European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T044622.20240320 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 20 März 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0446/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 16160542.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B29C 65/20 B23C 3/30 B29C 65/78 B29C 65/00 E06B 3/96 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und Vorrichtung zum Verbinden von Profilstücken | ||||||||
Name des Anmelders: | Urban GmbH & Co. Maschinenbau KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Graf Synergy S.r.l. | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (Hilfsanträge 1, 2, 3.1: ja; Hilfsantrag 3.2: nein) Spät eingereichte Hilfsanträge - im Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (Hilfsanträge 3.1 und 3.2: ja) Neuheit (Hilfsantrag 3.2: ja) Erfinderische Tätigkeit (Hilfsantrag 3.2: ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das europäische Patent Nr. 3 072 668 in der geänderten Fassung gemäß Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Eine berichtigte Zwischenentscheidung wurde den Beteiligten mit Schreiben vom 21. Februar 2022 zugestellt.
III. Im Einspruchsverfahren hat die Einsprechende die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und i.V.m. Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) geltend gemacht.
IV. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1|WO 2013/132406 A1 |
D5|WO 2015/137893 A1 |
D8|F. Pohl und R. Reindl, "Klingelnberg Technisches Hilfsbuch", Springer-Verlag, 14. Auflage, 1960, Seiten 284 bis 287 und 374 bis 387|
D9|"Fachkunde Metall - Mechanische Technologie", Verlag Europa-Lehrmittel, 56. Auflage, 2010, Seiten 158 bis 174 und 316. |
V. Am 20. März 2024 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden.
VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte:
- als Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche des mit Schreiben von 1. September 2021 eingereichten Hilfsantrags 1,
- hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 2, 3.1, 3.2, 3.3, 4, 4.1, 5, 5.1, 6.1 und 6.2., sowie
- "das Beweismittel der sog. "Reproduktion" von Fig. 2 der D5 gemäß Beschwerdebegründung, S. 16" nicht im Verfahren zuzulassen.
VII. Die unabhängigen Ansprüche des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 1 lauten wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):
"1. Verfahren zum Verbinden von in einem Winkel aufeinanderstoßende Profilstücke [sic] (1), insbesondere Kunststoff-Profilstücke, zu einemgeschweißten [sic] Rahmen oder Teilrahmen, insbesondere eines Fenster- oder Türrahmens, umfassend die Schritte in angegebener Reihenfolge: [1.1] (i) Aufspannen der Profilstücke (1), [1.2] (ii) Ausgleich von mindestens einer Toleranz in mindestens einer sich senkrecht zu einer Rahmenebene erstreckenden Verbindungsfläche der Profilstücke durch ein Abtrennen von Profilmaterial im Bereich der Verbindungsflächen (10) mit wenigstens einem Bearbeitungswerkzeug (2), [1.3] (iii) Anschmelzen der Verbindungsflächen (10) und Kontaktieren der angeschmolzenen Verbindungsflächen (10) zur Ausbildung einer Schweißverbindung [1.4] dadurch gekennzeichnet, dass als Bearbeitungswerkzeug (2) ein Fräswerkzeug vorgesehen ist, [1.5] welches aus zwei Frässcheiben (23a) und (23b) gebildet ist, die symmetrisch, gegensinnig zueinander ausgerichtet sind und als Stirnplanfräser realisiert sind."
"13. Bearbeitungsmaschine zum Verbinden von in einem Winkel aufeinanderstoßenden Profilstücken (1), insbesondere Kunststoff-Profilstückezu [sic] geschweißten Rahmen oder Teilrahmen, insbesondere Fenster- oder Türrahmen, [13.1] wobei ein Profilmaterial abtrennendes Bearbeitungswerkzeug(2) [sic] vorgesehen ist, [13.2] das wenigstens eine zu einer Verbindungsfläche (10) parallel ausgerichtete Bearbeitungsfläche aufweist und [13.3] für ein mindestens teilflächiges, insbesondere vollflächiges Abtrennen von Profilmaterial an der Verbindungsfläche (10) vorgesehen ist, [13.4] dadurch gekennzeichnet, dass als Bearbeitungswerkzeug (2) ein Fräswerkzeug vorgesehen ist, [13.5] welches aus zwei Frässcheiben (23a) und (23b) gebildet ist, die symmetrisch, gegensinnig zueinander ausgerichtet sind und als Stirnplanfräser realisiert sind [13.6] und die Bearbeitungsmaschine zur Durchführung des Verfahrens gemäß einem der vorhergehenden Ansprüche ausgebildet ist."
VIII. Die Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 2 unterscheiden sich jeweils von den Ansprüchen 1 und 13 des Hilfsantrags 1 durch das folgende zusätzliche Merkmal:
"wobei die beiden Frässcheiben (23a) und (23b) von einem Distanzstück (26) beabstandet sind".
IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3.1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 durch das folgende zusätzliche Merkmal:
"wobei das Fräswerkzeug (2) als Doppelfräser ausgeführt ist und gleichzeitig beide Enden von zwei eingelegten Profilstücken (1, 1a) bearbeitet".
Anspruch 13 des Hilfsantrags 3.1 unterscheidet sich von Anspruch 13 des Hilfsantrags 2 durch das folgende zusätzliche Merkmal:
"wobei das Fräswerkzeug (2) als Doppelfräser ausgeführt ist und gleichzeitig beide Enden von zwei eingelegten Profilstücken (1, 1a) bearbeiten kann".
X. Die Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 3.2 unterscheiden sich jeweils von den Ansprüchen 1 und 13 des Hilfsantrags 3.1 durch das folgende zusätzliche Merkmal:
"wobei ein Riemenantrieb an dem Distanzstück 26 angreift".
XI. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hilfsantrag 1 - Artikel 123 (2) EPÜ
Die Patentanmeldung wie ursprünglich eingereicht offenbare in Absatz [0009] eindeutig, dass die Maßgenauigkeit des Endprodukts durch eine optimale Vorbereitung der Schweißflächen vor dem Schweißen erreicht werde. Gemäß der Ausführungsform der Absätze [0090] bis [0093] der Patentanmeldung, die in der Figur 5 dargestellt sei, sollten beide Profilenden gleichzeitig bearbeitet werden können. Da die Profile eingespannt seien, müsse der genaue Abstand zwischen den beiden Frässcheiben bekannt sein, um die Frästiefe bei der Simultanbearbeitung richtig einzustellen. Der Fachmann verstehe daher, dass zwischen den beiden Frässcheiben zwingend ein Distanzstück vorhanden sein müsse, um die gleichzeitige Bearbeitung beider Profilenden zu ermöglichen. Dies wiederum bedeute, dass zumindest das Distanzstück funktionell und strukturell mit den Anspruchsmerkmalen 1.4 und 1.5 verbunden sei. Außerdem lehre Absatz [0016] der Patentanmeldung, dass die erreichte Maßgenauigkeit auf die spezielle Ausgestaltung des Werkzeugs zurückzuführen sei. Die in Absatz [0015] der Patentanmeldung genannten alternativen Bearbeitungswerkzeuge seien völlig andere Technologien, welche in keinem Zusammenhang mit der gleichzeitigen Bearbeitung der beiden Profilenden stünden. Außerdem sei die Frage, welches Werkzeug zu verwenden sei, im vorliegenden Fall irrelevant, weil Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 bereits auf die Verwendung eines Fräswerkzeugs eingeschränkt worden sei. Darüber hinaus verlange das Anspruchsmerkmal 1.5, dass die Frässcheiben symmetrisch seien. Dies bedeute, dass es zwingend erforderlich sei, sie mit der gleichen Geschwindigkeit anzutreiben, um Reaktionsmomente auf die Scheiben zu vermeiden, die zu einem Drehmoment auf das gesamte Werkzeug führen könnten. Beide Scheiben seien daher mit dem gleichen Antrieb anzutreiben. Die einzige in der Patentanmeldung offenbarte Möglichkeit sei der Antrieb durch einen Riemen, der an dem Distanzstück angreife, mit dem die beiden Trennscheiben verbunden seien. Somit seien die Anspruchsmerkmale 1.4 und 1.5 ursprünglich nur in Kombination mit dem Distanzstück und dem Riementrieb offenbart worden. Sie seien strukturell und funktionell miteinander verbunden. Es liege daher eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor. Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ seien nicht erfüllt.
