European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2009:T035608.20090707 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 07 Juli 2009 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0356/08 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00991776.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | F02N 11/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Antriebsstrang für ein Kraftfahrzeug | ||||||||
Name des Anmelders: | Robert Bosch GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Conti Temic microelectronic GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit neuer Anträge im Beschwerdeverfahren (verneint) Beschränkung der Beschwerde auf Überprüfung der von der ersten Instanz geprüften Anträge Verbot der reformatio in peius |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents 1 173 674. Gegen dieses Patent hatte die Beschwerdegegnerin Einspruch eingelegt und auf den Einspruchsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ 1973 gestützt. Sie hatte insbesondere ausgeführt, dass der Gegenstand des Anspruches 1 im Hinblick auf die folgenden Druckschriften weder neu noch erfinderisch sei:
D1: DE-A-19 814 402;
D2: DE-A-4 323 601;
D3: EP-A-0 819 562;
D4: WO-A-97/08457.
II. Eine Kopie des Einspruchs gegen das Patent ist der Patentinhaberin mit der Mitteilung vom 27. Dezember 2005 zugeschickt worden. Mit der Mitteilung vom 27. Januar 2006 ist sie gebeten worden, innerhalb der angegebenen Frist eine Stellungnahme einzureichen und gegebenenfalls die Patentunterlagen zu ändern.
Daraufhin beantragte die Patentinhaberin die Zurückweisung des Einspruchs und kündigte eine Stellungnahme zu dem Einspruch für voraussichtlich Januar 2007 an.
Im Juni 2007 hat die Einspruchsabteilung zu der beantragten mündlichen Verhandlung geladen und darauf hingewiesen, dass die von der Einsprechenden vorgebrachten Einwände stichhaltig zu sein scheinen, so dass das Patent widerrufen werden müsste.
Innerhalb der in der Ladung gesetzten Frist hat die Patentinhaberin dann neue Anträge (Haupt-, Hilfsanträge 1 bis 3) vorgelegt und zu den Einwänden der Einsprechenden Stellung genommen.
III. Mit der Zwischenentscheidung vom 7. Dezember 2007 hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass das europäische Patent 1 173 674 im Umfang des Hilfsantrags 1 den Erfordernissen des Übereinkommens genüge.
Demgegenüber sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags, der dem der erteilten Fassung entspricht, im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht neu.
IV. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie ist am 15. Februar 2008 eingelegt worden unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ist am 16. April 2008 eingegangen.
V. Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) einen Anspruchssatz mit vier unabhängigen Ansprüchen eingereicht. Darauf legte die Beschwerdegegnerin zwei neue Druckschriften vor:
D6: Alfred Krappel et al; "Kurbelwellenstartergenerator (KSG) - Basis für zukünftige Fahrzeugkonzepte, Integration elektrischer Maschinen im Pkw-Antriebsstrang", Expert Verlag, 1999, ISBN 3-8169-1808-5
D7: Alfred Krappel et al; "Kurbelwellenstartergenerator (KSG) - Basis für zukünftige Fahrzeugkonzepte, Integration elektrischer Maschinen im Pkw-Antriebsstrang"; 2., erweiterte Auflage, Expert Verlag, 2000, ISBN 3-8169-1868-9
Mit der Ladung hat die Beschwerdekammer auf die Diskussionspunkte hingewiesen, die in der mündlichen Verhandlung voraussichtlich zu diskutieren sein werden, insbesondere, ob der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Anspruchssatz mit vier unabhängigen Ansprüchen zulässig ist.
Darauf hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 5. Juni 2009 einen geänderten Haupt- und zwei neue Hilfsanträge vorgelegt, auf deren Basis das Patent aufrechterhalten werden solle.
VI. Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrages haben den folgenden Wortlaut:
"1. Antriebsstrang für ein Kraftfahrzeug, mit einem Verbrennungsmotor (1), mit einer elektrischen Maschine (2), die beim Starten des Verbrennungsmotors (1) ein Drehmoment erzeugt, und mit einer Kupplung (3), die zwischen dem Verbrennungsmotor (1) und einem Getriebe (4) angeordnet ist, über das ein durch den Verbrennungsmotor(l) erzeugtes Drehmoment auf zumindest ein Fahrzeugantriebsrad übertragen werden kann, dadurch gekennzeichnet, dass Mittel (5,6) vorgesehen sind, die die Kupplung (3) beim Start des Verbrennungsmotors derart betätigen können, dass ein erster Teil des beim Starten des Verbrennungsmotors von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf das zumindest eine Fahrzeugantriebsrad und ein zum Starten des Verbrennungsmotors (1) ausreichender zweiter Teil des von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf den Verbrennungsmotor (1) übertragen wird, und die eine Steuerungsvorrichtung umfassen, für die temperaturabhängige Kennfelder für das Startmoment und/oder das vorwiegend vom Kupplungseinrückweg abhängige Kupplungsmoment verwendet werden.
