J 0006/08 (Nachreichung von Zeichnungen / BEIERSDORF) of 27.5.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:J000608.20090527
Datum der Entscheidung: 27 Mai 2009
Aktenzeichen: J 0006/08
Anmeldenummer: 05102584.9
IPC-Klasse: A45D 40/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Abstreifer mit Kosmetikaapplikator
Name des Anmelders: Beiersdorf Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 106
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention Art 122
European Patent Convention R 56
European Patent Convention R 99
European Patent Convention R 136
European Patent Convention 1973 Art 122
European Patent Convention 1973 R 43(1)
European Patent Convention 1973 R 43(2)
European Patent Convention 1973 R 43(3)
Schlagwörter: Übergangsbestimmungen zum EPÜ
Nachreichung ursprünglich fehlender Zeichnungen; Verschiebung des Anmeldetags (ja)
Vertrauensschutz; Aufklärungspflicht; entschuldbarer Rechtsirrtum (ja)
Auslegung von Anträgen nach Rechtsverlustmitteilungen gemäß Regel 69 EPÜ 1973
Wiedereinsetzungsantrag; Jahresfrist (Ausschlussfrist) nach Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973; Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr nach Ablauf der Jahresfrist
Orientierungssatz:

1. Ein auf die Beseitigung eines Rechtsverlusts i.S.v. Regel 69 (1) EPÜ 1973 (hier wegen Versäumung der Monatsfrist zur Stellung des Antrags auf Neufestsetzung des Anmeldetags gemäß Regel 43 (1) EPÜ 1973) gerichteter Antrag (Antrag auf Entscheidung, Antrag auf Wiedereinsetzung) bedarf einer am objektiv erkennbaren Willen des Antragstellers orientierten und die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigenden Auslegung durch das EPA. Bei Zweifeln hat das Amt eine Pflicht zur Aufklärung des wirklichen Willens des Antragstellers und unter Umständen auch eine Hinweispflicht auf bezüglich dieses Antrags etwa noch ausstehende Verfahrenshandlungen (hier Wahrung der Jahresfrist nach Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973) (Nr. 3ff der Entscheidungsgründe)

2. Bei Verletzung dieser Aufklärungs- und Hinweispflichten durch das Amt kann unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ein innerhalb der Jahresfrist eingereichter Wiedereinsetzungsantrag trotz Entrichtung der Wiedereinsetzungsgebühr erst nach Ablauf der Jahresfrist als wirksam zu behandeln sein. In diesem Fall kann der Anspruch des Antragstellers so gestellt zu werden, als wäre die Versäumung nicht eingetreten, Vorrang vor dem Interesse der Rechtssicherheit für Dritte haben, welchem die Jahresfrist in Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 dient (Nr. 9ff der Entscheidungsgründe).

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/97
J 0007/82
J 0016/86
J 0006/90
J 0015/92
J 0028/92
J 0034/92
J 0026/95
J 0006/98
J 0035/03
J 0003/06
J 0010/07
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0007/08
J 0006/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen eine Entscheidung der Eingangsstelle vom 28. November 2007, mit der der Antrag auf Aufhebung einer Mitteilung der Eingangsstelle vom 13. Juni 2005 nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 zurückgewiesen wurde. In dieser Mitteilung wurde festgestellt, dass die Zeichnungen und/oder die Bezugnahmen auf die Zeichnungen in der europäischen Patentanmeldung 05102584.9 als gestrichen gelten, da innerhalb der in der Mitteilung nach Regel 43 EPÜ 1973 vom 21. April 2005 genannten Frist kein Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags eingegangen sei.

II. Die europäische Patentanmeldung 05102584.9 wurde am 1. April 2005 ohne die in Bezug genommenen Zeichnungen beim EPA eingereicht. Für diese Anmeldung wurde die Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 30. September 2004 in Anspruch genommen.

III. Mit am 8. April 2005 beim Europäischen Patentamt (EPA) eingegangenem Schreiben vom 4. April 2005 hat die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf ihren Antrag auf Erteilung eines europäischen Patents vom 1. April 2005 zu dieser Anmeldung 4 Blatt Zeichnungen nachgereicht.

IV. Daraufhin wurde der Beschwerdeführerin von der Eingangsstelle die Mitteilung nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 vom 21. April 2005 übersandt. Die Zeichnungen für die europäische Patentanmeldung seien erst nach dem Anmeldetag, und zwar am 8. April 2005, eingereicht worden. Die Zeichnungen und die Bezugnahmen auf die Zeichnungen in der europäischen Patentanmeldung würden als gestrichen gelten, wenn nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Mitteilung beantragt werde, den Anmeldetag neu auf den Tag der Einreichung der Zeichnungen festzusetzen.

V. Mit Mitteilung vom 13. Juni 2005 (Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 69 (1) EPÜ 1973) stellte die Eingangsstelle fest, dass die Zeichnungen und die Bezugnahmen auf die Zeichnungen in der europäischen Patentanmeldung als gestrichen gelten, da innerhalb der in der Mitteilung nach Regel 43 EPÜ 1973 genannten Frist von einem Monat kein Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags auf den Tag der Einreichung der Zeichnungen eingegangen sei.

In der Mitteilung wird unter der Überschrift "Rechtsmittelbelehrung" sowohl auf die Möglichkeit eines Antrags auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 als auch eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ 1973 hingewiesen.

VI. Mit Schreiben vom 20. Juni 2005 beantragte die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 vom 13. Juni 2005, den festgestellten Rechtsverlust nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 aufzuheben und den Anmeldetag auf den 8. April 2005 festzusetzen.

Zur Begründung verweist die Beschwerdeführerin u. a. auf das Verfahren in der europäischen Patentanmeldung 05005439.4, in der die Festsetzung des späteren Anmeldetages durch das EPA nach ebenfalls vorheriger Absendung der Mitteilung betreffend verspätet eingereichter Zeichnungen erfolgt sei.

Sie bat schließlich um eine Entscheidung vor Ablauf des Prioritätsjahres am 30. September 2005, um im Falle einer negativen Entscheidung noch eine neue Anmeldung gleichen Inhalts tätigen zu können.

