R 0015/09 (Schwerwiegender Verstoß gegen Art. 113 EPÜ/GLAS PLATZ) of 5.7.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:R001509.20100705
Datum der Entscheidung: 05 Juli 2010
Aktenzeichen: R 0015/09
Antrag auf Überprüfung von: T 1068/06
Anmeldenummer: 98937547.2
IPC-Klasse: H01B 5/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Elektrische Vorrichtung, elektrisches Gerät bzw. Beleuchtungsvorrichtung
Name des Anmelders: Glas Platz
Name des Einsprechenden: Schott AG et al
Hartmann, Rainer, Dr.
Jäger, Steffen, Dr.
Kammer: EBA
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 112a
European Patent Convention Art 113
European Patent Convention R 104
European Patent Convention R 106
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0004/08
R 0011/08
R 0003/09
R 0012/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
R 0015/10
R 0022/10
R 0006/11
R 0007/11
R 0019/11
R 0015/12
R 0003/13
R 0016/13
R 0006/14
R 0003/15
R 0007/15
T 2023/09
T 1635/13
T 0997/15
T 1691/15
T 2241/15
T 1287/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren T 1068/08 (im weiteren: "Antragstellerin") reichte am 8. September 2009 unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr einen Antrag gemäß Artikel 112a EPÜ auf Überprüfung der von der Beschwerdekammer 3.5.02 in der mündlichen Verhandlung am 7. Mai 2009 verkündeten und mit den schriftlichen Gründen am 29. Juni 2009 zur Post gegebenen Entscheidung ein.

II. Dem Beschwerdeverfahren lag die Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde, alle drei u. a. auf den Einspruchsgrund nach Art. 100 b) EPÜ gestützten Einsprüche zurückzuweisen.

III. Der nunmehr nach Art. 112a EPÜ zu überprüfenden Entscheidung der Beschwerdekammer lagen als Hauptantrag die erteilte Fassung des strittigen Patents zugrunde, dessen Anspruch 1 lautete:

"Elektrische Vorrichtung (4) mit einem Stromanschluss und mit einer Leiteranordnung aus einem nicht-leitenden Trägermaterial (1) mit mindestens einer transparenten elektrisch leitenden Schicht (2),

dadurch gekennzeichnet,

dass mindestens eine mit Strom zu versorgende Einrichtung (7) über die Leiteranordnung mit dem Stromanschluss verbunden ist, und

dass die transparente elektrisch leitende Schicht (2) mit einer Querschnittsschichtfläche Asch und einem spezifischen Widerstand deltasch ein Verhältnis von deltasch/Asch <= 0,4 Ohm/mm, vorzugsweise <= 0,3 Ohm/mm, aufweist.",

ferner ein in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgelegter Hilfsantrag 1 sowie die in Vorbereitung der Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 2 bis 5.

IV. Die Beschwerdekammer hob die angefochtene Entscheidung auf und widerrief das Patent, weil sie das Erfordernis des Artikels 100 b) EPÜ als nicht erfüllt ansah. In den Entscheidungsgründen finden sich dazu u. a. folgende Ausführungen:

"So ist die Einhaltung der beanspruchten Obergrenze des Verhältnisses deltasch/Asch <= Ohm/mm bei einer elektrischen Vorrichtung gemäß Anspruch 1, die jedoch eine kürzere Leitungsanordnung und/oder einen Verbraucher mit einer niedrigeren Leistungsaufnahme als diejenigen des Ausführungsbeispiels umfasst, nicht unbedingt erforderlich, um einen hohen Leistungsverlust und somit eine übermäßige Erhitzung der Leitungsanordnung zu vermeiden. Im Gegenteil ist die Erfüllung der o. g. Bedingung beim Verhältnis deltasch/Asch keine Garantie dafür, dass eine beanspruchte Leitungsanordnung die vom angeschlossenen Verbraucher aufgenommene Leistung mit geringen Verlusten übertragen kann." (Punkt 2.6).

"Zusammenfassend ist festzustellen, dass der im Rahmen eines bestimmten Ausführungsbeispiels berechnete Wert deltasch/Asch = 0,4 Ohm/mm nicht die Obergrenze eines Bereichs darstellt, der im Allgemeinen als Lösung der der Erfindung zugrundeliegenden Aufgabe gelten kann." (Punkt 2.8).