Hilfsanträge 3.1 und 3.2 - Zulassung
Die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 seien in erster Instanz erst nach dem mit der Ladung festgelegten Zeitpunkt nach Regel 116 EPÜ eingereicht worden. Auch wenn der Termin zur ersten mündlichen Verhandlung abgesagt worden sei, hätte die mit der Ladung zu dieser Verhandlung bestimmte Frist bestehen bleiben müssen. Die Beschwerdegegnerin habe über ein Jahr nach Einreichung des Einspruchs gewartet, um diese Hilfsanträge einzureichen, obwohl sie eindeutig die Gelegenheit gehabt hätte, sie bereits mit der Einspruchserwiderung oder zumindest vor dem Zeitpunkt nach Regel 116 (1) EPÜ einzureichen. Die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 seien daher in einem späten Stadium des Verfahrens eingereicht worden und müssten als solche eindeutig zulässig sein, um trotzdem zugelassen zu werden. Außerdem führten die neuen Hilfsanträge Merkmale aus der Beschreibung in die Ansprüche 1 und 13 ein, so dass sich der Streitgegenstand geändert habe. Die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 seien damals von der Beschwerdeführerin beanstandet worden, sie seien jedoch nicht durch die Einspruchsabteilung erörtert oder zugelassen worden und seien deshalb nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung. Daher seien sie nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen. Darüber hinaus habe die Beschwerdegegnerin nicht dargelegt, wie die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 die erhobenen Einwände ausräumen könnten. Die Handlungsweise der Beschwerdegegnerin stelle einen Verfahrensmissbrauch dar.
Hilfsanträge 2 und 3.1 - Artikel 123 (2) EPÜ
Auch in Bezug auf die Hilfsanträge 2 und 3.1 seien die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt.
Hilfsantrag 3.2
a) Neuheit im Hinblick auf das Dokument D5
Aus der Verwendung des Pluralbegriffs "planes" auf Seite 4, Zeilen 7 bis 10 und Zeilen 29 bis 31 des Dokuments D5 gehe hervor, dass die in Figur 2 des Dokuments D5 dargestellte Bearbeitungsmaschine zwingend einen zweiten Fräser aufweisen müsse, zumal das Werkzeug nicht um 180° gedreht werden könne, um beide Profilflächen mit einem Fräser zu bearbeiten. Auch sei es ausgeschlossen, dass nur eine Fläche mit dem Fräser bearbeitet werde und die gegenüberliegende Fläche unbearbeitet gelassen werde, weil ansonsten ein Schweißgrat entstehen würde, den das Dokument D5 gerade zu vermeiden versuche. Außerdem sei die Art des Fräsers im Dokument D5 offenbart. Der Begriff "cutting groups (5.2)" auf Seite 4, Zeile 31 des Dokuments D5 sei ein Übersetzungsfehler; es müsse "cutting edges" heißen, in Übereinstimmung mit der Offenbarung auf Seite 3 und in Anspruch 1 von Dokument D5. Zwar sei die Figur 2 des Dokuments D5 nicht sehr scharf, aus einer deutlicheren Version dieser Figur, welche im PCT-Register eingetragen sei und hier nicht als Beweismittel, sondern lediglich zur Stützung der Argumente vorgebracht werde, sei eindeutig zu entnehmen, dass die Schneidkante 5.2 in einem Ring zwischen der zentralen Verbindungswelle 5.1 und dem Lagerungselement 5.3 angeordnet sei. Die Schneidkante habe eindeutig einen zu großen Durchmesser für einen Fingerfräser. Auch die Tatsache, dass die Verbindungswelle 5.1 sichtbar sei, könne nur bedeuten, dass es sich nicht um einen Fingerfräser handle. Damit weise das aus dem Dokument D5 bekannte Werkzeug die gleiche Anordnung wie das Streitpatent auf. Es sei daher nicht nur ausgeschlossen, dass der Fräser des Dokuments D5 ein Fingerfräser sei, sondern es sei im Gegenteil unmittelbar und eindeutig aus dem Dokument D5 ableitbar, dass der gezeigte Fräser ein Stirnplanfräser sein müsse. Da der Fräser 5 ein Stirnplanfräser sei und zwei Schneiden auf beiden Seiten des Fräskörpers 5.4 zur Bearbeitung der Stirnflächen beider Profile aufweise, seien die zwei Frässcheiben gemäß Merkmal 1.5 auch symmetrisch und gegenläufig ausgerichtet. Hinsichtlich des Riemenantriebs werde auf Seite 4, Zeilen 8 bis 10 des Dokuments D5 verwiesen, wonach die Funktion des Riemens 5.5 darin bestehe, die Frässcheiben anzutreiben. Es folge für den Fachmann unmittelbar aus dieser Offenbarung, dass der Riemen über eine Scheibe oder ein ähnliches Bauteil, das zwischen der linken und rechten Frässcheibe liege, mit der Verbindungswelle verbunden sein müsse. Das auf der Rückseite herausragende Teil sei möglicherweise eine Luftabsaugung. Es liefere jedoch keinen Hinweis, dass dort keine Frässcheibe angeordnet werden könne. Daher offenbare das Dokument D5 ein Verfahren nach Anspruch 1 und eine Maschine nach Anspruch 13 des Hilfsantrags 3.2. Der Gegenstand von Anspruch 1 und Anspruch 13 des Hilfsantrags 3.2 sei daher nicht neu gegenüber dem Dokument D5.
