T 1756/11 () of 14.1.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T175611.20150114
Datum der Entscheidung: 14 Januar 2015
Aktenzeichen: T 1756/11
Anmeldenummer: 01128561.6
IPC-Klasse: A01D 43/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einrichtung zur Optimierung der Überladung von Erntegut an landwirtschaftlichen Fahrzeugen
Name des Anmelders: CLAAS Selbstfahrende Erntemaschinen GmbH
Name des Einsprechenden: Deere & Company
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 115
Schlagwörter: Einwendungen Dritter nach Ablauf der Einspruchsfrist - (nicht beachtet)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

siehe Gründe 2

Angeführte Entscheidungen:
G 0004/88
G 0009/91
G 0010/91
T 0580/89
T 0951/91
T 1072/93
T 0223/95
T 0283/02
T 0902/04
T 0146/07
T 0390/07
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0402/12
T 1181/12
T 1216/12
T 2454/12
T 1528/13
T 0345/15
T 1635/15
T 2255/15
T 2213/16
T 2469/16

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 23. Mai 2011, zur Post gegeben am 17. Juni 2011, das europäische Patent Nr. 1 219 158 in geändertem Umfang gemäß erstem Hilfsantrag, wie eingereicht in der Verhandlung, nach Artikel 101(3)a) EPÜ aufrechtzuerhalten.

II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hatte am 9. August 2011 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 23. September 2011 eingegangen.

III. Einwendungen Dritter wurden am 17. Januar 2013 erhoben, und den Parteien, insbesondere der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) gemäß Regel 114 (2) EPÜ, von Seiten der Kammer mitgeteilt.

IV. In der Mitteilung vom 30. September 2014 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung in einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK mit. Die mündliche Verhandlung fand am 14. Januar 2015 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

Für die vorliegende Entscheidung wurden insbesondere folgende Beweismittel herangezogen:

eingereicht mit Einspruchseinlegung:

E1 = JP 04-101206 (inklusive englischer Übersetzung und Zusammenfassung im Patent Abstracts of Japan)

E4 = WO 00/35265

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 11 des Hauptantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, sowie der Beschreibung Seiten 2 bis 7 wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht, und den Zeichnungen der Patentschrift.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des neuen Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Vorrichtung zur Optimierung des Überladens von Erntegut (33, 54) von einer Erntemaschine (1) auf ein Transportfahrzeug (5, 43), dadurch gekennzeichnet, dass auf mindestens einem Fahrzeug (1, 5, 43) mindestens eine Vorrichtung vorhanden ist, die den Fahrzeugstatus mindestens des eigenen Fahrzeuges (1, 5, 43) auswählt und dieser in wenigstens einer Vorrichtung in zumindest einem Fahrzeug verwendet wird, wobei der Erntemaschine (1) mindestens eine Steuereinheit (3) zur Erzeugung von Steuersignalen für die Fahrgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel des Transportfahrzeuges (5, 43), eine Sendeeinheit (4) zur drahtlosen Übertragung der Steuersignale an das Transportfahrzeug (5, 43) und auf dem Transportfahrzeug (5, 43) eine Empfangseinheit (6, 34) zum Empfang der Steuersignale und mindestens eine Stellvorrichtung (32, 42, 7A, 7B) zur automatischen Einstellung der Fahrgeschwindigkeit und/oder des Lenkwinkels in Abhängigkeit der Steuersignale, vorgesehen ist, wobei die von der Steuereinheit (3) ermittelten Steuersignale die Steuersignale des Transportfahrzeugs (5, 43) sind und jeweils die aktuelle Fahrgeschwindigkeit und/oder der aktuelle Lenkwinkel der Erntemaschine (1) von der Steuereinheit (3) als Steuersignal für die Fahrgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel des Transportfahrzeuges (5, 43) verwendet wird."

VII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Anspruch 1 des neuen Hauptantrags erfordere nun zwar, dass jeweils die aktuelle Fahrgeschwindigkeit und/oder der aktuelle Lenkwinkel der Erntemaschine direkt als Steuersignal für die Fahrgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel des Transportfahrzeuges verwendet werde.