"Da keiner der Hilfsanträge die Länge der Leiteranordnung angibt und die o. g. Einwände gegen die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung unabhängig vom Material der elektrisch leitenden Schicht sind, gelten sie auch für die Hilfsanträge." (Ziff. 4.2).

"Zusammenfassend ist die Beschwerdekammer der Auffassung, dass die Lehre des Streitpatents, die im Wesentlichen darin besteht, als Leitungsanordnung für eine elektrische Vorrichtung eine transparente elektrisch leitende Schicht mit einem Verhältnis deltasch/Asch <= 0,4 Ohm/mm zu wählen, nicht für alle unter Anspruch 1 fallenden Vorrichtungen als Kriterium zur Gewährleistung einer möglichst hohen Leistungsübertragung (…) und eines geringen Leistungsverlustes (…) gelten kann. Weil der Fachmann, der sich auf diese Lehre stützt, nicht sicher sein kann, zu einer Vorrichtung zu gelangen, welche die gestellte Aufgabe tatsächlich löst, ist die Erfindung des Streitpatents nicht ausreichend offenbart." (Ziffer 5).

V. Ihren Antrag, diese Entscheidung nach Überprüfung gemäß Art. 112 (2) c) und d) EPÜ aufzuheben und die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Technischen Beschwerdekammer 3.5.02 anzuordnen, begründet die Antragstellerin im Wesentlichen wie folgt:

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 EPÜ

i) Aus der Zusammenfassung in Abschnitt 5 auf Seite 16 der Entscheidungsgründe sei die Auffassung der Beschwerdekammer ersichtlich, die in Anspruch 1 angegebene Formel deltasch/Asch <= 0,4 Ohm/mm könne nicht für alle unter den Hauptantrag fallenden Vorrichtungen die Obergrenze eines Bereichs definieren, bei dem eine möglichst hohe Leistungsübertragung oder ein geringer Leistungsverlust gewährleistet werde. Deshalb könne sich der Fachmann nicht sicher sein, unter Anwendung der Erfindung zu einer Vorrichtung zu gelangen, die die gestellte Aufgabe tatsächlich löse. Folglich sei die Erfindung des Streitpatents nicht ausreichend offenbart. Dabei habe die Beschwerdekammer jedoch unberücksichtigt gelassen, dass die Aufgabe der Erfindung gemäß Abschnitt [0008] der Patentschrift darauf gerichtet sei, einfach und kostengünstig eine nicht sichtbare Stromzufuhr zum Verbraucher zu ermöglichen. Vielmehr sei sie in ihrer Entscheidung ohne vorherige Erörterung mit den Parteien und entgegen den Ausführungen in der Anlage zur Ladung von einer veränderten Aufgabenstellung ausgegangen, die in der Patentschrift lediglich als Vorteil angegeben werde.

ii) Jedenfalls sei erkennbar, dass die Entscheidung auf anderen Argumenten zum Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ basiert, als sie von den Beschwerdeführern vorgetragen und während der mündlichen Verhandlung diskutiert worden seien. Es sei dabei immer um die Bedeutung der angeblich nicht definierten Untergrenze des im Patentanspruch angegebenen Bereichs gegangen. Die Beschwerdekammer habe es in der mündlichen Verhandlung unterlassen, darauf hinzuweisen, dass andere als die bis dahin vorgetragenen Gründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen könnten. Selbst wenn die Kammer das getan hätte, wäre zumindest eine Unterbrechung der Verhandlung geboten gewesen, die der Patentinhaberin die Möglichkeit eröffnet hätte, auf die neuen Argumente sachgerecht zu reagieren. So sei ihr nicht genügend Zeit verblieben, um zu der neuen Argumentation der unzureichenden Offenbarung der Erfindung im Hinblick auf die Obergrenze des Bereichs deltasch/Asch <= 0,4 Ohm/mm Stellung zu nehmen. Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ergebe sich nichts Gegenteiliges.

iii) Die Hilfsanträge seien in der der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht diskutiert worden. Ihre Zurückweisung (ebenfalls im Hinblick auf Art. 100 b) EPÜ) scheine sich auf andere als die zum Hauptantrag genannten Gründe zu stützen, nämlich darauf, dass dort die Länge der Leiteranordnung nicht angegeben sei. Zu dieser anderslautenden - und widersinnigen - Begründung habe die Antragstellerin nicht vortragen können.