VII. Mit einer Mitteilung vom 21. September 2007 wurde die Beschwerdeführerin davon in Kenntnis gesetzt, dass das EPA beabsichtige, den Antrag vom 20. Juni 2005 auf Rücknahme der Feststellung des Rechtsverlusts gemäß Regel 69 (1) EPÜ 1973 zurückzuweisen, da auf die Mitteilung nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 vom 21. April 2005 kein Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags gestellt worden sei.

VIII. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin mit Schreiben vom 2. Oktober 2007 vorgetragen, durch die sehr späte Mitteilung vom 21. September 2007 sei ihr Unrecht widerfahren, da sie keine Möglichkeit mehr gehabt habe, die Priorität wirksam in Anspruch zu nehmen.

IX. Mit Entscheidung vom 28. November 2007 wies die Eingangsstelle den Antrag der Beschwerdeführerin vom 20. Juni 2005 zurück, setzte den Anmeldetag auf den 1. April 2005 fest und erklärte, dass die Zeichnungen und die Bezugnahmen auf die Zeichnungen als gestrichen gelten.

X. Am 20. Dezember 2007 legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein, unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr. In der Beschwerdebegründung vom 15. Februar 2008 führte sie aus, dass bei der Fallkonstellation nach Regel 43 (2) Alternative 1 EPÜ 1973 - anders als bei der nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 - kein zusätzlicher Antrag auf Festsetzung des Anmeldetags notwendig oder vorgesehen sei. Die Unterscheidung der Fälle nach Regel 43 (1) und (2) EPÜ 1973 bedeute eine Schlechterstellung der Beschwerdeführerin. Hätte sie nämlich die Zeichnungen gar nicht nachgereicht, wäre eine Erinnerung gemäß Regel 43 (2) EPÜ 1973 erfolgt und die dann nachgereichten Zeichnungen hätten zu dem Ergebnis geführt, wie es die Beschwerdeführerin hätte erwarten können. Diese Schlechterstellung und Unterscheidung seien durch Regel 56 EPÜ 2000 bewusst beseitigt worden.

XI. Am 29. Oktober 2008 wurde die Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung geladen. In einer der Ladung anliegenden Mitteilung hat die Kammer ihre vorläufige Bewertung der Beschwerde dargelegt, wonach Zweifel an der Begründetheit der Beschwerde hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes bestünden.

XII. In ihrer Eingabe vom 22. Dezember 2008 hat die Beschwerdeführerin an dem Vorwurf der Verletzung des Vertrauensschutzes festgehalten.

Als Anlage zu ihrer Eingabe vom 22. Dezember 2008 hat die Beschwerdeführerin u.a. eine Kopie der Mitteilung (EPA Form 1114) nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 vom 21. April 2005 (s.o. IV) übersandt. Neben dem angekreuzten vorgedruckten Text zu Regel 43 (1) EPÜ 1973 befindet sich der handschriftliche Vermerk "bereits mit Eingabe vom 04.04.'05 erledigt". In dem Absatz, in dem mitgeteilt wird, dass die Zeichnungen und die Bezugnahmen auf die Zeichnungen in der europäischen Patentanmeldung als gestrichen gelten, wenn nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Mitteilung beantragt werde, den Anmeldetag neu auf den Tag der Einreichung der Zeichnungen festzusetzen, ist der letzte Halbsatz ("den Anmeldetag ... festzusetzen") handschriftlich unterstrichen.

XIII. In der mündlichen Verhandlung wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie mit ihrem Schriftsatz vom 20. Juni 2005 die versäumte Handlung, nämlich den Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags auf den 8. April 2005, nachgeholt habe. Sie habe darin zudem ausdrücklich beantragt, den festgestellten Rechtsverlust aufzuheben. Damit sei von ihr in der Sache auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt worden. Die Beschwerdeführerin überreichte außerdem einen Abbuchungsauftrag für die Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr.

Die Beschwerdeführerin beantragte,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Anmeldetag mit den am 8. April 2005 eingereichten Zeichnungen auf diesen Tag neu festzusetzen.

Die Vorsitzende erklärte, dass eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehe.

Entscheidungsgründe

Nachfolgend ohne Zusatz zitierte Artikel und Regeln des EPÜ beziehen sich auf solche des EPÜ in der Fassung des am 13. Dezember 2007 in Kraft getretenen revidierten Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ 2000), solche mit Zusatz "1973" auf Vorschriften der bis zu dem genannten Zeitpunkt geltenden Fassung des Europäischen Patentübereinkommens.

Zulässigkeit der Beschwerde

1. Die Beschwerde entspricht den Voraussetzungen der Artikel 106 bis 108 und Regel 99 EPÜ und ist daher zulässig.

Wenn auch Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen, ist gleichwohl darüber zu entscheiden, ob hier insoweit die Vorschriften des EPÜ 1973 oder des EPÜ in der revidierten Fassung zugrunde zu legen sind.

Für die Frage, ob eine Beschwerde nach Vorschriften als zulässig angesehen werden kann, die auf die Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen innerhalb einer gesetzlich bestimmten Frist abstellen - wie hier die sowohl in Artikel 108 EPÜ 1973 wie auch in Artikel 108 EPÜ vorgesehene Frist von zwei Monaten ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung -, kann allein die Sach- und Rechtslage bei Fristablauf maßgebend sein (vgl. hierzu mit eingehender Begründung J 10/07 ABl. EPA 2008, 567, 576, Nr. 1.2 der Entscheidungsgründe).

Die durch die Zustellung der angefochtenen Entscheidung der Eingangsstelle vom 28. November 2007 in Gang gesetzte Beschwerdefrist von zwei Monaten endete deutlich nach dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 am 13. Dezember 2007. Danach war nicht nur zum Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdefrist, sondern im Übrigen auch schon im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung selbst am 20. Dezember 2007 das EPÜ 2000 in Kraft. Folglich richtet sich die Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde nach den Artikeln 106 bis 108 EPÜ und Regel 99 EPÜ (zur grundsätzlichen Anwendbarkeit von Bestimmungen der Ausführungsordnung zum EPÜ nach den Übergangsbestimmungen zum revidierten EPÜ 2000 vgl. J 10/07, a.a.O., Nr. 1.3 der Entscheidungsgründe).

