European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T165922.20241125 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 25 November 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1659/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 14747961.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | D21H 19/38 A24D 1/02 D21H 21/52 D21H 17/67 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | EFFIZIENT HERSTELLBARES ZIGARETTENPAPIER FÜR SELBSTVERLÖSCHENDE ZIGARETTEN | ||||||||
Name des Anmelders: | delfortgroup AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Miquel y Costas & Miquel, S.A. | ||||||||
Kammer: | 3.3.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - zulässig (Hauptantrag, nein) Erfinderische Tätigkeit - (Hilfsantrag 1, ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen die Erteilung des Europäischen Patents 3 039 186
zurückzuweisen.
II. Der erteilte Anspruch 1 hat den folgenden Wortlaut:
"1. Zigarettenpapier, das mindestens einen behandelten Teilbereich aufweist, in dem eine Zusammensetzung aufgetragen ist, die ein filmbildendes Material und Füllstoffpartikel oder ein Gemisch aus Füllstoffpartikeln enthält, wobei die Diffusionskapazität in dem mindestens einen behandelten Teilbereich geringer ist als in einem unbehandelten Bereich des Zigarettenpapiers, wobei mindestens 20 Gew.-%, vorzugsweise mindestens 50 Gew.-% und besonders vorzugsweise mindestens 70 Gew.-% der Füllstoffpartikel in der aufgetragenen Zusammensetzung durch eine oder mehrere der folgenden Füllstoffpartikelarten gebildet werden:
(a) Calciumcarbonat mit plättchenförmiger Gestalt und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt:
p >= 0,5, vorzugsweise p >= 0,6 und p <= 1,0, vorzugsweise p <= 0,9,
(b) Calciumcarbonat mit einer skalenoedrischen Kristallstruktur und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt: p >= 0,7, vorzugsweise p >= 0,8, besonders vorzugsweise p >= 0,85 und insbesondere p >= 0,9, oder p <= 0,3, vorzugsweise
p <= 0,25, und besonders vorzugsweise p <= 0,2,
(c) Calciumcarbonat mit einer rhomboedrischen Kristallstruktur und mit einer Partikelgrößenverteilung für die gilt: p >= 0,5, vorzugsweise p >= 0,6, und besonders vorzugsweise p >= 0,7,
(d) Calciumcarbonat mit einer kubischen Gestalt und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt: p >= 0,2, vorzugsweise p >= 0,3 und p <= 0,7, vorzugsweise p <= 0,6, oder
(e) Calciumcarbonat mit einer skalenoedrischen Kristallstruktur und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt: p >= 0,40, vorzugsweise p >= 0,45 und p <= 0,60, vorzugsweise
p <= 0,55,
wobei gilt: p = d50/(d90-d10), wobei die mittlere Größe d50 der Füllstoffpartikel in der aufgetragenen Zusammensetzung mindestens 0,1 mym und höchstens 10 mym beträgt, und wobei die in den behandelten Teilbereichen aufgetragene Materialmenge, angegeben als Masse/Auftragsfläche im getrockneten Zustand mindestens
0,5 g/m**(2) und höchstens 12g/m**(2) beträgt."
III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin die Dokumente D21-D33 ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben
und das Patent zu widerrufen.
IV. Mit der Beschwerdeerwiderung verwies die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin auf die bereits erstinstanzlich eingereichten Hilfsanträge 1-9 und reichte die neue Hilfsanträge 4A und 9A ein.
V. Nach dem Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer haben beide Parteien jeweils einen weiteren Schriftsatz eingereicht.
VI. Am 25. November 2024 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragt den vollständigen Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf Basis der eingereichten Anträge in der Reihenfolge: Hilfsantrag 1, 2, 3, 4, 4A, 5, 6, 7, 8, 9 und 9A, wobei die mit A bezeichneten Anträge erst im Beschwerdeverfahren vorgelegt wurden.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Artikel 100(c) EPÜ
Die Kammer ist zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 über den ursprünglichen Offenbarungsgehalt hinausgeht.
