T 0371/88 (Getriebe) of 29.5.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T037188.19900529
Datum der Entscheidung: 29 Mai 1990
Aktenzeichen: T 0371/88
Anmeldenummer: 80304241.5
IPC-Klasse: F16H 1/38
B60K 17/34
B60K 5/04
Verfahrenssprache: EN
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Fuji
Name des Einsprechenden: Steyr-Daimler-Puch
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: Eine Änderung des erteilten Anspruchs, bei der ein restriktiver Begriff, der seiner genauen wörtlichen Bedeutung nach eine in der Beschreibung enthaltene weitere Ausführungsart nicht eindeutig umfaßt, durch einen weniger restriktiven Begriff ersetzt wird, der eindeutig auch diese Ausführungsart einschließt, ist nach Artikel 123 (3) EPÜ zulässig, wenn die Prüfung des Schutzbereichs des erteilten Anspruchs folgendes ergibt:
a) Der im erteilten Anspruch verwendete restriktive Begriff ist in seinem Kontext von der technischen Bedeutung her nicht so klar, daß er ohne Auslegung anhand der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents zur Ermittlung des Schutzbereichs herangezogen werden könnte.
b) Aus der Beschreibung und den Zeichnungen des Patents und auch aus dem Prüfungsverfahren bis zur Erteilung geht unverkennbar hervor, daß die weitere Ausführungsart zur Erfindung gehört und daß nie beabsichtigt war, sie vom Schutzbereich des Patents auszuschließen (s. Nr. 2.5 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
European Patent Convention 1973 Art 69
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erweiterung des Schutzbereichs durch Einführung eines weniger restriktiven Begriffs in einen Anspruch während des Einspruchsverfahrens
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0673/89
T 0738/95
T 0259/96
T 1011/96
T 0438/98
T 0494/98
T 0140/99
T 0301/00
T 0750/02
T 0749/03
T 0139/05
T 1433/05
T 0837/07
T 0824/08
T 1172/08
T 1147/11
T 1578/13
T 1127/16
T 1946/16
T 2451/22

Sachverhalt und Anträge

I. Am 2. Januar 1985 wurde auf die am 26. November 1980 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 80 304 241.5 das europäische Patent Nr. 0 030 120 erteilt.

II. Gegen dieses Patent legte die Beschwerdeführerin am 2. Oktober 1985 Einspruch ein und beantragte seinen Widerruf in vollem Umfang. Der Einspruch stützte sich auf die Dokumente

D1: DE-C-801 249

D2: GB-A-887 849

D3: FR-A-2 185 285

D4: US-A-3 400 777

In einer späteren Phase des Einspruchsverfahrens wurde noch das Dokument

D5: DE-C-1 455 885

herangezogen.

III. Mit Zwischenentscheidung vom 24. Mai 1988 hielt die Einspruchsabteilung das Patent auf der Grundlage der in einer Mitteilung gemäß Regel 58 (4) EPÜ vom 20. Oktober 1987 angegebenen Unterlagen in geändertem Umfang aufrecht.

IV. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung am 25. Juli 1988 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. In der am 22. September 1988 eingegangenen Beschwerdebegründung legte sie dar, weshalb der Gegenstand des Anspruchs 1 ihres Erachtens gegenüber den Dokumenten D1 und D2 keine erfinderische Tätigkeit aufweise.

V. In einer Mitteilung vom 13. September 1989 gab die Kammer über die Zulässigkeit einer Änderung des Anspruchs 1 im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ eine vorläufige Stellungnahme ab und erhob Einwände gegen weitere Änderungen, die in Anspruch 1 vorgenommen worden waren.

VI. In der von beiden Beteiligten hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung am 29. Mai 1990 trugen die Beteiligten ihre jeweilige Sache vor, wobei ausführlich auf die Dokumente D1 und D2 eingegangen wurde.

