European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1997:T053195.19970826 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 August 1997 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0531/95 | ||||||||
Anmeldenummer: | 90200546.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | F16D 23/02 B23P 15/14 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung einer Schalt- oder Schiebemuffe für KFZ-Getriebe | ||||||||
Name des Anmelders: | SINTERSTAHL Gesellschaft m.b.H. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Etablissement Supervis | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (verneint) Technisches Vorurteil (verneint) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 90 200 546.1 wurde das europäische Patent Nr. 0 389 024 erteilt.
II. Ein von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) gegen das Patent eingelegter Einspruch, der auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit und erfinderische Tätigkeit) im Hinblick auf den Stand der Technik nach den Druckschriften
D1: Werkstatt und Betrieb, Heft 4/1982, Seiten 221 bis 228, "Lagebericht-Konstruieren mit Sinterformteilen";
D2: SAE-Report-830395 (1983), Seiten 61 bis 65;
D3: DVS-Berichte, Internationales Kolloquium über Hart- und Hochtemperaturlöten und Diffusionsschweißen, Essen, 21. bis 22. September 1981, Deutscher Verband für Schweißtechnik DVS, 69 (1981), Seiten 33, 34, "Hartlöten von porösen Sinterstählen und Stahl";
D5: Report Nr. 13/1986 - wissenschaftliche Schriftenreihe der TU-Karl-Marx-Stadt, (1986), Okt., Seiten 8 bis 20, "Fügeverbindungen und Fügeverfahren - Bedeutung und Begriffe";
D6: GB-A-1 204 641;
D7: The International Journal of Powder Metallurgy & Powder Technology, Vol. 18, No. 4, 1982, Seiten 323 bis 333;
D8: Chartered mech. Eng., Band 27 (1980), Heft 7, Seiten 55 bis 60, "Joining powder metal parts"
D4: "Herstellen von komplexen Formteilen ..., Forschungsbericht 03K 03170, April 1989" (kein Stand der Technik)
gestützt war, wurde von der Einspruchsabteilung mit der am 27. April 1995 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin unter gleichzeitiger Bezahlung der Beschwerdegebühr am 23. Juni 1995 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 10. August 1995 eingegangen.
IV. Im Bescheid der Beschwerdekammer vom 14. November 1996 wurde den Beteiligten mitgeteilt, daß aufgrund des insgesamt aufgedeckten Stands der Technik, insbesondere der Fachveröffentlichungen D1 bis D3, D5, D7 und D8 sowie aufgrund des fehlenden Nachweises für ein Vorurteil der Fachwelt die Beschwerdekammer Bedenken bezüglich der erfinderischen Tätigkeit habe. In einem weiteren Bescheid wurde auf die Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 14. Januar 1996 sowie auf das dort neugenannte, als D12 bezeichnete Dokument verwiesen.
Es wurde am 26. August 1997 vor der Kammer verhandelt.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent auf der Basis eines die erteilten Ansprüche 1 und 3 zusammenfassenden Hauptanspruchs aufrechtzuerhalten.
Der erteilte Anspruch 1 (Hauptantrag) hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung einer Schalt- oder Schiebemuffe für die Sperrsynchronisierung von handgeschalteten Kfz-Getrieben mit zu einer Ebene senkrecht zur Muffenachse zumindest annähernd symmetrischer Muffenausgestaltung und mit einer Verzahnung (5) an der Muffeninnenfläche (4), die, von der Stirnseite aus gesehen, sich in Richtung Symmetrieebene (3) verjüngende Zahnabschnitte aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die zwei symmetrischen Bauteilabschnitte (1, 2) der Muffe getrennt als Einzelteile gefertigt und anschließend durch Fügen miteinander verbunden werden."
Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Herstellung einer Schalt- oder Schiebemuffe für die Sperrsynchronisierung von handgeschalteten Kfz-Getrieben mit zu einer Ebene senkrecht zur Muffenachse zumindest annähernd symmetrischer Muffenausgestaltung und mit einer Verzahnung (5) an der Muffeninnenfläche (4), die, von der Stirnseite aus gesehen, sich in Richtung Symmetrieebene (3) verjüngende Zahnabschnitte aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die zwei symmetrischen Bauteilabschnitte (1, 2) der Muffe getrennt als Einzelteile mittels pulvermetallurgischer Verfahren durch Pressen und Sintern gefertigt und anschließend durch Fügen miteinander verbunden werden."
V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Die nach dem Anspruch 1 des Streitpatents gemäß Haupt- und Hilfsantrag verwendete Herstellungstechnik, d. h. die Aufteilung eines Werkstücks in zwei symmetrische Bauteilabschnitte, die getrennt als Einzelteile, bevorzugt (Hilfsantrag) mittels pulvermetallurgischer Verfahren durch Pressen und Sintern gefertigt und anschließend durch Fügen miteinander verbunden werden, sei am Prioritätstag des Streitpatents dem Fachmann bekannt gewesen, wie dies durch die zum Stand der Technik genannten Fachaufsätze nachgewiesen sei. Da das beanspruchte Herstellungsverfahren auch schon für Getrieberäder sowie für innenverzahnte, ringförmige Präzisionswerkstücke (z. B. D1, Seite 223, Bild 5) vor dem Anmeldetag des Streitpatents bekannt war und benutzt wurde, sei die Anwendung dieses Verfahrens auch für Schiebemuffen naheliegend gewesen, zumal dabei keine besondere Hürde überwunden werden mußte. Es sei nicht erkennbar, daß eine Schiebemuffe ein besonderes Getrieberad darstelle. Da es für das Fügen von Sinterteilen sogar Normen gebe, und die Schiebemuffen selbst im Streitpatent nicht als besonders beanspruchtes Teil bezeichnet worden seien (wenngleich auch der Hinweis auf die lastfreie Fügestelle bei Schiebemuffen in der Beschreibung des Streitpatents offensichtlich falsch sei, da natürlich eine Drehmomentbelastung vorliege) bestehe kein Grund, die Anwendung des bekannten Verfahrens als durch ein Vorurteil erschwert anzusehen. Im Wortlaut des Anspruchs 1 des Streitpatents sei auch nichts Näheres über die Ausbildung der Fügestelle angegeben, die z. B. eine verzahnte Kontur aufweisen könnte, um die Festigkeit an der Trennstelle zu erhöhen.
Es treffe nicht zu, daß die Beschwerdeführerin, auf eine Anfrage eines Getriebebauers hin die Herstellung einer zweiteilig gesinterten Getriebemuffe als technisch nicht machbar abgelehnt habe. Auf eine Anfrage der Firma Getrag habe die Beschwerdeführerin lediglich mit der Einladung erwidert, das Problem zu besprechen und zu lösen, was durch die
(D13) Beilagen 1 bis 3 zu den von der Beschwerdeführerin eingereichten Schreiben vom 16. Juni 1997
belegt werde.
In der Beilage 2 (Schreiben vom 2. Februar 1990 der Getriebeherstellerfirma Getrag an die mit der Beschwerdeführerin eng verbundene Firma Presta) seien Einzelteilzeichnungen einer gesinterten Führungsmuffe und einer gesinterten Schaltmuffe erwähnt. In dieser Beilage 2 werde darauf hingewiesen, daß die an Schaltmuffen ansonsten üblichen Hinterschneidungen, die preßtechnisch nicht erzeugt werden könnten, bei der in Rede stehenden Schaltmuffe nicht mehr vorhanden seien. In einer Erwiderung hierauf (Beilage 3) habe die Firma Presta der Firma Getrag mitgeteilt, daß eine pulvermetallurgische Fertigung der Teile in der vorgelegten Form nicht möglich sei, daß jedoch Möglichkeiten einer pulvermetallurgischen Fertigung und neue Entwicklungen im Bereich der Herstellung von Sinterformteilen diskutiert werden sollten.
