T 0555/08 () of 4.6.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T055508.20130604
Datum der Entscheidung: 04 Juni 2013
Aktenzeichen: T 0555/08
Anmeldenummer: 99105884.3
IPC-Klasse: G06F 19/00
G06F 17/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten pathophysiologischer Zustände als Zwischenergebnisse der Diagnosefindung
Name des Anmelders: Liebel, Franz-Peter, Dr.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 122
European Patent Convention R 112(1)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/90
J 0016/82
J 0013/83
J 0002/86
J 0005/94
J 0027/01
J 0015/08
J 0008/09
T 0191/82
T 0030/90
T 0936/90
T 0473/91
T 0602/94
T 0046/07
T 0708/08
T 1935/08
T 1962/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1201/10
T 0854/12
T 1426/14

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 99105884.3 wurde am 24. März 1999 eingereicht, und sie wurde durch die am 21. November 2007 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts zurückgewiesen.

II. Gegen die Zurückweisung wurde am 5. Januar 2008 eine begründete und vom Anmelder/Beschwerdeführer selbst unterzeichnete Beschwerde eingereicht; die Beschwerdegebühr wurde am 10. Januar 2008 bezahlt.

III. Mit Schreiben vom 4. Mai 2011 (EPA Form 2522) wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die am 31. März 2011 fällige 13. Jahresgebühr für die europäische Patentanmeldung Nr. 99105884.3 nicht bezahlt wurde. Es wurde darauf hingewiesen, dass die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gelten würde, sollten die Jahresgebühr und die Zuschlagsgebühr nicht bis am letzten Tag des sechsten Kalendermonats nach Fälligkeit entrichtet werden.

IV. Nach Ablauf der Sechsmonatsfrist wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. November 2011 (EPA Form 2524) mitgeteilt, dass die 13. Jahresgebühr und die Zuschlagsgebühr nicht rechtzeitig bzw. nicht in voller Höhe rechtzeitig entrichtet worden seien ("Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 112(1) EPÜ"). Unter dem Titel "Rechtsmittelbelehrung" enthielt das genannte Schreiben unter anderem einen Hinweis auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ.

V. Am 18. Dezember 2011 ging ein von Frau Elke Zimmermann unterzeichnetes und auf den 16. Dezember datiertes Faxschreiben ein, das mit "Antrag auf Wiedereinsetzung der Patentanmeldung 99105884.3 in den vorherigen Zustand nach Art. 122, R.51(4) EPÜ" überschrieben war. In diesem Schreiben wurden kurz die Umstände dargestellt, unter denen die Zahlung der Jahresgebühr versäumt wurde. Eine Gebühr für die Wiedereinsetzung wurde zu diesem Zeitpunkt nicht bezahlt, und es erfolgte auch keine Zahlung der versäumten Jahresgebühr.

VI. Der Kammer lagen keine Informationen vor, dass Frau Zimmermann zugelassene Vertreterin oder in anderer Eigenschaft zur Vertretung in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt berechtigt war. In einem Bescheid vom 27. Dezember 2011 wurde der Beschwerdeführer auf die Regelung der Vertretungsbefugnis in den Verfahren vor dem EPA hingewiesen. Im gleichen Bescheid erfolgte auch ein Hinweis auf Regel 136 EPÜ bezüglich der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung.

VII. Am 10. Januar 2012 ging ein Schreiben ein, das mit dem Faxschreiben vom 16. Dezember 2011 im Wesentlichen identisch, aber vom Beschwerdeführer mitunterzeichnet und mit dem Zusatz "Mit den obigen Ausführungen voll inhaltlich einverstanden" versehen war.

VIII. In ihrem Bescheid vom 19. Januar 2012 teilte die Kammer dem Beschwerdeführer mit, dass das Schreiben vom 10. Januar 2012 als Schreiben des Beschwerdeführers akzeptiert werde, und sie wies den Beschwerdeführer nochmals auf die Erfordernisse von Regel 136 EPÜ hin, insbesondere auf die Gebühr für die Wiedereinsetzung und das Nachholen der versäumten Handlung, d.h. der Bezahlung der 13. Jahresgebühr. Im gleichen Bescheid erklärte die Kammer auch, dass nach ihrer vorläufigen Einschätzung bisher auch keine hinreichende Begründung dafür vorliege, weshalb der Anmelder trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten (unter Verweis auf Artikel 122 EPÜ).

