T 1800/21 (thyssenkrupp/ammonia oxidation) of 18.12.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T180021.20231218
Datum der Entscheidung: 18 Dezember 2023
Aktenzeichen: T 1800/21
Anmeldenummer: 14710194.3
IPC-Klasse: C01B 21/26
B01J 23/00
C01B 21/38
B01J 23/34
B01J 23/83
B01J 23/843
B01J 23/86
B01J 23/889
B01J 35/04
B01J 37/00
B01J 37/03
B01J 37/08
C01B 21/28
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR OXIDATION VON AMMONIAK UND DAFÜR GEEIGNETE ANLAGE
Name des Anmelders: thyssenkrupp Industrial Solutions AG
Name des Einsprechenden: CASALE SA
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(5)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
European Patent Convention Art 112(1)(a)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag V (ja)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Hilfsanträge I-IV
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 erfüllt (nein)
Änderung nach Ladung - Hilfsantrag V
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag V (ja)
Orientierungssatz:

1. Es scheint sich eine einheitliche Rechtsprechungslinie dahingehend zu entwickeln, dass in Fällen, in denen durch eine unkomplizierte Änderung wie das Streichen einer gesamten Anspruchskategorie eine Antragsfassung vorliegt, auf deren Basis das Patent erkennbar aufrechterhalten werden kann, außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13(2) EPÜ vorliegen können. Diese erlauben dann eine positive Ermessensausübung, wenn die Änderung den faktischen oder rechtlichen Rahmen des Verfahrens nicht verschiebt, keine Neugewichtung des Verfahrensgegenstandes bedingt und weder dem Grundsatz der Verfahrensökonomie, noch den berechtigten Interessen einer Verfahrenspartei zuwiderläuft (im Anschluss an T 2295/19; siehe Gründe Nr. 3.4.2 bis 3.4.6)

2. Diese Rechtsprechung fügt sich hinsichtlich des Grades der geforderten prima facie Relevanz in die Stufen des mit der VOBK etablierten Konvergenzansatzes ein und führt diesen logisch fort (vgl. Gründe Nr. 3.4.7).

3. Es besteht keine Notwendigkeit (mehr), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung die Große Beschwerdekammer zu befassen (vgl. Gründe Nr. 4 bis 4.4).

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
R 0007/14
T 2044/09
T 1480/16
T 1569/17
T 0494/18
T 0995/18
T 1151/18
T 2091/18
T 2920/18
T 1857/19
T 2201/19
T 2295/19
T 0532/20
T 0598/20
T 1058/20
T 0424/21
T 0546/21
T 0602/21
T 0685/21
T 0732/21
T 1172/21
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0321/21
T 2186/21
T 0172/22
T 1132/22
T 1478/22
T 1773/22
T 1836/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent EP 2 969 937 B1 in geänderter Form auf Basis des Hauptantrags die Erfordernisse des EPÜ erfülle.

II. Das Streitpatent bezieht sich auf ein Verfahren zur Oxidation von Ammoniak und eine dafür geeignete Anlage.

III. Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags vom 11. Mai 2021 betreffen ein Verfahren zur Oxidation von Ammoniak (Anspruch 1) und Anlagen zur Oxidation von Ammoniak (Ansprüche 21 und 22) und lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur Oxidation von Ammoniak mit Sauerstoff in der Gegenwart von Katalysatoren enthaltend mindestens ein Übergangsmetalloxid, das kein Oxid eines Platinmetalls ist, wobei das Verhältnis der molaren Mengen von Sauerstoff zu Ammoniak am Eintritt des Eduktgasgemisches in das Katalysatorbett auf Werte von 1,25 - 1,75 mol O2/mol NH3 eingestellt wird und die Temperatur am Austritt des Produktgases aus dem Katalysatorbett zwischen 700°C und 950°C beträgt, wobei die NH3-Konzentration am Eintritt in den Oxidationsreaktor 4-15 Vol.-% beträgt und wobei das molare Verhältnis von O2/NH3 im Eduktgasgemisch am Eintritt in das Katalysatorbett durch Zusatz von gasförmigem Ammoniak und Zusatz eines Gases mit einem Sauerstoffgehalt von weniger als 20 % zu einem Luftstrom eingestellt wird."

"21. Anlage zur Oxidation von Ammoniak umfassend:

A) Reaktor (3) zur Ammoniakoxidation ausgestattet mit mindestens einer Zuleitung für ein Eduktgasgemisch und mit mindestens einer Ableitung für ein Prozessgas,

B) Katalysator (3c) im Innern des Reaktors (3), der mindestens ein Übergangsmetalloxid enthält, das kein Oxid eines Platinmetalls ist,

C) Vorrichtung zum Einstellen eines molaren Verhältnisses von Sauerstoff zu Ammoniak im Eduktgasgemisch von kleiner gleich 1,75 mol/mol, indem ein sauerstoffhaltiger Gasstrom mit einem O2-Gehalt <20 Vol.-% mit einer ausgewählten Menge an Ammoniak vermischt wird, zum Erzeugen des sauerstoffhaltigen Gasstroms aufweisend

c2) eine Vorrichtung (12) zur Abreicherung von Sauerstoff aus einem Sauerstoff enthaltenden Gasgemisch, vorzugsweise aus Luft sowie umfassend

D) einen Absorptionsturm (8) zur Absorption von NOx und Bildung von HNO3, HNO2 oder Lösungen von Nitraten oder Nitriten, und

E) eine zwischen Reaktor (3) zur Ammoniakoxidation und Absorptionsturm (8) angeordnete Vorrichtung zur Vereinigung des NOx-haltigen Prozessgasstromes mit einem sauerstoffhaltigen Gasstrom, der mehr als 25%, vorzugsweise mehr als 30%, besonders bevorzugt mehr als 40% Sauerstoff enthält, und/oder eine in den Absorptionsturm (8) mündende Leitung (240) zur Einleitung eines Peroxid enthaltenden Stroms,

wobei als Vorrichtung (12) zur Abreicherung von Sauerstoff aus einem Sauerstoff enthaltenden Gasgemisch, vorzugsweise aus Luft gemäß c2) eine Druckwechseladsorption, kryogene Zerlegung oder Membranen vorgesehen sind

und wobei der sauerstoffhaltige Gasstrom gemäß E) durch Sauerstoffanreicherung von Luft durch Druckwechsel­adsorption, kryogene Zerlegung oder mittels Membranen erzeugt wird."

"22. Anlage zur Oxidation von Ammoniak umfassend:

A) Reaktor (3) zur Ammoniakoxidation ausgestattet mit mindestens einer Zuleitung für ein Eduktgasgemisch und mit mindestens einer Ableitung für ein Prozessgas,

B) Katalysator (3c) im Innern des Reaktors (3), der mindestens ein Übergangsmetalloxid enthält, das kein Oxid eines Platinmetalls ist,

C) Vorrichtung zum Einstellen eines molaren Verhältnisses von Sauerstoff zu Ammoniak im Eduktgasgemisch von kleiner gleich 1,75 mol/mol, indem ein sauerstoffhaltiger Gasstrom mit einem O2- Gehalt <20 Vol.-% mit einer ausgewählten Menge an Ammoniak vermischt wird, zum Erzeugen des sauerstoffhaltigen Gasstroms aufweisend

c1) eine Vorrichtung zum Verdünnen eines Luftstroms mit einem Gasstrom der weniger als 20 Vol.%, vorzugsweise weniger als 10 Vol.- %, besonders bevorzugt weniger als 5 Vol.-% Sauerstoff enthält, wobei die Verdünnung des Luftstromes gemäß c1) mit einem Gasstrom entnommen aus dem Restgas stromabwärts des Absorptionsturmes (8) erfolgt."