Weitere Anfragen, insbesondere im Hinblick auf die Herstellbarkeit von Schiebemuffen durch das in Rede stehende Verfahren, seien der Beschwerdeführerin nicht bekannt. Der Nachweis hierüber müßte von der Beschwerdegegnerin vorgelegt werden.
Dem weiteren angeblichen Beweismittel für das Vorliegen eines Vorurteils, nämlich den von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Schriftstücken nach D12 (vgl. obigen Absatz IV) sei lediglich zu entnehmen, daß das beanspruchte Verfahren eine innovative Lösung, aber insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen, darstelle. Diese Angabe, selbst wenn sie von der Beschwerdeführerin mit initiiert worden wäre, sage nichts über die erfinderische Qualität des beanspruchten Verfahrens aus. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit müsse im übrigen im vorliegenden Fall auch die konservative Haltung der Automobilindustrie berücksichtigt werden. Damit sei auch zu erklären, daß das bekannte Verfahren "Sintern von getrennten Einzelteilen und deren Zusammenfügen", erst Ende der 80er Jahre von der Beschwerdeführerin zur Herstellung von Schiebemuffen angewandt worden sei, obwohl die Technik schon längere Zeit bekannt gewesen sei.
Das von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Vorurteil gegen die Anwendung des bekannten Verfahrens bei Schiebemuffen sei somit durch nichts bewiesen.
Somit beruhe das Verfahren nach dem Anspruch 1 (Haupt- und Hilfsantrag) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VI. Die von der Beschwerdegegnerin zur Stützung ihrer Anträge vorgebrachten Argumente lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:
Es sei unstreitig, wie den Fachaufsätzen, insbesondere aus der D1 sowie den internationalen Normen zu entnehmen sei, daß die Fachwelt danach getrachtet habe, komplizierte Sinterbauteile immer dann mehrteilig zu fertigen und zu fügen, wenn die Komplexheit der Geometrie eine wirtschaftliche einstückige Fertigung, z. B. wegen Hinterschneidungen, nicht zulasse oder die mehrteilige Fertigung insgesamt wirtschaftlicher sei. Diesem Vorgehen seien jedoch technische Grenzen gesetzt. Die besonders kritischen Eigenschaftsanforderungen an Schiebemuffen, insbesondere an deren Festigkeit, Rundheit sowie die geforderte Durchmessertoleranz H6, fänden sich bei keinem der nach den Entgegenhaltungen D1 bis D8 gefertigten Sinterformteile wieder. Bei einer Schiebemuffe handle es sich um ein spezielles Bauteil, dessen zweiteilige Fertigung von einem Fachmann nicht als technisch und wirtschaftlich machbar eingestuft worden sei. So seien z. B. die Bedingungen zur Herstellung von außenverzahnten Zahnrädern und innenverzahnten Ringen sehr unterschiedlich; bei der pulvermetallurgischen Herstellung von Ringteilen sei leicht eine ovale Abweichung möglich. In Zusammenarbeit zwischen der Beschwerdegegnerin und der Firma Getrag würden zwar seit 1986 pulvermetallurgisch gefertigte Synchronringe geliefert, die an diese gestellten Anforderungen seien jedoch grundverschieden von denen bei Schiebemuffen. Die Firma Getrag habe beispielsweise ein neues Werk speziell für die Fertigung von Getriebeteilen in der herkömmlichen Weise, insbesondere durch Zerspanen erstellt. Dabei habe man nicht an eine pulvermetallurgische Fertigung gedacht, obwohl eine solche Fertigung im allgemeinen eine Absenkung der Herstellungskosten möglich mache.
Die D6, die den nächstliegenden Stand der Technik darstelle, offenbare eine Fügeverbindung zwischen einem hochbelasteten Zahnrad und einem niedriger belasteten, gesinterten Kupplungskörper. Die Anforderung an diese Fügeverbindung sei jedoch in keiner Weise mit der beim Streitpatent vergleichbar.