2. Antriebsstrang für ein Kraftfahrzeug, mit einem Verbrennungsmotor (1), mit einer elektrischen Maschine (2), die beim Starten des Verbrennungsmotors (1) ein Drehmoment erzeugt, und mit einer Kupplung (3), die zwischen dem Verbrennungsmotor (1) und einem Getriebe (4) angeordnet ist, über das ein durch den Verbrennungsmotor (1) erzeugtes Drehmoment auf zumindest ein Fahrzeugantriebsrad übertragen werden kann, wobei Mittel (5,6) vorgesehen sind, die die Kupplung (3) beim Start des Verbrennungsmotors derart betätigen können, dass ein erster Teil des beim Starten des Verbrennungsmotors von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf das zumindest eine Fahrzeugantriebsrad und ein zum Starten des Verbrennungsmotors (1) ausreichender zweiter Teil des von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf den Verbrennungsmotor (1) übertragen wird, und eine Start-Stop-Automatik vorgesehen ist, die den Verbrennungsmotor bei einem Stillstand des Kraftfahrzeugs abstellen und zur Weiterfahrt wieder starten kann und nur beim Start-Stop-Betrieb des Kraftfahrzeugs, nicht jedoch beim bezogen auf die Fahrt ersten Startvorgang, der erste Teil des beim Starten von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf das zumindest eine Antriebsrad übertragen wird.
3. Antriebsstrang für ein Kraftfahrzeug, mit einem Verbrennungsmotor(l), mit einer elektrischen Maschine (2), die beim Starten des Verbrennungsmotors (1) ein Drehmoment erzeugt, und mit einer Kupplung (3), die zwischen dem Verbrennungsmotor (1) und einem Getriebe (4) angeordnet ist, über das ein durch den Verbrennungsmotor (1) erzeugtes Drehmoment auf zumindest ein Fahrzeugantriebsrad übertragen werden kann, wobei Mittel (5,6) vorgesehen sind, die die Kupplung (3) beim Start des Verbrennungsmotors derart betätigen können, dass ein erster Teil des beim Starten des Verbrennungsmotors von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf das zumindest eine Fahrzeugantriebsrad und ein zum Starten des Verbrennungsmotors (1) ausreichender zweiter Teil des von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf den Verbrennungsmotor (1) übertragen wird, Sensoren vorgesehen sind, die einen Ausnahmezustand erfassen, in dem sich das Kraftfahrzeug aufgrund von äußeren Kräften ungewollt in Bewegung setzen würde, weil das beim Starten der elektrischen Maschine auf das zumindest eine Fahrzeugantriebsrad übertragene Drehmoment zu klein ist, um die ungewollte Bewegung des Kraftfahrzeugs zu verhindern, und eine Fahrzeugbremse vorgesehen ist, die beim Auftreten des Ausnahmezustandes automatisch betätigt wird.
4. Antriebsstrang für ein Kraftfahrzeug, mit einem Verbrennungsmotor (1), dessen Abtrieb durch eine Kurbelwelle (7) gebildet ist und auf der Kurbelwelle (7) eine Schwungscheibe (8) angeordnet, die eine Außenverzahnung aufweist, und mit einer elektrischen Maschine (2), wobei in die Außenverzahnung zumindest beim Startvorgang das Starterritzel der elektrischen Maschine (2) eingreift und beim Starten des Verbrennungsmotors (1) ein Drehmoment erzeugt, und mit einer Kupplung (3), die zwischen dem Verbrennungsmotor (1) und einem Getriebe (4) angeordnet ist, über das ein durch den Verbrennungsmotor (1) erzeugtes Drehmoment auf zumindest ein Fahrzeugantriebsrad übertragen werden kann, und die Kupplung (3) zwischen der elektrischen Maschine (2) und dem Getriebe (4) angeordnet ist, wobei Mittel (5,6) vorgesehen sind, die die Kupplung (3) beim Start des Verbrennungsmotors derart betätigen können, dass das übertragbare Moment der die Kupplung (3) während des Anfahrphase derart kontinuierlich erhöht wird, dass ein erster Teil des beim Starten des Verbrennungsmotors von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf das zumindest eine Fahrzeugantriebsrad und ein zum Starten des Verbrennungsmotors (1) ausreichender zweiter Teil des von der elektrischen Maschine (2) erzeugten Drehmoments auf den Verbrennungsmotor (1) übertragen wird".
