T 0330/92 () of 10.2.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T033092.19940210
Datum der Entscheidung: 10 Februar 1994
Aktenzeichen: T 0330/92
Anmeldenummer: 83111994.6
IPC-Klasse: A45C 11/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schutzhülle für eine Scheckkarte oder dergleichen
Name des Anmelders: Ritter, Gerhard
Name des Einsprechenden: Plastolan Klaus Langenbach
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegender Kombination bekannter Merkmale
Beweißanzeichen - Zeitfaktor - Blindheit der Fachwelt
Inventive step - non-obvious combination of known features
Secondary indicia - time factor
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0002/83
T 0219/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0078/96
T 0216/96
T 0962/01
T 0883/03
T 1890/06

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der am 30. November 1983 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 83 111 994.6 wurde das zehn Ansprüche umfassende europäische Patent Nr. 121 598 erteilt.

Gegen dieses Patent wurde ein Einspruch eingelegt mit dem Antrag, es zu widerrufen. Der Einspruch stützte sich auf Artikel 100 (a) EPÜ.

Die Einspruchsabteilung wies mit seiner am 14. Februar 1992 zur Post gegebenen Entscheidung den Einspruch zurück.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 8. April 1992 unter gleichzeitiger Bezahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 15. Juni 1992 begründet.

III. Während des Beschwerdeverfahrens sind die folgenden Druckschriften erwähnt worden:

R1: FR-A-1 329 029

R3: DE-U-8 208 340

R4: DE-U-8 226 430

R5: US-A-4 141 400

R6: DE-U-1 870 769

R7: DE-B-1 167 492

R13: US-A-3 166 795

IV. In Antwort auf eine Mitteilung der Kammer hat der Beschwerdegegner (Patentinhaber) mit seinem Schreiben vom 24. Januar 1994 einen neuen Anspruch 1 eingereicht, der die Grundlage seines Hauptantrages bildet. Dieser Anspruch lautet wie folgt:

"Flache, rechteckige Schutzhülle aus biegesteifem Kunststoffmaterial zur Aufnahme wenigstens einer Scheckkarte, Automatenkarte, Kreditkarte oder dergleichen rechteckigen Karte, vorzugsweise mit Magnetstreifencode, mit einem nur zu einer Stirnseite der Schutzhülle in Form einer Einstecköffnung offenen Aufnahmeraum zur Aufnahme einer Karte und mit einer Grifföffnung in einer der Kunststoffplatten, die es ermöglicht, die im Aufnahmeraum einliegende Karte aus der Einschuböffnung herauszuschieben,

dadurch gekennzeichnet,

daß die Schutzhülle einstückig aus Kunststoff gespritzt ist und daß in beiden Kunststoffplatten möglichst kleine und miteinander fluchtende Halteöffnungen (10) für einen Schieber eines Spritzwerkzeuges vorgesehen sind, die mit dem Innenraum der Schutzhülle in Verbindung stehen und in die paarweise Haltestifte des Spritzwerkzeugs einführbar sind, die über die Fläche der Kunststoffplatten derart verteilt sind, daß der Schieber über seine gesamte Fläche ausreichend gehalten wird."

V. Am 10. Februar 1994 ist mündlich verhandelt worden.

Während der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdegegner hilfsweise einen Anspruch 1 vorgelegt (Hilfsantrag).

VI. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen vorgetragen, daß der Fachmann ausgehend vom aus der Druckschrift R3 bekannten Stand der Technik - dank seiner allgemeinen Kenntnisse auf dem Gebiet der Kunststoffverarbeitung - ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Haupt- bzw. Hilfsantrag gelange und somit der Gegenstand dieser Ansprüche 1 nicht auf der nach Artikel 56 EPÜ erforderlichen erfinderischen Tätigkeit beruhe.

VII. Der Beschwerdegegner hat den Ausführungen der Beschwerdeführerin widersprochen und im wesentlichen vorgetragen, daß der Fachmann keinen Anlaß gehabt habe, die im Stand der Technik enthaltenen, die allgemeinen Kenntnisse auf dem Gebiet der Spritzgußtechnik betreffenden Hinweise bei der Erfindungslösung zu verwenden.

