T 1480/16 () of 5.2.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T148016.20200205
Datum der Entscheidung: 05 Februar 2020
Aktenzeichen: T 1480/16
Anmeldenummer: 11450110.9
IPC-Klasse: B61B9/00
B61B12/12
B61B13/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Anlage zur Beförderung von Personen und Verfahren zum Betrieb dieser Anlage
Name des Anmelders: Innova Patent GmbH
Name des Einsprechenden: LEITNER S.p.A.
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
RPBA2020 Art 013(1) (2020)
RPBA2020 Art 024 (2020)
RPBA2020 Art 025(1) (2020)
RPBA2020 Art 025(3) (2020)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13 (2007)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsanträge 1 bis 4 (nein)
Zulassung des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 5 - (ja)
Änderung des Vorbringens durch Streichung der Verfahrensansprüche - (nein)
Änderungen - Hilfsantrag 5
Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 5 (ja)
Orientierungssatz:

Die Streichung der Verfahrensansprüche in Hilfsantrag 5 gegenüber dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 3 wird nicht als Änderung des Beschwerdevorbringens gesehen, da sich dadurch keine geänderte Sachlage ergibt (siehe Punkte 2.3 der Gründe).

Angeführte Entscheidungen:
T 0032/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1224/15
T 2222/15
T 1152/16
T 1773/16
T 0282/17
T 0979/17
T 0981/17
T 1259/17
T 1569/17
T 1876/17
T 2360/17
T 2713/17
T 0494/18
T 0908/18
T 0995/18
T 1151/18
T 1486/18
T 2243/18
T 2964/18
T 0482/19
T 1024/19
T 1706/19
T 1792/19
T 1857/19
T 2438/19
T 3020/19
T 0317/20
T 0532/20
T 0541/20
T 0598/20
T 1058/20
T 1114/20
T 0424/21
T 1800/21
T 0042/22
T 1673/22

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 455 267 in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, haben die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin I) sowie die Einsprechende (Beschwerdeführerin II) Beschwerde eingelegt.

II. In der angefochtenen Entscheidung wird von folgenden Entgegenhaltungen ausgegangen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen:

D1: DE 41 33 052 A1;

D4-1: JP 61-138,763 sowie

D4-2: Englische Übersetzung von D4-1.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu sei gegenüber D1. Allerdings wurde der auf ein Verfahren gerichtete erteilte Anspruch 8 als neu angesehen.

Für den geänderten Anspruch 1 gemäß dem mit Telefax vom 20. März 2015 eingereichten Hilfsantrag sah die Einspruchsabteilung die Erfordernisse der Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ erfüllt und keine Verletzung des Artikels 123 (2) EPÜ. Die Neuheit gegenüber D1 und D4 sowie die erfinderische Tätigkeit gegenüber D1 und D4 wurde anerkannt.

III. Am 5. Februar 2020 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis eines der mit Beschwerdebegründung vom 29. August 2016 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 oder auf Basis des Hilfsantrags 3 wie eingereicht mit Schreiben vom 10. März 2017, oder der Hilfsanträge 4 oder 5 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

IV. Anspruch 1 wie erteilt lautet in der Merkmalsgliederung der angefochtenen Entscheidung wie folgt:

a) Anlage zur Beförderung von Personen mit

b) mindestens einer Fahrbahn,

c) längs welcher mittels mehrerer in sich geschlossener Förderseile (1, 2)

d) mehrere Fahrzeuge (3) bzw. Fahrzeuggruppen verfahrbar sind,

e) wobei mindestens zwei aufeinander folgende Förderseile (1, 2) vorgesehen sind,

f) welchen jeweils mindestens ein Antrieb zugeordnet ist, wodurch sie unabhängig voneinander antreibbar sind,

g) und an welche die Fahrzeuge (3) bzw. Fahrzeuggruppen mittels Klemmeinrichtungen (31 bis 35) ankuppelbar sind,

h) dadurch gekennzeichnet, dass die mindestens zwei aufeinander folgenden Förderseile (1, 2) in Längsrichtung der Anlage aufeinander folgend und zumindest angenähert in einer Linie angeordnet sind,

