T 0191/82 (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) of 16.4.1985

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1985:T019182.19850416
Datum der Entscheidung: 16 April 1985
Aktenzeichen: T 0191/82
Anmeldenummer: 80900996.2
IPC-Klasse: B65D 71/00
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: FIBRE-CHEM
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: Wird ein Fristversäumnis, das einen Rechtsverlust nach dem EPÜ nach sich zieht, von einem Angestellten eines Vertreters festgestellt, so kann das Hindernis, d.h. die Unkenntnis darüber, daß die Frist nicht eingehalten wurde, erst dann als weggefallen gelten, wenn der betreffende Vertreter selbst von der Sachlage Kenntnis erhalten hat, da ihm die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben muß, ob ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden soll und welche Begründung und Beweismittel dem Europäischen Patentamt dabei vorzulegen sind.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 122
Schlagwörter: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Übertragung der Zuständigkeit des Vertreters
Gebotene Sorgfalt
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0007/92
J 0022/92
J 0028/92
J 0022/97
J 0007/99
J 0010/99
J 0013/07
J 0011/09
J 0012/09
J 0013/09
J 0014/09
J 0001/13
T 0900/90
T 0381/93
T 0043/96
T 0027/98
T 0172/04
T 0270/05
T 1561/05
T 0261/07
T 0911/07
T 0555/08
T 0578/14

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung der Beschwerdeführerin mit der Nummer 80 900 996.2 wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 3. August 1982 zurückgewiesen.

II. Die Beschwerdeführerin legte mit Schreiben vom 1. Oktober 1982, das am 4. Oktober 1982 einging, Beschwerde gegen die Entscheidung ein. Die Beschwerdegebühr wurde ordnungsgemäß entrichtet und eine Beschwerdebegründung mit Datum vom 6. Dezember 1982 am 8. Dezember 1982 eingereicht.

III. Am 28. Juli 1983 erging ein Bescheid der Technischen Beschwerdekammer, zu dem die Beschwerdeführerin am 31. Oktober 1983 Stellung nahm.

IV. Die gemäß Artikel 86 (1) EPÜ zu zahlende Jahresgebühr für das 5. Jahr, gerechnet vom Anmeldetag an, wurde bis zum Fälligkeitstag (30. April 1984) nicht in voller Höhe gezahlt. Aufgrund eines Versehens der Fernschreiberin in der Kanzlei der zugelassenen Vertreter der Beschwerdeführerin war am 26. April 1984 nur ein als Jahresgebühr für das 4. Jahr ausgewiesener Betrag von 570 DM entrichtet worden. Am 14. Mai 1984 wurde dann die Differenz von 150 DM zwischen dem bereits entrichteten Betrag und dem korrekten Betrag der Jahresgebühr für das 5. Jahr nachgezahlt.

V. Mit Schreiben vom 1. Juli 1984 wies der Geschäftsstellenbeamte der Beschwerdekammern darauf hin, daß die Jahresgebühr als wirksam entrichtet angesehen werden könne, wenn innerhalb von 6 Monaten nach dem Fälligkeitstag eine Zuschlagsgebühr in Höhe von 10 2437534er verspätet gezahlten Jahresgebühr entrichtet würde. Dabei wurde auch auf die Bestimmungen des Artikels 86 (3) EPÜ verwiesen, wonach die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gelte, wenn die Zuschlagsgebühr nicht innerhalb dieser Frist entrichtet werde.

VI. Die Zuschlagsgebühr wurde nicht gezahlt, und am 29. November 1984 stellte das Europäische Patentamt in einer Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ fest, daß die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gelte.

VII. Mit Fernschreiben vom 10. Dezember 1984 gab die Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin Anweisung, ihr laufendes Konto bei der Bank des Europäischen Patentamts sowohl mit der Zuschlagsgebühr als auch mit der Gebühr für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Artikel 122 EPÜ zu belasten.

VIII. Den schriftlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhielt das Europäische Patentamt jedoch erst am 13. Februar 1985, also dem ersten Anschein nach nach Ablauf der in Artikel 122 (2) Satz 1 EPÜ festgelegten zweimonatigen Frist für die Stellung eines solchen Antrags. Deshalb fragte die Beschwerdekammer bei dem Vertreter nach, weshalb zwischen der Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr und der Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung mehr als zwei Monate verstrichen seien.