IX. Die 13. Jahresgebühr samt Zuschlagsgebühr und die Wiedereinsetzungsgebühr wurden am 24. Januar 2012 bezahlt.

X. Am 6. September 2012 wurde die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer versandt. In dem mit der Ladung versandten Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass an der mündlichen Verhandlung ausschließlich über die Wiedereinsetzung zu diskutieren und zu entscheiden sein werde.

XI. In seinen Schreiben vom 29. Oktober 2012 und vom 16. November 2012 ergänzte der Beschwerdeführer seine Angaben zum Sachverhalt. Mit dem zweitgenannten Schreiben wurde unter anderem die Kopie eines Überweisungsauftrags eingereicht, mit dem die Umbuchung eines Betrags von 850 EUR vom Privatkonto von Frau Zimmermann auf das Geschäftskonto "Liebel & Zimmermann" veranlasst wurde.

XII. Die mündliche Verhandlung fand am 18. Dezember 2012 statt. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung von Frau Elke Zimmermann. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert.

XIII. Der Beschwerdeführer beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Frist für die Bezahlung der 13. Jahresgebühr.

XIV. Die Umstände, die zum Versäumnis des Fälligkeitstermins für die Zahlung der 13. Jahresgebühr und der sechsmonatigen Nachfrist für die Zahlung mit Zuschlagsgebühr führten, wurden vom Beschwerdeführer in seinen schriftlichen Vorbringen und anlässlich der mündlichen Verhandlung wie folgt dargestellt:

a) Frau Zimmermann ist alleinige Geschäftsführerin der Firma "Liebel & Zimmermann", über die der Beschwerdeführer und Frau Zimmermann unter anderem die der vorliegenden Patentanmeldung zugrunde liegende Erfindung verwerten. Sie war als einzige zur Verfügung über das Geschäftskonto "Liebel & Zimmermann" berechtigt.

b) Nachdem der Beschwerdeführer die notwendigen Schritte im Zusammenhang mit der vorliegenden Patentanmeldung zunächst selbst vorgenommen hatte, überließ er Frau Zimmermann ab ca. 2007 oder 2008 den Schriftverkehr und die Gebührenzahlung bezüglich der vorliegenden und weiterer Patentanmeldungen. Bei dieser Gelegenheit übergab er Frau Zimmermann eine Liste, auf der für jede Patentanmeldung die Nummer und das Anmeldedatum etc. angegeben waren sowie die Daten der erfolgten Gebührenzahlungen. Die Liste enthielt keine Angaben bezüglich Höhe und Fälligkeit der in Zukunft zu entrichtenden Gebühren.

c) Der Beschwerdeführer wusste, dass Frau Zimmermann in Patentangelegenheiten bewandert war. An ihn gesandte Korrespondenz des europäischen Patentamts übergab er Frau Zimmermann persönlich zur Ablage, wenn sie sich trafen. Da die Wohnorte der beiden ca. 500-600 Kilometer auseinander lagen, trafen sie sich nicht regelmäßig.

d) Am 31. Januar 2011 wollte Frau Zimmermann die Bezahlung der am 31. März 2011 fälligen 13. Jahresgebühr veranlassen. Anlässlich eines Besuchs bei der Sparkasse Bielefeld ließ sie den Filialleiter ein Überweisungsformular für die Überweisung der Jahresgebühr an das europäische Patentamt ausfüllen. Das Formular bezog sich auf eine Überweisung von 850 EUR vom Privatkonto von Frau Zimmermann auf das Geschäftskonto "Liebel & Zimmermann". Es wurde von Frau Zimmermann unterzeichnet.

e) Frau Zimmermann beabsichtigte, eine Zahlung von ihrem Privatkonto direkt an das Europäische Patentamt zu veranlassen. Dass der Filialleiter der Sparkasse eine Überweisung auf das Geschäftskonto erwirkte, konnte sie sich nachträglich nur mit dem Wissen des Filialleiters erklären, dass für die Zukunft beabsichtigt war, die Gebührenzahlungen an das europäische Patentamt ab dem Geschäftskonto vorzunehmen. Frau Zimmermann ging davon aus, dass die Zahlung an das europäische Patentamt erfolgt war; entsprechend unternahm sie keine weiteren Schritte im Hinblick auf eine Überweisung vom Geschäftskonto an das europäische Patentamt.