E1 (s. engl. Übersetzung) offenbare aber ebenso, dass die aktuelle Geschwindigkeit und der aktuelle Lenkwinkel des Mähdreschers (als Erntefahrzeug) identisch von dem selbstfahrenden Anhänger (als Transportfahrzeug) übernommen würden. Dies sei aufgrund der Beschreibung der Fortbewegung der beiden Fahrzeuge auf S.3 der E1, Z. 45-49, bzw. die Erwähnung eines Nothalts auf S.4 der E1, Z.42, gar nicht anders möglich. Es sei für den Fachmann zudem selbstverständlich, dass hierzu das auf dem Mähdrescher erzeugte Signal M1 als Steuersignal für den Anhänger diene. Anspruch 1 sei nicht auf das Nebeneinanderfahren von Erntefahrzeug und Transportfahrzeug beschränkt, und ein Hintereinanderfahren in derselben Spur - wie in E1 beschrieben - sei in Bezug auf den gleichen Lenkwinkel der beiden Fahrzeuge unproblematisch: das Einlenken des nachfolgenden Fahrzeugs erfolge trotz aktuellem Steuersignal ohnehin etwas zeitverzögert, wegen der Einflüsse von Elektrik und Hydraulik der Fahrzeuge. Außer dem Signal M1 sei in E1 zwar auf S.4 auch ein Abstandssignal M2 beschrieben, dass zusammen mit M1 einer Nachbearbeitung des Steuersignals unterzogen werden könne. Dieses Signal M2 stelle aber nur eine weitere Ausführungsform der in E1 beschriebenen Erfindung dar, sei also optional und könne daher jederzeit entfallen, vgl. E1; Zusammenfassung; S.2, Z.31; und Anspruch 2. Die Erzeugung des Steuersignals M1 mittels der Steuereinheit 31 auf dem Mähdrescher in Figur 3 der E1, welches auch alleine für Geschwindigkeit und Lenkwinkel des Anhängers verwendet werden könne, nehme daher den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg.

In jedem Fall würde der Fachmann auf der Suche nach einem möglichst einfachen System zur Optimierung des Überladens von Erntegut erkennen, dass der in E1 suggerierte Wegfall des Signals M2 zu einer Vereinfachung der Steuerung führen würde, wodurch der Gegenstand des Anspruchs 1 nahe gelegt sei. Im Lichte der E1 beruhe Anspruch 1 daher jedenfalls auf keiner erfinderischen Tätigkeit.

E4 werde gegenüber Anspruch 1 des neuen Hauptantrags nicht mehr für relevant erachtet.

Zu den späten Einwendungen Dritter erfolgte keine Stellungnahme seitens der Beschwerdeführerin.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Im Falle der Verwendung des aktuellen Lenkwinkels des Erntefahrzeugs als Steuersignal für den Lenkwinkel des Transportfahrzeuges erfordere Anspruch 1 des neuen Hauptantrags nunmehr ein Nebeneinanderfahren der beiden Fahrzeuge. Ein Hintereinanderfahren sei in diesem Fall aus der Sicht des Fachmanns nicht möglich.

In E1 könne bereits aus diesem Grund der aktuelle Lenkwinkel des Mähdreschers nicht als direktes Steuersignal für den hinten nachfolgenden Anhänger dienen. Zudem sei E1 nicht zu entnehmen, dass die in der Steuereinheit 31 des Mähdreschers erzeugten Signale M1 tatsächlich als Steuersignale für die Fahrgeschwindigkeit und den Lenkwinkel des Anhängers dienten, auch nicht implizit. Die Signale M1 enthielten vielmehr Informationen zu Fahrgeschwindigkeit und Lenkwinkel des Mähdreschers, würden daraufhin an den Anhänger übertragen, und erst am Anhänger gemeinsam mit einem erzeugten Abstandssignal M2 in der Steuereinheit 47 des Anhängers zu Steuersignalen für Geschwindigkeit und Lenkwinkel des Anhängers nachverarbeitet. Die Nachverarbeitung von M1 mit M2 sei im Ausführungsbeispiel nach Figur 3 der E1 obligatorisch, vgl. E1, S.4; und Figur 3. Eine Übertragung der aktuellen Geschwindigkeit bzw. des aktuellen Lenkwinkels des Mähdreschers als Steuersignal für Fahrparameter des Anhängers sei E1 ebenfalls nirgends zu entnehmen. Anspruch 1 sei daher neu gegenüber E1.

