European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T117120.20230510 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 Mai 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1171/20 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99924992.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06F 21/77 G06F 21/55 G06Q 20/34 G07F 7/08 H04L 9/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | ZUGRIFFSGESCHÜTZTER DATENTRÄGER | ||||||||
Name des Anmelders: | Giesecke+Devrient Mobile Security GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | IDEMIA France | ||||||||
Kammer: | 3.5.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Mündliche Verhandlung in Präsenz Mündliche Verhandlung - gegen den Antrag einer Partei Mündliche Verhandlung - in Abwesenheit einer Partei Kostenverteilung - nein Neuheit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1 (nein), Hilfsantrag 7 (ja) Nichtzulassungsentscheidung der Einspruchsabteilung bestätigt - Hilfsantrag 2 (ja) Zulassung eines mit der Beschwerde eingereichten Antrags - Hilfsantrag 7 (ja) Ausreichende Offenbarung - Hilfsantrag 7 (ja) Ursprüngliche Offenbarung - Hilfsantrag 7 (ja) Vor der Einspruchsabteilung nicht aufrechterhaltener Tatsachenvortrag - Berücksichtigung (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Zwischen-entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 080 454 in geänderter Form, auf Basis des vormaligen Hilfsantrags 5, aufrecht zu erhalten.
II. Im Erteilungsverfahren war eine Zurückweisung vorausgegangen. Diese wurde mit der Entscheidung T 2291/12 aufgehoben, und es wurde am 7. Dezember 2017 ein Patent erteilt, nachdem die Anmelderin den beanspruchten Gegenstand auf eine von drei offenbarten Ausführungsformen beschränkt hatte.
III. Gegen das Patent hatte die Beschwerdeführerin am 3. Oktober 2018 Einspruch eingelegt, gestützt auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ, in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ, Artikel 100 b) EPÜ (vgl. Artikel 83 EPÜ), sowie Artikel 100 c) EPÜ (vgl. Artikel 123(2) EPÜ).
IV. Mit der Einspruchsbegründung wurden die folgenden Dokumente vorgelegt:
O1: JP S62 190583 A,
O1': Englische Übersetzung von O1
O2: US 4 528 442 A,
O3: EP 0 908 810 A2,
O4: US 5 655 096 A, und
O5: Auszug aus Wikipedia, Begriff "out-of-order execution".
V. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2019 legte die Patentinhaberin diese Dokumente vor:
O6: Auszug aus der Enzyklopädie Brockhaus, zum Begriff "Operation (Informatik)",
O7: Auszug aus Wikipedia, Artikel "Betriebsprogramm", und
O8: Auszug aus "Handbuch der Chipkarten", Seiten 204-213.
VI. Die Entscheidung führt die Dokumente O1-O8 an und kommt zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des damaligen Hauptantrags bzw. ersten Hilfsantrags nicht neu gegenüber O1, der des dritten Hilfsantrags nicht erfinderisch gegenüber O4, sowie dass der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 5 und 10 des vierten Hilfsantrags wegen eines Widerspruchs mit den jeweils zugeordneten unabhängigen Ansprüchen unzureichend offenbart sei. Hilfsantrag 2 wurde als verspätet nicht zugelassen. Was den fünften Hilfsantrag betrifft, so stellt die Entscheidung erfinderische Tätigkeit gegenüber O1 und O4 fest (Punkt 13). Ausführungen zu O2 oder O3 werden nicht gemacht. Weiter wird festgestellt, dass die Einsprechende zu Klarheits- und Ursprungsoffenbarung keine Einwände hätte (Punkt 14), und der (nur schriftliche) Einwand unzureichender Offenbarung wird verworfen (Punkt 15). Eine angepasste Beschreibung sei vorgelegt worden, gegen die die Einsprechende keine Einwände habe (Punkt 16).
VII. Gegen die Entscheidung haben sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende Beschwerde eingelegt, sie begründet, die Beschwerdegebühr entrichtet, und jeweils auf den Vortrag der Gegenseite geantwortet (für die Patentinhaberin vgl. die Schreiben datiert vom 14. Mai 2020, 14. Juli 2020 und 26. November 2020, für die Einsprechende die Schreiben datiert vom 12. Mai 2020, 9. Juli 2020 und 30. November 2020).
VIII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat beantragt, die Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt (wenn auch minimal "sprachlich berichtigt") aufrecht zu erhalten (Hauptantrag), hilfsweise auf Basis eines der Hilfsanträge 1-21, alle wie mit der Beschwerdebegründung (14. Juli 2020) (teilweise erneut) eingereicht. Dabei entsprachen der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1, 4, 15, 16 und 21 jeweils den der Entscheidung zugrundeliegenden Anträgen (Hauptantrag und Hilfsanträge 1-5). Weiter hilfsweise beantragt die Patentinhaberin, das Patent auf Basis von Hilfsanträgen 15a, 15b, 16a, 16b, 17a, 17b, 18a, 18b, 19a, 19b, 20a oder 20b wie mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegt (26. November 2020), und ihrer Nummerierung entsprechend in die übrigen Anträge eingereiht, aufrechtzuerhalten (vgl. Ladungszusatz, Punkte 3 und 4, sowie die Bestätigung im Schreiben vom 10. März 2023). Die Patentinhaberin war außerdem der Meinung, dass die Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 durch die Einspruchsabteilung verfahrensfehlerhaft gewesen sei und der Hilfsantrag hätte zugelassen werden müssen. Weiter hat die Patentinhaberin mit ihrer Beschwerdebegründung zum Beleg des allgemeinen Fachwissens das folgende Dokument vorgelegt:
D8': Auszug aus "Handbuch der Chipkarten", Seiten 80-87.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat beantragt, die Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen (Beschwerde, 12. Mai 2020). Weiter hat sie beantragt (Beschwerdeerwiderung, 30. November 2020, Punkt 2 ff.), insbesondere die Hilfsanträge 2 und 7 mit Artikel 12 VOBK 2020 nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen, weil sie hätten schon vor der ersten Instanz hätten vorgelegt werden oder weil sie dort nicht zugelassen worden sind, sowie weil sie insgesamt divergent und ihre Anzahl exzessiv sei. Weiter hat sie die Nichtzulassung des neuen Dokuments D8' beantragt, sowie (Beschwerdeerwiderung, 30. November 2020, Punkt 1.3) eine Kostenverteilung zu Lasten der Patentinhaberin aufgrund der exzessiven Anzahl von Hilfsanträgen.
IX. Mit ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Meinung mit, dass die Nichtzulassungsentscheidung zum damaligen Hilfsantrag 2 der Einspruchsabteilung zu bestätigen sei und dass alle Anträge mit dem einschlägigen Merkmal in der Beschwerde nicht zuzulassen seien. Das betraf insbesondere den Hilfsantrag 2. Sie hielt weiter den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags für nicht neu gegenüber O4 und den des Hilfsantrags 1 und 4 für nicht erfinderisch gegenüber O1/O1'. Den des Hilfsantrags 7 hielt die Kammer vorläufig für gegenüber O1/O1' naheliegend. Den in der Entscheidung genannten - und als Mangel unter Artikel 100 b) und 83 EPÜ bewerteten - Widerspruch hielt die Kammer vorläufig (nur) für einen Offenbarungsmangel gemäß Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ. Einen weiteren Mangel unter Artikel 100 b) und c) bzw. 83 und 123(2) EPÜ konnte die Kammer nicht erkennen. Gegen die Zulassung von D8' als sehr relevant hatte die Kammer keine Bedenken. In der Sache konnte D8' die Kammer jedoch nicht überzeugen. Schließlich sah die Kammer keine Grundlage für eine Kostenverteilung zu Lasten der Patentinhaberin nach Artikel 104(1), Regel 88(1) EPÜ oder Artikel 16(1) VOBK 2020, geschweige denn den einschlägigen Prüfungsrichtlinien D-IX, 1.4.
X. In Erwiderung auf die vorläufige Meinung der Kammer, im Schreiben vom 10. März 2023, bestritt die Patentinhaberin den von der Kammer angenommenen Widerspruch und Offenbarungsmangel unter Hinweis auf die ursprünglichen Ansprüche 14 und 18, und reichte gleichzeitig vorsorgliche einige weitere Hilfsanträge ein, die diesem Einwand ggfs. durch Streichung des bemängelten abhängigen Anspruchs entgegnen sollten. Im weiteren Schreiben vom 23. März 2023 legte die Patentinhaberin zwei weiter geänderte Hilfsanträge vor, in denen falsche Abhängigkeiten korrigiert seien.
