglich Fließfähigkeit und Durchstoßarbeit. Vorteile könnten, im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin, nachgereicht werden. Im übrigen enthalte der Anspruchsgegenstand auch keine unzulässige Änderung.

VII. Die Beschwerdeführerin hielt ihre Bedenken bezüglich unzulässiger Änderung aufrecht und wies hierbei insbesondere darauf hin, daß sich aus einem Vergleich von Seite 2, Zeilen 21 und 22 mit den Zeilen 28 und 29 der Erstunterlagen ergebe, daß der mittlere Teilchendurchmesser genau in der Mitte des später angegebenen Teilchenbereiches liege, woraus zu schließen sei, daß es sich bei der Angabe des Bereiches des Teilchendurchmessers nicht, wie von der Beschwerdegegnerin und der Einspruchsabteilung angenommen, um den mittleren Teilchendurchmesser handele.

Die Neuheit des Gegenstandes des geltenden Anspruchs werde anerkannt, jedoch mangele es diesem Gegenstand nach wie vor an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit. Die Beschwerdeführerin begründete dies damit, daß die vorgelegten Vergleichsversuche nicht repräsentativ für den in (6) genannten Stand der Technik seien. Sie machte geltend, daß Beispiel 6 aufgrund der Mengen an Butadien im Emulsionspfropfkautschuk näherliege und es zweifelhaft sei, daß der gezeigte Effekt auftreten würde, wenn man als hochschlagfestes gummimodifiziertes Polystyrol das auf Spalte 3, Zeilen 40 bis 47, genannte Handelsprodukt mit der Bezeichnung HT-88 einsetzte.

VIII. Die Beschwerdegegnerin bestreitet diese Einwände, wobei sie sich im wesentlichen auf die bereits im schriftlichen Verfahren vorgetragenen Argumente stützt.

Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent in der nunmehr vorliegenden Fassung aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der geltende Anspruch unterscheidet sich von dem der Erstunterlagen und dem erteilten zunächst einmal dadurch, daß der Gegenstand des Anspruchs 2 von Dokument (9) ausgenommen wurde. Ein solcher "Disclaimer" gegenüber dem Stand der Technik ist regelmäßig zulässig.

Des weiteren wurden der Gehalt an Weichkomponente, die zugehörigen mittleren Teilchendurchmesser, die Glastemperatur des Kautschuks und das Merkmal einer Mischung aus zwei modifizierten Styrolpolymerisaten in bestimmten Mengen sowie mit bestimmten Teilchendurchmessern in den Anspruch aufgenommen. Diese Änderungen sind durch Seite 2, Absatz 2 sowie Zeilen 26 bis 29, durch die Beispiele, durch Seite 3, Zeile 25 und durch Seite 6, Zeile 35 der Erstunterlagen sowie durch den Anspruch des Streitpatents gedeckt. Der Kautschukanteil der modifizierten Styrolpolymerisate ergibt sich aus Seite 7, Zeile 10 der Erstunterlagen und Spalte 4, Zeile 52 der Streitpatentschrift.

Die Kammer hält, neben den vorgenannten Änderungen, auch die Einfügung von "mittleren" vor "Teilchendurchmesser" im Zusammenhang mit den beiden modifizierten Styrolpolymerisaten für zulässig (Artikel 123 (2) EPÜ), da der Fachmann beim Lesen der Erstunterlagen aus dem Gesamtzusammenhang (vgl. Seite 2, Zeilen 20 bis 23, Seite 7, Absatz 3 und Seite 8, Absatz 2) sowie der Patentschrift (vgl. Spalte 5, Absätze 1 und 3, sowie Übergang von Spalte 1 nach 2) ohne weiteres erkennen kann, daß es sich um mittlere Teilchendurchmesser handeln muß. Die sich auf Spalte 1, Zeile 62 bis Spalte 2, Zeile 3 der Patentschrift sowie auf Seite 2, Zeile 15 bis Zeile 23 der Erstunterlagen stützenden Einwände der Beschwerdeführerin können nicht überzeugen. Zwar stellt die für den 90 bzw. 10 Gewichtsteile betragenden Anteil angegebene Teilchengröße von 0,6 bzw. 5 µm jeweils den exakten Mittelwert der beanspruchten Bereiche von 0,3 bis 0,9 bzw. 3 bis 7 µm dar; diese Angabe ist jedoch nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem direkt Davorstehenden zu lesen und verdeutlicht lediglich, daß ein mittlerer Teilchendurchmesser von 0,6 bis 4 µm der Weichkomponente des Gemisches beider Styrolpolymerisate durch Vermischen entsprechender Mengen an modifiziertem Polystyrol jeweils bestimmter mittlerer Teilchengröße eingestellt werden kann.

