European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T180020.20230928 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 28 September 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1800/20 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07785849.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01N 21/53 G01N 21/85 A61M 1/16 A61B 5/1455 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SPEKTROSKOPISCHER DETEKTOR UND VERFAHREN ZUR BESTIMMUNG VON BLUT UND BIOLOGISCHEN MARKERSUBSTANZEN IN FLÜSSIGKEITEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Fresenius Medical Care Deutschland GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | B. Braun Avitum AG | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1' (nein) Änderung des Vorbringens - Hilfsantrag 2' Änderung des Vorbringens - in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten (nein) Änderung nach Ladung - Hilfsantrag 3' Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (ja) Zurückverweisung - (ja) |
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Orientierungssatz: |
Ein Antrag mit einem Anspruchssatz, der in dem erstinstanzlichen Verfahren eingereicht, jedoch nicht verbeschieden wurde, wird im Beschwerdeverfahren nicht automatisch zugelassen sondern daraufhin geprüft, ob er im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde. Dabei ist das Kriterium der Konvergenz mit höherrangigen Anträgen zu berücksichtigen. Sollte der Antrag nicht in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten worden sein, hat die Kammer das Ermessen ihn nicht zuzulassen. Siehe Punkte 3.1 bis 3.7 der Entscheidungsgründe. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende haben gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 2032967 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Patent in gesamtem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit den Artikeln 52(1), 54(1) und 56 EPÜ 1973 angegriffen worden.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem zweiten Hilfsantrag das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 28. September 2023 statt.
VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (d.h. die Zurückweisung des Einspruchs), hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hilfsantrag 1' eingereicht mit Schreiben vom 25. August 2023 (erstmals eingereicht als Hilfsantrag 2 mit Schreiben vom 10. Oktober 2019), und weiter hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung mit den Ansprüchen gemäß Hilfsanträgen 2' bis 5 ', alle eingereicht mit Schreiben vom 25. August 2023.
Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VII. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf das folgende, aus dem erstinstanzlichen Verfahren bereits bekannte Dokument:
D9: WO 2004/057313 A1.
VIII. Die Eingaben der Einsprechenden werden wie folgt mit E1 und E2 wie bezeichnet:
E1: Beschwerdebegründung, eingereicht mit Schreiben vom 26. November 2010,
E2: Schreiben vom 8. April 2021.
Die Eingaben der Patentinhaberin werden wie folgt mit P1 bis P3 bezeichnet:
P1: Beschwerdeerwiderung, eingereicht mit Schreiben vom 25. November 2020,
P2: Schreiben vom 12. April 2021,
P3: Schreiben vom 25. August 2023.
IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Detektor zur Messung von Streulicht in Flüssigkeiten mit einem Gehäuse (12), das einen durch das Gehäuse (12) geführten, lichtdurchlässigen, flexiblen, Flüssigkeit (10) transportierenden Schlauch (18), einen Lichtemitter (24) und einen Lichtdetektor (28) umfasst,
dadurch gekennzeichnet, dass in dem Gehäuse (12) wenigstens eine plane Fläche (32, 34) gebildet ist, an der der Schlauch (18) derart angeordnet ist, dass die anliegende Schlauchwand (31) plan geformt ist,
und der Lichtemitter (24) mit seiner optischen Achse im Wesentlichen senkrecht zu der planen Fläche an der Schlauchwand (38) angeordnet ist und
der Lichtdetektor (28) an der Schlauchwand (38) benachbart zu dem Lichtemitter (24) angeordnet ist,
wobei die optischen Achsen von Lichtemitter (24) und Lichtdetektor (28) einen Winkel von kleiner als 90° bilden".
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1' lautet:
"Detektor zur Messung von Streulicht in Flüssigkeiten mit einem Gehäuse (12), das einen durch das Gehäuse (12) geführten, lichtdurchlässigen, flexiblen, Flüssigkeit (10) transportierenden Schlauch (18), einen Lichtemitter (24) und einen Lichtdetektor (28) umfasst,
wobei in dem Gehäuse (12) wenigstens eine plane Fläche (32, 34) gebildet ist, an der der Schlauch (18) derart angeordnet ist, dass die anliegende Schlauchwand (31) plan geformt ist,
und der Lichtemitter (24) mit seiner optischen Achse im Wesentlichen senkrecht zu der planen Fläche an der Schlauchwand (38) angeordnet ist und
der Lichtdetektor (28) an der Schlauchwand (38) benachbart zu dem Lichtemitter (24) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass die optischen Achsen von Lichtemitter (24) und Lichtdetektor (28) einen Winkel von 35 bis 55° bilden".