f) Die Höhe des Überweisungsbetrags von 850 EUR (die 13. Jahresgebühr hätte 1420 EUR betragen) erklärte Frau Zimmermann an der mündlichen Verhandlung damit, dass sie davon ausgegangen sei, die Jahresgebühr betrage 850 EUR, und dass sie den Hinweis auf diesen Betrag der Publikation "Nationales Recht zum EPÜ" des europäischen Patentamts entnommen habe, wo für Deutschland die Gebühr von 850 EUR genannt worden sei.

g) Nachdem die Mitteilung vom 4. Mai 2011 betreffend die nicht bezahlte Jahresgebühr (vgl. vorn Punkt III) beim Beschwerdeführer eingegangen war, meldete er sich umgehend telefonisch bei Frau Zimmermann. Frau Zimmermann erklärte in einem zweiten Telefongespräch nach einem Blick in die Kontounterlagen, dass die Überweisung erfolgt sei. Diese Auskunft erschien dem Beschwerdeführer überzeugend, und er unternahm keine weiteren Schritte mehr im Zusammenhang mit der Zahlung der Jahresgebühr. Die Mitteilung vom 4. Mai 2011 wurde nicht an Frau Zimmermann weitergeleitet.

h) Da sowohl Frau Zimmermann als auch der Beschwerdeführer davon ausgingen, die 13. Jahresgebühr sei bezahlt, wurden keine weiteren Schritte mehr unternommen, bis die Mitteilung über den erfolgten Rechtsverlust vom 16. November 2011 (vgl. vorn Punkt IV) eintraf.

i) Die Mitteilung über den Rechtsverlust wurde vom Beschwerdeführer kurzfristig an Frau Zimmermann weitergeleitet. Frau Zimmermann wandte sich in der Folge an den zuständigen Formalsachbearbeiter im Europäischen Patentamt (in der Mitteilung vom 16. November 2011 angegebene Telefonnr. +31 (0)70 340 45 00, vgl. den Hinweis im Schreiben vom Frau Zimmermann vom 16. Dezember 2011), um die Angelegenheit zu klären.

XV. Am Ende der mündlichen Verhandlung erklärte die Vorsitzende die sachliche Debatte über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Bezahlung der 13. Jahresgebühr für beendet und stellte die schriftliche Verkündung der Entscheidung in Aussicht.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit von Beschwerde und Wiedereinsetzungsantrag

1.1 Die Beschwerde wurde innerhalb der Zweimonatsfrist nach Zustellung der Zurückweisungsentscheidung eingereicht; die Beschwerdegebühr wurde ebenfalls vor Ablauf dieser Frist entrichtet (Artikel 108 EPÜ, vgl. vorn Punkt II). Die Beschwerde ist zulässig.

1.2 Der vom Beschwerdeführer unterzeichnete Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist für die Bezahlung der 13. Jahresgebühr wurde am 10. Januar 2012 eingereicht (vorn Punkt VII); die Gebühr für die Wiedereinsetzung ging am 24. Januar 2012 ein, zusammen mit der versäumten 13. Jahresgebühr samt Zuschlagsgebühr (vorn Punkt IX). Die Mitteilung über den Rechtsverlust wurde am 16. November 2011 versandt (vorn Punkt IV). Das Datum der Zustellung der Mitteilung über den Rechtsverlust an den Beschwerdeführer ist nicht dokumentiert. Die Kammer geht davon aus, dass die Zustellung spätestens am 26. November 2011 erfolgt war, und sie geht zu Gunsten des Beschwerdeführers davon aus, dass die genannten Handlungen rechtzeitig erfolgten. Da die Einreichung des Antrags auf Wiedereinsetzung, die Bezahlung der Wiedereinsetzungsgebühr und das Nachholen der versäumten Handlung innerhalb der Frist gemäß Regel 136(1) EPÜ erfolgten, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung zulässig (zur Frage, ob er auch begründet ist, vgl. nachstehend Punkt 3).

