T 0601/88 () of 14.3.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T060188.19910314
Datum der Entscheidung: 14 März 1991
Aktenzeichen: T 0601/88
Anmeldenummer: 81107117.4
IPC-Klasse: C08L 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Thermoplastische Formmassen
Name des Anmelders: BASF AG
Name des Einsprechenden: Hüls AG
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
Schlagwörter: Novelty (yes) - additional parameter - no selection
invention
Inventive step (yes) - problem plausibly solved
Reproducibility (yes) - apportionment of the burden
of proof
Neuheit (ja) - zusätzlicher Parameter - keine
Auswhalerfindung
Erfinderische Tätigkeit (ja) - Aufgabe glaubhaft
gelöst
Ausführbarkeit (ja) - Beweislastverteilung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0150/82
T 0219/83
T 0194/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1212/01

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 81 107 117.4, die am 10. September 1981 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der Voranmeldung vom 20. September 1980 (DE 3 035 564) angemeldet worden war, ist am 13. Februar 1985 das europäische Patent Nr. 48 399 auf der Grundlage von 2 Ansprüchen erteilt worden. Anspruch 1 lautete:

"Thermoplastische Formmassen auf der Grundlage von schlagfest modifizierten Styrolpolymerisaten und Polyphenylenäthern, dadurch gekennzeichnet, daß 85 bis 92 Gew.-% der Teilchen der Weichkomponente des schlagfest modifizierten Styrolpolymerisates einen mittleren Teilchendurchmesser von 4 bis 10 µm und 8 bis 15 Gew.-% der Teilchen einen mittleren Teilchendurchmesser unter 0,6 µm haben und der Weichkomponentengehalt des schlagfest modifizierten Styrolpolymerisates mindestens 20 Gew.-% beträgt."

II. Gegen die Erteilung des europäischen Patents hat die Einsprechende am 11. Oktober 1985 Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen mangelhafter Offenbarung (Art. 100 b) EPÜ) sowie mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Art. 100 a) EPÜ) beantragt. Zur Stütze ihres Vorbringens hat sie auf folgende Dokumente

(1) DE-C-2 211 005

(2) DE-C-2 119 301 sowie auf zwei weitere nach Ablauf der Einspruchsfrist genannte Dokumente

(3) DE-B-2 258 896

(4) Journal of Materials Science, 9, 1443 (1972) verwiesen.

III. Durch Zwischenentscheidung vom 6. Oktober 1988 hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß das Patent in gemäß am 27. April 1988 eingereichten Anspruch 1 geändertem Umfang aufrechterhalten werden könne. Dieser Anspruch lautet:

"Thermoplastische Formmassen auf der Grundlage von schlagfest modifizierten Styrolpolymerisaten, deren Weichkomponentengehalt mindestens 20 Gew.-% beträgt, und Polyphenylenäthern, dadurch gekennzeichnet, daß die Formmassen Mischungen aus zwei modifizierten Styrolpolymerisaten enthalten, deren Kautschukanteil zwischen 2 und 15 Gew.-% beträgt, wobei die Weichkomponente eines Styrolpolymerisates einen mittleren Teilchendurchmesser von 4 bis 10 µm hat und die Teilchen 85 bis 92 Gew.-% der Teilchen der Mischungen ausmachen und die Weichkomponente des anderen Styrolpolymerisates einen mittleren Teilchendurchmesser unter 0,6 µm hat und die Teilchen 8 bis 15 Gew.-% der Teilchen der Mischungen ausmachen."