i) dass die Fahrzeuge (3) bzw. Fahrzeuggruppen mit mindestens zwei in Längsrichtung der Anlage voneinander im Abstand angeordneten Klemmeinrichtungen (31 bis 35) ausgebildet sind

k) und dass eine Steuereinrichtung (4) vorgesehen ist, durch welche beim Übergang eines Fahrzeuges (3) von einem ersten Förderseil (1) auf das folgende Förderseil (2) mindestens die in Fahrtrichtung (A) befindliche erste Klemmeinrichtung (31) vom ersten Förderseil (1) abgekuppelt und hierauf an das folgende Förderseil (2) angekuppelt wird und weiters die mindestens eine weitere Klemmeinrichtung (32 bis 35) vom ersten Förderseil (1) abgekuppelt und hierauf an das folgende Förderseil (2) angekuppelt wird.

Anspruch 8 wie erteilt, der als Anspruch 6 in den Hilfsanträgen 1 bis 3 beibehalten wurde, unterscheidet sich von Anspruch 1 wie erteilt nur durch Änderungen in den Merkmalen a) und k), die nun wie folgt lauten (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 sind durch Durchstreichen und Unterstreichen gekennzeichnet):

a') Verfahren zum Betrieb einer Anlage zur Beförderung

von Personen mit

...

k') und dass eine Steuereinrichtung (4, 41, 42)

vorgesehen ist, durch welche beim Übergang eines

Fahrzeuges (3) bzw. einer Fahrzeuggruppe von

einem ersten Förderseil (1) auf das auf dieses

folgende weitere Förderseil (2) mindestens die in

[deleted: Fahrt]Bewegungsrichtung (A) befindliche erste

Klemmeinrichtung (31) vom ersten Förderseil (1)

abgekuppelt und hierauf an das folgende Förderseil

(2) angekuppelt wird und [deleted: weiters] in der Folge die

mindestens eine weitere Klemmeinrichtung (32 bis

35) vom ersten Förderseil (1) abgekuppelt und

hierauf an das folgende Förderseil (2) angekuppelt

wird.

In Hilfsantrag 1 wurden gegenüber dem Hauptantrag die abhängigen Ansprüche 5, 6 und 11 gestrichen. Die nun unabhängigen Ansprüche 1 und 6 sind gegenüber der erteilten Fassung unverändert

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 (entspricht dem im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Hilfsantrag) enthält gegenüber dem erteilten Anspruch 1 das folgende zusätzliche Merkmal:

l) und dass beim Übergang eines Fahrzeuges (3) vom ersten Förderseil (1) auf das folgende Förderseil (2) mindestens eine Klemmeinrichtung (32 bis 35) am ersten Förderseil (1) und mindestens eine Klemmeinrichtung (31) am folgenden Förderseil (2) angekuppelt ist.

Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Hilfsantrag 2 nur in einer Änderung in Merkmal l) des Anspruchs 1, das nun lautet (Hinzufügung unterstrichen):

l') und dass beim Übergang eines Fahrzeuges (3) vom

ersten Förderseil (1) auf das folgende Förderseil (2) gleichzeitig mindestens eine Klemmeinrichtung (32 bis 35) am ersten Förderseil (1) und mindestens eine Klemmeinrichtung (31) am folgenden Förderseil (2) angekuppelt ist.

Hilfsantrag 4 umfasst nach Streichung der Verfahrens­ansprüche nur noch die Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 2, Hilfsantrag 5 die Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 3.

V. Das Vorbringen der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin I lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag

Die Steuereinrichtung gemäß Merkmal k) des Anspruchs 1 steuere den zeitlichen Ablauf der beiden - mittels "und weiters" verbundenen - zeitlichen Abfolgen des Ab- und Ankuppelns der ersten und der weiteren Klemmeinrichtung vom ersten auf das zweite Förderseil. Der Begriff "weiters" sei eng - auch im Sinne einer zeitlichen Abfolge - zu verstehen. Das verfahrensmäßig formulierte Merkmal k) enthalte die konstruktive Aussage, dass beim Übergang immer wenigstens eine Klemmeinrichtung an jedem der Förderseile angekuppelt sein müsse, d. h. der Abstand der Förderseile müsse kleiner als der Abstand der Klemmeinrichtungen sein, was in D1 nicht offenbart sei. An dem durch den Wortlaut der Ansprüche bestimmten Schutzbereich ändere sich nichts, wenn ein im Patent gezeigtes Beispiel dem widerspreche.