VIII. Die Beschwerdeführerin hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des angefochtenen Patents beantragt.

Sie hat außerdem beantragt, einen Sachverständigen zur Frage des Kernversatzes bei der Herstellung von Gegenständen durch Spritzgußverfahren anzuhören.

IX. Der Beschwerdegegner hat die Aufrechterhaltung des Patentes mit folgenden, dem Hauptantrag entsprechenden Unterlagen, beantragt:

- Patentanspruch 1, eingereicht mit Schreiben vom 24. Januar 1994

- Patentansprüche 2 bis 10, wie erteilt

- Beschreibung: Spalten 1 und 2, wie überreicht in der mündlichen Verhandlung Spalten 3 bis 6, wie erteilt

- Zeichnungen: Fig. 1 bis 8, wie erteilt.

Hilfsweise hat er die Aufrechterhaltung des Patentes aufgrund des während der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anspruchs 1 beantragt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Auslegung der Ansprüche

2.1. Unter "... Schutzhülle ... zur Aufnahme .. einer Scheckkarte, Automatenkarte, Kreditkarte oder dergleichen rechteckigen Karte" ist eine Hülle zu verstehen, die sich dazu eignet, eine solche Karte aufzunehmen, wobei unter den mit dem Wort "Karte" zusammengesetzten Begriffen flache, steife, rechteckige Blätter aus Kunststoffmaterial zu verstehen sind, die in der Norm als Informationsträger fungieren.

2.2. Das nach dem Ausdruck "vorzugsweise" stehende, die Magnetstreifencode betreffende Merkmal ist als fakultativ zu betrachten.

2.3. Unter dem Merkmal, nach welchem "die Schutzhülle einstückig aus Kunststoff gespritzt ist", ist - in Zusammenhang mit der Beschreibung - der Gegenstand "Schutzhülle" so zu verstehen, daß sie als fertiges Produkt, d. h. als Hohlformung, einstückig aus Kunststoff gespritzt ist. Mit anderen Worten: Der Aufnahmeraum (Hohlform) sowie alle körperlichen Merkmale der Schutzhülle werden direkt, in einem Fertigungsschritt, durch das Spritzgußverfahren gebildet.

2.4. Unter Halteöffnungen sind Öffnungen im fertigen Produkt zu verstehen, die in Folge des Spritzgußverfahrens durch die Haltestifte des Spritzgußwerkzeugs gebildet werden, wobei die Haltestifte den Schieber des Spritzgußwerkzeugs während des Spritzgußvorgangs halten.

2.5. Hinsichtlich des Merkmals, nach welchem die Halteöffnungen derart verteilt sind, daß der Schieber über seine gesamte Fläche ausreichend gehalten wird, hat der Beschwerdegegner erklärt, daß dieses Merkmal das Vorhandensein wenigstens einer Öffnung im mittleren Bereich der Schutzhülle impliziert, welche (Öffnung) es ermöglicht, den Schieber des Spritzgußwerkzeuges in seinem mittleren Bereich abzustützen.

3. Zulässigkeit der Änderungen (Hauptantrag)

3.1. Die neue Fassung des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der erteilten durch das Hinzufügen von Merkmalen, die - im Hinblick auf den durch den Anspruch 1 definierten Gegenstand - beschränkende und klarstellende Wirkungen haben. Dadurch wird der Schutzbereich des Anspruchs 1 nicht erweitert, so daß kein Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ vorliegt.

3.2. Die hinzugefügten Merkmale stellen aus den folgenden Gründen keine Verletzung des Artikels 123 (2) EPÜ dar.

3.2.1. Die Zweckangabe "zur Aufnahme wenigstens einer Scheckkarte, Automatenkarte, Kreditkarte oder dergleichen rechteckigen Karte" war im sowohl erteilten als auch ursprünglich eingereichten Anspruch 1 als fakultative Zweckangabe offenbart.

3.2.2. Der Ausdruck "in Form einer Einstecköffnung", der im Merkmal, nach welchen der Aufnahmeraum für die Karte nur zu einer Stirnseite der Schutzhülle in Form einer Einstecköffnung offen ist, hinzugefügt wurde macht klar, daß keine andere Öffnung, durch welche die Karte ein bzw. ausgeschoben werden kann, vorhanden ist als diejenige, die sich an der Stirnseite der Schutzhülle befindet. Dies ergibt sich eindeutig aus den ursprünglichen Zeichnungen.