2. Zuständigkeit der Beschwerdekammer für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung

2.1 Wird eine Jahresgebühr nicht rechtzeitig entrichtet, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen (Artikel 86(1) EPÜ). Diese Fiktion einer Rücknahme führt zu einem von Gesetzes wegen (d.h. ohne Entscheidung) eintretenden Rechtsverlust (G 1/90, ABl EPA 1991, 275, Punkt 4). Die Mitteilung eines solchen Rechtsverlusts nach Regel 112(1) EPÜ (welche mit Ausnahme einiger sprachlicher Änderungen der Regel 69(1) EPÜ 1973 entspricht) ist daher keine Entscheidung, gegen die allenfalls eine Beschwerde erhoben werden könnte, sondern – wie bereits aus dem Titel und dem Wortlaut von Regel 112(1) EPÜ hervorgeht – lediglich eine Feststellung (vgl. J 13/83, Punkt 4; Rechtsauskunft 16/85, ABl EPA 1985, 141). Der nach der Nichtzahlung einer Jahresgebühr festgestellte Rechtsverlust kann allenfalls durch die Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der Jahresgebühr vermieden werden.

2.2 Mit der Einleitung eines Beschwerdeverfahrens geht die Zuständigkeit für den Fall von der ersten Instanz auf die Beschwerdekammern über (sogenannter Devolutiveffekt, vgl. dazu T 473/91, ABl EPA 1993, 630, Punkt 1.2). Im vorliegenden Fall trat der Rechtsverlust während des laufenden Beschwerdeverfahrens ein. Die Beurteilung des vorliegenden Wiedereinsetzungsgesuchs fällt daher in die Zuständigkeit der mit dem hängigen Beschwerdeverfahren befassten Beschwerdekammer (vgl. z.B. T 191/82, ABl EPA 1985, 189; T 936/90, Punkt 1; T 708/08; T 1935/08).

3. Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags

3.1 Vor dem Hintergrund der im schriftlichen Verfahren vorgebrachten und an der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutierten Sachlage ist in Anwendung von Artikel 122(1) EPÜ zu entscheiden, ob der Anmelder / Beschwerdeführer die Frist für die Zahlung der 13. Jahresgebühr "trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt" versäumt hat.

3.2 Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung und ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann einem Antrag auf Wiedereinsetzung nur dann stattgegeben werden, wenn der Antragsteller alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat und er trotzdem daran gehindert war, die Frist einzuhalten. Für die Zwecke des Artikels 122(1) EPÜ müssen die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit gewürdigt werden. Das Sorgfaltsgebot muss anhand der Situation beurteilt werden, wie sie vor Ablauf der Frist bestand. Unter "aller gebotenen Sorgfalt" ist das Maß an Sorgfalt zu verstehen, das der hinreichend kompetente durchschnittliche Patentanmelder bzw. Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen aufwenden würde (vgl. T 30/90, Punkt 3).

3.3 Wenn der Patentanmelder im gesamten Prüfungsverfahren nicht durch einen zugelassenen Vertreter vertreten und für die Zahlung der Jahresgebühren allein verantwortlich war, gelten zwar gemilderte Maßstäbe an die zu wahrende Sorgfalt, Sorgfaltspflichten im Verfahren gelten jedoch auch in diesem Fall. Ein solcher Anmelder, der sich nicht der Hilfe eines berufsmäßigen Vertreters bedient, hat sich im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst darauf einzurichten, dass er die im Lauf des Erteilungsverfahrens notwendigen Handlungen ordnungs- und fristgemäß vornehmen kann, um Rechtsverluste zu vermeiden. Er kann sich weder generell auf Rechtsunkenntnis berufen, noch darf er zumutbare Vorkehrungen zur Fristwahrung unterlassen (J 5/94, Punkt 3.1, J 15/08, Punkt 3.2.1 mit weiteren Hinweisen; J 8/09, Punkt 4.2 mit weiteren Hinweisen).

3.4 Zu den zumutbaren Vorkehren zur Verhinderung von Fristversäumnissen gehört ein System zur Überwachung der laufenden Fristen. Ob ein solches System auf Papier gestützt ist oder elektronisch (z.B. mit spezieller Software oder mittels einer Excel-Tabelle) funktioniert, spielt dabei keine Rolle (vgl. T 1962/08, Punkt 5.2.4 a).

