T 0211/95 () of 9.7.1997

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1997:T021195.19970709
Datum der Entscheidung: 09 Juli 1997
Aktenzeichen: T 0211/95
Anmeldenummer: 91121746.1
IPC-Klasse: G11B 33/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Plattenaufnahmeteil für Aufbewahrungskassetten für kreisförmige Informationsplatten
Name des Anmelders: CARTONNERIES DE THULIN S.A.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 76(1)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 111(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Klare Offenbarung des Gegenstands der Teilanmeldung in der Stammanmeldung (ja)
Unabhängiger Anspruch in einer Teilanmeldung für einen nicht in den Ansprüchen der Stammanmeldung enthaltenen Gegenstand (zulässig)
Zurückverweisung an die erste Instanz
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0873/03
T 1026/03
T 0579/05
T 1409/05
T 0314/06
T 0341/06
T 0694/07
T 2089/13
T 0369/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 91 121 746.1. Diese Patentanmeldung ist eine Teilanmeldung zu der Stammanmeldung Nr. 89 907 718.4 (internationale Veröffentlichungsnummer WO 90/02403). Die Entscheidung der Prüfungsabteilung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des seinerzeit geltenden Anspruchs 1 der Teilanmeldung über den Inhalt der Stammanmeldung hinausginge und somit die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ nicht erfülle.

II. Die Stammanmeldung richtet sich gemäß ihrem Anspruch 1 in der ursprünglichen Fassung auf eine Aufbewahrungskassette für kreisförmige Informationsplatten, bestehend aus einem Bodenteil, einem Deckelteil und einem Plattenaufnahmeteil, bei der

a) das Bodenteil und das Deckelteil an einer gemeinsamen Kante durch eine Scharniereinrichtung schwenkbar miteinander verbunden sind,

b) das Bodenteil an seiner die Scharniereinrichtung aufnehmenden Kante sowie an der dieser gegenüberliegenden Kante als Buchrücken nutzbare Stirnwände aufweist und

c) das Plattenaufnahmeteil in dem Bodenteil aufgenommen oder aufnehmbar ist,

dadurch gekennzeichnet, daß

d) das Plattenaufnahmeteil und das Bodenteil durch eine zweite Scharniereinrichtung schwenkbar miteinander verbunden sind und das Plattenaufnahmeteil beidseitig Halterungen für je eine kreisförmige Informationsplatte je Seite aufweist,

e) die zweite Scharniereinrichtung an der der zwischen dem Bodenteil und dem Deckelteil vorgesehenen (ersten) Scharniereinrichtung gegenüberliegenden Kante des Bodenteils angeordnet ist und

f) das Plattenaufnahmeteil im ausgeschwenkten Zustand an einem Schwenkwegbegrenzer zur Anlage bringbar ist.

III. Anspruch 1 der Teilanmeldung in der ursprünglichen Fassung lautet:

"Plattenaufnahmeteil für eine Aufbewahrungskassette (1), bestehend aus einem Bodenteil (2), einem Deckelteil (3) und dem Plattenaufnahmeteil (4), für kreisförmige Informationsplatten (29), bei dem am Umfang einer zentralen Öffnung auf beiden Seiten von dem Plattenaufnahmeteil hervorstehende Klemmelemente zum Festklemmen der kreisförmigen Informationsplatten am Rand deren Mittenausnehmung vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Klemmelemente (Zungen 28) um die zentrale Öffnung (28) derart wechselweise verteilt angeordnet sind, daß abwechselnd ein Klemmelement nach oben und ein Klemmelement nach unten ragt."

IV. Mit ihrem Bescheid vom 5. Mai 1994 hat die Prüfungsabteilung den Einwand erhoben, daß sich bei einem Vergleich des Anspruchs 1 der ursprünglich eingereichten Teilanmeldung mit dem ursprünglichen Anspruch 1 der Stammanmeldung zeige, daß im Anspruch 1 der Teilanmeldung die spezifischen Merkmalsgruppen a), b), c), e) und f) des ursprünglichen Anspruchs 1 der Stammanmeldung ganz fehlten und die Merkmalsgruppe d) nur teilweise enthalten sei. Mit der Eingabe vom 5. Juli 1994 hat der Anmelder dazu Stellung genommen und einen neuen Anspruch 1 eingereicht, in den die Merkmalsgruppen a), b), c) und d) aufgenommen worden waren. Das Fehlen der durch die Prüfungsabteilung als wesentlich angesehenen Merkmalsgruppe e) führte zur Zurückweisung der Teilanmeldung wegen Verstoßes gegen Artikel 76 (1) EPÜ.

