T 1709/18 (Benutzer-Identifikation/IDNOW) of 30.6.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T170918.20220630
Datum der Entscheidung: 30 Juni 2022
Aktenzeichen: T 1709/18
Anmeldenummer: 14701683.6
IPC-Klasse: G06F 21/32
H04L 9/32
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BENUTZER-IDENTIFIKATION
Name des Anmelders: IDnow GmbH
Name des Einsprechenden: WebID Solutions GmbH
Kammer: 3.5.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 111(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 15a(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013
Schlagwörter: Antrag auf Durchführung einer Videokonferenz (abgelehnt)
Schwerwiegender Verfahrensmangel Gehörsverletzung (nein)
Schwerwiegender Verfahrensmangel - Begründungsmangel (nein)
Spät eingereichter Antrag hätte vor der Einspruchsabteilung eingereicht werden sollen (nein)
Spät eingereichter Antrag - berücksichtigt (ja)
Änderungen - Ursprüngliche Offenbarung
Änderungen - Hauptantrag (nein), Hilfsanträge (ja)
Patentansprüche - Deutlichkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein), Patent wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsanträge A1-A5 (nein), Hilfsantrag A6 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1171/20

Sachverhalt und Anträge

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Zwischen­ent­­schei­dung der Einspruchsabteilung gemäß Artikel 101(3)(a) EPÜ, das europäische Patent Nr. 2 948 891 in geändertem Umfang auf­re­cht zu erhalten.

II. Gegen die Erteilung des Patents waren zwei Einsprüche eingelegt worden. Die Einsprechende 1 (WebID Solutions GmbH) stützte ihren Einspruch auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und c) EPÜ, die damalige Einsprechende 2 (Deutsche Post AG) auf alle drei Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 EPÜ.

III. Die Zwischenentscheidung nannte insbesondere die fol­gen­den Schriften.

D1: US 2003/0139994 A1

D2: US 2005/0129282 A1

D14: US 2012/0106805 A1

D16: WO 2005008566 A1

IV. Die Einspruchsabteilung kam zum Ergebnis, dass Anspruch 1 gemäß Patentschrift (Hauptantrag) Mängel nach Artikel 100 c) EPÜ aufwies. Zu den Ansprüchen der Hilfsan­trä­ge 1 und 2 wurden Mängel nach Artikel 100 b) und c) EPÜ (bzw. Artikel 83 und 123(2) EPÜ) nicht fest­ge­stellt. Wohl aber fand die Einspruchsabteilung, dass Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht erfinderisch gegen­­­über D14 sei (Artikel 100 a) und 56 EPÜ). Ansprüche 1, 8 und 9 gemäß Hilfsantrag 2 hingegen seien insbesondere gegenüber D14, allein oder in Kombination mit dem Dokument D16, D1 und D2 erfinderisch.

V. Gegen die Zwischenentscheidung haben alle drei Beteiligten Beschwerde eingelegt und sie begründet.

VI. Die frühere Einsprechende 2 hat jedoch mit Schreiben vom 28. Juni 2022 ihren Einspruch und ihre Beschwerde zurückgenommen.

VII. Die Patentinhaberin (Beschwerde vom 2. August 2018 und Beschwerdebegründung vom 20. September 2018) beantragte die Aufhebung der Zwischenentscheidung und die Auf­recht­­­erhaltung des Patents in seiner erteilten Form, alternativ auf der Grundlage von Ansprüchen gemäß einem der Hilfsanträge A und B wie mit der Beschwerde­begrün­dung vorgelegt.

Sie bezog sich auf die Merkmalsgliederung, die von ihr als SP01 eingereicht worden war, und die der in der Entscheidung verwendeten entspricht.

Sie trat weiter den Einwänden der Einspruchs­ab­tei­lung entgegen, Anspruch 1 des Patents weise eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung auf, und trug vor, warum die unabhängigen Ansprüche des Patents erfinderisch seien, insbesondere gegenüber D14.

Hilfsantrag A entspreche dem Hilfsantrag 1 gemäß der Zwischenentscheidung, aber räume den Einwand der unzu­lässigen Zwischenverallgemeinerung aus, indem nun be­an­sprucht sei, dass die Validierungsdaten Befehle an den Benutzer enthielten.

Hilfsantrag B entspreche dem von der Einspruchs­abtei­lung aufrechterhaltenen Hilfsantrag 2, allerdings ohne dass dieser "die Validierungsdaten an den Benutzer weiter spezifiziert".

VIII. In ihrer Beschwerdeerwiderung (vom 20. Februar 2019) hat die Patentinhaberin weitere Ausführungen zur Sache gemacht und insbesondere beantragt, bestimmten Vortrag der Einsprechenden nicht ins Beschwerde­ver­fahren zuzulassen (vgl. i.d.H. den Ladungszusatz der Kammer, Punkt 2.2). Angesichts des Verlaufs der mündlichen Verhandlung und der abschließenden Entscheidung der Kammer erübrigt sich eine Reproduktion dieser Einwände an dieser Stelle.

Des Weiteren hat die Patentinhaberin neue Hilfsanträ­ge 1 bis 8 und A1 bis A8 vorgelegt. Hilfsanträge 1-8 seien weiter vom Stand der Technik abgegrenzt, und Hilfsan­trä­ge A1 bis A8 unterschieden sich von 1 bis 8 jeweils nur da­durch, dass festgelegt sei, dass die Validie­rungs­­daten Befehle an den Benutzer beinhalteten, um ggf. dem Ein­wand der Zwischenverallgemeinerung aus der Entscheidung zu entgehen.

IX. Die entsprechende Antragslage hat die Patentinhaberin auf Aufforderung der Kammer in ihrem Schreiben dahin­gehend klargestellt, dass sie die Auf­recht­er­haltung des Patents in folgender Form bean­tragt:

(1) wie erteilt, sowie hilfsweise,

(2) falls die Kammer der Einspruchsabteilung zur Ursprungsoffenbarung des Merkmals 1.2 nicht folgen sollte, auf Grundlage der Hilfsanträge B, sowie 1 bis 8­, und

(3) falls die Kammer der Einspruchsabteilung zur Ursprungsoffenbarung des Merkmals 1.2 folgen sollte, auf Grundlage des Hilfsantrags A, dem Patent wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten, sowie auf Grundlage der Hilfsanträge A1 bis A8.

Zudem kündigte die Pateninhaberin an, dass sie, abhängig von der Entscheidung der Beschwerdekammer zur Ursprungsoffenbarung von M1.2 einen der unter (2) und (3) genannten Sätze von Hilfsanträgen fallen lassen würde.

X. Mit einem weiteren Schreiben (vom 12. Mai 2020) reichte die Patentinhaberin das Urteil des OLG Düsseldorf (I-2 U 39/17, 4c O 36/16) vom 19. März 2020 ein, und, dem­ent­sprechend, das Gutachten des Gerichtssachver­stän­digen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung.

In der genannten Entscheidung hat das OLG Düsseldorf eine Verletzungsklage der Patentinhaberin gegen die Einsprechende 1 abgewiesen. Die Anspruchsauslegung des OLG sei einschlägig für das vorliegende Verfahren.

XI. Die Einsprechende 1 (Beschwerde vom 20. Juli 2018 und Beschwerdebegründung vom 27. September 2018) beantragte die Aufhebung der Zwischenentscheidung und den voll­ständigen Widerruf des Patents. Dabei bestritt sie ins­besondere die erfin­de­rische Tätigkeit von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auf der Grundlage von D14, allein und in Verbindung mit den Dokumenten D1, D2 und D16. In ihrer Beschwerdeerwiderung (vom 29. Januar 2019) trug sie weiter in der Sache vor.

In einer weiteren Erwiderung (vom 10. Mai 2019) bean­tragte sie, die Hilfsanträge 1 bis 8 und A1 bis A8 (vgl. Punkt 2 oben) nicht ins Verfahren zuzulassen, hilfsweise wenigstens die Hilfsanträge 2 bis 8 und A2 bis A8, und weiter hilfsweise wenigstens die Hilfsan­träge 4 bis 8 und A4 bis A8, weil diese Anträge prima facie nicht geeignet seien, die einschlä­gigen Einwände auszuräumen, und aus verfahrensöko­nomi­schen Gründen wegen ihrer unangemessen großen Anzahl. Hilfsweise allerdings hat sie auch in der Sache zu den Hilfsan­trägen vorgetragen.