XI. Die Einsprechende hat auf die vorläufige Meinung der Kammer nicht inhaltlich geantwortet, außer dass sie mit Schreiben vom 10. April 2023 die Zulässigkeit der Anträge bestritt, die nach der vorläufigen Meinung der Kammer vorgelegt wurden. Mit Schreiben vom 8. März 2023 beantragte sie jedoch, unter Verweis auf Artikel 15a VOBK 2020, aber ohne Begründung, die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz. Im Schreiben vom 10. April 2023 teilte sie weiter mit, dass sie an einer mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde, sollte sie in Präsenz durchgeführt werden, und beantragte für den Fall einer Videokonferenz Übersetzung aus dem Deutschen und in das Französische, und beantragte die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz.
XII. Nachdem die Einsprechende die Durchführung der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz beantragt hatte, teilte die Kammer den Beteiligten mit Schreiben vom 24. März 2023 mit, dass die Verhandlung in Präsenz stattfinden würde, und wies mit Schreiben vom 18. April 2023 weiter darauf hin, dass die Einsprechende, würde sie doch an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wollen, für Übersetzung auf eigene Kosten zu sorgen hätte. Daraufhin, mit Schreiben vom 19. April 2023, bestätigte die Einsprechende ohne weitere Ausführungen, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen würde.
XIII. Die Verhandlung fand am 10. Mai 2023 in Präsenz, aber ohne einen Vertreter der Einsprechenden statt. In dieser Verhandlung stellte die Beschwerdeführerin als Schlussanträge die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage der Ansprüche gemäß Hauptantrag oder einem der Hilfsanträge 1, 2 und 7.
XIV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Datenträger mit einem Halbleiterchip, der wenigstens einen Speicher aufweist, in dem ein Betriebsprogramm abgelegt ist, dadurch gekennzeichnet, daß mit dem Betriebsprogramm eine Vielzahl von Operationen ausgeführt werden können, wobei für wenigstens eine Untermenge dieser Operationen gilt, daß das bei Ausführung mehrerer Operationen der Untermenge erzielte Gesamtergebnis nicht von der Reihenfolge der Ausführung der Operationen abhängt, und die Reihenfolge der Ausführung der genannten Untermenge von Operationen wenigstens dann variiert wird, wenn die Untermenge eine oder mehrere sicherheitsrelevante Operationen enthält."
XV. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ergänzt am Ende die Bedingung "wobei die Reihenfolge der Ausführung zufallsbedingt variiert wird."
XVI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 legt zusätzlich fest, dass die Reihenfolge wenigstens dann variiert wird, wenn die Untermenge eine oder mehrere "Verschlüsselungsoperationen als" sicherheitsrelevante Operationen enthält.
XVII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 ergänzt gegenüber dem des Hilfsantrags 1, die Bedingung "wobei jeweils vor Beginn der Ausführung einer Operation der Untermenge festgelegt wird, welche der Operationen der Untermenge, deren Ausführung aufeinanderfolgende vorgesehen ist, als nächste ausgeführt wird."
XVIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
Entscheidungsgründe
Mündliche Verhandlung in Präsenz
1. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand gegen den ohne Begründung vorgetragenen Antrag der Einsprechenden in Präsenz statt. Die Patentinhaberin hatte sich zu dieser Frage nicht geäußert.
1.1 Artikel 15a(1) VOBK 2020 räumt der Kammer Ermessen darüber ein, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen, wenn sie dies für zweckmäßig erachtet. Die Vorschrift lässt offen, wie Zweckmäßigkeit zu bewerten und wie das Ermessen der Kammer auszuüben ist.
1.2 Bei Ausübung dieses Ermessens lässt sich die Kammer von den Grundsätzen eines fairen Verfahrens leiten (Artikel 6 EMRK), insbesondere denen der fairen Durchführung der mündlichen Verhandlung (Artikel 15(4) VOBK 2020), des rechtlichen Gehörs (Artikel 113(1) EPÜ) und der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung (Artikel 116 (4) EPÜ) (siehe auch die Begründung in Dokument CA/5/21, Punkt 15).
1.3 Bei der Abwägung, ob die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz zweckmäßig ist, berücksichtigt die Kammer alle relevanten Aspekte, so z.B. die Frage, ob sich der Fall - insbesondere unter Berücksichtigung seiner Komplexität oder einer gegebenenfalls erforderlichen Verdolmetschung - für diese Art der Durchführung eignet, ob die Beteiligten zu einer Fernteilnahme bereit sind oder nicht, welche Gründe sie gegebenenfalls dafür oder dagegen anführen, ob mit Reisebeschränkungen zu rechnen ist, sowie die persönlichen Umstände der Personen, die an der mündlichen Verhandlung teilnehmen sollen (siehe a.a.O).
1.4 Die Große Beschwerdekammer hat sich in ihrer Entscheidung G 1/21 mit der Frage befasst, ob es während einer allgemeinen Notlage rechtmäßig sei, gegen den Willen einer Verfahrensbeteiligten eine mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen. Die Große Beschwerdekammer ist in ihrer Begründung über den Umstand der allgemeinen Notlage hinausgegangen und hat festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz eine mündliche Verhandlung im Sinne des Artikel 116 EPÜ sei und nicht grundsätzlich gegen das rechtliche Gehör nach 113(1) EPÜ oder das Recht auf ein faires Verfahren verstoße. Darüber hinaus hat sie die Frage diskutiert, ob eine Videokonferenz als gleichwertig ("equivalent") mit einer Präsenzveranstaltung zu gelten hätte, und ob sie ein "geeignetes" Format zur Durchführung von mündlichen Verhandlungen sei.
1.5 Man mag diese Ausführungen angesichts der rechtlich höherrangigen, und möglicherweise rechtlich allein entscheidenden, Feststellungen zu Artikel 113 und 116 EPÜ und dem Recht auf ein faires Verfahren als "obiter dicta" ansehen. Allerdings haben auch solche Überlegungen Gewicht (vgl. etwa G 3/08, Schlagwort 5, sowie Gründe 7.3.7, mit Verweis auf G 3/93, Gründe 2). Insbesondere erscheinen die detaillierten Ausführungen zu Gleichwertigkeit und Eignung von Videokonferenzen in der G 1/21 als Ausweis eingehender Überlegungen der Großen Beschwerdekammer (entgegen der grundsätzlich anderslautenden Annahme in G 4/19, Gründe 39-41, und T 574/17, Gründe 2.3.7), zumal sich die Große Beschwerdekammer entschieden hat, ihre Antwort trotz ihrer prinzipiell positiven Bewertung von mündlichen Verhandlungen als Videokonferenz auf allgemeine Notlagen zu beschränken.
1.6 Die Kammer ist auch nicht der Meinung, dass, wie in T 618/21 festgestellt (vgl. Gründe 4, und insbesondere 4.1.3), Artikel 15a VOBK 2020 "als Nachfolgeregelung von G 1/21 angesehen werden muss". Der Gesetzgebungsprozess, der darin mündete, dass der Verwaltungsrat am 23. März 2021 den heutigen Artikel 15a VOBK 2020 beschloss (vgl. CA/D 3/21, sowie ABl. EPA 2021, A19), war schon im Gange, als die Vorlage G 1/21 einging (qua Zwischenentscheidung T 1807/15 vom 12. März 2021), und führte sogar zu Befangenheitsanträgen gegen Mitglieder der Großen Beschwerdekammer. Des Weiteren trat der Artikel am 1. April 2021 in Kraft, noch bevor die Entscheidung G 1/21 am 16. Juli 2021 erging. Die Kammer kann daher nicht erkennen, dass die weite Formulierung des Artikels 15a VOBK 2020 alleine die Ausführungen in der Großen Beschwerdekammer einschränken könnte (vgl. dazu auch T 2432/19, Gründe 1.5.1).