3.2.3. Die Angabe, daß die Grifföffnung es ermöglicht, die im Aufnahmeraum einliegende Karte aus der Einschuböffnung herauszuschieben, stellt eine Klarstellung des Begriffes "Grifföffnung" dar, die sich aus den gesamten ursprünglichen Unterlagen ergibt.

3.2.4. Das Merkmal, nach welchem die Halteöffnungen derart verteilt sind, daß der Schieber über seine gesamte Fläche ausreichend gehalten wird, kann der Beschreibung des Patentes (Spalte 2, Zeile 58 bis Spalte 3, Zeile 1) bzw. der ursprünglichen Anmeldung (Seite 3, Zeilen 25 bis 29) entnommen werden.

3.3. Die Änderungen der Beschreibung des Patentes betreffen lediglich ihre Anpassung an den geänderten Anspruch 1. Sie sind zulässig.

4. Neuheit

Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag ist neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ. Die Neuheit wurde im übrigen nicht in Frage gestellt.

5. Der nächstkommende Stand der Technik

5.1. Die Kammer und die Parteien sind sich darüber einig, daß die Druckschrift R3 den nächstkommenden Stand der Technik darstellt.

5.2. Die Druckschrift R3 beschreibt eine in zusammengebauter Form, flache, rechteckige Schutzhülle aus biegesteifem Kunststoffmaterial zur Aufnahme einer Scheckkarte, Automatenkarte, Kreditkarte oder dergleichen rechteckigen Karte, mit einem nur zu einer Stirnseite der Schutzhülle in Form einer Einstecköffnung offenen Aufnahmeraum zur Aufnahme einer Karte und mit einer Grifföffnung (4) in einer (1) der Kunststoffplatten (1, 2), die es ermöglicht, die im Aufnahmeraum einliegende Karte aus der Einstecköffnung herauszuschieben (siehe insbesondere den Anspruch 1 und die Figuren 1 bis 3).

Zweck der Schutzhülle ist es, die Karte allseits geschützt unterzubringen (siehe Seite 4, 1. Absatz, 4. Satz).

Die Oberseitenplatte (1) und die Unterseitenplatte (2) dieser vorbekannten Schutzhülle, die über ein Gelenk (3) einstückig miteinander verbunden sind, werden einstückig aus Kunststoff gespritzt (siehe insb. Anspruch 1). Zur Bildung einer Schutzhülle müssen aber - nach Beendigung des Spritzgußverfahrens - die Oberseitenplatte und die Unterseitenplatte zueinander geklappt und über einen Schnappverschluß miteinander verbunden werden. Der Schnappverschluß ist lösbar, so daß die Schutzhülle erneut geöffnet werden kann (Patentanspruch 1; Seite 4, drittletzte Zeile).

5.2.1. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß dieser bekannten Schutzhülle das Merkmal zuzuschreiben sei, daß sie einstückig aus Kunststoff gespritzt ist.

Im Hinblick auf die im vorstehenden Abschnitt 2.3 erläuterte Auslegung dieses Merkmals kann die Kammer dieser Argumentation der Beschwerdeführerin nicht folgen. Bei der Schutzhülle nach der Druckschrift R3 sind die über das Gelenk verbundenen Kunststoffplatten einstückig aus Kunststoff gespritzt, nicht aber die hohlförmige Schutzhülle selbst.

6. Aufgabe und Lösung (Hauptantrag)

6.1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom aus der Druckschrift R3 bekannten Stand der Technik dadurch,

a) daß die Schutzhülle einstückig aus Kunststoff gespritzt ist, und

b) daß in beiden Kunststoffplatten möglichst kleine und miteinander fluchtende Halteöffnungen für einen Schieber eines Spritzwerkzeuges vorgesehen sind, die mit dem Innenraum der Schutzhülle in Verbindung stehen und in die paarweise Haltestifte des Spritzwerkzeugs einführbar sind, die über die Fläche der Kunststoffplatten derart verteilt sind, daß der Schieber über seine gesamte Fläche ausreichend gehalten wird.