Dies werde noch klarer in Anspruch 8 durch die Wortfolge "hierauf ... in der Folge ..." ausgedrückt, womit (auch in Einklang mit der Beschreibung) zeitlich eine zwingende und eindeutige Abfolge bzw. Reihenfolge angegeben werde. Der erste Verfahrensschritt des Ab- und Ankuppelns der ersten Klemmeinrichtung sei abgeschlossen, bevor der zweite Verfahrensschritt bzgl. der zweiten Klemmeinrichtung beginne. Zum Anspruch 8 habe die Einspruchsabteilung bestätigt, dass D1 keine gleichzeitige Ankupplung an beide Zugseile offenbare.

Dies sei kein Widerspruch zu den abhängigen Ansprüchen 5, 6 und 11, da die patentgemäße Anlage nicht nur eine einzige, nach den Hauptansprüchen ausgeführte/betriebene Übergabestation von einem ersten Förderseil auf ein folgendes Förderseil beinhalten könne, sondern auch weitere Übergabestationen (siehe Merkmale e)-g)).

Hilfsantrag 2 (wie aufrechterhalten im Einspruch)

Mit Merkmal l) liege keine Zwischenverallgemeinerung vor. Das in Bezug auf die erste Ausführungsform genannte Merkmal, dass das erste Förderseil angehalten werde, sei nicht zwingend notwendig, weil in der Anmeldung auch eine zweite Ausführungsform beschrieben sei, bei der dieses Merkmal nicht notwendig sei. Merkmal l) sei auch klar.

Der "Übergang" in Merkmal l) des Anspruchs 1 könne nicht nur als zeitliches Ereignis gesehen werden, sondern auch als räumliche Anordnung des Fahrzeuges. Aber selbst wenn man den Übergang als zeitliches Ereignis (Zeitpunkt oder Zeitraum) betrachte, so werde in Übereinstimmung mit Anspruch 8 wie erteilt eindeutig definiert, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum eine Stellung als räumliche bzw. konstruktive Anordnung gebe, in welcher mindestens eine Klemmeinrichtung am ersten Förderseil und mindestens eine Klemmeinrichtung am folgenden Förderseil angekuppelt sei. Das Fahrzeug aus D1 könne nicht gleichzeitig an das erste und an das folgende Förderseil angekuppelt sein, wie durch die Ansprüche 1 und 6 definiert. Bei D4 handele es sich um eine Palette zum Befördern von Waren, nicht von Personen.

Hilfsanträge 4 und 5

Die Hilfsanträge 4 und 5 seien ins Verfahren zuzulassen, da durch Verzicht auf bestimmte Ansprüche sich die Sachlage nicht ändere. Auch der in Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 hinzugefügte Begriff "gleichzeitig" führe keinen neuen Sachverhalt ein, da im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren immer schon diskutiert worden sei, ob dieses Merkmal in Anspruch 1 realisiert sei.

In Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 beschreibe "Übergang" einen räumlichen und zeitlichen Prozess, der nun eingeschränkt sei auf einen Zustand, in dem beide Klemmeinrichtungen an beide Förderseile angekuppelt seien. Denn mit dem Bindewort "und" werde ein Zustand der Anlage beschrieben, der zu einem gewissen Zeitpunkt existieren müsse und impliziere, dass beide Klemmeinrichtungen angekuppelt seien.

Der Begriff "gleichzeitig" in Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 sei zwar nicht explizit offenbart, ergebe sich aber aus der Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Anmeldung, und zwar aus den zwei in den Figuren 1-8 gezeigten Ausführungsbeispielen. In Figur 6 sehe man beide Rampen nach unten gedrückt, so dass beide Klemmeinrichtungen bei angehaltenem Fahrzeug gleichzeitig an beide Förderseile angekuppelt seien, wie auch in den Absätzen [0020] bis [0024] beschrieben. Dieser Zustand sei für das zweite Ausführungsbeispiel mit starrer Rampe, bei der die Förderseile mit gleicher Geschwindigkeit bewegt würden, in Figur 8a gezeigt. Das Merkmal "mindestens eine Klemmeinrichtung" stamme aus dem Anspruch 8.