Die Herstellung einer Schalt- oder Schiebemuffe für sperrsynchronisierte, handgeschaltete Kfz-Getriebe durch das bekannte Fügeverfahren sei für einen Fachmann nicht naheliegend gewesen, denn aufgrund der besonderen Festigkeits- und Toleranzanforderungen für solche Werkstücke habe er eine innere Hemmung überwinden müssen, das an sich bekannte Verfahren anzuwenden. Aufgrund eines solchen Vorurteils der Fachwelt habe es einer erfinderischen Tätigkeit bedurft, das bekannte Herstellungsverfahren auch bei den in Rede stehenden Schalt- oder Schiebemuffen anzuwenden.
Zum Nachweis dafür, daß ein Vorbehalt der Fachwelt gegen die Anwendung des bekannten Verfahrens bestanden habe, wurden die folgenden Beweismittel geltend gemacht:
(D10) DIN-Norm 30912, Teil 5, Oktober 1990, "Sintermetalle, Sint-Richtlinien (SR), Fügen von Sinterteilen";
(D11) DIN-Norm 8521, Blatt 1, Juni 1973, "Schweißbarkeit, metallische Werkstoffe, Begriffe";
(D12) Anlageblätter zum Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 14. Januar 1997:
a) Schreiben der Firma Krebsöge Sinter Holding GmbH vom 28. April 1993 an die Beschwerdegegnerin,
b) Tagungsbericht der Internationalen Pulvermetallurgie-Tagung vom 12. bis 15. Juli 1993 in Kyoto, Japan, "PM-Technology An Excellent Method to Manufacture Compound Products";
(D14) DE-C-3 939 274 (kein Stand der Technik)
Der Verfasser (V. Arnhold) des Tagungsberichtes b) (aus D12) sei ein anerkannter Fachmann auf dem in Rede stehenden Gebiet und seine auf der Tagung geäußerte Meinung, daß es sich beim Verfahren nach dem Streitpatent um eine sehr "innovative" Lösung handle, müsse als bedeutsame Aussage gewürdigt werden.
Ein Getriebebauer, der von der Beschwerdegegnerin von ihrer damals noch nicht veröffentlichten Patentanmeldung informiert worden sei, habe bei mehreren potentiellen Zulieferern bezüglich der Lieferung von Herstellungsangeboten für Schiebemuffen der in Rede stehenden Art nachgefragt. Die angefragten Zulieferer, unter ihnen sicherlich auch die Beschwerdeführerin, hätten durchgehend eine Angebotslegung mangels technischer Machbarkeit abgelehnt, worüber ein Zeuge Aussagen machen könnte. Die in diesem Zusammenhang auch an die Beschwerdeführerin gerichtete Anfrage habe jedoch nichts mit dem Schriftwechsel (D13) der Beschwerdeführerin (vgl. die Beilagen 1 bis 3 in deren Schreiben vom 16. Juni 1997) zu tun, der sich mit der pulvermetallurgischen Fertigung einer von der Firma Getrag neu entwickelten Schiebemuffe nach der D14 befasse. In der darin beschriebenen Schiebemuffe seien nämlich, um eine einteilige pulvermetallurgische Fertigung zu ermöglichen, keine hinterschnittenen Verzahnungen mehr enthalten. Auch diese konstruktive Neuentwicklung einer Schiebemuffe beweise, daß es ein Fachmann nicht in Betracht gezogen habe, bei Schiebemuffen mit Hinterschneidungen eine pulvermetallurgische Fertigung anzuwenden.
