T 0073/88 (Snack-Produkt) of 7.11.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T007388.19891107
Datum der Entscheidung: 07 November 1989
Aktenzeichen: T 0073/88
Anmeldenummer: 81301707.6
IPC-Klasse: A23L 1/10
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Howard
Name des Einsprechenden: Flessner; Convent
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: 1. Ein technisches Merkmal im Anspruch eines europäischen Patents, das für die Bestimmung des Schutzumfangs wesentlich ist, ist nicht zwangsläufig auch für die Feststellung der Priorität wesentlich.
Ob ein bestimmtes Merkmal für Prioritätszwecke wesentlich ist und deshalb in der Prioritätsunterlage konkret offenbart sein muß, hängt davon ab, in welchem Zusammenhang es zum Wesen und zur Art der Erfindung steht. Steht ein Anspruchsmerkmal nicht in Zusammenhang mit der Funktion und der Wirkung der Erfindung, dann steht es auch nicht in Zusammenhang mit ihrem Wesen und ihrer Art, und sein Fehlen in der Offenbarung der Prioritätsunterlage hat keinen Prioritätsverlust zur Folge, sofern sich der Anspruch ansonsten im wesentlichen auf dieselbe Erfindung bezieht, die auch in der Prioritätsunterlage offenbart ist (in Fortbildung der Entscheidungen T 81/87 und T 301/87).
2. Stellt ein technisches Merkmal im Anspruch eines europäischen Patents eine besondere Ausführungsform eines in der Prioritätsunterlage mehr allgemein offenbarten Merkmals dar, dann führt dies nicht zum Prioritätsverlust, sofern durch dieses besondere technische Merkmal das Wesen und die Art der beanspruchten Erfindung nicht verändert werden, die Erfindung also im wesentlichen dieselbe bleibt wie in der Prioritätsunterlage.
3. Wird im Einspruchsverfahren dem Antrag eines Patentinhabers auf Aufrechterhaltung des Patents von der Einspruchsabteilung stattgegeben, so steht ihm gegen eine ihn belastende Feststellung in der Entscheidung (hier: zu seinem Prioritätsanspruch) keine Beschwerde zu, weil er durch die Entscheidung nicht im Sinne des Artikels 107 EPÜ beschwert ist (im Anschluß an die Entscheidung J 12/85, ABl. EPA 1986, 155). Wurde allerdings die Beschwerde von einem Einsprechenden eingelegt und will der Patentinhaber geltend machen, daß die belastende Feststellung unrichtig ist, so sollte er die Gründe für diese Behauptung in seiner Stellungnahme zur Beschwerdebegründung nach Regel 57 (1) EPÜ im Wege einer Anschlußbeschwerde vorbringen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 87
European Patent Convention 1973 Art 88
European Patent Convention 1973 Art 89
European Patent Convention 1973 Art 107
Schlagwörter: Beschwerde - Einsprechender auch ohne Einlegung einer Beschwerde am Beschwerdeverfahren beteiligt
Gleichbehandlung aller Beteiligten
Beschwert - Patentinhaber im Einspruchsverfahren
Priorität - Disclaimer - zusätzliches Merkmal im Anspruch kein Zusammenhang zum Wesen und zur Art der Erfindung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/97
G 0002/98
T 0604/89
T 0268/90
T 0551/90
T 0678/90
T 0886/91
T 0131/92
T 0491/92
T 0500/92
T 0573/92
T 0893/92
T 0923/92
T 1054/92
T 0296/93
T 0669/93
T 1052/93
T 1056/93
T 1082/93
T 0134/94
T 0178/94
T 0413/94
T 0088/95
T 0364/95
T 0707/96
T 0188/97
T 0218/97
T 0909/97
T 0109/99
T 0507/99
T 0199/00
T 0961/00
T 1072/00
T 0244/01
T 0454/01
T 1147/01
T 0084/02
T 0424/02
T 0404/03
T 0790/03
T 0001/04
T 1178/04
T 1213/05
T 0902/07
T 0840/09
T 0557/13
T 1852/13
T 0558/16
T 0613/22

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 16. April 1981 unter Beanspruchung der Priorität einer britischen Anmeldung vom 26. April 1980 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 81 301 707.6 wurde am 1. August 1984 das europäische Patent Nr. 39 185 mit 13 Ansprüchen erteilt, von denen die unabhängigen Ansprüche 1 und 10 bis 12 wie folgt lauten:

"1. Expandiertes Snack-Produkt in Form einzelner gekochter Portionen einer gelatinierte Stärke enthaltenden Teigzusammensetzung, welches mindestens 5 Gew.-% Öl oder Fett enthält, dadurch gekennzeichnet, daß dem Snack-Produkt 15 bis 70 Gew.-% Getreidekleie, ausgewählt aus Weizen-, Gersten-, Hafer-, Roggen- oder Maiskleie oder aus Mischungen derselben, zugesetzt ist.

