T 1501/20 () of 14.7.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T150120.20230714
Datum der Entscheidung: 14 Juli 2023
Aktenzeichen: T 1501/20
Anmeldenummer: 14178302.7
IPC-Klasse: F16F 15/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fliehkraftpendel und Antriebssystem mit Fliehkraftpendel
Name des Anmelders: Schaeffler Technologies AG & Co. KG
Name des Einsprechenden: Valeo Embrayages
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 015(2)(b)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 15a(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Zurückverweisung - (ja)
Mündliche Verhandlung - Ermessen der Kammer
Mündliche Verhandlung - Format
Mündliche Verhandlung - Hybridverhandlung
Orientierungssatz:

Artikel 15a (1) VOBK 2020 bietet keine rechtliche Grundlage, um die mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz gegen den Willen einer der Verfahrensbeteiligten durchzuführen, sofern kein allgemeiner Notfall besteht, der die Möglichkeit der Beteiligten einschränkt, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen (Gründe Nr. 1.4).

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/21
T 2432/19
T 1171/20
T 0618/21
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchs­abteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, die in Form einer Hybridverhandlung durchgeführt wurde.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Streitpatent gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 3, alle eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, aufrecht zu erhalten.

V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung) lautet wie folgt (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

M1.1 Fliehkraftpendel (10) zur Dämpfung einer Torsionsschwingung einer Verbrennungsmaschine (30)

M1.2 mit einer ersten Pendelmasse (20), einer zweiten Pendelmasse (25) und einem Pendelflansch (80),

M1.3 - wobei der Pendelflansch (80) mit der Verbrennungsmaschine (30) koppelbar ist,

M1.4 - wobei die erste Pendelmasse (20) und die zweite Pendelmasse (25) zur Durchführung einer vordefinierten Pendelbewegung beweglich mit dem Pendelflansch (80) gekoppelt sind,

M1.5 - wobei die erste Pendelmasse (20) eine erste Tilgerordnung aufweist und ausgebildet ist, eine in den Pendelflansch (80) einleitbare erste Erregerordnung der Verbrennungsmaschine (30) zu dämpfen,

M1.6 - wobei die zweite Pendelmasse (25) eine zweite Tilgerordnung aufweist und ausgebildet ist, eine in den Pendelflansch (80) einleitbare zweite Erregerordnung der Verbrennungsmaschine (30)

zu dämpfen,

M1.7 - wobei die Tilgerordnungen der Pendelmassen (20, 25) unterschiedlich zueinander sind

M1.8 - wobei eine Masse der ersten Pendelmasse (20) unterschiedlich zu einer Masse der zweiten Pendelmasse (25) ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

M1.9 - ein Verhältnis der Masse der erste [sic] Pendelmasse (20) zu der Masse der zweiten Pendelmasse (25) 1,5 bis 2,5 ist.

VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltung Bezug genommen:

D8: DE 10 2012 219 959 A1

VII. Die Beschwerdeführerin trug vor, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruhe ausgehend von D8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VIII. Die Beschwerdegegnerin trug vor, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruhe ausgehend von D8 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Format der mündlichen Verhandlung

1.1 Die Beteiligten wurden zu einer mündlichen Verhandlung am 14. Juli 2023 in Haar, d.h. zu einer Präsenzverhandlung, geladen. Im Hinblick auf den französischen Nationalfeiertag ersuchte die Beschwerdeführerin um eine Verschiebung der mündlichen Verhandlung bzw.um Durchführung der mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz. Die Beschwerdegegnerin sprach sich gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz aus, da eine Abstimmung zwischen den anwaltlichen Vertretern der Beschwerdegegnerin mit den teilnehmenden Mitarbeitern der Beschwerdegegnerin im Rahmen einer Präsenzverhandlung deutlich einfacher sei. Die Beschwerdegegnerin stimmte jedoch - in Absprache mit der Beschwerdeführerin - der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Form einer Hybridverhandlung ("mixed-mode"), d.h. der Anwesenheit der Vertreter und Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin in den Räumlichkeiten des EPA und der Teilnahme des Vertreters der Beschwerdeführerin an der mündlichen Verhandlung mittels Videotechnologie, zu.

1.2 Hierzu möchte die Kammer zunächst anmerken, dass das Bestehen eines nationalen Feiertages grundsätzlich keine ausreichende Begründung für die Verschiebung einer mündlichen Verhandlung darstellt, sofern nicht bereits ein Urlaub bzw. eine Reise fest gebucht wurde (vgl. Artikel 15 (2) b) vi) VOBK - Verfahrensordnung der Beschwerdekammern). Eine Verschiebung der mündlichen Verhandlung kam daher aus verfahrensökonomischen Erwägungen nicht in Betracht.