Schwerwiegender Verfahrensmangel i. S. von Art. 112a (2) d) EPÜ

iv) Die Kammer habe außerdem über die Beschwerde entschieden, ohne über die hierfür relevanten Anträge

- der Patentinhaberin und nunmehrigen Antragstellerin, das Streitpatent hilfsweise im Umfang der Hilfsanträge aufrechtzuerhalten, sowie

- der Beschwerdeführerin Schott AG (nunmehr Antragsgegnerin) auf eine Zwischenentscheidung hinsichtlich des Begriffs "transparent"

zu entscheiden.

Rügepflicht nach Regel 106 EPÜ

v) Eine Rüge der Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs sei der Antragstellerin nicht möglich gewesen, da nach Beratung über den Hauptantrag die Entscheidung verkündet und die mündliche Verhandlung geschlossen worden sei. Aus dem Verhalten der Beschwerdekammer in der mündlichen Verhandlung sei nicht erkennbar gewesen, dass seitens der Beschwerdekammer neue Gründe für den Widerruf des Patents geltend gemacht wurden. Diese Gründe, wie sie aus der Entscheidungsbegründung entnehmbar seien, seien nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung oder sonst des Verfahrens gewesen, sondern hätten sich wohl erst während der Beratung der Beschwerdekammer ergeben. Hinsichtlich der Hilfsanträge sei die Antragstellerin von einer solchen Rüge sogar abgehalten worden, da sie nach dem Gang der mündlichen Verhandlung und dem Verhalten der Beschwerdekammer darauf vertrauen durfte, dass die Hilfsanträge noch aufgerufen und diskutiert würden. Dies sei dann aber nicht geschehen, so dass zu diesen weder Argumente seitens der Beschwerdekammer noch auch der Einsprechenden vorgebracht wurden. Die Antragstellerin habe keine Möglichkeit zur sachlichen Äußerung oder auch nur zu einer Rüge dieses Umstandes gehabt. Erst in Kenntnis der Entscheidungsgründe, welche in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht einmal andeutungsweise erkennbar gewesen seien, sei eine Rüge möglich gewesen.

VI. Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 3. Februar 2010 wurde die Besetzung der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 9 (2) ihres Geschäftsverteilungsplans auf fünf Mitglieder erweitert. Am 5. Mai 2010 sind die Parteien des Beschwerdeverfahrens zur mündlichen Verhandlung am 5. Juli 2010 geladen und in einer Anlage zur Ladung über die vorläufige Einschätzung des Überprüfungsantrags durch die Große Beschwerdekammer informiert worden.

VII. Von den Antragsgegnerinnen ist als Einzige die Beschwerdeführerin I dem Antrag auf Überprüfung entgegengetreten.

i) Sie stellte den Antrag, den Überprüfungsantrag zurückzuweisen, und führte zur Begründung aus, die Frage der Ausführbarkeit des streitgegenständlichen Patents sei in der mündlichen Verhandlung eingehend, und zwar - wie bereits in der Anlage zur Ladung angesprochen - hinsichtlich der gesamten Breite des Parameters deltasch/Asch in Anspruch 1 des Hauptantrags mit der Beschwerdekammer erörtert worden. Überdies sei zwischen allen Beteiligten ausführlich diskutiert worden, ob ein Verhältnis >0,4 für deltasch/Asch ebenfalls die Aufgabe gemäß Absatz [0012] der Patentschrift löse, wenn nur die Leitungslänge, die aber nicht Gegenstand von Anspruch 1 sei, entsprechend gewählt werde. Die Kammer habe die Patentinhaberin aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen, was diese auch getan habe. Damit könne diese nicht behaupten, die angegriffene Entscheidung beruhe auf völlig neuen Gründen zur Ausführbarkeit des Streitpatents. Das gelte auch hinsichtlich des Verhältnisses von Erwärmung und Leitungslänge. Da die Antragstellerin dazu aber nicht Stellung genommen habe, habe sie ihr Rügerecht nach Regel 106 EPÜ verwirkt.