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2' lautet:
"Vorrichtung zur Blutbehandlung mit einer Blutbehandlungseinheit (62), einem mit der Blutbehandlungseinheit (62) verbundenen Blutkreislauf (60) und einen ebenfalls mit der Blutbehandlungseinheit (62) verbundenen Sekundärkreislauf (66), insbesondere Dialysierflüssigkeitskreislauf, wobei der Sekundärkreislauf (66) ein Schlauchsystem und einen Detektor (8) zur Messung von Streulicht in Flüssigkeiten mit einem Gehäuse (12) aufweist, das einen durch das Gehäuse (12) geführten, lichtdurchlässigen, flexiblen, Flüssigkeit (10) transportierenden Schlauch (18), einen Lichtemitter (24) und einen Lichtdetektor (28) umfasst,
dadurch gekennzeichnet, dass in dem Gehäuse (12) wenigstens eine plane Fläche (32, 34) gebildet ist, an der der Schlauch (18) derart angeordnet ist, dass die anliegende Schlauchwand (31) plan geformt ist,
und der Lichtemitter (24) mit seiner optischen Achse im Wesentlichen senkrecht zu der planen Fläche an der Schlauchwand (38) angeordnet ist und
der Lichtdetektor (28) an der Schlauchwand (38) benachbart zu dem Lichtemitter (24) angeordnet ist,
wobei die optischen Achsen von Lichtemitter (24) und Lichtdetektor (28) einen Winkel von kleiner als 90° bilden".
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3' unterscheidet sich von dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2' lediglich dadurch, dass das letzte Merkmal wie folgt lautet:
"wobei die optischen Achsen von Lichtemitter (24) und Lichtdetektor (28) einen Winkel von kleiner als 35° bis 55° bilden".
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu im Hinblick auf D9 (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 54(1) EPÜ 1973).
1.1 Wie von der Einsprechenden in der Beschwerdebegründung vorgetragen, offenbart die Druckschrift D9, insbesondere in Verbindung mit dem in den Figuren 1 bis 3 gezeigtem Ausführungsbeispiel, einen Detektor zur Messung von Streulicht in Flüssigkeiten
[Detektorenanordnung (1; 6a bis 6d; Figur 3), die dazu geeignet ist, Streulicht in Flüssigkeiten zu messen; siehe z.B. Seite 1, Zeilen 22 und 23],
mit einem Gehäuse
[zwei Hälften (2, 3; Figur 3) eines Gehäuses; Seite 3, Zeilen 14 und 15],
das einen durch das Gehäuse geführten, lichtdurchlässigen, flexiblen, Flüssigkeit transportierenden Schlauch
[Schlauch (8; Figur 3; Seite 2, Zeilen 21 bis 27)],
einen Lichtemitter
[LED (5a bis 5d; Figur 3; Seite 3, Zeilen 13 bis 15)],
und einen Lichtdetektor umfasst
[Photodioden (6a bis 6d; Figur 3; Seite 3, Zeilen 16 bis 18)],
wobei in dem Gehäuse wenigstens eine plane Fläche gebildet ist, an der der Schlauch derart angeordnet ist, dass die anliegende Schlauchwand plan geformt ist
[der Schlauch ist derart an der Innenwand des Gehäuses angeordnet, dass er an den vier planen Seiten der Innenwand des Gehäuses anliegt und daher eine plan geformte Schlauchwand aufweist; Figuren 1 und 2; Seite 5, Zeilen 21 und 22],
und der Lichtemitter mit seiner optischen Achse im Wesentlichen senkrecht zu der planen Fläche an der Schlauchwand angeordnet ist
[das Laserlicht ist senkrecht auf den Schlauch gerichtet (Seite 2, Zeilen 27 und 28)],
und der Lichtdetektor an der Schlauchwand benachbart zu dem Lichtemitter angeordnet ist
[die Photodiode 6a ist an der gleichen planen Seite der Schlauchwand angeordnet als die LED 5a; Figur 3; Seite 4, Zeilen 2 bis 5; Seite 3, Zeilen 1 und 2],
wobei die optischen Achsen von Lichtemitter und Lichtdetektor einen Winkel von kleiner als 90° bilden
[die Lichtemitter (5a bis 5d) und die Photodioden (6a bis 6d) sind an den vier Seiten des Gehäuses, das einen rechteckigen Querschnitt aufweist, so angeordnet, dass ihre optische Achsen senkrecht zueinander stehen (Figuren 1 bis 3; Seite 2, Zeilen 27 bis 29; Seite 4, Zeilen 1 bis 6); insbesondere sind die Photodiode 6a und der Lichtemitter 5a auf derselben Seite der Schlauchwand so angeordnet, dass ihre optischen Achsen parallel zueinander sind, d.h. einen Winkel von 0° bilden].
Somit offenbart D9 alle Merkmale des Anspruchs 1 und nimmt die Neuheit des beanspruchten Detektors vorweg.