1.7 Im Ergebnis fand die Große Beschwerdekammer in G 1/21, dass mündliche Verhandlungen per Videokonferenz und in Präsenz - jedenfalls noch, aber unabhängig von einer allgemeinen Notlage - nicht gleichwertig seien und bezeichnete die Präsenzverhandlung als optimales Format (vgl. die einschlägige Diskussion in T 2432/19, insbesondere Gründe 1.7, 1.8 und 1.12). Eine Anhörung in Person erfülle definitiv die Voraussetzungen der Artikel 113 EPÜ und 6 EMRK. Es sei auch das Format, an das der Gesetzgeber gedacht habe, als er Artikel 116 EPÜ entwarf. Daher sollten Anhörungen in Präsenz die Standardoption sein (siehe G 1/21, Gründe 45).
1.8 Die Große Beschwerdekammer leitet aus diesem Umstand insbesondere ab, dass der Antrag einer Beteiligten auf mündliche Verhandlung in Präsenz nur unter besonderen Umständen abgelehnt werden kann. Diese Kammer stimmt jedoch der T 2432/19 auch darin zu, dass die Umstände, deretwegen eine mündliche Verhandlung in Präsenz vorzuziehen sein mögen, auch der Kammer selbst zur Verfügung stehen, wenn sie ihr Ermessen unter Artikel 15a(1) VOBK 2020 ausübt. Die Kammer kann somit grundsätzlich auch aus eigenem Ermessen und gegen den Willen der Parteien entscheiden, eine mündliche Verhandlung in Präsenz durchzuführen (vgl. T 2432/19, Gründe 1.10.3 und 1.14).
1.9 Im vorliegenden Fall war angesichts der Vielzahl von Anträgen und teilweise technisch schwierigen Einwänden und Auslegungsfragen mit einer ausgedehnten mündlichen Verhandlung zu rechnen. Für die Kammer sprach allein dieser Umstand schon gegen eine mündliche Verhandlung als Videokonferenz, die nach Einschätzung der Kammer ungleich anstrengender ist als eine Präsenzveranstaltung (vgl. auch T 2432/19, Gründe 1.12). Darüber hinaus hat die Einsprechende ihren Wunsch, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen, weder begründet, noch die Mitteilung der Kammer, dass sie die Ladung zur Verhandlung in Präsenz aufrecht erhalten würde, in der Sache kommentiert.
1.10 Daher ist die Kammer nicht von ihrer ursprünglichen Planung abgewichen, die mündliche Verhandlung in Präsenz durchzuführen.
Mündliche Verhandlung in Abwesenheit einer Partei
2. Da die Einsprechende ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen wurde, konnte nach Regel 115(2) EPÜ das Verfahren ohne sie fortgesetzt werden. Darüber hinaus war mit Artikel 15(3) VOBK 2020 die Kammer nicht dazu verpflichtet, einen Verfahrensschritt einschließlich ihrer Entscheidung aufzuschieben, nur weil die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Diese wurde so behandelt, als stütze sie sich lediglich auf ihr schriftliches Vorbringen. Da die Sache am Ende der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif war, Artikel 16(6) VOBK 2020, durfte die Entscheidung verkündet werden.
Kostenverteilung
3. Die Einsprechende beantragt Kostenverteilung unter Artikel 104(1) und Regel 88(1) EPÜ, den Prüfungsrichtlinien D-IX, 1.4, sowie Artikel 16(1) VOBK 2020, weil die Anzahl der in der Beschwerde vorgelegten Hilfsanträge exzessiv sei und die meisten dieser Hilfsanträge nicht zuzulassen seien, so dass die Einsprechende einen unbilligen Aufwand hätte, zu jedem dieser Anträge Stellung zu nehmen (siehe insbesondere Punkte 1.3 und 2.11 im Schreiben vom 30. November 2020).
3.1 Die Kammer sieht für eine andere Kostenverteilung aus Billigkeitsgründen nach Artikel 104(1) EPÜ keinen Raum. Es steht jeder Partei frei, ihre Position geeignet zu verteidigen, und insbesondere der Patentinhaberin, das durch geänderte Anspruchssätze zu tun. Die Frage der Zulassung diese Anträge bleibt davon unberührt. Die Zahl der vorliegenden Hilfsanträge ist groß, erscheint aber angesichts der überschaubaren Anzahl von zusätzlichen Merkmalen, die in unterschiedlichen Kombinationen beansprucht werden, nicht exzessiv. Die Kammer meint auch, dass es schon aus praktischen Gründen nicht von der Patentinhaberin verlangt werden kann, unmittelbar nach einem Einspruch auf eine Vielzahl von Einwänden in allen ihren denkbaren Kombination jeweils durch einzelne Hilfsanträge zu reagieren. Für spätere Änderungen im weiteren Verfahrensverlauf muss - jedenfalls grundsätzlich - Raum bleiben. Welche Anzahl von geänderten Anträgen im Einzelfall (und wann genau) als exzessiv gilt, muss eine Abwägung im Einzelfall bleiben (vgl. auch T 1709/18, Gründe 5.5, sowie T 141/20, Gründe 5.4.1).
3.2 Im vorliegenden Fall kommt die Kammer zum Ergebnis, dass die Zahl von Anträgen nicht in einer Weise exzessiv war, dass eine andere Kostenaufteilung als üblich im Sinne von Artikel 104(1) EPÜ billig wäre.
3.3 Das gilt umso mehr, als sich Artikel 16(1)a) VOBK 2020 nur auf Änderungen gemäß Artikel 13 VOBK 2020 bezieht, also nach Beschwerdebegründung oder Erwiderung, wohingegen der Großteil der Anspruchssätze (1-21) mit der Beschwerdebegründung vorgelegt wurde, und also spätere Änderungen nur wenige Merkmale betrafen, die teilweise von sehr einfacher Natur (Streichung von abhängigen Ansprüchen) oder sogar nur Korrekturen (von Rückbezügen in Ansprüchen) unter Regel 139 EPÜ waren.
3.4 Die Prüfungsrichtlinien richten sich an die Einspruchsabteilung und sind für die Beschwerdekammern nicht bindend. Inhaltlich sind sie darüber hinaus konsistent mit der genannten Ansicht der Kammer.
Die Erfindung
4. Die Patentschrift betrifft einen "Datenträger, der einen Halbleiterchip aufweist, in dem geheime Daten abgespeichert sind", insbesondere eine Chipkarte, sowie die Aufgabe, die geheimen Daten vor unberechtigtem Zugriff zu schützen (Seite 2, Zeilen 9-10, der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht). Der Chip führt "Funktionen" aus, ist demnach als Prozessor zu verstehen (vgl. Seite 2, Zeile 15 ff.).
4.1 Die nun beanspruchte Erfindung bezieht sich auf die Ausführungsform, die mit Bezug auf Abbildung 5 auf den Seiten 15 (ab Zeile 4) und 16 offenbart ist.
4.2 Darin wird unterschieden zwischen "Operationen", die "zwingend sequentiell abgearbeitet werden müssen, da sie voneinander abhängen", und solchen, "die im Prinzip parallel und damit auch in einer beliebigen Reihenfolge abgearbeitet werden können". Die Reihenfolge parallelisierbarer Operationen werde "bei jedem Durchlauf variiert", und zwar "nach einem fest vorgegebenen Schema" oder "zufallsbedingt oder abhängig von Eingangdaten". Weiter könne die Bearbeitungsreihenfolge vorab, also "vor der ersten variierbaren Operation gemeinsam für alle mit dieser Operation vertauschbaren Operationen festgelegt" werden, oder inkrementell, indem "vor jeder variierbaren Operation aus der Menge der noch verbleibenden variierbaren Operationen die nächste zu bearbeitende Operation bestimmt" werde.
Begriffsklärung
5. Ein wesentlicher Streitpunkt zwischen den Parteien ist die richtige Auslegung einiger zentraler beanspruchter Begriffe, insbesondere von diesen:
- "Datenträger",
- "Betriebsprogramm",
- "Operation",
- "sicherheitsrelevant",
- "Gesamtergebnis",
- "zufallsbedingt", sowie
- "jeweils vor Ausführung einer Operation",
und der abhängige davon unterschiedlich ausfallende Vergleich mit dem Stand der Technik.
6. Vorab sei gesagt, dass die Kammer es zwar für richtig hält, dass Ansprüche im allgemeinen nicht ohne Bezug zur Beschreibung ausgelegt werden können. Gleichzeitig kann weder die Formel, dass ein Patent "sein eigenes Lexikon" sei, noch Artikel 69(1) EPÜ rechtfertigen, einen breiten Anspruch über seinen klaren Wortlaut hinaus zu beschränken.
