T 0005/81 (Herstellung von Hohlkörper aus thermopl. Material) of 4.3.1982

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1982:T000581.19820304
Datum der Entscheidung: 04 März 1982
Aktenzeichen: T 0005/81
Anmeldenummer: 78200324.8
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: FR
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Solvay
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: Nach Artikel 97(1) EPÜ ist eine europäische Patentanmeldung, die einem Erfordernis des Übereinkommens nicht genügt, in ihrer Gesamtheit zurückzuweisen, ohne daß die Frage erörtert werden muß, ob die Anmeldung insgesamt möglicherweise Sachverhalte aufweist, die sich als erfinderisch erweisen können. Ein angeblicher Mangel, der einen Teil der Entscheidung betrifft, bei dem es sich nicht um die die Entscheidung tragenden Gründe handelt (ratio decidendi), kann nicht als wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 gelten.
Eine Beschwerde kann nur eine beschwerdefähige Entscheidung im Sinne des Artikels 106(1), nicht jedoch vorbereitende Handlungen nach Artikel 96(2) und Regel 51(3) zum Gegenstand haben. Beim Vergleich der Aufgabenstellung in der Anmeldung und in einer Entgegenhaltung sind zu weitgehende Abstraktionen zu vermeiden, die vom konkreten Denken des Fachmanns wegführen.
Die Lehre eines Dokuments kann für den Fachmann enger sein als für einen potentiellen Erfinder, der die Aufgabe, die seiner künftigen Erfindung zugrunde liegt, als erster erkannt hat. Bei der Beurteilung der erfinderischen Taetigkeit ist ausschließlich vom konkreten Gesichtspunkt des Fachmanns auszugehen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 96(2)
European Patent Convention 1973 Art 97(1)
European Patent Convention 1973 Art 106(1)
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 113(2)
European Patent Convention 1973 R 51(3)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Beschwerdefähige Entscheidung/Bestandteile
Gründe(tragende) der Entscheidung (ratio decidendi)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (abgelehnt)
Erfinderische Tätigkeit (bestätigt)
A-posteriori Analyse
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
R 0014/10
T 0172/86
T 0078/87
T 0098/88
T 0625/88
T 0150/89
T 0228/89
T 0277/89
T 0808/90
T 0500/91
T 0255/94
T 0417/94
T 0815/95
T 1009/95
T 0139/96
T 0358/96
T 0475/96
T 0717/96
T 0063/97
T 0170/97
T 0379/97
T 0456/97
T 0680/97
T 0963/97
T 0177/98
T 0304/98
T 0414/98
T 0514/98
T 0554/98
T 0584/98
T 0263/99
T 0959/00
T 0537/01
T 0935/01
T 0347/04
T 1093/04
T 0830/05
T 1085/06
T 0160/09
T 1631/10
T 1639/18
T 2622/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 30. November 1978 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 78 200 324 (Veröffentlichungsnummer 0 002 302) wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 27. November 1980 zurückgewiesen.

Der Anspruch 1, auf den sich die Entscheidung stützte, lautete wie folgt:

Verfahren zur Herstellung von Hohlkörpern ausgehend von Vorformlingen aus thermoplastischem Material, deren offenes Ende ein mindestens teilweise endgültig ausgeformtes Halsteil aufweist, bei dem das Blasformen mittels eines Druckfluids erfolgt, das durch eine in das offene Ende der Vorformlinge eingeführte Düse in die in einer Form befindlichen Vorformlinge eingeblasen wird, wobei bei Einführung der Düse der ausgeformte Teil des Halses von den Teilen der Vorformlinge isoliert wird, die beim Blasformen aufgeweitet werden sollen, dadurch gekennzeichnet, daß der isolierte Bereich vor dem Blasformen durch Spülen mit einer Kühlflüssigkeit gekühlt wird.

Anspruch 2 hatte folgenden Wortlaut: Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß durch Spritz- oder Blasformen hergestellte Vorformlinge verwendet werden.