In der angefochtenen Entscheidung wird festgestellt, die Teilchengrößenverteilung - monomodal oder bimodal - sei für die Frage der Neuheit unerheblich, da sich bereits der Polybutadiengehalt von 9 Gew.-% nach den Vergleichsversuchen zu den Beispielen 1 und 2 des Dokuments (2) von dem der beanspruchten Formmassen unterscheide. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit schlage das Streitpatent zur Erzielung einer verbesserten Spannungsrißbeständigkeit ohne Beeinträchtigung der Schlagzähigkeit der Formmassen einen Weichkomponentengehalt von mindestens 20 Gew.-% vor; eine solche Menge lasse sich weder aus Dokument (1) noch aus Dokument (2) ableiten. Das gleiche gelte für die Teilchengrößenverteilung. Somit stellen die Lehren dieser Entgegenhaltungen technische Vorurteile dar, die die Lösung gemäß dem angegriffenen Patent nicht nahelegen konnten.

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die unterlegene Einsprechende (Beschwerdeführerin) am 5. Dezember 1988 Beschwerde erhoben und gleichzeitig die vorgeschriebene Gebühr entrichtet sowie eine Begründung eingereicht, worin u. a. DE-B-2 525 019 (Dokument (5)) als weiterer Stand der Technik genannt wurde. Die Argumente der Beschwerdeführerin in dieser Begründung und in der späteren Stellungnahme vom 12. August 1989 lassen sich, wie folgt, zusammenfassen:

Die bloße Angabe von zwei mittleren Teilchendurchmessern sage nichts über die Verteilung in der Mischung aus, die sowohl monomodal als auch bimodal sein könne; infolge Fehlens weiterer Parameter zur Kennzeichnung der Verteilung, insbesondere Breitenparameter, werden vom geltenden Anspruch 1 Teilchengrößenverteilungen mitumfaßt, die dem Stand der Technik zuzurechnen seien. Angesichts des im Streitpatent angegebenen Zusammenhangs zwischen Polybutadiengehalt und Weichkomponentengehalt stimme der gemäß dem Vergleichsbeispiel zu Beispiel 2 des Dokuments (2) angeführte Kautschukanteil von 9 Gew.-% mit dem patentgemäßen Weichkomponentengehalt von mindestens 20 Gew-% überein. Sehe man es als Aufgabe an, Formmassen herzustellen, die gegenüber den im Dokument (2) beschriebenen Formteilen eine verbesserte Spannungsrißbeständigkeit aufweisen, so werde dieses Ziel mit der patentgemäßen Lösung nicht erreicht; außerdem könne von einem Vorurteil im Hinblick auf die Lehre der Dokumente (1) und (2) keine Rede sein. Schließlich erfülle das Streitpatent nicht die Kriterien einer Auswahlerfindung im Sinne der Entscheidung T 198/84.

V. Demgegenüber hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) im wesentlichen folgendes geltend gemacht. Die von der Beschwerdeführerin erwähnten mono-und bimodalen Verteilungskurven seien rein theoretische Kurven, die in den herangezogenen Entgegenhaltungen nicht offenbart seien. Dagegen sei es ein wesentliches und neuheitsbegründendes Merkmal, daß die Formmassen Mischungen aus zweierlei modifizierten Styrolpolymerisaten mit bestimmtem Weichkomponentengehalt enthalten, wobei die Teilchen dieser Polymerisate definierten Parametern genügen müssen. Diese Bedingungen werden im Vergleichsversuch zu Beispiel 2 des Dokuments (2) nicht erfüllt. Wenngleich sich nach der Beschreibung des angefochtenen Patents 25 bis 35 Gew.-% an Weichkomponente im allgemeinen mit 2 bis 15 Gew.-% Kautschuk erreichen lassen, so sei der Umkehrschluß irrig, wie es aus Dokument (1) (Spalte 2, Zeilen 26 bis 34) eindeutig hervorgehe. Im Hinblick auf die unzureichende Spannungsrißbeständigkeit der Formmassen gemäß Dokument (2) sei die Kombination der Merkmale gemäß Anspruch 1 des Streitpatents nicht naheliegend; diese Kombination stelle nicht nur eine Lösung dieser Aufgabe dar, sondern bringe auch verbesserte Wärmeformbeständigkeit, Kerbschlagzähigkeit und Glanz mit sich. Wenngleich die gemäß Dokument (2) verwendeten Polystyrolteilchen einen Durchmesser von 0 bis 2 µm aufweisen, so werde ein Bereich von 4 bis 10 µm wie im Streitpatent gar nicht erwähnt; aus diesem Grund könne hier von einer Auswahl nicht die Rede sein.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Von der erteilten Fassung unterscheidet sich der geltende Anspruch 1 grundsätzlich durch die Einschränkung auf Mischungen aus zweierlei modifizierten Styrolpolymerisaten sowie durch die Angabe, daß der Kautschukanteil in den zwei modifizierten Styrolpolymerisaten zwischen 2 und 15 Gew.-% beträgt. Diese Merkmale stützen sich auf Seite 2, Zeilen 22 bis 31 und Seite 3, Zeilen 52 bis 54 des erteilten Patents bzw. Seite 2, Zeilen 7 bis 23 und Seite 7, Zeilen 6 bis 8 der ursprünglichen Anmeldung. Die übrigen Änderungen, insbesondere die Verschiebung des Weichkomponentengehalts vom kennzeichnenden Teil in den Oberbegriff, sind redaktioneller Art und haben keinen Einfluß auf den Schutzumfang.