1.2 Argumente der Patentinhaberin für die Neuheit
1.2.1 Dem Fachmann sei klar, "dass die beanspruchte Erfindung echt parallele, benachbarte optische Achsen nicht mit umfassen kann" (P1, Seite 5, letzter Absatz).
1.2.2 Dies ergebe sich beispielsweise daraus, dass "[b]ei sämtlichen Ausführungsbeispielen (...) die optischen Achsen von Lichtemitter und Lichtdetektor gegeneinander geneigt" seien (P1, Seite 6, vierter Absatz).
1.2.3 Des Weiteren ginge aus der Patentschrift deutlich hervor, "dass sich die optischen Achsen in einem Punkt schneiden, um einen Winkel einschließen zu können" (P1, Seite 6, fünfter Absatz), denn "[e]inen Winkel bilden Geraden (...), wenn Sie [sic] in einer Ebene liegen und einen gemeinsamen Punkt aufweisen" (P3, Seiten 4 und 5 überbrückender Absatz). Das zwingende Vorhandensein eines Schnittpunktes der optischen Achsen leitete die Patentinhaberin auch daraus ab, dass der Anspruch 1 einen Detektor zur Messung von Streulicht definiert. Der Anspruchswortlaut erfordere somit eine physikalische Streuung und ein Streuzentrum, in welchem sich die optischen Achsen von Lichtemitter und Lichtdetektor überlappen müssten (P3, Seite 5, zweiter und dritter Absatz).
1.2.4 Schon weil D9 "ein diffuses Messprinzip ohne Streuung" offenbare, bei dem es kein Streuzentrum und damit auch keinen Schnittpunkt der optischen Achsen von Lichtemitter und Lichtdetektor gebe, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber D9 (P3, Seite 15, letzter Absatz). Während der mündlichen Verhandlung betonte die Patentinhaberin, dass D9, Seite 5, Zeilen 25 bis 29, nämlich ein "offset" zwischen den optischen Achsen von Lichtemitter und Lichtdetektor und ein "dispersed" Licht offenbare (anstatt "scattered" oder "gestreut").
1.2.5 Nach Ansicht der Patentinhaberin, offenbart D9 "als Winkel nur 90° oder parallele Geraden, was kein Winkel im Sinne der uns umgebenden praktischen Realität ist". Somit offenbare D9 keinen Winkel kleiner als 90°, und der Gegenstand des Anspruchs 1 sei auch in dieser Hinsicht neu gegenüber D9 (P3, Seite 16, erster Absatz).
1.2.6 Die Patentinhaberin wies darauf hin, dass D9 zwar eine Photodiode 6a und einen Lichtemitter 5a offenbare, deren optische Achsen parallel zueinander verliefen, dass aber die Photodiode 6a nicht das vom Lichtemitter 5a emittierte Licht erfasse, sondern das von den Lichtemittern 5b und 5d emittierte Licht, deren Achsen nicht parallel, sondern senkrecht zur optischen Achse des Lichtdetektors 6a verliefen.
1.3 Die Kammer kann die Argumente der Patentinhaberin für die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 nicht nachvollziehen.
1.3.1 Es ist unstreitig, dass D9 parallele optische Achsen des Lichtemitters und des Lichtdetektors offenbart. Wie von der Einsprechenden vorgetragen, ist dem Fachmann bekannt, dass parallele Achsen einen Nullwinkel aufweisen. Da 0° kleiner als 90° ist, ist das Merkmal "Winkel von kleiner als 90°" des Anspruchs 1 durch D9 vorweggenommen.
1.3.2 Die mathematischen Erläuterungen der Patentinhaberin hinsichtlich des Begriffs "Winkel", der zwingend zwei sich in einem Schnittpunkt schneidende Geraden in einer Ebene voraussetze, sind nicht überzeugend. Eine solche enge Definition eines Winkels, der den Nullwinkel von zwei parallelen Geraden ausschließt, geht nicht aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 hervor. Daher ist es unerheblich, dass die parallelen optischen Achsen in D9 keinen realen Schnittpunkt aufweisen.
1.3.3 Die Kammer ist auch nicht davon überzeugt, dass der Begriff in Anspruch 1 "zur Messung von Streulicht" in irgendeiner Weise eine Abgrenzung zu dem in D9 offenbarten Detektor definiert. Denn dieser Begriff definiert lediglich die funktionale Eignung des Detektors "zur Messung von Streulicht". Es steht außer Frage, dass die in D9 offenbarten Photodioden "zur Messung von Streulicht" geeignet sind. Des Weiteren wird in D9, Seite 1, Zeilen 22 und 23 ausdrücklich offenbart, dass die Erfindung in D9 das technische Gebiet der Messung von Streulicht ("light scattering") betrifft. Darüber hinaus ist der in D9 ebenfalls verwendete Begriff "dispersed light" breit im Sinne von ungerichtetem oder gestreutem Licht zu verstehen.