1.3 Da die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf Durchführung einer Präsenzverhandlung aufrecht erhalten hat, jedoch ihre Zustimmung zur Durchführung einer Hybridverhandlung gegeben hat, wurde die mündliche Verhandlung in Form einer Hybridverhandlung durchgeführt. Somit wurde den Anträgen beider Beteiligter entsprochen, der Beschwerdegegnerin wurde die Möglichkeit eingeräumt, im Verhandlungsraum des EPA anwesend zu sein, und der Beschwerdeführerin wurde die Teilnahme im Wege der Videotechnologie ermöglicht.

1.4 Im gegebenen Zusammenhang ist zu bemerken, dass der Artikel 15a (1) VOBK 2020 der Kammer zwar Ermessen einräumt, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen, wenn sie dies für zweckmäßig erachtet, dennoch ist die Kammer der Ansicht, dass die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/21 gewisse Grenzen für die Ausübung dieses Ermessens setzt. Die Kammer folgt diesbezüglich der Entscheidung T 2432/19 (vgl. Gründe Nr. 1.5 und 1.5.1), wonach der Artikel 15a (1) VOBK 2020 im Hinblick auf die Entscheidung G 1/21 restriktiv auszulegen ist. Demnach bietet Artikel 15a (1) VOBK 2020 keine rechtliche Grundlage, um die mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz gegen den Willen einer der Verfahrensbeteiligten durchzuführen, sofern kein allgemeiner Notfall besteht, der die Möglichkeit der Beteiligten einschränkt, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die in der G 1/21 vorgenommene Einschränkung auf die Situation eines allgemeinen Notfalls nicht erforderlich gewesen wäre, wenn die Große Beschwerdekammer der Auffassung gewesen wäre, dass eine rechtliche Grundlage bestünde, Videokonferenzen unabhängig vom Bestehen eines solchen Notfalls gegen den Willen der Verfahrenbeteiligten durchzuführen (vgl. T 1171/20, Gründe Nr. 1.5). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die G 1/21 davon ausging, dass die unterschiedlichen Formate mündlicher Verhandlungen (Präsenzverhandlung bzw. Videokonferenz) - jedenfalls im Hinblick auf die bestehenden Technologien - keine gleichwertigen Kommunikationsmöglichkeiten bieten (vgl. T 2432/19, insbesondere Gründe Nr. 1.7, 1.8 und 1.10.2). Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass die G 1/21 den Verfahrensbeteiligten grundsätzlich ein Wahlrecht hinsichtlich des Formats der mündlichen Verhandlungen zugesteht, das jedenfalls für Präsenzverhandlungen besteht (vgl. G 1/21, Gründe Nr. 46; T 2432/19, Gründe Nr. 1.10.3).

1.5 Im Übrigen folgt die Kammer nicht der in der Entscheidung T 618/21 (vgl. Gründe Nr. 4, und insbesondere 4.1.3) vertretenen Auffassung, wonach der Artikel 15a VOBK 2020 "als Nachfolgeregelung von G 1/21 angesehen werden muss". Diesbezüglich wird auf die entsprechenden Ausführungen der T 1171/20, Gründe Nr. 1.6 verwiesen.

1.6 Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen sah die Kammer im vorliegenden Fall keine rechtliche Grundlage, die mündliche Verhandlung gegen den Willen der Beschwerdegegnerin in Form einer Videokonferenz durchzuführen. Die mündliche Verhandlung wurde deshalb mit dem Einverständnis beider Beteiligter in Form einer Hybridverhandlung ("mixed-mode") durchgeführt.

2. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit

2.1 Die Entgegenhaltung D8 offenbart unstreitig ein Fliehkraftpendel mit den Merkmalen M1.1 bis M1.8, also ein (Verweise in Klammern beziehen sich auf D8)

M1.1 Fliehkraftpendel (100) zur Dämpfung einer Torsionsschwingung einer Verbrennungsmaschine

M1.2 mit einer ersten Pendelmasse (125), einer zweiten Pendelmasse (135) und einem Pendelflansch (105, 110),

M1.3 - wobei der Pendelflansch (105, 110) mit der Verbrennungsmaschine koppelbar ist (Absatz [0009]),