Anspruch 2 entspricht der erteilten bzw. ursprünglichen Fassung dieses Anspruchs.

3. Was die von der Beschwerdeführerin herangezogenen Dokumente anbelangt, stellt die Kammer zunächst fest, daß lediglich Dokumente (1) und (2) innerhalb der Einspruchsfrist genannt worden sind (Art. 99 (1) EPÜ). Betreffend das spätere Einreichen der Dokumente (3) und(4) im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens sowie u. a. des Dokuments (5) zusammen mit der Beschwerdebegründung sind keine überzeugenden Gründe dafür dargelegt worden, warum bei angemessener Sorgfalt diese Entgegenhaltungen nicht rechtzeitig hätten genannt werden können. Diese drei Dokumente gelten daher als verspätet vorgebracht.

Die Relevanzprüfung der Dokumente (3) bis (5) durch die Kammer hat ergeben, daß die wesentliche Lehre dieser Entgegenhaltungen nicht über das hinaus geht, was schon aus den Dokumenten (1) und (2) bekannt ist, und daß sie deshalb nicht entscheidungserheblich sind. Sie werden daher im folgenden unberücksichtigt bleiben (Art. 114 (2) EPÜ).

4. Das Streitpatent betrifft thermoplastische Formmassen. Ähnliche Formmassen sind bereits im Dokument (2) beschrieben, das die Kammer als den nächstliegenden Stand der Technik ansieht. Diese Massen bestehen aus Gemischen eines Polyphenylenäthers mit einem kautschukmodifizierten Polystyrol und/oder mit einem Polystyrol und einem Kautschuk, die 0.1 bis 30 Gew.-% einer dispergierten elastomeren Phase mit einem mittleren Teilchendurchmesser von maximal etwa 2 µm enthalten (Patentanspruch 1). Letzteres Merkmal ist wesentlich für das Eigenschaftsbild dieser Massen, vor allem für die erheblich höhere Schlagzähigkeit und darüber hinaus für das verbesserte Aussehen der Oberfläche, insbesondere den Glanz (Spalte 2, Zeilen 11 bis 26). Obwohl die Materialeigenschaften solcher Formmassen im allgemeinen zufriedenstellend sind, weisen daraus hergestellte Formteile eine nicht ausreichende Spannungsrißbeständigkeit, Durchstoßarbeit und Schlagzähigkeit auf; außerdem könnte deren Glanz noch verbessert werden. Aufgrund dieser Unzulänglichkeiten kann die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, thermoplastische Formmassen mit verbesserter Spannungsrißbeständigkeit, Durchstoßarbeits- und Schlagzähigkeitseigenschaften sowie höherem Glanz bereitzustellen.