6.1 Das Patent definiert den Begriff des "Datenträgers" nicht und nennt die "Chipkarte" nur als ein Beispiel. Der beanspruchte Datenträger ist dadurch näher beschrieben, dass er einen Halbleiterchip mit einem Speicher aufweist, der ein "Betriebsprogramm" enthält, und dass er Operationen ausführt. Die Beschreibung offenbart den Halbleiterchip somit als Prozessor. Das gilt für die Ansprüche nicht, da diese nicht fordern, dass es der Halbleiterchip ist, der die Operationen ausführt. Auch kann dem Wortlaut der Ansprüche nicht entnommen werden, wie "mobil" oder "ressourcenbeschränkt" der beanspruchte Datenträger ist, soweit sie ihn nicht ausdrücklich auf eine "Chipkarte" beschränken (bspw. Anspruch 8 gemäß Hauptantrag).
6.2 Das "Betriebsprogramm" ist anspruchsgemäß nicht weiter definiert als dadurch, was es tut. Die Beschreibung definiert es weder ausdrücklich noch implizit als ein "Betriebssystem". Die Patentinhaberin trägt vor, dass das, was bei den zum Prioritätszeitpunkt üblichen Chipkarten als "Betriebsprogramm" bezeichnet wurde, als ihr "Betriebssystem" verstanden wurde. Die Kammer bestreitet das nicht, hält diese Überlegung jedoch schon deshalb nicht für einschlägig, weil der Anspruchsgegenstand nicht auf Chipkarten beschränkt ist. Auch die Dokumente O7 und O8 sind insoweit nicht relevant. Darüber hinaus bemerkt die Kammer, dass auch der Begriff des "Betriebssystems" eine Unschärfe aufweist, insbesondere im Kontext von "Datenträgern" oder Chipkarten.
6.3 Was die Operationen betrifft, offenbart die Patentschrift das folgende.
6.3.1 Es kann sich um Bestandteile von Verschlüsselungsalgorithmen (Seite 9, Zeilen 20-21; Seite 16, Zeilen 13- 15), oder um diese selbst handeln (Seite 3, Zeilen 13- 14). Die Kammer ist jedoch nicht der Meinung, dass die beanspruchten Operationen "stets im Zusammenhang mit 'Verschlüsselung' zu betrachten" sind (vgl. Beschwerdebegründung der Patentinhaberin, [26]).
6.3.2 Operationen seien einerseits "festgelegt" durch "Befehle" eines "Betriebsprogramms", wobei jeder Befehl eine Operation auslöst (vgl. Seite 2, Zeilen 23-25). Andererseits können Operationen sehr komplex sein (vgl. Seite 5, Zeilen 9-11; sowie der ursprüngliche Anspruch 41) und in diesem Zusammenhang wohl eher aus mehreren "Befehlen" bestehen.
6.3.3 Nach Ansicht der Kammer kann von der Tatsache, dass die genannten Fundstellen zum Begriff der "Operation" sich teilweise auf unterschiedliche Ausführungsformen der Erfindung beziehen, nicht auf unterschiedliche Auslegungen des Begriffs geschlossen werden, insbesondere weil das Patent selbst betont, dass die Ausführungsbeispiele kombinierbar sein sollen (vgl. etwa Seite 9, Zeilen 9-10).
6.3.4 Im einschlägigen Fachwissen kann der Begriff "Operation" je nach Kontext ebenso die eine vergleichsweise einfache "Instruktion" (bspw. (E)XOR) wie auch eine komplexe Berechnung bezeichnen, z.B. eine mathematische wie eine Matrixmultiplikation. Der Anspruchswortlaut enthält keinen weiteren einschränkenden Hinweis. Erneut ist die Kammer nicht der Meinung der Patentinhaberin, dass die anspruchsgemäßen Operationen keine einfachen sein könnten (vgl. Beschwerdebegründung, [28]). Die Kammer ist auch nicht der Meinung, dass das Dokument O6 (vgl. Beschwerdebegründung der Patentinhaberin [32] und [33]) zur Klärung der Verwendung von "Operation" im Streitpatent dienen kann.
6.4 Soweit der Bezug zu Verschlüsselung nicht ausdrücklich hergestellt ist, schränkt der Wortlaut der Ansprüche den Begriff "sicherheitsrelevant" nicht ein, da der Begriff der "Sicherheit" nicht definiert wird und auch die undefinierte Aufgabe des Betriebsprogramms keine Rückschlüsse darauf zulässt.
6.4.1 Nach Ansicht der Kammer ist "Sicherheitsrelevanz" zudem keine intrinsische Eigenschaft einer Operation. Dieselbe Operation (bspw. (E)XOR) kann als Teil einer kryptographischen Berechnung als sicherheitskritisch gelten, selbst wenn sie nicht unmittelbar auf geheime Daten angewendet wird, in anderem Zusammenhang aber unkritisch sein. Operationen können (grundsätzlich) sicherheitsrelevant schon deshalb sein, weil sie einen geschützten Speicherbereich betreffen und z.B. einen "buffer overflow attack" möglich machen, aber auch weil sie sicherheitskritische Daten betreffen oder den Zugang zu einem geschützten System oder Bereich regeln. Auch der unkontrollierte Abbruch eines Programms kann umständehalber sicherheitsrelevant sein. Die Ansprüche geben keinen Hinweis darauf, wie sicherheitsrelevante Operationen von anderen unterschieden werden sollen.
6.4.2 Es sei außerdem darauf hingewiesen, dass sich die Ansprüche (nur) auf "Untermengen" von Operationen bezieht, von denen mindestens eine sicherheitsrelevant sein muss, alle anderen jedoch nicht.
6.4.3 Darüber hinaus legt der Anspruchswortlaut (aller Anträge) auch nicht fest, dass die sicherheitskritischen Operationen automatisch bestimmt würden. Es ist nach Ansicht der Kammer möglich, dass die einschlägigen Operationen manuell markiert oder anderweitig ausgewählt werden.
6.5 Das "Gesamtergebnis" wird durch den Anspruchswortlaut nicht weiter bestimmt. Typischerweise würde der Fachmann diesen Begriff auf ein "Berechnungsergebnis" beziehen, also etwa den Inhalt einer relevanten Speicherstelle. Im weiteren Sinne aber würde der Fachmann als das Gesamt"ergebnis" einer Berechnung jedes "relevante" Verhalten eines Programms ansehen, also etwa Ausgaben auf einem Bildschirm oder in ein Speichermedium. Das reine Laufzeitverhalten hingegen würde in der Regel wohl nicht also "Gesamtergebnis" angesehen werden. Es sei an dieser Stelle auch angemerkt, dass es ausdrücklich Ziel der Erfindung ist, und insbesondere der beanspruchten Ausführungsform, ein Programm so auszuführen, dass sein beobachtbarer Signalverlauf verändert wird, sein Ergebnis jedoch gleich bleibt.
6.6 Der Begriff des "Zufalls" in "zufallsbedingt" und "Zufallszahl" wird im Patent nicht weiter kommentiert, außer das als Möglichkeit genannt wird, dass Zufallszahlen "mittels geeigneter Generatoren erzeugt werden" könnten (Seite 14, Zeilen 15-17).
6.6.1 Die Kammer ist der Ansicht, dass dieser Begriff vom Fachmann in unterschiedlicher Weise verwendet wird. In den meisten Fällen wird zufälliges Verhalten mittels einer berechneten Folge von Zahlen dargestellt ("Pseudozufallszahlen"), in der die jeweils nächste Zahl praktisch nicht vorhersehbar ist, und in der langfristig alle möglichen Zahlen gleich häufig auftreten. Wie gut diese Ziele durch einen konkreten "Zufallszahlengenerator" erzielt werden, ist häufig nicht von Bedeutung. In anderen Fällen würde der Fachmann schon als "zufällig" bezeichnen, was für den relevanten Betrachter hinreichend unvorhersehbar ist. Angesichts dessen ist für die Kammer nicht erkennbar, dass das Patent eine spezifische Form von "Zufall", geschweige denn "echten" Zufall im Unterschied zu "Pseudo"-Zufall offenbaren würde.
