T 2469/16 () of 21.10.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T246916.20211021
Datum der Entscheidung: 21 October 2021
Aktenzeichen: T 2469/16
Anmeldenummer: 05013641.5
IPC-Klasse: G07C 9/00
E05B 47/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Modularer elektromechanischer Schliesszylinder
Name des Anmelders: ASSA ABLOY AB
Name des Einsprechenden: dormakaba Schweiz AG
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichter Einwand - wäre bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen (ja)
Spät eingereichter Einwand - zugelassen (nein)
In der mündlichen Verhandlung eingereichter Einwand - außergewöhnliche Umstände (nein) - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1002/92
T 0597/07
T 0607/10
T 2201/10
T 1756/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 739 631 zu widerrufen.

Der Einspruch war gegen das Patent im gesamten Umfang gerichtet und darauf gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ 1973).

II. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin / Patentinhaberin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

- als Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, also die Zurückweisung des Einspruchs, oder

- hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form in der Fassung einer der Hilfsanträge 1, 1.1, 2, 3, 3.1 oder 4, die Hilfsanträge 1.1 und 3.1 eingereicht mit Schreiben vom 27. Juli 2017 und die weiteren Hilfsanträge eingereicht mit der Beschwerdebegründung.

III. Die Beschwerdegegnerin / Einsprechende beantragte am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Es wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D7: DE 198 24 713 A1

D8: US 2002/0184932 A1

D10: US 6 374 653 B1

D14: US 5 712 626 A

D16: EP 0 976 896 A2

D18: EP 0 978 611 B1

D21: US 6 588 243 B1

V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (die Merkmalsnummerierungen "A" bis "I" wurden von der Kammer in Anlehnung an die angefochtene Entscheidung hinzugefügt):

A Schliesszylinder mit einem Schliesszylindergehäuse,

B in dem einseitig oder beidseitig eine mittels eines Knaufs (25, 26) drehbare Knaufwelle (14) drehbar gelagert ist, und

C mit wenigstens einem elektromechanisch arbeitenden Kupplungsmittel (16), das aufgrund eines Berechtigungssignals ein Schliesselement drehfest mit der Knaufwelle (14) verbindet oder die Knaufwelle (14) freigibt, um ein Schloss zu betätigen,

D welches Berechtigungssignal durch eine Auswerteelektronik (17) aufgrund eines Eingabesignals erzeugt wird, dadurch gekennzeichnet,

E dass wenigstens eine Leseeinheit (27, 29) mit einer Empfangseinheit zum Empfangen des Eingabesignals vorhanden ist,

F dass die Leseeinheit (27, 29) mit der Empfangseinheit in wenigstens einem Knauf (25, 26) angeordnet ist,

G der elektrisch und mechanisch lösbar mit der Knaufwelle (14) verbunden ist,

H dass die Leseeinheit (27, 29) aus dem Eingabesignal ein von der Auswerteelektronik (17) auswertbares Zugangsignal erzeugt,

I dass die Auswerteelektronik (17) in der Knaufwelle (14) und räumlich getrennt von der Leseeinheit (27, 29) und der Empfangseinheit angeordnet ist.

VI. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin zu den Verfahrensfragen (siehe unten Punkt 3. mit Unterpunkten) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung neu vorgetragene Einwand mangelnder Neuheit gegenüber dem Dokument D16 sei nicht zuzulassen, da er verspätet sei. Gemäß T 1002/92 seien verspätet eingereichte Tatsachen, Beweismittel und damit zusammenhängende Argumente, die über die "Angabe der Tatsachen, Beweismittel und Argumente", die in der Einspruchsschrift zur Stützung der Einspruchsgründe vorgelegt wurden, hinausgingen, nur ausnahmsweise in das Verfahren zuzulassen. In der Sache sei das Dokument D16 prima facie betrachtet nicht neuheitsschädlich, da keine in der Knaufwelle angeordnete Auswerteelektronik gezeigt sei.

Das Dokument D21 solle, wie von der Einspruchsabteilung entschieden, nicht in das Verfahren zugelassen werden, da es, obgleich durch Einwendungen Dritter vorgelegt, gemäß ständiger Rechtsprechung (siehe T 1756/11, Entscheidungsgründe Punkt 2 mit Unterpunkten) als verspätet zu behandeln sei. Überdies sei es sehr komplex und prima facie betrachtet nicht neuheitsschädlich, da die Auswerteelektronik nicht in der Knaufwelle angeordnet sei.

Der neue Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit basierend auf der Kombination der Dokumente D8 und D16, welcher erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgelegt wurde, sei nicht in das Verfahren zuzulassen, da keine stichhaltigen Gründe für außergewöhnliche Umstände erkennbar seien. Außerdem sei sie, die Beschwerdeführerin, nicht auf diesen neuen Einwand vorbereitet, insbesondere da das Dokument D16 inhaltlich nicht im Detail im Verfahren diskutiert worden sei.

VII. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin zur Patentfähigkeit des Hauptantrags lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Dokument D8 sei gegenüber dem im Streitpatent beanspruchten Gegenstand nicht neuheitsschädlich. D8 zeige keinen Türknauf, sondern einen Schlüssel. Der Ausdruck "Knauf" müsse gemäß seiner gängigen Bedeutung auf dem Fachgebiet von Schließanlagen ausgelegt werden. Hieraus ergebe es sich, dass ein Schlüssel nicht mit einem Knauf gleichgestellt oder verwechselt werden dürfe, denn der Schlüssel trage einen Teil des Schlüsselgeheimnisses. Somit sei es nicht zulässig, die Merkmale des in Dokument D8 gezeigten Schlüssels auf die in Anspruch 1 des Streitpatents definierten Merkmale des Knaufs zu lesen. Das Dokument D8 zeige folglich nicht die Merkmale B, C, E, G und H.

Dem Dokument D14 könne nicht entnommen werden, dass der Außenknauf, in welchem die Leseeinheit angeordnet sei, lösbar sei, insbesondere da in Spalte 8, Zeilen 5 bis 10 des Dokuments D14 angeführt werde, dass der Außenknauf nicht lösbar sei. Merkmal G fehle folglich. Auch fehle das Merkmal I, da die Auswerteeinheit nicht in der Knaufwelle angeordnet, sondern nur zur Knaufwelle benachbart sei.

