R 0012/09 () of 15.1.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:R001209.20100115
Datum der Entscheidung: 15 Januar 2010
Aktenzeichen: R 0012/09
Antrag auf Überprüfung von: T 1727/07
Anmeldenummer: 00912365.4
IPC-Klasse: C22C 19/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished | Unpublished v2
Bezeichnung der Anmeldung: Metallischer Werkstoff auf Nickelbasis und Verfahren zu dessen Herstellung
Name des Anmelders: Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden e.V.
Name des Einsprechenden: UT-Battelle, LLC
Kammer: EBA
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 112a
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Antrag auf Überprüfung - offensichtlich unbegründet
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0001/08
R 0002/08
R 0004/08
R 0009/08
R 0011/08
R 0003/09
R 0008/09
R 0013/09
T 0506/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/21
R 0015/09
R 0018/09
R 0009/10
R 0015/10
R 0022/10
R 0006/11
R 0013/11
R 0016/11
R 0017/11
R 0019/11
R 0015/12
R 0017/12
R 0019/12
R 0001/13
R 0003/13
R 0004/13
R 0008/13
R 0002/14
R 0018/14
R 0005/15
R 0007/15
R 0003/16
R 0006/16
R 0007/16
R 0001/17
R 0006/17
R 0010/17
R 0008/19
R 0001/20
T 1898/07
T 1150/09
T 1938/09
T 0253/10
T 0698/10
T 2561/11
T 0355/13
T 1635/13
T 2122/14
T 0049/15
T 0473/15
T 2175/15
T 2440/16
T 1408/17
T 2090/18

Sachverhalt und Anträge

I. Der Antrag auf Überprüfung betrifft die Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.08 vom 30. April 2009 in der Sache T 1727/07. Bei der Antragstellerin handelt es sich um die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin in dieser Sache. Mit der genannten Entscheidung hat die Beschwerdekammer das europäische Patent EP 1208244 mit dem Titel "Metallischer Werkstoff auf Nickelbasis und Verfahren zu dessen Herstellung" widerrufen.

II. Der Einspruch gegen dieses Patent, der am 14. Februar 2005 eingelegt worden war, stützte sich auf 11 Dokumente aus dem Stand der Technik. Die Einsprechende machte geltend, der Gegenstand des Patents werde von Dokument D2 bzw. Dokument D11 neuheitsschädlich vorweg genommen und durch eine Vielzahl der zitierten Dokumente einzeln und in Kombination nahegelegt, unter anderem durch die Dokumente D5 bzw. D6 in Kombination mit dem Dokument D11. Beim Dokument D5 handelt es sich lediglich um Kopien von Vortragsfolien, die auf der Veranstaltung "USDOE 1998 Annual Peer Review" zwischen dem 20. Juli bis 22. Juli 1998 in Washington präsentiert worden sein sollen. Dokument D6 besteht ebenfalls aus Folien, die auf dem "1999 Wire Development Workshop" gezeigt worden sein sollen, der am 12. Januar und 13. Januar 1999 in Cocoa Beach stattgefunden hat.

III. In ihrer Erwiderung vom 21. Juli 2005 auf den Einspruch beantragte die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang und wies alle Argumente der Einsprechenden zurück, insbesondere das behauptete Fehlen der Neuheit bezüglich Dokument D11 und der erfinderischen Tätigkeit bezüglich D5 bzw. D6 und D11. Nachdem die Einspruchsabteilung mit Datum vom 8. August 2006 einen Bescheid mit der vorläufigen Meinung erlassen hatte, dass der Gegenstand des Patents gegenüber allen zitierten Dokumenten, insbesondere dem Dokument D11 neu sei, reichte die Einsprechende nach Vertreterwechsel mit einer Eingabe vom 26. April 2007 eine Reihe weiterer Dokumente ein, insbesondere das Dokument D20. Dieses war bezeichnet als "letter from Energetics Inc. which attests to the public nature of the USDOE Annual Peer Review Meeting and the Wire Workshop Meetings, at which D5 and D6 were disclosed". In der selben Eingabe kündigte die Einsprechende an, dass Dr. Amit Goyal (einer der Ko-Autoren von D5 und der Autor von D6) als Sachverständiger an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. Ferner brachte sie vor, dass, anders als im Bescheid angedeutet, die Dokumente D5 und D6 als Stand der Technik der Erfindung näher kämen als Dokument D4 und dass die durch die Patentinhaberin geänderten Ansprüche gegenüber D11 nicht neu und gegenüber D5 bzw. D6 nicht erfinderisch seien. Die Patentinhaberin reagierte darauf mit Schreiben vom 20. Juni 2007, worin sie sich mit einer Reihe von Argumenten der Einsprechenden auseinandersetzte, nicht aber mit der Frage der öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente D5 und D6.

IV. Vor der Einspruchsabteilung wurde in der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2007 die Neuheit gegenüber den Dokumenten D2 und D12 sowie gegenüber dem Dokument D11 diskutiert und das Patent widerrufen. Eine Diskussion der erfinderischen Tätigkeit fand dabei nicht statt. Entsprechend wird in der schriftlichen Begründung der Entscheidung lediglich die mangelnde Neuheit gegenüber dem Dokument D2 und dem Dokument D12 festgestellt. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin (Antragstellerin) am 9. Oktober 2007 nach einem Vertreterwechsel Beschwerde ein.