VII. Die von der Beschwerdeführerin schriftlich und mündlich vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Der vorliegende Anspruch 1 (Hauptantrag) erfülle nicht die Erfordernisse nach Artikel 123 (3) EPÜ, weil sein Schutzbereich ungebührlich erweitert werde, wenn das Merkmal eines "parallel zu dem Motor angeordneten Wechselgetriebe(s) 4" des erteilten Anspruchs 1, das dessen Schutzbereich auf eine der beiden in der Beschreibung genannten Ausführungsarten beschränke, durch das Merkmal eines "ebenfalls quer angeordneten Wechselgetriebe(s) 4" ersetzt werde, das beide Ausführungsarten umfasse, wonach das Wechselgetriebe entweder parallel zum Motor oder in einer Linie mit diesem angeordnet sei. Im Unterschied zum jetzigen Merkmal eines "quer angeordneten" Wechselgetriebes schließe das im patentgemäßen Anspruch 1 enthaltene Merkmal eines "parallel angeordneten" Wechselgetriebes die erste Ausführungsart (Abbildungen 1 und 2) mit einer "Anordnung in einer Linie" nicht ein. Anspruch 1 sei daher aus formalen Gründen nicht haltbar.

b) Die durch die Erfindung zu lösende Aufgabe sei nicht klar erkennbar, da schon das zur Formulierung des Oberbegriffs des Anspruchs 1 herangezogene Dokument D2 eine in Längsrichtung entlang der Mittellinie des Fahrzeugs angeordnete Kardanwelle zeige und diese Anordnung auch bereits im Oberbegriff des Anspruchs 1 erwähnt sei.

Außerdem sei die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 (Haupt- und Hilfsantrag) beschriebene Konstruktion des Vorgeleges 34 nahezu vollständig aus dem weiteren Dokument D1 bekannt, so daß nur noch zwei geringfügige Unterschiede verblieben, nämlich daß

(a) das Zahnrad 49 auf der Stützwelle 48 frei drehbar angebracht sei und

(b) das Zahnrad 49 mittels der gleitbaren Kupplung 50 mit der Stützwelle 48 gekuppelt werden könne.

Dies bedeute, daß die bereits im Oberbegriff des Anspruchs 1 erwähnte und aus den Dokumenten D1 und D2 bekannte zweite Kupplung 50 nur noch auf der Stützwelle 48 angebracht werden müsse. Dies könne jedoch nicht als erfinderische Tätigkeit gewertet werden.

Die Beschwerdeführerin beantragte, daß das Patent in vollem Umfang widerrufen wird.

VIII. Die Beschwerdegegnerin bezweifelte, ob das Merkmal eines "parallel zu dem Motor angeordneten Wechselgetriebes" bei Auslegung durch einen Fachmann tatsächlich die Möglichkeit ausschließe, daß eine der Wellen des Wechselgetriebes in einer Linie mit dem Motor angeordnet sei, da in jedem Fall - auch in den Abbildungen 1 und 2 - zumindest die Ausgangswelle des Wechselgetriebes unbestreitbar parallel zum Motor verlaufe. Es sei ein im Patentrecht fest verankerter Grundsatz, daß man bei Zweifeln an der möglichen Bedeutung eines im Anspruch vorkommenden Begriffs die Beschreibung heranziehen müsse, um festzustellen, was geschützt werden sollte. Mit dem Anspruch 1 in der in der Patentschrift enthaltenen Fassung habe man beide Ausführungsarten der Erfindung abdecken wollen. Da sich der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 auf die Anordnung und die Ausbildung der "zweiten Kupplung 50" beziehe und eindeutig auf beide Ausführungsarten erstrecke, beweise der Umstand, daß ein bestimmter Begriff in seiner wörtlichen Bedeutung möglicherweise eine der Ausführungsarten ausschließe, einfach nur, daß dieser Begriff falsch sein müsse. Im vorliegenden Fall gehe aus der Beschreibung klar hervor, daß der Ausdruck "parallel zu" auch die Möglichkeit abdecken sollte, daß sich der Motor und das Wechselgetriebe in einer Linie befänden. Daher stelle die Neuformulierung des Anspruchs 1 (Hauptantrag) nicht schon deshalb eine unzulässige Erweiterung dar, weil sie nun alle Ausführungsarten umfasse.