b) Erfinderische Tätigkeit
Dokument D1 offenbare die Merkmale 1.1 bis 1.4 des Anspruchs 1. Es offenbare auch, dass es zwei Fräswerkzeuge gebe, die symmetrisch seien und in entgegengesetzten Richtungen zueinander ausgerichtet seien. Die beiden Fräser seien in der Figur 2c schematisch dargestellt und dienen zum einen dazu, Nuten in die Profilstirnflächen zu schneiden und andererseits die Flächen zum Ausgleich von Toleranzen zu nivellieren. Es sei unklar, ob es sich bei den abgebildeten Fräsern um Fingerfräser oder um Stirnplanfräser handle. Beide könnten in der Praxis eine sehr ähnliche Geometrie aufweisen. Weder der Durchmesser noch die Gestaltung der Umfangsfläche des Fräsers seien kritisch. Das Dokument D1 beschränke den Fräser somit keineswegs auf einen Fingerfräser, zumal sowohl bei der Nivellierung als auch bei der Herstellung der Nut die Bewegung des Fräsers senkrecht zu seiner Rotationsachse erfolge, es daher nicht notwendig sei, entlang der Rotationsachse in das Material einzudringen. Außerdem zeige das Dokument D1 zwar keinen Antriebsriemen, in Figur 2a sei jedoch eindeutig eine Riemenscheibe bzw. das Distanzstück, an der der Riemen angreife, offenbart. Dies folge auch aus dem Aufbau der in Figur 1 abgebildeten Maschine. Der Unterschied zu Anspruch 1 und Anspruch 13 des Hilfsantrags 3.2 bestehe somit darin, dass es sich beim beanspruchten Fräswerkzeug um zwei Frässcheiben, die als Stirnplanfräser realisiert seien, handle. Der technische Effekt dieses Unterscheidungsmerkmals bestehe darin, dass große Flächen effizienter gefräst werden könnten. Die objektive technische Aufgabe könne also darin gesehen werden, die Fräseffizienz zu verbessern. Um diese Aufgabe zu lösen, hätte der Fachmann nicht einmal Stand der Technik berücksichtigen müssen, da sowohl die Aufgabe als auch deren Lösung zu dem allgemeinen Fachwissen gehörten. Der Fachmann kenne die besonderen Einsatzmöglichkeiten von Stirnplanfräsern. Um die objektive technische Aufgabe zu lösen hätte der Fachmann nicht mehr tun müssen als ein Fräswerkzeug routinemäßig auszuwählen. Nur als Beispiel für ein solches allgemeines Fachwissen werde auf die Auszüge D8 und D9 aus zwei Lehrbüchern verwiesen. Auf Seite 379, Abschnitt 2, des Dokuments D8 werde die Auswahl der spezifischen Fräswerkzeuge erörtert, wobei Tabelle 4 auf den Seiten 382 und 383 die verschiedenen Fräskopfgeometrien zeige, und der Text auf Seite 385 insbesondere Schaftfräser sowie Stirnfräser diskutiere. Wie dort angegeben, seien Planfräser bevorzugt, wenn Flächen gefräst werden müssten. Dieselbe Information sei auch dem Dokument D9 zu entnehmen, siehe Seiten 158, 159 und 316. Wie man in den Bildern 1 bis 3 auf Seite 159 des Dokuments D9 sehe, entspreche die Mechanik des Stirnplanfräsers in Bild 3 der des in Bild 1 gezeigten Schaftfräsers und beide wiesen aktive Schneiden am Umfang des Werkzeugs auf; nur die Breite und Tiefe des Schnittes ändere sich. Es liege auf der Hand, durch Heranziehung des von den Dokumenten D8 und D9 belegten Fachwissens einen Stirnplanfräser als eine der naheliegenden Möglichkeiten zu wählen, um die Oberflächen von PVC-Profilen zu glätten und die Toleranzen zu verringern. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Werkzeuge 21 des Ausgangsdokuments D1 auf einer Platte 24 montiert seien, die sich nur in einer Ebene parallel zu den zu schweißenden Profilflächen bewege, und dass sich die eingeklemmten Profile durch die Bewegungsmittel 7 in Richtung der Fräswerkzeuge 21 bewegten. Daher dürften die Fräswerkzeuge nicht senkrecht zur Oberfläche in das Material eindringen. Für diesen Zweck sei ein Stirnplanfräser ebenso geeignet. Für die Herstellung einer Nut werde lediglich eine Bewegung des Fräswerkzeugs senkrecht zur Werkzeugdrehachse gebraucht. Der Fachmann hätte daher keine Schwierigkeiten gehabt, den Fräser des Dokuments D1 durch einen Stirnplanfräser zu ersetzen, um die Fräseffizienz zu verbessern. Die in Figur 2c des Dokuments D1 gezeigte Absauganordnung wäre für einen Stirnplanfräser sehr ähnlich zu gestalten. Auch ein Hinterschnitt, wie er in Figur 8 des Dokuments D1 abgebildet sei, könne durch einen Stirnplanfräser gefertigt werden. Die gleichen Argumente gälten hinsichtlich des Gegenstands von Anspruch 13. Folglich beruhe der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 3.2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
XII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hilfsantrag 1 - Artikel 123 (2) EPÜ
Das Distanzstück sei in der Patentanmeldung wie ursprünglich eingereicht an lediglich zwei Textstellen genannt, nämlich in Absatz [0090] und in Absatz [0091]. Die erste Textstelle führe lediglich aus, dass das Distanzstück die beiden Frässcheiben 23a und 23b voneinander beabstande. Die zweite Textstelle messe dem Distanzstück eine Kraftübertragungsfunktion bei. Die Textstellen offenbarten damit weder explizit noch implizit, dass das Distanzstück einen Einfluss auf den Toleranzausgleich habe. Hierfür sei allein das Fräswerkzeug selbst verantwortlich, wie in den Absätzen [0009] bis [0011] der Patentanmeldung eindeutig offenbart und für den Fachmann zweifellos erkennbar. Auch die Betrachtung der Gesamtoffenbarung führe zu keinem anderen Ergebnis. Das Bearbeitungswerkzeug sei unzweideutig ein Fräswerkzeug, siehe die Anspruchsmerkmale 1.4 und 13.4. Bereits das lasse den Fachmann erkennen, dass die Erfindung nicht auf eine spezielle Fräswerkzeugkonstruktion beschränkt sei. Denn Absatz [0016] der Patentanmeldung verdeutliche dem Fachmann, dass das Bearbeitungswerkzeug ein allgemeines Fräswerkzeug sein könne und dass die Maßgenauigkeit von der speziellen Ausgestaltung des Werkzeugs abhänge. Diese Maßgenauigkeit sei jedoch vollkommen unabhängig von dem Distanzstück und der Distanzierungs- und Kraftübertragungsfunktion. Für das ordnungsgemäße Funktionieren dieser Ausführungsform sei das Distanzstück daher ohne Einfluss. Es bestehe zwischen den hinzugefügten Anspruchsmerkmalen 1.4 bzw. 13.4 und 1.5 bzw. 13.5 einerseits und dem Distanzstück andererseits kein struktureller und funktionaler Zusammenhang.