Der Hauptantrag umfasst die Ansprüche 1 bis 4 der Beschwerdebegründung, der Hilfsantrag 1 die Ansprüche 1, 3 und 4 und der Hilfsantrag 2 die Ansprüche 1 bis 3. In allen diesen Anträgen ist in Anspruch 1 hinzugefügt worden, dass die Kennfelder temperaturabhängig sind.
VII. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer hat am 7. Juli 2009 stattgefunden.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten auf Basis der Ansprüche 1 bis 22 des Hauptantrages oder hilfsweise auf Basis der Ansprüche 1 bis 21 einer der Hilfsanträge 1 oder 2, alle eingereicht mit Schreiben vom 5. Juni 2009.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent zu widerrufen.
VIII. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Die Anspruchssätze gemäß diesen Anträgen seien zulässig, weil es wegen des im Einspruchsverfahren entgegengehaltenen Standes der Technik erforderlich gewesen wäre, den Gegenstand des Anspruchs 1 einzuschränken. Ausgehend von dem erteilten Anspruch 1 hätten mehrere unabhängige Möglichkeiten bestanden. Da die nebengeordneten unabhängigen Patentansprüche jeweils unterschiedliche Schutzbereiche abdecken würden, wäre deren Weiterverfolgung sachdienlich.
Das späte Einreichen des Haupt- und der Hilfsanträge 1 und 2 rechtfertigte sie in der mündlichen Verhandlung damit, dass sie dazu erst durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung veranlasst worden seien. Außerdem hätten sich durch neue Erkenntnisse der Entwicklungsabteilung auf Seiten der Patentinhaberin die Umstände verändert. Da aber zwischen den unabhängig beanspruchten Lösungen ein technischer Zusammenhang bestünde, seien die Änderungen sachdienlich und zulässig.
Darüber hinaus seien die unabhängigen Ansprüche sämtlicher Anträge, in der ursprünglichen Fassung der Patentanmeldung ausreichend offenbart, klar und im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik auch patentfähig.
IX. Dem hielt die Beschwerdegegnerin im wesentlichen entgegen, dass die Anträge mit einer Mehrzahl unabhängiger Ansprüche nicht zugelassen werden sollten, weil deren Einreichung bereits in der ersten Instanz veranlasst gewesen sei und die unabhängigen Ansprüche nicht einheitlich seien.
Darüber hinaus sei das Patent zu widerrufen. Da die Beschwerdeführerin das Patent nicht mehr in der Fassung des Hilfsantrages 1, der der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zu Grunde lag, verteidige, hätte sie auf die Aufrechterhaltung in diesem Umfang verzichtet. Deshalb gelte das Verbot der "reformatio in peius" nicht mehr.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht worden und deshalb zulässig.
2. Zulässigkeit der Haupt-, Hilfsanträge 1 und 2
2.1 Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens ist es, der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten (G 9/91; Amtsblatt EPA 93, 408, Nr. 18). Ein Patentinhaber, der im Einspruchsverfahren unterlegen ist, hat somit das Recht, die Zurückweisung der Anträge von der Beschwerdekammer überprüfen zu lassen.
Will der Patentinhaber jedoch andere Anträge prüfen lassen, so liegt es im Ermessen der Beschwerdekammer, sie zum Verfahren zuzulassen; einen Rechtsanspruch hat er darauf nicht (siehe T 840/93, Nr. 3.1; ABl. EPA 1996, 335).
2.1.1 Die Entscheidung der Beschwerdekammer soll im Prinzip auf der Basis des Streitstoffs erster Instanz ergehen, was die Zulassung von neuem Vorbringen zwar nicht ausschließt, jedoch von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht. Im Beschwerdeverfahren soll kein gänzlich neuer Fall, kein "fresh case" geschaffen werden ("Die Behandlung verspäteten Vorbringens in den Verfahren vor den Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", B. Günzel, Sonderausgabe ABl. EPA, 2007, 30, Nr. 5).