1.1 Der Anspruch legt in seiner Einleitung fest, dass auf mindestens einem Teilbereich eines Zigarettenpapiers eine füllstoffhaltige Zusammensetzung aufgetragen ist, wobei mindestens 20 Gew.-% der Füllstoffpartikel in der aufgetragenen Zusammensetzung aus Füllstoffpartikeln der Gruppen (a), (b), (c), (d) und/oder (e) gebildet werden.
1.2 Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1, auf dem der erteilte Anspruch 1 basiert, legt dagegen fest, dass mindestens 20 Gew.-% der Füllstoffpartikel in dem behandelten Teilbereich aus Füllstoffpartikeln der Gruppen (a), (b), (c), (d) und/oder (e) gebildet werden.
1.3 Diese Formulierungen sind nicht bedeutungsgleich, weil der behandelte Teilbereich auch andere Füllstoffe aufweisen kann, die nicht aus der Zusammensetzung stammen, wie z.B. Füllstoffe, die bereits im Basispapier enthalten sind. Dass Zigarettenpapier Füllstoffe enthalten kann, ist unstreitig und wird darüber hinaus auf Seite 15, Zeile 20-23 der ursprünglich eingereichten Beschreibung auch im Zusammenhang mit dem erfindungsgemäßen Papier ausdrücklich bestätigt. Durch die Änderung in Anspruch 1 wurde somit nicht ein Ausdruck durch einen in der Sache äquivalenten Ausdruck ersetzt, sondern es wurde ein die aufgetragene Zusammensetzung beschreibendes Merkmal in den Anspruch aufgenommen und ein anderes, die behandelten Bereiche des Papiers betreffendes, Merkmal gestrichen. Die entsprechenden Gegenargumente der Beschwerdegegnerin sind nicht überzeugend, siehe Punkt 1.11.
1.4 Nach gefestigter Rechtsprechung erfüllt eine Änderung das Erfordernis von Artikel 123(2) EPÜ, wenn der geänderte Gegenstand unmittelbar und eindeutig in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart ist bzw. wenn der Fachmann durch die Änderung keine neuen technischen Informationen erhält (Gold Standard; Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10te Auflage, II.E.1.1). Dies kann, wie auch die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung zugestanden hat, durchaus als Verschärfung einer älteren Linie der Rechtsprechung angesehen werden, nach der die Streichung eines Merkmals aus einem Anspruch unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zu beanstanden war, wenn dieses Merkmal nicht als erfindungswesentlich offenbart war. Es war somit zu klären, ob in den ursprünglich eingereichten Unterlagen eine Ausführungsform eines Zigarettenpapiers offenbart ist, die das gestrichene, die Füllstoffzusammensetzung der Teilbereiche betreffende Merkmal nicht aufweist.
1.5 Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass dies nicht der Fall ist. Es ist unstreitig, dass es keine explizite Offenbarung gibt, nach der das gestrichene Merkmal fakultativ oder optional ist. Vielmehr ist das Merkmal im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 enthalten und wird auch in der Zusammenfassung der Erfindung auf den Seiten 5-6 als Erfindungsmerkmal genannt. Auch wenn es im Folgenden nicht mehr erwähnt wird, basiert jede weitere Offenbarung der Anmeldung auf dieser grundlegenden Formulierung der Erfindung, zu der das gestrichene Merkmal gehört. Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang auf den Absatz auf Seite 9 unten hingewiesen, in dem ein anderes Merkmal erläutert wird, nämlich das in den erteilten Anspruch 1 aufgenommene. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das gestrichene Merkmal optional ist, sondern vielmehr, dass an dieser Stelle eben ein weiteres Merkmal beschrieben wird.