V. Am 9. Juli 1997 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Während der Verhandlung überreichte der Beschwerdeführer drei neue Ansprüche.

VI. Der nunmehr geltende Anspruch 1 lautet:

"Plattenaufnahmeteil für eine aus einem Bodenteil (2), einem Deckelteil (3) und dem Plattenaufnahmeteil bestehende Aufbewahrungskassette für zwei kreisförmige Informationsplatten (29), bei dem am Umfang einer zentralen Öffnung (28) auf beiden Seiten von dem Plattenaufnahmeteil hervorstehende Klemmelemente zum Festklemmen je einer kreisförmigen Informationsplatte am Rand deren Mittenausnehmung vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Klemmelemente (Zungen 28) um die zentrale Öffnung (28) derart wechselweise verteilt angeordnet sind, daß abwechselnd ein Klemmelement nach oben und ein Klemmelement nach unten ragt."

Die Ansprüche 2 und 3 sind vom Anspruch 1 abhängig.

VII. Die Argumente des Beschwerdeführers lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Artikel 76 (1) EPÜ erfordere nicht, daß der beanspruchte Gegenstand einer Teilanmeldung in den ursprünglichen Patentansprüchen der früheren Anmeldung enthalten sei. Es genüge den Erfordernissen des EPÜ, wenn dieser Gegenstand in der früheren Anmeldung offenbart sei. Die Merkmale der um die zentrale Öffnung angeordneten Klemmelemente seien im letzten Absatz der Beschreibung der Stammanmeldung (WO 90/02403) beschrieben, und zwar sowohl hinsichtlich der konstruktiven Ausführbarkeit als auch hinsichtlich der durch diese Merkmale erzielbaren Wirkungen. Aus den dortigen Angaben erkenne der Fachmann weiterhin, daß die sich auf die Gestaltung und Anordnung der Klemmelemente beziehenden Merkmale unabhängig davon zu sehen seien, wie im einzelnen die Verschwenkbarkeit des Plattenaufnahmeteils bewerkstelligt werde. Es handle sich dabei ersichtlich um eine völlig unabhängige Lehre.

VIII. Der Beschwerdeführer beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und ein Patent aufgrund folgender Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 3 überreicht während der mündlichen Verhandlung am 9. Juli 1997;

Beschreibung und Zeichnungen gemäß der veröffentlichten Fassung der Teilanmeldung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die nunmehr geltenden Ansprüche 1 bis 3 der vorliegenden Teilanmeldung richten sich auf ein Plattenaufnahmeteil mit einer näher definierten Anordnung von Klemmelementen zum Festklemmen kreisförmiger Informationsplatten. Diese Anordnung ist im letzten Absatz der Beschreibung der ursprünglichen Fassung der Teilanmeldung offenbart. Daher verstoßen diese Ansprüche nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ.

3. Artikel 76 (1) EPÜ

3.1. Nach Artikel 76 (1) EPÜ kann eine europäische Teilanmeldung nur für einen Gegenstand eingereicht werden, der nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Artikel 76 (1) EPÜ verlangt also nicht, daß der beanspruchte Gegenstand einer Teilanmeldung in den Patentansprüchen der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung enthalten ist. Verlangt wird nur, daß dieser Gegenstand als solcher irgendwo in der früheren Anmeldung offenbart sein muß.