Den in Bezug auf E1 unterscheidenden Merkmalen der Übertragung von Steuersignalen für Fahrparameter des Transportfahrzeugs direkt vom Erntefahrzeug gemäß Anspruch 1 könne die Aufgabe zugrunde gelegt werden, das Überladen von Erntegut unabhängig vom Fahrer des Transportfahrzeugs zu optimieren. Zur Lösung dieser Aufgabe erhalte der Fachmann ausgehend von E1 keinerlei Anregung. Anspruch 1 sei daher im Lichte der E1 auch erfinderisch.

Zu den späten Einwendungen Dritter erfolgte auch keine Stellungnahme seitens der Beschwerdegegnerin.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Einwendungen Dritter nach Ablauf der Einspruchsfrist

2.1 Einwendungen Dritter können nach Ablauf der Einspruchsfrist, also auch erst im mehrseitigen Beschwerdeverfahren erhoben werden, denn Artikel 115 EPÜ setzt hierfür keine Frist. Durch die Einspruchsabteilung bzw. Beschwerdekammer werden eingereichte Einwendungen Dritter den beteiligten Parteien, insbesondere dem Patentinhaber, mit Bitte um Stellungnahme mitgeteilt, Regel 114(2) EPÜ.

Nach Artikel 115 Satz 2 EPÜ ist der Dritte am Verfahren nicht beteiligt.

2.2 Um versteckten Verfahrensmissbrauch seitens beteiligter Parteien auszuschließen, sollten nach jüngerer Rechtsprechung anonyme Einwendungen eines Dritten zum sehr späten Stand des Einspruchsbeschwerdeverfahrens formal nicht berücksichtigt werden: vgl. T 146/07 vom 13.12.2011, Gründe Nr. 3, in Abweichung von der Mitteilung des EPA über die Einreichung von Einwendungen Dritter für die erste Instanz, siehe ABl. 2011, 418 und 420.

2.3 Obwohl in Artikel 114(2) EPÜ verspätetes Vorbringen nur auf Verfahrensbeteiligte Anwendung findet, wird nach ständiger Rechtsprechung ein Vorbringen (d.h. Tatsachen und Beweismittel) aus Einwendungen unbeteiligter Dritter, welches erst nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegt wurde, fiktiv ebenso als "verspätet" behandelt: So kann Artikel 115 EPÜ nicht der Ausweitung von Rechten Dritter, ganz zu Schweigen gegenüber Verfahrensbeteiligten, dienen. Siehe T 951/91, ABl. 1995, 202, Gründe Nr. 5.9.

Mit anderen Worten ist der in Artikel 114(1)EPÜ verankerte Grundsatz der Amtsermittlung bei Einwendungen Dritter nach Ablauf der Frist gemäß Artikel 99(1) EPÜ unter der Fiktion der Verspätung auszuüben, d.h. die Einwendungen unterliegen den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der Ermessensausübung für die Zulassung von verspätetem Vorbringen nach Artikel 114(2) EPÜ. Siehe T 580/89, ABl. 1993, 218, Gründe Nr. 3. Vgl. sinngemäß zu verspätet vorgebrachten neuen Einspruchsgründen G 9/91 und G 10/91, ABl. 1993, 408, 420, Gründe Nr. 16. Siehe auch Singer/Stauder, 6. Aufl. 2013, Art. 115 EPÜ, Rdn.6.

2.4 Grundsätzlich stehen dem Dritten aufgrund seiner Stellung keine Verfahrensrechte eines am Verfahren Beteiligten zu, wie insbesondere das Recht zur Beschwerde, Artikel 107 EPÜ, und den Anspruch auf rechtliches Gehör, Artikel 113(1) EPÜ. Vgl. G 4/88, ABl. 1989, 480, Gründe Nr. 2. Ein Anspruch des Dritten zu seinem Vorbringen gehört zu werden, besteht somit zu keinem Zeitpunkt des Einspruchsverfahrens.