10. Halbfertigprodukt, das mindestens etwas gelatinierte Stärke und einen Zusatz von Getreidekleie, ausgewählt aus Weizen-, Gersten-, Hafer-, Roggen- oder Maiskleie oder aus Mischungen derselben, enthält und aus dem ein Snack-Produkt nach einem der vorangehenden Ansprüche nach einem Verfahren hergestellt werden kann, bei dem das portionierte Halbfertigprodukt in einem Verfahrensschritt mindestens auf das 1,25fache seines ursprünglichen Volumens expandiert und in einem weiteren oder demselben Schritt mit einem Öl- oder Fettgehalt von mindestens 5 Gew.-% versehen wird.

11. Expandiertes Nahrungsmittelprodukt aus einzelnen gegarten Portionen einer Teigzusammensetzung, die gelatinierte Stärke und einen Zusatz von Getreidekleie, ausgewählt aus Weizen-, Gersten-, Hafer-, Roggen- oder Maiskleie oder aus Mischungen derselben, enthält und zur Herstellung eines Snack-Produkts nach einem der Ansprüche 1 bis 9 verwendet wird, wobei sie mit einem Öl- oder Fettgehalt von mindestens 5 Gew.-% versehen wird.

12. Verfahren zur Herstellung eines Snack-Produkts nach einem der Ansprüche 1 bis 9, bei dem einzelne Portionen einer Teigzusammensetzung, die gelatinierte Stärke und einen Zusatz von Getreidekleie, ausgewählt aus Weizen-, Gersten-, Hafer-, Roggen- oder Maiskleie oder aus Mischungen derselben, enthält, so gegart werden, daß sie mindestens auf das 1,25fache ihres ursprünglichen Volumens expandieren, wobei das Verfahren einen Schritt einschließt, in dem die Teigportionen mit einem Öl- oder Fettgehalt von mindestens 5 Gew.-% versehen werden und das Garen vorzugsweise (a) durch Fritieren in Öl oder Fett oder (b) durch Eintauchen in ein Bett aus heißem teilchenförmigem Material bewirkt wird, wobei das gegarte Snack-Produkt im Anschluß an Schritt b behandelt wird, um ihm den erforderlichen Fett- oder Ölgehalt vorzugsweise durch Sprühen zu verleihen."

II. Einspruch wurde eingelegt durch

(1) Flessner GmbH & Co. am 18. April 1985 und

(2) Convent Knabber-Gebäck GmbH & Co. KG am 30. April 1985.

Beide beantragten den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber einer Vielzahl von Dokumenten, von denen nur die folgenden in das Beschwerdeverfahren eingeführt wurden:

Unter besonderem Hinweis auf die Dokumente XV und XVII bestritt die Einsprechende 2, daß die Patentansprüche die Priorität aus der am 26. April 1980 eingereichten britischen Anmeldung in Anspruch nehmen dürfen.

III. Mit einer am 11. November 1987 mündlich verkündeten und am 22. Januar 1988 zugestellten Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück.

In ihrer Entscheidung vertrat sie die Auffassung, daß allen Patentansprüchen nur der europäische Anmeldetag und nicht das beanspruchte Prioritätsdatum zustehe, weil die Zahl 5 in dem in den einzelnen unabhängigen Ansprüchen (und damit auch in den abhängigen Ansprüchen) enthaltenen Merkmal "mindestens 5 Gew.-% Öl oder Fett" nicht aus der Prioritätsunterlage hergeleitet werden könne und deshalb eine nach dem Prioritätszeitpunkt erfolgte Erweiterung des Offenbarungsgehalts darstelle. Den zweiten Grund, weshalb den Ansprüchen die beanspruchte Priorität aberkannt werden sollte, nämlich die Behauptung, daß die in jedem unabhängigen Anspruch konkret genannten Kleiesorten (außer der Weizenkleie) in der Prioritätsunterlage nicht offenbart seien, ließ die Einspruchsabteilung nicht gelten.