XII. Die frühere Einsprechende 2 (Beschwerde vom 26. Juni 2018 und Beschwerdebegründung vom 1. Oktober 2018, weitere Eingabe vom 21. August 2019) verwies in ihrem Vortrag auf eine Anzahl von Druckschriften, und erhob Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit, unzureichender Offenbarung und mangelnder Technizität, die für die vor­liegende Entscheidung der Kammer nicht von Bedeutung sind.

Darüber hinaus bemängelte sie eine unzureichende Be­gründung der Zwischenentscheidung und beantragte dementsprechend die Erstattung der Beschwerdegebühr (Regel 103 (1) a) EPÜ).

Nicht-Zulassungsanträge der früheren Einsprechenden 2 sind mit ihrer Rücknahme von Einspruch und Beschwerde gegenstandslos.

XIII. Mit Schreiben vom 12. Mai 2022 hat die Einsprechende 1 beantragt, die mündliche Verhandlung per Videokonferenz abzuhalten. Als Begründung wurde nur angegeben, dass der anwaltliche Vertreter seinen Sitz in Berlin habe. Die Kammer teilte der Einsprechenden 1 am 16. Mai 2022 mit, dass sie diese Begründung als unzureichend ansehe, um von der geplanten Durchführung der mündlichen Verhand­lung in Präsenz abzuweichen.

XIV. Zur Sache haben die Beteiligten in Erwiderung auf die vorläufige Meinung der Kammer keine schriftlichen Eingaben gemacht.

XV. Die mündlichen Verhandlung fand am 30. Juni 2022 in Präsenz statt. Am Beginn der Verhandlung ließ die Patentinhaberin ihre Anträge gemäß Punkt IX(2) oben fallen.

Die Schlussanträge der Beteiligten lauteten wie folgt:

Die Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das erteilte Patent aufrecht zu erhalten (Hauptantrag), hilfsweise das Patent aufrecht zu erhalten auf der Basis verschiedener Hilfsanträge, in der folgenden Reihenfolge:

- Hilfsantrag A eingereicht mit Schreiben vom 20. Septem­ber 2018,

- Fassung des Patents wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten,

- Hilfsanträge Al - A8 eingereicht mit Schreiben vom 20. Februar 2019.

Die Einsprechende (Einsprechende 1) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Des Weiteren beantragte sie, die Hilfsanträge A2 - A8 nicht ins Verfahren zuzulassen.

XVI. Anspruch 1 des Patents wie erteilt (Merkmalsgliederung wie in der Entscheidung der Einspruchsabteilung) lautet wie folgt

"1) Verfahren zum Identifizieren eines Benutzers, wobei das Verfahren umfasst:

1.1) Erzeugen von Validierungsdaten auf einem Identifizierungs-Server (101),

1.2) wobei die Validierungsdaten mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven einer erste Bilddaten (301) erfassenden Kamera eines Endgeräts (103) eines Benutzers zu einem Identifizierungs-Dokument (200) indizieren,

1.3) Senden der Validierungsdaten von dem Identifizierungs-Server (101) an das Endgerät (103),1.4) Empfangen der ersten Bilddaten (301) von dem Endgerät (103) des Benutzers auf dem Identifizierungs-Server (101),

1.5) wobei die ersten Bilddaten (301) das Identifizierungs-Dokument (200) mit einem Lichtbild (202) des Benutzers abbilden und

1.6) mindestens zwei Bilder (301-1, 301-2, 301-3) umfassen,

1.7) wobei die mindestens zwei Bilder (301-1, 301-2, 301-3) das Identifizierungs-Dokument (200) aus unterschiedlichen Perspektiven abbilden,

1.8) Empfangen von zweiten Bilddaten (302) von dem Endgerät (103) des Benutzers auf dem Identifizierungs-Server (101),

1.9) wobei die zweiten Bilddaten (302) eine Gesichtspartie des Benutzers abbilden,

1.10) Identifizieren des Benutzers, wobei das Identifizieren umfasst:

1.11) Bestimmen von Validierungsinformation (310) aus den ersten Bilddaten (301),

1.12) wobei die Validierungsinformation (310) die Perspektive der die ersten Bilddaten (301) erfassenden Kamera zu dem Identifizierungs-Dokument (200) in den mindestens zwei Bildern (301-1, 301-2, 301-3) betrifft,

1.13) Validieren der bestimmten Validierungsinformation (310) anhand der erzeugten Validierungsdaten,

1.14) in Abhängigkeit von dem Validieren der bestimmten Validierungsinformation (310), selektives Vergleichen der ersten Bilddaten (301) mit den zweiten Bilddaten (302), um eine Ähnlichkeit des Lichtbilds (202) des Benutzers aus den ersten Bilddaten (301) mit der Gesichtspartie des Benutzers aus den zweiten Bilddaten (302) zu bestimmen,

1.15) Bestimmen von Identifizierungs-Daten (201) des Benutzers aus den ersten Bilddaten (301) anhand des Identifizierungs-Dokuments (200),

1.16) Verifizieren von Integritatsmerkmalen des Identifizierungs-Dokuments (200) aus den ersten Bilddaten (301),

1.17) wobei die Integritätsmerkmale eine Hologramm-Abbildung beinhalten,

wobei das Verfahren weiterhin umfasst:

1.18) Erzeugen von Steuerdaten auf dem Identifizierungs-Server (101),

1.19) Senden der Steuerdaten von dem Identifizierungs-Server (101) an das Endgerät (103),

1.20) wobei die Steuerdaten das Endgerät (103) instruieren, die ersten Bilddaten (301) und/oder die zweiten Bilddaten (302) mit bestimmten Bildparametern zu erfassen."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A unterscheidet sich von Anspruch des Patents darin, dass die Validierungsdaten nun ausdrücklich "Befehle an den Benutzer beinhalten".

Anspruch 1 gemäß dem Patent wie von der Einspruchsab­tei­lung aufrecht erhalten entspricht dem von Hilfsantrag A, wobei am Ende die folgende Ergänzung erfolgt ist:

"... wobei die Bildparameter aus folgender Gruppe ausgewählt sind:

- Anzahl von Bildern;

- Belichtungsparameter;

- Blitzfunktion;

- Bildauflösung."

In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A1 ist gegenüber Anspruch 1 "wie aufrecht erhalten" die Bildparameter-Option "Anzahl von Bildern" gestrichen.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A2 entspricht dem von Hilfsantrag A1, wobei die Belichtungsparameter wie folgt weiter erläutert werden:

"...

- Belichtungsparameter, wobei die Belichtungsparameter aus folgender Grippe ausgewählt sind: Blendenzahl, Belichtungszeit, Lichtempfindlichkeit;

..."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A3 entspricht dem von Hilfsantrag A2, außer dass bei der Definition der Steuerdaten "die Klausel und/oder die zweiten Bilddaten (302)" gestrichen wurde.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A4 und A5 entspricht dem von Hilfsantrag A3, wobei festgelegt ist, dass die Integritätsmerkmale nun auch "eine Prüfsumme" beinhalten.

In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A6 ist festgelegt, dass die Steuerdaten das Endgerät instruieren,

"... die ersten Bilddaten (301) mit einer bestimmten Abfolge von Bildparametern zu erfassen, ..."

