T 0220/89 (Einheitlichkeit) of 28.2.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T022089.19910228
Datum der Entscheidung: 28 Februar 1991
Aktenzeichen: T 0220/89
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer: G 0001/91
Anmeldenummer: 80103866.2
IPC-Klasse: C25B 1/00
C01G 56/00
C01G 43/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Fassungen: OJ | Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Siemens
Name des Einsprechenden: Kernforschungszentrum Karlsruhe
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: Die Große Beschwerdekammer wird mit folgender Rechtsfrage befaßt:
Auch wenn Artikel 82 EPÜ sich auf eine europäische Patentanmeldung bezieht und Artikel 100 EPÜ die Einheitlichkeit der Erfindung nicht als Einspruchsgrund vorsieht, führt die Anwendung von Regel 61a) EPÜ (vgl. insbesondere Regel 27, 29 und 30 EPÜ) im Falle einer geänderten Fassung des europäischen Patents zu dem Schluß, daß die gemäß Artikel 82 EPÜ erforderliche Einheitlichkeit der Erfindung unter die in Artikel 102 (3) EPÜ genannten "Erfordernisse dieses Übereinkommens" fällt, denen das in geändertem Umfang aufrechterhaltene Patent genügen muß?
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 82
European Patent Convention 1973 Art 112(1)(a)
European Patent Convention 1973 R 27
European Patent Convention 1973 R 29
European Patent Convention 1973 R 30
European Patent Convention 1973 R 61a
Schlagwörter: Einheitlichkeit
Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
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Anführungen in anderen Entscheidungen:
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Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das europäische Patent 0 023 585 (Anmeldenummer 80 103 866.2) wurde von der Firma Kernforschungszentrum Karlsruhe GmbH Einspruch eingelegt.

II. In ihrer Zwischenentscheidung vom 1. Februar 1989 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen und das Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde eingelegt. Zur Stützung ihrer Beschwerde hat die Beschwerdeführerin mit ihrem Schreiben vom 14. Januar 1991 unter anderem folgende Auffassung vertreten.

1. Die jetzt gültigen nebengeordneten Ansprüche 1, 3 und 4 seien uneinheitlich, da die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe durch drei Verfahren gelöst werden solle, mit denen nicht eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklicht werde.

2. Auf die im Einspruchsverfahren eingereichten Unterlagen sei Regel 61a EPÜ anzuwenden, nach der die Vorschriften von Kapitel II des Dritten Teils der Ausführungsordnung zu berücksichtigen seien. Dies seien die Regeln 26 bis 36 EPÜ.

3. Die Regeln 26 bis 36 EPÜ gingen von einer einzigen Erfindung aus (vgl. Regeln 27 (1) d, g, (2), Regel 29 (1), (3), (5) EPÜ). Regel 29 (2) EPÜ beziehe sich auf Artikel 82 EPÜ. Regel 30 EPÜ nenne Kriterien zur Auslegung von Artikel 82 EPÜ.

4. Somit führe die Anwendung von Regel 61a EPÜ auf gemäß Regel 58 (4) EPÜ neu eingereichte Unterlagen zu dem Schluß, daß die Einheitlichkeit solcher Unterlagen gewahrt bleiben müsse. Nachdem die derzeit gültigen Ansprüche nicht einheitlich seien, seien diese gemäß Artikel 102 (3) EPÜ nicht gewährbar.

5. Die derzeit vorliegenden Ansprüche seien daher auch aus diesem Grund zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Artikel 112 (1) a) EPÜ ermächtigt die Beschwerdekammer, von Amts wegen die Große Beschwerdekammer zu befassen, wenn sie zu einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung eine Entscheidung für erforderlich hält.

2. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den Inhalt von Regel 61a EPÜ die mangelnde Einheitlichkeit der jetzt gültigen Ansprüche als Zurückweisungsgrund vorgebracht.

3. Gemäß Regel 61a EPÜ sind die Vorschriften von Kapitel II des Dritten Teils der Ausführungsordnung auf die im Einspruchsverfahren eingereichten Unterlagen entsprechend anzuwenden. Zu diesem Kapitel gehören Regel 29 (2) und Regel 30 EPÜ, die sich auf Artikel 82 EPÜ beziehen. Auch Regel 27 (1) d, g, (2) und Regel 29 (1), (3), (5) EPÜ gehen, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, von einer einzigen Erfindung aus. Prima facie soll deshalb auch bei im Einspruchsverfahren eingereichten Unterlagen die Einheitlichkeit der Erfindung gewährleistet bleiben.