IV. Die Hilfsanträge I bis IV der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) wurden im Einspruchsverfahren am 11. Mai 2021 eingereicht. Die unabhängigen Ansprüche haben den folgenden Inhalt:

Hilfsantrag I

In Anspruch 1 wurde der Bereich für das molare Verhältnis von O2/NH3 auf 1,35-1,60 mol O2/mol NH3 beschränkt.

Ansprüche 21 und 22 sind identisch mit denen des Hauptantrags.

Hilfsantrag II

In Anspruch 1 wurde gegenüber Hilfsantrag I die Definition des Katalysators wie folgt geändert (Hervorhebungen durch die Kammer):

"von Katalysatoren enthaltend mindestens ein Übergangsmetalloxid, das kein Oxid eines Platinmetalls ist, wobei der Katalysator Mischoxide dieser Übergangsmetalloxide enthält, die eine Perowskit- oder Brownmilleritstruktur aufweisen,". Zudem wurde der Sauerstoffgehalt des zuzusetzenden Gases auf weniger als 10 % geändert ("und Zusatz eines Gases mit einem Sauerstoffgehalt von weniger als [deleted: 20]10 % zu einem

Luftstrom eingestellt wird.")

Ansprüche 20 und 21 sind identisch mit den Ansprüchen 21 und 22 des Hauptantrags.

Hilfsantrag III

In Anspruch 1 wurde gegenüber Hilfsantrag II folgendes Merkmal an das Ende des Anspruchs angehängt:

"wobei das Verhältnis der molaren Mengen von Sauerstoff zu Ammoniak am Eintritt des Eduktgasgemisches in das Katalysatorbett so gewählt wird, dass im Produktgas am Austritt des Katalysatorbettes ein Sauerstoffgehalt von zwischen 0,3 Vol.-% und 2,0 Vol.-% resultiert."

Ansprüche 19 und 20 sind identisch mit den Ansprüchen 21 und 22 des Hauptantrags.

Hilfsantrag IV

In Anspruch 1 wurde gegenüber Hilfsantrag III folgendes Merkmal an das Ende des Anspruchs angehängt:

"wobei die Eintrittstemperatur des NH3 und Sauerstoff enthaltenden Eduktgasgemisches in das Katalysatorbett zwischen 20°C und 300°C beträgt, wobei der Volumenstrom des Eduktgasgemisches und/oder das Volumen an Katalysator so eingestellt wird, dass eine Raumgeschwindigkeit von 50.000 h**(-1) bis 500.000 h**(-1) resultiert."

Ansprüche 19 und 20 sind identisch mit den Ansprüchen 21 und 22 des Hauptantrags.

V. Hilfsantrag V wurde am 14. Dezember 2023 eingereicht. In diesem wurden die Verfahrensansprüche 1-20 des Hauptantrags gestrichen und Vorrichtungsansprüche 21 und 22 des Hauptantrags als Ansprüche 1 und 2 beibehalten. Die abhängigen Ansprüche 3-5 entsprechen den Ansprüchen 23-25 des Hauptantrags und beziehen sich auf besondere Ausführungsformen.

VI. Folgende Dokumente sind hier von Relevanz:

D2 |WO 98/28073 Al |

D10|EP 0 834 466 A1|

D16|EP 0 154 470 A2|

D16 wurde von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung eingereicht.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Vorlage folgender Fragen an die Große Beschwerdekammer:

1) In appeal proceedings, is a new auxiliary request, filed by a patent proprietor after the grounds of appeal or reply, to be considered an amendment to the appeal case subject to Art. 13 RPBA, when the new auxiliary request differs from a request on file solely in the deletion of one or more claims?

2) If the answer to 1) is negative, is such request an amendment to the appeal case subject to Art. 13 RPBA in the specific case of the request consisting in the deletion of an independent claim and, if any, of the dependent claims thereof, relating to an aspect of the invention for which protection is sought?

3) If the answer to 1) or 2) is positive, does a prima facie allowability of the new request constitute a relevant factor in deciding the admissibility of said request, and particularly is a prima facie allowability of the request an "exceptional circumstance" under Art. 13(2) RPBA?

Übersetzung durch die Kammer:

1) Ist ein neuer Hilfsantrag, der von einer Patentinhaberin nach der Beschwerdebegründung oder der Beschwerdeerwiderung eingereicht wird, als eine Änderung des Beschwerdevorbringens anzusehen, die Artikel 13 VOBK unterliegt, wenn sich der neue Hilfsantrag von einem in der Akte enthaltenen Antrag nur im Streichen eines oder mehrerer Ansprüche unterscheidet?

2) Falls die Frage unter 1) verneint wird, ist ein solcher Antrag in dem speziellen Fall, in dem der Antrag darin besteht, dass ein auf einen Aspekt der zu schützenden Erfindung bezogener unabhängiger Anspruch und, sofern vorhanden, die davon abhängigen Ansprüche gestrichen werden, eine Änderung des Beschwerdevorbringens, die Artikel 13 VOBK unterliegt?

3) Falls die Fragen unter 1) oder 2) bejaht werden, stellt eine prima facie Gewährbarkeit des neuen Antrags einen relevanten Faktor bei der Beurteilung der Zulässigkeit des neuen Antrags dar, insbesondere: ist eine prima facie Gewährbarkeit des Antrags ein "außergewöhnlicher Umstand" unter Artikel 13(2) VOBK?

Soweit in dieser Entscheidung Artikel der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) erwähnt sind, bezieht sich die Angabe VOBK jeweils auf deren seit 1. Januar 2020 geltende Fassung.

VIII. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag

Anspruch 1 des Hauptantrags sei ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik nicht erfinderisch.

Hilfsanträge I-IV

Hilfsanträge I-IV seien nicht ins Verfahren zuzulassen. Im Anfangsstadium des Beschwerdeverfahrens habe die Beschwerdegegnerin diese Anträge weder substantiiert, noch den Versuch unternommen, die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände auszuräumen.

Hilfsantrag V

Hilfsantrag V sei auch nicht zuzulassen, da die Beschwerdegegnerin keine stichhaltigen Gründe für außergewöhnliche Umstände vorgetragen habe. Es sei nicht außergewöhnlich, dass die Kammer in einigen Punkten der Beschwerdeführerin gefolgt sei. Es gebe keine überraschende Verfahrensentwicklung, die das Berücksichtigen von Hilfsantrag V rechtfertigen würde. Dieser stelle eine neue Verteidigungslinie dar, da grundsätzlich über einen Antrag als Ganzes zu entscheiden sei. Der Antrag hätte bereits im Einspruchsverfahren eingereicht werden können und müssen. Es widerspreche dem Konvergenzansatz, wenn außergewöhnliche Umstände darin gesehen würden, dass ein Antrag prima facie gewährbar sei, da die prima facie Gewährbarkeit bereits in der ersten und zweiten Stufe des Konvergenzansatzes zu berücksichtigen sei. Da keine außergewöhnlichen Umstände aufgezeigt worden seien, dürfe Hilfsantrag V gemäß Artkel 13(2) VOBK nicht berücksichtigt werden (grundsätzlich unberücksichtigt bleiben). Andernfalls seien der Großen Beschwerdekammer die oben (Punkt VII.) wiedergegebenen Fragen vorzulegen.