2.5 Die erhobenen Einwendungen Dritter (ob vor oder nach Ablauf der Einspruchsfrist) müssen seitens der erstinstanzlichen Einspruchsabteilung daher nicht zwangsläufig beachtet werden, und im Falle der Nichtbeachtung in ihrer Einspruchsentscheidung folglich auch nicht unbedingt erwähnt werden. Vgl. hierzu etwa T 283/02 vom 09.04.2003, Gründe 4.10: kein Verfahrensfehler, falls in der Entscheidung nicht berücksichtigt. Siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage 2013, III.N.2.2. Siehe auch Singer/Stauder, 6. Aufl. 2013, Art. 115 EPÜ, Rdn. 16,17.

Die Kammer stellt aber fest, dass die Einspruchsabteilungen in Anlehnung an die Mitteilung des EPA über die Einreichung von Einwendungen Dritter für die erste Instanz (siehe ABl. 2011, 418 und 420) zumindest zur Relevanz von Einwendungen Dritter Stellung nehmen sollten, beispielsweise im Ladungsbescheid zur mündlichen Verhandlung.

2.6 Wegen der Stellung des Dritten stellt sich im Falle von spät eingereichten Einwendungen Dritter nach Ablauf der Einspruchsfrist also auch nicht die Frage einer Ermessensentscheidung zur Nichtzulassung ins Verfahren durch die Einspruchsabteilung, falls die Einspruchsabteilung die späten Einwendungen für irrelevant befand und daraufhin nicht weiter beachtet hatte.

2.7 Als Reaktion auf die von einem Dritten nach Ablauf der Einspruchsfrist erhobenen Einwendungen in Form neuer Tatsachen und Beweismittel kann die Einspruchsabteilung andererseits solche Einwendungen auch für entscheidungserheblich halten, und das Vorbringen Dritter in der ersten Instanz von Amts wegen aufgreifen und im Verfahren berücksichtigen, Artikel 114(1) EPÜ. In diesem Fall muss jedoch nach Ansicht der Kammer zunächst eine Entscheidung zur Zulassung der Tatsachen und Beweismittel Dritter ins Verfahren im Ermessen der Einspruchsabteilung auf Grund deren prima facie Relevanz ergehen, vgl. Begriff der Verspätung nach ständiger Rechtsprechung zur Auslegung von Artikel 114(2) EPÜ und Regel 116(1) EPÜ.

2.8 Unbeschadet der rechtlichen Stellung des Dritten verliert im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren das Gewicht des Grundsatzes der Amtsermittlung aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren seine juristische Tragweite, insbesondere im Inter-partes-Verfahren als Ausdruck der Dispositionsmaxime (auch: Verfügungsgrundsatz), vgl. G 9/91 und G 10/91, supra, Gründe Nr. 18. Zudem muss das Inter-partes-Verfahren grundsätzlich als streitiges Verfahren zwischen Parteien angesehen werden die gegenteilige Interessen vertreten, aber Anspruch auf gleiche Behandlung haben. Vgl. G 9/91 und G 10/91, supra, Gründe Nr. 2. In diesem Zusammenhang gilt für die Beschwerdekammern das oberste Gebot der richterlichen Unparteilichkeit, vgl. T 223/95 vom 04.03.95, Gründe Nr.4, T 1072/93 vom 18.09.1997, Gründe Nr. 5.3, und T 902/04 vom 07.06.2006, Gründe Nr.3.

2.9 Späte Einwendungen Dritter erst während des Einspruchsbeschwerdeverfahrens werden in der Regel seitens der Beschwerdekammer von Amts wegen daher unberücksichtigt bleiben müssen, es sei denn sie beziehen sich auf Änderungen der Ansprüche oder andere Teile des Patents während des Einspruchs- oder Beschwerdeverfahrens, vgl. G 9/91 und G 10/91, supra, Gründe Nr. 19. In diesem Fall kann eine Beschwerdekammer unter Umständen im Zuge der Prüfung dieser Änderungen das späte Vorbringen Dritter entweder nicht beachten, oder gegebenenfalls in Ausübung ihres Ermessens aufgreifen und ins Verfahren zulassen, vgl. Artikel 12(4) und 13(1),(3) VOBK.