Die abhängigen Ansprüche 3 bis 9 betrafen besondere Ausgestaltungen des Verfahrens nach Anspruch 1.

II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand der Anmeldung zwar neu, aber im Hinblick auf die folgenden Entgegenhaltungen nicht erfinderisch sei:

1) US-A-3 048 889

2) US-A-3 717 429

3) FR-A-2 150 344. Diese Druckschriften werden im folgenden als Entgegenhaltung 1, 2 und 3 bezeichnet.

III. Die Entscheidung führt aus, daß die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aus der Entgegenhaltung 1 bekannt seien und daß die Merkmale des kennzeichnenden Teils in Anbetracht derselben Entgegenhaltung 1 sowie der Entgegenhaltung 2 nicht erfinderisch seien.

IV. Die Prüfungsabteilung habe die Ansprüche 2 bis 9 für nicht gewährbar erklärt, weil sie sich auf Anspruch 1 bezögen, der nicht als gewährbar gelten könne. Bei den Ansprüchen 3 und 4 sowie 6 bis 10 habe die Prüfungsabteilung zudem den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit erhoben, wobei sie sich im Fall der Ansprüche 3 und 4 auf die Entgegenhaltung 3 bzw. 2 bezogen habe. Zu Anspruch 5 habe die Prüfungsabteilung ausgeführt, daß der Gegenstand des Anspruchs in Verbindung mit den Merkmalen der Ansprüche 1 und 2 möglicherweise die Grundlage für einen neuen Anspruch 1 bilden könne. Die Anmelderin habe jedoch von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

V. Gegen diese Entscheidung hat die Anmelderin am 8. Januar 1981 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr ist rechtzeitig entrichtet und die Begründung fristgerecht eingereicht worden. Die Beschwerdeführerin erklärt sich bereit, den Anspruch 1 erforderlichenfalls zu ändern, und beantragt die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

VI. Die Beschwerdeführerin macht geltend, daß von der Aufgabenstellung und der Lösung her zwischen den Verfahren nach den Entgegenhaltungen 1 und 2 einerseits und dem anmeldungsgemäßen Verfahren andererseits ein Unterschied bestehe. Der Fachmann könne auch durch Kombinieren der Lehren der Entgegenhaltungen 1 und 2 keinesfalls zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe gelangen, da diese noch nie zuvor gestellt worden sei. Die Erfindung würde daher, so wie sie in den Ansprüchen definiert sei, das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ erfüllen.

VII. Da nach Ansicht der Beschwerdeführerin der Anspruch 2 in Verkennung der Artikel 96(2) und 113(1) EPÜ zurückgewiesen worden ist, beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ. Sie behauptet ferner, der Prüfer habe im ersten und einzigen Bescheid entgegen Artikel 96(2) und Regel 51(3) EPÜ nicht zum Gegenstand des Anspruchs 5 Stellung genommen, was ebenfalls die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige.

VIII. Auf Einladung der Beschwerdekammer hat die Beschwerdeführerin fristgerecht eine neue Fassung der Ansprüche mit entsprechenden Änderungen der Beschreibung vorgelegt. Der neue Anspruch 1 lautet nunmehr wie folgt: Verfahren zur Herstellung von Hohlkörpern in zwei Verfahrensschritten ausgehend von im ersten Verfahrensschritt ausgeformten Vorformlingen aus thermoplastischem Material, die an ihrem offenen Ende ein Halsteil aufweisen, das im ersten Verfahrensschritt wenigstens teilweise in einer Vorform endgültig geformt wird, bei welchem Verfahren das Blasformen im zweiten Verfahrensschritt dadurch erfolgt, daß ein Druckfluid durch eine durch das offene Ende der Vorformlinge eingeführte Düse in die in den Formen des zweiten Verfahrensschritts befindlichen Vorformlinge eingebracht wird, wobei bei der Einführung der Düse das geformte Halsteil der Vorformlinge von dem beim Blasformen aufzuweitenden Teil isoliert wird, dadurch gekennzeichnet, daß durch Spritz- oder Blasformen hergestellte Vorformlinge verwendet werden und daß vor dem endgültigen Blasformen durch Spülen mit einer Kühlflüssigkeit gekühlt wird, die in den Hohlraum zwischen der Düse und der Innenwand des isolierten Teils eingebracht wird.