V. In der Beschwerdebegründung vom 10. Dezember 2007 beantragte die Beschwerdeführerin (Antragstellerin), die Neuheit aller Ansprüche des als Hauptantrag bzw. der als Hilfsanträge eingereichten Anspruchssätze festzustellen und die Sache für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit der als neu angesehenen Patentansprüche an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Dabei machte sie geltend, alle unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags seien gegenüber den Dokumenten D2, D12 und D11 neu. Vorsorglich und ohne inhaltliche Argumente wurde ferner geltend gemacht, dass alle unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags gegenüber dem Stand der Technik auch erfinderisch seien. Die Dokumente D5, D6 und D20 wurden nicht erwähnt. In ihrer Erwiderung vom 30. April 2008 beanstandete die Beschwerdegegnerin alle neuen Anträge der Beschwerdeführerin (Antragstellerin) und brachte vor, diese seien nicht neu gegenüber D11 bzw. D12, womit keine Zurückverweisung erfolgen könne. Ferner werde der Gegenstand des Patents nahegelegt durch die Dokumente D5 und D6, oder D5 in Kombination mit D11, oder D11 allein. In einer Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung, die der Beschwerdeführerin (Antragstellerin) am 8. Dezember 2008 zuging, äußerte die Kammer als vorläufige Ansicht, dass die technische Lehre jeder der Druckschriften D2, D11, D12 oder D16 als nächstkommender Stand der Technik angesehen werden könne. Sollte sich während der mündlichen Verhandlung herausstellen, dass einer der Anspruchsgegenstände gegenüber dem genannten Stand der Technik neu wäre, würde zu entscheiden sein, ob die Kammer auch über die Frage der erfinderischen Tätigkeit entscheiden oder die Sache an die erste Instanz zurückverweisen sollte.

VI. Die Beschwerdegegnerin antwortete mit Schreiben vom 19. März 2009 auf den Ladungsbescheid. Dabei wiederholte sie ihren Antrag, es solle keine Zurückverweisung erfolgen und führte in diesem Zusammenhang aus:

"The documents that we have identified as the closest prior art, D5 and D6, were cited against inventive step in the statement of grounds of opposition. The petitioner is not confronted with a fresh case and should be prepared to expect that inventive step could be discussed before the Board on the basis of D5 or D6."

Die Beschwerdeführerin (Antragstellerin) antwortete ihrerseits mit Schreiben vom 27. März 2009 auf den Bescheid, wobei sie leicht geänderte Ansprüche einreichte, weitere Argumente für die Neuheit gegenüber den Dokumenten D2, D11, D12 und D16 vorbrachte und unter Ablehnung der Argumente der Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz wiederholte. Ebenfalls am 27. März 2009 reichte die Beschwerdegegnerin einen Schriftsatz ein, worin sie ankündigte, Dr. Goyal werde bei der mündlichen Verhandlung anwesend sein. Ferner begründete sie unter Hinweis auf die Rechtsprechung, weshalb eine Zurückverweisung nicht angebracht sei, wobei sie diese Ausführungen wie folgt schloss:

"In the present case, the Patentee has had ample opportunity to address the issue of inventive step. The pertinent prior art was filed with the notice of opposition. The matter was raised and discussed by the Opponent/Respondent in his response made in April 2008. On the 19 March 2009, the Opponent again reminded the Patentee that the Opponent wished the Board to consider inventive step in the event that it found novelty. The Patentee has had every chance to present argument on the matter and to prepare. He still has four weeks to get ready."

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 29. April 2009 statt. Der Entscheidung der Beschwerdekammer zufolge (s. Seiten 4 bis 6, Abschnitte VI und VII) argumentierten die Parteien im Wesentlichen wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Antragstellerin) brachte vor, die Gegenstände der vorliegenden Anträge seien gegenüber den aus D11 und D12 bekannten Werkstoffen neu. Weder sei die Frage der erfinderischen Tätigkeit vor der 1. Instanz erörtert worden, noch enthalte die angefochtene Entscheidung ein diesbezügliches "obiter dictum". Daher werde beantragt, die Sache an die erste Instanz zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zurückzuverweisen. Sollte die Frage der erfinderischen Tätigkeit trotzdem vor der Beschwerdekammer abgehandelt werden, so sei Folgendes zu berücksichtigen: Die öffentliche Zugänglichkeit der in D5 enthaltenen Informationen sei unbewiesen. Außerdem sei vom technischen Inhalt von D5 ausgehend die Argumentation der Beschwerdegegnerin zu einfach. Die beanspruchten Gegenstände beruhten daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Beschwerdegegnerin argumentierte dagegen, die technische Lehre sowohl von D11 als auch von D12 nehme die Anspruchsgegenstände aller Anträge neuheitsschädlich vorweg. Sollte die Kammer die Neuheit anerkennen, so werde beantragt, den Antrag der Beschwerdeführerin (Antragstellerin) auf Zurückverweisung abzulehnen. Keiner der vorgelegten Anspruchssätze beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil der beanspruchte Werkstoff sich für den Fachmann in naheliegender Weise durch die Lehre von D5 und D11 ergebe.

VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung erklärte der Vorsitzende der Beschwerdekammer, die Entscheidung ergehe im schriftlichen Verfahren, was schließlich am 30. April 2009 geschah. In ihrer Entscheidung lehnte die Beschwerdekammer den Antrag der Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ab, den Fall an die erste Instanz zurückzuverweisen, und wies die Beschwerde wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit der Anspruchsgegenstände aller Anträge zurück. Dies wurde zum einen damit begründet, dass die erfinderische Tätigkeit angesichts des nächstliegenden Standes der Technik, nämlich des Vortrags gemäß der Druckschrift D5, in Kombination mit dem Dokument D11 fehle. Zum anderen fehle die erfinderische Tätigkeit auch angesichts des Dokuments D11 für sich allein genommen.

IX. Der Antrag auf Überprüfung, der am 29. Juli 2009 eingereicht wurde, beruft sich auf mehrere Verstöße gegen Artikel 113 EPÜ 1973 (Artikel 112a(2)(c) EPÜ). Einerseits sei der Antragstellerin nicht die Möglichkeit gegeben worden, zu den beiden Gründen, mit denen die Beschwerdekammer die erfinderische Tätigkeit verneint habe, Stellung zu nehmen. Diese Verletzung rechtlichen Gehörs sei entscheidungserheblich und somit auch schwerwiegend. Weiterhin liege der Entscheidung, den Antrag auf Zurückverweisung abzulehnen, ein Ermessensfehlgebrauch zugrunde. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs als Folge dieses Ermessensfehlgebrauchs habe schließlich zur Zurückweisung der Beschwerde geführt, weshalb auch diese Verletzung schwerwiegend sei.