Anspruch 8 gemäß Hilfsantrag A6 lautet wie folgt:

"Verfahren zum Bereitstellen von Bilddaten, die ein Identifizieren eines Benutzers ermöglichen, wobei das Verfahren umfasst:

- Empfangen von Validierungsdaten von einem Identifizierungs-Server (101),

wobei die Validierungsdaten Befehle an den Benutzer beinhalten, die mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven einer erste Bilddaten (301) erfassenden Kamera eines Endgeräts (103) eines Benutzers zu einem Identifizierungs-Dokument (200) indizieren,

- Erfassen von ersten Bilddaten (301) mittels einer Kamera, wobei die ersten Bilddaten ein Identifizierungs-Dokument (200) mit einem Lichtbild (202) des Benutzers abbilden und mindestens zwei Bilder (301-1, 301-2, 301-3), die das Identifizierungs-Dokument (200) aus unterschiedlichen Perspektiven abbilden, umfassen,

- Erfassen von zweiten Bilddaten (302) mittels der Kamera, wobei die zweiten Bilddaten (302) eine Gesichtspartie des Benutzers abbilden,

- Senden der ersten Bilddaten (301) und der zweiten Bilddaten (302) von dem Endgerät (103) des Benutzers an den Identifizierungs-Server (101) für das Identifizieren des Benutzers,

wobei das Identifizieren auf einem Vergleich der ersten Bilddaten (301) mit den zweiten Bilddaten (302) beruht, um eine Ähnlichkeit des Lichtbilds (202) des Benutzers aus den ersten Bilddaten (301) mit der Gesichtspartie des Benutzers aus den zweiten Bilddaten (302) zu bestimmen,

wobei das Identifizieren weiterhin auf einem Bestimmen von Identifizierungs-Daten (201) des Benutzers aus den ersten Bilddaten (301) anhand des Identifizierungs-Dokuments (200) beruht,

wobei das Identifizieren das Verifizieren von Integritätsmerkmalen des Identifizierungs-Dokumentes (200) aus den ersten Bilddaten umfasst, wobei die Integritätsmerkmale eine Hologramm-Abbildung und eine Prüfsumme beinhalten,

wobei das Verfahren weiterhin umfasst:

- Empfangen von Steuerdaten von dem Identifizierungs-Server (101), wobei die Steuerdaten das Endgerät (103) instruieren, die ersten Bilddaten (301) mit einer bestimmten Abfolge von Bildparametern zu erfassen,

wobei die Bildparameter aus folgender Gruppe ausgewählt sind:

- Belichtungsparameter, wobei die Belichtungsparameter aus folgender Grippe ausgewählt sind: Blendenzahl, Belichtungszeit, Lichtempfindlichkeit;

- Blitzfunktion;

- Bildauflösung."

Anspruch 9 gemäß Hilfsantrag A6 lautet wie folgt:

"Identifizierungs-Server (101) zur Identifizierung eines Benutzers, umfassend:

- einen Prozessor (101b), der eingerichtet ist, um Validierungsdaten zu erzeugen, wobei die Validierungsdaten Befehle an den Benutzer beinhalten, die mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven einer erste Bilddaten (301) erfassenden Kamera eines Endgeräts (103) eines Benutzers zu einem Identifizierungs-Dokument (200) indizieren,

- eine Kommunikationsschnittstelle (101a), wobei die Kommunikationsschnittstelle (101a) eingerichtet ist, um die Validierungsdaten an das Endgerät (103) zu senden und um erste Bilddaten (301) von dem Endgerät (103) eines Benutzers zu empfangen und um zweite Bilddaten von dem Endgerät (103) zu empfangen,

wobei die erstem Bilddaten (301) das Identifizierungs-Dokument (200) mit einem Lichtbild (202) des Benutzers abbilden und mindestens zwei Bilder (301-1, 301-2, 301-3), die das Identifizierungs-Dokument (200) aus unterschiedlichen Perspektiven abbilden, umfassen,

wobei die zweiten Bilddaten (302) eine Gesichtspartie des Benutzers abbilden,

wobei der Prozessor (101b) weiterhin eingerichtet ist, um den Benutzer zu identifizieren, wobei das Identifizieren umfasst:

- Bestimmen von Validierungsinformation (310) aus den ersten Bilddaten (301), wobei die Validierungsinformation (310) die Perspektive der die ersten Bilddaten (301) erfassenden Kamera zu dem Identifizierungs-Dokument (200) in den mindestens zwei Bildern (301-1, 301-2, 301-3) betrifft,

- Validierung der bestimmten Validierungsinformation (310) anhand der erzeugten Validierungsdaten,

- in Abhängigkeit von dem Validieren der bestimmten Validierungsinformation (310), selektives Vergleichen der ersten Bilddaten (301) mit den zweiten Bilddaten (301), um eine Ähnlichkeit des Lichtbilds (202) des Benutzers aus den ersten Bilddaten (301) mit der Gesichtspartie des Benutzers aus den zweiten Bilddaten (302) zu bestimmen,

- Bestimmung von Identifizierungs-Daten (201) des Benutzers aus den ersten Bilddaten (301) anhand des Identifizierungs-Dokumentes (200),

- Verifizieren von Integritätsmerkmalen des Identifizierungs-Dokumentes (200) aus den ersten Bilddaten, wobei die Integritätsmerkmale eine Hologramm-Abbildung und eine Prüfsumme beinhalten,

wobei der Prozessor (101b) weiterhin eingerichtet ist, um Steuerdaten zu erzeugen wobei die Kommunikationsschnittstelle (101a) eingerichtet ist, um die Steuerdaten von dem Identifizierungs-Server (101) an das Endgerät (103) zu senden,

wobei die Steuerdaten das Endgerät (103) instruieren, die ersten Bilddaten (301) mit einer bestimmten Abfolge von Bildparametern zu erfassen,

wobei die Bildparameter aus folgender Gruppe ausgewählt sind:

- Belichtungsparameter, wobei die Belichtungsparameter aus folgender Gruppe ausgewählt sind: Blendenzahl, Belichtungszeit, Lichtempfindlichkeit;

- Blitzfunktion;

- Bildauflösung."

Der Wortlaut der Ansprüche nach Hilfsanträgen A7 und A8 sind nicht entscheidungsrelevant.

XVII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

Die Erfindung

1. Es handelt sich bei der Erfindung gemäß Anspruch 1 (gemäß allen Anträge) um ein Verfahren zum Identi­fi­zie­ren eines Benutzers im Dialog zwischen "Identifizie­rungs-Server" und einem Benutzer an einem Endgerät und auf der Basis von "ersten" und "zweiten" Bilddaten, die am Endgerät mit einer Kamera erfasst werden.

1.1 Die "ersten Bilddaten" zeigen ein "Identifizierungs­dokument" aus mindestens zwei unterschiedlichen Pers­pektiven (Merkmale 1.5 bis 1.7), die "zweiten Bild­da­ten" eine "Gesichtspartie des Benutzers" (Merkmal 1.9).

1.2 Der Identifizierungsserver "erzeugt" sogenannte "Vali­die­­rungsdaten" (Merkmal 1.1), die die Aufnahme des Identifizierungsdokuments als "erste Bilddaten" aus zwei Perspektiven "indiziert" (Merkmal 1.2), und über­trägt sie an das Endgerät (Merkmal 1.3).

Der Identifizierungsserver "erzeugt" außerdem soge­nannte "Steuerdaten" (Merkmal 1.18), die "das Endgerät instruieren", die "ersten Bilddaten" mit bestimmten Bildparametern aufzunehmen (Merkmal 1.20), und über­trägt auch sie an das Endgerät (Merkmal 1.19).

1.3 Die Identifikation findet am Identifizierungsserver statt, die Bilddaten werden zu diesem Zweck dorthin übertragen (Merkmale 1.4 und 1.8).

Die Identifikation umfasst in einem ersten Schritt die Bestimmung sogenannter "Validierungsinformation", die die bei der Aufnahme der ersten Bilddaten verwendeten Perspektiven umfasst, sowie die "Validierung" der Vali­dierungsformationen gegenüber den Validierungsdaten (Merkmale 1.11 bis 1-13).

In einem zweiten Schritt, und abhängig vom ersten, um­fasst sie den Vergleich der ersten mit den zweiten Bilddaten, um festzustellen ob ein Lichtbild auf dem abgebildeten Identifizierungsdokument mit der Gesichts­partie des Benutzers übereinstimmen (Merkmal 1.14).

In weiteren Schritten werden "Identifizierungsdaten des Benutzers" aus dem Identifizierungsdokument in den ers­ten Bilddaten bestimmt (Merkmal 1.15), sowie "Inte­gri­tätsmerkmale" (insbesondere ein Hologramm) des Iden­ti­fi­zie­rungsdokuments verifiziert (Merkmale 1.16 und 1.17).

1.4 Mit dem Patent wird ein "Verfahren zum Identifizieren eines Benutzers" (Anspruch 1) beansprucht, zu dem Schritte am Endgerät und am Identifizierungs-Server gehören, ein "Verfahren zum Bereitstellen von Bild­da­ten, die ein Identifizieren eines Benutzers ermögli­chen" (Anspruch 9), das aus der Perspektive des End­ge­räts formuliert ist, und ein "Identifizierungs-Ser­ver zur Identifizierung eines Benutzers" (Anspruch 19). Im Wesentlichen entsprechen sich die Merkmale der An­sprüche.

Die Beschreibung offenbart auch, dass festgelegt sein kann, dass das Erfassen der Bilddaten "mit einer bestimmten Abfolge von Bildpara­metern, die in den Steuerdaten beinhaltet sind, geschieht" (Patentschrift, ursprüngliche Anmeldung, Seite 15, Absatz 2).