Dessenungeachtet vertrat sie die Auffassung, daß die Ansprüche des angefochtenen Patents gegenüber allen Entgegenhaltungen einschließlich der Entgegenhaltungen XV und XVII neu seien. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ging die Einspruchsabteilung aus von ...

IV. Die Einsprechenden 1 und 2 (Beschwerdeführerinnen 1 und 2) legten am 8. Februar bzw. am 18. März 1988 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 26. bzw. 20. Mai 1988 eingereicht. In der Beschwerde wurde vorgebracht, daß keinem der Ansprüche das beanspruchte britische Prioritätsdatum zuerkannt werden könne; somit gehörten die Entgegenhaltungen XV und XVII zum Stand der Technik. ...

V. Die Beschwerdegegnerin behielt sich eine Stellungnahme zur Prioritätsfrage vor und behauptete, daß die Entgegenhaltungen XV und XVII auch dann nicht neuheitsschädlich seien, wenn sie zum Stand der Technik gehörten. ...

VI. In der mündlichen Verhandlung am 7. November 1989 wurde zuerst die Prioritätsfrage erörtert. Beide Beschwerdeführerinnen machten geltend, daß in der britischen Prioritätsunterlage weder der Prozentsatz 5 % für den Mindestfettgehalt noch die in den Ansprüchen konkret genannten Kleiesorten (außer der Weizenkleie), noch der Ausschluß von Reiskleie offenbart worden seien. Die Beschwerdegegnerin wies darauf hin, daß die Angabe 5 % zu einem gewissen Grade willkürlich sei und Produkte ausschließen solle, die nicht den zur Erzielung des gewünschten "Fritiergeschmacks" nötigen Fettgehalt aufwiesen. Außerdem sei der niedrige Fettgehalt, der sich bei Zugabe des Fettes im Zuge des Fritiervorgangs ergebe, auf die Anwesenheit von Kleie zurückzuführen und sei an sich kein erfinderisches Merkmal; was die Aufzählung bestimmter Kleiesorten betreffe, so stelle der Ausschluß von Reiskleie einen Disclaimer dar und bedürfe daher grundsätzlich keiner Stützung; der Ausdruck "andere Arten von Kleie" beziehe sich auf "allgemein verfügbare Kleie", und würde vom Fachmann sofort als gleichbedeutend mit den im Anspruch aufgeführten Kleiesorten erkannt.

Nachdem sich die Kammer kurz zur Beratung zurückgezogen hatte, verkündete der Vorsitzende die Zwischenentscheidung, daß allen Ansprüchen das beanspruchte Prioritätsdatum des 26. April 1980, des Anmeldetags der britischen Anmeldung, zuerkannt werde.

VII. ...

VIII. Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit brachten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen folgendes vor:

Daher beantragten die Beschwerdeführerinnen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

IX. ... Die Beschwerdegegnerin beantragte deshalb die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der in der mündlichen Verhandlung eingereichten, geänderten Fassung.

X. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Beschwerdekammer, daß die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Patent in der in der mündlichen Verhandlung eingereichten, geänderten Fassung aufrechterhalten wird.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensfragen

1.1 Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

1.2 Wie unter Nummer IV dargelegt, legte die Einsprechende 1 am 8. Februar 1988 gemäß Artikel 108 EPÜ Beschwerde ein und setzte damit das Beschwerdeverfahren in Gang.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 99 (4) EPÜ "am Einspruchsverfahren neben dem Patentinhaber auch die Einsprechenden beteiligt" sind. Demnach gibt es also auch bei mehreren Einsprechenden nur ein Einspruchsverfahren; ebenso gibt es (wie in Artikel 107 EPÜ vorgesehen) nur ein Beschwerdeverfahren.

Nach Artikel 107 Satz 2 EPÜ sind die übrigen am Einspruchsverfahren Beteiligten auch "am Beschwerdeverfahren beteiligt". Nach Ansicht der Beschwerdekammer brauchte daher die Einsprechende 2 nach dem 8. Februar 1988 keine Beschwerdegebühr zu entrichten, obwohl sie dies am 18. März 1988 tatsächlich getan hat, weil nämlich das Beschwerdeverfahren ab 8. Februar 1988 bereits lief und sie Beteiligte an diesem Verfahren war. Sie hat damit für ein Recht, nämlich das Recht auf Beteiligung am Beschwerdeverfahren, gezahlt, das sie kraft Gesetzes bereits besaß.