X. Mit Schreiben vom 29. September 2009 wurde die Antragstellerin zu einer mündlichen Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer geladen, die am 13. November 2009 stattfand. Die Ladung wurde von einem Bescheid begleitet, der eine vorläufige Meinung der Großen Beschwerdekammer enthielt.

XI. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 13. November 2009 reichte die Antragstellerin einen vom gleichen Tag datierten schriftlichen Antrag auf Ablehnung aller Mitglieder der Großen Beschwerdekammer ein. Die Debatte in dieser Verhandlung beschränkte sich folglich auf die Frage der Zulässigkeit des Ablehnungsantrags. In ihrer Zwischenentscheidung vom 3. Dezember 2009 hat die Große Beschwerdekammer den Antrag auf Ablehnung als unzulässig verworfen. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2009 wurde die Antragstellerin zu einer zweiten mündlichen Verhandlung geladen, die am 15. Januar 2010 stattfand.

XII. Die Antragstellerin hat im Überprüfungsantrag im Wesentlichen wie folgt argumentiert:

Zur Zulässigkeit des Überprüfungsantrags

Die Antragstellerin habe erst mit Erhalt der Entscheidung feststellen können, dass die Zurückweisung der Beschwerde auf einer Begründung basiere, zu der sie sich nicht habe äußern können, und dass ihrem Antrag auf Zurückverweisung nicht stattgegeben worden sei, wodurch ihr rechtliches Gehör ebenfalls schwerwiegend verletzt worden sei. Somit greife die Rügepflicht gemäß Regel 106 EPÜ nicht.

Zur erfinderischen Tätigkeit angesichts einer Kombination von D5 und D11

In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurde von der Antragstellerin vorgetragen, dass es höchst fraglich sei, ob die Information auf den Folien von Dokument D5 überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Aus den Folien selbst ergebe sich nicht einmal, wer den Vortrag gehalten habe. Es liege auch keine Erklärung dazu vor, ob der Vortrag gehalten worden sei und wenn ja, von wem und dass tatsächlich der gesamte Inhalt der Folien vorgetragen wurde. Ähnliches gelte im Übrigen auch für die Folien von D6, die von der Beschwerdekammer als weiterer Beleg angesehen wurden, dass die Lehre, wie sie in der D5 beschrieben ist, offenkundig gemacht worden sei.

Aus dem Schreiben D20, das angeblich belegen solle, dass der Inhalt von D5 und von D6 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei, ergebe sich lediglich, dass das entsprechende Meeting bzw. der Workshop öffentlich waren. Auf die zwei Veranstaltungen in den Jahren 1998 und 1999 wurde in diesem Schreiben nicht einmal Bezug genommen. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern genüge das von der Beschwerdegegnerin vorgelegte Material auf gar keinen Fall als Nachweis für die öffentliche Zugänglichmachung, so dass die Antragstellerin davon habe ausgehen können und dürfen, dass D5 keine Basis für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstelle. Umso mehr sei die Antragstellerin überrascht gewesen, als sie in der Entscheidung (Entscheidungsgründe, Punkt 4.2) habe lesen müssen:

"die Beschwerdeführerin hat weder substantiiert dargelegt, inwiefern sich der Vortrag auf den Konferenzen von den Konferenzunterlagen unterschieden haben soll, noch konkrete Elemente geliefert, die die Glaubwürdigkeit des Affidavit in Frage stellen."

Dem Schreiben D20 komme überhaupt keine Relevanz zu für die Frage, ob das Dokument D5 oder das Dokument D6 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei und stelle kein Affidavit dar. Damit habe die Beschwerdekammer die Beweislast umkehrt, ohne die Antragstellerin davon zu informieren und habe ihr damit die Möglichkeit genommen, hierzu Stellung zu nehmen oder während einer Unterbrechung des Verfahrens weitere Erkundigungen einzuholen und diese dann vorzutragen.

Zur erfinderischen Tätigkeit angesichts von Dokument D11 als solchem

Nach der Debatte, ob das Dokument D5 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei, sei von diesem Dokument als dem nächstliegenden Stand der Technik ausgegangen und im Anschluss diskutiert worden, ob ein Durchschnittsfachmann, ausgehend von diesem nächstliegenden Stand der Technik, zum Anspruchsgegenstand der verschiedenen Anträge gelangt wäre. In diesem Zusammenhang sei auf eine Vielzahl der im Verfahren befindlichen Dokumente Dl bis D31 eingegangen worden, unter anderem auch auf das Dokument D11.

Festzustellen bleibe jedoch, dass die Frage der erfinderischen Tätigkeit angesichts des Dokuments D11 als solchem überhaupt nicht diskutiert worden sei. Weder der Vertreter der Antragsstellerin noch eine ihrer drei Begleitpersonen könne sich daran erinnern, dass die Frage der erfinderischen Tätigkeit angesichts von D11 allein diskutiert wurde. Entsprechende eidesstattliche Versicherungen der drei Begleitpersonen wurden mit dem Antrag auf Überprüfung eingereicht. Es bleibe somit festzustellen, dass die Antragstellerin keine Möglichkeit gehabt habe, auf diese Argumentation der Beschwerdekammer einzugehen und sie zu entkräften.

Zum Ermessensfehlgebrauch

Die Entscheidung über die Zurückverweisung liege nach Artikel 111(1) EPÜ 1973 im Ermessen der Beschwerdekammer. Dieses Ermessen sei allerdings nicht willkürlich, sondern pflichtgemäß auszuüben. Aus der Argumentation der Beschwerdekammer ergebe sich jedoch, dass sie bei ihrer "Ermessensausübung" faktisch lediglich auf die Verfahrensökonomie (mit der platten Erläuterung, dass durch eine Zurückverweisung das Verfahren länger dauere) abgestellt und das berechtigte Interesse der Parteien auf die Überprüfung des Streitstoffs in zwei Instanzen mit der Begründung gleich Null gesetzt habe, dass es kein absolutes Recht auf zwei Instanzen gebe. Mit einer solchen Begründung lasse sich jeder Antrag auf Zurückverweisung ablehnen, was ein klares Indiz dafür sei, dass das Ermessen hier nicht pflichtgemäß, sondern willkürlich ausgeübt worden sei.