6.2. Durch die unterscheidenden Merkmale wird eine schnellere Gesamtherstellung der Schutzhülle möglich.

Außerdem wird die Festigkeit der Schutzhülle insofern erhöht, als die Kunststoffplatten, die sie bilden, nicht nur an ihren Rückseiten sondern auch an den beiden Längsseiten festverbunden sind. Dadurch erhöht sich der Gebrauchswert der Schutzhülle im Hinblick auf seine Festigkeit und Lebensdauer. Andererseits wird ebenfalls eine zu große Steifigkeit, als Folge eines Verklebens oder Verschweißens dieser Längsseiten, vermieden.

6.3. Der Kammer erscheint es somit glaubhaft, daß die in der Beschreibung des Patentes angegebene Aufgabe (Spalte 2, Zeilen 8 bis 16) durch die Merkmale des Anspruchs 1 gelöst wird.

7. Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag)

7.1. Die beanspruchte Lösung bei der Herstellung von Schutzhüllen für Kreditkarten besteht im wesentlichen in der Verwendung von Maßnahmen, die auf dem Gebiet des Spritzgußverfahrens bekannt sind.

Bevor es aber überhaupt zur Anwendung dieser Maßnahmen kommen könnte, müßte ein Fachmann, ausgehend von der Plastikhülle gemäß der Druckschrift R3, sich zuerst entscheiden, das fertige Endprodukt, d. h. eine Hohlform, in einem Fertigungsschritt herzustellen.

Die beanspruchte Lösung setzt also zwei Schritte voraus. Der erste Schritt entspricht dem im vorstehenden Abschnitt 6.1 mit dem Buchstaben (a) versehenen Merkmal, nämlich die Schutzhülle einstückig (im Sinne des angefochtenen Patents) aus Kunststoff zu spritzen, was die allgemeine Idee darstellt, auf welcher die Gesamtlösung basiert. Der zweite Schritt entspricht den im vorstehenden Abschnitt 6.1 mit dem Buchstaben (b) versehenen Merkmalen, die sich auf die Lösung der Probleme bzw. Schwierigkeiten beziehen, die der Fachmann bei der praktischen Durchführung dieser allgemeinen Idee zu lösen bzw. zu überwinden hat.

7.2. Obwohl der Stand der Technik keinen spezifischen Hinweis enthält, der die Fachleute dazu anregen konnte, eine Schutzhülle für Kreditkarten einstückig (im Sinne des angefochtenen Patents) aus Kunststoff zu spritzen (gemäß dem Merkmal (a) im vorstehenden Abschnitt 6.1), war es auf dem Gebiet der Kunststoffverarbeitung allgemein bekannt, daß Gegenstände, die einen Hohlraum aufweisen, einstückig aus Kunststoff gespritzt werden können. Im vorliegenden Stand der Technik können auch allgemeine Hinweise auf die im vorstehenden Abschnitt 6.1 mit dem Buchstaben (b) versehenen Merkmale gefunden werden.

7.2.1. In diesem Zusammenhang geht die Kammer davon aus, daß es vor dem Anmeldungstag des angefochtenen Patents allgemein bekannt war, bei der Herstellung von Formteilen mit einem Hohlraum durch Spritzgußverfahren ein mit einem Schieber bzw. Kern versehenes Spritzwerkzeug zu verwenden. Die Problematik des Kernversatzes während des Spritzgußvorganges war ebenfalls bekannt (siehe z. B. die Druckschrift R7).

Bei der Herstellung von flachen Hohlkörpern mit zwei seitlichen Kunststoffplatten war es bekannt, einen Schieber mittels Haltestifte zu halten, wodurch dann Öffnungen in den Kunststoffplatten gebildet wurden. Diese Fachkenntnisse werden insbesondere durch die Druckschriften R1 und R13 belegt.