1.3.4 Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin kann der Umstand, dass alle Ausführungsbeispiele des Patents gegeneinander geneigte optische Achsen aufweisen, nicht zu einer entsprechenden Einschränkung des beanspruchten Gegenstands führen. Denn der Gegenstand eines Anspruchs wird grundsätzlich allein durch den Anspruchswortlaut bestimmt.
1.3.5 Das Argument der Patentinhaberin, dass in D9 die Photodiode 6a, deren optische Achse parallel zu dem Lichtemitter 5a verläuft, nicht das Licht von dem Lichtemitter 5a erfasse, ist für die Frage der Neuheit des beanspruchten Detektors unerheblich, da Anspruch 1 des Patents offen lässt, welches Licht vom Lichtdetektor erfasst wird.
2. Hilfsantrag 1' - Erfinderische Tätigkeit
2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist keine erfinderische Tätigkeit auf im Hinblick auf D9 (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973).
2.1.1 Nächstliegender Stand der Technik
Es ist unstreitig, dass D9 als der nächstliegende Stand der Technik angesehen werden kann.
2.1.2 Unterscheidungsmerkmal
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem aus D9 bekannten Detektor lediglich dadurch, dass die optischen Achsen des Lichtemitters und des Lichtdetektors einen Winkel von 35° bis 55° statt 0° bilden.
2.1.3 Technischer Effekt des Unterscheidungsmerkmals
Aus der Patentbeschreibung ([0027], [0058] und 0063]) geht hervor, dass der Winkel zwischen den optischen Achsen des Lichtemitters und des Lichtdetektors vorteilhafterweise 45° beträgt. Anspruch 3 des Patents in der erteilten Fassung definiert einen Winkelbereich von 35° bis 55°. Ob und welcher spezifische technische Effekt mit der Wahl des Winkelbereichs von 35° bis 55° verbunden ist, geht jedoch aus der Patentschrift nicht hervor. Im Gegenteil, laut Absatz [0063] der Beschreibung sind "auch andere Winkel möglich (...) und [hängen] lediglich von der Messgeometrie der eingesetzten Lichtemitter bzw. -detektoren" ab. Somit verbindet die Patentschrift keinen besonderen technischen Effekt mit der Auswahl eines spezifischen Winkelbereichs.
Es ist auch für die Kammer nicht erkennbar, welchen besonderen technischen Effekt das Unterscheidungsmerkmal bewirkt. Wie in der Patentschrift, [0063], bereits angedeutet, geht der technische Effekt nicht über die allgemeine Bereitstellung einer beispielhaften geometrischen Anordnung eines Lichtemitters, eines Lichtdetektors und eines Flüssigkeit transportierenden Schlauchs hinaus. Der optimale Winkel zwischen den optischen Achsen ist abhängig u.a. von den winkelabhängigen Lichtemitter- und Lichtdetektoreigenschaften sowie von den winkelabhängigen Streulichteigenschaften der zu detektierenden Substanzen. Da diese Parameter nicht in dem Anspruch 1 definiert sind, kann kein besonderer technischer Effekt an das Unterscheidungsmerkmal geknüpft sein.
2.1.4 Objektive technische Aufgabe
Laut der Patentschrift besteht die allgemeine Aufgabe der Erfindung in der "Bereitstellung eines Detektors zur Detektion von Blut in einem über den Filter laufenden Sekundärkreislauf, in dem sich eine optisch dichte, suspendierte Lösung befindet" (siehe Patent, [0012]). Diese Aufgabenformulierung ist für das vorliegende Unterscheidungsmerkmal zu unspezifisch, da der beanspruchte Winkelbereich für sich genommen nicht alleine verantwortlich für die "Detektion von Blut in einer optisch dichten, suspendierten Lösung" ist.
Da das Unterscheidungsmerkmal keinen besonderen, über die Bereitstellung einer beispielhaften geometrischen Anordnung eines Lichtemitters, eines Lichtdetektors und eines Flüssigkeit transportierenden Schlauchs hinausgehenden technischen Effekt aufweist, teilt die Kammer die Auffassung der Einspruchsabteilung (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 18.2) und der Einsprechenden, dass die objektive technische Aufgabe darin besteht, eine alternative (geometrische) Anordnung des Detektors von D9 bereitzustellen.