Das Dokument D7 zeige nicht die Merkmale F, G und I.

Eine im Knauf angeordnete Lese- und Empfangseinheit sei im Dokument D7 nicht gezeigt, die Lese- und Empfangseinheit gehörten nicht zum Knauf, da sie in dem stationären Innengehäuse angeordnet seien, welches sich nicht mit der Knaufwelle mitdrehe. Da aber Merkmal B definiere, dass der Knauf sich mit der Knaufwelle drehe, müsse dies auch für den in Merkmal F definierten Knauf und die daran geknüpften Merkmale gelten. Da die elektrischen Kontakte ebenfalls nur sich nicht mitdrehende Bauteile verbänden, sei auch das Merkmal G nicht in Dokument D7 offenbart. Schließlich sei auch die Elektronik nicht in der Knaufwelle angebracht.

Ausgehend von Dokument D7 und den darin fehlenden Merkmalen F, G und I, sei das objektive technische Problem darin zu sehen, den in Dokument D7 gezeigten Schließzylinder derart umzugestalten, dass eine flexiblere Herstellung und Verwendung ermöglicht werde. Dies werde durch den modularen Aufbau des im Streitpatent genannten Schließzylinders erreicht, was jedoch weder in einem der beiden Dokumente D7 oder D8 gezeigt, noch durch eines dieser Dokumente nahegelegt sei.

Auch die Kombination der Lehren der Dokumente D7 und D10 könne den im Patent definierten Anspruchsgegenstand nicht nahelegen. Bereits das Merkmal I sei in keinem der beiden Dokumente offenbart oder durch keines dieser Dokumente nahegelegt. Das Dokument D10 offenbare lediglich, dass eine Elektronik in einem Zylindermantel angeordnet werden könne. Das Dokument D10 zeige aber nicht, die Auswerteelektronik im Schaft bzw. in der Welle des Schließzylinders anzuordnen.

VIII. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin zu den Verfahrensfragen (siehe unten Punkt 3. mit Unterpunkten) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Dokument D16 sei innerhalb der Einspruchsfrist eingereicht worden und im Wesentlichen inhaltsgleich zu Dokument D18. Somit seien die Einwendungen Dritter, welche die Neuheit gegenüber dem Dokument D18 geltend machten, keine neuen Tatsachen oder Beweismittel, sondern lediglich eine neue Argumentation. Somit müsse das Dokument D16 berücksichtigt werden. Es sei neuheitsschädlich auf den in Anspruch 1 des im Streitpatent definierten Gegenstands zu lesen.

Das Dokument D21 sei in der mündlichen Verhandlung nur summarisch berücksichtigt worden. Die prima facie-Relevanz sei falsch beurteilt worden, da die Welle nicht mit dem Referenzzeichen 502 assoziiert werden dürfe. Auf Grund der Komplexität des Dokuments D21 wiederholte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen den Vortrag der Einwendungen Dritter.

Die Zulassung des neuen Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit basierend auf der Kombination der Dokumente D8 und D16 sei durch die Verkündung der Auffassung der Kammer, dass das Dokument D8 nicht neuheitsschädlich sei, bedingt. Hätte die Beschwerdegegnerin bereits zuvor eine mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D8 geltend gemacht, hätte sie ihrem eigenen Vortag, dass Dokument D8 neuheitsschädlich sei, widersprechen müssen. Da beide Dokumente, D8 und D16, seit Beginn des Einspruchsverfahrens im Verfahren gewesen seien, und auch inhaltlich behandelt worden seien, sollte es für die am Verfahren Beteiligten keinen Mehraufwand darstellen, diese Argumentation zu beurteilen. In diesem Zusammenhang führte die Beschwerdegegnerin die Entscheidungen T 0597/07 und T 0607/10 an, gemäß welcher dieser neue Einwand zuzulassen sei.

IX. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin zur Patentfähigkeit des Hauptantrags lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Dokument D8 nehme die Neuheit des in Anspruch 1 des Patents definierten Gegenstands vorweg, da ein Knauf im breitesten Sinn als "runder Griff" zu verstehen sei. Da alle in Anspruch 1 definierten Merkmale von der in Dokument D8 gezeigten Anordnung bestehend aus Schließzylinder und Schlüssel offenbart seien, insbesondere der in Dokument D8 gezeigte Schlüssel alle dem Knauf zugeordneten Merkmale aufweise, sei das Dokument D8 neuheitsschädlich.

Auch das Dokument D14 zeige alle in Anspruch 1 des Patents definierten Merkmale. Insbesondere kommuniziere die im Außenknauf angeordnete Leseeinheit mit der Elektronik (D14: 500), sodass eine elektrische Verbindung zwischen diesen Einheiten in der Knaufwelle vorliegen müsse. Ebenso sei die Elektronik in den Ringen (D14: 27a und 27b) angeordnet, wobei die Ringe, da sie fest auf der Knaufwelle angebracht seien, ein fester Bestandteil der Knaufwelle seien, sodass die Elektronik in (einem Teil) der Knaufwelle angeordnet sei. Auch seien sowohl der Innen- als auch der Außenknauf von der Knaufwelle lösbar. Der Außenknauf könne nur bei geschlossener Türe nicht von der Knaufwelle gelöst werden, bei offener Türe sei dies problemlos möglich.

Das Dokument D7 offenbare alle in Anspruch 1 definierten Merkmale außer dem Merkmal I. Insbesondere seien die Merkmale F und G im Dokument D7 offenbart. Die Leseeinheit mit der Empfangseinheit sei im Knauf angeordnet, welcher mechanisch mit Schraubenmuttern befestigt und somit lösbar sei. Das Innengehäuse des Knaufs zeige gemäß dem zweiten Ausführungsbeispiel eine lösbare elektrische Verbindung in Form von Schleifkontakten mit der Welle. Da somit lediglich das Merkmal I in Dokument D7 fehle, stelle sich dem Fachmann das technische Problem eine alternative Anordnung bereitzustellen. Hierbei sei zu beachten, dass bereits das Dokument D7 den Hinweis gebe, dass die Anordnung der einzelnen elektronischen Bauteile grundsätzlich beliebig sein könne (D7: Spalte 4, Zeilen 25 bis 37). Aus Dokument D8 bekomme der Fachmann den Hinweis, dass die Auswerteelektronik in der Welle angeordnet werden könne. Dies biete den Vorteil, dass insbesondere bei Doppelknäufen die Auswerteelektronik so entfernt wie möglich von den in den Knäufen angeordneten Leseeinheiten angeordnet sei. Somit sei der in Anspruch 1 des Patents definierte Gegenstand ausgehend von Dokument D7 in Kombination mit Dokument D8 nahegelegt und weise keine erfinderische Tätigkeit auf.