1.6 Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, der fachkundige Leser entnehme der ursprünglichen Anmeldung, dass es auf die Zusammensetzung der Füllstoffpartikel im Basispapier überhaupt nicht ankomme. Dies ist jedoch lediglich eine sprachliche Variante des Arguments, dass das gestrichene Merkmal nicht erfindungswesentlich sei. Wie oben dargelegt, ist dies jedoch nicht das relevante Kriterium.
1.7 Das gestrichene Merkmal ist auch nicht technisch unsinnig oder ohne jeden Zusammenhang mit der restlichen Offenbarung der Erfindung. Das Patent lehrt, die Diffusionskapazität von Teilbereichen eines Zigarettenpapiers dadurch einzustellen, dass bestimmte Füllstoffe in diesen Bereichen aufgebracht werden. Dementsprechend legt das Merkmal fest, dass in diesen Bereichen mindestens 20 Gew.-% dieser speziellen Füllstoffe vorhanden sein müssen. Dies ist, im Hinblick auf die in der Anmeldung beschriebene Aufgabe und die zur Lösung beschriebenen Maßnahmen, kein unsinniges Merkmal, denn es stellt sicher, dass in den behandelten Bereichen eine Mindestmenge der Füllstoffe vorhanden ist, die gemäß der Beschreibung der Erfindung die Einstellung der Diffusionskapazität ermöglichen.
1.8 Die Beschwerdegegnerin hat weiter auf Ausführungsformen hingewiesen, die in der "Zusammenfassung der Erfindung" genannt werden und die mit dem gestrichenen Merkmal nicht kompatibel seien. So sei auf Seite 15 offenbart, dass grundsätzlich alle Zigarettenpapiere erfindungsgemäß eingesetzt werden könnten. Insbesondere bei Papieren mit hohen Flächengewichten und hohem Füllstoffanteil würden die Füllstoffe des Papiers die Füllstoffe der Beschichtung aber so dominieren, dass mit den bevorzugten Auftragsmengen das gestrichene Merkmal nicht erreichbar sei. Daraus schließe der fachkundige Leser, dass die Erfindung auch ohne dieses Merkmal ausgeführt werden könne, d.h. dass das Merkmal gestrichen werden könne, ohne gegen Artikel 123(2) EPÜ zu verstoßen. Die Kammer ist jedoch nicht überzeugt, dass das gestrichene Merkmal in einem eindeutigen Widerspruch zu der Offenbarung steht, dass im Rahmen der Erfindung jedes beliebige Zigarettenpapier eingesetzt werden kann, denn die Auftragsmenge der aufgetragenen Zusammensetzung, die in den erteilten Anspruch 1 aufgenommen wurde, ist in den ursprünglichen Unterlagen lediglich als bevorzugt offenbart, so dass es zumindest prinzipiell möglich ist, auch mit einem relativ schwerem Basispapier mit einem hohen Füllstoffgehalt das gestrichene Merkmal zu verwirklichen. Dazu kommt, dass die von der Beschwerdegegnerin herangezogenen Passage zwar sowohl schwere Papiere als auch hohe Füllstoffgehalte als Einzelmerkmale nennt, aber kein Papier offenbart, das beide Merkmale aufweist. Außerdem ist selbst bei derartigen Papieren mit den bevorzugten Auftragsmengen eine Verwirklichung des gestrichenen Merkmals möglich, wenn die Füllstoffe des Papiers in die Kategorien a)-e) fallen. In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdegegnerin vorgebracht, die Offenbarung aus Seite 15, nach der das Zigarettenpapier vorzugsweise auch Füllstoffe enthalte, sei so zu verstehen, dass es sich hierbei um andere als die vorerwähnten Füllstoffe handele. Dieses Argument ist jedoch nicht überzeugend, denn dieser Wortlaut schließt nach dem Dafürhalten der Kammer nicht aus, dass das Basispapier und die aufgetragene Zusammensetzung die gleichen Füllstoffe aufweisen.