VI. Das Vorbringen der Einsprechenden/Beschwerdeführerin II kann wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag

Nur mit einer a posteriori Interpretation der erteilten Ansprüche 1 und 8 (gemäß der engen Auslegung der Patentinhaberin) sei eines der drei im Streitpatent gezeigten Ausführungsbeispiele auszuschließen. Dies führe auch zu einem Widerspruch zu den abhängigen Ansprüchen 5, 6 und 11. Merkmal k) erlaube eine breite Auslegung, die auch das dritte Ausführungsbeispiel der Figur 9 umfasse. Die Beschreibung offenbare keine Möglichkeit, mehrere Übergabestationen vorzusehen. Der Ausdruck "in der Folge" in Anspruch 8 sei ähnlich breit auszulegen wie "weiters" und beziehe sich auf das erste Abkuppeln. Der Schutzbereich der Ansprüche 1 und 8 umfasse nicht nur eine zeitliche Abfolge zweier Ab- und Ankuppelvorgänge der beiden Klemmeinrichtungen, bei der die zweite Klemmeinrichtung erst nach Ankuppeln der ersten Klemmeinrichtung an das zweite Förderseil vom ersten Förderseil abgekuppelt werde (Abfolge a)), sondern auch eine Abfolge, bei der die erste und zweite Klemmeinrichtung nacheinander vom ersten Förderseil abgekuppelt und nachfolgend an das zweite Förderseil angekuppelt würden (Abfolge b)). Im Falle von Abfolge a) seien beide Klemmeinrichtungen für einen Zeitraum gleichzeitig an beide Förderseile angekuppelt, bei Abfolge b) sei hingegen für eine Zeitraum keine der Klemmeinrichtungen angekuppelt. Ob Abfolge a) oder b) vorliege, hänge von der Länge der Steuereinrichtung und dem Abstand zwischen beiden Klemmeinrichtungen ab. In beiden Fällen erfolgten die An- und Abkuppelzyklen der beiden Klemmeinrichtungen aber aufeinander folgend.

Eine beide Abfolgen a) und b) umfassende Auslegung sei kompatibel mit den abhängigen Ansprüchen, dem Wortlaut von Anspruch 8 und gestützt durch die Beschreibung.

Hilfsantrag 1

Auch nach Streichen der Ansprüche 5, 6 und 11 und einer Anpassung der Beschreibung umfasse der klare Wortlaut der Ansprüche 1 und 6 alle drei Ausführungsbeispiele.

Hilfsantrag 2 (wie aufrechterhalten im Einspruch)

Die enge Auslegung des Merkmals l) durch die Einspruchsabteilung sei nicht durch den Wortlaut von Anspruch 1 gestützt. Der "Übergang" spezifiziere ein Zeitintervall und keinen Zeitpunkt, so dass Merkmal l) erfüllt sei, wenn zu einem ersten Zeitpunkt die erste Klemmeinrichtung an das erste Förderseil angekuppelt sei und zu einem zweiten (anderen) Zeitpunkt die zweite Klemmeinrichtung an das zweite Förderseil. Die behauptete Beschränkung des Schutzbereiches durch Merkmal l) auf das erste und zweite Ausführungsbeispiel sei eine Zwischenverallgemeinerung, da diese Beispiele weitere Einschränkungen (ruhende bzw. synchron bewegte Förderseile) verlangten, so dass auch wesentliche Merkmale fehlten. Merkmal l) sei auch nicht eindeutig, da es nicht deutlich eine Konfiguration fordere, in der beide Klemmeinrichtungen gleichzeitig an das erste und zweite Förderseil angekuppelt seien. Zudem wiederhole Merkmal l) nur Merkmal k), so dass Anspruch 1 auch nicht knapp gefasst sei.