Begründetheit der Beschwerde

2. Die Beschwerde ist begründet und die angefochtene Entscheidung der Eingangsstelle vom 28. November 2007 aufzuheben, wenn der am 20. Juni 2005 gestellte Antrag, den Anmeldetag der Patentanmeldung auf den Tag der Einreichung der Zeichnungen, den 08. April 2005, festzusetzen, zu Unrecht zurückgewiesen worden ist. Das ist hier der Fall.

Bedeutung des Schreibens vom 20. Juni 2005

3. In der angefochtenen Entscheidung vom 28. November 2007 hat die Eingangsstelle das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20. Juni 2005 als Antrag auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 behandelt und in diesem Rahmen im Ergebnis die Feststellung des Rechtsverlustes nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 vom 13. Juni 2005 bestätigt.

4. Nach Auffassung der Kammer hätte jedoch eine am objektiv erkennbaren Willen der Beschwerdeführerin orientierte und die Besonderheiten und näheren Umstände des vorliegenden Sachverhalts berücksichtigende Auslegung des Schreibens vom 20. Juni 2005 nahegelegt, das darin enthaltene Vorbringen als einen Antrag auf Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ 1973 in die mit Mitteilung vom 21. April 2005 gesetzte und versäumte Frist von einem Monat nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 zur Stellung des Antrags auf Neufestsetzung des Anmeldetags aufzufassen. Eine solche Wertung des Vorbringens der Beschwerdeführerin konnte um so weniger außer Betracht gelassen werden, als in der Mitteilung der Eingangsstelle nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 vom 13. Juni 2005 ausdrücklich auch auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hingewiesen worden ist, und dadurch dem Petitum der Beschwerdeführerin, nämlich der Neufestsetzung des Anmeldetags auf den 8. April 2005 einschließlich der Zeichnungen, hätte entsprochen werden können. Dagegen war dies nach der hier anwendbaren Regel 43 EPÜ 1973 ohne Wiedereinsetzung nicht der Fall.

5. Die Tatsache, dass die vorliegende Entscheidung der Beschwerdekammer nach dem 13. Dezember 2007 ergeht, eröffnet nach den maßgeblichen Überleitungsvorschriften hier nicht die Anwendung der Regel 56 EPÜ des revidierten EPÜ zugunsten der Beschwerdeführerin. Regel 56 EPÜ ist danach nur auf Anmeldungen anwendbar, die nach dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 eingereicht wurden (zur näheren Begründung J 10/07, a.a.O., Nr. 3 der Entscheidungsgründe und J 3/06, ABl. EPA 2009, 170).

Die Beschwerdeführerin selbst hat insoweit in der Beschwerdebegründung auch lediglich ergänzend zu ihrem Sachvortrag, die Unterscheidung der Fälle nach Regel 43 (1) und (2) EPÜ 1973 bedeute eine Schlechterstellung der Beschwerdeführerin, ausgeführt, dass das EPA den Mangel dieser unterschiedlichen Fallkonstellationen erkannt und durch die neue Regel 56 EPÜ beseitigt habe.

6. Die Kammer legt ihrer Entscheidung eine Auslegung des Schreibens vom 20. Juni 2005 als Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist von einem Monat zur Stellung des Antrags auf Neufestsetzung des Anmeldetags zugrunde.

6.1 Ausgangspunkt für diese Bewertung des Schreibens vom 20. Juni 2005 ist der Umstand, dass die Beschwerdeführerin die versäumte Handlung, nämlich die Stellung des Antrags auf Neufestsetzung des Anmeldetags auf den 8. April 2005, mit dieser Eingabe nachgeholt hat. Für die Wertung dieser Eingabe als Antrag auf Wiedereinsetzung sind ferner die folgenden Überlegungen maßgebend.

6.2 Rechtsverlustmitteilungen, wie im vorliegenden Fall die vom 13. Juni 2005, enthalten formularmäßig sowohl einen Hinweis auf einen Antrag auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 als auch auf einen Antrag auf Wiedereinsetzung. Beide Rechtsbehelfe haben jedoch ganz unterschiedliche, teils gegensätzliche Voraussetzungen. Ein Antrag auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 kann nur dann zum Erfolg führen, wenn die Rechtsverlustmitteilung zu Unrecht ergangen ist, z.B. weil der Anmelder die angeblich versäumte Handlung tatsächlich ordnungsgemäß vorgenommen hat. Hat der Anmelder dies dagegen nicht getan, kann nur ein Antrag auf Wiedereinsetzung unter Nachholung der versäumten Handlung zum Erfolg führen. Daraus folgt, dass es einer Auslegung der Bedeutung der Antwort des Anmelders auf eine Rechtsverlustmitteilung bedürfen kann, um festzustellen, ob diese in der Sache als Antrag auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 oder auf Wiedereinsetzung anzusehen ist.

6.3 So wäre im vorliegenden Fall ein Antrag auf Entscheidung gemäß Regel 69 (2) EPÜ 1973 dann sinnvoll und sachgerecht gewesen, wenn der Anmelder den Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags tatsächlich gestellt hätte und das EPA - aus welchen Gründen auch immer - festgestellt hätte, dass das nicht der Fall gewesen sei. Ein solcher Antrag ist jedoch unstreitig vor Erlass der Mitteilung vom 13. Juni 2005 von der Beschwerdeführerin nicht gestellt worden. Dagegen ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung, auf die ebenfalls unter der Überschrift "Rechtsmittelbelehrung" hingewiesen wird, der passende Rechtsbehelf, wenn der Anmelder - wie hier - keinen Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags gestellt hat und er diesen dann innerhalb der Frist des Artikels 122 (2) Satz 1 EPÜ 1973 nachholt. Genau dies hat die Beschwerdeführerin mit ihrem Schreiben vom 20. Juni 2005 getan. Sie hat darin gerade nicht mehr argumentiert und darauf bestanden, dass ein solcher Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags nach dem EPÜ und der praktischen Anwendung der Regel 43 EPÜ 1973 durch das EPA nicht nötig sei, sondern sie hat vielmehr ausdrücklich einen Antrag auf Festsetzung des Anmeldetags auf den 8. April 2005 gestellt, wozu sie mit Mitteilung vom 21. April 2005 aufgefordert worden war. Dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Schriftsatz vom 20. Juni 2005 in der Sache auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehren wollte, hat sie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich bestätigt.