1.9 Es wurde weiter vorgebracht, dass das gestrichene Merkmal im Widerspruch zu den Ausführungsbeispielen stehe, aber die Berechnungen, die die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang vorgelegt hat, unterstellen eine Auftragsmenge von 4,5 g/m**(2), die so nicht offenbart ist. Vielmehr machen die Beispiele hierzu keine Angaben und schon bei einer angenommenen Auftragsmenge von 8 g/m**(2) liegt der behauptete Widerspruch nicht mehr vor. Auch zu den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 13-16 besteht kein Widerspruch, denn diese wiederholen den in Anspruch 1 verwendeten Wortlaut und müssen somit in gleicher Weise verstanden werden.
1.10 Aus diesen Gründen sieht die Kammer keine Widersprüche zwischen dem gestrichenen Merkmal und dem Rest der Offenbarung, aus dem der fachkundige Leser in unmittelbarer und eindeutiger Weise schließen würde, dass das gestrichenen Merkmal lediglich optional ist.
1.11 Die Beschwerdegegnerin hat eine weitere Argumentationslinie vorgebracht, nach der es sich bei der o.g. Änderung nicht um die Aufnahme eines und die Streichung eines anderen Merkmals handele, sondern dass lediglich eine Klarstellung vorliege, denn der ursprüngliche Anspruch 1 müsse so verstanden werden, dass sich die angegebenen Füllstoffpartikelarten auf die Zusammensetzung und nicht auf die behandelten Teilbereiche beziehen. So folge aus der Verwendung des bestimmten Artikels ("... mindestens 20% (...) der Füllstoffpartikel ...") schon rein linguistisch, dass sich die Angabe auf die vorerwähnten Partikel beziehe, d.h. auf die in der Zusammensetzung enthaltenen Füllstoffpartikel. Diese "erste" Auslegung des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 sei somit die linguistisch korrekte Leseart des Anspruchs, die darüber hinaus auch die technisch einzig sinnvolle sei. Demgegenüber sei die "zweite" Auslegung, nach der sich das gestrichene Merkmal auf die behandelten Bereiche beziehe, linguistisch und technisch abwegig.
1.12 Diese Argumentation überzeugt jedoch auch nicht, weil sich die Angabe "... mindestens 20 Gew.-% (...) der Füllstoffpartikel in dem behandelten Teilbereich ..." linguistisch eindeutig auf eben diesen behandelten Teilbereich und nicht auf die aufgetragene Zusammensetzung bezieht. Der Beschwerdegegnerin ist zwar zuzustimmen, dass sich in einem hypothetischen Anspruch, der die Ergänzung "in dem behandelten Teilbereich" nicht enthält, der Ausdruck "mindestens 20% der Füllstoffpartikel" eindeutig auf die vorerwähnten Füllstoffpartikel der Zusammensetzung beziehen würde, aber der Einschätzung der Beschwerdegegnerin, die Ergänzung stehe zu diesem Verständnis "nicht im Widerspruch", kann nicht zugestimmt werden, denn im Anspruchszusammenhang ist es gerade die Funktion der Ergänzung klarzustellen, dass sich der Ausdruck "mindestens 20% der Füllstoffpartikel" eben nicht auf die Füllstoffpartikel der Zusammensetzung bezieht (was ohne Ergänzung der Fall wäre), sondern auf die Partikel im behandelten Teilbereich.
1.13 Die Kammer sieht auch keine Widersprüche dieser linguistisch korrekten Interpretation mit der technischen Lehre. Die Beschwerdegegnerin hat hierzu vorgebracht, dass der fachkundige Leser zumindest erkennen würde, dass der Anspruch alternativ gemäß der "ersten" und der "zweiten" Auslegung verstanden werden könne, so dass die entsprechende Klarstellung, d.h. die Änderung auf die "erste" Auslegung, unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zu beanstanden sei. Aus den oben bereits ausgeführten Gründen sieht die Kammer jedoch keine derartigen Widersprüche, so dass für den fachkundigen Leser kein Grund besteht, bei der Beurteilung des Offenbarungsgehaltes von Anspruch 1 von der linguistisch klaren Lesart abzuweichen.