Gleiches gelte für den Riementrieb, der offenbarungsgemäß weder explizit noch implizit einen Einfluss auf einen Toleranzausgleich habe. Dass die Erfindung vollkommen unabhängig von einem speziellen Antrieb sei, und auch die in den Figuren gezeigte Ausführung nicht auf einen Riementrieb begrenzbar sei, werde dem Fachmann verdeutlicht, indem in der gesamten Erfindungsbeschreibung der Patentanmeldung ein Antriebsmotor für die Frässcheiben kein einziges Mal erwähnt sei und in der Figurenbeschreibung, welche ohnehin exemplarisch für eine beispielhafte Ausführung sei, ein Riemenantrieb nur ein einziges Mal erwähnt sei, nämlich in Absatz [0091]. Der Fachmann erkenne dadurch zwangsläufig, dass der Riemenantrieb nicht mit dem Merkmal der zwei Frässcheiben dieser Ausführungsform in erfindungsbeeinflussendem Zusammenhang stehe oder untrennbar verknüpft sei. Daher bestehe zwischen den hinzugefügten Anspruchsmerkmalen 1.4 bzw. 13.4 und 1.5 bzw. 13.5 einerseits und dem Riementrieb andererseits kein struktureller und funktionaler Zusammenhang.
Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ seien somit erfüllt.
Hilfsanträge 3.1 und 3.2 - Zulassung
Die Anträge seien bereits im Einspruchsverfahren in Vorbereitung zur mündlichen Verhandlung eingereicht worden. Nachdem die erste Ladung zur mündlichen Verhandlung aufgrund der COVID-19-Pandemie aufgehoben worden sei, habe die Einspruchsabteilung in ihrer zweiten Ladung einen neuen Zeitpunkt nach Regel 116 (1) EPÜ festgelegt. Die Hilfsanträge seien vor Ablauf dieser Frist eingereicht worden und seien daher zulässig.
Hilfsanträge 2 und 3.1 - Artikel 123 (2) EPÜ
Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ seien auch in Bezug auf die Hilfsanträge 2 und 3.1 erfüllt.
Hilfsantrag 3.2
a) Neuheit im Hinblick auf das Dokument D5
Die Merkmale 1.5 und 13.5 seien nicht im Dokument D5 offenbart. In der Auflistung auf Seite 3 des Dokuments D5 sei eine Fräsergruppe 5 genannt, die sich aus den Bauteilen mit den Bezeichnungen 5.1 bis 5.6 zusammensetzen solle, insbesondere aus einer Schneidkante 5.2. Eine explizite Offenbarung einer zweiten Fräsergruppe oder einer zweiten Schneidkante liege an dieser Stelle nicht vor. Auch auf Seite 4 ab Zeile 7 des Dokuments D5 sei zu lesen, dass die Erfindung eine einzige Fräsergruppe 5 und eine einzige Schneidkante 5.2 umfasse. Weiter im Text auf Seite 4, in Zeilen 24 und 27 werde jeweils nur eine Fräsergruppe beschrieben. Auf Seite 4, Zeile 31 sei zwar "cutting groups (5.2)" im Plural erwähnt, es sei aber unklar, was damit gemeint sei. Diese Textstelle sei irreführend und bleibe somit ohne relevanten Offenbarungsgehalt. Auch die Tatsache, dass auf Seite 5, Zeile 2 "profile planes" im Plural verwendet werde, lasse nicht eindeutig darauf schließen, dass zwei Frässcheiben vorhanden sein müssen, um Profilebenen zu bearbeiten. Nicht beschrieben seien ebenfalls eine symmetrische Anordnung von Frässcheiben zueinander, eine gegensinnige Anordnung von Frässcheiben zueinander und dass Frässcheiben als Stirnplanfräser realisiert seien. Es sei daher nicht zweifelsfrei erkennbar, dass das Dokument D5 das Merkmal 1.5 offenbare. Die Figuren des Dokuments D5 seien sehr unscharf und schwer leserlich. Sie stellen eine Seitenansicht der Maschine aus einer Richtung dar. Die in der Auflistung auf Seite 3 verwendeten Bezeichnungen 5.1 bis 5.6 seien in der Pixelwolke der Figur 2 nicht identifizierbar. Auch sei eine Struktur von Einzelteilen in den Figuren nicht zweifelsfrei ersichtlich, so dass auch die Figuren die Merkmale 1.5 und 13.5 nicht offenbaren. Außerdem sei in Figur 2 des Dokuments D5 irgendein Bauteil hinter dem Halter der Schweißplatte angeordnet, sodass die Rückseite anders als die Vorderseite aufgebaut zu sein scheine. Dem Vorgehen der Beschwerdeführerin, die einen stark vergrößerten und kolorierten Ausschnitt der ohnehin schlecht erkennbaren Figur 2 des Dokuments D5 im schriftlichen Verfahren erstellt habe, werde deshalb widersprochen, weil das nachzuweisende Merkmal sich aus dem Dokument D5 selbst ergeben müsse. Es werde zudem bezweifelt, dass es sich bei dem vergrößerten Ausschnitt lediglich um eine Reproduktion handle. Vielmehr scheine eine substantielle Überarbeitung der Figur 2 selbst stattgefunden zu haben. Somit bleibe festzuhalten, dass auch die Figuren des Dokuments D5 an keiner Stelle zwei Frässcheiben zeigten, zumindest nicht in einer Weise, die außer Zweifel stehe. Der Gegenstand von Anspruch 1 und Anspruch 13 des Hilfsantrags 3.2 sei daher neu gegenüber Dokument D5.
b) Erfinderische Tätigkeit
Gegenüber dem Dokument D1, das den nächstliegenden Stand der Technik bilde, grenze sich die beanspruchte Erfindung insbesondere durch die Merkmale 1.5 bzw. 13.5 deutlich ab. Das Dokument D1 offenbare zwar in Figur 2c ein Fräswerkzeug. Es handle sich aber um einen Fingerfräser, der dazu eingesetzt werde, vor dem Verschweißen eine außenumfangsseitige Nut 19 in die Profile 3, 3a, 3b, 60, 61 einzufräsen, die als Aufnahmeraum für den über die Profiloberfläche hinausstehenden Schweißwulst diene. Der technische Effekt liege im effizienten Ausgleichen der Toleranz vor dem Verschweißen zur Reduzierung von Mehrmaterial zur Vermeidung eines Schweißwulstes. Außerdem seien ein Distanzstück und ein daran angreifender Riemen nicht eindeutig im Dokument D1 offenbart. Der Fachmann, vor die Aufgabe der Schweißwulstvermeidung gestellt, wäre auf Basis von Dokument D1 nicht zur Erfindung gelangt. Anders als die Lösung des Dokuments D1 basiere die Erfindung des Streitpatents darauf, dass ein Schweißwulst gar nicht erst entstehe. Im Gegensatz dazu befasse sich die Beschreibung des Dokuments D1 fast ausschließlich mit dem Fräsen einer Nut, vgl. Seite 4, ab Zeile 3 und Seite 8, ab Zeile 15. Das Dokument D1 biete keinen Anlass, auf die Schweißwulstentstehung im Aufnahmeraum 19a zu verzichten, da sie als nahtverstärkend beschrieben sei, vgl. Seite 18, ab Zeile 2 des Dokuments D1. Es möge zwar im Dokument D1 beschrieben sein, dass mittels des Fingerfräsers 21 ein Ausgleichen der Profile stattfinden könne. Dies werde jedoch zusätzlich zu dem Fräsen einer Nut ausgeführt, vgl. Seite 8, ab Zeile 25 des Dokuments D1. Dem Dokument D1 sei kein Hinweis auf die Verwendung eines Stirnplanfräsers zu entnehmen. Da das Fräsen der Nut ein wesentliches Element des Dokuments D1 sei, hätte der Fachmann keine Motivation in dem Dokument D1 gefunden, in einem ersten Gedankenschritt auf den Fingerfräser 21 zu verzichten.