Nach Auffassung der Beschwerdekammer geht aus dem EPÜ nirgends hervor, daß die am Beschwerdeverfahren Beteiligten nicht alle die gleichen Rechte und die gleiche Stellung haben, auf welche Weise sie auch immer Beteiligte geworden sind (sei es durch Einlegung einer Beschwerde nach Artikel 108 EPÜ oder von Rechts wegen aufgrund von Artikel 107 EPÜ). Außerdem stehen die Gleichbehandlung und Gleichstellung aller Verfahrensbeteiligten im Einklang mit den in den Vertragsstaaten im allgemeinen anerkannten Grundsätzen des Verfahrensrechts (Art. 125 EPÜ, s. Entscheidung G 1/86 (ABl. EPA 1987, 447), Nrn. 12 bis 14 der Entscheidungsgründe).

So entspricht es nach Auffassung der Beschwerdekammer dem Prinzip der Gleichbehandlung aller am Beschwerdeverfahren Beteiligten, daß jeder Beteiligte zum Beispiel Anspruch auf rechtliches Gehör, das Recht auf Beantragung einer mündlichen Verhandlung und das Recht auf weitere Beteiligung am Beschwerdeverfahren hat, und zwar auch dann, wenn ein anderer Beteiligter (z. B. derjenige, der die Beschwerde tatsächlich eingelegt hat) seine Beschwerde zurückzieht.

Die Kammer ist deshalb der Auffassung, daß die von der Einsprechenden/Beschwerdeführerin 2 entrichtete Beschwerdegebühr zurückgezahlt werden muß.

1.3 Die Einspruchsabteilung hatte in ihrer Entscheidung, wie in Absatz III dargelegt, in den Fragen der Priorität und der Neuheit die Auffassung vertreten, daß den Ansprüchen keine Priorität zustehe, daß sie jedoch gegenüber den beiden "intervenierenden" Dokumenten neu seien, die als im Prioritätsjahr veröffentlicht gälten.

Obwohl die Beschwerdeführerinnen in bezug auf die Priorität mit einem Argument erfolgreich waren, brachten sie in ihrer Beschwerdebegründung noch weitere Gründe vor, weshalb das Prioritätsrecht nicht gewährt werden sollte; ferner hielten sie an ihrer Behauptung fest, daß die Ansprüche gegenüber den beiden intervenierenden Dokumenten nicht mehr neu seien, wenn ihnen die beanspruchte Priorität abgesprochen werde. Die Beschwerdegegnerin vertrat in ihrer Erwiderung weiterhin den Standpunkt, daß nicht erwiesen sei, daß die beiden intervenierenden Dokumente Vorveröffentlichungen seien, und daß sie für die Ansprüche in keinem Fall neuheitsschädlich seien. Hinsichtlich der Prioritätsfrage behielt sie sich eine Stellungnahme vor; sie schien sich nicht sicher zu sein, ob sie die Prioritätsfrage im Beschwerdeverfahren stellen durfte ("... und falls es der Patentinhaberin freisteht, dies zu tun, möchte sie ... für die Aufrechterhaltung des Prioritätsdatums plädieren ..."). In der mündlichen Verhandlung brachte sie dies dann tatsächlich vor.

Ohne die Beschwerdegegnerin im vorliegenden Fall wegen ihres Vorgehens kritisieren zu wollen, zumal die Prioritätsfrage vor der Einspruchsabteilung umfassend behandelt worden war und ihre erneute Erörterung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung für die Beschwerdeführerinnen keine Überraschung bot, möchte die Beschwerdekammer die Verfahrenslage wie folgt klarstellen:

Da die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung die Auffassung vertreten hatte, daß das Patent in der erteilten Fassung aufrechterhalten werden sollte, war die Patentinhaberin durch diese Entscheidung nicht beschwert (Art. 107 Satz 1 EPÜ), weil die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung ihrem Antrag entsprach (s. Entscheidung J 12/85, ABl. EPA 1986, 155). Selbst wenn einige der Entscheidungsgründe (nämlich die die Priorität betreffenden) nicht den Anträgen entsprachen und daher für die Patentinhaberin nachteilig waren, konnte sie gegen die Entscheidung keine Beschwerde einlegen. (Die Patentinhaberin hätte natürlich die Möglichkeit, diese Sachverhalte in einem späteren Verfahren wieder aufzunehmen.) Sie war jedoch (als Beschwerdegegnerin) von Rechts wegen am Beschwerdeverfahren beteiligt (Art. 107 Satz 2 EPÜ).