Das durch das aus der Druckschrift R1 bekannte Verfahren hergestellte Erzeugnis, z. B. ein Schlüsselanhänger, besteht aus zwei kunststoffplatten-ähnlichen Teilen, welche an einem Ende in ein gemeinschaftliches Teil übergehen und in welchen eine durchgehende Öffnung (6) vorgesehen ist. Diese Öffnung wird während des Spritzgußvorganges durch die Haltestifte (5) und das Ende (8) eines Schiebers (7) eines Spritzgußwerkzeuges (1, 2) gebildet. Die Haltestifte halten den Schieber während des Spritzgußvorgangs. Im Hinblick auf die üblichen Dimensionen eines Schlüsselanhängers ist davon auszugehen, daß ein Paar Haltestifte im rückwärtigen Bereich des Spritzwerkzeuges ausreichen den Schieber zu halten. Diese Öffnung (6), die sich im rückwärtigen Bereich des Schlüsselanhängers befindet, stellt ein wesentliches Element des Schlüsselanhängers dar (vgl. Résumé); es dient zum Anhängen an einem persönlichen Gegenstand, z. B. einem Schlüssel (siehe Seite 1, linke Spalte, 1. Absatz; Figuren).

Die Druckschrift R13 beschreibt einen flachen, rechteckigen Rahmen, der für ein Diapositiv bestimmt ist. Dieser Dia-Rahmen, der einstückig aus Kunststoff gespritzt ist, weist in beiden seitlichen Kunststoffplatten kleine Öffnungen (15) auf, die über die Fläche der Kunststoffplatten verteilt sind. Diese Öffnungen werden durch die Haltestifte (35, 36) des Spritzwerkzeuges gebildet, die den Schieber halten. Die Öffnungen sind versetzt (d. h. nicht miteinander fluchtend) in den seitlichen Bereichen des Dia-Rahmens angeordnet. Aus dem gesamten Inhalt der Druckschrift R13 geht hervor, daß die Haltestifte der Halterung des Schiebers in seinen seitlichen Bereichen dienen; im mittleren Bereich wird der Schieber (31) durch Halteflächen (27 und 29) des Spritzwerkzeuges gehalten. Die durch die Haltestifte gebildeten Öffnungen liegen in einem Bereich, der für den eigentlichen Gegenstand (Diapositiv) unwesentlich ist, nämlich im Randbereich, wo sie den Gebrauch des Gegenstandes nicht beeinflussen.

7.2.2. Aus dem gesamten Zusammenhang der Druckschrift R3, die 1982 angemeldet und bekanntgemacht wurde, ergibt sich, daß die Schutzhülle in beiden Kunststoffplatten keine andere Öffnung als die Grifföffnung aufweist.

Die Druckschrift R5, die eine US-Patentanmeldung vom Jahre 1978 betrifft, beschreibt eine Schutzhülle, die aus zwei, getrennt aus Kunststoff gespritzten Platten besteht, wobei beide Platten nach Beendigung des Spritzgußverfahrens miteinander verbunden werden. Auch dieser Druckschrift ist das Vorhandensein von "anderen" Öffnungen als eine Grifföffnung (18) in den Kunststoffplatten der Schutzhülle nicht zu entnehmen.

Die Druckschrift R4, die am 20. September 1982 angemeldet und zwischen den beiden Prioritätsdaten des angefochtenen Patents der Öffentlichkeit zugänglicht gemacht wurde, ist für den technologischen Hintergrund von Bedeutung. Diese Druckschrift beschreibt ebenfalls eine Schutzhülle, die aus zwei, getrennt aus Kunststoff gespritzten Platten besteht und keine weiteren Öffnungen außer der Grifföffnung (10) in den Kunststoffplatten (1 und 6) aufweist.

Die Druckschriften R3 bis R5, die die vorliegende Entwicklung der Schutzhüllen für Kreditkarten im Zeitraum von 1978 bis 1982 belegen, beschreiben somit Schutzhüllen, die nicht einstückig (im Sinne des angefochtenen Patents) aus Kunststoff gespritzt sind und die nur eine Grifföffnung in einer der Kunststoffplatten aufweisen. Die Lage der Grifföffnung kann offensichtlich nach Wunsch gewählt werden (siehe z. B. die Druckschrift R4, Seite 7, Zeilen 2 bis 8). Abgesehen von einer notwendigen Grifföffnung, ist die Schutzfunktion der bekannten Schutzhülle also so groß wie möglich. Keine weiteren Öffnungen, die die Schutzfunktion weiter beeinträchtigen können, sind vorgesehen.