Da der Fachmann den Ausdruck "Teilchendurchmesser" im erteilten Anspruch des Streitpatents im Hinblick auf die Beschreibung (Artikel 69 (1) EPÜ) im Sinne von "mittlerer Teilchendurchmesser" verstehen muß (vgl. Vorstehendes), stellt diese Änderung auch keine unzulässige Erweiterung des Schutzbereiches gemäß Artikel 123 (3) EPÜ dar. Die weitere, durch Festlegung des Kautschukanteils auf "zwischen 2 und 20 Gew.-%" gegenüber dem Anspruch des Streitpatents vorgenommene Änderung hat eine Einschränkung und nicht eine Erweiterung des Schutzbereiches zur Folge.

Somit erfüllt der geltende Anspruch die Voraussetzungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Nach Auffassung der Kammer ist (6) nächstkommender Stand der Technik, was im übrigen auch von den Parteien und der Vorinstanz so gesehen wurde.

Als Aufgabe des Streitpatents kann es angesehen werden, thermoplastische Formmassen auf der Grundlage von Polyphenylenethern und schlagfest modifiziertem Styrol hinsichtlich Verarbeitbarkeit, insbesondere Fließfähigkeit, sowie Durchstoßarbeit zu verbessern.

Zwar hat die Beschwerdeführerin eingewandt, die Verbesserung der Fließfähigkeit und die Durchstoßarbeit seien nicht zu berücksichtigen, da in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht erwähnt; doch kann die Kammer dem nicht folgen, da nach ständiger Praxis Vorteilsangaben gegenüber dem Stand der Technik zumindest dann nachgebracht werden können, wenn sie nicht auf einem völlig anderen als dem ursprünglich angegebenen Aufgabengebiet liegen.

Dieser Ausnahmefall ist hier nicht gegeben, weil Fließfähigkeit und Durchstoßarbeit ganz offensichtlich mit den mechanischen Eigenschaften und der Verarbeitungstemperatur (Streitpatent Sp. 1, Z. 25 -29) zusammenhängen.

Zur Lösung obiger Aufgabe schlägt der geltende Anspruch im wesentlichen vor,

1. zweierlei modifizierte Styrolpolymerisate zu verwenden, deren Kautschukanteil zwischen 2 und 20 Gew.-% beträgt, wobei

2. die eine Weichkomponente einen mittleren Teilchendurchmesser von 3 bis 7 "m und die andere einen solchen von 0,3 bis 0,9 "m aufweist und ferner

3. gewisse Mengenverhältnisse der Weichkomponenten gewahrt sind.

Aufgrund der am 13. Oktober 1987 eingegangenen Vergleichsversuche ist die Kammer davon überzeugt, daß diese Aufgabe mit Hilfe der vorgenannten Mittel gelöst wird.

Die Beschwerdeführerin macht zwar geltend, die vorgelegten Vergleichsversuche seien nicht repräsentativ für die in (6) enthaltene Lehre. Im einzelnen führt sie hierzu aus, diese Druckschrift habe die Verbesserung einer schlagfesten Zusammensetzung aus einem Polyphenylenether und einem hochschlagfesten Polystyrol zum Gegenstand. Als hochschlagfestes Polystyrol werde z. B. in Spalte 3, Zeilen 40 ff., ein Produkt der Firma Monsanto mit der Typenbezeichnung HT-88 genannt, das 8 Gew.-% elastomere Gelphase enthalte, deren mittlere Teilchengröße im Bereich von 2 bis 10 und im Durchschnitt von 4 bis 6 µm liege. Nur etwa 14 % lägen unter, aber etwa 85 % der Gesamtmenge über 0,5 µm. Vergleichbar wäre deshalb Beispiel 6 von (6) gewesen, worin das gummimodifizierte hochschlagfeste Polystyrol die vorgenannten, für die Handelsprodukte von Monsanto angegebenen Teilchengrößen aufweise und das Interpolymere ein Verhältnis von Diengummi zu Styrol von 50:50 anstelle von 60:40 aufweise. Diese Argumentation überzeugt die Kammer jedoch nicht. Sieht man einmal davon ab, daß in Beispiel 6 nicht HT-88, sondern HT-91 von Monsanto verwendet wird und es unklar ist, ob die Teilchengrößen der beiden Handelsprodukte gleich sind, so hätte die Beschwerdeführerin eigene Versuche vorlegen müssen, um die Glaubwürdigkeit der vorliegenden Vergleichsversuche zu erschüttern.

4. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs wird in (6) nicht beschrieben, da das dort genannte Interpolymere einen Gummigehalt von wenigstens 30 Gew.-%, d. h. mehr als die im Anspruch angegebene Obergrenze von 20 Gew.-% aufweist. Da ferner die im Anspruch 2 von (9) genannte bimodale Styrolkomponente ausgenommmen wurde, besteht Neuheit auch gegenüber diesem Dokument. Die Lehre von (2) liegt noch weiter ab. Da im übrigen die Neuheit des Gegenstandes des geltenden Anspruchs von der Beschwerdeführerin zuletzt nicht mehr bestritten wurde, kann von einer detaillierten Begründung hierzu abgesehen werden.

5. Es ist nun zu entscheiden, ob die beanspruchte Lösung der unter 3. definierten Aufgabe durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik nahegelegt wurde.

5.1. In (6) geht es darum, die Schlagfestigkeit von Polyphenylenether/Polystyrolzusammensetzungen zu erhöhen, ohne daß das Oberflächenaussehen und die Verarbeitbarkeit beeinträchtigt werden. Dieses Ziel wird dadurch erreicht, daß Diengummi-Interpolymere mit z. B. Styrol zugegeben werden, die im Vergleich zu den damals üblichen gummimodifizierten Styrolen einen hohen Gummigehalt aufwiesen (wenigstens 30 Gew.-%) und einen Teilchengrößen- Verteilungsbereich, der "an dem kleinen Ende (0,5 µm oder darunter) schwer wog" (vgl. Spalte 4, Zeilen 32 bis 52).

Dieser Druckschrift ist aber keinerlei Hinweis auf die Möglichkeit einer Beeinflussung der Fließfähigkeit oder der Durchstoßarbeit zu entnehmen. Sie erwähnt lediglich in Spalte 4, Zeilen 6 bis 13, daß der Gummigehalt derartiger Zusammensetzungen in der Regel einen nachteiligen Einfluß auf z. B. Verarbeitbarkeit und Oxydationsbeständigkeit hat, der jedoch bei Zugabe der dort empfohlenen speziellen Interpolymeren nicht zum Tragen komme (vgl. Spalte 4, Zeilen 45 und 46).

Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, (6) eine Zusammensetzung lehrt, die aus a) Polyphenylenether, b) einem schlagfest modifizierten Polystyrol (z. B. HT-88) und c) einem Interpolymeren aus einem Diengummi und Styrol besteht, in dessen elastomerer Phase 90 bis 100 % der Teilchen eine Größe von 0,05 bis 0,5 "m besitzen (vgl. Anspruch 2), da darin jedenfalls keine Anregung dafür enthalten ist, die Fließfähigkeit und die Durchstoßarbeit dadurch zu verbessern, daß man

1. den Kautschukgehalt des Interpolymeren (c) von 30 oder mehr auf 2 bis 20 Gew.-% reduziert und

2. zwingend zweierlei modifizierte Styrolpolymerisate mit mittleren Teilchendurchmessern der Weichkomponente von 0,3 bis 0,9 bzw. 3 bis 7 "m in Mengen von 80 bis 99 bzw. 1 bis 20 Gew.-% einsetzt.