6.6.2 Dokument D8' ist in dieser Hinsicht relevant und wird daher von der Kammer berücksichtigt ("zugelassen"), steht dem genannten Ergebnis aber nicht entgegen. In D8' wird nur festgestellt (Abschnitt "Zufallszahlengenerator" auf Seite 87), dass "Zufallszahlen" für bestimmte Zwecke ("Schlüsselgenerierung") "echte Zufallszahlen" sein "sollten", und dass "Alle neuen Chipkarten-Mikrokontroller [...] einen Zufallszahlengenerator" hätten, "der echte Zufallszahlen" liefern würde. Daraus folgt weder, dass die erfindungsgemäße Chipkarte, geschweige denn ein beanspruchter Datenträger, einen solchen haben muss, noch dass dieser, soweit vorhanden, für den beanspruchten Zweck, nämlich das Auswählen der jeweils nächsten Operation, verwendet wird.
6.7 Das Patent formuliert (vgl. den Absatz zwischen Seiten 15 und 16 der ursprünglichen Patentanmeldung), dass die "Variation der Reihenfolge", mit der Operationen ausgeführt werden, "entweder nach einem fest vorgegebenen Schema oder [...] zufallsbedingt oder abhängig von Eingangsdaten erfolgen" können. Es würde ggfs. "mittels einer Zufallszahl bzw. durch die Eingangsdaten jeweils festgelegt, welche der [einschlägigen] Operationen als nächstes abgearbeitet wird". Die erste Option impliziert nicht, dass die Entscheidung über die nächste Operation zur Laufzeit erfolgt. Wie im folgenden Absatz ausdrücklich festgestellt wird, kann eine zufallsbedingte Abfolge auch vor Ausführung des gesamten Programms festgelegt werden. Die zweite Option hingegen legt nach Ansicht der Kammer aber eine Laufzeitentscheidung wenigstens nahe, da "Eingangsdaten" für einzelne Operationen unter Umständen erst zur Laufzeit festliegen könnten. Die Kammer hält es im Übrigen für klar, dass jede Operation einer Untermenge nur einmal auszuführen ist, weil es um eine "Variation der Abarbeitung" geht.
6.8 Das Patent offenbart als Option, dass "vor jeder variierbaren Operation" eine Auswahl über die nächste auszuführende Operation aus der betreffenden Untermenge gewählt wird. Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 enthält in dieser Hinsicht die Formulierung "jeweils vor Beginn der Ausführung einer Operation". Das Patent offenbart das einschlägige Merkmal als Alternative zur gemeinsamen, anfänglichen Festlegung der Reihenfolge für alle "variierbaren" Operationen. Im Unterschied dazu fällt nach Ansicht der Kammer jede rechtzeitige aber dynamische Festlegung der nächsten Operation unter den Anspruchswortlaut.
Hauptantrag
7. Anspruch 1 betrachtet ein Betriebsprogramm, das eine "Vielzahl von Operationen" umfasst, von denen "wenigstens eine Untermenge" in beliebiger Reihenfolge ohne Veränderung des Gesamtergebnisses ausgeführt werden können. Darüber hinaus wird beansprucht, dass die Reihenfolge der Ausführung dieser Untermenge "wenigstens dann variiert wird", wenn die Untermenge wenigstens eine "sicherheitsrelevante Operation" enthält.
7.1 Die Patentinhaberin sieht drei Unterschiede zwischen Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber O4 (vgl. Beschwerdebegründung, [78]), nämlich dass (1) die ausgeführten Operationen zu einem erzielten Gesamtergebnis beitragen, dass (2) unter den Operationen sicherheitsrelevante Operationen sind, und dass (3) die Bedingung für die Änderung der Ausführung von Operationen das Vorhandensein sicherheitsrelevanter Operationen innerhalb einer Teilmenge von Operationen ist.
7.2 Allerdings schließt nach Ansicht der Kammer der Wortlaut von Anspruch 1 nicht aus, dass für sämtliche geeignete Untermengen die Ausführungsreihenfolge variiert wird, selbst wenn sie keine sicherheitsrelevanten Operationen enthalten. Die Mindestbedingung, dass "wenigstens dann" variiert werde, wenn in einer Untermenge eine sicherheitsrelevante Operation vorliege, ist damit auch erfüllt. Da gemäß O4 sämtliche Operationen soweit möglich "variiert" werden, ist es nicht mehr erheblich, ob insbesondere O4 von "sicherheitsrelevanten Operationen" spricht - oder was dieser Begriff genau bedeutet.
7.3 Die Anspruchsformulierung schließt auch nicht aus, dass überhaupt keine sicherheitsrelevante Operation vorliegt (und dann eben für keine geeignete Untermenge die Ausführungsreihenfolge zwingend "variiert" werden muss).
7.4 Aus dieser Perspektive bestehen die von der Patentinhaberin behaupteten Unterschiede (2) und (3) nicht. Unterschied (1) besteht ebenfalls nicht, da bei nach Ansicht der Kammer richtiger Auslegung die Ausführungsreihenfolge gemäß der O4 natürlich nur unter der Maßgabe variiert wird, dass das wohlverstandene "Gesamtergebnis" dadurch nicht verändert wird (O4, Spalte 1, Zeilen 12-20).
7.5 Die Kammer hält daher Anspruch 1 für nicht neu gegenüber O4, Artikel 100 a) und 54 EPÜ.
Hilfsantrag 1
8. O4 offenbart, dass Anweisungen ("instructions") erst unter bestimmten Bedingungen ausgeführt werden können (vgl. etwa Spalte 3, Zeilen 10-20; Spalte 17, Zeilen 20 ff.), nämlich insbesondere erst dann, wenn alle relevanten Parameter verfügbar sind und alle zwingend früher auszuführenden Operationen ausgeführt sind. Darüber offenbart O4 keine zufällige Auswahl der nächsten Operation. Es ist auch nicht erkennbar, welchen Zweck eine zufällige Ausführung der nächsten Anweisung im Kontext von O4 haben könnte. Eine Effizienzsteigerung jedenfalls lässt sich damit anscheinend nicht erzielen. Deshalb ist die Kammer der Meinung, das O4 eine zufällige Auswahl - und damit den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 - auch nicht nahelegt, Artikel 56 EPÜ.
8.1 Daher wird die erfinderische Tätigkeit nun ausgehend von O1/O1' betrachtet.
8.2 O1' offenbart eine Chipkarte, die einen Benutzer dadurch verifiziert, dass sie nacheinander verschiedene persönliche Daten (vgl. Seite 3, Nr. 1-6) erfragt und die jeweilige Antwort verifiziert (vgl. O1', Seite 4, letzter Absatz; "verification items"). Die Reihenfolge, in der die Abfragen erfolgen, wird dabei von Mal zu Mal verändert (vgl. Seite 3, Cases 1-10), und zwar abhängig von der letzten Stelle der Quersumme aus den Ziffern des Verwendungszeitpunkts (vgl. Seite 4, Zeilen 3-7).
8.3 O1' offenbart damit im Blick auf Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 einen Datenträger mit einem Halbleiterchip, in dessen Speicher ein "Betriebsprogramm" abgelegt ist, mit dem eine Vielzahl von "Operationen" ausgeführt werden können. Die Kammer teilt die Meinung der Einspruchsabteilung, dass die für die Verifikation einzelner persönlicher Daten notwendigen Schritte jeweils als eine anspruchsgemäße "Operation" gelten müssen, die jeweils "sicherheitsrelevant" sind, und deren Reihenfolge variiert wird, ohne dass diese Variation das "Gesamtergebnis" - in diesem Fall verstanden als die erfolgreiche Verifikation eines Benutzers - verändert. Bei diesem Vergleich erscheinen in der Tat mehrere der Schritte nach der O1' als nur eine anspruchsgemäße "Operation" (insbesondere für jedes persönliche Datum die Abfrage, Eingabe und Verifikation; vgl. Beschwerdebegründung der Patentinhaberin, Punkt [48]). Der Wortlaut des Anspruchs lässt nach Ansicht der Kammer diese Deutung zu (s.o.). Ein Gruppierung dieser Schritte (oder "Prozesse") ist aus O1' bekannt, denn es sind die gesamten Verifikationsabschnitte, deren Reihenfolge variiert werden. Eine weitere "Veranlassung" für die vorgeschlagene Auslegung von "Operation" in O1' ist nicht erforderlich (vgl. Beschwerdebegründung, loc. cit.).