Da das Dokument D10, welches ebenfalls von einem elektromechanischen Schließzylinder handle, die Anordnung der Auswerteelektronik in der Knaufwelle zeige, sei die gleiche Argumentation wie zur Kombination der Dokumente D7 und D8 auch für die Kombination der Dokumente D7 und D10 zutreffend. Somit sei der in Anspruch 1 definierte Gegenstand des Patents auch ausgehend von Dokument D7 kombiniert mit Dokument D10 nahegelegt und weise folglich keine erfinderische Tätigkeit auf.

Entscheidungsgründe

1. Das Streitpatent

Das Streitpatent betrifft einen elektromechanischen Schließzylinder, in welchem eine mit einem Knauf verbundene, drehbar gelagerte Welle angeordnet ist. Der Knauf, in welchem eine Lese- und Empfangseinheit zum Empfang eines Eingabesignals (Zugangssignals) angeordnet ist, ist elektrisch und mechanisch von der Knaufwelle lösbar. Das von der Leseeinheit empfangene Eingabesignal wird in der Auswerteelektronik in ein auswertbares Zugangssignal umgewandelt, um hierauf basierend einen Zugang zu erteilen oder nicht zu erteilen. Diese Auswerteelektronik ist in der Knaufwelle und somit räumlich getrennt von der Lese- und der Empfangseinheit angeordnet. Die spezielle elektrische und mechanische Lösbarkeit des Knaufs in Kombination mit der Anordnung der Auswerteeinrichtung in der Knaufwelle erlaubt eine einfache, modulare Verwendung unterschiedlicher Knäufe mit ein und derselben Schließzylinderwelle. Auf die drehbare Knaufwelle (= Schließzylinderwelle) mit integrierter Auswerteeinheit können je nach Bedarf unterschiedliche Knäufe, welche auf unterschiedliche Art und Weise die Zugangsberechtigung abfragen (Schließkarte, Code-Eingabe, biometrischer Sensor etc.), aufgesetzt werden.

2. Auslegung des Anspruchswortlauts

2.1 Die Kammer versteht den technischen Wortsinn des Anspruchswortlauts im Lichte der gesamten Offenbarung des Patents in Bezug auf den Knauf und die Lösbarkeit des Knaufs von der Knaufwelle wie folgt:

2.1.1 Unter einem Türknauf versteht man im herkömmlichen Sprachgebrauch entweder einen Drehknauf, welcher anstelle einer Türklinke mit dem Schließzylinder fest verbunden ist, oder einen feststehenden Knauf, welcher gewöhnlich auf der Außenseite von Haus- oder Wohnungseingangstüren fest angebracht ist. Schließzylinder ihrerseits können entweder mit Knauf oder ohne Knauf ausgestaltet sein. Schließzylinder mit Knauf liegen beispielsweise bei Türen vor, welche mit an den Knauf angelegten Code-Karten geöffnet werden können (siehe auch Streitpatentschrift, Absatz [0010]). Im herkömmlichen Sprachgebrauch wird ein Knauf fest mit der Türe bzw. dem Schloss oder dem Schließzylinder assoziiert. So ist auch der im Patent genannte Knauf Teil des Schließzylinders und erfordert zum Schließen bzw. zum Öffnen des Schlosses eine Interaktion mit einem weiteren Gegenstand, nämlich einem externen Schlüssel. Schließzylinder und dazugehörige Knäufe einerseits und Schlüssel andererseits sind folglich zueinander komplementär.

2.1.2 Das Merkmal G ("der [Knauf ist] elektrisch und mechanisch lösbar mit der Knaufwelle verbunden") wird von der Kammer im Sinne eines "Lösens des Knaufs von der Knaufwelle ohne größeren Aufwand" interpretiert. Eine komplette Demontage der Anlage in ihre Einzelteile, welche ein elektrisches und mechanisches Lösen des Knaufs mitbeinhaltet, kann hier nicht gemeint sein. Dann wäre nämlich der Zweck des Merkmals, die einfache Austauschbarkeit verschiedener Knäufe zu ermöglichen, nicht erfüllt.

3. Verfahrensfragen

3.1 Zulassung des Einwands fehlender Neuheit gegenüber Dokument D16 (Artikel 12 (4) VOBK 2007)

3.1.1 Die Beschwerdegegnerin trug den Einwand mangelnder Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber Dokument D16 erstmalig in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung vor. Sie macht hinsichtlich der Zulassung dieses Einwands geltend, dass D16 "bis auf Unterschiede im Anspruchsgegenstand fast inhaltsgleich" mit Dokument D18 sei, welches im Rahmen von Einwendungen Dritter eingeführt worden sei. D16 sei während der Einspruchsfrist und daher unzweifelhaft rechtzeitig eingereicht worden. In Bezug auf D16 brächten die Einwendungen Dritter also nicht neue Tatsachen und Beweismittel vor, sondern nur eine neue Argumentation. Eine solche wäre auch nicht verspätet gewesen, wenn sie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht worden wäre.

3.1.2 Die Beschwerdeführerin beantragte diesen Einwand als verspätet nicht in das Verfahren zuzulassen. Er hätte früher vorgetragen werden müssen und das Dokument D16 sei auch prima facie untauglich, die Neuheit des in Anspruch 1 definierten Gegenstands in Frage zu stellen.

3.1.3 Gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 (vorliegend anwendbar gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020) kann die Kammer Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.