3.5 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern gilt im Zusammenhang mit Fristversäumnissen die gebotene Sorgfalt als beachtet, wenn die Fristversäumung entweder durch – hier nicht geltend gemachte – außerordentliche Umstände wie z.B. Krankheit oder durch ein "einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem" verursacht worden ist (vgl. J 2/86, ABl EPA 1987, 362, Leitsatz und Punkt 4).

3.6 Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer die Bezahlung der Jahresgebühren und die sonstigen administrativen Arbeiten im Zusammenhang mit der Patentanmeldung seiner Geschäftspartnerin, Frau Zimmermann, überlassen. Ein Anmelder oder Vertreter ist nicht verpflichtet, alle Handlungen, die er gegenüber dem EPA durchzuführen hat, selbst vorzunehmen. Hat der Anmelder oder Vertreter solche Handlungen einer Hilfsperson übertragen, so wird ihm ein Fehlverhalten dieser Hilfsperson aber nur bei Vorliegen ganz bestimmter, von ihm selbst zu erfüllender Voraussetzungen nicht angelastet. Er muss die Hilfsperson sorgfältig ausgewählt, sie mit ihren Aufgaben vertraut gemacht und bei deren Ausführung in vernünftigem Umfang überwacht haben (J 16/82, ABl EPA 1983, 262, Punkt 5 mit weiteren Hinweisen). Der Begriff der "Hilfsperson" im Sinne dieser Rechtsprechung bezieht sich nicht auf die hierarchische Stellung dieser Person im Verhältnis zum Anmelder oder Vertreter, sondern allein darauf, dass diese Person dem Anmelder oder Vertreter gewisse Arbeiten im Zusammenhang mit den gegenüber dem EPA durchzuführenden Handlungen abnimmt. Frau Zimmermann ist deshalb im Hinblick auf die Beurteilung des Fristversäumnisses als Hilfsperson zu betrachten. Die Sorgfaltspflichten treffen auch beim Beizug von Hilfspersonen primär den Anmelder, wenn er nicht einen zugelassenen Vertreter für sich handeln lässt. Beim Fehlverhalten einer Hilfsperson ist zu beurteilen, ob dieses auf eine ungenügende Auswahl, Instruktion und/oder Überwachung durch den Anmelder zurückzuführen ist.

3.7 Im Hinblick auf die Überwachung der Fristen für die Zahlung der Jahresgebühren stellt die Kammer fest, dass der Anmelder im fraglichen Zeitraum keine Fristen überwachte. Diese Aufgabe überließ er Frau Zimmermann, der er 2007 oder 2008 eine Liste übergab, auf der unter anderem für jede Patentanmeldung das Anmeldedatum und die Daten der erfolgten Gebührenzahlungen angegeben war. Die Höhe und Fälligkeiten der in Zukunft zu entrichtenden Gebühren waren nicht in dieser Liste verzeichnet (Sachverhalt und Anträge, Punkt XIV b)). Dass diese Fälligkeiten bzw. Fristen auf andere Weise dokumentiert oder überwacht wurden, hat der Beschwerdeführer nicht vorgetragen.

3.8 Ob ein Anmelder die Fristenkontrolle als Ganzes an eine Hilfsperson übertragen darf, ohne das Sorgfaltsgebot von Artikel 122(1) EPÜ zu verletzen, ist für die Kammer fraglich, kann aber offen bleiben. Die Sorgfaltspflicht ist auf jeden Fall nur dann gewahrt, wenn die gewählte Hilfsperson im Hinblick auf diese Aufgabe genügend qualifiziert ist und wenn sichergestellt ist, dass sie über sämtliche Informationen verfügt, die sie für die zuverlässige Fristwahrung benötigt.