1.14 Aus diesen Gründen ist der erteilte Anspruch 1 auf eine Ausführungsform gerichtet, bei der ein Merkmal gestrichen wurde, ohne dass es für diese Streichung eine Basis in den ursprünglichen Unterlagen gibt; somit steht der Einspruchsgrund unter Artikel 100(c) EPÜ der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegen.
2. Hilfsantrag 1
2.1 Anspruch 1 dieses Antrags hat den folgenden Wortlaut, wobei die Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 hervorgehoben sind:
"1. Zigarettenpapier, das mindestens einen behandelten Teilbereich aufweist, in dem eine Zusammensetzung aufgetragen ist, die ein filmbildendes Material und Füllstoffpartikel oder ein Gemisch aus Füllstoffpartikeln enthält, wobei die Diffusionskapazität in dem mindestens einen behandelten Teilbereich geringer ist als in einem unbehandelten Bereich des Zigarettenpapiers, wobei mindestens 20 Gew.-%, vorzugsweise mindestens 50 Gew.-% und besonders vorzugsweise mindestens 70 Gew.-% der Füllstoffpartikel in dem behandelten Teilbereich [deleted: der aufgetragenen Zusammensetzung] durch eine oder mehrere der folgenden Füllstoffpartikelarten gebildet werden:
(a) Calciumcarbonat mit plättchenförmiger Gestalt und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt: p >= 0,5, vorzugsweise p >= 0,6 und p <= 1,0, vorzugsweise p <= 0,9,
(b) Calciumcarbonat mit einer skalenoedrischen Kristallstruktur und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt: p >= 0,7, vorzugsweise p >= 0,8, besonders vorzugsweise p >= 0,85 und insbesondere p >= 0,9, oder p <= 0,3, vorzugsweise p <= 0,25, und besonders vorzugsweise p <= 0,2,
(c) Calciumcarbonat mit einer rhomboedrischen Kristallstruktur und mit einer Partikelgrößenverteilung für die gilt: p >= 0,5, vorzugsweise p >= 0,6, und besonders vorzugsweise p >= 0,7,
(d) Calciumcarbonat mit einer kubischen Gestalt und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt: p >= 0,2, vorzugsweise p >= 0,3 und p <= 0,7, vorzugsweise p <= 0,6, oder
(e) Calciumcarbonat mit einer skalenoedrischen Kristallstruktur und mit einer Partikelgrößenverteilung, für die gilt: p >= 0,40, vorzugsweise p >= 0,45 und p <= 0,60, vorzugsweise p <= 0,55,
wobei gilt: p = d50/(d90-dl0), wobei die mittlere Größe d50 der Füllstoffpartikel in der aufgetragenen Zusammensetzung mindestens 0,1 mym und höchstens 10 mym beträgt, wobei die Füllstoffpartikel in der aufgetragenen Zusammensetzung durch eine der Füllstoffpartikelarten (a) bis (e) gebildet sind, oder wobei die Füllstoffpartikel in der aufgetragenen Zusammensetzung durch ein Gemisch aus zwei Füllstoffpartikelarten gebildet sind, wobei das genannte Gemisch ein Gemisch aus den Füllstoffpartikelarten (a) und (d), (d) und (b), (d) und (e), oder (a) und (c) ist, und wobei die in den behandelten Teilbereichen aufgetragene Materialmenge, angegeben als Masse/Auftragsfläche im getrockneten Zustand mindestens 0,5 g/m**(2) und höchstens 12g/m**(2) beträgt."
Ferner wurde der erteile Anspruch 7 gestrichen, die übrigen Ansprüche entsprechend umnummeriert und der erteilte Anspruch 8 (nun Anspruch 7) in gleicher Weise geändert wie Anspruch 1.