8.4 Es stellt sich die Frage, ob die Auswahl des Verifikationsfalls abhängig von der in O1' offenbarten Quersummenberechnung als "zufällig" im Sinne des Anspruchs gelten kann.
8.5 Wie oben ausgeführt, ist die Kammer nicht der Meinung, dass die Patentschrift alleine oder in Verbindung mit allgemeinem Fachwissen (D8') einen "echten Zufall" offenbart. Außerdem dient die Berechnung aus O1' offenbar dazu, die Verifikationsreihenfolge in für den Benutzer unvorhersehbarer Weise zu verändern. Für den Benutzer erscheint diese Variation damit als "zufällig", selbst wenn der so erzeugte "Zufall" nicht gleichverteilt und/oder arithmetisch vorhersehbar sein sollte (vgl. Beschwerdebegründung, Punkte [97] bis [104]). Dem steht auch nicht entgegen, dass gemäß O1/O1' die berechnete "Zufallszahl" zusätzlich zur Indexierung eines der 10 festgelegten Fälle dient.
8.6 Die Patentinhaberin betont schließlich, dass die Beschreibung die Variation der Ausführungsreihenfolge als "zufallsbedingt oder von Eingangsdaten abhängig" offenbart (Seite 6, Zeile 5). Daraus würde folgen, dass der gemeinte "Zufall" nicht "von Eingangsdaten abhängen würde, während sich die Indexberechnung gemäß der O1/O1' auf die Uhr des Terminals stützen würde (Seite 4, Zeilen 10-11), also auf "Eingangsdaten" relativ zur Chipkarte.
8.7 Die Kammer folgt diesem Argument nicht. Es ist grund-sätzlich fraglich, ob - und genau wie - die möglicherweise kontrastierende Verwendung des Begriffs "Zufall" in der Beschreibung zur einschränkenden Auslegung im Anspruch herangezogen werden soll und kann. Darüber hinaus definiert die Beschreibung nicht, um welche Eingangsdaten es sich handelt. Neben der Auslegung der Patentinhaberin, für die es keinen Hinweis im Patent gibt, ist mindestens ebenso plausibel und in Überein-stimmung mit den ursprünglichen Ansprüchen 16 und 17, dass es sich um Eingangsdaten (also Operanden) der zu variierenden "Operationen" handeln könnte. Auch ist nicht klar, dass das zitierte "oder" ein ausschließendes sein muss. Die Variation der Ausführungsreihenfolge könnte von Eingangsdaten abhängig gemacht werden und darüber hinaus zufallsbedingt variiert werden.
8.8 Insgesamt hält die Kammer den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 für naheliegend gegenüber O1/O1', Artikel 100 a) und 56 EPÜ.
Hilfsantrag 2
9. Hilfsantrag 2 legt die "sicherheitsrelevanten Operationen" in der betrachteten "Untermenge" als "Verschlüsselungsoperationen" fest.
10. Die Einspruchsabteilung hatte den damaligen Hilfsantrag 2 - als Hilfsantrag 21 mit der Beschwerdebegründung wieder vorgelegt - unter anderem deshalb nicht zugelassen, weil die Einsprechende nicht während der mündlichen Verhandlung hätte auf die verspätete, erstmalige Bezugnahme auf kryptographische Verschlüsselung durch die Patentinhaberin reagieren können (vgl. Entscheidung, Punkt 9.5, sowie Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden, Punkt 8.2.3). Das betreffende Merkmal definierte die mit dem Betriebsprogramm ausführbaren Operationen als solche, die "als ähnliche Operationen in einem Verschlüsselungsalgorithmus enthalten" sind.
11. Die Patentinhaberin ist der Ansicht, dass die Nichtzulassung des damaligen Hilfsantrags 2 rechtsfehlerhaft erfolgt sei. Insbesondere ist sie der Ansicht, dass die "überraschenden" Meinungsänderungen der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der "sicherheitsrelevanten Operationen" und des Offenbarungsgehalts der O1 hinsichtlich des beanspruchten "Zufalls" das Einreichen des neuen Hilfsantrags rechtfertigten, und dieser daher zwingend zuzulassen gewesen wäre (vgl. insbesondere die Punkte [201] und [202] in der Beschwerdebegründung). Zur Rechtfertigung verweist die Patentinhaberin auf die Regeln 80 und 116(2) EPÜ, sowie auf verschiedene Entscheidungen der Beschwerdekammern, insbesondere T 0754/16 (vgl. u.a. [214] und [215]).
11.1 Regel 80 EPÜ räumt kein unbedingtes Recht für Änderungen ein, die durch Einspruchsgründe veranlasst sind, sondern stellt im Gegenteil fest, dass Änderungen allenfalls dann zulässig sind, wenn sie durch Einspruchsgründe veranlasst sind.
11.2 Was Regel 116(2) EPÜ betrifft, schließt sich die Kammer der Ansicht aus T 1776/18 (Leitsatz 3 und Gründe 4.7.3) an, dergemäß das Nichtzulassungsermessen grundsätzlich nicht vom Inhalt der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung abhängt.
11.3 Die Kammer kann außerdem nicht erkennen, dass die Einspruchsabteilung ihre Meinung "völlig überraschend", geschweige denn gravierend geändert hat. Schon in der Ladung sah sie die "sicherheitsrelevanten Operationen" in O1/O1' offenbart, und auch die Offenbarung des "Zufalls" stand in Frage, selbst wenn in der Ladung dieses Merkmal nicht in O1/O1', sondern in O2 gesehen wurde (vgl. Seite 5 im Ladungszusatz, Punkt c, sowie Seite 10, Bemerkung zu Anspruch 4). In jedem Fall war vorhersehbar, dass dieses Merkmal gegebenenfalls nicht als erfinderisch angesehen werden könnte. Außerdem ist nicht ersichtlich, wieso der Bezug auf Verschlüsselung als Reaktion auf einen Einwand hinsichtlich der zufallsbedingten Auswahl von Operationen gelten müsse (vgl. Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden, Punkt 8.2.5). Für die Annahme der Patentinhaberin, dass jeder Einwand eine Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung rechtfertigen könne, kann die Kammer nicht folgen (vgl. Entscheidungsgründe 9.2).
11.4 Auch an der Weise, in der die Einspruchsabteilung ihr Ermessen ausgeübt und begründet hat, kann die Kammer keinen Fehler finden.
11.5 Es folgt aus dem Vorstehenden, dass die Kammer unter Artikel 12(6) VOBK, Satz 1, gehalten war, den mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Hilfsantrag 21 nicht zuzulassen (es sei denn "die Umstände der Beschwerde-sache rechtfertigten eine Zulassung").
12. Der vorliegende Hilfsantrag 2 nimmt ebenfalls entscheidenden Bezug auf kryptographische Verschlüsselung. Damit steht die Zulassung des Hilfsantrags 2 im Ermessen der Kammer, unter Artikel 12(4) in Verbindung mit 12(6) VOBK 2020, Satz 1 (vgl. T 714/20, Leitsatz).
12.1 Die Kammer erkennt an, dass das Merkmal der Verschlüsselung einen gegenüber dem Dokument O1/O1' möglicherweise relevanten Unterschied darstellt, da O1/O1' eine Variation von Verschlüsselungsoperationen weder offenbart noch unmittelbar nahelegt. Die Kammer kann hingegen keine Umstände der Beschwerdesache erkennen, die eine Zulassung dieses Antrags rechtfertigen könnten. Hingegen spricht gegen die Zulassung, dass mit ihr die Beschwerdesache über den Gegenstand der zu überprüfenden Entscheidung hinaus entscheidend erweitert würde (vgl. Artikel 12(2) VOBK 2020).
12.2 Daher lässt die Kammer Hilfsantrag 2 unter Artikel 12(4) i.V.m. 12(6) VOBK 2020 nicht zu.
Hilfsantrag 7
Zulassung
13. Die Zulassung von Hilfsantrag 7 unterliegt als Änderung dem Ermessen der Kammer nach Artikel 12(4) i.V.m. 12(2) VOBK 2020.
13.1 Die Einsprechende beantragt dementsprechend seine Nichtzulassung (vgl. Beschwerdeerwiderung vom 30. November 2020, Punkte 2.8 und 2.9).