3.9 Frau Zimmermann hätte auf der Grundlage der ihr übergebenen Liste nur dann eine zuverlässige Fristenüberwachung und Gebührenzahlung sicherstellen können, wenn sie die einschlägigen Vorschriften des EPÜ und der Gebührenordnung gekannt hätte und die allenfalls noch fehlenden Informationen aus dem Europäischen Patentregister bezogen hätte. Obwohl Frau Zimmermann bereits andere Aufgaben im Zusammenhang mit Patentanmeldungen des Beschwerdeführers korrekt erledigt hatte, durfte der Beschwerdeführer nicht davon ausgehen, dass seine Geschäftspartnerin genügend qualifiziert war, selbst die nötigen Informationen über Höhe und Fälligkeit der zukünftigen Jahresgebühren zu beschaffen. Diese Informationen, deren Kenntnis beim Anmelder vorausgesetzt wird (vgl. vorn Punkt 3.3), hätten Frau Zimmermann in geeigneter Form übergeben werden müssen. Das Unterlassen dieser Übergabe bedeutet, dass die als Hilfsperson tätige Frau Zimmermann nicht genügend mit ihren Aufgaben vertraut gemacht bzw. instruiert wurde.

3.10 Da alle Korrespondenz des EPA an den Beschwerdeführer gerichtet war, hätte der Beschwerdeführer sicherstellen müssen, dass diese systematisch und möglichst unverzüglich an Frau Zimmermann weitergeleitet wurde. Die Weiterleitung eingehender Post vorzusehen, stellt auch für einen nicht vertretenen Einzelanmelder weder ein technisches noch ein wirtschaftlich unzumutbares Problem dar (vgl. J 27/01, Punkt 3.3.2). Eine bloß sporadische persönliche Übergabe der eingegangenen Korrespondenz (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt XIV c) erlaubt es einer Hilfsperson nicht, eine einheitliche, aktuelle Ablage zu führen. Eine solche Ablage wäre aber erforderlich, um einen Überblick über die schon getätigten und die in Zukunft nötigen Handlungen zu haben. Das Unterlassen einer systematischen und raschen Weiterleitung der Korrespondenz stellt daher einen weiteren Mangel der Instruktion der Hilfsperson dar.

3.11 Dass die Mitteilung vom 4. Mai 2011 betreffend die nicht bezahlte 13. Jahresgebühr nicht sofort an Frau Zimmermann weitergeleitet wurde (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt XIV g)), war kein einmaliges Versehen, sondern entsprach den geübten Gepflogenheiten. Die Mitteilung enthielt unter anderem Angaben über die Höhe der Jahresgebühr (1420 EUR) und die bei verspäteter Zahlung zu entrichtende Zusatzgebühr (710 EUR). Hätte ihr die Mitteilung vorgelegen, hätte Frau Zimmermann leicht erkennen können, dass der von ihr vermeintlich an das EPA überwiesene Betrag (850 EUR, vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt XIV d), e), f)) nicht ausreichend war und dass zumindest zusätzliche Abklärungen nötig waren. Möglicherweise hätte sie sich telefonisch an den zuständigen Formalsachbearbeiter im EPA gewandt; die Telefonnummer stand auf der Mitteilung vom 4. Mai 2011. Durch eine vollständige und rechtzeitige Instruktion der Hilfsperson, zu der auch eine rechtzeitige Weiterleitung der Mitteilung vom 4. Mai 2011 gehört hätte, wäre der Rechtsverlust also mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermeiden gewesen.

3.12 Der Beschwerdeführer erkundigte sich nach Erhalt der Mitteilung vom 4. Mai 2011 telefonisch bei Frau Zimmermann über den Stand der Bezahlung der Jahresgebühren. Aufgrund ihrer Aussage, dass die fragliche Jahresgebühr bezahlt sei, unternahm er keine weiteren Schritte mehr bis zum Erhalt der Mitteilung über den Rechtsverlust (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt XIV g), h)). Er erkundigte sich insbesondere auch nicht selbst beim EPA.

3.13 Der Beschwerdeführer gab sich mit einer telefonischen Auskunft von Frau Zimmermann zufrieden, die im Widerspruch zum Inhalt der ihm vorliegenden Mitteilung des EPA vom 4. Mai 2011 stand. In der Mitteilung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die Jahresgebühr von 1420 EUR bis zur Fälligkeit am 31. März 2011 nicht bezahlt wurde und dass der Rechtsverlust durch eine Zahlung von 2130 EUR bis zum Ablauf des sechsten Kalendermonats nach Fälligkeit noch vermieden werden konnte. Durch gezielte Fragen nach der Überweisung und dem überwiesenen Betrag hätte er schnell feststellen können, dass keine korrekte Zahlung erfolgt war.