Anspruch 1 sei nicht klar.

In Anspruch 1 werde die Vorrichtung (12) anhand von Verfahrensmerkmalen definiert und es bleibe offen, ob letztere Teil der beanspruchten Anlage ist.

Anspruch 2 sei nicht klar.

Der Begriff "des Absorptionsturmes" habe kein Bezugswort. Zwar sei Anspruch 2 aus Anspruch 27 der erteilten Fassung hervorgegangen. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass der Klarheitsmangel bereits in der erteilten Fassung bestanden habe, da die Klarheit eine Frage des Anspruchssatzes als Ganzes sei. Die Fachperson hätte in der erteilten Fassung unmittelbar erkannt, dass der Rückbezug in Anspruch 27 auf "mindestens einen der Ansprüche 23 bis 26" fehlerhaft sei, und diesen als "auf Anspruch 24" rückbezogen gelesen. Eine solche berichtigende Interpretation sei im geänderten Anspruch 2 nicht möglich. Der Klarheitseinwand in Bezug auf Anspruch 2 sei somit anderer Natur als der fehlerhafte Rückbezug in der erteilten Fassung. Die Unklarheit sei ein Ergebnis der Änderung und daher gemäß G 3/14 zu prüfen. Der vorliegende Fall sei von Situationen abzugrenzen, in denen lediglich eine gegebene Unklarheit von einem abhängigen Anspruch in einen unabhängigen Anspruch verschoben worden sei.

D16 sei im Verfahren zu berücksichtigen, da es prima facie relevant sei. Auch sei es gerechtfertigt, D16 in Reaktion auf Hilfsantrag V zu berücksichtigen, da dieser für die Beschwerdeführerin überraschend war.

Anspruch 2 sei ausgehend von D10 als nächstliegendem Stand der Technik nicht erfinderisch, auch in Verbindung mit D16. Das Merkmal bezüglich des aus dem Restgas stromabwärts des Absorptionsturms entnommenen Gasstroms sei wegen des genannten Klarheitsmangels nicht zu berücksichtigen. Davon abgesehen sei eine Rückführung aus einem Restgas ein allgemein bekanntes Mittel zur Verdünnung und lediglich eine Gestaltungsoption.

IX. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag

Anspruch 1 des Hauptantrags sei ausgehend von D2 erfinderisch. D2 offenbare keinen Zusatz eines Gases mit einem Sauerstoffgehalt von < 20% und kein Einstellen des O2/NH3-Verhältnisses. D2 erwähne das O2/NH3-Verhältnis nicht und gebe der Fachperson keine Veranlassung, dieses auszurechnen oder zu betrachten. Im Streitpatent sei hingegen überraschenderweise erkannt worden, dass durch Absenken des O2/NH3-Verhältnisses die NOx Ausbeute erhöht werden könne, wie in den Figuren 4-6 gezeigt. Dies sei nur durch Zusatz eines sauerstoffarmen Gases möglich, nicht jedoch durch Erhöhung des NH3-Gehalts in Luft, da ansonsten Explosionsgefahr bestehe. Darüber hinaus würde die Fachperson, die bestrebt sei, die NOx Ausbeute bei einem großtechnischen Verfahren zu optimieren und ein Verfahren unter hohem Druck anstrebe, das Beispiel 3 in D2 nicht heranziehen.

Hilfsanträge I-IV

Hilfsanträge I-IV seien zu berücksichtigen, da sie bereits im Einspruchsverfahren eingereicht worden seien. Ferner sei konkret auf die Eingabe vom 11. Mai 2021 aus dem Einspruchsverfahren verwiesen worden, die somit ebenfalls zu berücksichtigen sei. Außerdem liege der Kern der Erfindung darin, einen niedrigen O2-Anteil einzustellen, wie im zweiten Absatz auf Seite 8 der Beschwerdeerwiderung dargelegt. Es sei offensichtlich, dass die Hilfsanträge hierauf abzielten und durch Angabe des Sauerstoffgehalts im Produktgas von 0,3 Vol.-% und 2,0 Vol.-% den Kern der Erfindung näher definierten.

Hilfsantrag V

Hilfsantrag V sei unter Artikel 13(2) VOBK zu berücksichtigen, da außergewöhnliche Umstände vorlägen.

Die Ansprüche 1 und 2 seien klar; insbesondere seien keine Klarheitsmängel durch Änderungen herbeigeführt worden.

D16 sei nicht ins Verfahren zuzulassen.

Anspruch 2 sei ausgehend von D10 erfinderisch.

X. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Sie beantragt hilfsweise die Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag) und hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines der Hilfsanträge I-IV vom 11. Mai 2021 oder auf der Grundlage des Hilfsantrags V vom 14. Dezember 2023 aufrecht­zu­erhalten.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Erfinderische Tätigkeit

1.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Oxidation von Ammoniak für die Herstellung von Stickoxiden, das insbesondere bei der Herstellung von Salpetersäure und Caprolactam eingesetzt wird (Absatz [0001]).

1.2 D2 betrifft ebenfalls die Ammoniakoxidation, beispielsweise für die Salpetersäureherstellung (Seite 1, Zeilen 2-5) und ist daher ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, wobei insbesondere Beispiel 3 relevant ist.

1.3 Das Streitpatent befasst sich mit der technischen Aufgabe, ein verbessertes Verfahren für die großtechnische Ammoniakoxidation bereitzustellen, mit dem eine höhere NOx-Ausbeute erzielt wird (Absätze [0002], [0047] und [0133]).

1.4 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent das in Anspruch 1 definierte Verfahren vor, bei welchem das molare Verhältnis von O2/NH3 im Eduktgasgemisch durch Zusatz eines Gases mit einem Sauerstoffgehalt von weniger als 20% eingestellt wird.

1.5 Jedoch ist ausgehend von Beispiel 3 in D2, in dem als Eduktgasgemisch 11-12% Ammoniak in Luft eingesetzt wird, zum Erzielen des beanspruchten O2/NH3-Verhältnisses gerade kein weiterer Zusatz nötig, da dieser Parameter kein unterscheidendes Merkmal darstellt. Das O2/NH3-Verhältnis des in D2 verwendeten Eduktgasgemischs (11-12% NH3 in Luft, s.o.) lässt sich unter Zugrundelegung der bekannten Zusammensetzung von Luft berechnen und liegt innerhalb des beanspruchten Bereichs, entsprechend den übereinstimmenden Ergebnissen beider Parteien (Beschwerdebegründung, Seite 9, letzter Absatz; Beschwerdeerwiderung, Seite 7, vorletzter Absatz). Auch wenn D2 das O2/NH3-Verhältnis nicht ausdrücklich als Parameter benennt, wird dieser somit implizit offenbart. Da es sich um kein unterscheidendes Merkmal handelt, sind Argumente, die dessen angeblichen technischen Effekt betreffen, folglich nicht relevant. Dies gilt insbesondere für die von der Beschwerde­gegnerin mit Verweis auf die Figuren 4-6 des Streitpatents angeführte verbesserte NOx Ausbeute.