Die Beschwerdegegnerin sei beim Verfahren nach dem Streitpatent einen völlig anderen Weg gegangen, von dem die Fachwelt nichts wissen wollte, wie z. B. durch die hohen Investitionen der Firma Getrag für ein neues Getriebewerk (mit herkömmlicher Getriebeteilefertigung) bewiesen werde. Für Fertigung einer Schiebemuffe mit hinterschnittenen Verzahnungen auf dem pulvermetallurgischen Wege habe die Fachwelt eine Hürde überspringen müssen, was nicht ohne erfinderisches Zutun möglich war.
Das Verfahren gemäß Anspruch 1 nach dem Haupt- und auch nach dem Hilfsantrag beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1. Gegenstand des Streitpatents, Problemstellung
Nach der Beschreibungseinleitung des Streitpatents werden die im Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1 definierten, allgemein bekannten Schalt- oder Schiebemuffen, deren Verzahnung sich in Richtung Symmetrieebene verjüngende Zahnabschnitte, d. h. Hinterschneidungen aufweist, entweder mittels aufwendiger und kostspieliger maschineller Zerspanungsverfahren oder durch zunächst spanabhebende Bearbeitung einer Vorform und anschließende Hinterrollung aus Rohlingen gefertigt. Die Beschwerdegegnerin hat im Zusammenhang mit diesen bekannten Herstellungsverfahren auf die anschließend noch notwendige Entfernung der bei der spanabhebenden Bearbeitung entstehenden Grate sowie auf die Probleme bei der Materialverdrängung der durch Hinterrollung erzeugten Hinterschneidungen verwiesen.
Ausgehend hiervon besteht die im vorliegenden Fall zu lösende Aufgabe gemäß Streitpatentschrift darin, ein Verfahren zur kostengünstigeren Fertigung von Schalt- und Schiebemuffen zu entwickeln, wobei Verfahren und insbesondere aufwendige Techniken zur spanabhebenden Bearbeitung vermieden werden.
2.2. Aufgabenlösung, Neuheit
Zur Vermeidung von spanabhebenden Bearbeitungen wird nach dem Stand der Technik die pulvermetallurgische Herstellung mittels Preßverfahren und Sintern angewandt, wobei komplizierten Werkstückformen damit Genüge getan wird, daß diese zunächst mehrteilig gefertigt werden und anschließend die als Sinterformteile ausgebildeten Werkstückteile durch Fügen miteinander verbunden werden. Solche Fügetechniken sind aus den Druckschriften D1 bis D3, D7, D8, D10 sowie aus der Druckschrift D6, welche die Verschweißung zwischen einem Getriebezahnrad und einem gesinterten Schaltteil beschreibt, allgemein bekannt.
Jedoch offenbart keine der zum Stand der Technik gehörenden Entgegenhaltungen die Anwendung eines solchen Herstellungsverfahrens für eine Schalt- oder Schiebemuffe.
Das Herstellungsverfahren nach Anspruch 1 ist daher neu, was auch von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht bestritten worden ist.
2.3. Erfinderische Tätigkeit
2.3.1. Technischer Hintergrund
In der Fachzeitschrift D1 ist in dem "Lagebericht, Konstruieren mit Sinterformteilen", der durch Befragen eines "einschlägigen Fachkreises" erstellt wurde, ausführlich die Fertigung von Sinterteilen und deren Nachbearbeitung erläutert, wobei darauf hingewiesen wird (vgl. S. 225 Absätze 3.2 und 3.3), daß in Fachkreisen allgemeine Übereinstimmung darüber bestehe, "daß sich die Kosten für ein Sinterwerkstück durch eine spanende Nachbearbeitung in ungünstigen Fällen um 100 % und mehr erhöhen können". Es sei demnach "häufig wirtschaftlicher, ein Funktionsteil durch Fügen mehrerer Sinterformteile .... herzustellen als es mit hohem Werkzeug- und Kostenaufwand aus einem Stück zu fertigen. Des weiteren sei es aus fertigungstechnischen Gründen mitunter notwendig, komplizierte Sinterformteile mehrteilig zu fertigen und sie anschließend im allgemeinen durch Widerstandschweißen zu fügen". Außerdem wird im folgenden Text darauf hingewiesen, daß ein einteilig geformtes Werkstück mit Hinterschneidungen, z. B. ein Zahnriemenrad mit zwei Anlaufbunden beim Pressen nicht ausformbar und somit nicht herstellbar sei. Diese Aussagen wiederholen sich in ähnlicher Art in den Fachartikeln nach den Druckschriften D2, D3, D7 und D8. Dabei werden die für das Fügeverfahren der Sinterteile anwendbaren Fügeverfahren z. B. Hartlöten, Zusammensintern, Schweißen oder Kleben sowie zahlreiche Anwendungsgebiete des Sinterverfahrens mit anschließendem Fügeverfahren aufgezählt, und es wird auf innenverzahnte Reduktionszahnräder (D2, Seite 64, Figur 12) und zahlreiche Getriebeteile (D8, Seite 55, 56, Figur 1, 2) verwiesen.