IX. Mit Fernschreiben vom 19. März 1985, das ordnungsgemäß durch ein Schreiben vom selben Tag bestätigt wurde, erklärte der Vertreter der Beschwerdeführerin, daß die Zahlung der Zuschlagsgebühr und der Wiedereinsetzungsgebühr während einer mehrtägigen Abwesenheit des Vertreters von der Kanzlei von seinem noch in der Ausbildung befindlichen Assistenten eigenmächtig veranlaßt worden sei. Der Assistent sei nach Eingang einer Anfrage betreffs Übertragung um Überprüfung der Akte der europäischen Patentanmeldung gebeten worden und habe dabei den bei der Gebührenzahlung unterlaufenen Fehler entdeckt. Der Beschwerdekammer wurde eine Kopie des Anweisungsblattes für das Fernschreiben vorgelegt, das vom Assistenten unterzeichnet ist und auf dem in seiner Handschrift die Anfangsbuchstaben des Vertreters und die Worte "bei Rückkehr überprüfen" vermerkt sind. Der Vertreter selbst sei von der Sachlage erst am 13. oder 14. Dezember 1984 unterrichtet worden, nachdem er in die Kanzlei zurückgekehrt war. Deshalb sollte die zweimonatige Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags auch vom 13. oder 14. Dezember 1984 an gerechnet werden, womit der Antrag dann rechtzeitig eingereicht worden wäre.

X. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde angeführt, daß die Zuständigkeit für die Zahlung der Jahresgebühr für das 5. Jahr wie üblich der mit erfahrenen Sachbearbeitern besetzten Registratur in der Kanzlei des Vertreters übertragen worden sei. Ein solcher Sachbearbeiter trage die Anweisung zur fernschriftlichen Veranlassung von Gebührenzahlungen in einen Vordruck ein, der dann an die Fernschreiberin gehe. Im vorliegenden Fall sei der Vordruck für die Zahlung der Jahresgebühr für das 5. Jahr vom Sachbearbeiter auch richtig ausgefüllt worden, die Fernschreiberin, die gleichzeitig mehrere Zahlungen der Jahresgebühr für das 4. Jahr zu bearbeiten hatte, habe jedoch versehentlich ein Telex für die Jahresgebühr für das 4. Jahr abgeschickt.

Der Sachbearbeiter habe diesen Fehler später bemerkt; daraufhin sei fernschriftlich die Zahlung des Differenzbetrage zur Jahresgebühr für das 5. Jahr veranlaßt worden. Der unter Nummer V erwähnte Hinweis sei von dem betreffenden Sachbearbeiter falsch verstanden worden; er habe die geforderte Zuschlagsgebühr mit dem bereits gezahlten Differenzbetrag verwechselt, so daß nichts weiter unternommen worden sei.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, damit die europäische Patentanmeldung weiterbearbeitet werden kann.

Entscheidungsgründe

1. In Anbetracht der unter Nummer IX zusammengefaßten Erklärung des Vertreters der Beschwerdeführerin hält es die Kammer für billig, für die Zwecke des Artikels 122 (2) EPÜ den Zeitpunkt, zu dem der zuständige Vertreter erstmals von der Nichtzahlung der Zuschlagsgebühr Kenntnis erhielt, nämlich den 13. oder 14. Dezember 1984, als Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses zu betrachten. Wird ein Fristversäumnis, das einen Rechtsverlust nach dem EPÜ nach sich zieht, von einem Angestellten eines Vertreters festgestellt, so kann das Hindernis, d. h. die Unkenntnis darüber, daß die Frist nicht eingehalten wurde, erst dann als weggefallen gelten, wenn der betreffende Vertreter selbst von der Sachlage Kenntnis erhalten hat, da ihm die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben muß, ob ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden soll und welche Begründung und Beweismittel dem Europäischen Patentamt dabei vorzulegen sind. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt somit als rechtzeitig eingegangen. Ferner ist die entsprechende Gebühr ordnungsgemäß entrichtet und die versäumte Handlung durch Zahlung der Zuschlagsgebühr am 10. Dezember 1984 fristgerecht nachgeholt worden.

2. Das Europäische Patentamt muß jeden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falls prüfen und sich davon überzeugen, daß alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden ist. Im vorliegenden Fall scheint festzustehen, daß es die Fernschreiberin gewohnt war, fernschriftliche Zahlungsanweisungen an die Bank des Europäischen Patentamts zu senden, daß sie sowohl im allgemeinen als auch in diesem besonderen Fall richtig instruiert war und ihr nur ein Versehen unterlief. Auch der Sachbearbeiter war eine erfahrene Kraft und richtig instruiert, wurde jedoch durch die Mitteilungen des Europäischen Patentamts unter den besonderen und ungewöhnlichen Umständen dieses Falls verwirrt. Daß die Zuschlagsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet wurde und die europäische Patentanmeldung somit als zurückgenommen galt, beruht eindeutig auf einem unglücklichen Zusammentreffen von Versehen ansonsten richtig ausgewählter und erfahrener Angestellter.

3. Unter diesen Umständen sieht sich die Kammer nicht veranlaßt, die Fehler der Angestellten dem betreffenden Vertreter anzulasten (vgl. Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer in der Sache J 05/80, ABl. EPA 1981, 343). Die Kammer kann feststellen, daß alle unter den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden ist. Somit kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

Die Beschwerdeführerin wird in den vorigen Stand wiedereingesetzt, und die europäische Patentanmeldung Nr. 80 900 996.2 gilt nicht wegen versäumter Zahlung der Jahresgebühr für das 5. Jahr als zurückgenommen.

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