Wenn die Beschwerdekammer die dafür maßgeblichen Grundsätze berücksichtigt hätte, hätte sie festgestellt, dass auch aus Gründen der Verfahrensökonomie eine Zurückverweisung durchaus vertretbar gewesen wäre. Das berechtigte Interesse und der Wunsch der Antragstellerin sei es gewesen, dass der wesentliche Streitstoff in zwei Instanzen überprüft werde. Dies umso mehr, da die Frage der erfinderischen Tätigkeit im vorliegenden Fall sehr komplex gewesen sei und in der ersten Instanz eine Diskussion der erfinderischen Tätigkeit nicht stattgefunden habe. Oftmals ergäben sich erst im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit weitere Fragen, die noch geklärt werden müssten und hierzu seien weitere Ermittlungen nötig, die in geeigneter, beweiskräftiger Form in das Verfahren eingeführt werden müssten.

Werde nun die erfinderische Tätigkeit erstmalig im Beschwerdeverfahren diskutiert, könne nicht gewährleistet werden, dass auf Basis des tatsächlich richtigen Sachverhalts entschieden werde. So könne es dazu kommen, dass - wie im vorliegenden Fall - die Beschwerdekammer ihre Entscheidung auf Grundlage von nicht bewiesenen und möglicherweise falschen Behauptungen treffen müsse. Deshalb werde gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern der wesentliche Streitstoff in zwei Instanzen diskutiert. Hätte die Beschwerdekammer also ihr Ermessen nicht willkürlich, sondern pflichtgemäß ausgeübt und die ständige Rechtsprechung zu dieser Frage berücksichtigt, dann hätte sie zurückverweisen müssen.

Als Folge des Ermessensfehlgebrauchs sei der Antragstellerin die Möglichkeit genommen worden, die komplexe Frage der erfinderischen Tätigkeit in zwei Instanzen vorzutragen und ggf. durch Vorlage von weiterem Beweismaterial bloße Behauptungen der Antragstellerin zu entkräften, die andernfalls vom entscheidenden Spruchkörper für bare Münze genommen würden.

XIII. An der mündlichen Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer vom 15. Januar 2010 wies die Antragstellerin ferner folgendes hin.

Die Diskussionen in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer 3.2.08 seien unstrukturiert und chaotisch verlaufen. Dies gelte besonders im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit. Dabei seien 30 Dokumente im Spiel gewesen. Hätte sich die Antragstellerin auf jedes mögliche Argument gegen jede mögliche Kombination dieser Dokumente vorbereiten und zugleich damit rechnen müssen, dass die Kammer von der ständigen Rechtsprechung abweiche, hätte die Verhandlung wohl eine Woche gedauert. Die Aufforderung der Beschwerdegegnerin in ihren Schreiben vom 19. und 27. März 2009, dass sich die Antragstellerin auf dieser Grundlage mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit auseinandersetzen solle, sei unsinnig gewesen. In einem Fall, in dem die Antragstellerin als Patentinhaberin mit 30 Dokumenten aus dem Stand der Technik konfrontiert sei, wäre es die Pflicht der Beschwerdekammer gewesen, vorab zu sagen, welches Dokument speziell ins Auge zu fassen sei, oder zumindest in der Verhandlung entsprechende Hinweise zu geben.

Zur erfinderischen Tätigkeit angesichts einer Kombination von D5 und D11

Was die öffentliche Zugänglichmachung von Dokument D5 betreffe, sei diese im Sinne der Rechtsprechung nicht ausreichend bewiesen worden. Das Dokument D20 sei kein Affidavit und somit als Beweis ungeeignet. Ein solches Affidavit hätte aber von der Einsprechenden als Beweis verlangt werden müssen. In dem Ladungsbescheid der Kammer sei weder D5 noch D6 angesprochen worden. Die Antragstellerin sei daher überrascht gewesen, dass diese Dokumente in der Verhandlung plötzlich eine Rolle spielten und schließlich Grundlage für die Entscheidung wurden. Die Antragstellerin sei auch nicht darüber informiert worden, dass die Kammer bezüglich dem Nachweis der öffentlichen Zugänglichmachung beabsichtigte, massiv von der ständigen Rechtsprechung abzuweichen. Hätte sie dies gewusst, so hätte sie ein Affidavit von Dr. Goyal verlangt oder, da dieser bei der Verhandlung anwesend war, beantragt, dass er als Zeuge gehört werde.

Es stelle eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar, wenn ein Dokument, das in der Verhandlung nicht diskutiert worden sei, in der Entscheidung detailliert angesprochen werde. Auch wenn Dokument D20 schon Teil der Akte gewesen sei, hätten die Parteien ein Recht zu wissen, ob es im Verfahren eine Rolle spielt, worauf sie gegebenenfalls eine Unterbrechung der Verhandlung hätten beantragen können. Im vorliegenden Fall habe die Antragstellerin nicht geahnt, dass die Kammer von der Rechtsprechung zum Nachweis der öffentlichen Zugänglichmachung abweichen wolle, sondern habe angenommen, dass sie sich danach richte. Somit habe ihr die Kammer keine Gelegenheit gegeben, zu dieser Rechtsprechung Stellung zu nehmen, wie dies hätte erwartet können. Wäre ein solches Vorgehen zulässig, so hieße dies, dass allein schon durch die Abhaltung einer Verhandlung oder das Vorliegen eines Dokuments das rechtliche Gehör gewährleistet würde. Die Antragstellerin selbst hatte jedoch von sich aus keine Veranlassung, auf die Rechtsprechung einzugehen, da das Dokument D5 nach ihrer Überzeugung nicht öffentlich zugänglich war und das Dokument D20 nicht diskutiert wurde.