Nach Eingang der Beschwerdebegründung wurde die Beschwerdegegnerin zu einer Stellungnahme nach Regel 57 (1) EPÜ aufgefordert, die gemäß Regel 66 (1) EPÜ auf das Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden ist. Will der Beschwerdegegner - wie im vorliegenden Fall - im Beschwerdeverfahren vorbringen, daß ein bestimmter Punkt in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht zu seinen Ungunsten entschieden wurde (obwohl das Gesamtergebnis der Entscheidung zu seinen Gunsten ausgefallen ist), so steht es ihm frei, dies zu tun. Auch sollte er dies in seiner Stellungnahme nicht nur feststellen, sondern auch begründen. Das in Regel 57 in Verbindung mit Regel 66 (1) EPÜ vorgeschriebene schriftliche Verfahren soll insbesondere sicherstellen, daß das Vorbringen der Beteiligten zu allen Streitpunkten nach Möglichkeit vor der Prüfung der Beschwerde und einer etwaigen mündlichen Verhandlung schriftlich dargelegt wird. Der Beschwerdegegnerin stand es also im vorliegenden Fall eindeutig frei, im Beschwerdeverfahren vorzubringen, daß die Prioritätsfrage zu ihren Gunsten hätte entschieden werden müssen; außerdem hätte sie die Gründe für diese Behauptung, die eigentlich eine Anschlußbeschwerde darstellt, in ihrer Stellungnahme zur Beschwerdebegründung darlegen müssen.

2. Priorität

Nachdem die frühestmöglichen Veröffentlichungszeitpunkte der Entgegenhaltungen XV und XVII zwischen dem beanspruchten Prioritätsdatum und dem Anmeldetag des europäischen Patents liegen, muß die Beschwerdekammer prüfen und entscheiden, ob die Beschwerdegegnerin gemäß Artikel 87 bis 89 EPÜ das beanspruchte Prioritätsrecht aus der britischen Anmeldung Nr. 80/13858 vom 26. April 1980 genießt. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob das europäische Patent dieselbe Erfindung zum Gegenstand hat wie die britische Anmeldung (Art. 87 (1) EPÜ).

2.1 Anspruch 1 der europäischen Patentanmeldung und des europäischen Patents in der eingereichten bzw. der erteilten Fassung fordert als technisches Merkmal der beanspruchten Erfindung, daß das beanspruchte Snack-Produkt "mindestens 5 Gew.-% Öl oder Fett" enthält. Die britische Anmeldung enthält zwar auf Seite 5, dritter Absatz den Hinweis "Eine weitere unerwartete Eigenschaft des erfindungsgemäßen Snack-Produkts liegt darin, daß sein Fettgehalt vergleichsweise niedrig ist, wenn das Garen durch Fritieren erfolgt ..." sowie ferner auf Seite 8, dritter Absatz die Feststellung "Bevorzugte erfindungsgemäße Snack-Produkte enthalten höchstens 20 Gew.-% Fett, z. B. 8 - 20 Gew.-% Fett ..."; der Mindestwert von 5 % Fett wird jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Die Einspruchsabteilung vertrat in ihrer Entscheidung die Auffassung, daß der Wert von 5 % eine Erweiterung darstelle und der Prioritätsanspruch nicht aufrechterhalten werden könne, weil in der britischen Anmeldung das zahlenmäßige Erfordernis von "... mindestens 5 % Fett ..." nicht wörtlich offenbart worden sei.

Nach Auffassung der Kammer ist ein solcher Ansatz zur Bestimmung des Prioritätsrechts zu eng und zu wörtlich und entspricht nicht dem Erfordernis des Artikels 87 (1) EPÜ. Im Zusammenhang mit diesem Erfordernis muß geprüft werden, ob die früher eingereichte Anmeldung im wesentlichen dieselbe Erfindung zum Gegenstand hat wie die europäische Anmeldung oder das europäische Patent.