3.1.4 Das Dokument D16 wurde von der Beschwerdegegnerin mit der Einspruchsschrift vorgelegt, ohne hiermit einen Einwand mangelnder Neuheit zu führen. Lediglich im Rahmen eines Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands der Ansprüche 3 und 4 des Patents wurde vorgebracht, dass das Dokument D16 in Absatz [0064] die Fingerabdruckerkennung als offensichtlich auf der Hand liegende Alternative zur Übermittlung eines Berechtigungscodes diskutiere (siehe Einspruchsschrift, Seite 9, dritter Absatz).

Die Einwendungen Dritter im Einspruchsverfahren brachten unter anderem einen Einwand mangelnder Neuheit gegenüber Dokument D18 vor, wobei die Beschreibung des Dokuments D18 im Wesentlichen inhaltsgleich zu Dokument D16 ist. Die Einspruchsabteilung hat das Dokument D18 als verspätet nicht in das Verfahren zugelassen, da es keine Auswerteelektronik in der Knaufwelle offenbare, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents wie erteilt neu gegenüber D18 sei; somit sei D18 nicht relevanter als die bereits im Verfahren befindlichen Dokumente.

3.1.5 Die Kammer stimmt der Argumentation der Beschwerdegegnerin nicht zu. Letztere hat im erstinstanzlichen Verfahren unstreitig Dokument D16 lediglich als Kombinationsdokument im Zusammenhang mit einem Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands der abhängigen Ansprüche 3 und 4 des Patents eingeführt, jedoch zu keinem Zeitpunkt während des Einspruchsverfahrens Tatsachen hinsichtlich einer Neuheitsschädlichkeit dieser Entgegenhaltung vorgebracht. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Beschwerdegegnerin den erst in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung vorgetragenen Einwand mangelnder Neuheit gegenüber D16 nicht schon im Einspruchsverfahren hätte vorbringen können.

Es ist auch nicht zutreffend, dass der Vortrag in der Einwendung Dritter zu D18 (unterstellt man, dass der Vortrag zu D18 spiegelbildlich auf D16 übertragen werden kann, und vernachlässigt man ferner den Umstand, dass die Einspruchsabteilung D18 nicht ins Einspruchsverfahren zugelassen hat) in Bezug auf D16 lediglich eine neue Argumentation und nicht einen neuen Tatsachenvortrag darstellt und damit auch nicht verspätet gewesen wäre, wenn sie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht worden wäre: Zum Nachweis der Neuheitsschädlichkeit hat die Dritte in ihrer Einwendung über viereinhalb Seiten für jedes Merkmal des Anspruchs 1 des Patents wie erteilt vorgetragen, an welcher Stelle es in D18 offenbart sei (vgl. Einwendung vom 26. April 2016, Punkt 2.1). Dies stellt zweifelsohne einen neuen Sachvortrag gegenüber dem Vortrag der Beschwerdegegnerin in der Einspruchsschrift zu D16 dar, welcher sich nur auf die in den abhängigen Ansprüchen 3 und 4 beanspruchten zusätzlichen Merkmale eines biometrischen Sensors bzw. eines Tastschalters bezog. Der bloße Umstand, dass D16 in der Einspruchsschrift aufgeführt wurde, kann nicht ausreichen, um jeglichen späteren Vortrag im Einspruchsverfahren stets als bloße Argumentation und damit als nicht verspätet zu qualifizieren.

3.1.6 Die Kammer sieht auch keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 den Einwand mangelnder Neuheit gegenüber D16 in das Verfahren zuzulassen, weil dieses Dokument prima facie neuheitsschädlich wäre. Vielmehr stimmt sie - auf Grundlage der im Wesentlichen übereinstimmenden Offenbarungen in den Dokumenten D16 und D18 - der Einschätzung der Einspruchsabteilung zu, dass D18 und somit auch D16 keine in der Knaufwelle angeordnete Auswerteeinheit zeigt.

3.1.7 Im Ergebnis kommt die Kammer daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu dem Schluss, dass der erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgetragene Einwand mangelnder Neuheit gegenüber dem Dokument D16 nicht in das Verfahren zuzulassen ist, da er bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgebracht werden können und prima facie auch nicht relevant ist.

3.2 Überprüfung der Ermessenentscheidung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Nichtzulassung des Dokuments D21 in das Verfahren (Artikel 12 (4) VOBK 2007)

3.2.1 Das Dokument D21 wurde von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen. Die Beschwerdegegnerin hat dessen Zulassung in das Verfahren in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung erneut beantragt, weil D21 klar neuheitsschädlich sei und daher die Einschätzung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der prima facie-Relevanz von D21 nicht korrekt gewesen sei.

3.2.2 Die Beschwerdeführerin hat beantragt, das Dokument D21, welches im Einspruchsverfahren durch Einwendungen Dritter im fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens eingereicht wurde, als verspätet eingereicht zu betrachten. Es sei prima facie auch nicht relevanter als bereits im Verfahren befindliche Dokumente und dürfe folglich nicht in das Verfahren zugelassen werden.

3.2.3 Gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 kann die Kammer Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zulassen, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind.

3.2.4 Die Einspruchsabteilung hat in Ausübung ihres Ermessens das Dokument D21 nicht in das Verfahren zugelassen. Hierbei hat sie ihr Ermessen nicht willkürlich angewandt, sondern hat die Nichtzulassung des Dokuments D21 in Anwendung der richtigen Kriterien ausreichend begründet (Zeitpunkt des Vorbringens, prima facie-Relevanz). Sie kam zu der Entscheidung, dass das Dokument D21 prima facie nicht relevanter als bereits im Verfahren befindliche Dokumente sei.

3.2.5 Die Kammer kann keinen überzeugenden Grund finden, weswegen die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Auch wurde von der Beschwerdegegnerin die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung an sich nicht bemängelt, sondern lediglich die inhaltliche Beurteilung des Dokuments D21. Die Kammer erkennt folglich keinen Grund, die Ermessenentscheidung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Zulassung des Dokuments D21 aufzuheben.

3.2.6 Für die Kammer besteht auch kein Grund, in Ausübung ihres eigenen Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 das Dokument D21 in das Verfahren zuzulassen.