Ein Unterschied kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Formulierung im Anspruch "durch Zusatz ... eingestellt wird" lautet; das O2/NH3-Verhältnis ergibt sich aus der Zusammensetzung des Eduktgasgemischs als Ganzes, d.h. jeder Bestandteil dient im weitesten Sinn "zum Einstellen".

1.6 Da der Ammoniakgehalt und das O2/NH3-Verhältnis in D2 somit bereits ohne Zusatz eines Gases mit einem Sauerstoffgehalt von weniger als 20% innerhalb des in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchten Bereichs liegen, impliziert der Anspruch auch keine Mindestmenge eines solchen Zusatzes. Der Zusatz einer minimalen Menge eines Gases mit einem Sauerstoffgehalt von weniger als 20% kann (bei gegebenem O2/NH3-Verhältnis) auch zu keiner technisch signifikanten Verdünnung führen und somit keine Auswirkung auf die NOx-Ausbeute oder die Explosionsgrenze haben, entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin.

Ausgehend von Beispiel 3 in D2 ist der Zusatz (einer undefinierten, d.h. möglicherweise minimalen Menge) eines Gases mit einem Sauerstoffgehalt von weniger als 20% zum Luftstrom als willkürliche und nicht-funktionale Modifikation anzusehen.

Auch ist Anspruch 1 entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht auf großtechnische Verfahren beschränkt, unabhängig davon, dass sich Beispiel 3 in D2 bereits auf eine industrielle Anlage (commercial plant) bezieht. Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass das Streitpatent eine Umsetzung bei hohem Druck anstrebe, ist ebenfalls irrelevant, da Anspruch 1 keinen Druck definiert.

1.7 Die objektive technische Aufgabe kann somit lediglich im Bereitstellen einer Alternative gesehen werden.

1.8 Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind Merkmale, die nicht zur Lösung der in der Beschreibung gestellten Aufgabe beitragen, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einer Kombination von Merkmalen nicht zu berücksichtigen; eine willkürliche und nicht-funktionale Modifikation kann keine erfinderische Tätigkeit begründen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage 2022, I.D.9.6; T 2044/09, Gründe 4.6).

1.9 Folglich beinhaltet der Gegenstand von Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit.

Hilfsanträge I-IV

2. Artikel 12 VOBK

2.1 Die Hilfsanträge wurden bereits im Einspruchsverfahren eingereicht, in der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht behandelt, da der Hauptantrag gewährt wurde.

2.2 Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerde­begründung auch die Hilfsanträge inhaltlich angegriffen (ab Seite 11).

Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Beschwerde­erwiderung hingegen inhaltlich nichts zu den Hilfs­anträgen vorgetragen. Sie hat lediglich angegeben, dass sie die in der ersten Instanz zuletzt gestellten Hilfsanträge I-IV vom 11. Mai 2021 aufrechterhalte (Beschwerde­erwiderung, Seite 10, letzter Satz). Mit der Angabe des Datums stellt sie klar, welche Hilfsanträge gemeint sind. Sie nimmt damit jedoch auf keine inhaltlichen Ausführungen aus dem Einspruchs­verfahren Bezug, unabhängig davon, dass eine lediglich pauschale Bezugnahme nicht ausreichen würde, um Vorbringen aus dem Einspruchs­verfahren zum Teil des Beschwerdevorbringens zu machen.

In Anspruch 1 des Hilfsantrags I wurde das O2/NH3-Verhältnis auf den engeren Bereich von 1,35-1,60 eingeschränkt. Es ist nicht ersichtlich, was mit dieser Änderung bewirkt werden soll und welchen möglichen Beitrag dieser engere Bereich zur erfinderischen Tätigkeit haben könnte, zumal diese Änderung keine weitere Abgrenzung von D2 bewirkt, da insbesondere das Eduktgasgemisch mit 12% Ammoniak in Luft aus Beispiel 3 von D2 weiterhin im beanspruchten Bereich liegt.

Im jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge II-IV wurden mehrere Änderungen vorgenommen (u.a. betreffend die Katalysatorstruktur, das O2/NH3-Verhältnis und den Sauerstoffgehalt), die jedoch im Erwiderungsschriftsatz nicht benannt wurden. Das Herausarbeiten der Änderungen im Vergleich zum jeweils höherrangigen Antrag (Punkt IV. oben) erfolgte durch die Kammer. Es sind weder die Änderungen selbst, noch ihre Rolle für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit selbsterklärend.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin ergibt sich ihre Rolle auch nicht aus dem zweiten Absatz auf Seite 8 der Beschwerdeerwiderung, in dem der Einfluss des Sauerstoff­partialdrucks und des O2/NH3-Verhältnisses auf die NOx Ausbeute diskutiert wird. Dieser Absatz betrifft den Hauptantrag und insbesondere das Absenken des molaren O2/NH3-Verhältnisses auf 1,25-1,75. Es wird kein unmittelbarer Zusammenhang mit den zusätzlichen Merkmalen in den Hilfsanträgen hergestellt; der Sauerstoffgehalt im Produktgas wird noch nicht einmal erwähnt.

2.3 Aus diesen Gründen lässt es sich weder dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin entnehmen, welchen Zweck die Hilfsanträge jeweils haben, auf welche Weise sie Einwände gegenüber dem Hauptantrag ausräumen könnten und warum den inhaltlichen Einwänden der Beschwerde­führerin gegen die Hilfsanträge I-IV nicht gefolgt werden sollte, noch ist dies selbsterklärend.

Das Erfordernis, anzugeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen (Artikel 12(3) VOBK), ist somit in Bezug auf die Hilfsanträge I-IV nicht erfüllt.

Die Kammer entschied unter Ausübung ihres Ermessens unter Artikel 12(5) VOBK, die Hilfsanträge I-IV nicht zu berücksichtigen.

Hilfsantrag V

3. Artikel 13(2) VOBK

3.1 Hilfsantrag V wurde am 14. Dezember 2023 eingereicht, nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung (Ladung vom 16. Februar 2023) sowie der Mitteilung der vorläufigen Meinung der Kammer unter Artikel 15(1) VOBK (18. Oktober 2023) und kurz vor der für den 18. Dezember 2023 angesetzten mündlichen Verhandlung.

In Hilfsantrag V wurden sämtliche Verfahrensansprüche, d.h. die Verfahrensansprüche 1 bis 20 des Hauptantrags, ersatzlos gestrichen und lediglich die Vorrichtungsansprüche (Ansprüche 21 bis 25 des Hauptantrags) als Ansprüche 1-5 beibehalten.