5.2. Auch (2) hat zum Ziel, die Schlagfestigkeit von Polyphenylenethern zu verbessern. Dieses Ziel wird dort dadurch erreicht, daß man ein kautschukmodifiziertes Polystyrol zusetzt, worin der mittlere Teilchendurchmesser der elastomeren Phase maximal etwa 2 µm beträgt. Der Gehalt an elastomerer Phase bzw. Weichkomponente kann bis zu 30 Gew.-% betragen (vgl. Spalte 2, Zeilen 11 bis 36 und Spalte 6, Zeilen 24 bis 31). Der Einfluß der Teilchengröße auf die Eigenschaften ergibt sich z. B. aus Spalte 2, Zeilen 18 bis 21 sowie dem Vergleich in Beispiel 1. Hieraus ist ersichtlich, daß eine Erhöhung von etwa 2 auf etwa 6 µm zu einer Erniedrigung der Schlagzähigkeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Formbeständigkeit in der Wärme führt; das heißt, (2) ist zu entnehmen, daß die Formbeständigkeit in der Wärme auf Kosten der Schlagzähigkeit verbessert wird. Diese Druckschrift enthält jedoch keine Anregung, eine Zusammensetzung aus einem Polyphenylenether und einem Gemisch von kautschukmodifizierten Polystyrolen mit unterschiedlichen Teilchengrößen herzustellen. Da Beispiel 1 u. a. auf die Wärmeformbeständigkeit, nicht jedoch auf die Fließfähigkeit eingeht, stellt sich allenfalls die Frage, ob dieses Beispiel es nahelegen konnte, die beiden darin beschriebenen Zusammensetzungen, nämlich die die Erläuterung der dortigen Erfindung betreffende mit der für Vergleichszwecke hergestellten in entsprechenden Verhältnissen zu mischen, um ein Produkt mit den gewünschten Eigenschaften zu erhalten. Die Kammer ist der Auffassung, daß eine derartige Anregung nur in Kenntnis des Streitpatents in Erwägung gezogen werden könnte, was jedoch eine nicht zulässige ex post facto- Analyse voraussetzte.

5.3. Die Kammer ist ferner davon überzeugt, daß eine Kombination der Lehren von (6) und (2) nicht nahelag, da (6) die Verbesserung einer Zusammensetzung aus Polyphenylenether und kautschukmodifiziertem Polystyrol durch Zusatz eines Interpolymeren lehrt (wobei das Interpolymer unwidersprochen strukturell völlig verschieden vom kautschukmodifizierten Polystyrol ist) was sich schon daraus ergibt, daß sie nicht nach gleichen Verfahren herstellbar sind; (2) dagegen beschäftigt sich ausschließlich mit der Dispersität von kautschukmodifiziertem Polystyrol. Derart verschiedene Gegenstände schließen nach Meinung der Kammer die Kombinierbarkeit von vornherein aus, auch wenn nicht verkannt wird, daß sich sowohl (2) wie auch (6) mit Zusammensetzungen auf der Basis von Polyphenylenethern befassen.

5.4. Auf Dokument (9) ist in diesem Zusammenhang nicht einzugehen, da es einen Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (3) EPÜ darstellt und somit bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht zu ziehen ist (Artikel 56 EPÜ).

5.5. Aufgrund vorstehender Überlegungen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des geltenden Anspruchs auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

6. In ihrer Zwischenentscheidung vom 10. Februar 1989 hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß der Aufrechterhaltung des europäischen Patentes in geändertem Umfang keine Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ entgegenstehen. Sie hat jedoch nicht begründet, warum der auf Artikel 100 c) EPÜ basierende Vorwurf der Einsprechenden, der Gegenstand des geänderten europäischen Patentes gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, nicht zutreffe.

Damit enthält die Entscheidung zu einem vorgebrachten Einspruchsgrund keine Begründung. Dies widerspricht der Vorschrift von Regel 68 (2) EPÜ, wonach die Entscheidungen des Europäischen Patentamts zu begründen sind. Begründungsmangel stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (vgl. die unveröffentlichten Entscheidungen J 27/86, T 493/88).

Gemäß Regel 67 Satz 1 EPÜ ist die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

Diese Kriterien sind hier erfüllt. Zwar wird das Patent beschränkt aufrechterhalten, aber der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als die Beschwerdekammer den der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde liegenden Anspruch nicht als bestandsfähig ansieht.

Unter diesen Umständen erscheint die Rückzahlung der Beschwerdegebühr billig und ist folglich anzuordnen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Vorinstanz wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Weisung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des geltenden berichtigten Patentanspruchs und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechterhalten.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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