T 0387/89 (Cardioverter) of 18.2.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T038789.19910218
Datum der Entscheidung: 18 Februar 1991
Aktenzeichen: T 0387/89
Anmeldenummer: 82301160.6
IPC-Klasse: A61N 1/38
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Medtronic
Name des Einsprechenden: Biotechnik
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: 1. Weder die Einspruchsabteilungen noch die Beschwerdekammern sind verpflichtet, die Relevanz von Dokumenten, die im europäischen Recherchenbericht angeführt worden sind, erneut zu beurteilen, wenn sich der Einsprechende in seiner Einspruchsbegründung nicht darauf gestützt hat.
2. Die Einspruchsabteilungen oder die Beschwerdekammern können solche Dokumente in das Einspruchsverfahren einführen, auch wenn der Einsprechende sich nicht darauf gestützt hat, falls triftige Gründe für die Annahme vorliegen, daß diese Dokumente Beweise zur Stützung eines Einspruchsgrundes liefern, die von solcher Bedeutung sind, daß sie das Ergebnis des Einspruchsverfahrens beeinflussen könnten.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114
Schlagwörter: Einführung von Dokumenten durch die Kammer, die im europäischen Recherchenbericht angeführt aber weder von der Prüfungsabteilung herangezogen noch vom Einsprechenden zitiert worden sind
Triftige Gründe für die Annahme, dass sie die Entscheidung beeinflussen können
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0338/89
T 0812/95
T 1088/02

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 060 117, gegen dessen Erteilung die Beschwerdegegnerin Einspruch erhoben hat.

II. In der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines geänderten Anspruchssatzes, der am 10. Dezember 1987 eingereicht worden war.

Der geänderte Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Implantierbares medizinisches Gerät zur elektrischen Beendigung von Tachyarrhythmie, das ... aufweist."

Die Ansprüche 2 bis 5 sind von Anspruch 1 abhängig.

III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit der Begründung, daß Anspruch 1 angesichts folgender Dokumente keine erfinderische Tätigkeit aufweise:

D2: US-A-3 942 534

D3: "Deutsche Medizinische Wochenschrift", Nr. 14, April 1975, S. 731 - 734

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, beantragte hilfsweise eine mündliche Verhandlung und begründete, weshalb die Entscheidung aufgehoben werden solle. Die Beschwerdegegnerin nahm dazu nicht Stellung.

V. In einer Mitteilung, die zusammen mit einer Ladung zur mündlichen Verhandlung erging, wies die Kammer die Beteiligten auf folgende weitere Dokumente hin:

D4: US-A-3 952 750

D5: EP-A-0 023 134

Diese Dokumente waren im europäischen Recherchenbericht angeführt worden. Die Kammer unterrichtete die Beteiligten von ihrer vorläufigen Auffassung, daß die Dokumente D2 und D3 zwar weniger relevant seien, daß aber angesichts der Dokumente D4 und D5 triftige Gründe dafür bestünden, daß Anspruch 1 nicht aufrechterhalten werden könne. Vom Fachmann könne erwartet werden, daß er von dem in der Entgegenhaltung D4 dargestellten Gerät zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelange, indem er dafür sorge, daß die offenbarten "Mittel zur Erzeugung des manuell ausgelösten Signals" "auf die genannten (bekannten) Sensorvorrichtungen (die ein Meßsignal erzeugen, das die natürliche Herztätigkeit anzeigt) zum Nachweis einer Tachyarrhythmie des Herzens ansprechen." Der entsprechende Austausch der bekannten, vom Patienten ausgelösten Vorrichtung zur Signalerzeugung bei dem Gerät nach der Entgegenhaltung D4 durch die aus der Entgegenhaltung D5 bekannte implantierte automatische Vorrichtung zum Nachweis einer Tachyarrhythmie könne als Anwendung einer bekannten Automatisierungstechnologie in einer unmittelbar analogen Situation aufgefaßt werden, wobei diese Anwendung für den Fachmann naheliegend sei.

VI. Auf diese Mitteilung hin erklärte die Beschwerdeführerin, daß sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, und zog ihren Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung zurück. Ihren Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung und Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang hielt sie aufrecht und begründete ihn schriftlich. Daraufhin wurde die mündliche Verhandlung von der Kammer abgesetzt.

VII. Zur Begründung ihres Antrags führte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente an:

a) Die Entgegenhaltungen D4 bzw. D5 würden die ausdrücklich beanspruchten Zeitsteuerungs-, Meß- und Nachweisvorrichtungen nicht offenbaren und enthielten auch keinen Hinweis darauf.

VIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, ohne weitere Stellungnahmen oder Argumente vorzubringen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verfahrensfragen

2.1 Die Entgegenhaltungen D4 und D5, auf die, wie in Abschnitt V dargelegt, die Beteiligten in der Mitteilung der Kammer hingewiesen worden sind, wurden im europäischen Recherchenbericht angeführt, aber von der Prüfungsabteilung im Verfahren vor der Patenterteilung nicht ausdrücklich herangezogen. Das einzige Dokument, das von der Prüfungsabteilung in ihrer der Patenterteilung vorausgehenden Mitteilung ausdrücklich erwähnt wurde, war die Druckschrift D2; damit sollte sichergestellt werden, daß sie sowohl in der Beschreibung als auch in einer zweiteiligen Fassung des Hauptanspruchs gewürdigt wird. Die Entgegenhaltung D5 wurde in der ursprünglich eingereichten Fassung der Beschreibung gewürdigt.