Anspruchsauslegung

2. Die Kammer ist der Meinung, dass der Fachmann einzelne Merkmale der Ansprüche wie folgt verstehen würde. Sie bezieht sich darin zunächst auf die Ansprüche des erteilten Patents, und merkt an dieser Stelle auch an, dass sie die ein­schlä­gige Begründung der Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Kenntnis genommen hat.

2.1 Dass die Validierungsdaten unterschiedliche Perspek­ti­ven "indizieren" bedeutet, dass sie die Aufnahme der ersten Bilddaten aus unterschiedlichen Perspektiven "vorschreiben". Es bleibt offen, ob es sich dabei um eine Anweisung an den Benutzer und/oder das Endgerät handelt.

2.2 Dass hingegen die Steuerdaten "das Endgerät instruie­ren", wird vom Fachmann dahingehend verstanden werden, dass das Endgerät die Steuerdaten als "Instruktion" selbsttätig ausführen soll und (grundsätzlich) kann. Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche lässt je­doch offen, ob das Endgerät diesen Instruktionen tat­säch­lich folgt. Er legt auch nicht fest, ob und wie die vorgeschriebenen Bildparameter per se - oder auch der Umstand, ob sie bei der Bildauf­nah­me wie vorgeschrieben verwendet worden sind oder nicht - im weiteren Verfahren berücksichtigt werden.

2.3 Dass gemäß dem Hilfsantrag A6 die Steuerdaten das Endgerät instruieren, die ersten Bilddaten "mit einer bestimmten Abfolge von Bildparametern zu erfassen" wird der Fachmann nach Ansicht der Kammer so ver­stehen, dass für eine Abfolge von Bildern, wenigstens zwei, jeweils einzeln festgelegt ist, mit welchen Bildparametern, ausgewählt aus der beanspruchten Gruppe von Bildparametern, das jeweilige Bild aufzunehmen ist. Die Bildparameter können für jedes Bild dieser Abfolge gleich sein, sowohl in ihrer Art (vgl. Hilfsantrag A7 und A8: Bildauflösungen), als auch in ihrer Größe (z.B. könnte 5 mal die maximale Bildauflösung vorgeschrieben sein). Ausgeschlossen sind jedoch nach Ansicht der Kammer Steuerdaten, die eine Anzahl von aufzunehmenden Bildern festlegen und einmal für alle diese Bilder dieselben Bildparameter festlegen (z.B.: 5 Bilder in Maximalaufösung). Das würde nicht dem Erfordernis der "Abfolge" von Bildparametern entsprechen.

2.4 Die Identifikation des Benutzers erfolgt auf Seiten des Identifizierungsservers, auf Grundlage der Bilddaten und in Kenntnis der Validierungsdaten, aber kann, laut Wortlaut von Anspruch 1, weitgehend "manuell", also durch men­schliches Personal erfolgen, das die Bilder be­trach­tet und ihren Inhalt bewertet. Das betrifft die Merkmale 1.11 bis 1.13, 1.14, sowie 1.15 bis 1.17 glei­chermaßen. Gemäß Anspruch 10 des Streipatents hingegen wird die Identifizierung gemäß 10.10 bis 10.16 durch einen "Prozessor", also automatisch durchgeführt.

Wesentlicher Verfahrensmangel

3. Die frühere Einsprechende 2 hat bemängelt (Beschwerde­begrün­dung, Punkt III), dass sich die Entscheidungs­gründe hinsicht­lich Hilfsantrag 2 nicht mit ihren Einwänden auseinan­dersetzen, dass bestimmte Merkmale nicht-technischer Natur seien.

3.1 Sie räumt zwar ein, dass die Einspruchsabteilung laut Niederschrift (Punkte 8 bis 8.5) diese Fragen gehört und darüber ausführlich beraten habe. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Artikel 113(1) EPÜ) in dieser Hinsicht liegt somit erkenntlich nicht vor.

3.2 In den Entscheidungsgründen, unter Punkt 20.3.1.4, wird dargestellt, warum die Einspruchsabteilung der Meinung ist, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 eine gegenüber D14 nicht naheliegende Lösung einer techni­schen Aufgabe ansieht. Sie sieht diese darin, dass durch die Steuer­befehle eine Überprüfung möglich werde, ob vorgefer­tig­te Aufnahmen übertragen worden sind. Die Steuer­befehle an sich sind technisch, und die Ein­spruchs­abteilung lässt offen, ob die Überprüfung au­to­matisch oder manuell erfolgt, und sich nur darauf stützt, dass eine Überprüfung mit technischen Mitteln möglich gemacht wird. Daher hat nach Meinung der Kammer eine Berück­sich­tigung der Frage, welche Schritte manu­ell durch­geführt werden könnten (und in dieser Hinsicht "nicht-technisch" sind) offen­kundig statt­gefunden. Einen Begründungsmangel (Regel 111(2) EPÜ) kann die Kammer daher nicht erkennen.

3.3 In der von der früheren Einsprechenden 2 zitierten Sache T 1997/08 hat eine mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabtei­lung nicht stattgefunden, und in der Sache T 2352/13 hat die Anmelderin nicht an einer anberaumten münd­lichen Verhandlung teilgenommen. Eine einschlägige Diskussion in der mündlichen Verhandlung hat somit, im Unterschied zur vorliegenden Sache, in beiden Fällen nicht stattfinden können. Schon aus diesem Grund sind beide Entscheidungen hier nicht einschlägig.

3.4 Die Kammer hat dieser Einschätzung entsprechend den Beteiligten ihre vorläufigen Meinung mitgeteilt, dass kein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt (und schon des­halb auch keine Rückzahlung der Beschwerdegebühr unter Regel 103(1)a) EPÜ in Frage kommt). Außerdem hat sie folglich die Sache nicht unmittelbar gemäß Arti­kel 11, Satz 2, VOBK 2020 an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen. Hieran hält die Kammer fest.

Zulassungsfragen

Hilfsanträge A2 bis A8

4. Da die Begründung aller drei Beschwerden im Jahr 2018 eingereicht wurden, ist nach Artikel 25(2) VOBK 2020 im vorliegenden Fall Artikel 12(4) VOBK 2007 anwendbar.

4.1 Dieser legt fest, dass das Vorbringen der Beteiligten nach Beschwerdebe­grün­dung und Erwiderung berücksichtigt wird, soweit es die Beschwerdesache betrifft und den Erfordernissen nach Artikel 12(2) VOBK 2007 entspricht. Hingegen steht es im Ermessen der Kammer, Vorbringen nicht zuzulassen, das in der ersten Instanz nicht zugelassen wurde oder dort hätte vorge­bracht werden können (und sollen, aber nicht wurde).

4.2 Eine Nichtzulassungsentscheidung steht nicht zur Überprüfung an. Auch hat die Patentinhaberin nicht vorgetragen, dass die im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwände der beiden Einsprechenden den Erfordernissen von Artikel 12(2) VOBK 2007 nicht entsprechen würden. Demnach hat vorliegend die Kammer ein Nichtzulassungs­­ermessen nur - aber doch - im Umfang des zweiten Falls.

5. Die Einsprechende 1 hat Nicht-Zulassung der Hilfsan­träge A2 bis A8 beantragt.

5.1 Sie trug vor, die Patentinhaberin habe vor der Einspruchsabteilung zunächst im schriftlichen Verfahren und dann nochmals in der mündlichen Verhandlung Hilfsanträge eingereicht, sowie später mit der Beschwerdebegründung Hilfsanträge A und B. Die jetzigen neuen Hilfsanträge seien auf die Beschwerden der anderen Beschwerdeführerinnen hin (mit Schreiben vom 20. Februar 2019) eingereicht worden. Das sei jetzt nicht mehr zulässig, da mehrfach Gelegenheit zur Reaktion bestanden habe.

5.2 Wie im Folgenden ausgeführt wird, fallen jedoch die Hilfsanträge A1 bis A5 im Wesentlichen mit dem Patent selbst, so dass eine weitergehende Diskussion der Zulassung dieser Hilfsanträge somit schon aus Gründen der Verfahrenseffizienz nicht geboten ist. Die Kammer lässt die Hilfsanträge A1 bis A5 unter Artikel 12(4) VOBK 2007 daher ins Verfahren zu. Die Zulassung der Hilfsanträge A7 und A8 kann angesichts der folgenden Entscheidung offen bleiben.