Diese Aufgabe wird - vereinfacht dargestellt - mit Formmassen auf der Grundlage von Polyphenylenäthern und zwei schlagfest modifizierten Styrolpolymerisaten gelöst, deren Weichkomponentengehalt mindestens 20 Gew-% und deren Kautschukanteil zwischen 2 und 15 Gew.-% beträgt, wobei 85 bis 92 Gew.-% der Teilchen der Weichkomponente eine mittlere Teilchengröße von 4 bis 10 µm und 8 bis 15 Gew.-% dieser Teilchen eine Teilchengröße unter 0,6 µm aufweisen.

5. Gestützt auf Ergebnisse von im Verlauf des Einspruchsverfahrens eingereichten Vergleichsversuchen bestreitet die Beschwerdeführerin allerdings, daß dieser Lösungsvorschlag die oben genannte Aufgabe tatsächlich löst.

5.1. Zum Beleg hierfür wurden vier Formmassen folgender Zusammensetzung verglichen

(i) 25 Gewichtsteile Polyphenylenäther

(ii) 75 Gewichtsteile schlagfestes Polystyrol bzw. - gemisch

(iii) 0,8 Gewichtsteile Tris(2,4-di-tert.butylphenylphosphit)

(iv) 1,5 Gewichtsteile Polyethylen, die sich laut Beschwerdeführerin im wesentlichen durch die mittlere Teilchengröße des schlagfesten Styrolpolymerisats unterschieden. Für die patentgemäße Probe 50 111 wurden als Bestandteil (ii) 10 Gew.-% eines Styrolpolymerisats mit einem mittleren Teilchendurchmesser von 0,5 µm und 90 Gew.-% eines Styrolpolymerisats mit einem mittleren Teilchendurchmesser von mehr als 4 µm verwendet. Für die Proben 50 211 und 50 511 wurde gemäß der Lehre des Dokuments (2) nur ein Styrolpolymerisat mit einem mittleren Teilchendurchmesser von 1,6 µm bzw. 0,5 µm verwendet. Die Probe 50 411 soll nach Angabe der Beschwerdeführerin einer Formmasse entsprechen, wie sie vor dem Anmeldetag des Dokuments (2) üblicherweise eingesetzt wurde; da die Ergebnisse mit dieser Probe, worin ein einziges Styrolpolymerisat mit einem mittleren Teilchendurchmesser von mehr als 4 µm verwendet wurde, für die Frage der Lösung der Aufgabe unerheblich sind, werden sie hiernach unberücksichtigt bleiben.

5.2. Im eigenen Versuchsbericht der Beschwerdeführerin vom 27. Oktober 1987 wurden die Rißgrenze über Zugfestigkeit gemäß DIN 53 449, Teil 1 sowie die Schädigungsdehnung über Zugfestigkeit und über Reißdehnung gemäß DIN 53 449, Teil 3 für Formmassen gemäß den Proben 50 111, 50 211 und 50 511 bestimmt. Aus Tabelle 3 dieses Versuchsberichts geht hervor, daß die Schädigungsdehnung gemessen über Zugfestigkeit mehr als 3,5 nach Streitpatent beträgt, gegenüber 3 bzw. 2,5 nach Dokument (2), während die Schädigungsdehnung gemessen über Reißdehnung mit mehr als 3,5 gemäß Streitpatent praktisch doppelt so hoch ist wie nach Dokument (2) mit 1,8 bzw. 1,5. Diese Daten zeigen übereinstimmend, daß die patentgemäße Probe 50 111 die bessere Spannungsrißbeständigkeit aufweist.

Wie ferner die Beschwerdegegnerin vorgetragen hat (Stellungnahme vom 11. Mai 1989, Seite 6, Absatz 3), ist der Tabelle auf Seite 5 des Streitpatents ein Effekt in der gleichen Richtung zu entnehmen. Der Vergleich des Vergleichsversuchs B mit Beispiel 2 des Streitpatents zeigt nämlich, daß die Spannungsrißbeständigkeit schlechter wird, wenn man die Menge des Styrolpolymerisats mit den kleinen Teilchen (0,6 µm) auf Kosten der grobteiligen Styrolpolymerisate (5 bis 7 µm) erhöht, d. h. wenn man die patentgemäßen Formmassen in Richtung der Lehre des Dokuments (2) verändert.