3.2 Die Prüfung, ob Vorbringen im Verfahren zu berücksichtigen ist, erfolgt (wie bei Artikel 12(4) VOBK) auch bei Artikel 13(1) und (2) VOBK in zwei Schritten. Zunächst ist gemäß Artikel 13(1) Satz 1 VOBK festzustellen, ob es sich dabei um eine Änderung des Vorbringens gegenüber dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung oder -erwiderung handelt. Nur falls dies der Fall ist, muss die Kammer in einem zweiten Schritt entscheiden, ob sie ihr Ermessen entlang der in Artikel 13(1) Satz 2 bis 4 bzw. Artikel 13(2) VOBK niedergelegten Vorgaben dahingehend ausübt, den Vortrag im Verfahren noch zu berücksichtigen.

3.3 Hilfsantrag V wird als Änderung des Beschwerde­vorbringens angesehen, im Einklang mit T 1569/17 (Gründe 4.3), T 2091/18 (Gründe 3-5), T 494/18 (Gründe 1, insbes. 1.4), T 532/20 (Gründe 9.5-9.7), T 1058/20 (Gründe 1.3.3), T 2295/19 (Gründe 3.4.2- 3.4.5) und T 602/21 (Gründe 9.2.2).

Diese Sichtweise wird auch dadurch gestützt, dass eine Kammer über einen Anspruchssatz nur als Ganzes entscheiden kann (R 7/14, Gründe 4.2.2). Sofern daraus auch nur ein Anspruch nicht gewährbar ist, hat die Kammer keine Verpflichtung, die anderen Ansprüche zu prüfen (ebenda).

Das Streichen der Verfahrensansprüche führt hier zur Notwendigkeit, die Vorrichtungs­ansprüche ebenfalls zu prüfen. Daher kann es nicht lediglich als Verzicht auf einen Teil des Streitgegenstands angesehen werden, der keine Änderung des Beschwerdevorbringens wäre. Die Frage, inwieweit die verbleibenden Ansprüche bereits erörtert wurden bzw. welchen Umfang die notwendige weitere Prüfung hat, betrifft dagegen Aspekte der Verfahrensökonomie und der Fairness des Verfahrens. Sie ist daher entgegen einer nach Einführung der VOBK auch vertretenen Linie in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. u.a. T 1480/16, Gründe 2.3, T 995/18, Gründe 2, T 1151/18, Gründe 2.1 , T 2201/19, Gründe 5.5) nicht bereits relevant für die Frage, ob eine Änderung vorliegt, sondern erst für die in einem zweiten Schritt vorzunehmende Ermessensausübung, ob diese noch ins Verfahren zugelassen werden kann (inzwischen überwiegende Ansicht, vgl. T 494/18, Gründe 1.3.2, mit Verweis auf die weitere Rechtsprechung; eine ähnliche Sichtweise wurde im Übrigen auch in der nachveröffentlichten Entscheidung T 598/20 von der dortigen Kammer vertreten, Gründe 7).

3.4 Somit sind für Hilfsantrag V die Bestimmungen des Artikels 13(2) VOBK anzuwenden, gemäß denen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Daher ist zu prüfen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.4.1 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass in Hilfsantrag V zwar in Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer die dort beanstandeten Ansprüche gestrichen worden seien, die Kammer gegenüber diesen Ansprüchen jedoch lediglich der Sichtweise der Beschwerdeführerin gefolgt sei und darin keine außergewöhnlichen Umstände gesehen werden könnten.

Es gebe keine überraschende Verfahrensentwicklung, die das Berücksichtigen von Hilfsantrag V rechtfertigen würde. Dieser stelle eine neue Verteidigungslinie dar, da grundsätzlich über einen Antrag als Ganzes zu entscheiden sei. Der Antrag hätte bereits im Einspruchsverfahren eingereicht werden können und müssen. Zudem widerspreche es dem Konvergenzansatz, wenn außergewöhnliche Umstände darin gesehen würden, dass ein Antrag prima facie gewährbar sei, da die prima facie Gewährbarkeit bereits in der ersten und zweiten Stufe des Konvergenzansatzes (Artikel 12(4) und 13(1) VOBK) zu berücksichtigen sei. Da keine außergewöhnlichen Umstände aufgezeigt worden seien, dürfe Hilfsantrag V gemäß dem Wortlaut von Artikel 13(2) VOBK ("grundsätzlich unberücksichtigt bleiben"), an den die Kammer gemäß Artikel 23 VOBK gebunden sei, nicht berücksichtigt werden.

3.4.2 Die Kammer ist an die Verfahrensordnung gebunden, muss bei ihrer Anwendung deren Vorschriften aber sachgerecht auslegen. Dabei wäre es nicht legitim, den Begriff "außergewöhnliche Umstände" auf den in den erläuternden Bemerkungen anlässlich der Einführung der VOBK genannten typischen Anwendungsfall der Reaktion auf eine späte Verfahrensentwicklung zu beschränken. Zum einen wird dies nur als Beispiel einer Anwendung genannt, neben dem andere möglich erscheinen. Zum anderen wären die vorbereitende Arbeiten gemäß Artikel 32 Wiener Vertragsrechtskonvention ohnehin nur ein ergänzendes Auslegungsmittel, das eine nach der allgemeinen Auslegungsregel in Artikel 31 dieses Übereinkommens ermittelte Bedeutung einer Vorschrift zwar bestätigen, aber nur in wenigen genannten Ausnahmefällen verändern kann.

Insoweit hat in T 2295/19 (siehe Gründe Nr. 3.4.12 ) die dortige Kammer bereits darauf hingewiesen, dass der Wortlaut von Artikel 13(2) VOBK nur das Vorliegen außergewöhnlicher Gründe verlangt, nicht aber eine Kausalität zwischen diesen Gründen und der Einreichung der späten Änderung. Die Reaktion auf eine späte Verfahrensentwicklung ist nur ein möglicher von mehreren unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" subsumierbaren Anwendungsfällen.

Auch die Ausführungen in Punkt 3.4.13 der genannten Entscheidung überzeugen, dass bei einer teleologischen Auslegung der Vorschrift vor dem Hintergrund der zugrunde liegenden Artikel 114(2) und 123(1) EPÜ die Befugnis zur Nichtberücksichtigung späten Vortrags keinen Selbstzweck darstellt, sondern den Grundsätzen der Verfahrensökonomie und des fairen Verfahrens dient. Zu verhindern sind daher missbräuchliche Verfahrensverzögerungen und die Übervorteilung der anderen Partei, nicht aber sachgerechte Verfahrensbeschränkungen innerhalb des bislang diskutierten Rahmens.

3.4.3 Die Kammer hat für den Fall, dass in der Streichung einer Anspruchskategorie eine Änderung gesehen wird, bereits einmal festgestellt, dass die Tatsache, dass durch die Beschränkung die Verfahrensökonomie erheblich gefördert wird, indem die bestehenden Einwände eindeutig ausgeräumt werden, ohne dass neue Fragen aufgeworfen werden, als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13(2) RPBA 2020 angesehen werden können (vgl. T 1857/19, Gründe 1.1). Die Kammer bleibt bei dieser Auffassung und schließt sich dementsprechend der Sichtweise in T 2295/19 an, dass außergewöhnliche Umstände nicht im Verfahrensverlauf liegen müssen, sondern auch rechtlicher Natur sein können (Gründe 3.4.6-3.4.14).