6.4 Die Beschwerdeführerin hat außerdem Gründe angegeben, die aus ihrer Sicht maßgeblich für die - irrtümliche - Versäumung der Frist waren. Sie führt Umstände an, aus denen sie unter Auslegung des EPÜ geschlossen habe, das EPA würde von sich aus den Anmeldetag auf den 8. April 2005 festsetzen und verweist hierzu insbesondere auf das Verfahren in der europäischen Patentanmeldung 05005439.4, in der sie in gleicher Weise verfahren habe. Die Festsetzung des späteren Anmeldetages sei durch das EPA dort selbstständig nach ebenfalls vorheriger Absendung der Mitteilung betreffend verspätet eingereichte Zeichnungen erfolgt.

6.5 Bei einer am objektiven Willen orientierten Auslegung dieses Vorbringens und unter Berücksichtigung der damaligen verfahrensrechtlichen Situation hätte das Amt das Schreiben vom 20. Juni 2005, mit dem somit nicht nur die versäumte Handlung nachgeholt, sondern auch Gründe zur Entschuldigung der Fristversäumnis genannt wurden, statt als Antrag auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 daher auch als Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Monatsfrist nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 werten können, ja müssen. Zumindest bestand jedoch aufgrund dieses Vorbringens der Beschwerdeführerin Anlass seitens des Amtes für eine entsprechende Rückfrage bei der Beschwerdeführerin zur Klärung ihres wirklichen Willens (vgl. hierzu J 15/92 vom 25. Mai 1993, Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe). Darauf, ob die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Gründe für eine Wiedereinsetzung zutreffen und den Antrag begründen, kommt es für die Frage der Auslegung und Wertung des Begehrens der Beschwerdeführerin nicht an.

7. An der Bewertung des Vorbringens der Beschwerdeführerin als Wiedereinsetzungsantrag ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beschwerdeführerin ausdrücklich beantragt hat, "den festgestellten Rechtsverlust gemäß Regel 69 (2) EPÜ aufzuheben". Bei der gebotenen sachgerechten Auslegung von verfahrensrechtlichen Erklärungen widerspricht es dem zwischen Anmeldern und dem EPA bestehenden Vertrauensverhältnis, den Anmelder an dem von ihm gewählten konkreten Wortlaut seiner Erklärungen festzuhalten, wenn die Auslegung des gesamten Vorbringens unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Situation zumindest berechtigte Zweifel aufkommen lassen, ob das, was wörtlich erklärt wurde, auch dem objektiv erkennbaren Willen des Anmelders entspricht.

7.1 So ist in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern für einen ähnlich gelagerten Fall, in dem der dortige Anmelder zwar nicht ausdrücklich die Regel 69 EPÜ genannt hat, jedoch eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Anmeldung beantragt worden ist, eine Verletzung der Aufklärungspflicht des Amtes insoweit angenommen worden, als dieses willkürlich die Erklärung des Anmelders als Antrag auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ behandelt hat, ohne die Möglichkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in Betracht zu ziehen (J 15/92 vom 25. Mai 1993; bestätigt durch G 2/97 ABl. EPA 1999, 123, Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe).

7.2 Nach Ansicht der Kammer mag die nicht ganz eindeutige Wortwahl der Beschwerdeführerin bei der Formulierung ihres Begehrens im Schreiben vom 20. Juni 2005 auch darauf zurückzuführen sein, dass die formularmäßige Aneinanderreihung der Hinweise auf den Antrag auf Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, trotz des Hinweises darauf, dass der Antrag auf Entscheidung nur dann zur Aufhebung der Feststellung des Rechtsverlustes führen kann, wenn diese der tatsächlichen Sach- und Rechtslage nicht entspricht, für denjenigen, der nicht ganz genau mit den Modalitäten der Verfahren nach Regel 43 und Regel 69 EPÜ 1973 vertraut war, zu Unsicherheiten und Unklarheiten bei der Abfassung der entsprechenden Anträge beitragen kann.

Vorliegen eines wirksamen Wiedereinsetzungsantrages

Anwendbares Recht

8. Für die Beurteilung der Frage einer Wiedereinsetzung in die versäumte Monatsfrist nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 ist hier von Artikel 122 EPÜ 1973 und nicht von den durch die Revision des EPÜ 2000 zum Teil neugefassten Artikel 122 und Regel 136 EPÜ auszugehen. Artikel 1 Nr. 5 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000 bestimmt, dass die neuen Artikel 121 und 122 auf die bei ihrem Inkrafttreten anhängigen europäischen Patentanmeldungen anzuwenden sind, soweit die Fristen für den Antrag auf Weiterbehandlung oder Wiedereinsetzung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen sind. Da die in der Mitteilung vom 21. April 2005 für den Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags gesetzte Monatsfrist mehr als zwei Jahre vor dem Inkrafttreten des revidierten EPÜ 2000 abgelaufen ist, verbleibt es insoweit bei der Anwendung der Vorschriften des EPÜ 1973, also Artikel 122 EPÜ 1973.

Jahresfrist

9. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung gilt gemäß Artikel 122 (3) Satz 2 EPÜ 1973 erst dann als gestellt, wenn die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet worden ist. Da der Antrag auf Wiedereinsetzung nach Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf der versäumten Frist zulässig ist, hat auch die Zahlung der Gebühr innerhalb dieser Jahresfrist zu erfolgen.