2.1.5 Lösung der technischen Aufgabe
Entgegen der Meinung der Einspruchsabteilung und der Patentinhaberin ist die Kammer der Auffassung, dass der Fachmann, ausgehend von dem Detektor von D9, Figuren 1 bis 3, die geometrische Anordnung des Detektors von D9 auf die konkreten Gegebenheiten abstimmen würde und dabei, abhängig von diesen Gegebenheiten, einen Detektor bereitstellen würde, der unter den Wortlaut des Anspruchs 1 fällt. Bei dieser Anpassung der geometrischen Anordnung des Lichtdetektors würden u.a. folgende Aspekte durch den Fachmann aufgrund seines inhärenten Denkvermögens in Betracht gezogen:
a) Die Ausdehnung und Orientierung des Lichtkegels des Lichtemitters definiert den Bereich, der in dem Schlauch beleuchtet wird.
b) Die beleuchteten Substanzen in diesem Bereich des Schlauchs streuen das Licht in bestimmte Richtungen mit unterschiedlichen Intensitäten, die von den inhärenten Streueigenschaften der Substanzen und eventuell von der Einfallsrichtung des Beleuchtungslichtes abhängen.
c) Der Lichtdetektor empfängt das von den Substanzen gestreute Licht innerhalb eines bestimmten Lichtkegels, dessen Ausdehnung und Orientierung vom Aufbau des Lichtdetektors abhängen (z.B. von dem Vorhandensein einer Licht sammelnden Optik oder einer Neigung der optischen Achse des Lichtdetektors).
d) Zur Optimierung der Detektion des Streulichts durch den Detektor ist die optische Achse des Detektors in Richtung des beleuchteten Bereichs und des Streulichts zu orientieren, und zwar so, dass die gewünschte Menge an Licht von dem Lichtdetektor erfasst wird. Abhängig von den konkreten Gegebenheiten (z.B. Ausgestaltung des Lichtemitters und des Lichtdetektors; lichtstreuende Eigenschaften der zu messenden Substanzen; erwünschte Menge an zu erfassendem Licht durch den Lichtdetektor) stellt die Ausrichtung des Lichtemitters und des Lichtdetektors, bei der die jeweiligen optischen Achsen einen Winkel von 35° bis 55° bilden, eine offensichtliche Möglichkeit dar.
Diese grundsätzlichen Überlegungen zum Aufbau eines Detektors zur Messung von Streulicht gehören zum Standardwissen des Fachmanns und benötigen daher keine besonderen Belege.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein Fachmann, der mit der Aufgabe konfrontiert wird, eine alternative geometrische Anordnung des Detektors von D9 vorzuschlagen, naheliegenderweise eine Anordnung in Betracht ziehen würde, bei der die optischen Achsen des Lichtemitters und des Lichtdetektors einen Winkel zwischen 35° und 55° bilden.
2.2 Argumente der Patentinhaberin für die erfinderische Tätigkeit
2.2.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vertrat die Patentinhaberin die Auffassung, dass der technische Effekt des Unterscheidungsmerkmals darin bestehe, in dichten Medien einen kurzen Weg zwischen dem Streuzentrum und dem Lichtdetektor zu ermöglichen. Daher bestehe die zu lösende objektive technische Aufgabe darin, einen Detektor zur Messung von Streulicht in dichten Medien bereitzustellen, d.h. in Medien, in denen das Licht nur kurze Strecken zurücklegen kann, bevor die Lichtintensität zu gering wird, um von einem Lichtdetektor gemessen zu werden. Diese Aufgabe könne nicht anhand des in D9 verwendeten Messprinzips der "Mehrfachstreuung" gelöst werden. Da laut D9, Seite 5, letzter Absatz, nur Licht, welches ein erstes Mal aus dem Lichtkegel des Lichtemitters in den Lichtkegel des Lichtdetektors und von da in den Lichtdetektor zum zweiten Mal gestreut werde, würde der Lichtdetektor von D9 in dichten Medien nicht ausreichend Licht erfassen können.
Die von der Patentinhaberin vorgeschlagene Aufgabenformulierung überzeugt die Kammer nicht, denn die Kammer sieht keinen allgemeingültigen Zusammenhang zwischen der Dichte der Medien, in denen sich das Streulicht ausbreitet, einerseits und dem Unterscheidungsmerkmal, nämlich dem Winkel zwischen 35° und 55°, den die optischen Achsen des Lichtemitters und des Lichtdetektors bilden, andererseits. Die Dichte des Mediums beeinflusst zwar die Länge des vom Streulicht zurückgelegten Weges, nicht aber in allgemeingültiger Weise den Winkel zwischen den optischen Achsen des Lichtemitters und des Lichtdetektors. Wie bereits oben im Punkt 2.1.5 d) erläutert, hängt der Winkel zwischen den optischen Achsen von den konkreten Gegebenheiten der Messvorrichtung ab.
2.2.2 Die Patentinhaberin machte geltend, dass das in D9 verwendete Messprinzip auf der Grundlage der Mehrfachstreuung, der versetzten Anordnung von Lichtemittern und Lichtdetektoren und der Tatsache, dass sich deren optische Achsen nicht schneiden, aufgebaut sei. Der Fachmann habe ausgehend von D9 keine Veranlassung gehabt, von diesem Messprinzip abzuweichen, und habe auch aus anderen Druckschriften keinen entsprechenden Hinweis erhalten.
Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht. Da das Unterscheidungsmerkmal keinen besonderen technischen Effekt aufweist, ist die objektive technische Aufgabe allgemein formuliert und besteht nur darin, eine alternative Ausführung für den Detektor bereitzustellen (siehe oben Punkte 2.1.3 und 2.1.4). Die Lösung dieser Aufgabe bedarf weder einer besonderen Veranlassung noch eines konkreten Hinweises. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die versetzte Anordnung und die daraus resultierende Mehrfachstreuung nur ein bestimmtes Ausführungsbeispiel von D9 betrifft. D9 offenbart jedoch auch andere Ausführungsbeispiele, darunter eines, bei dem die Lichtemitter und die Lichtdetektoren in derselben Ebene liegen und somit nicht zwingend eine Mehrfachstreuung und eine versetzte Anordnung benötigen (D9, Seite 2, letzter Absatz).
2.2.3 Die Patentinhaberin verwies in der mündlichen Verhandlung auf den Wortlaut des Anspruchs 1, wonach der Lichtemitter und der Lichtdetektor zwingend an der gleichen Schlauchwand angeordnet seien. Dies gelte nur für den Lichtemitter 5a und den Lichtdetektor 6a von D9, die an derselben Schlauchwand angeordnet seien, jedoch nicht für die Lichtdetektoren 6b bis 6d, die nicht an derselben Schlauchwand wie der Lichtemitter 6a angeordnet seien. Da der Lichtdetektor 6a nicht das von dem Lichtemitter 5a emittierte Licht detektiere (D9, Seite 4, Zeilen 7 bis 18), gebe es auch für eine alternative Ausführung des Detektors keinen sinnvollen Grund, den Lichtdetektor 6a in Richtung des Lichtemitters 5a auszurichten.
Diese Argumentation der Patentinhaberin greift nicht durch. Denn um einen alternativen Aufbau des Detektors bereitzustellen, würde der Fachmann die Ausrichtung des Lichtdetektors 6a im Hinblick auf die ihm zugeordneten Lichtemitter 6b und 6d anpassen. Dabei würde der Fachmann, wie oben im Punkt 2.1.5 ausgeführt, alle relevanten Umstände wie die Messgeometrie, die Eigenschaften des Lichtemitters, des Lichtdetektors und der zu messenden Substanz sowie die erforderliche Menge des zu erfassenden Lichts berücksichtigen. Auch aufgrund der Ausrichtung des Lichtdetektors 6a zu den ihm zugeordneten Lichtemittern 6b und 6d ist die Wahl eines Winkels zwischen den optischen Achsen des Lichtemitters 5a und des Lichtdetektors 6a im Bereich von 35° bis 55° eine von vielen offensichtlichen Möglichkeiten.
Darüber hinaus ist anzumerken, dass aus dem Anspruchswortlaut nicht eindeutig hervorgeht, welche geometrische Form die in Anspruch 1 definierte Schlauchwand hat und ob sie zwingend eine einzige ebene Fläche aufweist. Insbesondere würde die Schlauchwand, die an den vier senkrecht zueinander angeordneten Teilflächen des Gehäuses von D9 anliegt, und somit insgesamt vier ebene Teilflächen aufweist, unter den Wortlaut des Anspruchs 1 fallen. Bei dieser breiteren Auslegung des Begriffs "Schlauchwand" wären auch die Lichtdetektoren 6b und 6d an derselben Schlauchwand wie der Lichtemitter 5a angeordnet, wenn auch an zueinander senkrechten Teilflächen dieser Schlauchwand.
3. Hilfsantrag 2' - Zulassung
Die Kammer übt ihr Ermessen unter Artikel 12(4) VOBK 2020 dahingehend aus, Hilfsantrag 2' nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.1 Hilfsantrag 2' wurde von der Patentinhaberin erstmals am 10. Dezember 2019 während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als Hilfsantrag 4 eingereicht, später als Hilfsantrag 4 mit der Beschwerdeerwiderung und letztendlich als Hilfsantrag 2' mit Schreiben vom 25. August 2023.
3.2 Obwohl der vorliegende Hilfsantrag 2' bereits im erstinstanzlichen Verfahren gestellt wurde, erfolgt dessen Zulassung zum Beschwerdeverfahren nicht automatisch. Die Einspruchsabteilung hatte weder über dessen Zulassung zum Einspruchsverfahren zu entscheiden, noch fand eine Debatte über die Patentierbarkeit des beanspruchten Gegenstands des damaligen Hilfsantrags 4 statt. Vielmehr entschied die Einspruchsabteilung während der mündlichen Verhandlung, das Patent auf der Grundlage des damaligen höherrangigen Hilfsantrags 2 aufrechtzuerhalten. Würde der vorliegende Hilfsantrag 2' in das Verfahren zugelassen, so fände vor der Beschwerdekammer keine Überprüfung einer bereits getroffenen erstinstanzlichen Entscheidung, sondern eine erstmalige Prüfung eines neuen Anspruchssatzes statt. Vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens ist es aber, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12(2) VOBK 2020).