2.10 Ein Verfahrensbeteiligter kann hingegen zu neuen Tatsachen und Beweismitteln aus Einwendungen Dritter welche nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht wurden jederzeit Stellung nehmen, wenn diese aus Sicht des Beteiligten entscheidungserheblich sein könnten. Das Recht auf ein solches Vorbringen des Beteiligten ergibt sich aber vielmehr aus dessen Anspruch auf rechtliches Gehör, Artikel 113(1) EPÜ, und es hat dann sowohl zur Zulassung, als auch zur Nichtzulassung der verspäteten Stellungnahme ins Verfahren eine Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung bzw. Beschwerdekammer zu ergehen. Vgl. T 390/07 vom 20.11.2008, Gründe Nr. 4.

2.11 Trotz der im Einspruchsverfahren vorgenommenen Anspruchsänderungen war die Kammer in der vorliegenden Sache der Auffassung, die (im Übrigen anonymen) Einwendungen Dritter vom 17. Januar 2013, welche erst nach Einreichung von Beschwerdebegründung und Erwiderung erfolgten, unbeachtet zu lassen und in ihrer Entscheidung auch nicht zu erwähnen. Vgl. oben Punkte 2.2 und 2.9 dieser Entscheidung. Ein kurzer Hinweis bezüglich der erhobenen Einwendungen erfolgte dennoch aus Gründen der Verfahrenstransparenz (bzw. -ökonomie) in der Kammermitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Keine der am Verfahren beteiligten Parteien hat zu den Einwendungen des Dritten Stellung genommen, d.h. dessen Vortrag zu keinem Zeitpunkt aufgegriffen, vgl. Punkt 2.10 dieser Entscheidung.

3. Änderungen und Zulässigkeit neuer Hauptantrag

Am Ende des geänderten Anspruchs 1 wurde gegenüber der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung der Wortlaut des erteilten Anspruchs 4 (Anspruch 3 wie eingereicht) hinzugefügt. Diese Änderung erfolgte als unmittelbare Reaktion mit Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 22. Oktober 2014 zur Behebung eines Artikel 123(2) Mangels im Sinne der Beschwerdeführerin: vgl. Beschwerdebegründung, Seite 3, letzter Absatz. Da die Beschwerdeführerin daraufhin weder zu Anspruch 1 noch zur entsprechend angepassten Beschreibung des neuen Hauptantrags Einwände vorgetragen hatte, und sich auch die Kammer von der eindeutigen Gewährbarkeit der Änderungen überzeugen konnte, erfüllt der neue Hauptantrag die Erfordernisse der Artikel 123(2),(3) EPÜ und 13(1),(3) VOBK.

4. Neuheit und Erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Parteien stimmen dahingehend überein, dass in der Vorrichtung zur Optimierung des Überladens von Erntegut gemäß Anspruch 1 von der Steuereinheit der Erntemaschine jeweils die aktuelle Fahrgeschwindigkeit und/oder der aktuelle Lenkwinkel der Erntemaschine direkt als Steuersignal für die beiden Parameter Fahrgeschwindigkeit und/oder Lenkwinkel des Transportfahrzeugs erzeugt wird, um dann drahtlos an das Transportfahrzeug übertragen zu werden. Die Kammer stellt ergänzend fest, dass dieses Verständnis auch von der Beschreibung gestützt ist, siehe Patent, Absatz 0012, Zeilen 19 bis 24.

4.2 Wie von der Beschwerdegegnerin dargelegt, kann, im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdeführerin, eine aktuelle Übertragung des Lenkwinkels der Erntemaschine direkt auf den Lenkwinkel des Transportfahrzeugs aus der Sicht des Fachmanns in Anspruch 1 nur dann technisch sinnvoll erscheinen, wenn das Erntefahrzeug und das Transportfahrzeug nebeneinander fahren.