In der Frage der Patentierbarkeit wies die Beschwerdegegnerin die Argumentation der Beschwerdeführerin zurück und machte eine erfinderische Tätigkeit beim Gegenstand des Anspruchs 1 geltend; in der mündlichen Verhandlung wurde Anspruch 1 (Hauptantrag) gegenüber dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anspruch 1 leicht geändert, um den Erfordernissen der Artikel 84 und 123 (3) sowie insbesondere auch der Regel 29 (1) EPÜ Rechnung zu tragen. Im einzelnen behauptete die Beschwerdegegnerin, daß im Dokument D1 nichts zu finden sei, was den Fachmann auf den Gedanken brächte, die Lehren der Dokumente D1 und D2 miteinander zu verbinden; selbst wenn er dies täte, würde diese künstlich konstruierte Verbindung nicht zur beanspruchten Lösung führen.

In ihrem Hauptantrag begehrte die Beschwerdegegnerin die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anspruchs 1, des Anspruchs 2 und der Beschreibung in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung sowie der Zeichnungen in der erteilten Fassung.

Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents in der Form, daß Anspruch 1 auf ein "parallel zu dem Motor" angeordnetes Wechselgetriebe beschränkt und in die Beschreibung ein Disclaimer für die Abbildungen 1 und 2 aufgenommen wird.

IX. Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet wie folgt:

"Getriebe für ein Motorfahrzeug mit einem in dem Fahrzeug quer angeordneten Verbrennungsmotor 1, einem ebenfalls quer angeordneten Wechselgetriebe 4, das über eine erste Kupplung 2 mit einer Kurbelwelle 5 des Motors verbunden ist, einem Enduntersetzungszahnrad 36, das mit dem Wechselgetriebe antriebsmäßig verbunden ist, einem Differential 37 mit einem drehbaren Gehäuse 38, das an einer Seite des Enduntersetzungszahnrads so angebracht ist, daß es nahe einer Längsmittellinie des Motorfahrzeugs angeordnet ist, und an das Differential angeschlossenen Achsen 45, einem Vorgelege 34 mit einem ersten Kegelzahnrad 53, das mit einem zweiten Kegelzahnrad 54 in Eingriff ist und an das genannte Enduntersetzungszahnrad angeschlossen ist, um die Ausgangsleistung des genannten Wechselgetriebes über eine auf einer Welle 48 und einer Kardanwelle 57 gleitbar angebrachte, neben dem genannten Differential angeordnete zweite Kupplung 50 wahlweise auf andere Achsen zu übertragen, wobei die genannte Kardanwelle 57 zur Schaffung eines Vierradantriebs an die genannten anderen Achsen angeschlossen ist und im wesentlichen in Längsrichtung längs der Mittellinie des Fahrzeugs angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Welle des Vorgeleges 34 eine quer angeordnete Stützwelle 48 ist, ein Zahnrad 49 auf der genannten Stützwelle drehbar angebracht ist und mit dem Enduntersetzungszahnrad 36 in Eingriff ist, auf der Stützwelle zur antriebsmäßigen Kupplung des Zahnrads 49 mit der Stützwelle die genannte zweite Kupplung 50 gleitbar angebracht ist, auf der Stützwelle das genannte erste Kegelrad 53 fest angebracht ist und die zweite Kardanwelle 57 mit dem genannten zweiten Kegelrad verbunden ist"

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Formal ist zu den Ansprüchen folgendes festzustellen:

2.1. Die Ansprüche 1 und 2 genügen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ, da Anspruch 1 sich vom ursprünglichen unabhängigen Anspruch 2 nur durch neu aufgenommene Merkmale unterscheidet, die in der ursprünglichen Beschreibung (s. z. B. S. 3, Zeile 25 - S. 4, Zeile 1 und S. 4, Zeile 23 - S. 5, Zeile 1) klar beschrieben und auch in den Zeichnungen dargestellt sind, und Anspruch 2 im wesentlichen dem ursprünglichen Anspruch 3 entspricht.