Die Ansprüche 1 und 6 des Hilfsantrags 2 seien nicht neu gegenüber D1, da der geänderte Anspruch 1 wie auch Anspruch 6 (erteilter Anspruch 8) noch das dritte Ausführungsbeispiel umfassten, welches - wie von der Einspruchsabteilung festgestellt - aus D1 bekannt sei. Merkmal k) sei in D1 in Spalte 2, Zeilen 47 - 58 gezeigt, und Merkmal l) sei nicht weiter einschränkend.

Hilfsanträge 4 und 5

Die Zulässigkeit von Hilfsantrag 4 werde nicht in Frage gestellt. Die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele des Streitpatents legten aber eine breite Auslegung des Anspruchs 1 nahe (Figuren 1 bis 4 bzw. Figuren 6 und 8a zeigten nur einen möglichen Zustand eines Übergangs). Gegen eine enge Auslegung des Anspruchs 1 spreche auch das Merkmal "mindestens eine Klemmeinrichtung"; Figur 6 zeige "nur eine Klemmeinrichtung" an jedes Förderseil angekuppelt.

Der verspätet eingereichte Hilfsantrag 5 sei nicht zulässig. Es sei keine Offenbarungsstelle für das Wort "gleichzeitig" angegeben worden. Zudem werde eine neue, nicht in der Beschreibung offenbarte Kombination beansprucht (Figur 8a zeige "eine" - nicht: "mindestens eine" - Klemmeinrichtung angekuppelt je Förderseil), d. h. es liege eine Zwischenverallgemeinerung vor.

Es werde kein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit geltend gemacht.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit - Hauptantrag, Hilfsanträge 1 bis 4

1.1 Der Gegenstand des erteilten Verfahrensanspruchs 8 gemäß Hauptantrag sowie der identischen Ansprüche 6 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 ist nicht neu gegenüber der Lehre der Druckschrift D1 und genügt somit nicht den Erfordernissen des Artikels 54 (1) EPÜ.

1.1.1 Unstrittig sind die Merkmale a') und b) bis i) aus D1 vorbekannt. Das den Übergang eines Fahrzeugs vom ersten auf das weitere Förderseil beschreibende Merkmal k') definiert zwar zwei mittels "und" verknüpfte Verfahrenschritte des Abkuppelns vom ersten und "hierauf" Ankuppelns an das weitere Förderseil jeweils für die erste und die zweite Klemmeinrichtung, wie von Beschwerdeführerin I argumentiert. Der zusätzliche, nach "und" folgende Ausdruck "in der Folge" bedeutet nach Auffassung der Kammer aber nicht notwendigerweise, dass der erste und zweite Verfahrensschritt zeitlich abgeschlossen nacheinander ausgeführt werden (von der Beschwerdeführerin II als Abfolge a) bezeichnet) und eine zeitliche Überlappung der durch die beiden Verfahrensschritte definierten Zeiträume ausgeschlossen ist. Der Wortlaut von Anspruch 8 bringt nicht klar zum Ausdruck, ob sich der Ausdruck "in der Folge" nur auf den Zeitpunkt des Abkuppelns der ersten Klemmeinrichtung vom ersten Förderseil oder auf den gesamten zuvor beschriebenen ersten Verfahrensschritt ("erste Klemmeinrichtung vom ersten Förderseil abgekuppelt und hierauf an das folgende Förderseil angekuppelt") bezieht. Deshalb muss sich nach Auffassung der Kammer die Beschwerdeführerin I und Patentinhaberin eine breite Auslegung des Anspruchs 8 gefallen lassen.

Dies gilt umso mehr, als diese Interpretation durch das dritte Ausführungsbeispiel des Streitpatents (siehe Figur 9) gestützt wird, dem im abhängigen Anspruch 11 des Hauptantrags zudem Rechnung getragen wird. Eine andere Auslegung ist nach Auffassung der Kammer auch weder bei Streichen des Anspruchs 11 geboten (siehe Hilfsanträge 1 bis 3), noch bei einer geänderten Beschreibung wie im Falle des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 2.