2.2. Im vorliegenden Fall ist die in der britischen Anmeldung beschriebene Erfindung ihrer Art nach sehr einfach: Es wird ein expandiertes Snack-Produkt in Form einzelner gegarter Portionen einer Teigzusammensetzung bereitgestellt, die gelatinierte Stärke und einen Kleiezusatz enthält. Die Erfindung hat die technische Wirkung, daß es trotz der Zugabe von Kleie nicht zu einem unerwünscht niedrigen Expansionsgrad beim Endprodukt kommt. In ihrer in der britischen Anmeldung beschriebenen und beanspruchten weitesten Form befaßt sich die Erfindung überhaupt nicht mit der Einbringung von Öl oder Fett in das Produkt. In den vorstehend erwähnten Textpassagen auf den Seiten 5 und 8 der Anmeldung wird klar zum Ausdruck gebracht, daß die Erzielung eines vergleichsweise niedrigen Fettgehalts bei der Zubereitung des erfindungsgemäßen Produkts durch Fritieren eine Eigenart der Erfindung ist. Jedoch gehören weder das Garen durch Fritieren noch die Einbringung von Fett oder Öl ins Produkt zu der in der britischen Anmeldung beschriebenen Erfindung.

2.3. Die Erfindung, die sowohl in der europäischen Anmeldung als auch im erteilten europäischen Patent beschrieben und beansprucht ist, enthält im Oberbegriff des Anspruchs 1 ein zusätzliches technisches Merkmal, nämlich, daß das expandierte Snack-Produkt "mindestens 5 Gew.-% Öl oder Fett enthält ...". Aus der Beschreibung geht hervor, daß dieser Öl- oder Fettgehalt entweder während des Fritierens (wenn anstelle des Garens fritiert wird) - wobei es von Vorteil ist, daß das Produkt im Vergleich zu bekannten Produkten nur einen vergleichsweise niedrigen Fettgehalt aufzuweisen braucht - oder dadurch in das Snack- Produkt eingebracht wird, daß das anders als durch Fritieren gegarte Produkt mit der nötigen Öl- oder Fettmenge besprüht oder auf andere Weise behandelt wird, damit der gewünschte Geschmack erzielt wird.

Für die Ermittlung der Priorität ist es grundsätzlich unerheblich, aus welchem Grund das oben erwähnte zusätzliche Merkmal gegenüber der früheren britischen Anmeldung in die Ansprüche der europäischen Patentanmeldung aufgenommen wurde. Offenbar sollte es die Position der Beschwerdegegnerin bei der Verteidigung der Rechtsgültigkeit des Patents stärken. Dieses zusätzliche Merkmal ist zweifellos insofern ein wesentliches technisches Merkmal der Ansprüche, als es den Schutzbereich des Patents einschränkt, so daß Produkte, die nicht mindestens 5 % Fett oder Öl enthalten, nicht unter den Schutzbereich fallen. Ein neues technisches Merkmal in einem Anspruch, das für die Bestimmung des Schutzbereichs wesentlich ist, ist jedoch nicht zwangsläufig auch für die Feststellung der Priorität wesentlich.

Im allgemeinen führt die Aufnahme eines weiteren technischen Merkmals in einen Anspruch immer zur Einschränkung des Schutzbereichs; außerdem kann dadurch möglicherweise die Art der beanspruchten Erfindung verändert werden. Ob und inwieweit dies der Fall ist, muß im Einzelfall geprüft werden und hängt davon ab, in welchem Zusammenhang das eingefügte technische Merkmal mit den früheren technischen Merkmalen des Anspruchs steht.

2.4 Die Beschwerdekammern haben bereits eine Reihe von Fällen geprüft und entschieden, bei denen die in der europäischen Anmeldung oder dem europäischen Patent beanspruchte Erfindung eine Kombination aus technischen Merkmalen einschließlich eines oder mehrerer zusätzlicher technischer Merkmale erforderlich machte, welche in den betreffenden Prioritätsunterlagen nicht konkret offenbart worden war; vgl. die Entscheidungen T 61/85 vom 30. September 1987 (EPOR 1988, 20), T 85/87 vom 21. Juli 1988 (EPOR 1989, 24), T 81/87 vom 24. Januar 1989 (ABl. EPA 1990, 250), T 301/87 vom 16. Februar 1989 (ABl. EPA 1990, 335). In allen diesen Fällen wurde die Auffassung vertreten, daß ein bestimmtes technisches Merkmal der Erfindung in Kombination mit anderen technischen Merkmalen, die in der europäischen Anmeldung beansprucht worden sind, ein wesentliches Erfindungselement darstellt, das in der entsprechenden Prioritätsunterlage nicht als Kombination mit den anderen technischen Merkmalen offenbart worden war. In all diesen Fällen veränderte die Gegenwart des zusätzlichen technischen Merkmals im Anspruch den wesentlichen Charakter der beanspruchten Erfindung. Die beanspruchte Erfindung war deshalb ihrem Wesen nach nicht mehr dieselbe wie die in der Prioritätsunterlage offenbarte, so daß der Prioritätsanspruch nicht aufrechterhalten werden konnte.