M1.4 - wobei die erste Pendelmasse (125) und die zweite Pendelmasse (135) zur Durchführung einer vordefinierten Pendelbewegung beweglich mit dem Pendelflansch (105, 110) gekoppelt sind (Absätze [0025] und [0026]),

M1.5 - wobei die erste Pendelmasse (125) eine erste Tilgerordnung aufweist und ausgebildet ist, eine in den Pendelflansch (105, 110) einleitbare erste Erregerordnung der Verbrennungsmaschine zu dämpfen,

M1.6 - wobei die zweite Pendelmasse (135) eine zweite Tilgerordnung aufweist und ausgebildet ist, eine in den Pendelflansch (105, 110) einleitbare zweite Erregerordnung der Verbrennungsmaschine

zu dämpfen,

M1.7 - wobei die Tilgerordnungen der Pendelmassen (125, 135) unterschiedlich zueinander sind (Absätze [0009] und [0032])

M1.8 - wobei eine Masse der ersten Pendelmasse (125) unterschiedlich zu einer Masse der zweiten Pendelmasse (135) ist (Absatz [0015]).

2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem in D8 offenbarten Fliehkraftpendel unstreitig durch das Merkmal M1.9, wonach

M1.9 - ein Verhältnis der Masse der ersten Pendelmasse (125) zu der Masse der zweiten Pendelmasse (135) 1,5 bis 2,5 ist.

2.3 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, der aus dem Unterscheidungsmerkmal M1.9 resultierende technische Effekt liege in einer besonders effektiven Dämpfung bei gleichzeitiger Optimierung des Bauraums und günstigen Fertigungskosten. Die objektive technische Aufgabe bestehe dementsprechend darin, Schwingungen unterschiedlicher Ordnungen bei kleinem Bauraum und günstigen Fertigungskosten effizient zu dämpfen.

2.4 Was die Fertigungskosten des Fliehkraftpendels betrifft, hängen diese zweifellos auch mit der Ausgestaltung der Pendelmassen zusammen. Neben der Materialwahl spielen fertigungstechnische Überlegungen eine Rolle, wie beispielsweise das im Streitpatent erwähnte Stanzen der Pendelmassen aus einem Blech (Streitpatent, Absatz [0040]). Eine Pendelmasse ist aber nicht deshalb günstiger oder teuerer in der Herstellung, weil sie ein bestimmtes Massenverhältnis zu einer anderen Pendelmasse aufweist. Der Aspekt der "günstigen Fertigungskosten" steht folglich in keinem Zusammenhang mit dem Unterscheidungsmerkmal M1.9 und kann daher auch nicht in die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe einfließen.

2.5 Ähnliche Überlegungen gelten bezüglich des Bauraums, denn auch der Bauraum, den zwei Pendelmassen einnehmen, hängt nicht von deren Massenverhältnis zueinander ab. Bestimmende Faktoren sind vielmehr deren jeweilige absolute Masse, Formgebung und Material. Daher steht auch der Aspekt des "kleinen Bauraums" in keinem Zusammenhang mit dem Unterscheidungsmerkmal M1.9, sodass er ebenfalls nicht in die objektive technische Aufgabe einfließen kann.

2.6 Hinsichtlich der effizienten Dämpfung von Schwingungen unterschiedlicher Ordnungen geht das Streitpatent in Absatz [0009] zunächst davon aus, dass die beiden Pendelmassen aufgrund ihrer unterschiedlichen Massen auf unterschiedliche Tilgerordnungen abgestimmt werden könnten, sodass die Pendelmassen besonders effektiv wirkten. Während der mündlichen Verhandlung verwies die Beschwerdegegnerin jedoch auf Absatz [0032] des Streitpatents und trug vor, dass die Tilgerordnung q unabhängig von der Masse der Pendelmasse sei. Der Betrag der Masse beeinflusse demnach nur den Betrag der Dämpfung (bei einer vorgegeben Tilgerordnung).

Unabhängig davon, welche dieser beiden Aussagen zutrifft, hängt die Effizienz der Dämpfung eines Fliehkraftpendels aber zuallererst davon ab, dass dessen Tilgerordnung und der Betrag der Dämpfung auf das Torsions­schwingungsverhalten einer daran gekoppelten Verbrennungsmaschine abgestimmt sind (Streitpatent, Absätze [0002] und [0003]). Die beiden Faktoren werden durch die absolute Masse einer Pendelmasse sowie deren Aufhängung bestimmt, nicht aber durch ein Verhältnis der Masse einer ersten Pendelmasse zu der Masse einer zweiten Pendelmasse. Das im Unterscheidungsmerkmal definierte Massenverhältnis hat also zunächst keinen Einfluss auf die Effizienz der Dämpfung bei einer bestimmten - im Anspruch nicht näher definierten - Verbrennungsmaschine.