Die neuen abhängigen Ansprüche 2 bis 8 unterscheiden sich von den entsprechenden früheren Ansprüchen nur durch unbedeutende Präzisierungen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ. Sie ist damit zulässig.

2. Um den Vorwurf der Verletzung der Formvorschriften zu klären, ist es angezeigt, das Verfahren vor der Prüfungsabteilung in bezug auf Anspruch 1 zu untersuchen. In seinem Bescheid hat der Prüfer hinreichend begründete Einwände unter Berufung auf Artikel 56 EPÜ (genauer gesagt, auf Artikel 52 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ; mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 84 EPÜ (nicht durch die Beschreibung gestützter Anspruch) erhoben. Der Prüfer hat vorgeschlagen, zur Entkräftung des zweiten Einwands die Angabe, "daß die Kühlung vor dem Blasformen erfolgt", aufzunehmen. Dieser Vorschlag bedeutet nicht, daß der ursprüngliche Anspruch 1 nach dieser Änderung gewährbar im Sinne der Artikel 52 und 56 EPÜ wird. Der Prüfer hat im Gegenteil in demselben Bescheid festgestellt, daß der Anspruch 7, der eine ähnliche Angabe enthält, nicht erfinderisch sei und daher keinen gewährbaren Anspruch bilden könne. Der Vorschlag des Prüfers hatte den Zweck, erstens alle gegen die Anmeldung bestehenden Einwände aufzuführen und zweitens Möglichkeiten für die Neuformulierung des Anspruchs 1 aufzuzeigen, wobei nach Ansicht des Prüfers die Merkmale des Anspruchs 6 (selbstverständlich in Kombination mit den Merkmalen des Anspruchs 1) als Grundlage dienen könnten. Der auf den Bescheid hin eingereichte neue Anspruch 1 enthält nicht die Merkmale des Anspruchs 6; er weicht von der ursprünglichen Fassung des Anspruchs 1 nur durch bestimmte Änderungen, die sich auf den Stand der Technik beziehen, sowie durch die vom Prüfer vorgeschlagene Angabe ab. Ob die Anmeldung ohne einen zweiten Bescheid zurückgewiesen werden konnte, ist anhand des Artikels 113(1) EPÜ zu entscheiden. Es geht hierbei um die Frage, ob die Entscheidung auf Gründe gestützt worden ist, zu denen sich die Beschwerdeführerin äußern konnte. Im vorliegenden Fall erfüllt das Verfahren vor der Prüfungsabteilung dieses Erfordernis, da die im Hinblick auf die Entgegenhaltungen 1 und 2 festgestellte mangelnde erfinderische Tätigkeit, auf die sich die Entscheidung hinsichtlich des Anspruchs 1 beruft, der Anmelderin zuvor zur Kenntnis gebracht worden war. Daher weist die Entscheidung in bezug auf Anspruch 1 keinen wesentlichen Verfahrensmangel auf. Auch die Beschwerdeführerin scheint diese Auffassung zu teilen, da die Beschwerdebegründung keine entsprechenden Argumente enthält.

3. Daher ist die von der Anmelderin gestellte Frage, ob im Zusammenhang mit den Ansprüchen 2 und 5 eine Verfahrensverletzung vorliegt, gegenstandslos. Wenn nämlich nach Artikel 97(1) EPÜ eine europäische Patentanmeldung eines der Erfordernisse des Übereinkommens nicht erfüllt, so ist sie in ihrer Gesamtheit zurückzuweisen, ohne daß festgestellt werden muß, ob sie als Ganzes, z. B. in einem abhängigen Anspruch, möglicherweise erfinderische Sachverhalte aufweist.