3.2. Die frühere Stammanmeldung (WO 90/02403) in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart:

(A) Eine Aufbewahrungskassette für kreisförmige Informationsplatten mit einem Bodenteil, einem Deckelteil und einem Plattenaufnahmeteil (siehe Figuren 1 bis 3 und Beschreibung, Seite 3, Zeile 21 bis Seite 9, Zeile 25) sowie mit den vorstehend genannten Merkmalen a), b), c), d), e) und f). Dadurch wird die Aufgabe gelöst, eine Aufbewahrungskassette zu schaffen, die als funktionssichere Raumsparanordnung ausgebildet ist (siehe Seite 3, Zeilen 16 bis 19).

(B) Das zu der oben genannten Aufbewahrungskassette gehörende Plattenaufnahmeteil, für welches im letzten Absatz der Beschreibung der Stammanmeldung (siehe Seite 9, Zeile 27 bis Seite 10, Zeile 7) zur Erzielung gut angepaßter Klemmkräfte für die Aufnahme von zwei CDs die in Figur 4 schematisch dargestellte Anordnung von Klemmelementen empfohlen wird. Das Plattenaufnahmeteil ist an der genannten Stelle mit allen in den Ansprüchen 1 bis 3 von 9. Juli 1997 angegebenen Merkmalen beschrieben, und zwar sowohl hinsichtlich der konstruktiven Ausführbarkeit als auch hinsichtlich der durch diese Merkmale erzielbaren Wirkungen. Aus den dortigen Angaben erkennt der Fachmann weiterhin, daß die sich auf die Gestaltung und Anordnung der Klemmelemente beziehenden Merkmale unabhängig davon sind, wie im einzelnen die Verschwenkbarkeit des Plattenaufnahmeteils bewerkstelligt wird.

3.3. Folgende Gegenstände gehören also eindeutig zum Inhalt der Stammanmeldung:

Eine Aufbewahrungskassette gemäß obigem Absatz 3.2 (A), mit zwei Scharniereinrichtungen und einem Plattenaufnahmeteil, welches vorteilhaft gemäß obigem Absatz 3.2 (B) gestaltet werden kann,

Das Plattenaufnahmeteil gemäß obigem Absatz 3.2 (B), mit am Umfang seiner zentralen Öffnung angeordneten Klemmelementen.

4.1. Die Aufgabe des in der Stammanmeldung beanspruchten Gegenstands richtet sich darauf, eine Aufbewahrungskassette zu schaffen, die als funktionsichere Raumsparanordnung ausgebildet ist und wobei der Herausfallschutz für kreisförmige Informationsträger aus der Aufbewahrungskassette bei deren Öffnen oder Benutzen in geöffneten Zustand erheblich verbessert wird. Die Lösung dieser Aufgabe wird durch den Einsatz einer Scharniereinrichtung zwischen Bodenteil und Deckelteil und zwischen Bodenteil und Plattenaufnahmeteil erreicht. Die Merkmalsgruppen d) und e) des Anspruchs 1 der Stammanmeldung stellen wesentliche Merkmale für diesen Gegenstand dar.

4.2. Die Aufgabe gemäß der vorliegenden Teilanmeldung besteht darin, ein Plattenaufnahmeteil für eine Aufbewahrungskassette zu schaffen, das sich mit verbesserten Mitteln zur Ausübung von Klemmkräften für die zentrale Aufnahme von zwei an gegenüberliegenden Seiten des Plattenaufnahmeteils angebrachten kreisförmigen Informationsträger. Die Lösung dieser Aufgabe wird anspruchsgemäß dadurch erreicht, daß Klemmelemente um die zentrale Öffnung des Plattenaufnahmeteils so angeordnet sind, daß abwechselnd ein Klemmelement nach oben und ein Klemmelelement nach unten ragt.

4.3. Neben dem in der Stammanmeldung beanspruchten Gegenstand beschreibt diese ferner (siehe Figuren 2 und 4 und Seite 9, Zeile 5 bis Seite 10, letzte Zeile) das Plattenaufnahmeteil gemäß Anspruch 1 der Teilanmeldung. Unbestritten ist damit, daß der Gegenstand der Teilanmeldung als solcher in der Stammanmeldung enthalten war. Die Prüfungsabteilung hat die Teilanmeldung jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Merkmalsgruppe e) vom ursprünglichen Anspruch 1 der Stammanmeldung im Anspruch 1 der Teilanmeldung ganz fehle, was die Bestimmungen von Artikel 76 (1) EPÜ verletze. Die Kammer kann dieser Begründung nicht zustimmen.