Hingegen kann in jener "und/oder" Variante des Anspruchs 1, bei der ausschließlich die Fahrgeschwindigkeit der Erntemaschine auf die Geschwindigkeit des Transportfahrzeugs aktuell, also direkt, übertragen wird, nach Auffassung der Kammer für den Fachmann wohl auch ein Hintereinanderfahren von Ernte- und Transportfahrzeug zur Optimierung des Überladens, z.B. während einer Warteposition (vgl. Patent, Abs. 0025, und Figur 2 zu Transportfahrzeug 43), durchaus möglich erscheinen.

4.3 Dokument E1 beschreibt - die Kammer nimmt nachfolgend auf die englische Übersetzung der E1 Bezug - eine Steuereinheit (control means 31) auf einem Mähdrescher (combine driving body 1) als Erntemaschine. Ein selbstgetriebener Anhänger (self-propelled trailer 17) dient als Transportfahrzeug und folgt dem Mähdrescher automatisch. Siehe E1, Figuren.

4.4 In der Steuereinheit 31 (control means 31) des Mähdreschers werden Signale der Fahrgeschwindigkeit und des Lenkwinkels des Mähdreschers verarbeitet und ein Steuersignal ("Control ultrasonic signal") M1 erzeugt und an den Anhänger drahtlos übertragen, vgl. E1, Seite 3, Zeilen 30 bis 49 und Figur 3. Die Passage auf Seite 3 der E1, Zeilen 45 bis 49, beschreibt zwar dass, das Signal M1 dazu dient, dass sobald der Mähdrescher nach links oder rechts lenkt oder seine Fahrgeschwindigkeit ändert, der Anhänger dem Mähdrescher automatisch in konstantem Abstand folgen kann. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann diese Passage aber nicht zwangsläufig zu der Annahme führen, dass die Signale der Steuereinheit 31 gemeinhin, oder gar wie in Anspruch 1 ausschließlich, Steuersignale für die Parameter Fahrgeschwindigkeit und Lenkwinkel des nachlaufenden Anhängers darstellen. Seite 3 der E1 offenbart lediglich, dass das Signal M1 Informationen zu Fahrgeschwindigkeit und Lenkwinkel des voranfahrenden Mähdreschers enthält.

Darüber hinaus ist für den Fachmann dieser Passage auch nicht zu entnehmen, dass, wie in Anspruch 1 ebenso gefordert, die aktuelle Fahrgeschwindigkeit bzw. der aktuelle Lenkwinkel des Mähdreschers direkt als Steuersignale für die Geschwindigkeit bzw. den Lenkwinkel des Anhängers an den Anhänger übertragen werden. Dies gilt auch in Bezug auf die Aussagekraft der in Zeile 42 auf Seite 4 der E1 beschriebenen Nothalte (emergency stops), wo wieder keine Auskunft zur Art der Steuerung des Anhängers im Falle eines Nothalts gegeben wird.

4.5 Der genaue Inhalt des am Mähdrescher verarbeiteten und am Anhänger empfangenen Signals M1 ist aus E1 für den Fachmann folglich nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, vor allem nicht, ob bereits in der Steuereinheit 31 des Mähdreschers Steuersignale für die Fahrparameter des Anhängers zur drahtlosen Übertragung an den Anhänger generiert werden.

4.6 Die Kammer teilt vielmehr die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die Erzeugung der eigentlichen Steuersignale für die Fahrgeschwindigkeit bzw. den Lenkwinkel des Anhängers nach Figur 3 der E1 erst mittels einer Steuereinheit (control means 47) am nachfolgenden Anhänger erfolgt, wobei hierfür erstens die drahtlos übertragenen Signale M1 in Bezug auf Geschwindigkeit und Lenkwinkel des Mähdreschers aus der Steuereinheit 31 des Mähdreschers nachverarbeitet werden. Darüber hinaus muss zweitens im Ausführungsbeispiel nach Figur 3 der E1 stets das Signal M2 zur Abstandsbestimmung in Verbindung mit dem Signal M1 in der Steuereinheit 47 prozessiert werden, um dem Anhänger zu ermöglichen, dass er in einem vorgegebenen Abstand hinter dem Mähdrescher folgt, vgl. E1, Seite 4, Zeilen 4 bis 42 und Blockschaltbild in Figur 3.