7.2.3. Die Anwendung der allgemeinen Kenntnisse auf dem Gebiet der Spritzgußtechnik, die u. a. durch die Druckschriften R1 und R13 belegt werden, bei Schutzhüllen für Kreditkarten hat zur Folge, daß durch das Herstellungsverfahren Öffnungen in beiden Kunststoffplatten durch die den Schieber haltenden Stifte gebildet werden. Im Hinblick auf die spezifischen Dimensionen einer Schutzhülle für Kreditkarten (im Vergleich mit einem Dia-Rahmen stehen die Breiten im Verhältnis ca. 1 : 1 und die Längen im Verhältnis ca. 2. : 1) würden die Öffnungen nicht nur in den seitlichen und rückwärtigen Bereichen sondern auch im mittleren Bereich der Schutzhülle anzuordnen sein. Die Lage der Öffnungen wird nämlich dadurch bestimmt, daß der Schieber ausreichend gehalten wird.

Der Fachmann, der den Gebrauchswert der Schutzhülle - insbesondere im Hinblick auf ihre Schutzfähigkeit - im Auge behalten muß, wird diese verfahrensbedingten Öffnungen in den Kunststoffplatten der Schutzhülle als ein Hindernis betrachten. Der vorliegende Stand der Technik im Schutzhüllen-Bereich geht eindeutig durch das Fehlen von Öffnungen (Grifföffnung abgesehen) in diese Richtung.

Die Halteöffnungen, die zur Grifföffnung hinzukommen, könnten nämlich die Schutzfunktion der Hülle beeinträchtigen, denn die Verteilung der Halteöffnungen - anders als die Lage der Grifföffnung, die nach Wunsch gewählt werden kann - ist durch das Herstellungsverfahren bedingt.

Der Fachmann, der diese allgemeinen Kenntnisse auf dem Gebiet der Spritzgußtechnik bei Schutzhüllen für Kreditkarten anwenden möchte, müßte entweder die Halteöffnungen in Kauf nehmen und somit die eventuelle Beeinträchtigung der wesentlichen Schutzfunktion der Hülle annehmen oder die Öffnungen durch einen weiteren Verfahrensschritt wieder zumachen und somit das Herstellungsverfahren verlängern bzw. komplizieren. Mit anderen Worten: Das Inkaufnehmen der Halteöffnungen vereinbart sich nicht ohne weiteres mit dem Beibehalten der Schutzfunktion der Hülle bzw. mit dem Bestreben das Herstellungsverfahren zu verkürzen.

Es ist somit sehr unwahrscheinlich, daß der Fachmann die aus dem Gebiet der Spritzgußtechnik bekannten Maßnahmen für Hohlkörper bei Schutzhüllen gemäß dem nächstkommenden Stand der Technik übernehmen und anwenden würde.

7.3. Darüber hinaus ist im vorliegenden Stand der Technik ein eindeutiger Hinweis, die in der Spritzgußtechnik zum Formen von Hohlkörpern bekannten Maßnahmen, vorteilhafterweise bei Schutzhüllen zu verwenden, nicht zu entnehmen (vgl. T 2/83, ABl. EPA 1984, 865: es geht nicht darum, ob ein Fachmann etwas hätte tun können, sondern darum, ob es dieser in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch getan hätte). Im Gegenteil, die Lehre der Druckschrift R3, die einen lösbaren Schnappverschluß vorsieht (Patentanspruch 1), weist nicht nur in eine eindeutig andere Richtung, sondern schließt eine einstückige Fertigung im Sinne des angefochtenen Patents aus.

Die Druckschriften R1 und R13, die sich auf flache, einstückig aus Kunststoff gespritzte Gegenstände beziehen, basieren auf Anmeldungen aus den Jahren 1962 und 1960, die im Jahre 1963 bzw. 1965 veröffentlicht wurden. Die Druckschrift R7 entspricht einer Anmeldung vom Jahre 1962, die 1964 veröffentlicht wurde.