1.1.2 Vom Wortlaut des Anspruchs 8 ist also mit umfasst, dass die zweite Klemmeinrichtung bereits vom ersten Förderseil abgekoppelt wird, bevor die erste Klemmeinrichtung an das zweite Förderseil angekuppelt wurde, dass also nicht zumindest jeweils eine der beiden Klemmeinrichtungen an jeweils einem der beiden Förderseile angekuppelt sein muss.

Damit umfasst der Verfahrensanspruch 8 auch eine Ausführungsform wie in D1 offenbart (siehe Spalte 2, Zeile 46 ff), bei der in einer Phase des Übergangs vom ersten auf das folgende Förderseil für einen gewissen Zeitraum keine Klemmeinrichtung an eines der beiden Förderseile angekuppelt ist (als Abfolge b) von der Beschwerdeführerin II bezeichnet).

Die in D1 gezeigte Lehre ist damit neuheitsschädlich für den Verfahrensanspruch 8 des Hauptantrags und die Verfahrensansprüche 6 der Hilfsanträge 1 bis 3.

1.2 Auch der Gegenstand der identischen Ansprüche 1 der Hilfsanträge 2 und 4 mit den Merkmalen a) bis l) genügt nicht dem Erfordernis der Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ). Dies gilt gleichermaßen für die auf die Merkmale a) bis k) beschränkten und damit weiter gefassten Ansprüche 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1.

1.2.1 In Bezug auf die Merkmale a) bis k) wird auf die obigen Ausführungen zu Anspruch 8 verwiesen, wobei Merkmal a) sich nur durch den Kategoriewechsel von Merkmal a') unterscheidet und D1 auch eine Anlage zur Beförderung von Personen gemäß Merkmal a) zeigt. Von Merkmal k') unterscheidet sich Merkmal k) (abgesehen von sprachlichen Ergänzungen ohne Beschränkung des beanspruchten Gegenstands) lediglich darin, dass der Ausdruck "in der Folge" durch den breiter auszulegenden Ausdruck "weiters" ersetzt wurde (wie von der Beschwerdeführerin I bei Diskussion des Hauptantrags selbst zugestanden, ist der Ausdruck "weiters" weniger klar). Wie bereits zu Merkmal k') ausgeführt, verlangt auch Merkmal k) nicht, dass beim Übergang immer wenigstens eine Klemmeinrichtung an jedem der beiden Förderseile angekuppelt sein muss.

1.2.2 Das neu in Anspruch 1 aufgenommene Merkmal l) schränkt nach Auffassung der Kammer den beanspruchten Gegenstand nicht derart ein, dass zu einem gewissen Zeitpunkt oder Zeitraum ein Zustand der Anlage mit einer konstruktiven Anordnung gegeben sein muss, in welcher beide Klemm­einrichtungen "gleichzeitig" an den beiden Förderseilen angekuppelt sein müssen, wie von Beschwerdeführerin I argumentiert. Der Begriff "beim Übergang" ist - auch im Sinne des Streitpatents - nicht auf eine räumliche Anordnung des Fahrzeuges zu beziehen, sondern umfasst eine zeitliche Phase des Übergangs (siehe Absatz [0010] des Streitpatents, wonach Figuren 1 - 4 vier Stadien des Übergangs beschreiben). Daran ändert auch nichts, dass in Merkmal l) auf den Ausdruck "mindestens eine Klemmeinrichtung am ersten Förderseil (angekuppelt)" das Bindewort "und" folgt, um dann die Ankupplung "mindestens einer Klemmeinrichtung am folgenden Förderseil" zu spezifizieren. Denn dies beschreibt nicht notwendigerweise einen Zustand der Anlage zu einem gewissen Zeitpunkt, impliziert also nicht notwendigerweise eine zeitliche Bedingung im Sinne einer Gleichzeitigkeit, da das Bindewort "und" auch eine bloße Aufzählung unterschiedlicher Stadien des "Übergangs" anzeigen mag, wie in D1 gezeigt.