4.7 Erst dann werden, basierend auf der Nachverarbeitung der beiden Signale M1 und M2 in der Steuereinheit 47 Steuersignale, z.B. für die Stellvorrichtungen der Fahrgeschwindigkeit (drive circuit 48) oder den Lenkwinkel (drive circuit 50 for the steering mechanism) des Anhängers, erzeugt. Siehe E1, Seite 4, Zeilen 36 bis 42 und Blockschaltbild in Figur 3.

4.8 Mit anderen Worten ermittelt die Steuereinheit 31 der E1 auf dem Mähdrescher zwar Signale M1 zur Frage "was der Mähdrescher selbst macht", z.B. ständige Informationen zu Geschwindigkeit und Lenkwinkel des Mähdreschers. Im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdeführerin ermittelt die Steuereinheit 31 hingegen aber kein Signal zur Frage, "was der Anhänger machen soll", insbesondere in Form der Erzeugung eines Steuersignals zur direkten (und drahtlosen) Steuerung des Anhängers, wie in Anspruch 1 gefordert.

4.9 Und schließlich fahren, im Übrigen unbestritten, Mähdrescher und Anhänger stets hintereinander: siehe E1, Seite 3, Zeilen 45 bis 49; Seite 4, Zeilen 40 bis 42; und die Figuren 1 und 2. Da E1 im Kontext nirgends eine Vorrichtung ausschließlich zur Steuerung der Fahrgeschwindigkeit des Anhängers offenbart, sondern immer in Verbindung mit der Steuerung seines Lenkwinkels, muss E1 auf die "und" Variante der "und/oder" Varianten des Anspruchs 1 gelesen werden.

Somit kann die Steuerung des Lenkwinkels des Anhängers in E1 aus der Sicht des Fachmanns auch deshalb nicht mit dem aktuellen Lenkwinkel des Mähdreschers erfolgen, weil eine solche Steuerung anstatt Hintereinanderfahren ein Nebeneinanderfahren voraussetzen würde, vgl. Punkt 4.2 dieser Entscheidung.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist eine wie immer geartete automatische Zeitverzögerung des Lenkwinkels des Anhängers (z.B. elektrisch od. hydraulisch), um den in E1 nachlaufenden Anhänger angeblich mit aktuellem Lenkwinkel des Mähdreschers trotzdem bei Kurvenfahrt in der Spur zu halten, für den Fachmann in keiner Weise aus E1 ableitbar.

4.10 Aus den vorstehenden Gründen folgt, dass sich die Vorrichtung des Anspruchs 1 von der Offenbarung des Ausführungsbeispiels nach Figur 3 der E1 dadurch unterscheidet, dass die Erntemaschine mindestens eine Steuereinheit zur Erzeugung von Steuersignalen für die Fahrgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel des Transportfahrzeugs aufweist, und jeweils die aktuelle Fahrgeschwindigkeit und/oder der aktuelle Lenkwinkel der Erntemaschine von der Steuereinheit als Steuersignal für die Fahrgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel des Transportfahrzeuges verwendet wird.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des neuen Hauptantrags ist daher neu gegenüber E1.

4.11 Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 wird in Übereinstimmung mit den Parteien das Ausführungsbeispiel nach Figur 3 der E1 als nächstliegender Stand der Technik angesehen.

Durch die gegenüber E1 unterscheidenden Merkmale der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 wird dem Fahrer der Erntemaschine die Möglichkeit gegeben, auf die Fahrgeschwindigkeit und gegebenenfalls auch auf die Fahrrichtung des Transportfahrzeuges ferngesteuert einzuwirken, vgl. Patent, Abs. 0009.

4.12 Die Kammer folgt der Ansicht der Parteien, dass die diesen unterscheidenden Merkmalen zugrunde liegende Aufgabe darin gesehen werden kann, eine verbesserte Vorrichtung zur Optimierung des Überladens von Erntegut zu schaffen, die unabhängig vom Fahrer des Transportfahrzeugs ist, vgl. Patent, Abs. 0008.