Folglich beruhe der Gegenstand sowohl des Anspruchs 1 als auch des Anspruchs 13 des Hilfsantrags 3.2 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Hilfsantrag 1
1.1 Damit eine Änderung unter Artikel 123 (2) EPÜ zulässig ist, muss sie im Rahmen dessen liegen, was der Fachmann der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Dieses in der Entscheidung G 2/10 (ABl. EPA 2012, 376, Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe) formulierte Kriterium, das auch als "Goldstandard" bezeichnet wird, gilt auch für sogenannte Zwischenverallgemeinerungen, bei denen der Gegenstand eines Anspruchs mit Merkmalen kombiniert wird, die aus dem Kontext einer besonderen Ausführungsform herausgelöst worden sind, sodass der Gegenstand des geänderten Anspruchs zwischen einer ursprünglich breiteren Offenbarung und einer beschränkteren spezifischen Offenbarung in der Beschreibung liegt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, Zehnte Auflage, Juli 2022, II.E.1.9). Diesbezüglich haben die Kammern wiederholt den Grundsatz bekräftigt, dass es nur dann mit Artikel 123 (2) EPÜ vereinbar sei, aus einer ursprünglich offenbarten Merkmalskombination ein isoliertes Merkmal herauszugreifen und zur Abgrenzung des Anspruchsgegenstands zu verwenden, wenn das betreffende Merkmal nicht untrennbar mit den übrigen Merkmalen dieser Kombination verknüpft ist.
1.2 Zunächst stellt die Kammer fest, dass Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehenen Hilfsantrags 1 im Vergleich zu Anspruch 1 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung die zusätzlichen Anspruchsmerkmale 1.4 und 1.5 aufweist. Es ist unbestritten, dass die Ausgestaltung des Bearbeitungswerkzeugs als Fräswerkzeug gemäß dem Anspruchsmerkmal 1.4 an verschiedenen Stellen der Anmeldungsbeschreibung sowie in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 8 und 15 eine Stütze hat. Das Merkmal 1.5 ist jedoch nur an einer Stelle der Anmeldungsbeschreibung erwähnt, und zwar im letzten Absatz auf Seite 26 (entsprechend Absatz [0090] der als 'A1' veröffentlichten Patentanmeldung). Dieser Absatz bildet zusammen mit dem ersten Absatz auf Seite 27 (Absatz [0091] der A1-Veröffentlichung) die detaillierte Beschreibung der Ausführungsform nach Figur 5, derzufolge das Fräswerkzeug 20 nicht nur aus zwei Frässcheiben 23a und 23b gebildet ist, die symmetrisch, gegensinnig zueinander ausgerichtet und als Stirnplanfräser realisiert sind (Anspruchsmerkmal 1.5), sondern die beiden Frässcheiben 23a und 23b des Fräswerkzeugs 20 außerdem von einem Distanzstück 26, an dem ein Riemenantrieb angreift, beabstandet werden.
1.3 Die Einspruchsabteilung hat ihre Auffassung, die Gesamtoffenbarung der Anmeldung rechtfertige die verallgemeinernde Isolierung des Anspruchsmerkmals 1.5 und seine Aufnahme in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, damit begründet, dass kein struktureller und funktioneller Zusammenhang zwischen den die Ausbildung des Fräswerkzeugs betreffenden Anspruchsmerkmalen 1.4 und 1.5 und den den Antrieb der Frässcheiben betreffenden Merkmalen "Distanzstück" und "Riemenantrieb" bestehe (vgl. Seiten 7 und 8 der angefochtenen Entscheidung).
1.4 Diese Sichtweise hält die Kammer nicht für überzeugend. Die Abbildung des Fräswerkzeugs 20 in der Figur 5 der Patentanmeldung veranschaulicht eine aus den zwei Frässcheiben 23a und 23b und dem Distanzstück 26 gebildete strukturelle Einheit. Außerdem ermöglicht der auf dem Mittelbereich des Distanzstücks liegende Riemen den gleichzeitigen Antrieb der zwei als Stirnplanfräser realisierten Frässcheiben. Die Draufsicht der Figur 6 zeigt, dass ein derart gestaltetes Fräswerkzeug dazu ausgerichtet ist, die Verbindungsflächen 10a' und 10aa' von zwei miteinander zu verbindenden Profilstücken gleichzeitig zu bearbeiten (vgl. Seite 27, 3. Absatz der Anmeldungsbeschreibung, entsprechend Absatz [0093] der A1-Veröffentlichung). Daraus kann die Kammer nur schließen, dass zwischen dem Anspruchsmerkmal 1.5 einerseits und dem Distanzstück mit Riemenantrieb andererseits sowohl ein struktureller als auch ein funktioneller Zusammenhang besteht.
1.5 Die Erwägung der Beschwerdegegnerin, dass weder das Distanzstück noch der Riemenantrieb einen Einfluss auf den Toleranzausgleich habe, bzw. nicht einem solchen Toleranzausgleich dienen könne, ist nach Auffassung der Kammer in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Denn der Fachmann kann - wie oben ausgeführt - aus den Figuren 5 und 6 der Patentanmeldung zweifelsfrei erkennen, dass die weiteren nicht in Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale "Distanzstück" und "Riemenantrieb" strukturell und funktionell mit dem Anspruchsmerkmal 1.5 verknüpft sind. Es ist dabei unerheblich, ob diese weiteren Merkmale das Erfüllen einer im Rahmen des Anspruchsmerkmals 1.2 definierten zusätzlichen Funktion, nämlich des Ausgleichs von mindestens einer Toleranz, beeinflussen.
1.6 Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung auch auf die Absätze [0015] und [0016] der A1-Veröffentlichung, d.h. die letzten beiden Absätze auf Seite 6 und den ersten Absatz auf Seite 7 der Anmeldungsbeschreibung, verwiesen. Entsprechend dieser Offenbarung muss das Bearbeitungswerkzeug nicht auf ein Fräswerkzeug reduziert werden, sondern kann beispielsweise als Laser- oder Wasserstrahlschneider ausgestaltet sein. Auch "Hobeln" und "Schleifen" werden als Alternativen zum Fräsen erwähnt. Durch Aufnahme des Anspruchsmerkmals 1.4 ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 jedoch auf ein Verfahren beschränkt worden, bei dem das Abtrennen von Profilmaterial im Bereich der Verbindungsflächen der Profilstücke zwingend durch ein Fräswerkzeug erfolgen muss. Daher kann den genannten Textstellen für die Beurteilung, ob die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ im Hinblick auf das Hinzufügen des Merkmals 1.5 erfüllt sind, keine Relevanz zugemessen werden.