1.3 Aus dem Vorstehenden folgt, dass keiner der Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 4 wegen mangelnder Neuheit zumindest eines der beiden unabhängigen Ansprüche gegenüber D1 gewährbar ist (im Falle des Hauptantrags: Ansprüche 1 und 8; im Falle der Hilfsanträge 1 und 2: Ansprüche 1 und 6; im Falle des Hilfsantrags 3: Anspruch 6; im Falle des Hilfsantrags 4: Anspruch 1).

1.4 Die Zulässigkeit des erst in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 4 wurde von der Beschwerdeführerin II nicht in Frage gestellt und kann im Übrigen dahingestellt bleiben.

2. Zulassung des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 5 in das Verfahren

2.1 Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 5 beruht auf dem auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin II von der Beschwerdeführerin I mit ihrer Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 3, in dem nur die Verfahrensansprüche gestrichen wurden.

2.2 Die Zulassung von Hilfsanträgen, die von einer Partei nach der Beschwerdebegründung oder Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden, liegt im Ermessen der Kammer nach Artikel 13(1) VOBK 2020 der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (siehe Artikel 24 VOBK 2020 und Übergangsbestimmungen gemäß Artikel 25(1) VOBK 2020). Die Anwendbarkeit von Artikel 13(2) VOBK 2020 ist, falls - wie vorliegend - die Ladung zur mündlichen Verhandlung den Parteien schon vor Inkrafttreten der neuen Verfahrensordnung mitgeteilt wurde, gemäß den Übergangsbestimmungen des Artikels 25(3) VOBK 2020 ausgeschlossen und Artikel 13 VOBK 2007 in diesem Falle weiter anzuwenden. Die Zulassung des Hilfsantrags 5 liegt also im Ermessen der Kammer nach Artikel 13(1) VOBK 2020. Wie in der kürzlich ergangenen Entscheidung T 32/16 festgestellt, listet der Wortlaut von Artikel 13(1) VOBK 2020 detaillierter die an geändertes Vorbringen gestellten Anforderungen auf und widerspiegelt damit die unter Artikel 13(1) VOBK 2007 entwickelte Rechtsprechung.

2.3 Die Kammer sieht vorliegend allerdings keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 5 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Die Streichung der Verfahrensansprüche in Hilfsantrag 5 gegenüber dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 3 wird nicht als Änderung des Beschwerdevorbringens gesehen, da sich dadurch keine geänderte Sachlage ergibt. Es ist insbesondere keine neue Diskussion hinsichtlich Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit zu führen. Die Aufnahme des Begriffs "gleichzeitig" in Merkmal l') des Anspruchs 1 drückt nun explizit aus, was die Einspruchsabteilung in dem von ihr aufrechterhaltenen Anspruch 1 als in Merkmal l) implizit realisiert und damit die erfinderische Tätigkeit begründend angesehen hat. Dagegen hat die Beschwerdeführerin II sich mit ihrer Beschwerde gewendet. Die Beschwerdeführerin I hat darauf mit ihrer Beschwerdeerwiderung vorsorglich den Hilfsantrag 3 eingereicht und den Begriff "gleichzeitig" in Anspruch 1 aufgenommen. Auch die von der Beschwerdeführerin II vorgebrachten Einwände zur Klarheit und unzulässigen Zwischenverallgemeinerung wurden von der Beschwerdeführerin I bereits schriftlich in ihrer Beschwerdeerwiderung behandelt, so dass darin kein geändertes Vorbringen zu sehen ist.

Da die Kammer vorliegend keine Änderung des Vorbringens erkennen kann, sind die Voraussetzungen des Artikels 13 (1) VOBK 2020 nicht gegeben. Auch eine Anwendung des Artikels 13(3) VOBK 2007 kommt nicht in Betracht.

3. Hilfsantrag 5 - Zulässigkeit der Änderungen

3.1 Die Kammer sieht die Erfordernisse der Artikel 84 EPÜ und Artikel 123(2) EPÜ für den Hilfsantrag 5 als erfüllt an.

3.2 Anders als von der Beschwerdeführerin II in Bezug auf Hilfsantrag 2 argumentiert, erfordert die Aufnahme des Wortes "gleichzeitig" in Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 keine weitere Einschränkung auf ruhende bzw. synchron bewegte Förderseile. Mit dem Begriff "gleichzeitig" wird nach Auffassung der Kammer das wesentliche Merkmal der Erfindung ausgedrückt, dass beide Klemm­einrichtungen gleichzeitig an beide Förderseile angekuppelt sind, so dass kein Problem der Klarheit unter Artikel 84 EPÜ gesehen wird. Merkmal l') ist zudem enger gefasst als Merkmal k), so dass der gegen Hilfsantrag 2 erhobene Einwand mangelnder Knappheit nicht mehr greift.