9.1 Die Beschwerdeführerin hat die Wiedereinsetzungsgebühr durch Übergabe eines Abbuchungsauftrags in der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2009 entrichtet, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung erstmalig davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass die Kammer geneigt ist, ihr Schreiben vom 20. Juni 2005 als Antrag auf Wiedereinsetzung in die mit Mitteilung vom 21. April 2005 nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 gesetzte und versäumte Monatsfrist für den Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags anzusehen. Demnach ist die Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr jedoch erst über dreieinhalb Jahre nach Ablauf der versäumten Frist und damit offensichtlich nach Ablauf der Jahresfrist des Artikels 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 erfolgt, was nach Artikel 122 (3) Satz 2 EPÜ 1973 an sich die Fiktion der Nichtstellung des Wiedereinsetzungsantrags zur Folge hat.

9.2 Nach der Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer ist die in Artikel 122 (3) Satz 2 EPÜ 1973 vorgesehene Rechtsfiktion eine automatische und zwangsläufige Folge der Nichtzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr, ohne dass der Beschwerdekammer grundsätzlich ein Ermessen zustünde oder Gründe für die nicht rechtzeitige Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr berücksichtigt werden könnten (vgl. J 26/95, ABl. EPA 1999, 668, Nr. 5.2 der Entscheidungsgründe; J 6/98 vom 17. Oktober 2000, Nr. 3.2 der Entscheidungsgründe). Der Jahresfrist kommt die Funktion einer Ausschlussfrist zu, die der Rechtssicherheit für die Öffentlichkeit und der Beendigung der Verfahren vor dem EPA innerhalb einer vernünftigen und angemessenen Zeitspanne dienen soll (vgl J 16/86 vom 1. Dezember 1986, Nr. 2 der Entscheidungsgründe; J 35/03 vom 4. Mai 2004, Nr. 4 und 6 der Entscheidungsgründe; J 34/92 vom 23. August 1994, Nr. 3.2 der Entscheidungsgründe).

Vertrauensschutz

10. Gleichwohl sieht die Kammer aufgrund der dargelegten besonderen Umstände des vorliegenden Falles (s.o. zu Nr. 4. bis 9.) und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der einjährigen Ausschlussfrist in Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 die Tatsache, dass allein die Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr als eine der Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung nicht innerhalb dieser Frist vorgenommen wurde, nicht als rechtlich ausreichend an, um der Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu versagen.

Wie dargelegt (siehe insbesondere Nr. 6.5), hätte das Amt bei der Beschwerdeführerin zur Klärung ihres tatsächlichen, mit dem Schreiben vom 20. Juni 2005 verbundenen Willens rückfragen müssen. Dadurch, dass es das nicht getan hat, hat es seine Aufklärungspflicht gegenüber der Beschwerdeführerin verletzt. In dem insoweit vergleichbaren Fall J 15/92 hat die Juristische Beschwerdekammer im Hinblick auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes eine solche Aufklärungspflicht nicht nur hinsichtlich des tatsächlich beabsichtigten Antrags, sondern auch hinsichtlich der in Artikel 122 (3) EPÜ 1973 vorgesehenen Jahresfrist und der mit ihrer Versäumung verbundenen Rechtsfiktion angenommen, um dem Anmelder eine fristgerechte Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr zu ermöglichen (J 15/92 vom 25. Mai 1993, Nr. 2.3 und 2.4 der Entscheidungsgründe). Sie hat sodann unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes im Hinblick auf die Verletzung der Aufklärungspflicht durch das Amt den Wiedereinsetzungsantrag trotz Entrichtung der Wiedereinsetzungsgebühr erst nach Ablauf der Jahresfrist als wirksam behandelt.

11. Zwar ist in der Sache J 34/92 (vom 23. August 1994, insbesondere Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe) entschieden worden, dass die Einräumung einer Frist zur Nachholung einer Handlung, die der Anmelder aufgrund mangelnder Sorgfalt des Amtes nicht vornehmen konnte, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes dann nicht in Betracht kommt, wenn es sich bei der versäumten Frist um eine Ausschlussfrist - hier die Frist nach Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 - handelt. Zur Begründung wird in dieser Entscheidung wie auch in den Entscheidungen der Beschwerdekammer in den Sachen J 6/90, (ABl. EPA 1993, 714) sowie J 6/98 (vom 17. Oktober 2000) und J 35/03 (vom 4. Mai 2004) auf den Grundsatz der Rechtssicherheit verwiesen. Die Beteiligten und die Öffentlichkeit sollen demzufolge nach Ablauf der Jahresfrist des Artikels 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 darauf vertrauen können, dass das Verfahren beendet und die Anmeldung nicht mehr anhängig ist.

11.1 In den genannten Entscheidungen hat es sich jedoch durchweg um Fälle gehandelt, in denen innerhalb der Jahresfrist in der Akte keinerlei Wille des Anmelders erkennbar geworden war, dass der Rechtsverlust beseitigt, bzw. die Anmeldung weiterverfolgt werden solle. Für eine solche Fallgestaltung haben die genannten Entscheidungen dem Interesse der Rechtssicherheit für Dritte Vorrang eingeräumt vor einem unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes an sich gegebenen Anspruch des Anmelders gegen das Amt, so gestellt zu werden, als wäre die Versäumnis nicht eingetreten.