5.3 Zum Hilfsantrag A6 erwiderte die Patentinhaberin, er sei nicht identisch im erstinstanzlichen Verfahren oder in der Beschwerde vorgelegt worden. Inhaltlich erläuterte sie, die Einspruchsabteilung habe D14 zunächst falsch gewürdigt. Erst in der mündlichen Verhandlung habe sie dieses Dokument als relevanten Stand der Technik angesehen, und erst gegen 16.10 h in der Verhandlung sei festgestellt worden, dass D14 den Gegenstand von Anspruch 1 nahelege. Daraufhin habe die Patentinhaberin mehrere Hilfsanträge vorgelegt, von denen der erste akzeptiert worden sei. Somit habe kein Anlass bestanden, den Hilfsantrag A6 schon im erstinstanzlichen Verfahren oder mit der Beschwerde­begründung einzureichen. Dieser bestand erst aufgrund der Beschwerdebegründungen, woraufhin er auch mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegt worden sei.

5.4 Die Einsprechende 1 beanstandete diesen Vortrag zum Verlauf des Verfahrens, und insbesondere der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung im Kern nicht.

5.5 In der genannten Klausel aus Artikel 12(4) VOBK 2007 kommt die Pflicht der Beteiligten zum Ausdruck, ihre Eingaben so früh wie möglich, und insbesondere schon im erstinstanzlichen Verfahren zu machen. Diese Pflicht hat aber nach Ansicht der Kammer praktische Grenzen. Wenn in einem Einspruchsverfahren eine Vielzahl von Einspruchsgründen und Beweismitteln zur Diskussion stehen, kann nicht unter allen Umständen von der Patentinhaberin verlangt werden, sämtliche denkbaren Rückfallpositionen in Form von Hilfsanträgen schon dort zu formulieren. Je mehr hingegen das Verfahren auf wenige Einwände konvergiert, desto mehr ist seitens der Patentinhaberin eine vollständige Vorlage ihrer Hilfsanträge erforderlich. Diese Abwägung muss im Einzelfall erfolgen.

5.6 Im vorliegenden Fall folgt die Kammer dem - von der Einsprechenden 1 nicht widersprochenen - Vortrag zum Verlauf des Verfahrens. Da sich erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit auf D14 als Ausgangspunkt fokussierte, ist die Patentinhaberin durch die Vorlage von fünf Hilfsanträgen (vgl. Anlage zur Niederschrift vom 23. Mai 2018) ihrer Mitwirkungspflicht ausreichend nachgekommen. Darüber hinaus konnte die Vorlage des Hilfsantrags A6 vor der Einspruchsabteilung nicht ver­langt werden, insbesondere auch deshalb nicht, weil die Einspruchs­­­abteilung bereits den ersten der letztge­nannten fünf Hilfsanträge als EPÜ-konform ansah.

5.7 Angesichts dessen, und da Hilfsantrag A6 mit der Be­schwerdeerwiderung durch die Patentinhaberin vor­gelegt worden ist, hat die Kammer nach Artikel 12(4) i.V.m. 12(2) VOBK 2007 kein Ermessen ihn nicht zuzu­lassen. Hilfsantrag A6 wird somit berücksichtigt.

Tatsachenvortrag zur unzureichenden Offenbarung

(Artikel 100 b) und 83 EPÜ)

6. Wie die Patentinhaberin richtig vorträgt, haben beide Einsprechenden keine Einwände unzureichender Offenba­rung gegen die vor der Einspruchsabteilung vorliegenden Hilfsanträge 1 oder 2 erho­ben (Niederschrift, Punkt 5.1).

6.1 Auch blieb die vorläufige Meinung der Kammer unwidersprochen, dass ein solcher Ein­wand gegen die Merkmale 1.11 und 1.12 des erteilten Anspruchs 1 (oder entsprechender Merkmale der weiteren unabhängigen Ansprüche) im Ein­spruchsverfahren nicht erhoben wurde. Jedenfalls hat sich die frühere Einspre­chende 2 in ihrem Schreiben vom 14. Februar 2019 (Punkt I.2) aus­drücklich auf die Beschwerdebegründung bezogen.

6.2 Die Kammer hat in ihrer vorläufigen Meinung zur Nicht-Berücksichtigung dieses Vorbringens tendiert. Die Ein­sprechende 1 hat eigene Einwände unzureichender Offen­barung in der Beschwerde nicht erhoben und ist der Nichtzulassung des Einwandes der früheren Einsprechen­den 2 in der mündlichen Verhandlung auch nicht entgegen getreten.

6.3 Somit wird das Vorbringen der früheren Einsprechenden 2 nach Artikel 100 b) und Artikel 83 EPÜ gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zugelassen.

Weitere Nichtzulassungsanträge

7. Zu den weiteren Anträgen der Beteiligten, verschiedenes Vorbringen sei nicht zuzulassen, hat die Kammer in ihrer vorläufigen Meinung ausführlich Stellung genommen. Das einschlägige Vorbringen hingegen wurde in der mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt; siehe die Schlussanträge der Beteiligten (oben XV). Eine entsprechende Entscheidung über die Zulassung dieses Vorbringens erübrigt sich daher.

Unzulässige Erweiterung (Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ)

Hauptantrag (Patent wie erteilt)

8. Die Einspruchsabteilung meinte, dass Anspruch 1 der Patentschrift gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoße, weil die Merkmale 1.2 und 1.12 nicht festlegten, dass die Validierungsdaten "Befehle an den Benutzer" enthielten. Somit lasse sich dem Merkmal 1.2 "die hinzugefügte Lehre" entnehmen, dass die Perspektive durch das End­gerät automatisch geändert werde, und nicht, wie nur ursprünglich offenbart, durch den Nutzer am Endgerät.

8.1 Die Patentinhaberin weist auf die Seiten 6, 7 und 21 der ursprünglichen Beschreibung hin. Im ersten Absatz auf den Seiten 6 und 21 werden die Validierungsdaten und ihrer Funktion beschrieben, ohne dass ausgeführt würde, wer auf der Basis der Validierungsdaten über­prüfbare Validierungsinformationen erzeugen würde. Die Relevanz des Brückenabsatzes zwischen Seiten 6 und 7 für Validierungsdaten ist nicht ersichtlich. Auf Sei­te 7, Absatz 4, wird offenbart, dass die Validie­rungsdaten Anweisungen an den Benutzer enthalten können, die sich auf Position, Entfernung - oder eben Perspektive - des Benutzers zur Kamera beziehen können.

8.2 Obgleich somit die Patentinhaberin darin Recht hat, dass gemäß Ursprungsoffenbarung Validierungsdaten Anweisungen an den Benutzer enthalten können, aber nicht müssen, wird das konkret genannte Beispiel der Perspektive an dieser Stelle tatsächlich nur im Zusammenhang mit solchen Anweisungen offenbart.

8.3 In dieser Hinsicht stimmt die Kammer dem Vortrag der früheren Einsprechenden 2 zu (vgl. im Schriftsatz vom 14. Februar 2019 der Abschnitt I.1).

8.4 Die Kammer folgt somit der Einschätzung der Einspruchs­abteilung, wonach Anspruch 1 des Streit­patents über die Ursprungsoffenbarung hinaus geht. Entsprechendes gilt für die Ansprüche 9 und 10.

8.5 Auch einen unangemessen oder unüblich strengen Bewer­tungs­maßstab für Zwischenverallgemeinerungen, wie von der Patentinhaberin geltend gemacht, kann die Kammer nicht erkennen. Insbesondere folgt ein solcher nicht aus der (möglicherweise nicht ganz präzisen) Wortwahl der Einspruchsabteilung, dem Anspruch sei eine Lehre zu "entnehmen".

8.6 Somit steht Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents (Hauptantrag) entgegen.

9. Der genannte Mangel besteht nicht mehr in den Hilfsanträgen.

Stand der Technik

10. D14 offenbart ein Online-Verfahren zur Verifikation der Identität eines Benutzers oder eines "Identitäts­attri­buts" wie Alter oder Geschlecht (vgl. Absätze 6 und 7).