Aus beidem geht also übereinstimmend hervor, daß die patentgemäßen Formmassen eine verbesserte Spannungsrißbeständigkeit aufweisen und somit die betreffende Teilaufgabe tatsächlich lösen.

5.3. Im Versuchsbericht 2 der Beschwerdegegnerin vom 15. Dezember 1987 wurden weiterhin zwei Formmassen, die gemäß Dokument (2) nur eine schlagzähe Polystyrolkomponente enthielten (Vergleichsbeispiele 1* und 2*), mit zwei solchen verglichen, die im patentgemäßen Bereich lagen und zwei schlagzähe Polystyroltypen enthielten (Beispiele 1 und 2). Aus Tabelle 2 dieses Versuchsberichts geht hervor, daß die Formmassen gemäß dem Streitpatent eine verbesserte Durchstoßarbeit und Schlagzähigkeit aufweisen und außerdem besseren Glanz zeigen.

Dem stehen freilich Ergebnisse der Beschwerdeführerin gegenüber (Eingabe vom 23. März 1988, Tabelle), wonach die patentgemäßen Formmassen hinsichtlich Kerbschlagzähigkeit und Glanz den Massen gemäß Dokument (2) unterlegen zu sein scheinen.

Bei solchen widersprüchlichen Ergebnissen vermag sich die Kammer bezüglich der tatsächlichen Lösung der zweiten Teilaufgabe aus eigener Sachkunde weder die Behauptung der Beschwerdeführerin noch die der Beschwerdegegnerin zu eigen zu machen. Bei dieser Sachlage muß - ähnlich der im ABl. EPA 1986, 211 veröffentlichten Entscheidung T 219/83 vom 26. November 1985 "Zeolithe/BASF" - der bestehende Zweifel zu Lasten der einsprechenden Beschwerdeführerin gehen, die ihre Behauptung nicht zu belegen vermochte (Punkt 12 der Entscheidungsgründe).

5.4. Abgesehen hiervon neigt jedoch die Kammer auch sonst mehr der Auffassung der Beschwerdegegnerin zu. Wie schon aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 des Streitpatents hervorgeht, stellt der Weichkomponentengehalt ein wesentliches Merkmal der beanspruchten Massen dar; dieser wurde von der Beschwerdeführerin für die Durchführung ihrer Vergleichsversuche nicht berücksichtigt und im Versuchsbericht ebensowenig angegeben. Deshalb ist es sogar fraglich, ob die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Ergebnisse überhaupt aussagekräftig sein, d. h. mit den Daten im Streitpatent überhaupt verglichen werden können.

5.5. Nach Auffassung der Kammer hat also die beweispflichtige Beschwerdeführerin nicht den Beweis gebracht, daß die zweite Teilaufgabe nicht auch tatsächlich gelöst wäre, während dies für die erste Teilaufgabe zweifellos der Fall ist. Insgesamt stellt daher nach Meinung der Kammer der Gegenstand des Streitpatents eine glaubhafte Lösung der bestehenden Aufgabe dar.

6. Zur Neuheit des Patentgegenstandes gegenüber der allgemeinen Lehre sowie einzelnen Beispielen des Dokuments (2) ist folgendes auszuführen.