Auf die Frage der Großen Beschwerdekammer, weshalb die Antragstellerin, selbst wenn sonst niemand das Dokument D20 ansprach, dessen Bedeutung nicht in Frage gestellt habe, meinte ihr Vertreter, die Kommentierung unplausibler Beweise könne bis zur Verhandlung offen bleiben, was für vorliegenden Fall zutreffe.

Zur erfinderischen Tätigkeit angesichts von Dokument D11 als solchem

Die Gründe in der Entscheidung der Beschwerdekammer, die sich auf Dokument D11 beziehen, seien in metallurgischer Hinsicht unrichtig. Bei der Verhandlung vor der Beschwerdekammer sei die Antragstellerin von drei Metallurgen begleitet gewesen, die aufgeschrien hätten, wenn die Kammer damals gesagt hätte, worauf sie ihre Entscheidung stützen werde. Doch wurde die erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf Dokument D11 überhaupt nicht diskutiert. Hätte die Antragstellerin gewusst, dass dies einer der Gründe der Entscheidung bilden würde, so hätte sie sich auf dieses Thema vorbereitet.

Auf die Feststellung der Großen Beschwerdekammer, dass das Dokument D11 immer im Zentrum des Falles gestanden habe und schon in der Entscheidung der Einspruchsabteilung angesprochen worden sei, erwiderte die Antragstellerin, dass die Art und Weise, wie dieses Dokument von der Kammer in ihrer Entscheidung verwendet worden sei, vorher nicht klar gewesen sei und dass sie deshalb dazu hätte gehört werden müssen.

Zum Ermessensfehlgebrauch

Am Ende der Verhandlung vor der Beschwerdekammer sei die Antragstellerin davon ausgegangen, die Sache werde an die erste Instanz zurückverwiesen. Es habe keinerlei Hinweis durch die Kammer gegeben, dass dies nicht geschehen werde. Die Antragstellerin stimme zwar mit der Großen Beschwerdekammer darin überein, dass sie nicht habe erwarten können, von der Beschwerdekammer über alle Aspekte informiert zu werden, die in der Entscheidung enthalten sein würden, bevor diese getroffen war. Doch gelte dies nicht für Gesichtspunkte, welche das Ergebnis des Verfahrens bestimmten. In diesem Fall stelle die fehlende Information durch die Kammer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Die Entscheidung der Beschwerdekammer, die Sache nicht zurückzuverweisen sei überraschend gekommen und stelle somit eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar. Auch wenn kein Anspruch auf Zurückverweisung bestehe, so bestehe doch ein Recht auf eine ordentliche Beurteilung des entsprechenden Antrags.

Auf die Frage der Großen Beschwerdekammer, was denn am Vorgehen der Kammer 3.2.08 auszusetzen sei, da offenbar beide Parteien ihren Fall vollständig hätten vortragen können und die Antragstellerin die Gelegenheit gehabt habe, alle ihre Argumente für eine Zurückverweisung vorbringen, bevor die Kammer entschieden habe, erwiderte die Antragstellerin, dass die Kammer zumindest in ihrer vorläufigen Meinung hätte andeuten müssen, dass sie so zu entscheiden gedenke, wie sie es schließlich getan habe. Hätte die Kammer die Parteien informiert, dass sie erwäge, von der Rechtsprechung abzuweichen, wäre die Antragstellerin natürlich auf diesen Aspekt eingegangen. Da die Antragstellerin dies aber nicht wissen konnte, wurde ihr rechtliches Gehör in schwerwiegender Weise verletzt.

XIV. Die Antragstellerin beantragte die Aufhebung der Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.08 vom 30. April 2009, die Wiedereröffnung des Beschwerdeverfahrens, die Rückzahlung der Gebühr für den Antrag auf Überprüfung und die Anordnung, dass die Mitglieder der Beschwerdekammer 3.2.08, die an der Entscheidung vom 30. April 2009 mitgewirkt haben, ausgetauscht werden.

Entscheidungsgründe

1. Die Große Beschwerdekammer ist aus den nachfolgenden Gründen der einstimmigen Meinung, dass der zulässige Antrag auf Überprüfung offensichtlich unbegründet ist.

Erfinderische Tätigkeit angesichts einer Kombination der Dokumente D5 und D11

2. Obwohl die Dokumente D5 und D6 schon im Einspruchsschriftsatz als Stand der Technik genannt wurden, hat die Antragstellerin deren Veröffentlichung erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer 3.2.08 am 29. April 2009 bestritten. Vorher hat sich die Antragstellerin über die Frage der Veröffentlichung nicht geäußert, selbst nachdem die Einsprechende, um ihre Ausführungen zu dieser Frage zu untermauern, mit Schriftsatz vom 26. April 2007 das Dokument D20 eingereicht hatte. Da der Einspruch bereits am 14. Februar 2005 eingelegt worden war, hatte die Antragstellerin somit während vier Jahren die Möglichkeit, die Veröffentlichung von D5 und D6 zu untersuchen und eigene Belege, Beweise und Argumentationen dazu vorzubringen. Schließlich hatte sie die Gelegenheit, sich in der mündlichen Verhandlung zu der öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente D5 und D6 zu äußern. Ihre entsprechende Stellungnahme ergibt sich aus der Begründung der Entscheidung (s. Seite 4, Abschnitt VI, zweitletzter Absatz). Da nur die Beschwerdegegnerin die ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel zu dieser Frage rechtzeitig vorgebracht hatte, war die Bemerkung der Kammer, die Antragstellerin habe keine Gegenbeweise geliefert, im Rahmen der Beweiswürdigung zu erwarten und ist nicht als Umkehrung der Beweislast zu werten.