10.1 Im Zuge dieses Verfahrens wird der Benutzer (von einer "verification site" oder einem "verification host", vgl. Absätze 25 und 26) aufgefordert, ein physisches Objekt ("physical token") - eine Bezahlkarte ("payment card") oder einen Ausweis ("identity card") (vgl. Absätze 5, 9, 10 und 25; im folgenden "Karte") - in die Kamera zu halten und dabei eine bestimmte Pose einzunehmen (bspw. die Karte mit der linken Hand an die Stirn zu halten; vgl. Absätze 10 bis 13). Daraufhin wird zum einen die Richtigkeit der angeforderten Pose geprüft. Zum anderen kann überprüft werden, dass die gezeigte Karte mit dem Benutzer in Verbindung gebracht wird ("assoziiert" ist) und dass die Karte die relevanten Attribute nachweist (vgl. Absätze 11 und 31). Darü­ber hinaus ist vorgesehen, den Benutzer biometrisch zu identifizieren, bspw. durch Vergleich des Gesichts, wie es im übertragenen Bild erscheint, mit einem für den Benutzer gespeicherten Bild (vgl. Absätze 16 und 32). Der Benutzer kann auch aufgefordert werden, weitere Objekte zur Verifikation in die Kamera zu halten - z.B. einen ad hoc übertra­genen und ausgedruckten Barcode oder einen üblichen Gegenstand wie einen Kamm oder einen Schuh (vgl. Absatz 25).

10.2 D14 offenbart (vgl. Absatz 27), dass der Benutzer aufgefordert werden kann, eine bestimmte Kamera zu wählen, beispielsweise eine Webcam oder einen Scanner ("for greater clarity"). D14 offenbart weiter (Absatz 28), dass die Auflösung der verwendeten Kamera zu gering sein kann, um ein automatisches Erfasssen der Information auf der präsentierten Karte zu erlauben. Wenn dem so ist, kann der Benutzer aufgefordert werden, die nicht lesbare Information "von Hand" einzugeben.

11. D2 offenbart ein Verfahren zur Verifikation eines Holo­gramms, demgemäß mehrere Bilder des untersuchten Holo­gramms mit Beleuchtung aus unterschiedlichen Richtungen aufgenommen werden und dann durch Vergleich dieser Bilder die Echtheit des Hologramms festgestellt wird (vgl. z.B. Absatz 7 und ff., Ansprüche 1 und 7, Abbildung 3).

12. D16 offenbart ein Verfahren zur Feststellung, ob einem Gesichtserkennungsystem ein lebendiges oder - betrü­ge­rischerweise - nur das Bild oder Video eines Gesichts präsentiert wird. Details des Verfahrens wurden in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert, sind aber für diese Entscheidung letztlich unerheblich.

Erfinderische Tätigkeit, Artikel 100(c) i.V.m. Artikel 56 EPÜ

Hilfsantrag A

13. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Ergebnis (vgl. Punkt 19.3 der Entscheidungsgründe), dass sich Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 (nun A) in drei Merkmalen von D14 unter­scheiden würde:

(a) Der Vergleich der Gesichtspartie gemäß den zweiten Bilddaten erfolge in D14 nicht mit den ersten Bild­daten,

(b) D14 offenbare kein Hologramm oder dessen Verifi­kation

(c) D14 offenbare (in Absatz 27) zwar Steuerdaten, diese würden aber den Benutzer und nicht das Endgerät "instruieren".

Diese Merkmale wiesen keine synergetische Wirkung auf und seien, jedes für sich, für den Fachmann gegenüber D14 und dem allgemeinen Fachwissen naheliegend, so dass sie keine erfinderische Tätigkeit begründen könnten (Entscheidungsgründe 19.4.4).

14. Die Patentinhaberin stimmt den Unterschieden (a) und (b) zu (vgl. Beschwerdebegründung, 4.3.2 und 4.3.3), aber hält das Unterschiedsmerkmal gemäß (c) für zu eng, da die Wahl der Kamera, zu der der Benutzer in D14 aufgefordert wird (Absatz 27) kein "Bildparameter" sei (Punkt 4.3.4).

14.1 Darüber hinaus ist sie der Ansicht, dass D14 eine vorherige Registrierung des Benutzers zwingend voraussetze, während die Erfindung dazu geeignet sei, nicht-registrierte Benutzer zu authentifizieren. Die Erfindung erlaube also eine "Erstidentifizierung", D14 nicht.

14.2 In der Beschwerdebegründung schlug die Patentinhaberin vor, die Unterschiede (a) bis (c) würden - gemeinsam - die objektive technische Aufgabe lösen, "ein Verfahren für die Benutzeridentifikation bereitzustellen, das besonders einfach, schnell [...] und [...]sicher" sei (Punkt 4.4). Zur Bekräftigung, dass nach Rechtsprechung der Beschwerdekammern Merkmale nicht getrennt vonein­ander auf erfinderische Tätigkeit zu untersuchen seien, wenn sie sich "ergänzten", verwies die Patentinhaberin auf die T 55/93 sowie die einschlägige Zusammenfassung in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Abschnitt I.D.-9.2.1, letzter Absatz.

Die beanspruchte Lösung sei erfinderisch, weil

(i) der Fachmann keinen Anlass hätte, D14 wie bean­sprucht zu ändern (D14 gehe nicht ausdrücklich auf Karten mit Lichtbildern ein, verweise auf die geringe Auflösung der verwendeten Webcam, Absatz 28, und die Änderung sei insgesamt zu aufwändig; siehe den zweiten als Punkt 4.4 mar­kier­ten Abschnitt),

(ii) keine Merkmalsaggregation vorläge (Punkt 4.5), aber auch

(iii) die einzelnen Merkmale nicht nahegelegt seien (Punkt 4.6).

14.3 In der mündlichen Verhandlung schlug sie weiter vor, die Erfindung würde die Aufgabe lösen, eine "Sichere Erstidentifikation eines unbekannten Benutzers zu er­möglichen", oder, im Versuch, den Begriff "Erstiden­ti­fikation" zu klären, diejenige, eine "Identifikation zu ermöglichen, die allein durch die im Zuge des Verfah­rens erfassten Information über den Benutzer erfolgt".

15. Die Einsprechende 1 hält die Auswahl der optionalen Bildparameter nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 für insgesamt fachüblich (Beschwerdebegründung, Punkt 4) und jeden einzelnen der Bildparameter aus unterschiedlichen Gründen für naheliegend (Punkt 5). Sie betont auch, dass die Wahl der Kamera (oder des Scanners), selbst wenn diese per se kein Bildparameter sein sollte, implizit "bestimmte Bildparameter" festlegen würde (Beschwerdeerwiderung, Punkt 2.4).

16. Die frühere Einsprechende 2 trug insbesondere vor (vgl. Beschwerde­begründung, V.1.3), die Merkmale 1.14 bis 1.17 seien als nicht-technisch nicht zu berück­sichtigen, und be­stritt somit Unterschiede (a) und (b).

17. Die Kammer stimmt den von der Einspruchsab­tei­lung festgelegten Unterschiedsmerkmalen zu.

17.1 Zur Frage der Erstidentifikation ist zunächst festzustellen, dass Anspruch 1 eine "Erstidentifikation" nicht ausdrücklich fordert und daher nicht ausschließt, dass der zu identifizierende Benutzer vorab geeignet registriert ist. Zum Zweiten sind die Inhaber von Identifizierungsdokumenten wie beansprucht regelmäßig vorab registriert, nämlich bei der ausgebenden Behörde oder Bank. Soweit das beanspruchte Verfahren keine Registrierung auf dem Endgerät oder Identifi­zie­rungs-Server voraussetzt, so ist Gleiches auch in D14 der Fall: der Benutzer gemäß D14 ist nicht etwa beim "web site host 104" oder dem "verification site host 102" registriert, sondern bei einer Regierungs­stelle, zu deren Daten letzterer nur Zugriff hat (vgl. D14, Absatz 24). Die Kammer kann daher den behaupteten Unterschied hinsichtlich Erstidentifikation nicht erkennen.

17.2 Die Kammer ist auch nicht der Meinung der früheren Einsprechen­den 2, dass die Merkmale (a) bis (c) "mangels Technizi­tät" ganz unberück­­­sichtigt bleiben können. In welcher Weise sie berücksichtigt werden, folgt aus der oben genannten Anspruchsauslegung. Ein weiterer Vortrag zu diesem Einwand ist in der münd­lichen Verhandlung nicht erfolgt.