3.14 Werden mündliche Aussagen einer Hilfsperson unkritisch als zutreffend akzeptiert, obwohl Zweifel an dieser Aussage bestehen mussten, wird der im Hinblick auf Artikel 122(1) EPÜ erforderliche Sorgfaltsstandard nicht erfüllt (vgl. T 602/94, Punkt 3). Die fehlende Nachfrage bzw. Nachprüfung ist im Zusammenhang mit der erforderlichen Überwachung der eingesetzten Hilfspersonen zu sehen. Insbesondere wenn Anzeichen für ein mögliches Fehlverhalten vorliegen, müsste geprüft werden, ob eine Hilfsperson den ihr übertragenen Aufgaben in korrekter Weise nachkommt. Für den Beschwerdeführer wäre es zumutbar und geboten gewesen, die Aussage von Frau Zimmermann (z.B. durch einen Anruf bei der auf der Mitteilung angegebenen Nummer) zu überprüfen.

3.15 Selbst wenn die Kammer zu Gunsten des Beschwerdeführers davon ausgeht, dass er ohne Verletzung des aus Artikel 122(1) EPÜ fließenden Sorgfaltsgebots sämtliche Handlungen im Zusammenhang mit der Bezahlung der Jahresgebühren (einschließlich der Fristenüberwachung) an Frau Zimmermann als Hilfsperson delegieren durfte, wurden die Sorgfaltspflichten des Beschwerdeführers beim Einsatz von Frau Zimmermann verletzt. Sie wurde nicht genügend instruiert, um ihre Aufgabe zuverlässig erledigen zu können (vorn Punkte 3.9 bis 3.11), und sie wurde – insbesondere nach dem erhaltenen Hinweis des EPA auf die nicht erfolgte Zahlung der Jahresgebühr auch nicht genügend überwacht (vorn Punkte 3.12 bis 3.14).

3.16 Dass die von Frau Zimmermann veranlasste Überweisung auf das von ihr verwaltete Geschäftskonto und nicht an das Europäische Patentamt ging (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt XIV e)), ist unter diesen Umständen ohne Bedeutung. Wenn die überwiesenen 850 EUR an das Amt gelangt wären, wäre die am 4. Mai 2011 versandte Mitteilung ebenfalls versandt worden und der Rechtsverlust wäre in gleicher Weise eingetreten. Dass nur 850 EUR (statt der vorgeschriebenen Jahresgebühr von 1420 EUR) überwiesen wurden, muss auf die mangelhafte Instruktion von Frau Zimmermann durch den Beschwerdeführer zurückgeführt werden.

3.17 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass der Beschwerdeführer nicht die erforderliche Sorgfalt im Umgang mit der Zahlung der versäumten Jahresgebühr walten ließ, so dass die Voraussetzungen von Artikel 122(1) EPÜ nicht erfüllt sind und der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet ist.

4. Abschluss des Verfahrens

4.1 Weil dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattgegeben werden kann, wird der am 16. November 2011 mitgeteilte Rechtsverlust (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt IV) endgültig. Damit ist auch das Beschwerdeverfahren gegenstandslos geworden und kann in gleicher Weise beendet werden wie nach einem Rechtsverlust, auf den der Anmelder nicht reagiert hat.

4.2 Da der Rechtsverlust bereits vor dem 16. November 2011 eintrat und das Erteilungsverfahren durch die Mitteilung an diesem Datum beendet wurde, sind die nach diesem Datum erfolgten Zahlungen von Jahresgebühren ohne Rechtsgrund erfolgt und werden zurückerstattet (vgl. z.B. T 46/07, Punkt 2.2, T 708/08, Punkt 3). Die Rückerstattung betrifft somit die dreizehnte und alle späteren bereits bezahlten Jahresgebühren samt Zuschlagsgebühren.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird zurückgewiesen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist beendet.

3. Die 13. Jahresgebühr und alle bereits bezahlten, späteren Jahresgebühren samt Zuschlagsgebühren werden zurückerstattet.

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