2.7 Man könnte nun arguendo unterstellen, dass die besagte Abstimmung auf eine bestimmte Verbrennungsmaschine bereits aufgrund der Merkmale M1.4 bis M1.6 vorhanden sei. Die beiden Tilgerordnungen der Merkmale M1.5 und M1.6 wären in diesem Fall an die Erreger­ordnungen der Verbrennungsmaschine im Normalbetrieb einerseits und bei Zylinderabschaltung andererseits angepasst.

Gemäß dem Vortrag der Beschwerdegegnerin resultiere die besondere Effizienz des Fliehkraftpendels nun daraus, dass der eine Betriebsmodus der Verbrennungs­maschine eine stärkere Dämpfung erfordere als der andere. Im beanspruchten Fliehkraftpendel werde die benötigte unterschiedlich starke Dämpfung durch unterschiedlich schwere Pendelmassen erreicht, wobei sich das in Merkmal M1.9 definierte Massenverhältnis der Pendelmassen als besonders vorteilhaft für die "typischen Verhältnisse" bei Verbrennungsmaschinen erwiesen habe, wie in Absatz [0011] des Streitpatents erläutert.

2.8 Bereits aus der Argumentation der Beschwerdegegnerin, insbesondere durch den Bezug auf die "typischen Verhältnisse" bei Verbrennungsmaschinen, geht hervor, dass ein jeweils vorteilhaftes Massen­verhältnis unmittelbar davon abhängt, welche Verbrennungsmaschine an das Fliehkraftpendel gekoppelt ist, und wie viele Zylinder dieser Verbrennungsmaschine abgeschaltet werden. Dasselbe ergibt sich aus dem von der Beschwerde­gegnerin in Bezug genommenen Absatz [0011] des Streitpatents, wonach sich das Massenverhältnis der Pendelmassen an der Gesamt­zylinder­anzahl der Verbrennungs­maschine zu der Gesamtzylinder­anzahl abzüglich der abgeschalteten Zylinder orientiere. Das in Merkmal M1.9 definierte Massenverhältnis kann folglich nur für bestimmte Verbrennungsmaschinen mit einer bestimmten Anzahl an Zylindern und abgeschalteten Zylindern den behaupteten Effekt einer effizienten Dämpfung bewirken.

2.9 Der Anspruch lässt jedoch offen, was für eine Verbrennungsmaschine an das beanspruchte Fliehkraft­pendel gekoppelt ist, und wie viele Zylinder davon abgeschaltet werden. Das in Merkmal M1.9 definierte Massenverhältnis der Pendelmassen führt daher nicht allgemein zu einer effizienten Dämpfung, sodass dieser Aspekt ebenfalls nicht in die objektive technische Aufgabe einfließen kann.

2.10 Diese Schlussfolgerung ergibt sich im Übrigen auch aus den beiden im Streitpatent beschriebenen Szenarien eines an das Fliehkraftpendel gekoppelten Achtzylinder­motors, von dem vier Zylinder abgeschaltet werden, und eines Sechszylindermotors, bei dem nur ein Zylinder abgeschaltet wird (Streitpatent, Absätze [0034] bis [0036]).

Bezüglich des Achtzylindermotors lehrt das Streitpatent, dass für einen Vierzylinderbetrieb dieses Motors mit einer ersten Erregerordnung eine erste Tilgerordnung q=2 geeignet sei, die eine "größere Masse" der Pendelmasse erfordere als eine zweite Tilgerordnung q=4 für den Achtzylinderbetrieb.

Bezüglich des Sechszylindermotors mit Einzel­zylinder­abschaltung lehrt das Streitpatent jedoch, dass hier die beiden Erregerordnungen und die darauf abgestimmten Tilgerordnungen eng beieinander lägen. Daher sei es in einem solchen Fall vorteilhaft, wenn die Pendelmassen "identisch" bzw. aus "gleich schweren Pendel­massen­teilen" gebildet sind, während die unterschiedlichen Tilgerordnungen, im konkreten Beispiel q=2,5 und q=3, durch unterschiedliche Pendelbahnen erzeugt werden. Für dieses Szenario bewirkt eine um den Faktor 1,5 bis 2,5 größere Masse der ersten Pendelmasse, wie in Merkmal M1.9 definiert, also nicht den behaupteten Effekt einer effizienten Dämpfung.