4. Mehrere Entscheidungen der Beschwerdekammern haben sich mit der Befugnis der Einspruchsabteilungen und Beschwerdekammern nach Artikel 102 (3) EPÜ befaßt. In der Entscheidung T 301/87 (ABl. EPA 1990, 335) hat zum Beispiel eine Beschwerdekammer festgestellt, Artikel 102 (3) EPÜ verlange, daß von einer der beiden Instanzen geprüft werde, ob es durch die Änderungen zu einem Verstoß gegen irgendein Erfordernis des Übereinkommens, also auch des Artikels 84 EPÜ, komme. Artikel 102 (3) EPÜ ließe jedoch keine auf Artikel 84 EPÜ gestützten, nicht durch die Änderungen bedingten Einwände zu (Punkt 3.8 der Entscheidungsgründe).

Obwohl in der Entscheidung T 301/87 auf einen Verstoß gegen irgendein Erfordernis (im amtlichen englischen Text "any requirement") des EPÜ hingewiesen wird, wird nur Artikel 84 EPÜ explizit erwähnt. Was Artikel 82 EPÜ betrifft, ist aber eine andere Kammer zu dem Schluß gekommen, daß die Einheitlichkeit nicht unter die in Artikel 102 (3) EPÜ genannten "Erfordernisse dieses Übereinkommens" falle, denen das in geändertem Umfang aufrechterhaltene Patent genügen müsse, da sich Artikel 82 EPÜ explizit auf die "europäische Anmeldung" beziehe (T 49/89, nicht veröffentlicht).

Ferner ist zu bemerken, daß in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, Teil D, Kapitel V.2, angegeben wird, daß bei der Aufrechterhaltung eines europäischen Patents in geändertem Umfang eine etwaige Uneinheitlichkeit hinzunehmen ist.

5. Die Frage stellt sich daher, warum Artikel 82 und Artikel 84 EPÜ in unterschiedlicher Weise zu betrachten sind. Beide gehören zum dritten Teil, Kapitel 1 des EPÜ, "Einreichung und Erfordernisse der europäischen Patentanmeldung". In Artikel 78 EPÜ, "Erfordernisse der europäischen Anmeldung", wird angegeben, daß die europäische Patentanmeldung einen oder mehrere Patentansprüche enthalten muß. Es ist anzunehmen, daß Artikel 84 EPÜ mit den in Artikel 78 EPÜ erwähnten Ansprüchen zu tun hat, so daß Artikel 84 EPÜ ebenso wie Artikel 82 EPÜ zu interpretieren ist, d. h. nur auf die europäische Patentanmeldung zu beziehen ist.

6. Darüber hinaus gilt die Argumentation, daß ein Verstoß gegen Artikel 82 EPÜ kein Einspruchs- oder Nichtigkeitsgrund ist, ebenfalls für Artikel 84 EPÜ.

7. Zur Auslegung von Artikel 82 EPÜ ist schon argumentiert worden, daß die Wirkung dieses Artikels rein fiskalisch sei. Durch diesen Gesichtspunkt wird aber die Sache zu sehr vereinfacht. Ein Patent, das mehrere Erfindungen enthält, muß zwangsläufig in seiner Beschreibung widersprüchliche Angaben hinsichtlich der wesentlichen Merkmale der Erfindung enthalten. Hierbei könnten Probleme bei der Anwendung von Artikel 69 (1) EPÜ entstehen.

8. Somit steht fest, daß die Interpretation von Artikel 102 (3) EPÜ hinsichtlich Artikel 82 EPÜ unter Anwendung von Regel 61a EPÜ eine Erklärung braucht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Große Beschwerdekammer wird mit folgender Rechtsfrage befaßt:

Auch wenn Artikel 82 EPÜ sich auf eine europäische Patentanmeldung bezieht und Artikel 100 EPÜ die Einheitlichkeit der Erfindung nicht als Einspruchsgrund vorsieht, führt die Anwendung von Regel 61a) EPÜ (vgl. insbesondere Regel 27, 29 und 30 EPÜ) im Falle einer geänderten Fassung des europäischen Patents zu dem Schluß, daß die gemäß Artikel 82 EPÜ erforderliche Einheitlichkeit der Erfindung unter die in Artikel 102 (3) EPÜ genannten "Erfordernisse dieses Übereinkommens" fällt, denen das in geändertem Umfang aufrechterhaltene Patent genügen muß?

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