2.2. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 unter anderem dadurch, daß das in den Zeilen 3 und 4 zu findende Merkmal

"... eines ebenfalls quer angeordneten Wechselgetriebe(s) 4 ..."

das im erteilten Anspruch in Spalte 4, Zeilen 9 und 10 enthaltene Merkmal

eines "parallel zu dem Motor angeordneten Wechselgetriebe(s)..." ersetzt.

2.3. Will man die Frage beantworten, ob der Anspruch dadurch in der Weise geändert worden ist, daß der Schutzbereich erweitert wird (Art. 123 (3) EPÜ), so muß man zunächst den Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 ermitteln.

Das Merkmal "parallel angeordnet" - im streng geometrischen Sinne - definiert eindeutig das Verhältnis zwischen zwei Linien oder Achsen. Wenn es jedoch um das geometrische Verhältnis zwischen zwei dreidimensionalen Einheiten wie einem Motor und einem Wechselgetriebe geht, sind weitere Angaben erforderlich, um die jeweilige Mittellinie oder Hauptachse der Einheiten zu bestimmen, auf die sich das Merkmal "parallel" bezieht. Anspruch 1 in der erteilten Fassung erwähnt die mit dem Wechselgetriebe zu verbindende Kurbelwelle des Motors, so daß diese als eine Hauptachse des Motors angesehen werden kann. Anspruch 1 enthält jedoch keinen Hinweis darauf, welcher Teil des Wechselgetriebes dessen Hauptachse darstellen soll. Außerdem ist schwer zu entscheiden, welche Welle oder Achse eines Wechselgetriebes als Hauptachse gelten soll, wenn das Wechselgetriebe (wie in beiden Ausführungsarten der Erfindung dargestellt) mindestens zwei Wellen aufweist, die in einem bestimmten Abstand parallel zueinander angeordnet sind. Selbst wenn das Wechselgetriebe so an den Motor angeschlossen ist, daß sich eine seiner Wellen in einer Linie mit der Kurbelwelle des Motors befindet, ist zumindest eine weitere Welle in einem bestimmten Abstand parallel zur Kurbelwelle des Motors angeordnet.

Deshalb ist nach Auffassung der Kammer die Formulierung "parallel zu dem Motor angeordnete(s) Wechselgetriebe 4" in Anspruch 1 des Patents im vorliegenden Zusammenhang von der technischen Bedeutung her nicht so klar, daß der Schutzbereich des Patents allein auf dieser Grundlage ermittelt werden könnte. Daher müssen gemäß Artikel 69 EPÜ und dem zugehörigen Protokoll die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der vorstehenden Formulierung in Anspruch 1 herangezogen werden. Aus der Beschreibung und den Zeichnungen des Patents geht aber unmißverständlich hervor, daß die Erfindung nicht nur die Ausführungsart gemäß Abbildung 3 einschließt, bei der der Motor und das Wechselgetriebe nebeneinander liegen, so daß alle Wellen 5, 8 und 16 der beiden Einheiten und somit auch die angenommenen Hauptachsen eindeutig parallel zueinander stehen, sondern auch die Ausführungsart gemäß Abbildung 1 und 2, bei der die Kurbelwelle 5 des Motors und die Hauptantriebswelle 8 (Eingangswelle) des Wechselgetriebes in einer Linie angeordnet sind.

Außerdem geht aus dem Verfahren bis zur Erteilung des Patents eindeutig hervor, daß eine Beschränkung der Erfindung auf die Ausführungsart gemäß Abbildung 3 niemals verlangt oder beabsichtigt war. Das Vorbringen der Anmelderin im Prüfungsverfahren läßt vielmehr erkennen, daß die jetzt im Anspruch 1 gewählte Formulierung "quer angeordnet" damals eindeutig als Oberbegriff für beide Lösungen verwendet worden war.

2.4. Laut Artikel 69 (1) EPÜ wird der Schutzbereich durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Ansprüche heranzuziehen. Das Protokoll über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ, das gemäß Artikel 164 (1) EPÜ Bestandteil des EPÜ ist, stellt außerdem klar, daß bei der Ermittlung des Schutzbereichs die Beschreibung und die Zeichnungen nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Ansprüchen anzuwenden sind.