Hier wie in den beiden zuletzt genanten Fällen unterscheidet sich der Hilfsantrag von einem früheren Antrag nur darin, dass eine Anspruchskategorie gestrichen wurde., Die verbleibenden Ansprüche waren von den Parteien in ihren Schriftsätzen jeweils bereits eingehend erörtert worden.

3.4.4 Der Hilfsantrag kann in Ausübung des der Kammer auch im Rahmen von Artikel 13(2) VOBK zustehenden Ermessens vor diesem Hintergrund berücksichtigt werden, wenn weder eine Änderung des faktischen oder rechtlichen Rahmens des Verfahrens, noch die Notwendigkeit einer Neugewichtung des Verfahrens­gegenstandes vorliegen und einer Entscheidung im Rahmen der mündlichen Verhandlung nichts entgegensteht und so weder eine Beeinträchtigung der Verfahrensökonomie, noch eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens zu erwarten ist.

3.4.5 Diese Erwägungen entsprechen den Kriterien, die die Rechtsprechung auch bereits zur Begründung herangezogen hat, wann Streichungen als bloße Beschränkung und nicht als Änderung angesehen werden sollten. Auch wenn die Kammer sich inzwischen der Auffassung angeschlossen hat, dass die Erwägungen in dogmatischer Hinsicht erst in einem zweiten Schritt der Entscheidung bei der Ermessensausübung ihren Platz haben sollten (siehe oben Punkt 3.3), so ist doch im Kern der Beurteilung eine inhaltliche Kontinuität in der Rechtsprechung festzustellen. Auf dieser baut auch die Entscheidung T 2295/19 auf, die eben diese Kriterien anwendet (Gründe 3.4.14) und darauf verweist, dass einige Kammern in ähnlich gelagerten Fällen zuvor auch schon das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände bejaht haben (siehe Gründe 3.4.11 und die dort genannten Entscheidungen), wie auch die ähnliche Entscheidung T 2920/18 derselben Kammer (Gründe 3.1-3.16). Mehrere anschließende Entscheidungen folgten dieser Sichtweise, so beispielsweise T 1172/21 (Gründe 2), T 732/21 (Gründe 2-15), T 685/21 (Gründe 1.1-1.4), T 602/21 (Gründe 9.2), T 546/21 (betreffend spät eingereichte Beweismittel) dem Grunde nach, wobei in der dortigen Sachlage außergewöhnliche Umstände verneint wurden (Gründe 7.4.3), und T 424/21 (Gründe 21-24).

3.4.6 Daher scheint sich eine einheitliche Rechtsprechungs­linie dahingehend zu entwickeln, dass in Fällen, in denen durch eine unkomplizierte Änderung wie durch das Streichen einer gesamten Anspruchskategorie eine Antragsfassung vorliegt, auf deren Basis das Patent erkennbar aufrechterhalten werden kann, außer­gewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13(2) EPÜ vorliegen können. Diese erlauben dann eine positive Ermessensausübung, wenn die Änderung den faktischen oder rechtlichen Rahmen des Verfahrens nicht verschiebt, keine Neugewichtung des Verfahrens­gegenstandes bedingt und weder dem Grundsatz der Verfahrensökonomie noch den berechtigten Interessen einer Verfahrenspartei zuwiderläuft.

3.4.7 Diese Rechtsprechung fügt sich auch hinsichtlich des Grades der geforderten prima facie Relevanz in die Stufen des mit der VOBK etablierten Konvergenzansatzes ein. Während auf der ersten Stufe unter Artikel 12(4) VOBK bei der Ermessensausübung lediglich die Eignung zur Behandlung der Fragestellungen, die zur angefochtenen Entscheidung führten, verlangt wird, ist unter Artikel 13(1) VOBK auf der zweiten Stufe bereits die Eignung zur Lösung der von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren oder von der Kammer aufgeworfenen Fragen gefordert und darf die Änderung keinen Anlass zu neuen Einwänden geben. Im Vergleich zu den beiden ersten Stufen des Konvergenzansatzes nochmals verschärft sind die Kriterien, die im Rahmen der oben genannten Rechtsprechung erfüllt sein müssen, um einen außergewöhnlichen Umstand unter Artikel 13(2) VOBK anzunehmen. Dies ist im Fall einer Streichung von Ansprüchen möglich, da eine solche nicht nur geeignet ist, sondern ohne jeden Zweifel die gegen diese gerichteten Einwände beseitigt, ohne Anlass zu neuen Einwänden zu geben (indem sie nämlich allen gegen die gestrichenen Ansprüche erhobenen Einwänden die Grundlage entzieht), und die außergewöhnlichen Umstände regelmäßig auch darin liegen, dass durch die Streichung die letzten verbliebenen Einwände erkennbar beseitigt werden. Die Kriterien aus Artikel 13(1) VOBK werden daher gleich in zweifacher Hinsicht enger gefasst und müssen somit in qualifizierter Weise erfüllt sein. Daher steht die oben genannte Rechtsprechung dem Konvergenzansatz nicht entgegen, sondern führt diesen logisch fort.

3.4.8 Die Voraussetzungen für eine positive Ermessensausübung liegen im vorliegenden Fall vor: Im Beschwerdeverfahren wurden die Verfahrens- und Vorrichtungsansprüche unabhängig voneinander angegriffen und gleichermaßen diskutiert. Alle Beteiligten mussten ohnehin darauf eingestellt sein, dass die nun verbleibenden Vorrichtungsansprüche als Teil des Hauptantrags zu behandeln sein würden. Die Änderung ist unkompliziert und wirft keine neuen Fragen auf. Die Streichung der Verfahrensansprüche behebt zweifelsohne die diese betreffenden Einwände vollständig. Die Kammer hat die verbleibenden Vorrichtungsansprüche in ihrer Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK erörtert und kam zur vorläufigen Einschätzung, dass diese gewährbar seien.

Daher wurde hier durch die Streichung einer der beiden Anspruchskategorien weder ein neuer Sachverhalt eingeführt noch ein neuer Schwerpunkt gesetzt. Der faktische oder rechtliche Rahmen des Verfahrens verschiebt sich nicht. Eine Beeinträchtigung der Verfahrensökonomie oder eine Verletzung der Interessen der Beschwerdeführerin ist nicht erkennbar.

3.5 Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, dass die Beschwerdegegnerin ihrer Verpflichtung unter Artikel 13(2) VOBK nicht nachgekommen sei, stichhaltige Gründe für die außergewöhnlichen Umstände aufzuzeigen.

Jedoch hat die Beschwerdegegnerin mit Einreichen des Hilfsantrags V ausgeführt, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen, da die Änderungen unkompliziert seien, da über keinen neuen Gegenstand verhandelt werden müsse. Ferner sei Hilfsantrag V gemäß der vorläufigen Meinung der Kammer prima facie gewährbar und werfe keine neuen Streitpunkte auf (Eingabe vom 14. Dezember 2023). Damit hat sie stichhaltige Gründe aufgezeigt. Unabhängig davon bedeutet die Verpflichtung, stichhaltige Gründe aufzuzeigen, nicht, dass die Kammer darüber hinaus nicht auch außergewöhnlicher Umstände anerkennen könnte, die in selbsterklärender Weise für alle Beteiligten unmittelbar ersichtlich sind.