Die Kammer ist der Auffassung, dass das Dokument D21 prima facie nicht relevanter als bereits in das Verfahren zugelassene Dokumente ist. Das Dokument D21 nennt in Spalte 11, Zeilen 39 bis 47, dass die in Figur 11E gezeigte Drehachse 502 Teil des Schlüssels sei. Selbst wenn man die gesamte in Figur 11E oben links gezeigte Einheit mit der Tastatur 520 und der Spindel 502 als Knauf mit Welle betrachten würde, wäre die Welle nicht von dem Knauf lösbar. Somit kann selbst bei breiter Auslegung entgegen dem Wortlaut des Dokuments D21, dieses prima facie die Neuheit des streitigen Anspruchsgegenstands nicht vorwegnehmen.

3.2.7 Das Dokument D21 wird folglich auch im Beschwerdeverfahren nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 12 (4) VOBK 2007).

3.3 Zulassung des Einwands fehlender erfinderischer Tätigkeit basierend auf der Kombination der Dokumente D8 und D16 (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

3.3.1 Die Beschwerdegegnerin beantragte gegen Ende der mündlichen Verhandlung, einen weiteren, neuen Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit basierend auf der Kombination der Dokumente D8 und D16 vorzubringen.

3.3.2 Die Beschwerdeführerin beantragte, diesen neuen Vortrag, da verspätet und komplex, nicht in das Verfahren zuzulassen.

3.3.3 Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdegegnerin im vorliegenden Fall mit Schreiben vom 14. Mai 2020, mithin nach Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, zugestellt, sodass Artikel 13 (2) VOBK 2020 anwendbar ist (vgl. Artikel 25 (3) VOBK 2020).

3.3.4 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, die betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.3.5 Die Beschwerdegegnerin trug hierzu im Wesentlichen vor, dass sie das Dokument D8 bisher als neuheitsschädlich betrachtet habe, und somit bei einer Argumentation fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von Dokument D8 sich selbst hätte widersprechen müssen. Die beabsichtigte neue Argumentation sei ihr erst durch die Verkündung der Auffassung der Kammer in der mündlichen Verhandlung zur Neuheit des Anspruchsgegenstands gegenüber Dokument D8 möglich geworden. Auch seien die Inhalte der Dokumente D8 und D16 ausreichend bekannt, sodass der neue Einwand ohne größeren Mehraufwand geprüft werden könne.

3.3.6 Die Kammer stellt fest, dass der Gegenstand des Streitpatents gegenüber dem streitigen Gegenstand des Einspruchsverfahrens unverändert ist, er betrifft unverändert das Patent wie erteilt.

Die Dokumente D8 und D16 waren bereits beide im Einspruchsverfahren vorgelegt worden, wurden dort aber bei der Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit nicht in Kombination vorgetragen.

Dieser Einwand hätte folglich bereits im Einspruchsverfahren, spätestens jedoch in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung erfolgen können und müssen. Selbst in Reaktion auf den Ladungsbescheid der Kammer und in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdegegnerin diesen neuen Einwand nicht vorgebracht. Stichhaltige Gründe, warum dies nicht geschah, hat sie auch nicht dargelegt.

Die Kammer kann auch keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 erkennen.

Die Neuheit des Anspruchsgegenstands gegenüber Dokument D8 war bereits im Einspruchsverfahren diskutiert und von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung erneut vorgetragen worden. Auch hat die Kammer in ihrem Bescheid gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 auf die Möglichkeit hingewiesen, dass das Dokument D8 für nicht neuheitsschädlich angesehen werden könnte (s. Bescheid gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020, Punkt 3.2.3). Somit kann die Auffassung der Kammer, dass das Dokument D8 nicht neuheitsschädlich gegenüber dem in Anspruch 1 des Patents definierten Gegenstand sei, für die Beschwerdegegnerin nicht überraschend gewesen sein. Hierauf kann also kein außergewöhnlicher Umstand begründet werden.

3.3.7 Zu den von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Argumenten für eine Zulassung des geänderten Beschwerdevorbringens stellt die Kammer Folgendes fest:

Die Beschwerdegegnerin führte als stichhaltige Gründe an, dass sie das Dokument D8 bisher als neuheitsschädlich betrachtet habe, und somit bei einer Argumentation ausgehend vom Dokument D8 sich selbst hätte widersprechen müssen. Warum die Entscheidung der Neuheit gegenüber dem Dokument D8 nicht überraschend gewesen sein kann, wurde oben unter Punkt 3.3.6 dargelegt. Dies hätte die Beschwerdegegnerin folglich frühzeitig mitberücksichtigen müssen.

Dass entgegen der eigenen Meinung eines Verfahrensbeteiligten, hier entgegen der mangelnden Neuheit gegenüber dem Dokument D8, hypothetisch hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit ergänzend vorgetragen wird ("Selbst wenn vorliegend D8 nicht als neuheitsschädlich angesehen werden würde, ..."), ist im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren üblich und im Rahmen der Pflicht der Verfahrensbeteiligten, möglichst frühzeitig sämtliche Angriffs- oder Verteidigungslinien darzulegen, sogar geboten.

Die Auffassung, dass die Dokumente D8 und D16 ausreichend bekannt und diskutiert worden wären, und somit im Rahmen der gebotenen Verfahrensökonomie ohne größeren Zeitaufwand zu behandeln gewesen wären, teilt die Kammer nicht. Das Dokument D8 war im bisherigen Verfahren nicht als nächstkommender Stand der Technik herangezogen worden und das Dokument D16 war inhaltlich nicht eingehend diskutiert worden.

Die von der Beschwerdegegnerin zitierten Entscheidungen T 0597/07 und T 0607/10 betreffen keine vergleichbaren Verfahrenssituationen:

- T 0597/07 diskutiert, ob ein neuer Einspruchsgrund (fehlende erfinderische Tätigkeit) zu berücksichtigen sei, falls ein Dokument zwar nicht als neuheitsschädlich beurteilt werde, aber als nächstkommender Stand der Technik in Frage komme;

- T 0607/10 behandelt die Frage, ob die Umkehr einer Kombination zweier bereits zur erfinderischen Tätigkeit herangezogenen Dokumente einen neuen Einwand darstelle, was für den hier angeführten neuen Einwand auch nicht zutrifft.

Folglich trifft keine der beiden angeführten Entscheidungen auf die hier vorliegende Situation zu.