2.5. Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen des EPÜ räumt die Kammer zwar ein, daß es nach Artikel 123 (3) und 69 (1) EPÜ nicht in jedem Fall zulässig ist, einen Anspruch in der Weise zu ändern, daß ein Begriff, der grundsätzlich nur eine Ausführungsart der Beschreibung umfaßt, durch einen breiteren Begriff ersetzt wird, der auch eine in der Beschreibung enthaltene weitere Ausführungsart abdeckt; sie ist aber der Auffassung, daß eine Änderung des erteilten Anspruchs, bei der ein restriktiver Begriff, der seiner genauen wörtlichen Bedeutung nach eine in der Beschreibung enthaltene weitere Ausführungsart nicht eindeutig umfaßt, durch einen weniger restriktiven Begriff ersetzt wird, der auch diese Ausführungsart ganz klar einschließt, nach Artikel 123 (3) EPÜ zulässig ist, wenn die Prüfung des Schutzbereichs des erteilten Anspruchs folgendes ergibt:

a) Der im erteilten Anspruch verwendete restriktive Begriff ist in seinem vorliegenden Zusammenhang von der technischen Bedeutung her nicht so klar, daß er ohne Auslegung anhand der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents zur Ermittlung des Schutzbereichs herangezogen werden könnte.

b) Aus der Beschreibung und den Zeichnungen des Patents und auch aus dem Prüfungsverfahren bis zur Erteilung geht unverkennbar hervor, daß die weitere Ausführungsart zur Erfindung gehört und daß nie beabsichtigt war, sie vom Schutzbereich des Patents auszuschließen.

2.6. Da - wie vorstehend dargelegt - die beiden Erfordernisse a) und b) im vorliegenden Fall erfüllt sind, entspricht der geänderte Anspruch 1 auch Artikel 123 (3) EPÜ.

2.7. Die Überarbeitung des Oberbegriffs des Anspruchs 1 wurde entsprechend Regel 29 (1) a) EPÜ im Hinblick auf die Offenbarung des Dokuments D2 vorgenommen und wird für ordnungsgemäß erachtet.

2.8. Somit besteht kein formaler Einwand gegen die derzeitige Fassung der Ansprüche.

3. Keine der vorliegenden Entgegenhaltungen offenbart ein Getriebe, das alle in Anspruch 1 genannten Merkmale aufweist. Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 wurde weder von der Beschwerdeführerin noch von der Einspruchsabteilung, noch von der Kammer je bestritten, so daß dieser Punkt wohl keiner weiteren Erörterung bedarf.

4. Die Gewährbarkeit des Anspruchs 1 hängt deshalb von der Beantwortung der Frage ab, ob eine erfinderische Tätigkeit erforderlich war, um ausgehend von einem Getriebe, wie es aus dem nächstliegenden Stand der Technik in Dokument D2 bekannt ist, zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

4.1. Das Getriebe für ein Motorfahrzeug gemäß D2 umfaßt im wesentlichen einen im Fahrzeug quer angeordneten Verbrennungsmotor und ein Wechselgetriebe, das ebenfalls quer angeordnet und durch eine erste Kupplung mit einer Kurbelwelle des Motors verbunden ist. Das Wechselgetriebe ist außerdem mittels eines Enduntersetzungszahnrads mit einem Differential mit Achsen und einem Vorgelege verbunden, das neben dem Differential angeordnet ist und ein erstes Kegelzahnrad, das mit einem zweiten Kegelzahnrad in Eingriff ist, aufweist. Eine wahlweise Übertragung der Ausgangsleistung auf andere Achsen wird durch eine zweite Kupplung ermöglicht, die gleitbar auf einer Welle und einer Kardanwelle angebracht ist, die neben dem Differential und im wesentlichen in Längsrichtung entlang der Mittellinie des Fahrzeugs angeordnet ist.