2.2 In der Entscheidung G 1/84 (ABl. EPA 1985, 299) hat die Große Beschwerdekammer erklärt, daß "das Einspruchsverfahren nicht als Erweiterung des Prüfungsverfahrens gedacht ist und nicht als solches mißbraucht werden darf". Ferner wurde in der Entscheidung T 198/88 vom 3. August 1989 (ABl. EPA 1991, 254) festgestellt, daß ein im Verfahren vor der Prüfungsabteilung berücksichtigtes Dokument nicht automatisch als Beweismittel im Einspruchsverfahren zu berücksichtigen ist, auch wenn es im angefochtenen Patent als Stand der Technik angegeben ist.

Daher sind nach Auffassung der Kammer in Einspruchssachen weder die Einspruchsabteilungen noch die Beschwerdekammern dazu verpflichtet, den Ablauf des Erteilungsverfahrens vor der Prüfungsabteilung nochmals zu überprüfen oder die Relevanz von Dokumenten, die im europäischen Recherchenbericht angeführt worden sind, erneut zu beurteilen, wenn sich der Einsprechende in seiner Einspruchsbegründung nicht darauf gestützt hat. In Einspruchsverfahren, denen ja eine Patenterteilung vorausgegangen ist, dürfen nämlich sowohl das EPA als auch die Beteiligten mit Recht voraussetzen, daß die Patentanmeldung vor der Erteilung in bezug auf die im europäischen Recherchenbericht angeführten Dokumente ordnungsgemäß geprüft worden ist. Insbesondere sollten Dokumente von besonderer Relevanz, die wahrscheinlich Gründe für die Zurückweisung der Anmeldung liefern, zumindest Gegenstand einer Mitteilung der Prüfungsabteilung vor der Erteilung gewesen sein.

Damit soll aber nicht gesagt werden, daß sich die Einspruchsabteilungen oder die Beschwerdekammern nicht auf Dokumente stützen dürfen, die im europäischen Recherchenbericht angeführt wurden und nicht Gegenstand einer solchen Mitteilung waren. Die Einspruchsabteilungen oder die Beschwerdekammern können diese Dokumente in das Einspruchsverfahren einführen, auch wenn sich der Einsprechende nicht darauf gestützt hat, falls triftige Gründe für die Annahme vorliegen, daß diese Dokumente Beweise zur Stützung eines Einspruchsgrundes liefern, die von solcher Bedeutung sind, daß sie das Ergebnis des Verfahrens beeinflussen könnten. Nach Auffassung der Kammer ist dies das Hauptkriterium, nach dem die Einspruchsabteilungen bzw. die Beschwerdekammern zu beurteilen haben, ob solche Dokumente nach Artikel 114 (1) EPÜ in das Verfahren einzuführen sind (wobei allerdings in bestimmten Fällen auch andere Faktoren zu berücksichtigen sein könnten).

2.3 Im vorliegenden Fall kommt das oben dargelegte Kriterium zur Anwendung, weil die beiden im europäischen Recherchenbericht angeführten Schriftstücke D4 und D5 von der Prüfungsabteilung vor der Erteilung nicht herangezogen worden waren, im Einspruchsbeschwerdeverfahren aber von der Beschwerdekammer von Amts wegen nach Artikel 114 (1) EPÜ eingeführt wurden, weil sie offenkundig von solcher Bedeutung waren, daß sie das Ergebnis der im Einspruchsverfahren zu treffenden Entscheidung beeinflussen konnten.

2.4 Die Kammer hat außerdem erwogen, ob sie nach ihrer Entscheidung, diese Dokumente in das Einspruchsbeschwerdeverfahren einzuführen, von ihrem Ermessen nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch machen und die Sache zur näheren Prüfung dieser Dokumente an die erste Instanz zurückverweisen soll, um einen Instanzverlust zu vermeiden (siehe z. B. die Entscheidung T 273/84, ABl. EPA 1986, 346 und T 49/85, unveröffentlicht). Mit Rücksicht auf die Tatsache, daß die Beschwerdegegnerin diese Zurückverweisung nicht verlangt hat, und angesichts der oben dargelegten Vorgeschichte des Falls hat die Kammer entschieden, die Sache nicht zurückzuverweisen.

2.5 Nach sorgfältiger Prüfung der Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum Bescheid der Kammer vertritt diese die Auffassung, daß nicht nur das Schriftstück D4 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, sondern darüber hinaus die Kombination aus den Schriftstücken D4 und D5 aus den obengenannten Gründen der Aufrechterhaltung des Patents eindeutig entgegensteht.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.6 Nach Auffassung der Kammer beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

5. Folglich erfüllt Anspruch 1 nicht die Bedingungen des Artikels 52 (1) EPÜ und kann nicht die Grundlage eines nach Artikel 102 (3) EPÜ in geändertem Umfang aufrechterhaltenen Patents bilden. Die Ansprüche 2 bis 5 können wegen ihrer Abhängigkeit von Anspruch 1 nicht aufrechterhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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