3.3 Das geänderte Merkmal l') des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 umfasst das im Streitpatent bzw. in der ursprünglichen Anmeldung offenbarte erste und zweite Ausführungsbeispiel. Da Merkmal l') letztlich nur einen Zustand der beanspruchten Anlage während der Phase des Übergangs fordert ("beim Übergang ... angekuppelt ist"), ist es nach Auffassung der Kammer nicht erforderlich, weitere zu diesem Zustand führende Verfahrensparameter (wie ruhende oder synchron bewegte Förderseile) in Anspruch 1 aufzunehmen. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 ist somit nicht in unzulässiger Weise zwischenverallgemeinert, wie von der Beschwerdeführerin II in Bezug auf Hilfsantrag 2 argumentiert.

Der Begriff "gleichzeitig" ist zwar nicht wörtlich in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart. Allerdings zeigen sowohl die Figur 6 als auch Figur 8a einen Zustand während des Übergangs, in dem eine Klemmeinrichtung am ersten Förderseil und gleichzeitig eine Klemmeinrichtung am folgenden Förderseil angekuppelt ist. Die Aufnahme des Wortes "gleichzeitig" in Merkmal l') vermittelt somit keine neue Lehre, so dass die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ als erfüllt angesehen werden.

Die Beschwerdeführerin II möchte in Anspruch 1 noch eine (gegenüber dem offenbarten Ausführungsbeispiel) nicht offenbarte Kombination und damit eine Zwischenverallgemeinerung erkennen, da in Figur 8a nur eine (nicht: "mindestens eine") Klemmeinrichtung an jedes Förderseil angekuppelt sei. Nachdem aber bereits die ursprüngliche Offenbarung (siehe Ansprüche 1 und 8) den Vorgang des Abkuppelns vom ersten Förderseil und Ankuppelns an das folgende Förderseil für mindestens eine Klemmeinrichtung beschrieben hat, kann die Kammer hierin keine unzulässige Erweiterung erkennen.

4. Hilfsantrag 5 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit

4.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 ist neu und erfinderisch gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik (Artikel 54(1) EPÜ, Artikel 56 EPÜ).

4.2 Das Merkmal einer gleichzeitigen Ankopplung beider Klemmeinrichtungen an beide Förderseile ist in D1 nicht gezeigt, da in D1 am Beginn jeder Haltestelle die Seilklammern vom Seil gelöst werden und die Kabine im Bereich der Haltestelle durch die elektromotorisch angetriebene Führungsrolle der Aufhängung vorwärts bewegt wird (siehe Spalte 2, ab Zeile 43). Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 gegenüber D1 ist somit gegeben.

Auch die Neuheit gegenüber der in der angefochtenen Entscheidung behandelten Entgegenhaltung D4, die eine Vorrichtung zum Transport von Waren auf Paletten und damit keine Anlage zur Beförderung von Personen (wie mit Merkmal a) gefordert) betrifft, wurde nicht mehr in Frage gestellt.

4.3 D1 wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D1 ist anzuerkennen, da eine Modifikation der aus D1 bekannten Anlage im Sinne von Merkmal l') weder durch D1 noch durch den vorliegenden Stand der Technik nahegelegt wird.

Die Beschwerdeführerin II erhob im Übrigen keinen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen Anspruch 1 des Hilfsantrags 5.

5. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 mit den abhängigen Ansprüchen 2 bis 5 und der daran angepassten Beschreibung und den Figuren der Patentschrift bildet daher eine geeignete Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in der folgenden geänderten Fassung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 5 des Hilfsantrags 5, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;

- Beschreibung: Seiten 2 bis 5, wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung;

- Figuren 1 bis 10a der Patentschrift.

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