2.2 Zulassung
Hilfsantrag 1 wurde bereits erstinstanzlich binnen der Frist zur Einreichung neuer Unterlagen nach Regel 116 EPÜ eingereicht. Da allerdings das Patent in der erteilten Fassung aufrechterhalten wurde, ist über diesen Antrag erstinstanzlich nicht entschieden worden. Weil Streitgegenstand der Beschwerde nur die angefochtene Entscheidung ist, sind erstinstanzlich gestellte Anträge, über die nicht entschieden worden ist, nicht automatisch Teil des Beschwerdeverfahrens und es besteht für die beschwerdeführende Einsprechende kein Anlass, sich bereits in der Beschwerdebegründung mit solchen Anträgen auseinanderzusetzen, selbst wenn sie erstinstanzlich dazu noch nicht Stellung genommen hat. Werden durch die Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren die bereits erstinstanzlich gestellten, aber nicht verbeschiedenen Anträge (übertragene Anträge oder "carry-over requests") mit der Beschwerdebegründung erneut gestellt, so sind sie nach Art. 12(4), 12(2) VOBK 2020 dann nicht als Änderung zu betrachten, wenn sie erstinstanzlich "in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurden". Ist dies nicht der Fall, sind sie Änderungen, deren Zulassung im Ermessen der Kammer steht.
2.2.1 Das oben genannte Kriterium "in zulässiger Weise vorgebracht" ist unklar und wird weder durch die englische Fassung "admissibly raised" noch die französische "valablement soulevé" klarer. Dadurch, dass die Einspruchsabteilung einen durch die Beschwerdekammer nur begrenzt überprüfbaren Ermessensspielraum bei der Zulassung von Anträgen hat, scheint es so, als müsse die Beschwerdekammer nach Art. 12(4) VOBK etwas ex ante beurteilen, das sie ex post nur im Hinblick auf die fehlerfreie Ermessensausübung überprüfen kann. "Admissibly raised" wäre insoweit auszulegen als: "Hätte durch die Einspruchsabteilung zugelassen werden können". Ob etwas "in zulässiger Weise vorgebracht" oder "valablement soulevé" wurde, kann nur dann festgestellt werden, wenn die Einspruchsabteilung darüber eine Entscheidung getroffen hat, was aber vorliegend nicht der Fall ist. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Rechtsprechung das obige Kriterium in unterschiedlicher Weise ausgelegt hat, entweder nämlich als "vor der in Regel 116(1) EPÜ genannten Frist" (Entscheidungen T 42/20 Punkt 4.2;
T 221/20 Punkt 2.4 und T 738/20 Punkt 5.6), als "in Übereinstimmung mit den zur Zeit der Einspruchsentscheidung geltenden Richtlinien" (Entscheidungen T 364/20, Leitsatz;
T 446/22 Punkte 3.4, 3.7; T 731/22 Punkt 2.2.; T 924/22 Punkt 4), oder aber unabhängig von den Richtlinien (Entscheidungen T 246/22 Punkt 4.14 und T 506/23 Punkt 8.3: es genüge, wenn die Anträge hätten zugelassen werden können; T 1135/22 Punkt 5.3: Darlegungslast bei der Patentinhaberin).