ii) Auch die Hilfsanträge seien Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Die Kammer habe darauf hingewiesen, dass der festgestellte Mangel der Ausführbarkeit nicht nur den Hauptantrag, sondern gleichfalls alle Hilfsanträge in Frage stelle, weil auch insoweit der Parameter deltasch/Asch in Anspruch 1 die Schichten nicht ausreichend ausführbar spezifizieren könne. Darauf sei in der mündlichen Verhandlung nachdrücklich hingewiesen und der Patentinhaberin Gelegenheit gegeben worden, neue Hilfsanträge vorzulegen. Dies habe sie nach einer überraschend kurzen Unterbrechung mit der Vorlage eines neuen Hilfsantrags 1 auch getan, ohne jedoch darin das fragliche Merkmal, das bereits alle anderen Anträge gekennzeichnet habe, zu präzisieren. Die Mängel ihrer Anträge seien sodann diskutiert worden, ohne dass die Antragstellerin eine Verfahrensrüge im Sinne der Regel 106 EPÜ erhoben oder die Einräumung einer weiteren Bedenkzeit erbeten hätte.

VIII. Beide Parteien haben für ihre Darstellung des Verlaufs der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren Zeugenbeweis angeboten.

IX. In der mündlichen Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer vom 5. Juli 2010 bekräftigten und vertieften die Parteien ihr schriftliches Vorbringen und schilderten aus ihrer Sicht den Ablauf der mündlichen Verhandlung vor der Technischen Beschwerdekammer. Sodann trat die Kammer in eine eingehende Erörterung des Falles ein. Am Ende der Verhandlung bestätigten die Parteien ihre schriftlich gestellten Anträge, worauf nach Beratung durch die Kammer deren Entscheidung verkündet wurde.

Entscheidungsgründe

Zulässigkeit des Antrags

1. Die zu überprüfende Entscheidung ist am 29. Juni 2009 zur Post gegeben worden, womit sie zehn Tage danach, also am 9. Juli 2009, als zugestellt gilt (Regel 126 (2) EPÜ). Die Einreichung des Antrags auf Überprüfung am 8. September 2009 sowie die Zahlung der Antragsgebühr am selben Tage sind somit rechtzeitig innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung (Artikel 112a (4) EPÜ) erfolgt.

2. Der Antrag ist auch insofern zulässig, als die Antragstellerin durch die zu überprüfende Widerrufsentscheidung der Beschwerdekammer beschwert ist (Artikel 112a (1) EPÜ).

3. Von der Erörterung der Frage, ob und welche konkrete Rügepflicht nach Regel 106 EPÜ hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensmängel jeweils bestand und ob sie ggf. erfüllt wurde, sieht die Kammer angesichts der jedenfalls gegebenen Unbegründetheit des Überprüfungsantrages (siehe ab Punkt 4, unten) ab. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang nur darauf, dass der von der Antragstellerin u. a. erhobene Einwand, die die Entscheidung i. S. von Art. 113 (1) EPÜ stützenden Gründe seien ihr erstmals aus den schriftlichen Entscheidungsgründen erkennbar geworden, naturgemäß nicht im Beschwerdeverfahren erhoben werden konnte (Regel 106 EPÜ), so dass eine diesbezügliche Rügepflicht nicht bestand. Ob sich die Antragstellerin zu Recht auf Artikel 112a (2) c) EPÜ beruft, ist eine Frage der Begründetheit.

Begründetheit des Antrags

4. Zum geltend gemachten schwerwiegenden Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ wegen Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs (Artikel 112a (2) c) EPÜ):

4.1 Von einer Beweisaufnahme zum konkreten Verlauf der Debatte in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hat die Kammer aus grundsätzlichen Erwägungen Abstand genommen:

4.1.1 Der Verlauf mündlicher Verhandlungen ist ein in seiner Einmaligkeit und Vielschichtigkeit nicht zuverlässig und vollständig reproduzierbares Ereignis. Ein objektives Bild aller auf das Parteienverhalten in der Verhandlung möglicherweise einwirkenden Aspekte ist von einer Beweisaufnahme nicht zu erwarten, insbesondere auch nicht durch die nachträgliche Vernehmung von daran Beteiligten als Zeugen und/oder die Heranziehung von deren Aufzeichnungen und Berichten. Daher sollte man sich auch im Verfahren nach Art. 112a EPÜ, soweit möglich, nur auf die Verhandlungsniederschrift und die Sachverhaltsdarstellung in der zu überprüfenden Entscheidung stützen. Diese Beschränkung dient auch dem Zweck der mündlichen Verhandlung als Forum für einen direkten und freien, persönlichen Dialog zwischen allen Verfahrensbeteiligten und dem entscheidenden Organ und entspricht allgemeinen Verfahrensgrundsätzen, nicht zuletzt auch dem Unmittelbarkeitsgrundsatz.