2.3.2. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe und das beanspruchte Lösungsprinzip waren somit dem Fachmann, insbesondere durch die D1 bekannt, wobei die angewandte Herstellungsmethode sogar schon für zahlreiche Getriebeteile (D1, D2, D8) empfohlen wurde. Es erhebt sich daher die Frage, ob der an sich naheliegend erscheinenden Anwendung dieses bekannten Herstellungsverfahrens speziell für die Herstellung von Schalt- oder Schiebemuffen ein von der Beschwerdegegnerin geltend gemachtes Vorurteil der Fachwelt entgegenstand.
2.3.3. Die Beweislast für das Bestehen eines Vorurteils liegt im vorliegenden Fall bei der Beschwerdegegnerin (vgl. die Beschwerdekammerentscheidung T 119/82, ABl. EPA 1984, 217), wobei für die Anerkennung eines solchen Vorurteils nach allgemeiner Rechtsprechung der Beschwerdekammern enge Grenzen gelten und die entsprechenden Meinungen einzelner Fachleute oder Firmen nicht notwendig einem Vorurteil der Fachwelt gleichzusetzen sind; vgl. hierzu die unveröffentlichten Beschwerdekammerentscheidungen T 500/88, Punkte 4.1.7 und 4.1.8 bzw. T 62/82, Punkt 5.6 und T 410/87, Punkt 3.5.
2.3.4. Den im Beweismittel D12 der Beschwerdegegnerin aufgeführten Anlageblättern a) und b) (vgl. Absatz VI dieser Entscheidung) ist zu entnehmen, daß die Firma Sinterstahl GmbH (Beschwerdeführerin) dem Verfasser des Berichtes über die "PM-Tagung" in Kyoto vom 12. bis 15. Juli 1993, Herrn V. Arnhold, zur Erstellung seines Übersichtsvortrags, der offensichtlich während der genannten Tagung stattgefunden hat, Bild- bzw. Informationsmaterial zur Verfügung gestellt hat. Die in dem Tagungsbericht (gemäß Anlage b) im unteren Bereich der Figur 6 wiedergegebene Darstellung einer Schaltmuffe zeigt (wie von der Beschwerdeführerin bestätigt) das von der Beschwerdeführerin dem Vortragenden zur Verfügung gestellte Bild. Im Zusammenhang mit der im Bild 6 gezeigten Schaltmuffe wird im Tagungsbericht darauf verwiesen, daß es sich bei diesem Produkt, besonders vom wirtschaftlichen Standpunkt her betrachtet, um eine sehr innovative Lösung handle ("very innovative solution"). Diese Textstelle des Tagungsberichts betont also die aus der Sicht des Vortragenden gegebene Bedeutung einer Schaltmuffenherstellung durch Sintern und Fügen unter dem Gesichtspunkt eines niedrigen Herstellungspreises. Es kann davon jedoch nicht abgeleitet werden, daß zu jenem Zeitpunkt eine weitverbreitete, aber letztlich - wie die Erfindung zeigt - falsche Vorstellung von der technischen Ausführbarkeit und somit ein Vorurteil bestand. Außerdem hat die angesprochene Tagung erst im Juli 1993, d. h. ca. 4 Jahre nach dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents stattgefunden. Ein möglicherweise bestehendes Vorurteil ist jedoch als vor dem bzw. am Prioritätstag bestehend nachzuweisen. Ein Vorurteil, das sich möglicherweise erst später entwickelt hat, ist für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ohne Belang (T 341/94, Punkt 6.1.1). Aus den vorstehenden Gründen vermag das Beweismittel gemäß D12 nichts zur Stützung des Arguments Vorurteil beizutragen.