Im Einspruchsverfahren hat die Beschwerdeführerin das Patent mit Anspruchssätzen verteidigt, die jeweils nur einen unabhängigen Anspruch aufwiesen (Haupt-, Hilfsanträge 2 und 3) oder zwei unabhängige Ansprüche (Hilfsantrag 1). Im Beschwerdeverfahren verteidigt sie das Patent mit Anspruchssätzen, die vier unabhängige Ansprüche aufweisen (Hauptantrag) bzw. drei unabhängige Ansprüche (Hilfsanträge 1 und 2). Mit der vorliegenden Beschwerde wird also versucht, die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung auf der Grundlage neuer Anträge (Haupt-, Hilfsanträge 1 und 2) zu erreichen.
2.1.2 Mit diesen Anträgen werden erstmals Fragen aufgeworfen, die von der Einspruchsabteilung noch nicht geprüft worden sind.
a) Da die Anspruchssätze dieser Anträge mindestens drei unabhängige Ansprüche derselben Kategorie aufweisen, wäre deren Zulässigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse der Knappheit nach Artikel 84 EPÜ 1973 und der Regeln 57a und 29 (2) EPÜ 1973 zu prüfen.
Die Klärung dieser Fragen würde eine aufwändige Prüfung im Hinblick auf eine komplexe rechtliche Situation (siehe hierzu "Rechtssprechung der Beschwerdekammern", 5. Auflage, VII.C.6.1.3) erfordern.
b) Darüber hinaus wäre die Offenbarung der unabhängigen Ansprüche in den ursprünglich eingereichten Unterlagen und in der Patentschrift im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 123 zu prüfen, was insbesondere bei Anspruch 4 des Haupt- und Hilfsantrages 1 bzw. bei Anspruch 3 des Hilfsantrages 2 aufwändig wäre, da deren zusätzliche Merkmale nicht aus den abhängigen erteilten Ansprüchen entnommen worden sind, sondern aus der Beschreibung. Ferner wäre es erforderlich, die Klarheit dieser Ansprüche und die Patentfähigkeit der beanspruchten Gegenstände zu untersuchen.
Auch hier wäre also eine aufwändige Prüfung von Fragen erforderlich, die erstmals im Beschwerdeverfahren aufgeworfen worden sind.
2.1.3 Da diese neuen Anträge von der Einspruchsabteilung somit noch nicht untersuchte Fragen beinhalten, erfüllt die Beschwerde nicht dem oben genannten Hauptzweck des Beschwerdeverfahrens.
2.2 Gemäß Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) liegt es im Ermessen der Kammer, Anträge, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, zuzulassen oder nicht.
2.2.1 Den Einspruch gegen das Patent hat das Europäische Patentamt der Patentinhaberin mit der Mitteilung vom 27. Dezember 2005 mitgeteilt. Seit diesem Zeitpunkt hatte sie Kenntnis davon, dass die Patentfähigkeit des Schutzgegenstandes im Hinblick auf die Druckschriften D1 bis D4 in Frage gestellt wird. Somit hatte sie bereits mit der Erwiderung auf den Einspruch, zu der sie ausdrücklich und mit Fristsetzung aufgefordert worden ist, zumindest aber im Einspruchsverfahren, Veranlassung zur Vorlage neuer Anträge.
2.2.2 Die späte Vorlage der neuen Anträge im Beschwerdeverfahren kann nicht mit einem geänderten Sachverhalt oder den internen Überlegungen der Beschwerdeführerin gerechtfertigt werden.
a) Bis zum Einreichen des vier unabhängige Ansprüche aufweisenden Anspruchssatzes mit der Beschwerdebegründung, hat sich der Sachverhalt bezüglich des entgegengehaltenen Standes der Technik nicht verändert. Zwar hat die Beschwerdegegnerin auf diesen neuen Anspruchssatz mit weiteren Entgegenhaltungen reagiert (Druckschriften D7 und D8), jedoch sind diese als Reaktion auf die Beschwerdebegründung zu werten. Jedenfalls können diese Druckschriften nicht die Hinzufügung von zusätzlichen unabhängigen Ansprüchen verursacht haben, weil sie erst nach dem Einreichen eines solchen Anspruchssatzes eingereicht worden sind.
b) Interne Überlegungen auf Seiten der Patentinhaberin sind als Rechtfertigungsgrund ungeeignet, weil sie es dann in der Hand hätte, die Dauer des Verfahrens zu bestimmen.
2.2.3 Darüber hinaus gebietet es das Interesse der Öffentlichkeit und der Parteien, dass ein scheibchenweiser Vortrag der Parteien, der wiederholt neue Erwiderungen erfordert, vermieden wird. Nur so kann das Einspruchsverfahren zügig erledigt werden.