4.1.2 Zudem würde der Versuch einer umfassenden, detaillierten Rekonstruktion der Natur des Überprüfungsverfahrens als außerordentlichem Rechtsmittel widersprechen. Denn die Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ der Entscheidungen der Beschwerdekammern als letzte Instanz steht in einem Spannungsverhältnis zum Prinzip der Rechtskraft und damit auch zur Rechtssicherheit. Diesem Spannungsverhältnis trägt die ausdrückliche Beschränkung der Überprüfbarkeit von Beschwerdekammerentscheidungen nach Art. 112a (2) d) EPÜ auf "schwerwiegende" Verfahrensfehler Rechnung. Damit sind nur solche Regelverstöße gemeint, die den Grundsätzen eines rechtlichen Verfahrens so fundamental widersprechen, dass sie klar zutage treten und sich damit abheben von dem im Einzelnen zwischen den Parteien strittigen Vorgängen in der mündlichen Verhandlung.

4.2 Die Antragstellerin war im Beschwerdeverfahren fachkundig beraten und hat diese Fachkunde in ihren schriftsätzlichen und mündlichen Äußerungen vor der Beschwerdekammer auch unter Beweis gestellt. So hat sie sich, wie die Entscheidungsgründe auf S. 9 - zutreffenderweise, wie die Antragstellerin vor der Kammer eingeräumt hat - festhalten, in der mündlichen Verhandlung wie folgt geäußert:

"Es sei ferner für den Fachmann selbstverständlich, dass die Länge der Leitungsanordnung und der zu übertragende Strom einen Einfluss auf die Leistungsverluste haben. Es sei aber eine dem Fachmann zumutbare Aufgabe, die optimale Schichtquerschnittsfläche Asch der elektrisch leitenden Schicht entsprechend der Länge der Leitungsanordnung und unter Einhaltung der im Anspruch 1 aufgeführten Bedingung deltasch/Asch <= 0,4 Ohm/mm zu wählen."

Diese - nicht isoliert, sondern im Verlauf der Erörterung der Erfüllung der Erfordernisse des EPÜ getätigte - Äußerung ist kaum vereinbar mit der Behauptung, es sei vor und in der mündlichen Verhandlung immer um die Bedeutung der angeblich nicht definierten Untergrenze des im Patentanspruch angegebenen Bereichs deltasch/Asch<=0,4 gegangen (konkret um die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung im Hinblick darauf, dass das in Anspruch 1 angegebene Verhältnis von deltasch/Asch nach unten nicht begrenzt sei und auch den nicht durchführbaren Wert 0 umfasse). Vielmehr steht diese Äußerung in engstem sachlichen Zusammenhang mit den konkreten Gründen, die in der Entscheidung für die Nichterfüllung der Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ ausgeführt sind (siehe Punkt IV, oben). Die Äußerung stammt vom zugelassenen, fachkundigen Vertreter der Antragstellerin, von welchem zu erwarten war, die Tragweite der Fragen und Hinweise der Beschwerdekammer und die Argumentation der Gegenseite zu erkennen, unklare Ausführungen fragend aufzugreifen, mögliche Missverständnisse anzusprechen und die eigene Sicht der Dinge derjenigen der Kammer und der gegnerischen Partei gegenüberzustellen (siehe auch R 12/09 vom 15. Januar 2010, Ziff. 11 der Gründe). Diese Verpflichtungen zur aktiven und eigenverantwortlichen Mitwirkung am Verfahren oblagen (dem Vertreter) der Antragstellerin als Beteiligte im Einspruchsbeschwerdeverfahren umso mehr, als dieses Verfahren den Parteien größere Selbständigkeit abverlangt, als das Anmeldeverfahren. Denn im zweiseitigen Verfahren gebieten die Neutralität des Spruchkörpers und das Gebot der Gleichbehandlung der Parteien, dass die Kammer sich mit allzu weitgehenden Hinweisen zurückhält, sei es in der mündlichen Verhandlung (siehe R 11/08 vom 6. April 2009, Ziff. 14 der Gründe) sei es in ihren Mitteilungen an die Parteien (siehe R 3/09 vom 3. April 2009, Ziff. 5.1 und 5.2 der Gründe; ebenso R 12/09 vom 15. Januar 2010, Ziff. 11, 13 der Gründe). Selbst wenn man dem Vertreter der Antragstellerin unterstellte - wofür die Kammer aber keinen Anhaltspunkt sieht -, er sei sich dieser Mitwirkungspflichten der Antragstellerin nicht bewusst gewesen, so zeigt diese Äußerung, dass er jedenfalls Gelegenheit hatte, sich zu den Entscheidungsgründen im Sinne von Art. 113 (1) EPÜ zu äußern und das auch getan hat - durchaus zur Sache i. S. der späteren Entscheidungsgründe, allerdings ohne Erfolg in der Sache.