3. Es scheint, dass die Antragstellerin bzw. ihr Vertreter von der Unzulänglichkeit der Beweise der Beschwerdegegnerin für die öffentliche Zugänglichmachung von D5 so überzeugt waren, dass sie keine Notwendigkeit sahen, dazu weitere Ausführungen zu machen oder Gegenbeweise zu beschaffen und dabei die Möglichkeit nicht in Betracht zogen, dass die Kammer nach Abwägung aller Vorbringen der Parteien schließlich zu einer gegenteiligen Beurteilung kommen könnte. Die Große Beschwerdekammer ist zwar auch der Ansicht, dass es sich bei dem Dokument D20 formal nicht um ein Affidavit handelt. Unabhängig davon wurde dieses Dokument aber von der Einsprechenden offensichtlich als Beweis für die öffentliche Zugänglichmachung von D5 und D6 vorgelegt, sodass die Antragstellerin dadurch, dass sie eigene Ausführungen dazu unterließ, ein gewisses Risiko einging. Insbesondere konnte sie sich nicht darauf verlassen, von der Kammer, die zur Unparteilichkeit verpflichtet ist, zu weiteren Ausführungen aufgefordert zu werden. Ob die Kammer die Frage der öffentlichen Zugänglichmachung von Dokument D5 im Ergebnis richtig beantwortet hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu überprüfen. Doch ergibt sich aus der Akte, dass ihre Feststellung im Rahmen der Beweiswürdigung in Ziff. 4.2 der Entscheidung, die Antragstellerin habe "weder substantiiert dargelegt, inwiefern sich der Vortrag auf den Konferenzen von den Konferenzunterlagen unterschieden haben soll, noch konkrete Hinweise geliefert, die die Glaubwürdigkeit des Affidavits in Frage stellen würden" im Wesentlichen zutrifft. Somit ist in diesem Zusammenhang offensichtlich kein schwerwiegender Verstoß gegen das rechtliche Gehör festzustellen.

Erfinderische Tätigkeit angesichts des Dokuments D11 als solchem

4. Die Antragstellerin hat weiter vorgetragen, das rechtliche Gehör sei ihr verweigert worden, weil die Frage der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf das Dokument D11 allein in der mündlichen Verhandlung nicht diskutiert worden sei. Hätte sie gewusst, dass diese Frage in der Begründung der Entscheidung eine Rolle spiele, hätte sie zu diesem Gesichtspunkt eine vollständige Argumentation vorbereiten und vortragen können, was ihr unter den vorliegenden Umständen versagt worden sei. Dieser Standpunkt ist für die Große Beschwerdekammer aus den folgenden Gründen offensichtlich unbegründet.

5. Das Dokument D11 wurde schon im Einspruchsschriftsatz vom 14. Februar 2005 als Grund für die mangelnde Neuheit sowie die mangelnde erfinderische Tätigkeit genannt. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit angesichts von Dokument D11 als solchem wurde auch von der Beschwerdegegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 30. April 2008 angesprochen. Die Mitteilung der Kammer vom 5. Dezember 2008 hat das Dokument D11 ebenfalls als eines von vier möglichen, nächstkommenden Dokumenten zum Stand der Technik genannt. Dagegen hat die Antragstellerin vor der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren zu der Frage der erfinderischen Tätigkeit weder vor der Einspruchsabteilung noch im schriftlichen Beschwerdeverfahren Stellung genommen. Das Fehlen eines erneuten Hinweises der Kammer auf diese Frage in der mündlichen Verhandlung war kein Hinderungsgrund für die Antragstellerin, diesen Aspekt von sich aus aufzugreifen. Dazu kommt, dass die Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren die Antragstellerin bei zwei Gelegenheiten ausdrücklich dazu aufgefordert hatte, in die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit einzutreten. Die Antragstellerin hatte somit ausreichende Möglichkeiten, sich zu der erfinderischen Tätigkeit auch angesichts von Dokument D11 als solchem zu äußern, hat diese jedoch nicht genutzt. Es wird daraus deutlich, dass das Unterlassen von Vorbringen der Antragstellerin zu diesem Aspekt im Wesentlichen auf ihre eigene Verfahrensführung zurückgeht. Eine schwerwiegende Verletzung von Artikel 113 EPÜ 1973 ist nicht zu erkennen.

Zurückverweisungsantrag - Angeblicher Ermessensfehlgebrauch

6. Obschon die Antragstellerin anerkennt, dass die Entscheidung über die Zurückverweisung an die erste Instanz eine Frage des Ermessens der jeweiligen Beschwerdekammer ist, macht sie im vorliegenden Fall geltend, dass die Kammer, hätte sie die maßgeblichen Gesichtspunkte pflichtgemäß und unter Befolgung der Rechtsprechung berücksichtigt, dem Antrag auf Zurückverweisung hätte stattgeben müssen. Dass dies nicht geschehen sei, sei die Folge einer willkürlichen Ausübung des Ermessens durch die Kammer. Nach Ansicht der Antragstellerin hätte die Kammer zumindest im Ladungsbescheid auf ihre entsprechende Absicht hinweisen und die Parteien darüber informieren müssen, dass sie damit von der ständigen Rechtsprechung abzuweichen beabsichtige, sodass die Antragstellerin diesen Aspekt ebenfalls hätte ansprechen können. Das Ausbleiben eines solchen Hinweises habe die Antragstellerin bis zum Ende der mündlichen Verhandlung annehmen lassen, dass die Zurückverweisung antragsgemäß angeordnet werde, sodass die Entscheidung der Kammer für sie überraschend und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erfolgt sei.

7. Entgegen diesen Ausführungen hatte die Antragstellerin jedoch durchaus die Gelegenheit, sich zu der Frage einer Zurückverweisung zu äußern und hat diese auch ergriffen. Ihre Stellungnahme dazu ergibt sich aus der Entscheidung (s. Seite 4, Abschnitt VI, zweiter Absatz). Sie hat dazu auch schriftlich argumentiert (s. die Beschwerdebegründung vom 10. Dezember 2007 und den Schriftsatz vom 27. März 2009). Auch die Beschwerdegegnerin hat ihre Haltung zu dieser Frage sowohl schriftlich als auch mündlich geäußert. Es bestehen somit keine Zweifel, dass beide Parteien die Möglichkeiten hatten, diese Frage zu diskutieren, bevor die Kammer darüber entschied. Dass die Kammer keiner der Parteien vorab einen Hinweis auf das Ergebnis ihrer Entscheidung gab, ist dabei nicht zu beanstanden.