Im vorliegenden Fall geht aus dem europäischen Patent eindeutig hervor, daß mit dem zusätzlichen technischen Merkmal dem beanspruchten Snack-Produkt ein "Fritiergeschmack" verliehen werden sollte; es hat somit mit dem wesentlichen Charakter und der Art der Erfindung als solche (wie unter 2.2 erörtert) nichts zu tun, was natürlich bei der Entscheidung über einen Prioritätsanspruch berücksichtigt werden muß. Dieses zusätzliche technische Merkmal bewirkt tatsächlich, daß einige Snack-Produkte ausgenommen werden, die zwar dem Wesen der Erfindung als solcher entsprechen, aber keinen Fritiergeschmack aufweisen, so daß die beanspruchte Erfindung auf eine bestimmte Produktklasse beschränkt wird. Das Vorliegen dieses zusätzlichen Merkmals in den Ansprüchen des europäischen Patents verändert deshalb nicht den Charakter oder die Art der beanspruchten Erfindung als solcher gegenüber der Offenbarung in der Prioritätsunterlage, also der britischen Anmeldung. Nach Auffassung der Beschwerdekammer soll mit den Artikeln 87 bis 89 EPÜ (oder den entsprechenden Bestimmungen des Pariser Verbandsübereinkommens, an die sich diese Artikel anlehnen - siehe die Entscheidung T 301/87 "Biogen" vom 16. Februar 1989, veröffentlicht in ABl. EPA 1990, 355) nicht bewirkt werden, daß der Patentinhaber wegen einer solchen Einschränkung des Schutzbereichs seines Patents gegenüber der Offenbarung der Prioritätsunterlage sein Prioritätsrecht (und damit möglicherweise sein Patent) verliert.

Die Beschwerdekammer kann jedoch das Vorbringen der Beschwerdegegnerin nicht gelten lassen, daß eine Einschränkung gegenüber der Prioritätsunterlage keinesfalls einer unmittelbaren Stützung bedürfe, damit die Priorität erfolgreich beansprucht werden könne. Manchmal ändert nämlich ein solcher "Disclaimer" den Erfindungscharakter - siehe z. B. die vorstehend genannte Entscheidung T 61/85, wo eine Einschränkung der Erfindung in der in der europäischen Anmeldung beanspruchten Fassung in engem Zusammenhang mit der Funktion und der technischen Wirkung der Erfindung stand.

2.5 Die Beschwerdeführerinnen brachten ferner vor, daß die Auflistung bestimmter Kleiesorten in Anspruch 1 zum Verlust der Priorität führe - siehe Nummer IV. Was diesen Punkt betrifft, steht es nach Auffassung der Beschwerdekammer eindeutig fest, daß die Auflistung bestimmter Kleiesorten und der Ausschluß von Reiskleie aus dieser Liste Wesen und Art der Erfindung gegenüber der Offenbarung in der britischen Anmeldung in keiner Weise verändern. Diese Auflistung stellt im wesentlichen einen Disclaimer gegenüber der breiten Offenbarung von Kleiearten in der Prioritätsunterlage dar und steht nicht in Zusammenhang mit der Funktion oder der Wirkung der Erfindung und damit auch nicht mit deren Charakter und Art. Aus den genannten Gründen beziehen sich die Ansprüche des europäischen Patents nach Auffassung der Kammer auf dieselbe Erfindung, die auch in der britischen Anmeldung offenbart ist, und genießen daher die in Artikel 89 EPÜ vorgesehene Priorität.

2.6 Die Kammer hat den Eindruck, daß sich die Einspruchsabteilung hier bei der Festlegung der Priorität von den Empfehlungen in den Prüfungsrichtlinien C-V, 2.2 bis 2.5 leiten ließ. Im Absatz 2.2 heißt es dort, daß es zur Festlegung des Prioritätstages ausreicht, "wenn die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen der früheren Anmeldung (die Merkmale der beanspruchten Erfindung) deutlich offenbart". In Absatz 2.3 heißt es weiter: "Das Erfordernis, daß die Offenbarung deutlich sein muß, bedeutet, daß es nicht ausreicht, wenn die betreffenden Merkmale nur implizit in den Unterlagen enthalten sind oder wenn lediglich in großen Zügen und ganz allgemein darauf Bezug genommen wird. Für einen Patentanspruch für eine detaillierte Ausführungsform eines bestimmten Merkmals könnte aufgrund einer bloßen allgemeinen Bezugnahme auf dieses Merkmal in Prioritätsunterlagen keine Priorität beansprucht werden ..."