2.2.2 Die obigen Kriterien sind hilfreiche Anhaltspunkte für die aus Sicht der Kammer entscheidende Frage, ob die Patentinhaberin (oder eine andere Verfahrenspartei) bei der Einreichung im Einspruchsverfahren redlicherweise hätte davon ausgehen können, dass ihre Anträge zugelassen würden. Denn ob Anträge oder sonstige Dokumente tatsächlich entscheidungserheblich werden, kann eine Partei nicht voraussehen. Wohl aber kann eine Partei alles dafür tun, um die begründete und berechtigte Erwartung zu hegen, ein Antrag oder Dokument werde zugelassen werden, soweit dies entscheidungserheblich würde. Die Kammer legt das Merkmal "in zulässiger Weise vorgebracht" daher im Sinne von "in der redlichen Erwartung vorgebracht, dass es zugelassen werde" aus und versteht die Vorschrift als eine Ausprägung des im gesamten Verfahren vor dem EPA geltenden Grundsatz des Vertrauensschutzes (Entscheidung G 5/88, Punkte 3.2-3.4). Vorliegend hat die Patentinhaberin ihre Hilfsanträge im Einspruchsverfahren innerhalb der Frist von Regel 116 (1) EPÜ eingereicht und begründet. Es bestand daher für die Patentinhaberin die berechtigte Erwartung, dass diese Hilfsanträge, sollte es erforderlich werden, in das Verfahren zugelassen werden würden. Anhaltspunkte dafür, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen in anderer Weise ausgeübt haben würde, bspw. durch eine fehlende Begründung (Entscheidung T 246/22, Leitsatz), eine übergroße Anzahl oder divergierende Anträge (zu letzteren Entscheidung T 1800/20, Leitsatz), sieht die Kammer jedenfalls im Hinblick auf Hilfsantrag 1 nicht. Aus Sicht der Kammer ist Hilfsantrag 1 deshalb erstinstanzlich in zulässiger Weise vorgebracht worden.
2.2.3 Der Hilfsantrag wurde, gemeinsam mit anderen, in der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung erneut gestellt. Zur Begründung hat die Patentinhaberin dabei pauschal auf ihr erstinstanzliches Vorbringen verwiesen. Auch dies ist aus Sicht der Kammer nicht zu beanstanden. Denn da sich die Einsprechende in ihrer Beschwerdebegründung nicht mit den Hilfsanträgen auseinandergesetzt hat, bestand für die Patentinhaberin keine Veranlassung zu einem erneuten Vorbringen. Es ist auch nicht erforderlich, die im Einspruchsverfahren vorgebrachte und unwidersprochen gebliebene Begründung im Beschwerdeverfahren verbatim durch ein Kopieren nochmals zu wiederholen. Diese Art der Fleißarbeit bringt die Rechtsfindung nämlich nicht voran (Entscheidung T 108/20 Punkt 4.2.2).
2.2.4 Die Kammer ist deshalb zu der Auffassung gelangt, dass der Antrag in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde und somit keine Änderung im Sinne von Artikel 12(4) VOBK darstellt. Die Beschwerdeführerin hat noch vorgebracht, der Antrag sei aufgrund mangelnder Konvergenz nicht zuzulassen, aber dieses Argument wäre höchstens für die niederrangigeren Hilfsanträge von Relevanz, aber nicht für Hilfsantrag 1.
2.3 Artikel 123(2) EPÜ
Es ist offensichtlich, dass die Aufnahme des gestrichenen Merkmals den gegen den Hauptantrag erhobenen Einwand ausräumt. Bezüglich der weiteren Änderungen ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass sie durch die ursprüngliche Offenbarung gestützt sind (Seiten 8, 11, 26, 27, 29). Die Beschwerdeführerin hat dem nicht widersprochen bzw. keinen Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ vorgebracht. Auch für die Kammer ist fürderhand ein Verstoß gegen Art. 123(2) EPÜ nicht ersichtlich.
2.4 Neuheitseinwände wurden gegen diesen Antrag ebenfalls nicht vorgebracht. Aus diesen Gründen muss über die Zulassung der Dokumente D21-D33, die nur im Rahmen des Neuheitseinwands gegen den Hauptantrag eingereicht wurden, nicht entschieden werden.
2.5 Durch die Beschränkung auf Zusammensetzungen, deren Füllstoffpartikel aus Partikeln der Gruppen (a)-(e) oder der genannten Mischungen gebildet werden, wird auch der Schutzumfang nicht erweitert (Artikel 123(3) EPÜ). Auch hier wurde ein entsprechender Einwand nicht vorgetragen.
2.6 Erfinderische Tätigkeit
Die Kammer ist zu dem Schluss gelangt, dass nicht gezeigt wurde, dass der Gegenstand von Anspruch 1 durch den Stand der Technik nahegelegt wird.