4.13 Wie von der Beschwerdeführerin erörtert, findet zwar das Abstandssignal M2 in der Zusammenfassung der E1 keine Erwähnung, und wird auch auf Seite 2 der E1, Zeile 31, bzw. auf Seite 1 der E1 in Anspruch 2 nicht in Zusammenhang mit dem vom Mähdrescher an den Anhänger übertragenen Signal M1 beschrieben.

4.14 Als Ausgangspunkt für den "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit werden von der Beschwerdeführerin nicht allgemeine Teile der Zusammenfassung oder Beschreibung herangezogen, sondern ein ganz konkretes Ausführungsbeispiel, nämlich das nach Figur 3 der E1 gewählt. Vgl. Punkt 4.11 dieser Entscheidung.

Der Fachmann hat aber, ausgehend vom in Figur 3 gelehrten zentralen Konzept der Mischung zweier Signale M1 und M2, zunächst keinerlei Anlass zur Erzeugung der Steuersignale für den Anhänger bei einer Optimierung des Überladens von Erntegut, die unabhängig vom Fahrer des Anhängers ist, von der vorteilhaften Nachbearbeitung beider Signale M1 und M2 in der Steuereinheit 47 abzuweichen und vielleicht eine Steuerung ohne Abstandssignal M2 in Erwägung zu ziehen. Auch die in Zeile 42 auf Seite 4 der E1 beschriebenen Nothalte (emergency stops) können den Fachmann in keiner Weise dazu anleiten, etwa auf das Abstandssignal M2 zu verzichten, vgl. Punkt 4.4 dieser Entscheidung zur Neuheit.

4.15 Insbesondere würde der Fachmann letztlich von einer direkten Steuerung des Anhängers unter Verwendung des aktuellen Lenkwinkels des Mähdreschers absehen, da E1 durchgehend ein Hintereinanderfahren von Mähdrescher und Anhänger suggeriert, vgl. Punkt 4.9 zur Neuheit.

4.16 Ausgehend von E1 erhält der Fachmann zur Lösung der oben unter Punkt 4.12 gestellten Aufgabe daher weder aus E1 noch aufgrund seines Fachwissens Anregungen, das Ausführungsbeispiel nach Figur 3 der E1 so zu modifizieren, dass er zu einer drahtlosen Übertragung von Steuersignalen für die Fahrparameter Geschwindigkeit und Lenkwinkel des Anhängers vom Mähdrescher zum Anhänger gelangen würde, ganz zu schweigen unter Verwendung der aktuellen Fahrgeschwindigkeit bzw. des aktuellen Lenkwinkels des Mähdreschers als Steuersignale für die Fernsteuerung des Anhängers.

Daher ist der Gegenstand des Anspruch 1 des neuen Hauptantrags im Lichte der E1 für den Fachmann nach Auffassung der Kammer in keinem Fall ohne rückschauende Betrachtungsweise nahe gelegt.

4.17 Dokument E4 wurde in Bezug auf Anspruch 1 des neuen Hauptantrags seitens der Beschwerdeführerin für die Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit als nicht relevant erachtet, und auch die Kammer schließt sich dieser Auffassung an.

4.18 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des neuen Hauptantrags ist daher neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Verfahren nach Anspruch 8 umfasst die Verwendung einer Vorrichtung nach Anspruch 1, und ist somit ebenfalls gewährbar.

5. Die unabhängigen Ansprüche nach dem Hauptantrag erfüllen daher alle Erfordernisse des EPÜ. Da die Patentbeschreibung in Übereinstimmung mit den Parteien an den neuen Hauptantrag entsprechend angepasst wurde, stellt die Kammer abschließend fest, dass unter Berücksichtigung der mit dem Hauptantrag vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Somit kann das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten werden, Artikel 101(3)a) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Beschreibung: Seiten 2-7 der Patentschrift wie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht

Ansprüche: 1-11 des neuen Hauptantrags wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer

Zeichnungen: Figuren 1 bis 3 der Patentschrift wie erteilt

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