11.2 Eine den genannten Entscheidungen vergleichbare Sachlage ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben (s.o. Nr. 10). Deshalb ist vorliegend auch unter Berücksichtigung dieser zuletzt genannten Entscheidungen der Juristischen Beschwerdekammer eine Wiedereinsetzung nicht ausgeschlossen. Die Juristische Beschwerdekammer hat in jenen Entscheidungen hinsichtlich der Wahrung der Rechtssicherheit nämlich maßgeblich und ausdrücklich darauf abgestellt, ob für die Beteiligten und Dritten bei einer nach Ablauf der Jahresfrist nach Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 vorgenommenen Einsichtnahme in die Akten klar ist, dass keine Wiedereinsetzung mehr möglich ist, und dass Rechte aus der Patentanmeldung nicht mehr hergeleitet werden können (vgl. J 34/92 vom 23. August 1994, Nr. 3.2. der Entscheidungsgründe; J 6/90 ABl. EPA 1993, 714, Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe). Danach ist dem Zweck der Jahresfrist nach Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973, für Rechtssicherheit zu sorgen, voll und ganz Genüge getan, wenn zwar kein ausdrücklicher und eindeutig formulierter Wiedereinsetzungsantrag innerhalb dieser Jahresfrist vorliegt, ein Dritter aber aus der Akteneinsicht schließen muss, dass nach einem Fristversäumnis der Wunsch nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Weiterverfolgung der Anmeldung besteht und diese Willensbekundung des Anmelders unmissverständlich oder zumindest unzweideutig zum Ausdruck kommt (J 6/90, J 34/92 vom 23. August 1994 jeweils a.a.O.).

11.3 In der Sache J 6/90 hat die Kammer diese Voraussetzungen als erfüllt angesehen. Sie hat ein Schreiben, in dem ein baldiger schriftlicher Wiedereinsetzungsantrag lediglich angekündigt wurde, im Hinblick auf die Tatsache, dass wenige Tage später innerhalb der Jahresfrist die Wiedereinsetzungsgebühr gezahlt wurde, im Wege der Auslegung als wirksamen und rechtzeitigen Antrag auf Wiedereinsetzung anerkannt (J 6/90 ABl. EPA 1993, 714, Nr. 2.5 der Entscheidungsgründe. Auch in den Entscheidungen J 6/98 (vom 17. Oktober 2000, Nr. 3 der Entscheidungsgründe) und J 35/03 (vom 4. Mai 2004, Nr. 4. und 6. der Entscheidungsgründe) hat die Juristische Beschwerdekammer zu erkennen gegeben, dass bei fehlendem eindeutigen Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der Jahresfrist die Rechtsicherheit gewahrt sein kann, wenn im Wege der Akteneinsicht der Wille zur Wiedereinsetzung aufgrund anderer Verfahrenshandlungen konkludent für Dritte erkennbar ist (was in diesen Fällen, wie auch in dem Verfahren J 34/92 vom 23. August 1994, jedoch im Ergebnis jeweils verneint wurde).

11.4 Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Wie oben ausgeführt (siehe Nr. 3. und 4.), kann dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20. Juni 2005 bei objektiver und verständiger Würdigung ein hinreichend deutlicher und konkreter Wille entnommen werden, das Verfahren nach Wiedereinsetzung in die versäumte Frist auf der Basis der Festsetzung des Anmeldetags auf den 8. April 2005 fortzuführen. Ein Dritter, der bei Ablauf der Jahresfrist im Juni 2006 Einsicht in die Akten der Anmeldung genommen hätte, konnte daher - trotz der gewählten Formulierung eines Antrags auf Aufhebung der Entscheidung gemäß Regel 69 (2) EPÜ 1973 - dem Gesamtinhalt des Schreibens vom 20. Juni 2005 mit hinreichender Deutlichkeit den objektiven Willen der Beschwerdeführerin entnehmen, die Patentanmeldung unter Einbeziehung der nachgereichten Zeichnungen mit dem Anmeldetag 8. April 2005 weiterzuverfolgen. Folglich konnten sich Akteneinsicht nehmende Dritte, solange nicht das Amt eine endgültige Entscheidung getroffen hatte, nicht darauf verlassen, dass eine Zuerkennung des 8. April 2005 als Anmeldetag - mit den Zeichnungen - endgültig unmöglich geworden war.

12. Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit für das Amt, ob ein Verfahren als endgültig beendet angesehen werden kann, kann im vorliegenden Fall schon deshalb keinen "Vertrauensschutz" für das Amt begründen, weil es selbst durch eine Fehlinterpretation des Schreibens vom 20. Juni 2005 als Antrag nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 statt als Antrag auf Wiedereinsetzung und durch seine Verletzung seiner bestehenden Aufklärungspflicht gegenüber dem Anmelder dafür mitursächlich ist, dass die Wiedereinsetzungsgebühr nicht innerhalb der Jahresfrist gezahlt wurde.

12.1 Der Anlass für die Klärung der Antragslage bestand für das EPA bei objektiver Betrachtungsweise nach Eingang des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 20. Juni 2005 und damit sehr früh nach Beginn der Jahresfrist, die mit Ablauf der versäumten Frist - hier die mit Mitteilung vom 21. April 2005 gesetzte Frist von einem Monat für den Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags - begonnen hat (Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973). Das EPA hatte daher ca. 11 Monate Zeit, um eine Klärung der Antragslage herbeizuführen und entsprechende Hinweise, insbesondere auf die Notwendigkeit der rechtzeitigen Entrichtung der Wiedereinsetzungsgebühr im Falle einer Wiedereinsetzung, zu geben.

12.2 Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin nach Klärung der Antragslage durch die Kammer in der mündlichen Verhandlung unverzüglich die Wiedereinsetzungsgebühr mittels Abbuchungsauftrag entrichtet hat, spricht im übrigen dafür, dass sie diese Handlung auch nach einer entsprechenden Aufklärung durch die Eingangsstelle nach Eingang des Schreibens vom 20. Juni 2005 innerhalb der Jahresfrist des Artikels 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 vorgenommen hätte.

12.3 Wenn - wie hier - die Ursache für die nicht fristgerechte Erfüllung der Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - wie vorliegend die Entrichtung der Wiedereinsetzungsgebühr innerhalb der Jahresfrist nach Artikel 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 - in hohem Maße vom Amt selbst gesetzt wurde, weil ein an das EPA gerichtetes Begehren der Beschwerdeführerin schlichtweg übergangen und dadurch die rechtzeitige Wahrnehmung von Rechtsbehelfen zur Beseitigung eines Rechtsverlustes letztlich verhindert wird, wäre es nach Ansicht der Kammer unbillig, wenn sich das Amt in einer solchen Situation auf den Schutzzweck der einjährigen Ausschlussfrist für die Wiedereinsetzung berufen könnte, soweit dieser auch zu seinen Gunsten darin gesehen wird, Verfahren innerhalb einer angemessenen Zeitspanne zu beenden (vgl. hierzu J 35/03 vom 4. Mai 2004, Nr. 4. und 6. der Entscheidungsgründe).