2.6.1 Die Erfindung betrifft Zigarettenpapier mit selbstlöschenden Eigenschaften.
2.6.2 D2 ist auf einen sehr ähnlichen Gegenstand gerichtet und die Kammer stimmt mit den Parteien überein, dass das Dokument einen geeigneten Ausgangspunkt zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Offenbart wird ein Zigarettenpapier, das mindestens einen behandelten Teilbereich aufweist, in dem eine Zusammensetzung aufgetragen ist, die ein filmbildendes Material und Füllstoffpartikel enthält. Nicht offenbart
ist zumindest, dass die Füllstoffpartikel der aufgetragenen Zusammensetzung aus den Typen (a)-(e) oder aus den im Anspruch genannten Mischungen gebildet sind. Ebensowenig ist offenbart, dass die Füllstoffpartikel der behandelten Teilbereiche zu mindestens 20% aus den Partikeltypen (a)-(e) gebildet werden.
2.6.3 Die Kammer geht zugunsten der Beschwerdeführerin davon aus, dass kein technischer Effekt durch die unterscheidenden Merkmale hervorgerufen wird, so dass die Aufgabe als die Bereitstellung eines alternativen Zigarettenpapiers formuliert werden kann.
2.6.4 Als Lösung schlägt das Streitpatent vor, die behandelten Teilbereiche bzw. die Zusammensetzung der Beschichtung wie beansprucht auszubilden.
2.6.5 Es ist jedoch nicht überzeugend dargelegt worden, dass diese Lösung ausgehend von D2 naheliegend ist. Die Beschwerdeführerin hat auf D17-D20 verwiesen, aber gleichzeitig zugestanden, dass diese Dokumente keine Füllstoffpartikel offenbaren, die die p-Werte der Merkmale (a)-(e) aufweisen. Zwar sind die beanspruchten Bereiche in der Tat breit, aber das bedeutet nicht, dass die beanspruchten Bereiche p-Werte umfassen, welche die üblicherweise als Füllstoffe verwendeten Partikel p-Werte aufweisen. Nur in diesem Fall würde die Fachperson durch die Lehre von D17-D20 in naheliegender Weise zur beanspruchten Beschichtungszusammensetzung gelangen, aber dies wurde nicht gezeigt. Dazu kommt, dass das Basispapier gemäß D2 auch zwingend Füllstoffe enthält (Anspruch 1, Seite 7, letzter Absatz), so dass das wieder aufgenommene, die Füllstoffe des behandelten Teilbereichs betreffende Merkmal nicht automatisch erfüllt ist, selbst wenn die aufgetragene Zusammensetzung anspruchsgemäß ausgewählt wird. Um zu diesem Merkmal zu gelangen, müsste die Fachperson auch für den Füllstoff im Basispapier Partikel der Typen (a)-(e) auswählen, obwohl diese im Stand der Technik so nicht offenbart sind (siehe oben) und obwohl in D2 mit Magnesiumoxid auch ein alternativer Füllstoff offenbart wird (Seite 8, erster Absatz). Alternativ, d.h. wenn der Papierfüllstoff nicht aus den Typen (a)-(e) gebildet wird, müsste die Fachperson zumindest sehr hohe Füllstoffgehalte in der Beschichtung einsetzten, um zu einem Papier zu gelangen, das in den behandelten Bereichen Füllstoffe aufweist, die zu mehr als 20 Gew.-% aus Füllstoffen der Gruppen (a)-(e) gebildet werden, wofür es in D2 keinen Hinweis gibt. Vielmehr sind das Einbringen von Füllstoffe in die Beschichtungsmischung wie auch das Vorsehen eines Filmbildners laut D2 lediglich optionale Maßnahmen.
2.6.6 Aus diesen Gründen ist die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass nicht gezeigt wurde, dass die Fachperson in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen würde.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe
zurückverwiesen, das Patent in der Fassung des
1. Hilfsantrages vom 17. Dezember 2021 und einer eventuell
noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.