3.6 Aus diesen Gründen war Hilfsantrag V zu berücksichtigen.

4. Keine Notwendigkeit einer Vorlage an die Große Beschwerdekammer

4.1 Die Beschwerdeführerin beantragte, der Großen Beschwerdekammer die oben genannten Fragen (Punkt VII.) vorzulegen.

4.2 Die ersten beiden Fragen zielen darauf ab, zu klären, ob Hilfsantrag V eine Änderung des Beschwerde­vorbringens darstellt, die den Bestimmungen des Artikels 13 VOBK unterliegt.

Zwar gibt es Entscheidungen, in denen eine Streichung von Ansprüchen, durch welche sich die Sachlage nicht änderte, nicht als Änderung des Beschwerdevorbringens gewertet wurde und Artikel 13(2) VOBK daher nicht anzuwenden war (z.B. T 1480/16, Gründe 2.3 und T 995/18, Gründe 2), so dass eine Klärung im Interesse einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung sein könnte. Im vorliegenden Fall sind die Fragen jedoch nicht entscheidungsrelevant, da die Schlussfolgerung dieselbe bliebe. So wäre Hilfsantrag V auch dann zu berücksichtigen, wenn dieser anders als unter Punkt 3.3 dargelegt keine Änderung des Beschwerdevorbringens wäre, da die Kammer dann kein Ermessen hätte, ihn nicht zu berücksichtigen.

4.3 Die dritte Frage bezieht sich auf die hier vorliegende Situation, in der Hilfsantrag V als Änderung des Beschwerdevorbringens angesehen wird und in der das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu prüfen ist. Wie oben dargelegt (Punkte 3.4.3 bis 3.4.6), entwickelt sich die Rechtsprechung in dieser Frage dahin, dass die prima facie Gewährbarkeit bei der Betrachtung, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, in besonders gelagerten Fällen mit herangezogen werden kann, ohne dass dadurch das für die dritte Stufe des Konvergenz­ansatzes maßgebliche Kriterium auf dasjenige der zweiten Stufe abgeschwächt würde (siehe Punkt 3.4.7).

Nicht zuletzt sehen die Erläuterungen zur revidierten Fassung der VOBK vom 1. Januar 2020 ausdrücklich vor, dass die Kammer in der dritten Stufe des Konvergenz­ansatzes auch Kriterien heranziehen kann, die für die zweite Stufe des Konvergenzansatzes, d. h. für Artikel 13 Absatz 1, maßgeblich sind.

4.4 Da somit davon auszugehen ist, dass sich die Rechtsprechung der Kammern derzeit vereinheitlicht und künftig entlang den überzeugenden Ausführungen in T 2259/19 ausrichten wird, und ein Kernpunkt, auf den die Fragen abzielen, überdies im Grundsatz bereits in den Gesetzesmaterialen beantwortet ist, besteht keine Notwendigkeit (mehr), die oben genannten Fragen (Punkt VII.) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung an die Große Beschwerdekammer vorzulegen (Artikel 112(1)(a) EPÜ).

5. Klarheit

5.1 Anspruch 1

5.1.1 Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, dass Anspruch 1 unklar sei, da die Vorrichtung (12) anhand von Verfahrensmerkmalen definiert werde. Ferner sei unklar, ob die Vorrichtung (12) zur Abreicherung von Sauerstoff Teil der beanspruchten Anlage ist.

5.1.2 Der relevante Teil des Anspruchs lautet (mit Markierungen durch die Kammer): "wobei als Vorrichtung (12) zur Abreicherung von Sauerstoff aus einem Sauerstoff enthaltenden Gasgemisch, vorzugsweise aus Luft gemäß c2) eine [deleted: durch] Druckwechseladsorption, kryogene Zerlegung oder [deleted: mittels] Membranen vorgesehen sind". Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sind die Wörter "durch" und "mittels" darin nicht enthalten.

5.1.3 Die Kammer kann in dem genannten Merkmal keine Definition anhand von Verfahrensschritten erkennen. Insbesondere wurde keine Definition anhand von Verfahrensmerkmalen durch eine Änderung im Vergleich zur erteilten Fassung (siehe beispielsweise Anspruch 28 wie erteilt) neu aufgenommen.

Eine Druckwechseladsorption wird "als Vorrichtung (12)" genannt, d.h. im Sinn einer Ausführungs­form der Vorrichtung (12) zur Abreicherung von Sauerstoff. Daher bestehen keine Zweifel, dass es sich bei der Druckwechseladsorption um eine Vorrichtung handelt. Gleiches gilt für die kryogene Zerlegung und ohnehin für Membranen.

5.1.4 Aus dem Anspruchswortlaut geht zudem eindeutig hervor, dass die Vorrichtung (12) Teil der beanspruchten Anlage ist (Anlage ... umfassend: ... C) Vorrichtung ... aufweisend c2) eine Vorrichtung (12) zur Abreicherung von Sauerstoff...). In diesem Kontext kann das Merkmal "wobei als Vorrichtung (12) zur Abreicherung von Sauerstoff ... eine Druckwechseladsorption, kryogene Zerlegung oder Membranen vorgesehen sind" nur so verstanden werden, dass der Begriff "vorgesehen sind" die möglichen Ausführungsformen der Vorrichtung (12) angibt, d.h. die Vorrichtung (12) auf diese (Druckwechseladsorption, kryogene Zerlegung und Membranen) beschränkt.

5.1.5 Somit wurde im Vergleich zum Wortlaut der erteilten Fassung vielmehr klargestellt, dass eine Vorrichtung zur Abreicherung von Sauerstoff definiert wird und diese Vorrichtung Teil der beanspruchten Anlage ist (vgl. hingegen Anspruch 23 wie erteilt "wobei der sauerstoffhaltige Gasstrom erzeugt wird [...] c2) durch").

5.1.6 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin benötigt der Begriff "eine Vorrichtung (12)" unter c2) in Anspruch 1 kein Bezugswort, da die Vorrichtung (12) erstmalig genannt wird. Diese Nennung ist dann das Bezugswort für "wobei als Vorrichtung (12)" im Anschluss an die Punkte D) und E).

5.1.7 Daher ist in Anspruch 1 kein durch Änderungen gegenüber der erteilten Fassung neu hervorgerufener Klarheitsmangel vorhanden.

5.2 Anspruch 2

5.2.1 Der Begriff "des Absorptionsturmes" (Hervorhebung durch die Kammer) in Anspruch 2 hat kein Bezugswort.

Gemäß der angefochtenen Entscheidung war dies bereits in Anspruch 27 der erteilten Fassung der Fall, welcher auf Anspruch 23 der erteilten Fassung rückbezogen war und somit dieselbe Merkmalskombination betraf. Daher habe es sich nicht um das Ergebnis einer Änderung gehandelt, das gemäß G 3/14 unter Artikel 84 EPÜ zu prüfen wäre (Seite 10, Punkt 3.2, zweiter Absatz der angefochtenen Entscheidung). Die Einspruchs­abteilung betonte, dass gemäß G 3/14 ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ nicht als Ergebnis einer Änderung betrachtet werden könne, wenn ein in den Ansprüchen der erteilten Fassung bereits vorhandenes Klarheitsproblem durch die Änderung nur aufgezeigt, verdeutlicht oder sichtbar gemacht wird.