17.3 Unterschied (a) D14 offenbart, dass das Gesicht des Benutzers mit einem in einer Datenbank hinterlegten Bild verglichen wird, soweit das Kreditkartenun­ter­nehmen über ein solches Bild verfügt (Absatz 32). Auf Karten mit Lichtbildern wird zwar nicht ausdrücklich verwiesen, aber Ausweisdokumente enthalten typischer­weise Lichtbilder, die der Fachmann entweder "mitliest" oder als naheliegend erkennt. D14 weist auf eine zu geringe Auflösung hin (Absatz 28), allerdings nur als Möglichkeit ("in some cases"). Die Möglichkeit einer höheren Auf­lösung, jedenfalls so hoch, dass auf der Karte angege­ben­er Text automatisch erkannt werden kann, ist implizit ebenfalls offenbart (loc. cit.). Die Kammer kommt damit, wie die Ein­spruchsabteilung, zu dem Ergebnis, dass es naheliegend gewesen wäre, in Betracht zu ziehen, ein umständehalber vor­lie­gendes Lichtbild anstelle eines vorab gespei­cherten der Gesichtser­kennung aus D14 zugrundezulegen.

17.4 Unterschied (b) D14 offenbart, dass im Zuge der Veri­fikation auch geprüft werde, ob die abgebildete Karte das "known design" einer erwarteten Karte aufweise (Absatz 11). Die Kammer meint, dass die Verwendung eines Hologramms eine wohlbekannte Eigenart eines solchen "Designs" ist (nur insofern wird auch auf D2 verwiesen): Soweit in D14 auch die Verwendung eines Ausweis­dokuments avisiert wird (bspw. Absatz 32), erscheint es der Kammer daher naheliegend, auch das Vorliegen eines Hologramms zu überprüfen, um sicherzustellen, dass der Benutzer die richtige Karte präsentiert.

17.5 Unterschied (c) Die Kammer ist der Ansicht, dass die Diskussion in Absatz 28 der D14 einen klaren Hinweis an den Fachmann darstellt, dass eine Mindestauflösung wün­schenswert sein kann. Sollte im Einzel­fall die Auflö­sung zu gering sein, ist es nahe­lie­gend, nicht, wie es D14 offenbart, das bildgestützte Verfahren zu umgehen, sondern den Benutzer aufzufor­dern, eine größere Bild­auf­lösung sicherzustellen. Im Lichte dieser Analyse gibt die Kammer auch der Einspruchsabteilung darin Recht, dass der ver­bleibende Unterschied darin besteht, dass Anforderungen an gewisse Bildparameter nicht durch Aufforderung des Benutzers, sondern durch direkte "Instruktion" des Endgeräts erfolgt. Dieser Unterschied hingegen ent­spricht dem naheliegenden Wunsch der Automatisierung.

18. Aus dem vorangehenden folgt, dass die Kammer die Unterschiedsmerkmale (a) bis (c), jedes für sich genommen, für naheliegend gegenüber der D14 hält.

19. Es ist strittig, ob die Unterschiedsmerkmale als Lösung unabhängiger Probleme getrennt analysiert werden dürfen.

19.1 Die Kammer ist mit der Einspruchsabteilung dieser Meinung.

19.2 Selbst wenn, wie die Patentinhaberin vorträgt, alle drei Unterschiedsmerkmale zu einem einfachen, schnellen und sicheren Verfahren beitragen, so sind doch "ein­fach", "schnell" und "sicher" drei technisch unabhän­gi­ge Ziele, die nicht zwingend miteinander interagieren.

19.3 Im vorliegenden Fall macht die Berücksichtigung eines Lichtbilds die Verwendung der Datenbank aus D14 über­flüssig (Merkmal a), ergibt sich die Berücksichtigung des Hologramms aus der Anwendung von D14 auf wohlbe­kannte Karten (Ausweisdokumente) (Merkmal b), und löst die Form der Steuerdaten eine Automatisierungs­aufgabe. Eine Lösung jeder dieser drei Aufgaben lässt sich, in der beanspruchten Allgemeinheit, ohne Weiteres unabhängig voneinander vorsehen, ohne ihre Wirkung zu beeinträchtigen. Außerdem ergibt sich jede der drei Aufgaben im Lichte des allgemeinen Fachwissens zwanglos aus D14. Eine weitere Diskussion der von der Patent­in­haberin zitierten Rechtsprechung hält die Kammer nicht für notwendig.

20. Damit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents nicht erfinderisch gegenüber D14.

Patent wie von der Einspruchsabteilung aufrecht erhalten, sowie Hilfsanträge A1 bis A5

21. Das vorangehende, auf den Hauptantrag gerichtete Argument bezieht sich insbesondere auf die Bildauflösung, die als ein möglicher Bildpa­ra­meter in den Ansprüchen nach allen Hilfsanträgen A1 bis A5 beansprucht ist. Insofern ist dieses Argument auch für die genannten Hilfsanträge einschlägig.

21.1 Was die "Prüfsummen" betrifft, die in den Hilfsanträgen A4 und A5 als Integritätsmerkmal zusätzlich zum Hologramm festgelegt sind, ist die Kammer der Meinung, dass solche Prüfsummen auf bekannten Karten nach D14 allgemein bekannt waren, und dass die Verifikation bspw. einer Kartennummer mit Prüfsumme wohl auch die Überprüfung ebendieser Prüfsumme vor­sieht.

21.2 Dieser im Ladungszusatz mitgeteilten vorläufigen Meinung der Kammer, dass aus der vorangehenden Analyse des Gegenstands von Anspruch 1 des Streitpatents im Vergleich mit D14 auch die mangelnde erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 gemäß dem Patent wie aufrecht erhalten und gemäß den Hilfsanträgen A1 bis A5 folgt, ist die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen getreten.

21.3 Die Kammer kommt somit zum Ergebnis, dass Anspruch 1 der genannten Hilfsanträge ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit gegenüber D14 aufweist.

Hilfsantrag A6

Ursprungsoffenbarung, Artikel 123(2) EPÜ, und

Klarheit, Artikel 84 EPÜ

22. Die Einsprechende 1 war der Meinung, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags A6 unklar ist und über die Ursprungsoffenbarung hinausgeht und damit Artikel 123(2) EPÜ verletzt.

22.1 Zur Ursprungsoffenbarung verwies sie insbesondere auf Seite 15, 2. Absatz, der ursprüngliche Beschreibung, in der gefordert wird, dass "das Erfassen der [...] Bild­daten mit einer bestimmten Abfolge von Bildpara­metern [...] geschieht", und daher die Ausführung der Steuer­daten zwingend fordert ("geschieht"), während Anspruch 1 die Verarbeitung der Steuerdaten ja offen lässt. Außerdem wären an dieser Stelle (und anderswo) vier verschiedene Bildparameter aufgeführt, während der Anspruch nur drei von ihnen zur Wahl stelle und einen genauer spezifiziere. All diese Umstände belegten unerlaubte Zwischenverallgemeinerungen.

Die Kammer weist darauf hin, dass an anderer, ebenfalls von der Einsprechenden 1 genannten Stelle (Seite 21, 2. Absatz, Zeilen 11 bis 14), ausdrücklich die Anspruchs­formulierung verwendet wird, dergemäß Steuerdaten das Endgerät (nur) instruierten, die Bilddaten mit einer "Abfolge von Bildparametern" zu erfassen. Da im Übrigen gemeint ist, dass in der Regel "geschieht", wozu das Endgerät "instruiert" wird, hat die Kammer keinen Zweifel, dass die ursprüngliche Beschreibung die beanspruchte Formulierung offenbart. Darüber hinaus benennt die Auswahl von Bildparametern aus drei Optionen schlicht weniger Steuerdaten, als wenn es vier wären. Ohne weitere Details etwa dazu, wie und anhand welcher Kriterien die Auswahl erfolgt, ist die Kammer der Ansicht, dass drei Alternativen von einer Aufzählung von vieren offenbart ist. Dass im Übrigen der Begriff "Belichtungsparameter" an anderer Stelle offenbart ist (Seite 8, 1. Absatz), ist unschädlich.

22.2 Zur Klarheit führte die Einsprechende 1 insbesondere aus, dass unklar sei, in welcher Weise der Fachmann die Steuerdaten auslegen müsse, die das Endgerät zur Bilder­fassung gemäß einer Abfolge von Bildparametern "instruierten". Die Kammer hat zur Auslegung des Merkmals oben ausgeführt und hält diese Auslegung für deutlich und mit der Beschreibung konsistent (Seite 21, Absatz 2).