13.2 Es ist richtig, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 im Einspruchsverfahren nicht vorgelegen hat. Die relevanten Einzelmerkmale (zufallsbedingt Variation und Variation "jeweils vor Beginn") sind hingegen im Kontext der beanspruchten Erfindungen schon beantragt worden und waren somit Gegenstand einer inhaltlichen Diskussion (vgl. Hilfsanträge 1 und 3 in der Entscheidung der Einspruchsabteilung), im Unterschied insbesondere zum strittigen Merkmal in Hilfsantrag 2 (s.o.).
13.3 Durch die Kombination dieser Einzelmerkmale setzt sich die Patentinhaberin nach Ansicht der Kammer in vertretbarer Weise mit der Entscheidung der Einspruchsabteilung auseinander und trägt vor, warum sie die Einwände gegenüber O4 und O1/O1' gleichermaßen ausräumen würde. Die Kammer übt ihr Ermessen nach Artikel 12(4) VOBK 2020 aus, in dem sie den Hilfsantrag 7 zulässt (siehe oben Absatz 3.1 sowie die dort zitierte Entscheidung T 1709/18, Gründe 5.5).
Ausreichende Offenbarung, Artikel 100 b) und 83 EPÜ
14. Die Einsprechende ist der Ansicht, dass die beanspruchte Erfindung nicht ausreichend offenbart sei, Artikel 100 b) und 83 EPÜ, weil die Beschreibung kein vollständiges Ausführungsbeispiel für die einschlägige Ausführungsform offenbare (Beschwerdebegründung, Punkte 6.2 und 6.5).
(a) Es sei insbesondere nicht offenbart, wie die Operationen, deren Ausführungsreihenfolge ohne Änderung am Gesamtergebnis variiert werden könnten, bestimmt werden könnten.
(b) In der Situation nach Abbildung 5 sei ein "Wartemechanismus" (mécanisme d'attente) nötig, um sicherzustellen, dass die Operationen P3 bis P7 streng vor Operation P8 ausgeführt würden, der aber nicht offenbart sei (auch 6.5).
(c) Abbildung 5 sei mehrdeutig dahingehend, ob es sich beim beanspruchten "Gesamtergebnis" um das der Operationen P1 bis P8, oder nur der Operationen P3 bis P7 handeln würde.
(d) Es sei weiter nicht offenbart, ob die Ausführungsreihenfolge wiederholt und mehrfach unterschiedlich variieren würde, oder ob die Variation nur einmalig gegenüber eine Referenzreihenfolge festgelegt würde, etwa der im Programmcode fixierten (Punkt 6.7, "première" und "deuxième interprétation").
(e) Dementsprechend sei es auch nicht klar, ob die Operationen nur einmal oder mehrfach auszuführen seien. Insbesondere für die zweite Auslegung gebe es kein Ausführungsbeispiel im Patent, so dass der Fachmann sie nicht ausführen könne.
(f) Es sei auch nicht offenbart, wie die zu variierenden Operationen bestimmt würden (Punkt 6.8).
14.1 Der Gegenstand des abhängigen Anspruchs 2 (bspw. im Hauptantrag) sei nicht ausreichend offenbart, weil nicht klar sei, was mit dem "Durchlauf" gemeint sei. Außerdem offenbare das Patent kein Beispiel, in dem die Ausführungsreihenfolge in jedem Durchlauf variiert würde (Punkt 6.10). Der Gegenstand des abhängigen Anspruchs 7 gemäß Hauptantrag, entsprechend Anspruch 3 des Hilfsantrags 7, sei nicht ausreichend offenbart, da das Patent kein Beispiel dafür gebe, wie abhängig von den durch die Operationen verarbeiteten Daten die Ausführungsreihenfolge zu variieren sei. Der Einwand gegen den abhängigen Anspruch 3 des Hauptantrags mit Bezug auf das beanspruchte "Prinzip" kann dahinstehen, da er im Hilfsantrag gestrichen ist (Punkt 6.11).
14.2 Die Patentinhaberin verweist darauf, dass der einschlägige Fachmann nicht nur ein "(klassischer) Softwareingenieur" sei, sondern auch Kenntnisse in Kryptologie habe ([25]). Die erlaubten Ausführungsreihenfolgen seien aus Abbildung 5 klar ersichtlich ([27]). Das "Gesamtergebnis" sei anspruchswortlautgemäß das "Gesamtergebnis der Untermenge" ([29]). Es sei abwegig, dabei einen Bezug auf eine Verarbeitungsleistung zu vermuten ([30]). Der Begriff des "Durchlaufs" sei "mit Hinblick auf" den DES-Verschlüsselungsalgorithmus klar, der mehrfach durchgeführt würde. Eine Ausführungsreihenfolge Operanden-abhängig zu variieren sei dem Fachmann geläufig ([35]).
14.3 Die Kammer ist der folgenden Ansicht.
(a) Es ist notwendig, für den Fachmann besondere kryptologische Kenntnisse anzunehmen, da sich die Ansprüche nicht auf Verschlüsselung beziehen. In dieser Hinsicht sind auch die Ausführungen der Patentinhaberin zur DES-Verschlüsselung unerheblich. Gleichzeitig gehen die beanspruchten und offenbarten Merkmale nicht über das hinaus, was schon ein "klassischer" Softwareingenieur verstehen würde und umsetzen könnte.
(b) Die Kammer folgt der Patentinhaberin darin, dass die erlaubten und nicht erlaubten Reihenfolgevariationen aus Abbildung 5 zwar nur beispielhaft, aber doch klar hervorgehen. Die geeigneten Softwaremittel ("Wartemechanismen"), um nicht erlaubte Ausführungsreihenfolgen auszuschließen, sind dem Fachmann bekannt.
(c) Die Kammer folgt der Patentinhaberin darin, dass es anspruchsgemäß primär um das Gesamtergebnis der Untermenge (P3-P7) gehen muss, das unverändert bleibt. Gleichzeitig bleibt somit natürlich auch ein ggfs. übergeordnetes Gesamtergebnis (P1-P8) unverändert (daher gibt es in dieser Hinsicht auch nicht den von der Einsprechenden behaupteten Widerspruch: Beschwerdeerwiderung, Punkt 5.7). Die Kammer hält mit der Patentinhaberin die Auslegung von "Gesamtergebnis" als "Verarbeitungsleistung" für abwegig (siehe auch die Ausführungen zur Auslegung von "Gesamtergebnis" hier oben und in der vorläufigen Meinung der Kammer).
(d) und (e) Obgleich der Anspruch ausdrücklich nur eine Ausführung fordert, ist dem Fachmann schon durch den Begriff der "Variation" klar, dass die genannten Operationen u.U. mehrfach auszuführen sind und dass bei mehrfacher Ausführung nicht (jedenfalls zufallsabhängig nicht zwingend) dieselbe Reihenfolge zu wählen ist. Die von der Einsprechenden genannte "deuxième interpretation" ist demnach aus Sicht des Fachmanns zu verwerfen. Auch ein Zweifel an der Bedeutung oder Ausführbarkeit des "Durchlaufs" gemäß Anspruch 2 besteht nicht.
(f) Die Kammer stimmt der Patentinhaberin darin zu, dass der Fachmann keine Schwierigkeiten hätte, die Ausführungsreihenfolge Operanden-abhängig zu verändern.
15. Die Einspruchsabteilung hielt den damaligen Hilfsantrag 4 für nicht hinreichend offenbart (Entscheidungsgründe 11), weil sich Ansprüche 1, 5 und 10 dahingehend widersprächen, wann die Ausführung einer nächsten Operation "festgestellt" werde (einmal für alle Operationen der Untermenge, oder jeweils "vor Beginn der Ausführung" jeder Einzeloperation).
15.1 Diese Frage ist relevant für Hilfsantrag 7, da auch hier beide Merkmale auch als Kombination beansprucht sind (Ansprüche 1 und 4).
15.2 Die Patentinhaberin widerspricht dem (Beschwerdebegründung, Punkte [176] bis [180]) mit Bezug auf Absatz [37] der Patentschrift. Dort wird offenbart, dass "die Bearbeitungsreihenfolge" entweder vorab "für alle [...] vertauschbaren Operationen festgelegt werden" kann, "oder [...] auch", dass "vor jeder variierbaren Operation aus der Menge der verbleibenden [...] Operationen die nächste" bestimmt wird.