3.3.8 Die Kammer kommt folglich zu dem Schluss, dass die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Gründe nicht stichhaltig sind. Die Kammer erkennt keine "außergewöhnlichen Umstände", welche den verspäteten Vortrag zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von Dokument D8 in Kombination mit Dokument D16 rechtfertigen würden. Dieser neue Einwand wird folglich gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Verfahren zugelassen.

4. Hauptantrag - Neuheit

4.1 In der angefochtenen Entscheidung entschied die Einspruchsabteilung, dass der in Anspruch 1 des Patents definierte Gegenstand gegenüber dem Dokument D8 nicht neu sei (siehe Entscheidungsbegründung, Punkt 11.1 mit Unterpunkten).

4.2 Die Beschwerdegegnerin machte in der Beschwerdebegründung mangelnde Neuheit gegenüber dem Dokument D8 und D14 (neben den nicht in das Verfahren zugelassenen Einwänden basierend auf den Dokumenten D16 und D21; siehe oben Punkte 3.1 und 3.2 mit Unterpunkten) geltend.

4.3 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei der Gegenstand des Anspruchs 1 sowohl gegenüber dem Dokument D8 als auch dem Dokument D14 neu.

4.4 Neuheit gegenüber dem Dokument D8

4.4.1 Das Dokument D8 offenbart einen Schließzylinder (D8: 12), in welchen ein Schlüssel (D8: 18) eingeführt werden kann, welcher über eine drehbar gelagerte Welle, bei positiver Auswertung eines in dem Schlüssel einprogrammierten Signals, den Schließmechanismus aktiviert (D8: [0086]). Wie bereits oben unter Punkt 2.1.1 festgestellt wurde, betrachtet die Kammer einen Schlüssel als komplementär zum Schließzylinder mit Knauf. Da der in Dokument D8 gezeigte Schließzylinder exklusive dem Schlüssel keinen Knauf aufweist, zeigt das Dokument D8 nicht die Merkmale B, E, F und G. Somit ist die in Anspruch 1 definierte Vorrichtung neu gegenüber der in Dokument D8 gezeigten.

Der in Dokument D8 gezeigte Schlüssel mag die Aufgaben eines Knaufs hinsichtlich der Handlichkeit für die Öffnung der Türe erfüllen (D8: Figuren 1 bis 3). Auch mag es auf den ersten Blick möglich erscheinen, die Merkmale B, E, F und G auf den in Dokument D8 gezeigten Schlüssel zu lesen. Nach Ansicht der Kammer ist es aber nicht zulässig, Merkmale des in Dokument D8 gezeigten Schlüssels auf die im Anspruch 1 formulierte Definition des Knaufs zu lesen, ohne hierbei die technische Bedeutung des Knaufs mit zu berücksichtigen. Der in Dokument D8 gezeigte Schlüssel ist nicht dazu gedacht, wie ein Knauf, über längere Zeit am Schließzylinder zu verbleiben, sondern überbringt das Schlüsselgeheimnis. Er wird bei ordnungsgemäßer Verwendung nur zum Öffnen in den Schließzylinder eingeführt und danach wieder abgenommen, was für einen Knauf nicht zutreffend ist.

4.4.2 Zu den von der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Argumenten wird Folgendes angemerkt.

Die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin haben die im Anspruch definierten, technischen Merkmale B, E, F und G, welche unzweifelhaft im Anspruchswortlaut den Knauf näher definieren, im Stand der Technik dem Schlüssel zugeordnet. Hierbei blieb die technische Bedeutung des Knaufs als zum Schließzylinder gehörig unberücksichtigt. Auch wenn erfindungsgemäß der Knauf lösbar ist, gehört er zum Schließzylinder und stellt nicht den komplementären Schlüssel mit dem Schlüsselgeheimnis dar. Es ist folglich nach Meinung der Kammer nicht zulässig, den Schlüssel als Knauf zu betrachten.

Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern sollten breit gefasste Ansprüche so breit wie möglich ausgelegt werden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Aufl. 2019, Punkt I.C.4.8). Dennoch vertritt die Kammer die Meinung, dass jeder Begriff mit seiner allgemein üblichen technischen Bedeutung verstanden und ausgelegt werden muss, was einer breiten Auslegung nicht widerspricht. Hieraus ergibt sich, dass ein Schlüssel nicht als Knauf interpretiert werden sollte und umgekehrt. Das Gesagte gilt auch unter Zugrundelegung des sogenannten fotografischen Neuheitsbegriffs, wonach die beanspruchten Merkmale tatsächlich - explizit oder implizit - im Stand der Technik offenbart sein müssen, damit auf mangelnde Neuheit des Anspruchsgegenstands geschlossen werden kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Aufl. 2019, Punkt I.C.4.1, fünfter Absatz; T 2201/10, Gründe 4.1.2). Dieser Neuheitsbegriff schließt nach Meinung der Kammer aus, den Schlüssel dem Knauf gleichzusetzen. Für die Funktionalität des in Anspruch 1 definierten Schließzylinders inklusive Knauf ist zusätzlich zu dem Knauf ein Schlüssel nötig (siehe Patentschrift, Absatz [0014] und [0015]). Im Dokument D8 wäre dies, wenn man den Schlüssel als Teil des Schließzylinders ansehen würde, nicht der Fall. Alle in Anspruch 1 definierten, den Knauf betreffenden Merkmale (Merkmale B, E, F und G) sind folglich als Teile des zum Schließzylinder gehörenden Knaufs anzusehen und dürfen nicht aus dem Gesamtzusammenhang gerissen und einem komplementären Schlüssel zugeordnet werden.

4.4.3 Folglich weist der in Dokument D8 gezeigte Schließzylinder nicht die Merkmale B, E, F und G auf, sodass der in Anspruch 1 definierte Gegenstand gegenüber dem Dokument D8 neu ist (Artikel 52 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 (1) und (2) EPÜ 1973).

4.4.4 Die in den abhängigen Ansprüchen 2 bis 14 definierten Gegenstände sind auf Grund ihrer Abhängigkeit von Anspruch 1 ebenfalls neu gegenüber dem Dokument D8.