6.1. Da diese Entgegenhaltung jedenfalls keine explizite Angabe bezüglich des Weichkomponentengehalts enthält, fragt sich, ob sich hierzu, gestützt auf den in der Beschreibung des Streitpatents angegebenen Zusammenhang zwischen Polybutadiengehalt und Weichkomponentenanteil (Seite 3, Zeilen 50 bis 54), etwas herleiten läßt. Dort wird sinngemäß ausgeführt, daß die besonders günstigen Mengen von 25 bis 35 Gew.-% an Weichkomponente sich im allgemeinen mit 2 bis 15 Gew.-% Kautschuk erreichen lassen. Da der in den Vergleichsversuchen zu Beispielen 1 und 2 des Dokuments (2) erwähnte Kautschukanteil von 9 Gew.-% mitten in dem genannten Bereich liegt, will die Beschwerdeführerin hieraus schließen, daß der Weichkomponentengehalt dort gleichfalls mehr als 20 Gew.-% betragen mußte, was die implizite Vorwegnahme dieses Merkmals zur Folge hätte.

Dem zugrundeliegenden Umkehrschluß kann die Kammer jedoch nicht zustimmen. Wie die Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung vom 11. Mai 1989 (Seite 2, Absatz 4 bis Seite 3, Absatz 1) geltend gemacht hat, ist es zwar möglich, mit 9 Gew.-% Kautschuk einen Weichkomponenten- gehalt von mehr als 20 Gew.-% zu erzielen, doch ist der Fachmann frei, auch andere Weichkomponentengehalte einzustellen. Dies wird im übrigen durch Dokument (1) (Spalte 2, Zeilen 26 bis 34) bestätigt; danach kann der Gelgehalt verändert werden, während der Kautschukgehalt konstant gehalten wird. Man erreicht dies im allgemeinen, indem man ein Gemisch des Styrolmonomeren und des Kautschuks während der Anfangsphasen der Polymerisation rührt, wobei der Gelgehalt am niedrigsten ist, wenn schnell gerührt wird, allmählich steigt, wenn langsamer gerührt wird, und über 80 % beträgt, wenn überhaupt nicht gerührt wird.

Der Weichkomponentenanteil der Styrolpolymerisate stellt demnach keinen Parameter dar, der mit dem Polybutadiengehalt deckungsgleich und somit überflüssig wäre; er dient im Gegenteil der zusätzlichen Kennzeichnung dieser Bestandteile und dadurch der thermoplastischen Massen und verleiht schon allein dem Anspruchsgegenstand Neuheit.

6.2. In den Vergleichsversuchen zu den Beispielen 1 und 2 des Dokuments (2) werden Formmassen beschrieben, die als Hauptbestandteile 45 bzw. 50 Gewichtsteile eines Polyphenylenäthers und 55 bzw. 50 Gewichtsteile eines kautschukmodifizierten Polystyrols mit einer mittleren Teilchengröße von 6 µm (Bereich von 2 bis 10 µm) sowie einem Polybutadiengehalt von 9 Gew.-% enthalten. Wesentlich dabei ist die Anwesenheit eines einzigen schlagzähmodifizierten Polystyrols mit einem mittleren Teilchendurchmesser von 6 µm, wohingegen in den im Streitpatent beanspruchten Formmassen eine Mischung aus zwei modifizierten Styrolpolymerisaten mit unterschiedlichen Teilchengrößen eingesetzt wird. Dies stellt ein weiteres neues Merkmal des Gegenstands des Streitpatents dar.

6.3. Zwar enthält die Mischung F des Beispiels 9 von Dokument (2) neben 45 Gewichtsteilen eines Polyphenylenäthers zwei unterschiedliche Styrolpolymerisate, wovon je 27,5 Gewichtsteile eingesetzt werden. Dabei handelt es sich jedoch um ein kautschukmodifiziertes Polystyrol mit einer mittleren Teilchengröße von 1 bis 2 µm und einem Polybutadiengehalt von 9 Gew.-% und um ein kristallines Polystyrol (ohne Angabe der Teilchengröße). Solche Zusammensetzungen unterscheiden sich sowohl qualitativ - nur ein Polystyrol mit hoher Schlagzähigkeit - als auch quantitativ - Mengen der zwei Styrolpolymerisate und mittlerer Teildurchmesser - von den beanspruchten Massen.

Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf die Frage näher einzugehen, ob eine Mischung aus einem schlagfesten Polystyrol und einem kristallinen Polystyrol, wie sie aus Dokument (2) bekannt ist, von einer Mischung aus zwei schlagzäh modifizierten Styrolpolymerisaten wie im Streitpatent noch unterscheidbar ist, wie dies die Beschwerdeführerin wiederholt bestritten hat.

6.4. Da sich der Gegenstand des Streitpatents schon durch den Weichkomponentengehalt der Styrolpolymerisate von den im Dokument (2) beschriebenen - allgemeinen sowie spezifischen - Formmassen unterscheidet, sind die für Auswahlerfindungen geltenden Neuheitskriterien der im ABl. EPA 1985, 289 veröffentlichten Entscheidung T 198/84 "Thiochlorformiate/HOECHST" vom 28. Februar 1985 hier gar nicht anwendbar.

6.5. Zusammenfassend ergibt sich also die Neuheit aus den Kenndaten der Zusammensetzung, d. h. aus der Wahl und der Definition der zwei Styrolpolymerisate mit einem bestimmten Weichkomponentengehalt, und nicht aus der Verfahrensmaßnahme, wonach eine gewünschte Teilchengrößenverteilung durch Mischen zweier unterschiedlicher Styrolpolymerisate eingestellt wird. Die Ansprüche des Streitpatents besitzen demgemäß auch keinen "product-by-process"-Charakter, sondern im Gegenteil alle Merkmale eines reinen Stoffanspruchs. Deshalb ist der Hinweis der Beschwerdeführerin auf Artikel 64 (2) EPÜ, wonach im Hinblick auf die vorliegende Offenbarung höchstens Verfahrensansprüche zulässig sein sollten, unzutreffend; das gleiche gilt für die Bezugnahme auf die im ABl. EPA 1984, 309 veröffentlichte Entscheidung T 150/82 "Anspruchskategorien/IFF" vom 7. Februar 1984.

7. Wenn die Beschwerdeführerin vorträgt (Punkt A der Beschwerdebegründung), daß die bloße Angabe von zwei mittleren Teilchendurchmessern nichts über die Verteilung in der Mischung aussage, die u. a. monomodal oder bimodal sein könne, so hat ein derartiger Einwand mit den Bestimmungen des Artikels 100 b) EPÜ, wonach das europäische Patent - als ganzes - die Erfindung so deutlich und vollständig offenbaren muß, daß ein Fachmann sie ausführen kann, nichts zu tun. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten monomodalen und bimodalen Verteilungskurven sind theoretische Kurven, die im Stand der Technik ebensowenig offenbart sind, insbesondere nicht für die Zusammensetzung F des Beispiels 9 des Dokuments (2), die zwei unterschiedliche Styrolpolymerisate enthält. Unabhängig hiervon enthält schon der Wortlaut des Anspruchs 1 alle notwendigen Informationen zur Bereitstellung der beanspruchten Massen; er gibt insbesondere den Kautschukanteil und den Weichkomponentengehalt der zwei modifizierten Styrolpolymerisate sowie den Bereich, in dem sich der mittlere Teilchendurchmesser der jeweiligen Styrolpolymerisate zu bewegen hat, und die Prozentanteile in den Mischungen an. Außerdem belegen die Beispiele 1 und 2 des Streitpatents, daß dem Fachmann damit ausreichende technische Informationen zur Verfügung stehen, um die beanspruchten Massen herzustellen. Auch die Beschwerdeführerin hatte offensichtlich keine Schwierigkeiten, aufgrund dieser Angaben Vergleichsversuche mit der patentgemäßen Probe 50 111 durchzuführen (vgl. Punkt 5.1 oben). Dies unterstreicht, daß die Angabe von zusätzlichen Parametern, insbesondere von Breitenparametern, zur Charakterisierung der Teilchengrößenverteilung, wie sie von der Beschwerdeführerin gefordert wird, für die Bereitstellung der beanspruchten Massen gar nicht notwendig ist. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ sind somit erfüllt.