1.7 Auch der Überlegung der Beschwerdegegnerin, dass die Erfindung vollkommen unabhängig von einem speziellen Antrieb ursprünglich offenbart sei, trifft nach Auffassung der Kammer im Hinblick auf den geänderten Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1, der auf die besondere Ausführungsform nach Figur 5 abzielt, nicht zu. Es stimmt zwar, dass ein Antriebsmotor in der allgemeinen Erfindungsbeschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung unerwähnt bleibt. Dies führt allerdings nicht ohne Weiteres dazu, dass der Riemenantrieb, welcher genauso wie die Frässcheiben des Anspruchsmerkmals 1.5 nur in der Figurenbeschreibung offenbart ist, in diesem Zusammenhang als bloß optional oder bevorzugt zu betrachten ist.
1.8 Ähnliches gilt für die gleichzeitige Bearbeitung zweier benachbart positionierter Profilstücke. Zwar ist ein Fräswerkzeug, welches aus zwei Frässcheiben gebildet ist, die symmetrisch, gegensinnig zueinander ausgerichtet und als Stirnplanfräser realisiert sind, an keiner Stelle in der allgemeinen Erfindungs-beschreibung der Anmeldung erwähnt. Allerdings war das Verfahren des Anspruchs 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung auf ein allgemeines Bearbeitungswerkzeug gerichtet. Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis im ersten Satz auf Seite 18 der Anmeldungsbeschreibung (entsprechend dem zweiten Teil von Absatz [0056] der A1-Veröffentlichung), wonach die gleichzeitige Bearbeitung der Verbindungsflächen zweier benachbart positionierter Profilstücke eine lediglich optionale Variante ist, zu verstehen. Durch Aufnahme des Merkmals 1.5 in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist das nun aus zwei Frässcheiben gebildete (auch als "Doppelfräser" bezeichnete) Fräswerkzeug aber auf die Ausführungsform nach Figur 5 und 6 beschränkt, die ursprünglich als zur gleichzeitigen Bearbeitung beider Enden der eingelegten Profilstücke ausgerichtet offenbart ist (vgl. Seite 27, 3. Absatz der Anmeldungsbeschreibung), weshalb der erste Satz auf Seite 18 der Anmeldungsbeschreibung nicht als Rechtfertigung für die Verallgemeinerung des Fräswerkzeugs im Anspruch 1 dienen kann.
1.9 Für den Fachmann ist somit unmittelbar und eindeutig aus dem gesamten Offenbarungsgehalt ersichtlich, dass die Merkmale des Distanzstücks und des Riemenantriebs untrennbar mit dem Merkmal 1.5 verknüpft sind. Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass das Weglassen dieser Merkmale eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung der ursprünglichen Offenbarung darstellt. Gleiches gilt für den Gegenstand von Anspruch 13 des Hilfsantrags 1, bei dem ein ähnlich formuliertes Merkmal 13.5 dem unabhängigen Vorrichtungsanspruch 13 in der ursprünglich eingereichten Fassung hinzugefügt wurde.
1.10 Damit sind die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt.
2. Hilfsantrag 2
Die Schlussfolgerung zum Hilfsantrag 1 trifft auch auf den Hilfsantrag 2 zu, da dessen unabhängigen Ansprüchen 1 und 13 nur das Merkmal des Distanzstücks, nicht aber das des Riemenantriebs hinzugefügt wurde. Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ sind deshalb auch für den Hilfsantrag 2 nicht erfüllt.
3. Hilfsanträge 3.1 und 3.2 - Zulassung
3.1 Seitens der Beschwerdeführerin wurde beantragt, die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3.1 und 3.2 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
3.2 Die Bestimmungen des Artikels 12 (4) VOBK schreiben vor, dass die Kammer dann kein Ermessen hat, Teile des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nicht zuzulassen, wenn der Beteiligte zeigt, dass diese Teile in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde.
3.3 Die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3.1 und 3.2 entsprechen den mit Schreiben vom 1. September 2021 vorgelegten Hilfsanträgen 3.1 und 3.2, über die die Einspruchsabteilung nicht entschieden hatte, da sie den höherrangigen Hilfsantrag 1 für gewährbar erachtete. Diese Anträge bilden daher einen Teil des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin, welcher der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde liegt und somit die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK nicht erfüllen.
3.4 Es bleibt zu untersuchen, ob die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 im erstinstanzlichen Verfahren vor der Einspruchsabteilung in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurden. Gemäß Teil E-VI, 2.2.b) der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2021 gültigen Fassung der Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (März 2021) sind geänderte Anträge, die in Reaktion auf die vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung in der Anlage zur Ladung, dass das Patent wahrscheinlich widerrufen wird, eingereicht werden, in der Regel zuzulassen, sofern dies vor dem nach Regel 116 EPÜ bestimmten Zeitpunkt erfolgt.
3.5 Am 27. Oktober 2020 lud die Einspruchsabteilung die Beteiligten zu der am 11. November 2021 stattgefundenen mündlichen Verhandlung. Die Ladung wies unter anderem darauf hin, dass Schriftsätze und/oder Unterlagen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung im Sinne von Regel 116 (1) EPÜ bis zum 10. September 2021 eingereicht werden können. Die mit Schreiben vom 1. September 2021 vorgelegten Hilfsanträgen 3.1 und 3.2 wurden daher vor diesem Zeitpunkt eingereicht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Einspruchsabteilung bereits am 16. Januar 2020 eine Ladung erlassen hatte, in der als Zeitpunkt nach Regel 116 (1) EPÜ der 31. Juli 2020 festgesetzt worden war. Denn die Einspruchsabteilung hat diese Ladung mit einer Mitteilung vom 4. August 2020 aufgehoben. Durch die Aufhebung wurde auch der mit dieser Ladung bestimmte Zeitpunkt nach Regel 116 (1) EPÜ rechtlich unwirksam (s. a. T 1706/19, Punkt 1.3 der Entscheidungsgründe). Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 erst nach dem mit der (früheren) Ladung festgelegten Zeitpunkt nach Regel 116 (1) EPÜ eingereicht worden seien, kann somit nicht überzeugen. Auch ihrer Überlegung, wonach der mit der früheren Ladung bestimmte Zeitpunkt nach Regel 116 (1) EPÜ trotz Aufhebung der Ladung hätte bestehen bleiben müssen, kann aus denselben Gründen nicht gefolgt werden.
3.6 In der Anlage zur (zweiten) Ladung vom 27. Oktober 2020 verwies die Einspruchsabteilung auf ihre Stellungnahme "die mit der letzten Ladung zugestellt wurde". Dabei berief sie sich auf die im Anhang zur ersten Ladung vom 16. Januar 2020 beigefügte vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung. In Punkt 6 dieses Anhangs teilte sie den Beteiligten mit, dass "mit einem Widerruf des Patents zu rechnen ist".