2.3.5. Im Hinblick auf die von der Beschwerdegegnerin angesprochenen Ablehnungserklärungen der Zuliefererfirmen (vgl. Absatz VI dieser Entscheidung) hat die Beschwerdeführerin bestritten, daß an sie eine Aufforderung zu einem Lieferangebot ergangen sei, und daß sie ein solches Lieferangebot mit der obengenannten Begründung abgelehnt habe (vgl. Absatz V).
Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung auf das von ihr in der Beschwerdeerwiderung vorgebrachte "Zeugenangebot" verwiesen, zu dem sie jedoch zu keiner Zeit konkrete Angaben gemacht hat. Insbesondere ist in der Beschwerdeerwiderung nichts darüber angegeben, wann und an welche Zulieferer die Anfrage des Getriebebauers ergangen sei.
Es bestand somit für die Beschwerdekammer kein Anlaß, diesem Vorbringen von sich aus weiter nachzugehen.
Außerdem hätte dieses Beweisangebot der Beschwerdegegnerin selbst dann, wenn die behauptete Vorgänge im Zusammenhang mit den angeblichen Aufforderungen zu einem Lieferangebot belegt worden wären, das Bestehen eines Vorurteils der Fachwelt aus folgenden Gründen nicht begründen können.
2.3.5.1. Der angebliche Ablehnungsgrund für die gewünschte Angebotslegung, nämlich die fehlende technische Machbarkeit der in Rede stehenden Schiebemuffenherstellung nach dem Streitpatent, steht im Widerspruch zu dem Inhalt der Fachaufsätze D1 bis D3 und D7, D8 und zu der in gleichem Sinne lautenden Erklärung der Beschwerdegegnerin, daß die in Rede stehende Herstellungstechnik prinzipiell keine Probleme gemacht habe.
2.3.5.2. Der Ablehnungsgrund der Zulieferer hätte möglicherweise damit begründet werden können, daß das hinreichend bekannte Herstellungsverfahren speziell bei Schaltmuffen nicht zu den bei diesem Werkstück nötigen Maßtoleranzen und Festigkeiten führen würde. Angesichts der aus dem Stand der Technik bekannten Fertigungsbeispiele für Präzisionsteile, wie Elemente der Getriebetechnik ist jedoch der Schluß zu ziehen, daß das in Rede stehende Herstellungsverfahren grundsätzlich auch als für hochfeste und maßgenaue Teile verwendbar angesehen wurde.
2.3.5.3. Bedenken hinsichtlich der Festigkeit und der geforderten Toleranz treten im übrigen bei jeder erstmaligen Anwendung eines bekannten Herstellungsverfahrens für sehr diffizile Werkstücke auf und müssen in Kurz- und Langzeitversuchen überprüft und ggfs. ausgeräumt werden. Dies gilt insbesondere für die Fertigung von funktionswesentlichen Teilen in Kraftfahrzeugaggregaten, bei denen von der (an sich gegenüber Neuerungen konservativ eingestellten) Automobilindustrie hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit gestellt werden. Eine durch eine geringe Risikofreudigkeit bedingte ablehnende Haltung ist jedoch ebenfalls nicht als Vorurteil auszulegen; vgl. hierzu auch die schon oben genannte Beschwerdekammerentscheidung T 62/82, Punkt 5.6.