4.5 Neuheit gegenüber dem Dokument D14

4.5.1 Das Dokument D14 zeigt einen Schließzylinder (Titel), bei welchem eine Leseeinheit (D14: 510) im Außenknauf (D14: 30) des Schließzylinders angeordnet ist. Ob und wie diese Leseeinheit mit der Auswerteeinheit (D14: 500) und der Batterie (D14: 28) verbunden ist, bleibt offen. Es ist anzunehmen, dass eine elektrische Verbindung vorgesehen sein muss; ob dies aber in Form einer Leitung oder zumindest in Bezug auf die Leseeinheit drahtlos erfolgt, ist nicht gezeigt. Überdies ist dieser Knauf nur bei einer Demontage des Schließzylinders in seine Einzelteile, so wie diese Einzelteile in der Figur 2 abgebildet sind, von der Knaufwelle mechanisch und elektrisch lösbar. Eine Lösbarkeit des Außenknaufs "ohne größeren Aufwand", so wie das Merkmal G im Gesamtzusammenhang der Patenschrift verstanden werden muss (siehe Punkt 2.1.2 oben), ist somit in Dokument D14 nicht offenbart.

Ebenfalls ist nicht offenbart, dass die Auswerteelektronik in der Knaufwelle angeordnet ist (Teil des Merkmals I). Die Knaufwelle ist in Dokument D14 durch die Referenzzeichen 30b und 26 dargestellt. Die drehfest mit der türinnenseitigen Knaufwelle 26 verbundenen Montagerohre 27a und 27b, welche die Auswerteeinheit 500 aufnehmen, sind auf der Knaufwelle angeordnet und nicht in der Knaufwelle. Nach Meinung der Kammer dürfen nicht beliebig alle drehfest mit der Knaufwelle verbundenen Bauteile als Teil der Knaufwelle angesehen werden. Beispielsweise ist ein drehfest mit einer Schließzylinderwelle verbundener Türgriff ein "Türgriff" und wird nicht auf Grund seiner drehfesten Verbindung mit der Welle zu einem Bestandteil der Welle. Die Auswerteeinheit ist folglich in Dokument D14 entgegen dem Anspruchswortlaut in den Montagerohren auf der Welle angebracht.

4.5.2 Zu den von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Argumenten wird Folgendes angemerkt.

Es mag zutreffend sein, dass eine Demontage in Einzelteile des in Dokument D14 gezeigten Schließzylinders derart möglich ist, dass die Einzelteile in gleicher Weise auch wieder zu dem gleichen Schließzylinder zusammengesetzt werden können. Da die Kammer aber das Merkmal G "elektrisch und mechanisch lösbar" auf Grund des Gesamtkontexts des Streitpatents im Sinne von "Lösen des Knaufs von der Knaufwelle ohne größeren Aufwand" interpretiert (siehe Punkt 2.1.2 oben), fällt eine Demontage des Schließzylinders durch einen Montageingenieur nicht unter den Wortlaut.

Ebenso wurde bereits unter Punkt 4.5.1 dargelegt, dass die Anordnung der Auswerteeinheit 500 in den Ringen 27a und 27b nicht als Anordnung "in der Knaufwelle" gemäß Merkmal I, sondern als Anordnung "auf der Knaufwelle" angesehen wird. Die Kammer teilt hierzu nicht die Meinung der Beschwerdegegnerin, dass alle fest mit der Knaufwelle verbundenen Elemente Teil der Knaufwelle seien. Überdies offenbart das Dokument D14, dass in einer bevorzugten Ausführungsform die Auswerteeinheit im Griff ("handle 25") angeordnet ist (D14: Spalte 7, Zeilen 52 bis 55), was sich auch aus der Figur 2 erschließt.

4.5.3 Somit sind in dem Dokument D14 weder das Merkmal G noch ein Teil des Merkmals I offenbart, sodass der in Anspruch 1 definierte Gegenstand gegenüber dem Dokument D14 neu ist (Artikel 52 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 (1) und (2) EPÜ 1973).

4.5.4 Die in den abhängigen Ansprüchen 2 bis 14 definierten Gegenstände sind auf Grund ihrer Abhängigkeit von Anspruch 1 ebenfalls neu gegenüber dem Dokument D14.

5. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit gegenüber der Kombination der Dokumente D7 mit D8 oder D10

5.1 Nächstkommender Stand der Technik

5.1.1 Hinsichtlich der Argumentation der erfinderischen Tätigkeit stellt das Dokument D7 einen geeigneten nächstkommenden Stand der Technik dar. Es zeigt einen Schließzylinder (D7: Titel) mit Außen- und Innenknauf (D7: 8, 9) und einem elektromechanisch aktivierbaren Schließglied (D7: Spalte 4, Zeilen 48 bis 56).

In diesem und dem darauf folgenden Absatz beziehen sich die Verweise in Klammern auf das Dokument D7, welches einen Schließzylinder (Titel) mit einem Schließzylindergehäuse offenbart, in dem eine mittels zweier Knäufe (8, 9) drehbare Knaufwelle (6) drehbar gelagert ist, und mit wenigstens einem elektromechanisch arbeitenden Kupplungsmittel (21, 22, 23), das aufgrund eines Berechtigungssignals ein Schließelement drehfest mit der Knaufwelle verbindet oder die Knaufwelle freigibt, um ein Schloss zu betätigen (Spalte 4, Zeilen 48 bis 56). Das Berechtigungssignal wird durch eine Auswerteelektronik (30, 31) aufgrund eines Eingabesignals erzeugt (Spalte 4, Zeilen 21 bis 43), wobei eine Leseeinheit (29) mit einer Empfangseinheit zum Empfangen des Eingabesignals vorhanden ist. Die Leseeinheit (29) mit der Empfangseinheit ist in einem Knauf (8) angeordnet, der [deleted: elektrisch und] mechanisch lösbar mit der Knaufwelle (6) verbunden ist (Spalte 3, Zeilen 49 bis 57). Die Leseeinheit (29) erzeugt aus dem Eingabesignal ein von der Auswerteelektronik (30, Spalte 4, Zeilen 48 bis 56) auswertbares Zugangsignal[deleted: , wobei die Auswerteelektronik in der Knaufwelle und räumlich getrennt von der Leseeinheit und der Empfangseinheit angeordnet ist].