2.2.4 Die Kammer stellt somit fest, dass diese neuen Anträge bereits in der ersten Instanz vor der Einspruchsabteilung hätten vorgebracht werden können und es nach den Umständen auch von ihr zu erwarten war, diese Anträge bereits früher zu stellen.
2.3 Das Beschwerdeverfahren ist - anders als das rein administrative Einspruchsverfahren - ein verwaltungsgerichtliches Verfahren (siehe G 7/91 , Nr. 7; ABl. EPA 1993, 356 und G 8/91, ABl. EPA 1993, 346, 478). Ein solches Verfahren ist seiner Natur nach weniger auf Ermittlungen ausgerichtet als ein Verwaltungsverfahren. Deshalb ist es nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die oben genannten, erst im Beschwerdeverfahren aufgeworfenen Fragen zu prüfen und zu entscheiden. Zur Prüfung dieser Fragen müsste der Fall an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werden, wodurch das Verfahren verzögert würde.
2.4 Wie vorstehend ausgeführt, eine Beschwerde, mit der versucht wird, die Aufhebung einer Entscheidung über die von der Einspruchsabteilung tatsächlich geprüften Anträge, auf der Basis neuer Anträge, in denen von der Einspruchsabteilung nicht geprüfte Fragen aufgeworfen wurden, entspricht nicht dem von der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 0009/91 festgestellten Hauptzweck.
Nach der Entscheidung T 0840/93 (ABl. EPA 1996, 355) ist die Zulassung verspätet eingereichter Anträge nur dann gerechtfertigt, wenn die Patentinhaberin sonst keinerlei Möglichkeit hat, noch ein Patent zu erhalten. Trifft allerdings das Argument der "letztmöglichen Chance" nicht zu, so soll sich die Kammer auf ihre Rolle als überprüfende Instanz beschränken und nur über Anträge entscheiden, die von der Einspruchsabteilung bereits geprüft worden sind, siehe insbesondere Punkt 3.2.2 der Entscheidungsgründe.
Die Kammer ist der Auffassung, dass wegen des Verbots der reformatio in peius das Argument der "letztmöglichen Chance" noch ein Patent zu erhalten, nicht greift: Bei alleiniger Beschwerde der Patentinhaberin kann weder die Beschwerdekammer noch die Beschwerdegegnerin die beschränkt aufrechterhaltene Fassung des Patents gemäß der angefochtenen Zwischenentscheidung in Frage stellen (G 9/92 und G 4/93; ABl. EPA 1994, 875).
Deshalb, in Anlehnung an die oben genannte Entscheidung T 0840/93, muss sich die Kammer auf ihre Rolle als überprüfende Instanz beschränken und nur über die bereits von der Einspruchsabteilung geprüften Anträge entscheiden.
2.5 Die Kammer macht damit von dem ihr insbesondere nach Art. 12 (4) VOBK zustehenden Ermessen Gebrauch, von der ersten Instanz nicht geprüfte Anträge nicht zum Verfahren zuzulassen. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 konnten deshalb nicht zum Verfahren zugelassen werden.
3. Reformatio in peius
3.1 Wie vorstehend ausgeführt, kann weder die Beschwerdekammer noch die Beschwerdegegnerin das Patent in der Fassung gemäß der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung in Frage stellen. Da die Patentinhaberin die alleinige Beschwerdeführerin ist, kann die Beschwerdekammer im Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin von dem Beschwerdeantrag abweichen.
3.2 Die Beschwerdeführerin hat mit den vorgelegten neuen Anträgen auch nicht auf die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hilfsantrags 1 der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung verzichtet. Es liegt weder eine solche Willenserklärung vor, noch stellt die Vorlage der neuen Anträge im Beschwerdeverfahren eine Handlung dar, mit der dies zum Ausdruck gebracht würde.
Vielmehr strebt die Beschwerdeführerin mit diesen Anträgen an, dass eine andere, von ihr vorgeschlagene Fassung an die Stelle der von der Einspruchsabteilung festgelegten Fassung des Patents tritt, oder dass, wenn einem solchen Antrag nicht stattgegeben werden kann, d.h. die Beschwerde zurückgewiesen wird, das Patent in der von der Einspruchsabteilung festgelegten Fassung aufrechtzuerhalten ist (siehe G 9/92, Nr. 14; ABl. EPA 1994, 875).
3.3 Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Widerruf des Patents ist deshalb unzulässig.
4. Da keine zulässigen, von der Beschwerdeführerin eingereichten Anträge vorlagen, war die Beschwerde zurückzuweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.