3.3 Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2020, erster Satz, gilt: Wenn ein Teil des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nicht die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2020 erfüllt, so ist dieser Teil als Änderung zu betrachten, sofern der Beteiligte nicht zeigt, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde. Es steht im Ermessen der Kammer, solche Änderungen zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK 2020, zweiter Satz).
3.4 Das Vorbringen des Hilfsantrags 2' ist ein Teil des Beschwerdevorbringens der Patentinhaberin, das dem in Artikel 12(2) VOBK 2020 genannten Grundsatz nicht entspricht, da Hilfsantrag 2' der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde lag. Daher ist zu überprüfen, ob dieser Teil des Beschwerdevorbringens in dem erstinstanzlichen Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde.
Bei der Überprüfung, ob ein Teil des Beschwerdevorbringens in dem erstinstanzlichen Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht wurde, berücksichtigt die Kammer u.a. folgende Aspekte:
a) den Zeitpunkt des Vorbringens;
b) die Eignung des Vorbringens, die Einwände gegen den höherrangigen Antrag auszuräumen;
c) ob das Vorbringen neue Probleme aufwirft;
d) die Eignung des Vorbringens, Teil einer konvergenten Entwicklung des erstinstanzlichen Verfahrens zu sein (vgl. T 1903/13, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe).
3.5 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2' unterscheidet sich gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 1' dadurch, dass das Merkmal, wonach die optischen Achsen von Lichtemitter und Lichtdetektor einen Winkel von 35 bis 55° bilden, gestrichen wurde und das Merkmal eines Sekundärkreislaufes hinzugefügt wurde. Die Streichung des einzigen Merkmals des Anspruchs 1, das aus D9 nicht bekannt ist, und die Hinzufügung eines Merkmals, das mit der bisherigen Diskussion über die Ausrichtung des Lichtemitters und des Lichtdetektors in keinem Zusammenhang steht, bedeutet, dass mit der Zulassung des Hilfsantrags 2' zum Verfahren das Verfahren in eine divergierende Richtung gehen würde. Der Hilfsantrag 2' (damaliger Hilfsantrag 4) ist daher schon aus dem oben unter Punkt 3.4 d) genannten Aspekt der fehlenden Konvergenz mit dem höherrangigen Hilfsantrag 1' (damaliger Hilfsantrag 2) nicht in zulässiger Weise vorgebracht worden. Dabei ist zu beachten, dass der damalige Hilfsantrag 4 bereits zum Zeitpunkt des Vorbringens im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren gegenüber dem damaligen Hilfsantrag 2 keine konvergente Fortentwicklung des Verfahrens darstellte.
3.6 Darüber hinaus trug die Einsprechende vor, dass Hilfsantrag 2' (damaliger Hilfsantrag 4) erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden und daher als verspätet anzusehen sei. Die Patentinhaberin hat keine Gründe für das verspätete Vorbringen angegeben. Daher ist der Hilfsantrag 2', unabhängig von dem Kriterium der fehlenden Konvergenz, auch aufgrund des im Punkt 3.4 a) genannten Aspekts des verspäteten Vorbringens nicht in zulässiger Weise vorgebracht worden.
3.7 Da der Hilfsantrag 2' nicht im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht wurde, stellt sein Vorbringen im Beschwerdeverfahren eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Patentinhaberin dar, dessen Zulassung im Ermessen der Kammer steht. Die Kammer übt dieses Ermessen dahingehend aus, den Hilfsantrag 2' nicht in das Verfahren zuzulassen, da seine Behandlung wegen fehlender Konvergenz mit dem Gebot der Verfahrensökonomie nicht vereinbar wäre (vgl. T 1456/20, Punkt 4.5 der Entscheidungsgründe).
3.8 Argumente der Patentinhaberin für die Zulassung des Hilfsantrags 2'
3.8.1 Die Patentinhaberin trug in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vor, dass Hilfsantrag 2' zuzulassen sei, weil er bereits im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgelegen habe.
Die Kammer kann diese Auffassung nicht teilen. Wie oben in den Punkten 3.1 bis 3.7 erläutert, wurde Hilfsantrag 2' wegen fehlender Konvergenz nicht in zulässiger Weise im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgebracht und aufrechterhalten. Daher übt die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 12(4) VOBK 2020 dahingehend aus, den Hilfsantrag 2' nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.8.2 Die Patentinhaberin bestritt, dass Hilfsantrag 2' nicht konvergent mit den höherrangigen Anträgen sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2' entwickle sich in die gleiche Richtung wie der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1', nämlich in Richtung einer genaueren Definition einer Blutanalysevorrichtung.