3.7 Bei dieser Sachlage kommt die Kammer zum Schluss, dass die Einspruchsabteilung in Anwendung der damals gültigen Richtlinien die fristgerecht vorgelegten Hilfsanträge 3.1 und 3.2 wohl ins Einspruchsverfahren zugelassen hätte, falls sie die höherrangigen Hilfsanträge 1 und 2 als nicht gewährbar erachtet hätte. Die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 wurden daher im Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht. Darüber hinaus wurden diese Hilfsanträge am Ende der mündlichen Verhandlung nicht zurückgenommen, sondern sie wurden bis zur angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung aufrechterhalten.
3.8 Infolgedessen gelten die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge nicht als Änderung im Sinne von Artikel 12 (4) VOBK. Sie sind daher Teil des Beschwerdeverfahrens. Bereits deshalb ist in der Vorgehensweise der Beschwerdegegnerin, diese Hilfsanträge mit der Beschwerdeerwiderung erneut vorzulegen, kein Verfahrensmissbrauch erkennbar.
4. Hilfsantrag 3.1
Sowohl Anspruch 1 als auch Anspruch 13 des Hilfsantrags 3.1 weisen ein zusätzliches, auf die Gestaltung des Fräswerkzeugs als Doppelfräser gerichtetes Merkmal auf. Jedoch enthalten diese unabhängigen Ansprüche keinen Verweis auf einen Riemenantrieb. Aus den gleichen Gründen wie Hilfsantrag 1 sind daher die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ auch für den Hilfsantrag 3.1 nicht erfüllt.
5. Hilfsantrag 3.2
a) Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
5.1 Beide unabhängigen Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 3.2 weisen die Merkmale des Distanzstücks und des Riemenantriebs mit einem nahezu identischen Wortlaut wie im letzten Absatz auf Seite 26 und im ersten Absatz auf Seite 27 der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung auf. Das hat die Beschwerdeführerin nicht bestritten. Damit sind die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.
b) Neuheit - Artikel 54 (1) und (3) EPÜ
5.2 Das Dokument D5 ist eine nach dem Prioritätstag, aber vor dem Anmeldetag des Patents veröffentlichte Euro-PCT-Anmeldung im Sinne von Artikel 153 (2) EPÜ, die am 17. September 2015 in einer Amtssprache des EPA veröffentlicht worden ist. Da die Anmeldegebühr nach Regel 159 (1) c) EPÜ entrichtet worden ist, gilt sie gemäß Artikel 153 (5) i.V.m. Regel 165 EPÜ als Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ.
5.3 In Anspruch 1 des Dokuments D5 ist eine Maschine zum Schweißen von PVC-Eckprofilen offenbart, die unter anderem eine Frässchneidegruppe 5 ("milling cutter group") mit einer Schneidkantenverbindungswelle 5.1 ("a cutting edge connector shaft"), einer Schneidkante 5.2 ("a cutting edge"), einem Hauptkörper 5.4 ("a main body"), einem Bewegungsübertragungsriemen 5.5 ("a movement transmitter belt") und einem ersten Servomotor 5.6 ("a number 1 servo motor") aufweist. Ähnliches ist Seite 3, Zeilen 16 bis 22 des Dokuments D5 zu entnehmen. Die Funktion der Frässchneidegruppe folgt aus Anspruch 4 und aus der Beschreibung auf Seite 4, Zeilen 7 bis 10 des Dokuments D5: Sie bearbeitet die Verbindungsflächen der PVC-Profile mit Schneidewerkzeugen ("cutting tools"), sodass beim darauffolgenden Schweißvorgang keine Schweißgrate ("burrs") entstehen. Gemäß Anspruch 10 und Seite 4, Zeile 31 bis Seite 5, Zeile 1 des Dokuments D5 läuft der Riemen 5.5 durch den Hauptkörper 5.4 und überträgt die Bewegung des Servomotors 5.6 auf die Schneidegruppen 5.2 ("cutting groups").
5.4 Das Bezugszeichen "5.2" wird im Dokument D5 sowohl für die Bezeichnung einer Schneidkante als auch (mehrerer) Schneidegruppen verwendet. Außerdem sind in diesem Zusammenhang auch Schneidewerkzeuge erwähnt. Ob die Schneidegruppen bzw. Schneidewerkzeuge einzelne Bestandteile einer einzigen Schneidkante sind oder die Frässchneidegruppe mehrere Schneidkanten mit jeweils einer Schneidegruppe oder einem Schneidewerkzeug aufweist, geht weder aus der Beschreibung noch aus den Ansprüchen des Dokuments D5 hervor. Sie enthalten keinerlei Information hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung bzw. Anordnung der Schneidkante.
5.5 Auch den Figuren des Dokuments D5 ist nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, wie die Schneidkante bzw. die Schneidegruppen oder die Schneidewerkzeuge aufgebaut sind. Die Abbildungen in den einzigen Figuren 1 und 2 sind so unscharf, dass die Mehrzahl der Bezugszeichen nicht lesbar und die Details der Schweißmaschine oder der Frässchneidegruppe kaum erkennbar sind. Es mag zwar sein, dass die Verwendung des Pluralbegriffs "planes" auf Seite 4, Zeilen 7 bis 10 und Zeilen 29 bis 31 den Schluss nahelegt, dass die Profilflächen zweier Profilstücke gleichzeitig bearbeitet werden, und dies auf die Anordnung einer weiteren Schneidkante auf der Rückseite der in Figur 2 abgebildeten Schweißmaschine hindeutet. Allerdings enthält das Dokument D5 keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung für eine solche Anordnung. Zudem sieht die Kammer kein überzeugendes Argument dafür, dass eine solche weitere Schneidkante zwingend symmetrisch und gegensinnig zu der ersten Schneidkante ausgerichtet wäre.
5.6 Auch die Behauptung der Beschwerdeführerin, die anhand einer qualitativ besseren Version der Figur 2 des Dokuments D5 argumentiert hat, dass die dort abgebildete Schneidkante 5.2 innerhalb eines Rings zwischen einer Verbindungswelle 5.1 und einem Lager 5.3 angeordnet sei, und deren Durchmesser deutlich zu groß für einen Fingerfräser sei, stellt eine Mutmaßung dar, die sich nicht ohne Weiteres aus dem Dokument D5 ergibt. Die Kammer schließt sich den Erwägungen der Beschwerdegegnerin an, dass sich das nachzuweisende Anspruchsmerkmal 1.5 aus dem Dokument D5 selbst ergeben muss und nicht aus einer "Reproduktion" einer Figur dieses Dokuments, im vorliegenden Fall einem stark vergrößerten und kolorierten Ausschnitt einer anderen Version dieser Figur. Für die Offenbarung eines Stirnplanfräsers im Sinne von Anspruchsmerkmal 1.5 findet sich daher keine Grundlage im Dokument D5.
5.7 Der Gegenstand sowohl des Anspruchs 1 als auch des Anspruchs 13 des Hilfsantrags 3.2 ist somit neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D5 (Artikel 54 (1) und (3) EPÜ).