13. Dass sich der Anmelder die Versäumung der Jahresfrist im Unterschied zu anderen Fristversäumnissen auch dann entgegenhalten lassen muss, wenn Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes dem Amt an sich gebieten würden, den Anmelder so zu behandeln, als ob die Frist nicht versäumt worden, ist nicht gesetzlich geregelt. Der Vorrang der Ausschlussfrist auch in einem solchen Fall ist vielmehr das Ergebnis einer von der Rechtsprechung vorgenommenen Abwägung der betroffenen Rechtsgüter im Hinblick auf die Bedeutung der Schutzfunktionen der Jahresfrist für Dritte und das Amt im Interesse der Rechtssicherheit. Daraus folgt aber zugleich, dass ein Vorrang der Ausschlussfrist vor Erfordernissen des Vertrauensschutzes im Einzelfall nicht gerechtfertigt ist, wenn die Gründe für eine solche Wertung - berechtigtes Vertrauen Dritter und des Amtes in das Vorliegen einer bestimmten Rechtslage - im Einzelfall nicht gegeben sind. So verhält es sich hier.

14. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass unter den genannten besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr in der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2009, obwohl nach Ablauf der Jahresfrist des Artikels 122 (2) Satz 3 EPÜ 1973 erfolgt, die in Artikel 122 (3) Satz 2 EPÜ 1973 vorgesehene Rechtsfiktion ausgelöst hat, wonach der Wiedereinsetzungsantrag als gestellt gilt.

Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages

15. Sowohl der Wiedereinsetzungsantrag in Form des Schreibens vom 20. Juni 2005, als auch die Nachholung der versäumten Handlung sind zudem innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses i.S.v. Artikel 122 (2) Satz 1 EPÜ 1973 erfolgt. Hat der Anmelder eine Frist aus Unkenntnis, Irrtum oder Unachtsamkeit versäumt, entfällt das Hindernis für die Vornahme der versäumten Handlung jedenfalls dann, wenn der Anmelder durch eine Mitteilung des Amtes nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 über das Versäumnis informiert wird (J 7/82, ABl. EPA 1982, 391, Nr. 3 der Entscheidungsgründe; J 27/01 vom 11. März 2004, Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall liegt der Irrtum in der Annahme der Beschwerdeführerin, das Amt werde von sich aus den Anmeldetag auf den 8. April 2005 festsetzen. Wurde - wovon hier mangels anderweitiger Anhaltspunkte auszugehen ist - die Beschwerdeführerin erst durch die Rechtsverlustmitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 vom 13. Juni 2005 über die Versäumung der Monatsfrist nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 in Kenntnis gesetzt, ist die Rechtzeitigkeit der mit Schreiben vom 20. Juni 2005 vorgenommenen bzw. nachgeholten Verfahrenshandlungen i.S.v. Artikel 122 (2) Satz 1 EPÜ 1973 zu bejahen.

Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrages

16. Nach Artikel 122 (1) EPÜ 1973 ist weitere Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung, dass der Antragsteller alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat und trotzdem daran gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Das Sorgfaltsgebot muss anhand der Situation beurteilt werden, wie sie vor Ablauf der Frist bestand.

16.1 Die Kammer legt zunächst Wert auf die Feststellung, dass es sich grundsätzlich bei den in Absatz 1 der Regel 43 EPÜ 1973 einerseits und in deren Absatz 2 andererseits geregelten Fällen bei ursprünglich nicht eingereichten Zeichnungen um an sich klare, wenn auch nicht ganz unkompliziert formulierte Bestimmungen handelt. So regelt Absatz 1 der genannten Vorschrift für den Fall der Nachreichung der Zeichnungen ohne vorherige Aufforderung durch das Amt, dass der Anmelder einen Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags auf den Tag der Einreichung der Zeichnungen stellen muss, wenn er eine Streichung der Zeichnungen und der Bezugnahmen auf diese Zeichnungen vermeiden will. Werden - wie in Absatz 2 der Vorschrift vorgesehen - Zeichnungen erst nach einer Aufforderung durch das Amt fristgerecht nachgereicht, wird hingegen der Anmeldetag "automatisch" auf den Tag der Einreichung der Zeichnung festgesetzt, ohne dass es also noch eines weiteren Antrags bedarf. Auch die in den Fällen der Regel 43 EPÜ 1973 vom Amt versandten Formalbescheide, wie im vorliegenden Fall die Mitteilung vom 21. April 2005, enthalten unmissverständliche und vollständige Hinweise zu den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der Vorschrift. Der Ansicht der Beschwerdeführerin, die Unterscheidung der Fälle nach Regel 43 (1) und (2) EPÜ 1973 bedeute eine Schlechterstellung der Beschwerdeführerin, kann die Kammer daher nicht folgen. Insoweit hat die Beschwerdeführerin den entsprechenden Ausführungen im Ladungszusatz der Kammer auch nicht mehr widersprochen.

16.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA ist eine auf einem Rechtsirrtum beruhende falsche Auslegung einer Bestimmung des EPÜ - wie hier der Regel 43 EPÜ 1973 - grundsätzlich zwar nicht entschuldbar i.S.v. Artikel 122 (1) EPÜ 1973 (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 6. Aufl., VI.E.6.3.2 b). Die Beschwerdeführerin führt jedoch zur Begründung für die Versäumung der Frist für den Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags an, in dem Verfahren in der europäischen Patentanmeldung 05005439.4 habe sie ebenfalls Zeichnungen nachgereicht und auch dort keinen gesonderten Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags gestellt. Die Festsetzung des späteren Anmeldetages sei durch das EPA selbstständig nach ebenfalls vorheriger Absendung der Mitteilung betreffend verspätet eingereichte Zeichnungen erfolgt. Die Beschwerdeführerin sei auch im Falle der vorliegenden Patentanmeldung von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns ausgegangen.