Die Kammer ist aus den im Punkt 3.5 erläuterten Gründen nicht davon überzeugt, dass Hilfsantrag 2' eine konvergente Weiterentwicklung darstellt. Innerhalb des weiten technischen Gebiets der Blutanalyse versuchen Hauptantrag und Hilfsantrag 1', eine Erfindung im Hinblick auf die Messgeometrie des Lichtemitters und des Lichtdetektors zu definieren, während Hilfsantrag 2' eine Erfindung im Hinblick auf das Vorhandensein eines Sekundärblutkreislaufes zu definieren versucht. Diese beiden Erfindungen gehen in ganz unterschiedliche Richtungen.
4. Hilfsantrag 3'
Die Kammer lässt den Hilfsantrag 3' gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 in das Verfahren zu.
4.1 Die Einsprechende beantragt, den Hilfsantrag 3' aus den folgenden Gründen nicht in das Verfahren zuzulassen:
4.1.1 Es lägen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die eine Zulassung des Hilfsantrags 3' in das Verfahren rechtfertigen würden. Insbesondere hätte die Patentinhaberin nicht überrascht sein dürfen, dass in der Mitteilung der Kammer die fehlende Konvergenz mehrerer Hilfsanträge gemäß gefestigter Rechtsprechung gerügt worden sei.
4.1.2 Der Hilfsantrag 3' sei zu spät eingereicht worden. Obwohl die Mitteilung der Kammer mit dem Einwand fehlender Konvergenz der Patentinhaberin bereits anderthalb Jahre vor der mündlichen Verhandlung zugestellt worden sei, habe die Patentinhaberin den Hilfsantrag 3' erst einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht.
4.2 Die Kammer ist nicht überzeugt von den Argumenten der Einsprechenden, sondern der Ansicht, dass wenigstens die folgenden Gründe für eine Zulassung des Hilfsantrags 3' in das Verfahren sprechen:
Die angefochtene Entscheidung bestand in der Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des aktuellen Hilfsantrags 1'. Insofern hatte die Patentinhaberin keine Veranlassung, bereits im erstinstanzlichen Verfahren oder mit der Beschwerdebegründung einen Hilfsantrag zu stellen.
Erst nachdem die Einsprechende Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung des Patents eingelegt hatte, konnte die Patentinhaberin die Notwendigkeit erkennen, Hilfsanträge zu stellen, um unter anderem den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 1' zu überwinden. Dies tat die Patentinhaberin, in dem sie mit ihrer Beschwerdeerwiderung Hilfsanträge 1 bis 6 einreichte.
Anspruch 1 des vorliegenden Hilfsantrags 3' ist lediglich eine Kombination des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 2 und 4, die mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden und identisch sind mit den Hilfsanträgen 2 und 4 des erstinstanzlichen Verfahrens. Dies bedeutet, dass Anspruch 1 des Hilfsantrag 3' nur Merkmale aufweist, die der Einsprechenden seit dem erstinstanzlichen Verfahren bekannt gewesen sind.
Des Weiteren ist unstreitig, dass Hilfsantrag 3' durch die Aufnahme eines weiteren Merkmals in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1' eine konvergente Weiterentwicklung des Verfahrens darstellt.
Der Einwand fehlender Konvergenz wurde erstmals in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 erhoben. Die Patentinhaberin reichte daraufhin einen Monat vor der mündlichen Verhandlung den Hilfsantrag 3' ein, der diesen Einwand ausräumt. Im Hinblick darauf, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 3' nur Merkmale aufweist, die bereits aus dem erstinstanzlichen Einspruchsverfahren bekannt waren, ist die Kammer der Auffassung, dass eine Frist von einem Monat ausreichend Zeit für die Vorbereitung einer möglichen Erörterung aller diesbezüglich offenen Streitpunkte in der mündlichen Verhandlung lässt.
Aus diesen Gründen sieht die Kammer keinen Grund Hilfsantrag 3' nicht in das Verfahren zuzulassen.
5. Zurückverweisung an die erste Instanz
5.1 Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des vorliegenden Hilfsantrags 1', auf der Grundlage dessen die Einspruchsabteilung ein Patent aufrechterhalten hat, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, muss die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden.
5.2 Hilfsantrag 3' war nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung. Die erstmalige Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3' sowie etwaiger weiterer geänderter Ansprüche durch die Kammer ist mit dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, nämlich der gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung, nicht vereinbar.
5.3 Die Kammer beschließt daher, ihr Ermessen nach Artikel 111 (1) EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020 dahingehend auszuüben, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.