Außerdem wird in Absatz 2.4 festgestellt, daß für die Prüfung des Prioritätsanspruchs "der Gegenstand des Patentanspruchs unmittelbar und eindeutig aus der Offenbarung der Erfindung in der Prioritätsunterlage hervorgehen muß", und darauf hingewiesen, daß die Prioritätsprüfung identisch mit der Prüfung von Änderungen für die Zwecke des Artikels 123 (2) EPÜ ist.

Nach Ansicht der Kammer sind diese Angaben in den Prüfungsrichtlinien zu allgemein und tragen der Frage nach der Beziehung zwischen der Art der nicht konkret offenbarten "Merkmale" und dem Wesen der beanspruchten Erfindung als solcher nicht ausreichend Rechnung.

So ist in Fällen wie dem unter Nummer 2.4 genannten, in denen ein bestimmtes technisches Merkmal der beanspruchten Erfindung für die Funktion und die Wirkung der Erfindung und damit für deren Charakter und Art wesentlich ist, für die Priorität entscheidend, ob dieses Merkmal in der Prioritätsunterlage explizit oder implizit in Verbindung mit den anderen technischen Merkmalen der Erfindung offenbart worden ist. In diesen Fällen können die Empfehlungen in den Richtlinien im großen und ganzen angewandt werden.

Ist jedoch - wie im vorliegenden Fall - ein bestimmtes technisches Merkmal, bei dem es sich um eine besondere Ausführungsform eines in der Prioritätsunterlage mehr allgemein angegebenen Merkmals handelt, in die Ansprüche der europäischen Anmeldung in der eingereichten Fassung aufgenommen worden, so steht diesen Ansprüchen entgegen der Empfehlung in den Richtlinien die Priorität aus der Prioritätsunterlage zu, sofern die Aufnahme dieses technischen Merkmals das Wesen und die Art der Erfindung als solcher nicht verändert, die beanspruchte Erfindung also "dieselbe Erfindung" bleibt wie die in der Prioritätsunterlage offenbarte.

Die Bezugnahme im oben genannten Text der Richtlinien auf die "Merkmale" der beanspruchten Erfindung läßt darauf schließen, daß die dortigen Feststellungen möglicherweise mit Rücksicht auf Artikel 88 (2), (3) und (4) EPÜ getroffen wurden. Wenn dies der Fall ist, so liegt hier nach Auffassung der Beschwerdekammer eine Fehlinterpretation des Artikels 88 EPÜ vor, der sich mehr mit den verfahrenstechnischen und formalen Gesichtspunkten der Prioritätsbeanspruchung als mit den materiellrechtlichen Erfordernissen befaßt. Dies geht eindeutig aus der Überschrift zu Artikel 88 EPÜ "Inanspruchnahme der Priorität" hervor, während sich die Artikel 87 und Artikel 89 EPÜ ihrer Überschrift und ihrem Inhalt nach mit dem "Prioritätsrecht" bzw. der "Wirkung des Prioritätsrechts" befassen. Die Vorschriften des Artikels 88 (2), (3) und (4) EPÜ entsprechen ähnlichen Vorschriften in der Pariser Verbandsübereinkunft (Art. 4 F und H), die eindeutig verfahrenstechnischer und formaler Art sind.

So treffen die Ausführungen in den Richtlinien C-V, 2.3 nach Ansicht der Kammer auf Fälle wie den vorliegenden nicht zu. Deshalb ist auch die Feststellung in Absatz 2.4 falsch, daß die "grundlegende Prüfung" im Zusammenhang mit der Priorität identisch mit der Prüfung im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ ist.

3. Neuheit

Da dem angefochtenen Patent die beanspruchte Priorität zusteht, stellen die Dokumente XV und XVII keinesfalls Vorveröffentlichungen dar und brauchen daher nicht weiter berücksichtigt zu werden.

4. Erfinderische Tätigkeit

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent in der in der mündlichen Verhandlung eingereichten, geänderten Fassung aufrechtzuerhalten.

3. Die von der Beschwerdeführerin 2 entrichtete Beschwerdegebühr ist zurückzuerstatten.

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