8. Die Antragstellerin argumentiert weiter, ihr sei als Folge des angeblichen Ermessensfehlgebrauchs die Möglichkeit genommen worden, die erfinderische Tätigkeit in zwei Instanzen zu verteidigen und durch Vorlage von weiterem Beweismaterial die Behauptungen der Gegenseite zu entkräften. Wenn aber, wie erläutert, die Entscheidung über den Antrag auf Zurückverweisung offensichtlich nicht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs zustande kam, bleibt jede Argumentation bezüglich allfälliger weiterer Schritte, die nach einer Zurückverweisung von einer Partei hätten unternommen werden können, spekulativ und irrelevant. Wie es kein Recht auf Zurückverweisung gibt, gibt es auch keinen Anspruch auf weiteres rechtliches Gehör vor der ersten Instanz, solange die Zurückverweisung nicht angeordnet worden ist. Überdies würde auch nach einer Zurückverweisung kein absolutes Recht auf die Einreichung weiterer Beweismittel bestehen, soweit diese nach dem Ermessen der Einspruchsabteilung gemäß Artikel 114(2) EPÜ 1973 nicht zugelassen werden. Soweit die Antragstellerin den Eindruck hat, sie habe bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ihre Argumente zu der Frage der erfinderischen Tätigkeit nicht ausreichend vorbringen können, geht dieser Umstand auch hier auf ihre eigene Verfahrensführung zurück.

9. Die folgenden Erwägungen betreffen sämtliche Beanstandungen der Antragstellerin. Für jeden der drei behaupteten Fälle einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs ergibt sich (siehe Ziffern 2, 5 und 7 oben), dass die Antragstellerin tatsächlich die Gelegenheit zur Äußerung hatte. Teilweise ergriff sie diese auch, teilweise zog sie es aber vor, dies nicht zu tun. Die Argumente der Antragstellerin betreffen somit weniger die Verweigerung einer Gelegenheit zur Äußerung an sich, als vielmehr die Verweigerung einer weiteren Gelegenheit zur Äußerung, indem die Kammer sie vorab über verschiedene Aspekte der zu treffenden Entscheidung hätte informieren sollen. So kritisiert die Antragstellerin die Kammer etwa dafür, dass sie die Dokumente D5 und D6 in ihrer Mitteilung nicht erwähnte, dass sie das Dokument D20 und die Frage der erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Dokument D11 in der Verhandlung nicht ansprach und dass sie nicht ankündigte, von der Rechtsprechung bezüglich öffentlicher Zugänglichmachung bzw. Zurückverweisung (angeblich) abweichen zu wollen. Bezüglich aller dieser Gesichtpunkte argumentiert die Antragstellerin, dass sie, wäre sie darauf hingewiesen worden, zusätzliche Argument und Beweismittel vorgebracht hätte. Da dies nicht geschehen sei, sei es für sie überraschend gewesen, diese Gesichtspunkte in der Entscheidung vorzufinden.

10. Ausgehend von dieser Argumentationslinie hat sich die Antragstellerin bei der Beantwortung von Fragen der Grossen Beschwerdekammer in der Verhandlung vom 15. Januar 2010 auf folgende zusätzlichen Argumente gestützt. Nach ihrer Ansicht bedeutet die Tatsache, dass sich ein Dokument im Verfahren befindet, nicht, dass es bei der Entscheidungsfindung verwendet werden kann, es sei denn, die Parteien würden vorab darüber ausdrücklich informiert, sodass sie gegebenenfalls einen Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens stellen und zusätzliche Argumente vorbringen könnten. Insbesondere war die Antragstellerin der Meinung, dass sie Gesichtspunkte nicht selbst zur Sprache bringen müsse, solange andere Beteiligte dies auch nicht taten. Ferner brauche sie vor der mündlichen Verhandlung zu einem unplausiblen Beweismittel, wie dem Dokument D20, keine Stellung zu nehmen und habe dieses Dokument auch in der Verhandlung nicht angesprochen, weil es dort nicht mehr diskutiert worden sei. Auf die Bemerkung der Grossen Beschwerdekammer, dass das Verfahren vor der Beschwerdekammer doch wohl korrekt verlaufen sei, indem beide Parteien ausreichend Gelegenheit hatten, alle ihre Argumente vorzutragen, bevor die Kammer darüber entschied, machte die Antragstellerin geltend, eine Verweigerung ihres rechtlichen Gehörs liege schon dann vor, wenn sie nicht vorab wisse, wie die Kammer zu entscheiden gedenke.