8. Es bleibt daher noch zu untersuchen, ob der Gegenstand des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

8.1. Wie schon im Punkt 4 oben festgestellt, können die im nächsten Stand der Technik (Dokument (2)) beschriebenen Massen ein kautschukmodifiziertes Styrolpolymerisat und/oder ein Styrolpolymerisat in Verbindung mit einem Kautschuk enthalten (Anspruch 1). Wesentlich dabei ist, daß keine dieser Ausführungsformen die Verwendung von zwei unterschiedlichen modifizierten Styrolpolymerisaten vorsieht.

Dem Dokument (2) ist weiterhin zu entnehmen, daß die dort beschriebenen Massen erheblich bessere Schlagzähigkeiten sowie höheren Glanz aufweisen, wenn die durchschnittliche Teilchengröße der dispergierten elastomeren Phase unter einem Maximum von 2 µm gehalten wird; darüber hinaus wird das Aussehen der Oberfläche, insbesondere der Glanz, überraschend verbessert (Spalte 2, Zeilen 11 bis 26). Diese Aussagen enthalten für den Fachmann keine Anregung zur Lösung der vorstehenden Aufgabe, die Zusammensetzung bzw. die Teilchengröße im Sinne des Vorschlags des Streitpatents zu modifizieren.

8.2. Dokument (1) lehrt, daß in Mischungen aus Polyphenylenäther und kautschukmodifiziertem Polystyrol letzteres 22 bis 80 Gew.-% einer feinverteilten elastomeren Gelphase enthalten soll, wenn insbesondere Schlagzähigkeit und Glanz verbessert werden sollen (Anspruch 1, Spalte 3, Zeilen 1 bis 24). In allen Beispielen wird ein hochschlagzähes, kautschukmodifiziertes Polystyrol in Pelletform eingesetzt, das etwa 9 Gew.-% Polybutadien in Form einer in einer geschlossenen Polystyrolphase dispergierten, mit Polystyrol gepfropften elastomeren Gelphase enthält, wobei der Gelgehalt etwa 24,4 Gew.-% und die Polydispersität 4,34 beträgt. Der relativ hohe Wert letzteren Parameters, der nicht kleiner sein darf als 3,5, ist eine weitere Voraussetzung für das günstige Eigenschaftsbild dieser Massen (Spalte 3, Zeilen 9 bis 14). Des weiteren wird erwähnt, daß die Menge der elastomeren Phase vorzugsweise zwischen 8 und 18 % des Gesamtgewichts der thermoplastischen Masse liegen soll; bei höherem Anteil wird zwar die Schlagzähigkeit eindeutig optimiert, aber gleichzeitig das Aussehen der Formteile, d. h. der Glanz, beeinträchtigt (Spalte 8, Zeile 62 bis Spalte 9, Zeile 1). Diese Lehre erscheint somit als Kompromiß zwischen gegensätzlichen Eigenschaften; die Verbesserung der Schlagzähigkeit kann nur auf Kosten des Glanzes erreicht werden, was bedeutet, daß aufgrund dieser Entgegenhaltung höchstens eine Teilaufgabe durch eine höhere Menge der elastomeren Phase, d. h. durch eine Maßnahme, die dem Streitpatent fremd ist, gelöst werden kann.

8.3. Aus diesen Gründen wird der Gegenstand des Streitpatents gemäß Anspruch 1 von den Dokumenten (1) und (2) nicht nahegelegt, so daß er auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Eines Vorurteils der Fachwelt, das nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammer nur durch allgemeines Fachwissen, nicht aber in der Regel durch vereinzelte Patentliteratur begründet werden kann, bedarf es bei dieser Sachlage als Voraussetzung für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit nicht.

9. Diese Überlegungen gelten gleichermaßen für den abhängigen Anspruch 2, der besondere Ausgestaltungen der thermoplastischen Formmassen gemäß Anspruch 1 betrifft und von dessen Patentfähigkeit getragen wird.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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