Bei Betrachtung der Anordnung gemäß Dokument D2 kann der Fachmann erkennen, daß das Ausgangsende des Wechselgetriebes, das antriebsmäßig mit dem Enduntersetzungszahnrad verbunden ist, aufgrund der Anordnung der Kardanwelle entlang der Längsmittellinie in einer bestimmten Position in Querrichtung angebracht werden muß. Dies ist jedoch nicht immer möglich, da das Ausgangsende des Wechselgetriebes nicht in jedem beliebigen Teil des Gehäuses untergebracht werden kann und die Anordnung der Antriebseinheit innerhalb des Fahrzeugs auch konstruktionsbedingt ist. Daher kann es sich manchmal als schwierig erweisen, die quergestellte Motor-Getriebe-Einheit so zu plazieren, daß eine Anordnung der Kardanwelle entlang der Mittellinie des Fahrzeugs wie in D2 gewährleistet werden kann.

4.2. Ziel der Erfindung (siehe hierzu die vorliegende Beschreibung in der geänderten Fassung mit der Einfügung in Spalte 1, Zeile 28) ist die Weiterentwicklung und Vereinfachung des aus D2 bekannten Getriebes, bei dem die Kardanwelle entlang der Längsmittellinie des Fahrzeugs angeordnet werden kann.

4.3. Dieses Ziel wird nach Überzeugung der Kammer durch die Merkmale des Anspruchs 1 erreicht.

Ausgehend von einem Getriebe gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1, dem der Stand der Technik des Dokuments D2 zugrunde liegt, wird die vorliegende Aufgabe durch folgende im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 dargelegten Merkmale gelöst:

a) Die Welle des Vorgeleges 34 ist eine quer angeordnete Stützwelle 48.

b) Ein Zahnrad 49 ist auf der genannten Stützwelle drehbar angebracht und mit dem Enduntersetzungszahnrad 36 in Eingriff.

c) Auf der Stützwelle ist zur antriebsmäßigen Kupplung des Zahnrads 49 mit der Stützwelle die zweite Kupplung 50 gleitbar angebracht.

d) Das erste Kegelrad 53 ist fest auf der Stützwelle angebracht.

e) Die Kardanwelle 57 ist mit dem zweiten Kegelrad verbunden.

Beim Vergleich des in D2 offenbarten Getriebes mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 erkennt der Fachmann, daß sich die Kardanwelle bei Verwendung einer quergestellten Stützwelle eindeutig noch leichter in Längsrichtung entlang der Mittellinie des Fahrzeugs lagern läßt, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Anordnung des antriebsmäßig mit dem Ausgangsende der quer angebrachten Motor-Getriebe-Einheit verbundenen Enduntersetzungszahnrads. Zwar läßt sich, wie die Beschwerdeführerin behauptet, eine symmetrische Anordnung der Kardanwelle (wie in D2 gezeigt) auch ohne eine zusätzliche quergestellte Zwischenwelle erreichen; es ist jedoch klar, daß bei der Montage der Motor-Getriebe-Einheit im Fahrzeug mehr Flexibilität besteht, wenn eine symmetrische Anordnung der Kardanwelle nicht zwangsläufig eine fest vorgegebene Montageposition des Motors im Fahrzeug erfordert. Somit steht eindeutig fest, daß die beanspruchte Lösung das bekannte Getriebe bezüglich der Anordnung der Kardanwelle entlang der Längsmittellinie des Fahrzeugs weiterentwickelt und die Ausbildung der Motor-Getriebe-Einheit sowie ihre Montage im Fahrzeug vereinfacht.

Diese vorteilhafte Wirkung der quer angeordneten Stützwelle (siehe vorstehend genanntes Merkmal a) wird dadurch noch verstärkt, daß die zweite Kupplung, die sich bei der Entgegenhaltung D2 zwischen dem zweiten Kegelzahnrad und der Kardanwelle befindet, auf die quer angeordnete Stützwelle verlagert und entsprechend den vorstehend genannten Merkmalen b bis d des Anspruchs 1 angeordnet und ausgebildet wird. Durch die beanspruchte Anordnung und Ausbildung der zweiten Kupplung kann der Mehrbedarf an Platz, den eine solche zusätzliche quergestellte Stützwelle benötigt, begrenzt werden, weil sich die Gesamtlänge des Getriebes durch den Wegfall der aus D2 bekannten Zwischenwelle für die zweite Kupplung am vorderen Ende der Kardanwelle verkürzt.