4.3.1. Die Merkmalsgruppe e) betrifft die Stelle, an der die in der Merkmalsgruppe d) vom ursprünglichen Anspruch 1 der Stammanmeldung definierte zweite Scharniereinrichtung angeordnet ist. Die Beschreibung der Stammanmeldung macht dem Fachmann deutlich, daß die Kombination der ersten Scharniereinrichtung mit der zweiten Scharniereinrichtung für die Lösung der entsprechenden Aufgabe unentbehrlich ist (siehe insbesondere Seite 3, Zeile 21 bis Seite 5, Zeile 12). Jedoch geht aus dieser Beschreibung nicht hervor, daß die Merkmalsgruppe e) zu den Merkmalen des in der Teilanmeldung beanspruchten Plattenaufnahmeteils irgendeinen Bezug haben könnte. Eine funktionelle Verknüpfung zwischen den Scharniereinrichtungen (geschweige denn der genauen Stelle, an der sie angeordnet sind) nach dem in der Stammanmeldung beanspruchten Gegenstand und den nach oben und unten ragenden Klemmelementen gemäß der Teilanmeldung ist nach der Beschreibung der Stammanmeldung nicht erkennbar.

4.3.2. In der Stammanmeldung wird lediglich "empfohlen", den in der Teilanmeldung beanspruchten Gegenstand, nämlich das in Figur 4 gezeigte Plattenaufnahmeteil mit den Klemmelementen zu benutzen (siehe Seite 9, Zeilen 27 bis 35). Figur 4 zeigt keine der beiden Scharniereinrichtungen, sondern im wesentlichen nur die zentrale Öffnung 28 des Plattenaufnahmeteils mit ihren abwechselnd angeordneten Zungen 27. Aus diesen Angaben erkennt der Fachmann, daß zwischen den besonderen Gestaltungen der Scharniereinrichtungen und den Klemmelementen keine konkrete technische Verbindung besteht.

4.3.3. Die von der Prüfungsabteilung für die Zurückweisung der Teilanmeldung vorgebrachten Argumente erscheinen auf diesem Hintergrund nicht stichhaltig. Sie hat denn auch anerkannt, daß die Klemmeinrichtungen funktionell von den Scharniereinrichtungen unabhängig seien. Gerade die erkennbare Unabhängigkeit zwischen den Scharniereinrichtungen und den Klemmeinrichtungen ist für den Fachmann aber ein Hinweis, daß zwei technisch unverknüpfte technische Lehren vorliegen, die sich getrennt beanspruchen lassen.

4.4. Im vorliegenden Fall ist für den Fachmann offensichtlich, daß in der Stammanmeldung zwei technische Lehren enthalten sind, die sich nach ihrer Problemstellung unterscheiden und mit unterschiedlichen jeweils voneinander unabhängigen Merkmalen verwirklichen lassen. Der Gegenstand der Teilanmeldung ist in der Stammanmeldung unmittelbar und unzweideutig offenbart. Wie vorstehend erläutert, ist es für den Fachmann klar, daß die Scharniereinrichtungen gemäß dem in der Stammanmeldung beanspruchten Gegenstand für den in der Teilanmeldung beanspruchten Gegenstand unwesentlich ist. Es verstößt daher nicht gegen Artikel 76 (1) EPÜ, die entsprechende Merkmalsgruppe e) der Stammanmeldung nicht in den Anspruch 1 der Teilanmeldung aufzunehmen.

5. Zur Frage der erfinderischen Tätigkeit wurde in der Entscheidung der Prüfungsabteilung nicht abschließend Stellung genommen. Unter diesen Umständen hält es die Kammer für geboten, von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch zu machen und die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen. Die erste Instanz wird darauf hingewiesen, daß sie nur soweit durch die vorliegende Entscheidung gebunden ist, als darin festgestellt wird, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht gegen Artikel 76 (1) EPÜ verstößt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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