5.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte hingegen, dass die Klarheit eine Frage des Anspruchssatzes als Ganzes sei. Die Fachperson hätte in der erteilten Fassung unmittelbar erkannt, dass der Rückbezug in Anspruch 27 auf "mindestens einen der Ansprüche 23 bis 26" fehlerhaft sei. Die Fachperson hätte diesen somit als "auf Anspruch 24" rückbezogen gelesen. Eine solche berichtigende Interpretation sei dagegen im geänderten Anspruch 2 nicht möglich. Der Klarheitseinwand in Bezug auf Anspruch 2 sei somit anderer Natur als der fehlerhafte Rückbezug in der erteilten Fassung. Die Unklarheit sei ein Ergebnis der Änderung und somit gemäß G 3/14 unter Artikel 84 EPÜ zu prüfen. Der vorliegende Fall sei von Situationen abzugrenzen, in denen lediglich eine gegebene Unklarheit von einem abhängigen Anspruch in einen unabhängigen Anspruch verschoben worden sei.

5.2.3 Diese Argumente sind nicht überzeugend. Die Merkmalskombination mit fehlendem Bezugswort war bereits im erteilten Anspruchssatz enthalten. Die Argumente der Beschwerdeführerin zeigen lediglich, dass das Klarheitsproblem nun sichtbar oder relevanter wurde. Dies ist jedoch gerade kein Grund, den Klarheitsmangel als das Ergebnis einer Änderung anzusehen, wie von der Einspruchsabteilung zutreffend so festgestellt. Hierzu wird auf G 3/14 (Gründe 80k und 87 in Verbindung mit 27-29) verwiesen.

Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin insbesondere in dem zentralen Punkt nicht, dass die Fachperson den fehlerhaften Rückbezug in der erteilten Fassung unweigerlich korrigieren würde, gleichsam entsprechend der Berichtigung eines offensichtlichen Fehlers, und Anspruch 27 in der erteilten Fassung zwingend als nur auf Anspruch 24 rückbezogen zu verstehen gewesen wäre. So konnte der Anspruch auch so verstanden werden, dass beispielsweise ein Absorptionsturm als weiteres Merkmal der beanspruchten Anlage definiert wurde.

5.2.4 Daher ist auch in Anspruch 2 kein durch Änderungen gegenüber der erteilten Fassung neu hervorgerufener Klarheitsmangel vorhanden.

5.3 Die Einwände wegen mangelnder Klarheit sind somit nicht überzeugend.

6. Berücksichtigung von D16, Artikel 12 VOBK

6.1 D16 wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht. D16 wurde als sekundäres Dokument genannt, um die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 22 des Hauptantrags (nun Anspruch 2) ausgehend von D10 anzugreifen.

Die Beschwerdeführerin gibt als Grund für das späte Vorlegen von D16 lediglich dessen angebliche prima facie Relevanz an.

Hingegen kann das späte Einreichen von D16 nicht als Reaktion auf die angefochtene Entscheidung angesehen werden. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit wurde bereits vor der Einspruchsabteilung diskutiert. Anspruch 22 des Hauptantrags vom 11. Mai 2021 war bereits in der vorherigen Fassung des Hauptantrags vom 14. September 2020 (d.h. knapp zehn Monate vor der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren eingereicht) enthalten.

D16 hätte somit bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt werden sollen.

6.2 Diese Einschätzung ändert sich auch nicht vor dem Hintergrund des späten Einreichens des Hilfsantrags V, der einen mit Anspruch 22 des Hauptantrags identischen Anspruch enthält (Anspruch 2). Da sich durch die Berücksichtigung von Hilfsantrag V der Verfahrensgegenstand gerade nicht ändert (siehe Punkt 3.4.8 oben), kann Hilfsantrag V auch nicht als für die Beschwerdeführerin überraschend und D16 nicht als Reaktion hierauf gewertet werden.

6.3 Daher war D16 nicht zu berücksichtigen (Artikel 12(6) VOBK).

7. Anspruch 2, erfinderische Tätigkeit

7.1 Im Einklang mit den Parteien und der angefochtenen Entscheidung wird D10 als nächstliegender Stand der Technik angesehen.

7.2 Es ist unstreitig, dass D10 nicht offenbart, dass bei der Vorrichtung zum Verdünnen eines Luftstroms gemäß Merkmal c1) die Verdünnung mit einem aus dem Restgas stromabwärts des Absorptionsturmes entnommenen Gasstrom erfolgt. Das mögliche weitere Unterscheidungsmerkmal betreffend den Katalysator wird von der Beschwerdegegnerin selbst als entscheidungsunerheblich angesehen (Beschwerde­erwiderung, der die Seiten 5-6 verbindende Satz).

7.3 Anspruch 2 wird so verstanden, dass die Vorrichtung gemäß c1) strukturell entsprechend ausgelegt sein muss, d.h. insbesondere eine Leitung vorhanden ist, über die ein stromabwärts eines Absorptionsturmes entnommener Gasstrom in die Vorrichtung zum Verdünnen geleitet werden kann.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass dieses Merkmal insbesondere wegen des fehlenden Bezugswortes für den Begriff "des Absorptionsturms" völlig unklar und daher bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit außer Acht zu lassen sei.

Jedoch ist der Fachperson ein Absorptionsturm im Zusammenhang mit einer Anlage zur Oxidation von Ammoniak allgemein bekannt. Darüber hinaus kann die Fachperson feststellen, ob eine Leitung von einem - wie auch immer gestalteten - Absorptionsturm zur Vorrichtung zum Verdünnen des Luftstroms führt, auch wenn der Anspruch die genaue Funktion und Anordnung des Absorptionsturms nicht angibt. Daher kann das Merkmal c1) bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit nicht außer Acht bleiben.

Im Vergleich mit D10 ist der dort beschriebene Absorptionsturm 20 (siehe die Figur) als Absorptionsturm im Sinn von Anspruch 2 anzusehen.

7.4 Selbst wenn die zu lösende Aufgabe als das Bereitstellen einer Alternative angesehen wird, ist die beanspruchte Lösung ausgehend von D10 nicht naheliegend.

7.5 Entsprechend der Lehre von D10 ist als Reaktions­mischung Luft, Ammoniak, Sauerstoff und ein inertes Kühlfluid einzusetzen, wobei das inerte Kühlfluid bevorzugt Wasser ist (D10, Seite 3, Zeilen 46-51; Seite 4, Zeilen 15 und 16, Ansprüche 1 und 2). Es ist nicht ersichtlich, warum die Fachperson das stickstoffreiche Restgas 24 des Absorptionsturms als geeigneten Einsatz für diese Reaktions­mischung ansehen und eine Fluidleitung dafür vorsehen würde. Das Argument der Beschwerdeführerin beruht auf einer ex post facto Betrachtung.

7.6 Der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ist daher nicht überzeugend.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anweisung, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag V eingereicht mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2023 sowie einer gegebenenfalls anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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