11. Die Grosse Beschwerdekammer kann sich weder der hauptsächlichen Argumentationslinie der Antragstellerin, noch den genannten Zusatzargumenten anschließen. Wie sich aus der Rechtsprechung der Grossen Beschwerdekammer im Überprüfungsverfahren ergibt, besteht kein Anspruch darauf, dass eine Kammer den Beteiligten vor ihrer Entscheidung im Einzelnen alle absehbaren Gründe darlegt, die sich in der Entscheidungsbegründung finden (siehe dazu R 1/08 vom 15. Juli 2008, Ziff. 3.1 der Gründe; R 3/09 vom 3. April 2009, Ziff. 5.2 der Gründe; R 8/09 vom 23. September 2009, Ziff. 2.1 der Gründe, letzter Satz, und Ziff. 3; und R 13/09 vom 22. Oktober 2009, Ziff. 2.6.3 und 2.6.4 der Gründe). Abgesehen von dem Fall, dass eine Kammer es ausdrücklich ablehnt, einen Beteiligten zu einer bestimmten Frage zu hören, reicht es für die Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113(1) EPÜ 1973 in der Regel aus, wenn die Gründe der schriftlichen Entscheidung einem Argument entsprechen, das von irgend einem der am Verfahren Beteiligten vorgebracht worden ist, sodass der Antragsteller es kannte und somit von einer entsprechenden Begründung nicht überrascht sein konnte (siehe R 4/08 vom 20. März 2009, Ziff. 3.3 der Gründe; und R 2/08 vom 11. September 2008, Ziff. 8.2 der Gründe). Es steht jeder Partei frei, wie sie ihren Fall vorbringen will, während es der Kammer obliegt, auf der Grundlage der Vorbringen der Parteien zu entscheiden. Dabei sollte eine Kammer in inter partes Verfahren nicht einseitig einer Partei helfen, indem sie ihr vorab entsprechende Hinweise gibt, sei es in der mündlichen Verhandlung (siehe R 11/08 vom 6. April 2009, Ziff. 14 der Gründe) oder in einer Mitteilung (siehe R 3/09 vom 3. April 2009, Ziff. 5.1 und 5.2 der Gründe). Eine Partei, die eine Entscheidung zu ihren Gunsten anstrebt, hat sich aktiv am Verfahren zu beteiligen und auf eigene Initiative alles rechtzeitig vorzubringen, was ihre Position stützt (siehe R 2/08 vom 11. September 2008, Ziff. 8.5 und 9.10 der Gründe). Dabei gehört es zum Beruf von zugelassenen Vertretern, dass sie selbständig - d.h. ohne Mithilfe einer Kammer - entscheiden, wie sie ihre Fälle führen (siehe T 0506/91 vom 3. April 1992, Ziff. 2.3 der Gründe, zustimmend zitiert in R 11/08 vom 6. April 2009, Ziff. 10 der Gründe).

12. Wie sich aus den Akten im vorliegenden Fall ergibt, richtete die Antragstellerin ihre Bestrebungen im gesamten Beschwerdeverfahren darauf, für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung zu erreichen, weshalb sie fast ausschließlich zur Neuheit argumentierte. Im Gegensatz dazu wandte sich die Beschwerdegegnerin von Anfang an gegen eine solche Zurückverweisung und brachte inhaltliche Argumente gegen die erfinderische Tätigkeit vor. Alle Fragen, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung der Kammer 3.2.08 sind, einschließlich derjenigen, auf die von der Antragstellerin im Überprüfungsverfahren Bezug genommen wird, sind jedoch im Laufe des Beschwerdeverfahrens angesprochen worden und beide Parteien hatten ausreichend Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Dass die Antragstellerin zu bestimmten Fragen im Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit weder schriftlich noch mündlich Stellung nahm, ist das Ergebnis ihrer eigenen Verfahrensführung. Es muss ihr dabei klar gewesen sein, dass sie dadurch für den Fall, dass keine Zurückverweisung an die erste Instanz erfolgte, einen Nachteil in Kauf nahm. Selbst als sie wenige Wochen vor der Verhandlung von der Beschwerdegegnerin aufgefordert wurde, zu Fragen der erfinderischen Tätigkeit Stellung zu nehmen (was jeden Verspätungseinwand der Beschwerdegegnerin praktisch ausgeschlossen hätte), tat sie dies nicht.

13. Unter Einhaltung ihrer neutralen Stellung gab die Beschwerdekammer 3.2.08 keiner der Parteien im Verfahren besondere Hinweise oder andere Hilfestellungen. Nicht zu beanstanden ist insbesondere, dass sich die Kammer in ihrem Ladungsbescheid, den die Antragstellerin wegen des Fehlens eines entsprechenden Hinweises kritisiert, zu der Streitfrage der Zurückverweisung nicht festgelegt hat. Die Kammer hat dazu beide Parteien gehört, soweit sich diese dazu äußern wollten, und hat dann auf dieser Grundlage ihre Entscheidung getroffen, wobei sie bezüglich der Zurückverweisung pflichtgemäß von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht hat. Dabei musste eine der Parteien zwangsläufig mit ihren Argumenten unterliegen, was für diese subjektiv eine Überraschung gewesen sein mag und die Vorstellung erweckt haben kann, dass sie bei vorheriger Kenntnis der Entscheidungsgründe anders argumentiert hätte. Eine solche, subjektiv begründete Überraschung kann jedoch an der Tatsache nichts ändern, dass die Antragstellerin alle Argumente der Beschwerdegegnerin kannte und dazu Stellung nehmen konnte, sodass objektiv kein Anlass für eine Überraschung vorlag (siehe R 4/08 vom 20. März 2009, Ziff. 3.3 der Gründe). Eine solche subjektive Überraschung kann im Rückblick keinen Anspruch auf eine vorherige Mitteilung der Entscheidungsgründe begründen, sodass deren Ausbleiben offensichtlich auch nicht als Verstoß (und schon gar nicht als schwerwiegender Verstoß) gegen das rechtliche Gehör zu beurteilen ist.

14. Im Übrigen stellen alle drei Punkte des vorliegenden Antrags auf Überprüfung auch die sachliche Richtigkeit der Entscheidung der Kammer 3.2.08 über die fehlende erfinderische Tätigkeit und die nicht angeordnete Zurückverweisung in Frage. Insoweit erscheint der Überprüfungsantrag als Versuch, diese Entscheidung auch materiell anzufechten, was im Verfahren gemäß Artikel 112a EPÜ nicht zulässig ist (siehe R 1/08 vom 15. Juli 2008, Ziff. 2.1 der Gründe und die darin zitierten travaux préparatoires; R 2/08 vom 11. September 2008, Ziff. 5 der Gründe; R 9/08 vom 21. Januar 2009, Ziff. 6.3 der Gründe; R 3/09 vom 3. April 2009, Ziff. 3, 9 und 10 der Gründe; R 8/09 vom 23. September 2009, Ziff. 2.7 der Gründe; und R 13/09 vom 22. Oktober 2009, Ziff. 2.2 der Gründe).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entscheiden:

Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

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