2.11 Sonstige Wirkungen, die aus dem Unterscheidungsmerkmal M1.9 resultieren, wurden von der Beschwerdegegnerin nicht geltend gemacht und sind auch für die Kammer nicht ersichtlich.

Aus diesem Grund besteht die zu lösende objektive technische Aufgabe lediglich darin, einen Wertebereich für das Massenverhältnis der beiden Pendelmassen festzulegen.

2.12 Die Beschwerdegegnerin wandte hiergegen ein, diese Aufgaben­formulierung enthalte Lösungselemente, da die Festlegung eines Verhältnisses der Massen der Pendelmassen bereits ein erster Schritt in Richtung der Erfindung sei. So offenbare die D8 nur, dass die Pendelmassen "unterschiedliche Massen" aufweisen, nicht aber, dass die beiden Massen in einem bestimmten Verhältnis zueinander stünden.

Das Verhältnis der Massen als solches hat jedoch keinen technischen Effekt und löst dementsprechend keine objektive technische Aufgabe, wie oben dargelegt. Daher kann es auch nicht Bestandteil einer erfinderischen Lehre oder ein Element der Lösung sein.

Im Übrigen offenbart die D8 in Absatz [0015] bereits, dass die Pendelmassen "unterschiedliche Massen" aufweisen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Massen der Pendelmassen in einem Verhältnis zueinander stehen, wobei das Verhältnis ungleich 1 ist. Auch aus diesem Grund kann die Bildung eines (unbestimmten) Massenverhältnisses nicht Teil einer erfinderischen Lehre oder ein Element der Lösung sein, sondern stellt allenfalls den Ausgangspunkt des Fachmanns dar.

2.13 Zuletzt argumentierte die Beschwerdegegnerin, der Fachmann wäre ausgehend von D8 nicht zu dem beanspruchten Massenverhältnis der Pendelmassen gelangt, da die Massen der Pendelmassen keinen Einfluss auf die Tilgerordnung des Fliehkraftpendels hätten, sodass sämtliche Versuche des Fachmanns, die Tilgerordnung des Fliehkraftpendels über die Veränderung der Masse zu beeinflussen, ins Leere geführt hätten.

Diese Argumentation setzt voraus, dass der Fachmann die Tilgerordnung des Fliehkraftpendels der D8 beeinflussen wollte. Diese Zielsetzung ergibt sich jedoch nicht aus der objektiven technischen Aufgabe. Das einzige Ziel, das der Fachmann ausgehend von dem Fliehkraftpendel der D8 und angesichts der objektiven technischen Aufgabe verfolgte, ist, einen Wertebereich für das Massenverhältnis der beiden Pendelmassen festzulegen. Zur Lösung dieser Aufgabe musste er keine Versuche durchführen.

2.14 Ausgehend von dem Fliehkraftpendel der D8 und mit der Aufgabe befasst, einen Wertebereich für das Massenverhältnis der beiden Pendelmassen festzulegen, wäre der Fachmann in naheliegender Weise zum dem in Merkmal M1.9 definierten Wertebereich gelangt, da er - gemäß der Aufgabenstellung - für die Festlegung der Werte keinerlei technische Erwägungen anstellen oder sonstige technische Aspekte berücksichtigen musste.

2.15 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruht folglich nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D8 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen, sodass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52 (1) und 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegensteht.

3. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung

3.1 Gemäß Artikel 11 VOBK 2020 kann die Kammer die Angelegenheit an das Organ zurückverweisen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen.

3.2 Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den Hilfsanträgen 1 bis 3 um Anträge, mit denen sich die Einspruchsabteilung noch nicht befasst hat, und zu denen sich auch die Beteiligten im Beschwerdeverfahren noch nicht geäußert haben. Da es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens ist, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12 (2) VOBK 2020), und da zu den Hilfsanträgen 1 bis 3 weder eine Entscheidung der Einspruchs­abteilung, die überprüft werden könnte, noch eine Stellungnahme der Beteiligten vorliegt, bestehen besondere Gründe für eine Zurückverweisung.

3.3 Die Absicht der Kammer, die Angelegenheit betreffend die Hilfsanträge 1 bis 3 an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, wurde den Beteiligten bereits in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 unter Punkt 6 mitgeteilt. Keiner der Beteiligten sprach sich hiergegen aus.

3.4 Daher wird die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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