4.4. Das Dokument D1 offenbart bereits eine quer angeordnete Stützwelle 8, die zwischen einem Enduntersetzungszahnrad 6 und einem Paar Kegelzahnräder 9, 10 angebracht ist. In D1 wird jedoch weder eine quergestellte Antriebseinheit gezeigt noch erwähnt, welchem Zweck die quer angeordnete Stützwelle dient. Somit gibt weder D2 noch D1 eine direkte Empfehlung für die Lösung der der strittigen Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe. Außerdem offenbart D1 im Gegensatz zur Zielsetzung der vorliegenden Erfindung Vorderradachsen, die - gerechnet vom Differential 30 - unterschiedliche Längen aufweisen.

Ein Fachmann würde daher bei der Suche nach einer Verbesserung der Konstruktion gemäß D2 nicht zwangsläufig den Vierradantrieb gemäß D1 in Betracht ziehen.

Aber auch wenn der Fachmann die quer angeordnete Stützwelle gemäß D1 in Erwägung ziehen und in die Einheit gemäß D2 einbauen würde, würde eine solche Kombination mit Sicherheit nicht zu der beanspruchten Lösung führen. Beide Dokumente des Stands der Technik, sowohl D1 als auch D2, offenbaren eine zweite Kupplung, die - anders als bei der Erfindung - außerhalb des Vorgeleges, d. h. hinter dem zweiten Kegelzahnrad am vorderen Ende der Kardanwelle, angeordnet ist. Außerdem fehlen bei den bekannten Kupplungen die Merkmale b und c des Anspruchs 1, wonach die Kupplung ein drehbar auf der Stützwelle angebrachtes Zahnrad antriebsmäßig mit dieser Welle kuppelt.

Vom Fachmann kann nicht erwartet werden, daß er

a) in einem ersten Schritt ein besonderes Merkmal, das unter anderem in D1 offenbart ist, heranzieht und mit der Lehre von D2 verbindet, obwohl die Entgegenhaltung D1 keine Aussage darüber enthält, daß dieses Merkmal (d. h. die quer angeordnete Stützwelle) der Lösung der sich stellenden Aufgabe dienlich wäre,

b) in einem zweiten Schritt die zweite Kupplung entgegen der diesbezüglichen Offenbarung von D1 auf die quer angeordnete Stützwelle verlagert und

c) in einem dritten Schritt eine weder in D1 noch in D2 gezeigte besondere Ausgestaltung der zweiten Kupplung wählt.

Somit kann die erfinderische Tätigkeit entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht einfach danach beurteilt werden, ob es naheliegend war, die Position einer Kupplung auf der Übertragungslinie einer Abfolge von Zahnrädern zu ändern.

4.5. Die Kammer hält daher die Behauptungen der Beschwerdeführerin für nicht überzeugend; da der Gegenstand des Anspruchs 1, wie vorstehend dargelegt, gegenüber den in der Akte enthaltenen Dokumenten nicht naheliegend ist, beruht somit Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit, und das Patent kann auf der Grundlage dieses Hauptanspruchs aufrechterhalten werden.

5. Der abhängige Anspruch 2, der auf eine besondere Ausführungsart der Erfindung gemäß Regel 29 (3) EPÜ gerichtet ist, ist ebenfalls gewährbar.

6. Die Beschreibung und die Zeichnungen in der vorliegenden Fassung entsprechen den Erfordernissen des EPÜ und bilden eine geeignete Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang.

7. Daher stehen die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hauptantrags und nach einer aufgrund der Regel 88 EPÜ vorgenommenen Berichtigung einer offensichtlichen Unstimmigkeit in der Beschreibung, Seite 1a, Zeilen 10 bis 12, nicht entgegen.

8. Eine Prüfung des Hilfsantrags erübrigt sich somit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des Anspruchs 1 entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hauptantrag, des Anspruchs 2 und der Beschreibung in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung und mit der gemäß Nummer 7 der Entscheidung auf Seite 1a vorzunehmenden weiteren Berichtigung sowie der Zeichnungen in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

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