15.3 Die Kammer stimmt der Patentinhaberin darin zu, dass grundsätzlich eine Reihenfolge festgelegt werden und zur Laufzeit variiert werden kann. Einen Offenbarungsmangel kann die Kammer nicht erkennen. Der Fachmann wäre in der Lage, eine Reihenfolge initial festzulegen und dennoch zur Laufzeit zu variieren.
16. Im Ergebnis stimmt die Kammer der Patentinhaberin darin zu, dass der Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) bzw. Artikel 83 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen stehen.
Ursprüngliche Offenbarung, Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ
17. Die Kammer hat den Offenbarungsmangel wegen des möglichen Widerspruchs darüber, wann die Reihenfolge variiert wird, zwar verworfen, aber die Kombination beider Option für möglicherweise nicht ursprünglich offenbart gehalten (vgl. auch die Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden, Punkt 13). Die Beschwerdeführerin verwies aber in der mündlichen Verhandlung richtigerweise darauf, dass in der Ursprungsanmeldung die beanstandete Kombination tatsächlich offenbart war, nämlich im Anspruch 18, soweit er sich auf Anspruch 17 bezieht. Der entsprechende Einwand hat sich damit erledigt.
18. Weitere einschlägige Einwände unter Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ gegen den Hilfsantrag 7 hat die Einsprechende nicht erhoben.
Erfinderische Tätigkeit
19. Die Kammer hält Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 ebenso wie den des Hilfsantrags 1 (s.o.) gegenüber O4 wegen des Merkmals der zufälligen Variation der Ausführungsreihenfolge für nicht naheliegend, Artikel 100 a) und 56 EPÜ.
20. Das Ziel der Indexberechnung gemäß der O1/O1' ist es, für den Benutzer in unvorhersehbarer Weise einen von wenigen zuvor festgelegten Verifikations"fällen" auszuwählen. Eine weitere Variation, in dem jeder Einzelschritt eines solchen Falls "jeweils vor Beginn" seiner Ausführung zufällig festgelegt würde, wie es Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 fordert, verringert die Vorhersehbarkeit durch den Benutzer und erhöht somit die Sicherheit der Lösung aus O1/O1'. Diese Aufgabe erscheint der Kammer grundsätzlich als eine, der sich der Fachmann ausgehend von O1/O1' widmen würde.
20.1 O1/O1' lehrt den Fachmann die Auswahl aus einem von höchstens 10 zuvor festgelegten und gespeicherten Verifikations"fällen". Diese Auswahl erfolgt durch die Bestimmung einer aus sovielen Ziffern, wie es Fälle gibt (höchstens 0-9, ggfs. weniger, durch Quersummenbildung, Auswahl der niedrigstwertigen Ziffer und ggfs. Normierung auf eine Fallanzahl kleiner als 10; vgl. Seite 4, Zeilen 3-9 und 15-22). Wollte der Fachmann ausgehend von O1/O1' die Unvorhersehbarkeit durch den Benutzer weiter erhöhen, stünden ihm verschiedene unmittelbare Alternativen offen, darunter die von der Einspruchsabteilung genannte, die vorgeschlagene Berechnung durch einen "besseren Pseudozufallszahlengenerator" zu ersetzen. Alternativ würde er in Betracht ziehen, die Anzahl an vordefinierten und gespeicherten Fallkombinationen geringfügig zu erhöhen, wobei er darauf bedacht wäre, aus Speicherplatzgründen die Zahl der Fälle klein zu halten.
20.2 In ihrer vorläufigen Meinung hat die Kammer die Ansicht vertreten (Punkt 20.6, noch zur erfinderischen Tätigkeit von Hilfsantrag 1), dass es nahegelegen hätte, statt der Quersummenberechnung "einen umständehalber verfügbaren" (vgl. D8') "und ggfs. 'besseren' Zufallszahlengenerator zu verwenden, um die nächste Verifikationsreihenfolge zu bestimmen". Sie hat auch vorläufig gemeint (Punkt 22, auch zu Hilfsantrag 7), dass es nahegelegen hätte, ausgehend von O1' nicht eine feste Menge von möglichen Verifikationsreihenfolgen auszuwählen, sondern die nächste Abfrage zur Laufzeit jeweils zufällig zu bestimmen. Dies sei eine naheliegende Möglichkeit, die gewünschte Unvorhersehbarkeit zu gewährleisten.
20.3 Teilweise abweichend davon ist die Kammer nun der folgenden Ansicht.
20.4 Insbesondere ist die Kammer der Meinung, dass der Fachmann ausgehend von O1/O1' keinen Anlass gehabt hätte, die Ausführungen der Operation Zug um Zug zu variieren, also "jeweils vor Beginn" den nächsten Verifikationsfall zu wählen. Die Lösung aus O1/O1' ist in sich geschlossen und erscheint gut ausbalanciert. Die Anzahl der maximal berücksichtigen Fälle entspricht dem Wertebereich, den der einfache "Zufallszahlengenerator" erzeugt. Auf einen aufwändigeren Zufallszahlengenerator wird verzichtet, für jeden Verifikationsvorgang wird nur eine Zufallszahl benötigt, und ihre Bestimmung erfolgt, abhängig von der ausgelesen Zeit- und Datumswert, jeweils gleich. Hingegen weist bei inkrementeller Auswahl die Reihe der Nummern der jeweils noch auszuwählenden Verifikationsfälle Lücken auf. Eine zufällige Auswahl mit dem vorgeschlagenen Mechanismus, und selbst über einen Zufallszahlengenerator, ist ohne Weiteres nicht möglich. Für solche weiteren Maßnahmen fehlt in O1/O1' und im sonstigen Stand der Technik der nötige Hinweis.
20.5 Insgesamt ist die Kammer daher der Meinung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 nicht nahegelegen hätte, Artikel 100 a) i.V.m. 56 EPÜ.
21. Die Kammer bemerkt, dass die Einspruchsabteilung den damaligen Hilfsantrag 5, auf Basis dessen das Patent aufrecht erhalten wurde, nur mit den Dokumenten O1/O1' und O4 verglichen hat (vgl. Entscheidungsgründe, Punkt 13). Ausweislich des Protokolls vom 4. März 2020 (insbesondere Punkte 14-16) hat die Einsprechende auch nicht auf der Berücksichtigung weiterer Dokumente bestanden. Die Kammer ist der Ansicht, das die Einsprechende damit im Ergebnis ihre einschlägigen Einwände nicht aufrecht erhalten hat, Artikel 12(6) VOBK 2020, Satz 2. Demnach ist die Kammer gehalten, den entsprechenden Tatsachenvortrag nicht zuzulassen, es sei denn "die Umstände der Beschwerde rechtfertig[t]en eine Zulassung". Der Kammer sind solche Umstände nicht ersichtlich, noch hat die Einsprechende Gründe geltend gemacht, warum die auf Dokumente O2 und O3 gestützten Einwände (hinsichtlich O2 nur durch pauschalen Bezug auf den auf O1/O1' gestützten Einwand, vgl. Punkt 7.3, hinsichtlich O3 sogar erst mit der Beschwerdeerwiderung, Punkt 6.4) in der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren nicht, dann aber in der Beschwerde doch vorgetragen wurden. Zudem hat die Kammer in ihrer vorläufigen Meinung auf O2 gar nicht, und auf O3 nur kursorisch verwiesen. Die Einsprechende hat das nicht kommentiert. Die Kammer lässt daher den Tatsachenvortrag, der die auf O2 und O3 gestützten Einwände trägt, gemäß Artikel 12(6) Satz 2 VOBK 2020 und Artikel 114(2) EPÜ nicht zu.
Anpassung der Beschreibung
22. Eine an den von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Anspruchssatz angepasste Beschreibung liegt vor (vgl. die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Punkt 16.1). Es bleibt zu überprüfen, ob angesichts der nun leicht abweichenden unabhängigen Ansprüche, die Beschreibung noch einmal anzupassen ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags 7 (wie mit der Beschwerdebegründung vorgelegt) und einer gegebenenfalls anzupassenden Beschreibung aufrecht zu erhalten.
3. Der Antrag der Beschwerdeführerin (Einsprechende) auf Kostenverteilung wird abgelehnt.