Die in beiden Knäufen angeordneten Innengehäuse (15) sind bezüglich der drehbaren Knaufwelle (6) ortsfest angeordnet, sie sind folglich von der Welle entkoppelt. Innen- und Außenknauf (8, 9) weisen nur eine mechanisch lösbare Verbindung mit der Knaufwelle (6) auf, aber keine elektrisch lösbare Verbindung. Die in den beiden Innengehäusen (15) angeordneten elektronischen Bauteile (28, 29, 30, 32) sind ortsfest über das nicht mitdrehende Zentralelement (20) elektrisch und mechanisch miteinander verbunden (Spalte 3, Zeilen 57 bis 62), sie weisen aber keine elektrische Verbindung mit der drehbaren Knaufwelle auf, da die im Knaufinneren angeordneten Innengehäuse von dem Knauf mechanisch und folglich auch elektrisch voneinander entkoppelt sind.

5.1.2 Zu den von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Argumenten weist die Kammer insbesondere darauf hin, dass die in Dokument D7 gezeigten Schleifkontakte nicht mit der drehbaren Knaufwelle verbunden sind. Diese Schleifkontakte dienen nur dazu, das Zentralelement (D7: 34) teleskopartig verschiebbar zu gestalten (D7: Spalte 5, Zeilen 1 bis 21), um den Schließzylinder an unterschiedliche Türdicken leichter anzupassen. Eine elektrische Verbindung zur drehbaren Knaufwelle liegt nicht vor, sodass Teile des Merkmals G die elektrische Lösbarkeit betreffend im Dokument D7 nicht offenbart sind.

5.2 Unterschiedsmerkmale

Der in Anspruch 1 definierte Schließzylinder unterscheidet sich folglich von dem aus Dokument D7 bekannten durch folgende zwei Unterschiedsmerkmale:

- Der Knauf ist mit der drehbaren Knaufwelle elektrisch lösbar verbunden (Teil von Merkmal G).

- Die Auswerteelektronik ist in der Knaufwelle räumlich getrennt von der Leseeinheit und der Empfangseinheit angeordnet (Teil von Merkmal I).

5.3 Objektive technische Aufgabe

Die durch die Unterschiedsmerkmale gelöste objektive technische Aufgabe wird in dem modularen Aufbau der Schließzylinderanlage gesehen, welche eine flexible Herstellung und Konfektion ermöglicht und dadurch beliebig erweiterbar und aufrüstbar ist. Auf ein und denselben Schließzylinder können bei gleicher Auswerteelektronik unterschiedliche, modular aufgebaute Knäufe aufgesetzt werden, welche mit jeweils unterschiedlichen "Schlüsseln" verwendet werden können (Schließkarte, Code-Eingabe, biometrischer Sensor etc.). Diese modulare Verwendung wird erst durch die Verlegung der Auswerteelektronik in die Welle und der mechanischen und elektrischen Lösbarkeit des Knaufs erreicht.

5.4 Naheliegen

5.4.1 Ein modularer Aufbau eines Schließzylinders mit unterschiedlichen Knäufen ist im vorliegenden Stand der Technik nicht gezeigt, es gibt auch nirgends einen Hinweis darauf. Insbesondere zeigen weder das Dokument D7 noch eines der Dokumente D8 oder D10 einen modularen Aufbau.

Das Dokument D8 zeigt, wie oben unter Punkt 4.4.1 dargelegt, keinen Schließzylinder mit Knauf. Es ist auch kein Grund erkennbar, warum Merkmale des im Dokument D8 gezeigten Schlüssels diesem entnommen werden sollten, um dann in den in Dokument D7 gezeigten Knauf integriert zu werden. Da die wesentliche Idee der Erfindung in ihrer Modularität liegt und diese weder in einem der vorliegenden Dokumente gezeigt noch darauf hingewiesen wird, ist nicht nachvollziehbar, warum die Lehre des Dokuments D7 mit Dokument D8 kombiniert werden sollte. Insbesondere gibt es ausgehend von Dokument D7 keinen erkennbaren Grund, die Auswerteeinheit in die Knaufwelle zu verlagern oder eine elektrisch lösbare Verbindung zwischen Knauf und Schließzylinder vorzusehen. In Dokument D7 ist es von Vorteil, die Leseeinheit und den Speicher, welcher schlossseitig das Schlüsselgeheimnis verwahrt, möglichst weit voneinander entfernt anzuordnen. Warum die Auswerteeinheit näher an die Leseeinheit herangezogen werden sollte, also in die Welle verlagert werden sollte, ist nicht erkennbar. Ebenso ist nicht ersichtlich, warum eine elektrisch lösbare Verbindung zwischen Knauf und Knaufwelle vorgesehen werden sollte. Dies scheint nur mit einer rückschauenden Betrachtungsweise möglich zu sein.

5.4.2 Für die Kombination der Dokument D7 mit D10 kann die gleiche Argumentation wie für die Kombination der Dokumente D7 mit D8 angeführt werden. Das Dokument D10 zeigt zwar eine Anordnung der Auswerteeinheit in der Knaufwelle, es zeigt aber keinen von der Knaufwelle mechanisch oder elektrisch lösbaren Knauf. Auch ist nicht erkennbar, weswegen diese beiden Dokumente kombiniert werden sollten.

5.4.3 Zusammenfassend ist festzustellen, dass der in Anspruch 1 definierte Gegenstand eine erfinderische Tätigkeit aufweist (Artikel 52 (1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973).

5.4.4 Die in den abhängigen Ansprüchen 2 bis 14 definierten Gegenstände weisen auf Grund ihrer Abhängigkeit von Anspruch 1 ebenfalls eine erfinderische Tätigkeit auf.

6. Schlussfolgerung

Da das Patent wie erteilt und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, dem EPÜ genügen, insbesondere neu sind und eine erfinderische Tätigkeit aufweisen (Artikel 52 (1) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 (1) und (2) und 56 EPÜ 1973), ist die angefochtene Entscheidung (Widerruf des Patents) aufzuheben und der Einspruch zurückzuweisen (Artikel 101 (2) EPÜ und Artikel 111 (1) EPÜ 1973).

Somit wird dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben. Die Prüfung der Hilfsanträge ist folglich nicht erforderlich.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Einspruch wird zurückgewiesen.

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