Die Druckschriften, die die allgemeinen Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Spritzgußtechnik widerspiegeln, wurden bereits mindestens 17 Jahre vor dem Anmeldetag des angefochtenen Patentes veröffentlicht. Die Elemente, die zur Kombination der Merkmale des Anspruchs 1 hätten führen können, waren somit bereits über eine lange Zeit im Stand der Technik bekannt. Trotzdem ist die Fachwelt in dieser langen Zeit gegenüber diesen Kenntnissen "blind" gewesen. Auch die Anmelder der Druckschriften D3 bis D5 haben diese Kenntnisse nicht benutzt.

Dies stellt in diesem konkreten Fall ein starkes Indiz für die erfinderische Tätigkeit der Lösung nach dem Anspruch 1 dar.

7.3.1. Im Hinblick auf dieses Indiz hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, daß Scheckkarten, die den Ausgangspunkt der Erfindung bilden, in der Bundesrepublik Deutschland erst Ende der 70'er/Anfang der 80'er Jahre Bedeutung gewannen. In der Bundesrepublik Deutschland sei der Bedarf auf einzelne Karten abgestellt, im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen Kredit- und Scheckkarten größere Verbreitung haben. In diesen Ländern seien Schutzhüllen für Einzelkarten ohne Bedeutung gewesen.

Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht, denn sie läßt nicht eindeutig den Schluß zu, daß das Bedürfnis einer Verbesserung nur kurz vor dem Anmeldetag des angefochtenen Patents auftrat. In jedem Fall geht es aus der Druckschrift R5, die auf einer US-Patentanmeldung von 1978 basiert, hervor, daß Bedarf für eine Schutzhülle für Einzelkarten auch in einem außereuropäischen Land bestand.

7.4. Der gesamte vorliegende Stand der Technik auf dem Gebiet der Schutzhüllen für Kreditkarten (Druckschriften R3 bis R5) weist in eine andere Richtung als das angefochtene Patent (siehe den vorstehenden Abschnitt 7.2.2).

Die allgemeine Idee, auf welcher das Merkmal (a) basiert, weist zweifellos einen neuen Weg, auf den die Fachleute bei der Herstellung von Schutzhüllen für Kreditkarten bis zum Anmeldungsdatum des Patentes nicht gestoßen waren.

Dies stellt ein weiteres Indiz dar, das für den erfinderischen Charakter der Lösung spricht. Dieses Indiz wirkt außerdem mit dem im vorstehenden Absatz 7.3 angesprochenen Indiz des "lange vorhandenen Standes der Technik" zusammen.

7.5. Angesichts der obigen Ausführungen kann die Idee, die Schutzhülle einstückig aus Kunststoff zu spritzen, aus dem Stand der Technik nicht in naheliegender Weise hergeleitet werden. Insofern spielen die Kenntnisse des Fachmanns zur Frage des Kernversatzes bei der Herstellung von Gegenständen durch Spritzgußverfahren keine maßgebende Rolle.

Die Kammer ist daher zu dem Ergebnis gekommen, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.

8. Angesichts der Ausführungen in den vorstehenden Abschnitten 7.1 bis 7.5 ist die Anhörung eines Sachverständigen zur Frage des Kernversatzes bei der Herstellung von Gegenständen durch Spritzgußverfahren nicht erforderlich. Der entsprechende Antrag der Beschwerdeführerin wird somit abgelehnt.

9. Das Patent kann deshalb im geänderten Umfang gemäß dem Hauptantrag des Beschwerdegegners aufrechterhalten werden.

Daher erübrigt sich die Prüfung des Hilfsantrages des Beschwerdegegners.

10. Die Beteiligten haben sich in der mündlichen Verhandlung abschließend sachlich zu den Änderungen des Patents äußern können. Daher ist die Kammer der Auffassung, daß eine Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ nicht erforderlich ist (vgl. Entscheidung T 219/83, ABl. EPA 1986, 211).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten

- Patentanspruch 1, eingereicht mit Schreiben vom 24. Januar 1994

- Patentanspruch 2 bis 10, wie erteilt

- Beschreibung Spalten 1 und 2, wie überreicht in der mündlichen Verhandlung; Spalten 3 bis 6, wie erteilt

- Zeichnungen: Figuren 1 bis 8, wie erteilt.

3. Der Antrag der Beschwerdeführerin, einen Sachverständigen anzuhören, wird abgelehnt.

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