4. Demnach kann es sich bei den Argumenten betreffend die Ansprüche 2 bis 9 nicht um tragende Gründe der Entscheidung (ratio decidendi) handeln. Ein diesen Teil der Entscheidung betreffender angeblicher Mangel kann daher kein wesentlicher Mangel im Sinne der Regel 67 EPÜ sein. Die Beschwerdekammer glaubt aber dennoch, die von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den Ansprüchen 2 und 5 erhobenen Einwände gegen die Verfahrensführung prüfen zu sollen.

5. In der Beschwerdebegründung äußerte die Beschwerdeführerin ihr Befremden darüber, daß Anspruch 2 nur deshalb zurückgewiesen worden sei, weil er sich auf Anspruch 1 beziehe, ohne daß der Prüfer zum Gegenstand des Anspruchs 2 Stellung genommen habe. Wie bereits unter Punkt 3 ausgeführt, war die Zurückweisung der Anmeldung formal einwandfrei, da Anspruch 1 nicht akzeptiert worden war; die bloße Tatsache, daß der Prüfungsabteilung ein völlig neuer Anspruch 2 vorgelegt worden ist, ist unerheblich für die Entscheidung der Frage, ob Anspruch 1 akzeptiert werden kann oder nicht. Da sich die Prüfungsabteilung bei der Prüfung der Anmeldung und der Entscheidung darüber an die vom Anmelder vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten hat (Artikel 113(2) EPÜ), war sie nicht verpflichtet, die Anmelderin zur Neufassung der Ansprüche aufzufordern.

6. Im vorliegenden Fall ist es nicht Aufgabe der Kammer, die Entscheidung der Prüfungsabteilung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit und Verfahrensökonomie zu beurteilen. Es ist jedoch festzustellen, daß die Anmelderin bei der Vorlage des neuen Anspruchs 2 keine Erläuterungen zum erfinderischen Charakter dieses Anspruchs gegeben hat. Diese Erläuterungen sind erstmals in der Beschwerdebegründung vorgelegt worden. Die Anmelderin hat auch nicht angegeben, daß sie den neuen Anspruch 2 als Hilfsanspruch eingereicht hat, um gegebenenfalls eine Beschränkung des Anspruchs 1 vorzunehmen, was nicht einmal in der Beschwerdebegründung angedeutet wird.

7. Hinsichtlich des Anspruchs 5 behauptet die Beschwerdeführerin in ihrer Begründung, daß der Prüfer sich nicht an Artikel 96(2) und Regel 51(3) EPÜ gehalten habe, da er zu diesem Anspruch nicht Stellung genommen habe. Eine Beschwerde kann jedoch nur eine beschwerdefähige Entscheidung im Sinne des Artikels 106(1) EPÜ, nicht aber vorbereitende Handlungen zum Gegenstand haben. Artikel 96(2) und Regel 51(3) EPÜ betreffen jedoch ausschließlich diese vorbereitenden Maßnahmen. Eventuelle Verstöße gegen diese Vorschriften könnten höchstens in Betracht gezogen werden, wenn sie sich auf die Entscheidung über die Zurückweisung auswirken würden, etwa im Falle eines Verstoßes gegen Artikel 113(1) EPÜ. Der Einwand der Beschwerdeführerin ist jedoch nicht nur aus diesem Grunde gegenstandslos, sondern auch deshalb, weil, wie bereits unter Nummer 2 dargelegt, der Prüfer sehr wohl zum Inhalt des Anspruchs 5 Stellung genommen und dabei auf die Möglichkeit hingewiesen hat, auf der Grundlage dieses Anspruchs einen unabhängigen Anspruch zu formulieren. Da die Beschwerdeführerin von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, war die Prüfungsabteilung bei der Begründung der Zurückweisung der Anmeldung wegen Nichtgewährbarkeit des Anspruchs 1 nicht verpflichtet, auf diesen Punkt einzugehen. Der diesbezügliche Hinweis in den Entscheidungsgründen gehört nicht zu den die Entscheidung tragenden Überlegungen und sollte nur deutlich machen, das sich die Prüfungsabteilung dessen bewußt war, daß die Anmeldung möglicherweise patentierbare Sachverhalte enthalten könnte. Daß unter diesen Umständen eine Zurückweisung erfolgt ist, stellt keinen Grund zur Anfechtung dar (siehe Punkt 3).

8. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Entscheidung keinen wesentlichen Verfahrensmangel aufweist, so daß dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ nicht stattgegeben werden kann.

9. Gegen die im Beschwerdeverfahren vorgelegte Fassung der Patentansprüche und der Beschreibung bestehen keine formalen Einwände, da sie durch die ursprünglichen Unterlagen hinreichend gestützt ist.

10. Die im Anspruch 1 definierte Erfindung erfüllt aus folgenden Gründen die Kriterien der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit:....

11. Die "Vermeidung einer Verformung" kann zweifellos als eine gemeinsame Aufgabe der Entgegenhaltung 1 und der Anmeldung angesehen werden; die Aufgabe jedoch, die in der Entgegenhaltung 1 selbst expressis verbis angegeben ist (zu vermeiden, daß sich der Vorformling während des ersten Verfahrensschrittes, also während seines Entstehens unter seinem eigenen Gewicht in die Länge zieht und dabei einschnürt), entspricht nicht der eigentlichen Aufgabe der Anmeldung (Vermeidung einer Verformung eines bereits während des ersten Verfahrensschrittes geformten Teils) und legt diese auch nicht nahe. Daher kann man nicht behaupten, daß die Erfindung nur darin besteht, daß die indirekte Kühlung des Halsteils (nach Entgegenhaltung 1) durch eine direkte Kühlung (durch das an sich bekannte Spülen, vgl. Entgegenhaltung 2) ersetzt wird. Zu dieser Schlußfolgerung kann man nur anhand einer A-posteriori-Analyse gelangen, also einer durch die erfindungsgemäße Aufgabenstellung beeinflußten Interpretation der Entgegenhaltungen, wobei diese Aufgabenstellung weder vom Verfasser der Druckschrift erwähnt oder nahegelegt wird noch dem gewöhnlichen Leser, also dem Fachmann, bekannt ist. Bei dem Vergleich einer Aufgabe, die in einer Entgegenhaltung angegeben ist oder die sich daraus ableiten läßt, mit der Aufgabenstellung der Anmeldung sind zu weitgehende Abstraktionen zu vermeiden; je mehr man nämlich abstrahiert, desto eher stellt man eine Übereinstimmung fest; dabei entfernt man sich jedoch von den Gedankengängen des Fachmanns, die sich auf einer konkreten Ebene bewegen, so daß die Anregungen, die in einer Vorveröffentlichung enthalten sind, für ihn relativ begrenzt bleiben. Dies bedeutet, daß die Lehre eines Dokuments für den Fachmann möglicherweise enger ist als für den potentiellen Erfinder, der als erster die Aufgabe, die seiner künftigen Erfindung zugrunde liegt, erkannt hat. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist nur die für den Fachmann gegebene engere Lehre in Betracht zu ziehen....

12. (...)

13. (...)

14. (...)

15. Die Ansprüche 2 bis 8 sind ebenfalls gewährbar, da sie weder formal noch sachlich zu Beanstandungen Anlaß geben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 27. November 1980 wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anweisung zurückverwiesen, auf der Grundlage der folgenden Unterlagen ein europäisches Patent zu erteilen:...

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ wird abgelehnt.

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