4.3 Unterstrichen wird dies durch die Tatsache, dass der Antragstellerin noch in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit zur Anpassung ihrer Anträge an den Diskussionsstand gegeben wurde, welche sie durch Einreichung eines neuen ersten Hilfsantrags genutzt hat. In diesem wie in allen anderen, schon vorher eingereichten Anträgen ist der im Anspruch 1 angegebene Bereich deltasch/Asch <= 0,4 unverändert gelassen worden, also genau der Bereich, dessen angeblich nicht definierte Untergrenze nach dem Vorbringen der Antragstellerin alleiniger Gegenstand der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung gewesen sein soll.

4.4 Die Notwendigkeit, über sämtliche Sachanträge zu entscheiden, in Verbindung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 113 EPÜ) bedeutet nicht, dass diese Anträge in der von der Patentinhaberin vorgegebenen Reihenfolge förmlich aufzurufen und jeder für sich in jeder tatsächlichen und rechtlichen Hinsicht mit den Parteien zu erörtern wären. Vielmehr ist es durchaus möglich und kann aus verfahrensökonomischen Gründen und im Interesse einer sachbezogenen Diskussionsführung mitunter sogar geboten sein -, bei mehreren Haupt- bzw. Hilfsanträgen eine ihnen gemeinsame Problematik in einem zu erörtern. Solange im vorliegenden Fall für die Parteien klar oder zumindest erkennbar gewesen ist, dass es sich dabei um einen allen Anträgen gemeinsamen Grund einer möglichen Nichtgewährbarkeit handelte, und sie spätestens in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit hatten, sich zu diesem Mangel zu äußern, wird durch eine Endentscheidung, wonach wegen diesem Mangel keiner der Anträge des Patentinhabers gewährbar ist und das Patent daher widerrufen wird, Artikel 113 (1) EPÜ nicht verletzt.

4.5 Unter diesen Umständen kann das Kernargument der Antragstellerin, erstmals in der Entscheidung sei der Obergrenze des in Anspruch 1 angegebenen Verhältnisses deltasch/Asch <= 0,4 Ohm/mm für die Ausführbarkeit der gestellten Aufgabe nach Art. 83 EPÜ entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen worden, nicht durchgreifen, weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht. Selbst wenn in der mündlichen Verhandlung die Obergrenze des Verhältnisses deltasch/Asch tatsächlich nicht konkret und/oder ausdrücklich angesprochen worden wäre (was u. a. vom Berichtsschreibens des Vertreters der Antragstellerin nicht bestätigt wird), so ist nicht zuletzt auch aus dem Vortrag der Antragstellerin (Ziff. 4.3, oben) klar, dass das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ nicht nur beschränkt auf die Frage, ob die Untergrenze dieses Bereiches eindeutig definiert sei (und nicht nur beschränkt auf einen Teil der Anträge der Patentinhaberin) in der Verhandlung diskutiert wurde. Die entsprechende Argumentation in den Entscheidungsgründen (siehe Pkt. IV, oben) ist denn auch keineswegs nur auf die Obergrenze dieses Bereiches (und/oder nur auf einen Teil der Anträge) bezogen.