16.3 Für die Frage, ob die Beschwerdeführerin trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt an der Einhaltung der versäumten Frist gehindert war, kommt es daher entscheidend darauf an, ob aufgrund der Führung des Verfahrens in der von der Beschwerdeführerin genannten europäischen Patentanmeldung 05005439.4 ein entschuldbarer Rechtsirrtum angenommen werden kann.

16.4 In jenem Verfahren hat die Beschwerdeführerin nach lediglich telefonischer Aufforderung durch die Eingangsstelle des EPA mit Schreiben vom 24. März 2005, beim EPA eingegangen am 26. März 2005, die ursprünglich fehlenden Zeichnungen nachgereicht. Mit Datum vom 31. März 2005 erging eine Mitteilung nach Regel 43 (2) EPÜ 1973, wonach Zeichnungen nicht eingereicht worden seien und der Anmeldetag neu auf den Tag des Eingangs der Zeichnungen festgesetzt werde, wenn diese fristgerecht nachgereicht würden. Mit Mitteilung nach Regel 43 (3) EPÜ 1973 vom 04. April 2005 wurde der Anmeldetag auf Tag der Einreichung der Zeichnungen, den 26. März 2005, festgesetzt.

16.5 Die Mitteilung nach Regel 43 (2) EPÜ 1973 ist in jenem Verfahren danach entgegen den klaren und zwingenden Bestimmungen der Regel 43 EPÜ 1973 und damit objektiv zu Unrecht ergangen. Die Zeichnungen lagen dort nämlich bei Erlass der Mitteilung vom 31. März 2005 bereits beim EPA vor. Folglich hätte der Formalsachbearbeiter richtigerweise eine Aufforderung nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 und nicht nach Regel 43 (2) EPÜ 1973 erlassen müssen (siehe dazu auch J 10/07 ABl. EPA 2008, 567, Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe). Daraus ergibt sich weiterhin, dass auch die Mitteilung nach Regel 43 (3) EPÜ 1973 vom 04. April 2005, dass der Anmeldetag auf Tag der Einreichung der Zeichnungen, den 26. März 2005, festgesetzt wurde, rechtsfehlerhaft war.

16.6 Im vorliegenden Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdeführerin, ebenfalls ohne zuvor schriftlich dazu aufgefordert worden zu sein, mit Schreiben vom 4. April 2005 die fehlenden Zeichnungen nachgereicht. Obwohl aus ihrer Sicht in beiden Anmeldeverfahren gleichgelagerte Sachverhalte vorlagen, wurde der Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren - insofern verfahrensrechtlich korrekt - hingegen eine Mitteilung nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 zugestellt. Aufgrund des Verhaltens des EPA in dem genannten Parallelverfahren 05005439.4 lag aus Sicht der Beschwerdeführerin der Schluss nahe, ein gesonderter Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags habe sich im vorliegenden Anmeldeverfahren erübrigt und werde - wie im Parallelverfahren wenige Tage zuvor - von Amts wegen vorgenommen, zumal der Beschwerdeführerin durch die im Parallelverfahren ergangene Mitteilung nach Regel 43 (3) EPÜ 1973 vom 04. April 2005 noch ausdrücklich bestätigt wurde, dass der Anmeldetag auf Tag der Einreichung der Zeichnungen festgesetzt wurde.

16.7 Ein Hinweis darauf, dass aufgrund der geschilderten Umstände eine solche Vorstellung und Einschätzung der Rechtslage bei der Beschwerdeführerin hervorgerufen wurde, lässt sich auch dem handschriftlichen Vermerk "bereits mit Eingabe vom 04.04.'05 erledigt" auf der mit Schreiben vom 22. Dezember 2008 übersandten Kopie der Mitteilung nach Regel 43 (1) EPÜ 1973 vom 21. April 2005 (s.o. IV.) in Verbindung mit der handschriftlich unterstrichenen Textpassage "den Anmeldetag neu auf den Tag der Einreichung der Zeichnungen festzusetzen" entnehmen. All dies vermag durchaus das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu stützen, dass sie nach Erhalt der Mitteilung vom 21. April 2005 und somit im entscheidenden Zeitraum vor Ablauf der versäumten Frist der Auffassung war, ein gesonderter Antrag auf Neufestsetzung des Anmeldetags sei nicht (mehr) erforderlich, nachdem zuvor die Zeichnungen mit Schreiben vom 4. April 2005 eingereicht worden waren.

17. In Anbetracht der genannten besonderen Umstände, nämlich der engen zeitlichen Verknüpfung des beschwerdegegenständlichen Anmeldeverfahrens mit dem Anmeldeverfahren 05005439.4 mit in tatsächlicher Hinsicht gleichgelagerten Verfahrenssituationen und insbesondere der objektiv fehlerhaften Verfahrensführung durch das EPA in der Parallelanmeldung (vgl. hierzu auch J 28/92 vom 11. Mai 1994), ist hier von einem entschuldbaren Rechtsirrtum bei der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Notwendigkeit eines gesonderten Antrags auf Neufestsetzung des Anmeldetags auszugehen.

18. Nachdem somit sämtliche Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung der Beschwerdeführerin in die versäumte Frist vorliegen, war der Anmeldetag antragsgemäß auf den Tag des Eingangs der Zeichnungen, den 8. April 2005, neu festzusetzen und die Angelegenheit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an die erste Instanz zur Fortsetzung des Verfahrens zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Beschwerdeführerin wird in die mit Mitteilung des EPA vom 21. April 2005 gemäß Regel 43 (1) EPÜ 1973 gesetzte Frist für die Stellung des Antrags auf Neufestsetzung des Anmeldetags auf den Tag des Eingangs der Zeichnungen wieder eingesetzt.

3. Der Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung Nr. 05102584.9, einschließlich der am 8. April 2005 eingereichten Zeichnungen, wird auf den 8. April 2005 festgesetzt.

4. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen.

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