22.3 Die Kammer folgt der Einsprechenden 1 in dieser Hinsicht demnach nicht.

Erfinderische Tätigkeit

23. Die Einsprechende 1 war der Meinung, dass die Wahl einer von mehreren verfügbaren Kameras nach D14 jedenfalls mittelbar eine Anzahl von Bildparametern festlegen würde. Sie verwies außerdem darauf, dass Anspruch 1 nicht ausschlösse, das für mehrere Bilder dieselben Bildparameter und -werte gewählt würden. Soweit also D14 die Aufnahme von mehreren Bildern offenbart (Videos oder bspw. ein Zweitbild per Scanner, vgl. Absatz 27, wären auch eine Abfolge von Bildparametern implizit offenbart.

23.1 Die Kammer folgt diesen Argumenten nicht. Zwar könnte man sagen, dass die Auswahl einer Kamera allerlei Bildparameter festlegt. Soweit aber verschiedene Bilder mit derselben Kamera aufzunehmen sind (z.B. im Falle des Videos), gibt D14 keinerlei Hinweis darauf, dass diese Bildparameter mehr als einmal festgelegt werden. Damit wird die Festlegung einer Abfolge von Bildparame­tern nach Ansicht der Kammer auch implizit nicht offenbart.

23.2 Soweit hingegen die Bilder mit unterschiedlichen Kame­ras aufzunehmen sind (bspw. Webcam und Scanner), ist die Situation ganz verschieden. Wenn, wie oben an­ge­nommen, die Auflösung der gewählten Kamera auto­ma­tisch eingestellt wird, kann der Benutzer untätig bleiben. Um hingegen mehrere Bilder mit unterschied­lichen Kameras aufzunehmen, ist Benutzerhandeln erforderlich. Er muss sich z.B. zu einer anderen Kamera ausrichten oder etwa seine Karte auf den Scanner legen, bevor die Aufnahme gemacht werden kann. Beides lässt sich nicht durch auto­matisch auszuführende Instruktionen an das Endgerät erreichen. Damit ist die Kammer der Meinung, dass die nun beanspruchten Steuerdaten nicht als bloße Auto­ma­tisierung aus D14 hervorgehen.

24. Obwohl die Einsprechende 1 richtig feststellt, dass der Anspruchswortlaut nicht impliziert, dass die Steu­er­daten am Endgerät tatsächlich ausgeführt werden, oder dass überprüft wird, ob es geschieht, ist die Kammer der Meinung, dass diese Wirkung immerhin klar ange­strebt und auch tatsächlich ermöglicht wird. Damit ist die Kammer der Ansicht, dass die beanspruchten Steuer­daten - wenigstens mittelbar - zu einer Steige­rung der Sicherheit des beanspruchten Verfahrens bei­tragen, da sie dazu bereit gestellt werden, Betrug durch das Prä­sentieren vorgefertigter Bilder zu verhin­dern. Für die weitere Analyse der erfinderischen Tätig­keit geht die Kammer von dieser Aufgabenstellung gegenüber D14 aus.

24.1 D14 offenbart Anweisungen an den Benutzer, von sich Bilder (Einzelbilder oder Video, Absätze 12 und 13) in einer von verschiedenen Posen zu machen. Eine Auto­ma­tisierung durch "Instruktionen an das Endgerät" ist hier weder möglich noch beabsichtigt, da das Benutzer­handelns ja entscheidend ist, um zu verhindern, dass vorgefertigte Bilder präsentiert werden (Absatz 13, letzter Satz). Eine Sequenz von Bildern ist nur indi­rekt offenbart, entweder durch eine Videoaufnahme, bei der aber die Aufnahme der Einzelbilder typischerweise durchgängig die gleichen sind, oder durch die Aufnahme mit unterschiedlichen Kameras, die sich aber, wie oben erläutert, nicht völlig automatisieren lässt.

24.2 Die Kammer kann daher nicht erkennen, dass der Fachmann, der die Sicherheit des Verfahrens nach D14 erhöhen wollte, in naheliegender Weise zum letzten Merkmal nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A6 kommen würde. Dieser Anspruch weist daher gegenüber D14 alleine die erforderliche erfinderische Tätigkeit auf.

25. Die Einsprechende 1 trug vor, dass der Fachmann ausgehend von D14 und in Verbindung mit D16 auf naheliegende Weise zur Erfindung gelangen würde.

25.1 D16 offenbart ein Verfahren zur Lebenderkennung eines durch Gesichtserkennung zu authentifizierenden Benutzers.

25.2 D14 allerdings stellt schon sicher, dass der Benutzer lebendig ist, in dem überprüft wird, ob er richtig auf bestimmte, unvorhersehbare Anweisungen reagiert. A priori gibt es deshalb für den Fachmann keinen Anlass, D14 mit einem weiteren Verfahren zur Lebenderkennung zu kombinieren.

25.3 Selbst unter der Annahme, dass es fachüblich und plausibel ist, mehrere Sicherheitsmassnahmen miteinander zu kombinieren (so, wie beispielsweise eine Tür mit zwei Schlössern besser gesichert ist als mit nur einem), so kann die Kammer hier nicht erkennen, dass durch das Verfahren aus der D16 ein Mehr an Sicherheit gegenüber D14 erzielt würde.

25.4 Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass es für den Fachmann nicht nahegelegen hätte, D14 mit D16 zur Verbesserung der Sicherheit zu kombinieren. Eine wei­tere Analyse der Merkmale aus D16 erübrigt sich somit.

26. Die Einsprechende 1 trug weiter vor dass der Fachmann, ausgehend von D14, in Verbindung mit D2 auf nahelie­gen­de Weise zur Erfindung gelangen würde.

26.1 D2 offenbart ein Verfahren, wie durch Beleuchtung aus verschiedenen Richtungen die Echtheit eines Hologramms auf einer plan liegenden Karte verifiziert werden kann.

26.2 Gemäß D14 aber hält in der Regel der Benutzer die Karte in die Kamera. Sie liegt damit nicht plan und eignet sich daher nicht für das Verfahren aus D2. Die Aufnahme der Karte durch einen Scanner, in dem sie naturgemäß plan liegt, ist nur als Alternative offenbart ("for greater clarity", "duplicate images", siehe Abstaz 27). Außerdem lässt sich die Anordnung aus D2 auch nicht ohne Weiteres mit einem handelsüblichen Scanner verbinden.

26.3 Daher hätte eine Anwendung auch des Verfahrens aus D2 im Kontext von D14 für den Fachmann nicht nahegelegen.

27. Weitere Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden in der mündlichen Verhandlung weder vorgetragen noch durch ausdrücklichen Verweis auf das schriftliche Vorbringen bekräftigt. Ebenso wenig hat die Einspre­chende 1 in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass und warum die voranstehende Analyse nicht in gleicher Weise für die beiden anderen unabhängigen Ansprüche 8 und 9 gelten sollten.

28. Damit kommt die Kammer zum Ergebnis, dass der Gegenstand der Ansprüche 1, 8 und 9 des Hilfsantrags A6 als erfinderisch gelten muss (Artikel 100 c) i.V.m. 56 EPÜ).

29. Die Kammer hat die allfällige Anpassung der Beschrei­bung an die geänderten Ansprüche im Beschwerdeverfahren offen gelassen. Sie hält die mögliche Komplexität dieser Anpassung und die dafür notwendige Sorgfalt nach einer ausführlichen Verhandlung in der Sache für einen besonderen Grund im Sinne von Artikel 11, Satz 1, VOBK für die Zurückverweisung zur weiteren Prüfung. Die Beteiligten stimmten diesem Vorgehen zu.

30. Den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz des zugelassenen Vertreters der Einsprechenden 1 hat die Kammer abgelehnt. Nach Artikel 15a(1) VOBK kann die Kammer beschließen, die mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 EPÜ auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen als Videokonferenz durchzuführen, wenn sie dies für zweckmäßig erachtet. Der Antrag war lediglich damit begründet worden, dass der anwaltliche Vertreter der Einsprechenden 1 seinen Sitz in Berlin habe. Die Angabe des Kanzleistandorts alleine ist jedoch nach Ansicht der Kammer kein ausreichender Grund, einen Antrag auf Durchführung einer Videokonferenz zu begründen. Darüber hinaus hat die Komplexität des Falles für eine Präsenzveranstaltung gesprochen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten: Ansprüche Nr. 1 - 10 gemäß Hilfsantrag A6 eingereicht am 20. Februar 2019.

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