5.8 Außerdem ist festzustellen, dass die sogenannte "Reproduktion" der Figur 2 des Dokuments D5, auf die sich die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang berufen hat, nach eigener Angabe nicht als Beweismittel, sondern lediglich zur Stützung ihrer Argumente vorgebracht wurde. Der Antrag der Beschwerdegegnerin, "das Beweismittel der sog. "Reproduktion" von Fig. 2 der D5 gemäß Beschwerdebegründung, S. 16" nicht im Verfahren zuzulassen, kommt daher nicht zum Tragen.
c) Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
5.9 Die Beteiligten sind sich einig, dass das Dokument D1 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, welcher das Anspruchsmerkmal 1.5 bzw. 13.5 nicht offenbart.
5.10 Dem stimmt die Kammer zu. Aus Figur 2c des Dokuments D1 ist ersichtlich, dass das im Dokument D1 offenbarte Fräswerkzeug 21 als eine Anordnung von zwei gegenüberliegenden Fräsern 21a ausgebildet ist, die jeweils einen Durchmesser haben, der deutlich kleiner als die Länge der jeweiligen Schneide ist. Die Fräser weisen keine Frässcheiben auf. Außerdem sind die Schneiden der Fräser 21a, anders als dies bei Stirnplanfräsern üblicherweise der Fall ist, nur zum Umfang hin ausgerichtet; sie arbeiten also, wie bei Fingerfräsern bzw. Schaftfräsern üblich, nur im radialen Eingriff. Hinsichtlich der im Vergleich zu Hilfsantrag 1 hinzugefügten Anspruchsmerkmale verweist die Kammer auf den Aufbau der in den Figuren 1a und 1b abgebildeten Maschine und die detaillierten Ausschnitte der Figuren 2a und 2b in Verbindung mit der Beschreibung auf Seite 6, Zeilen 2 und 3 des Dokuments D1, woraus hervorgeht, dass beide Fräser 21a und 21b von einem Distanzstück beabstandet sind, an dem ein mit dem Motor 22 verbundener Riemen angreifen muss, um so die Fräser mit einer hohen Geschwindigkeit anzutreiben. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3.2 unterscheidet sich somit ausschließlich durch das Merkmal 1.5 von dem aus dem Dokument D1 bekannten Verfahren. Ebenso unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 13 des Hilfsantrags 3.2 nur durch das Merkmal 13.5 von der aus dem Dokument D1 bekannten Bearbeitungsmaschine.
5.11 Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass die technische Wirkung des Unterscheidungsmerkmals in einem effizienten Ausgleichen der Toleranz vor dem Verschweißen zur Reduzierung von Mehrmaterial zur Vermeidung eines Schweißwulstes liege. Eine solche Formulierung ist jedoch nicht schlüssig. Zunächst weist die Kammer darauf hin, dass sich auch mit einem Verfahren nach dem Streitpatent das Entstehen eines Schweißwulstes an der Oberfläche des Profilrahmens offenbar nicht (ganz) verhindern lässt (vgl. die Absätze [0010], [0012], [0032] und Anspruch 10 des Streitpatents: "minimieren", "kein größerer Schweißwulst", "reduziert", "minimiert"). Darüber hinaus ist zu beachten, dass die aus dem Dokument D1 bekannten Fräser 21a ebenfalls zum Toleranzausgleich der Profilverbindungsflächen vor dem Verschweißen eingesetzt werden (vgl. Seite 8, Zeilen 15 bis 28). Die technische Wirkung des Anspruchsmerkmals 1.5 bzw. 13.5 liegt vielmehr darin, dass Stirnplanfräser für die Bearbeitung der Verbindungsflächen effizienter sind. Dementsprechend ist die objektive technische Aufgabe darin zu sehen, den Toleranzausgleich der Verbindungsflächen effizienter zu gestalten.
5.12 Zur Frage des Naheliegens der beanspruchten Lösung verweist die Beschwerdeführerin als Beleg für das allgemeine Fachwissen im technischen Bereich der Herstellung von PVC-Rahmen auf die Lehrbücher D8 und D9. Sie argumentiert, dass der Fachmann nicht mehr hätte tun müssen, als ein Fräswerkzeug routinemäßig auszuwählen, um die objektive technische Aufgabe im Sinne des Anspruchsmerkmals 1.5 bzw. 13.5 zu lösen. Die Kammer bestreitet nicht, dass Stirnplanfräser zum Zeitpunkt der Erfindung fachübliche Bearbeitungswerkzeuge waren, um die Oberflächen von PVC-Profilen zu glätten. Allerdings kommt es nach Auffassung der Kammer nicht darauf an, ob der Fachmann durch Abwandlung der aus dem Dokument D1 bekannten Lehre zur Erfindung hätte gelangen können. Bei der Beurteilung des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit ist die zu beantwortende Frage vielmehr, ob der Fachmann tatsächlich so vorgegangen wäre, weil dem Stand der Technik Anregungen für die Erfindung zu entnehmen waren. Aus folgenden Gründen ist diese Frage im vorliegenden Fall zu verneinen. Die gesamte Lehre des Dokuments D1 betrifft das Fräsen einer Nut in die Verbindungsflächen der Profilstücke. Nur so wird ein Aufnahmeraum geschaffen, in den der Scheißwulst entweichen kann. Und nur so wird die auf Seite 1, Zeile 28 bis Seite 2, Zeile 14 des Dokuments D1 gestellte Aufgabe gelöst (siehe insbesondere die unabhängigen Ansprüche 1 und 20 des Dokuments D1). Zwar ist dem Dokument D1 an verschiedenen Stelle zu entnehmen, dass die Fräser 21a darüber hinaus auch zum Toleranzausgleich der Profilverbindungsflächen eingesetzt werden können. Der Beschwerdegegnerin ist jedoch zuzustimmen, dass dies lediglich einen zusätzlichen Gesichtspunkt darstellt, der der zentralen Aufgabe des Fräsens einer Nut untergeordnet ist. Außerdem wird laut Seite 8, Zeilen 18 bis 24 des Dokuments D1 die Tiefe des Fräswerkzeugs eingestellt, je nachdem, ob die Enden der Profilstücke geglättet oder mit einer Nut versehen werden sollen. Dem Argument der Beschwerdeführerin, dass sich die auf der Platte 24 montierten Fräswerkzeuge 21 nur in einer Ebene parallel zu den zu schweißenden Profilflächen bewegen, kann deshalb nicht gefolgt werden. Vor diesem Hintergrund kann es für den Fachmann nicht naheliegend gewesen sein, die als Langlochfräser ausgebildeten Werkzeuge 21a aus dem Dokument D1 durch einen anspruchsgemäßen Stirnplanfräser zu ersetzen.
5.13 In Anbetracht der obigen Feststellungen kommt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand sowohl des Anspruchs 1 als auch des Anspruchs 13 des Hilfsantrags 3.2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent in geändertem Umgang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche: 1 bis 15 gemäß Hilfsantrag 3.2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung,
- Beschreibung: Seiten 1 bis 18, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung als 'Beschreibung gemäß Hilfsantrag 3.2',
- Zeichnungen: Figuren 1 bis 9 der Patentschrift.