2.3.6. Es ist somit festzustellen, daß das von der Beschwerdegegnerin vorgelegte "Zeugenangebot", selbst wenn es zu einem Beweis im angebotenen Sinne geführt hätte, nicht notwendig ein in der Fachwelt bestehendes Vorurteil hätte nachweisen können. Es bestand daher auch aus diesem Grund für die Kammer keine Veranlassung, das in der Beschwerdeerwiderung angedeutete "Zeugenangebot" aufzugreifen.
2.3.7. Die Beschwerdegegnerin hat im Zusammenhang mit ihrem Argument "Vorurteil" noch auf die Schaltmuffen nach der DE-C-3 939 274 (D14) verwiesen, deren Anmeldetag nach der Priorität des Streitpatents liegt, und deren in eine andere Richtung weisende Entwicklung betont.
Bei der D14 handelte es sich jedoch um einen Lösungsvorschlag, der nach Bekunden der Beschwerdegegnerin von einem einzigen Hersteller kam und bisher nicht in die Praxis eingeführt wurde. Die D14 kann daher nicht belegen, daß die Fachwelt insgesamt einen anderen Weg eingeschlagen hat. Außerdem ermöglicht die in der D14 offenbarte Schaltmuffenausbildung ohne Hinterschneidungen eine einteilige pulvermetallurgische Herstellung, was möglicherweise einen Fortschritt gegenüber einer zweiteiligen pulvermetallurgischen Herstellung darstellt. Der Vorschlag einer solchen weiteren Verbesserung für eine pulvermetallurgische Herstellung kann aber ebenfalls nicht als Indiz für das Vorliegen eines technischen Vorurteils gegen die in Rede stehende, gegebenenfalls aufwendigere Lösung gelten.
2.3.8. Dies gilt auch für die weitere Behauptung der Beschwerdegegnerin, ein bekannter Getriebehersteller habe in den 80er Jahren mit Milliardenaufwand ein neues Getriebewerk entwickelt, bei dem die Herstellung der Getriebeteile durch spanabhebende Bearbeitung erfolgte. Die Erstellung dieser Produktionsmittel durch einen einzigen Hersteller hat offensichtlich einige Zeit vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents stattgefunden und kann angesichts geringer Risikofreudigkeit der Kfz-Industrie nicht als Vorurteil gegen das beanspruchte Herstellungsverfahren für Schaltmuffen an sich ausgelegt werden (vgl. auch den vorstehenden Absatz 2.3.5.3).
2.3.9. Die von der Beschwerdegegnerin insgesamt für das Bestehen eines Vorurteils der Fachwelt geltend gemachten Beweismittel können daher das Vorliegen eines Vorurteils der Fachwelt nicht begründen.
Somit ist das beanspruchte Verfahren bei Berücksichtigung des Stands der Technik (vgl. Punkt 2.3.1 und 2.3.2) als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen.
Der Anspruch 1 nach dem Hauptantrag ist somit nicht patentfähig.
3. Hilfsantrag
Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag unterscheidet sich von dem nach dem Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich darin, daß die Herstellung der Einzelteile der Schaltmuffe mittels pulvermetallurgischer Verfahren durch Pressen und Sintern erfolgen soll.
Die zum Hauptantrag angezogenen Entgegenhaltungen und Beweismittel betreffen insgesamt die Herstellung von Werkstücken durch Sinterverfahren. Die im Zusammenhang mit dem Hauptantrag vorgebrachten Feststellungen gelten somit in gleicher Weise für das Verfahren des Anspruchs 1 nach dem Hilfsantrag.
Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag ist demnach ebenfalls mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.
4. Die vom Anspruch 1 nach dem Hauptantrag bzw. Hilfsantrag abhängigen Ansprüche fallen zusammen mit dem jeweiligen Anspruch 1, da die Kammer über die vorliegenden Anträge nur als Ganzes entscheiden kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.