4.6 Wenn die Antragstellerin angesichts dessen den Eindruck gewonnen hat, dass die Begründung und der Tenor der Entscheidung nicht vom Ergebnis der Erörterung des Sach- und Streitstandes in der mündlichen Verhandlung getragen werden, so beruht dies ganz offenbar auf einem Missverständnis der Antragstellerin über die Bedeutung der Ober- und Untergrenzen des Parameters deltasch/Asch in der Debatte und/oder den Entscheidungsgründen. Dieses Missverständnis dürfte bei der Antragstellerin auch den Eindruck erweckt haben, ihre Hilfsanträge, die unter demselben Mangel litten wie der Hauptantrag, seien nicht erörtert worden und auch die Tragweite des Parameters deltasch/Asch sei hinsichtlich seiner Obergrenze unerörtert geblieben. Für subjektiv bedingte Missverständnisse trägt freilich jede Partei selbst die Verantwortung, auch und gerade wenn sie zu Überraschungen führen, weil die am Verfahren Beteiligten aneinander vorbeigeredet haben. Von diesem Risiko vermag Artikel 112a EPÜ eine Partei nicht zu entbinden (siehe R 4/08 vom 20. März 2009, Ziff. 3.3 der Gründe; R 12/09 vom 15. Januar 2010, Ziff. 13 der Gründe). Die mündliche Verhandlung dient der umfassenden Erörterung des Falles, einschließlich neuer sich aus der Erörterung ergebender Fragestellungen, weil es andernfalls mit dem schriftlichen Verfahren sein Bewenden haben könnte. Eine Beschwerdekammer ist allerdings nicht verpflichtet, bei dieser Erörterung alle nur denkbaren späteren Entscheidungsgründe anzusprechen und mit den Parteien zu diskutieren, solange deren Einbeziehung in die Überlegungen im Verfahren zumindest angesprochen worden sind und die Kenntnis von deren Bedeutung bei einer technisch und patentrechtlich vorgebildeten Partei vorausgesetzt werden kann (siehe R 12/09, oben, Ziff. 11 der Gründe mit Verweis auf die gefestigte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall war die Bedeutung der Obergrenze für die Ausführbarkeit der Erfindung evident, und es wäre Aufgabe der Antragstellerin gewesen, ihre Ausführungen insoweit zu ergänzen oder zumindest nachzufragen. Dafür mag sie damals keinen Anlass gesehen haben; dies hinterher in Kenntnis der Entscheidung nachzuholen, kann nicht angehen, auch nicht im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach Art. 112a EPÜ.

5. Der geltend gemachte Verstoß gegen Art. 112a (2) d) i.V.m. Regel 104 b) EPÜ, weil über den Antrag der Patentinhaberin (Antragstellerin), das Streitpatent hilfsweise im Umfang der Hilfsanträge aufrechtzuerhalten, nicht entschieden worden sei, liegt nicht vor:

Eine Entscheidung, das Patent zu widerrufen, beinhaltet denknotwendig die Zurückweisung auch aller (auf Aufrechterhaltung des Patents in einer alternativen Fassung gerichteten) Hilfsanträge.

6. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 112a (2) d) i.V.m. Regel 104 b) EPÜ, indem über den Antrag einer Antragsgegnerin auf Erlass einer Zwischenentscheidung hinsichtlich des Begriffs "transparent" nicht entschieden worden sei, liegt ebenfalls nicht vor:

Unabhängig davon, ob durch das Übergehen eines Antrags auf Zwischenentscheidung auch die Verfahrensbeteiligten, die den betreffenden Antrag nicht gestellt haben, i. S. von Art. 112a (1) EPÜ beschwert sein können, und unabhängig davon, ob die Auslegung des Begriffs "transparent" überhaupt Gegenstand einer Zwischenentscheidung sein kann, läge es jedenfalls im Ermessen der Kammer, ob sie eine solche Zwischenentscheidung erlässt oder nicht. Rechtliche oder sachliche Voraussetzung für die Endentscheidung ist eine solche Zwischenentscheidung schon definitionsgemäß nicht, weshalb sie auch nicht "relevant" i. S. der Regel 104 b) EPÜ sein kann.

7. Damit hat der Überprüfungsantrag weder auf der Grundlage von Artikel 112a (2) d) in Verbindung mit Regel 104 b) EPÜ, noch von Artikel 112a (2) c) EPÜ Erfolg.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Der Antrag auf Überprüfung wird zurückgewiesen.

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