T 1952/19 () of 4.4.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T195219.20220404
Datum der Entscheidung: 04 April 2022
Aktenzeichen: T 1952/19
Anmeldenummer: 13162703.6
IPC-Klasse: H02J 9/06
H02J 9/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Unterbrechungsfreie Stromversorgung und Netzersatzanlage
Name des Anmelders: Siemens Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0301/17
T 0664/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentanmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 13 162 703.6 zurückgewiesen wurde.

II. Das folgende Dokument ist für diese Entscheidung relevant:

D5: US 2002/0114983 A1

III. In der angefochtenen Entscheidung war die Prüfungsabteilung zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des damaligen einzigen Antrags nicht neu sei gegenüber dem Dokument D5.

IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin mit, dass der von der Prüfungsabteilung gegen den damaligen Hauptantrag erhobene Einwand unter Artikel 54 EPÜ auch der Gewährbarkeit des Anspruchs 1 des mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten Hauptantrags entgegenstehen dürfte.

V. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 4. April 2022 als Videokonferenz statt.

Die Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) beantragte,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und

ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags.

VI. Anspruch 1 des Hauptantrags hat den folgenden Wortlaut:

"Unterbrechungsfreie Stromversorgung (1), umfassend ein Basisgerät (2), ein Batteriemodul (3), einen Eingangsklemmbereich (4) zum Anschluss an ein Einspeise-Netz (5), einen Ausgangsklemmbereich (6) zum Anschluss eines elektrischen Verbrauchers (7) ausgestaltet, den Verbraucher (7) zu versorgen und zusätzlich bei Störungen in einer Versorgungsspannung des Einspeise-Netzes (5) die Versorgung des elektrischen Verbrauchers (7) mittels des Batteriemoduls (3) sicherzustellen, wobei der Verbraucher (7) mit einer Versorgungsspannung mittels des Batteriemoduls versorgt wird,

g e k e n n z e i c h n e t durch ein Eigenstartmittel (10), umfassend einen Signaleingang (11), eine Auswerteeinheit (12), ein Mittel (13) zum Bereitstellen einer Hilfsspannung (15), ausgestaltet um die unterbrechungsfreie Stromversorgung (1) auch ohne Vorhandensein des Einspeise-Netzes (5) bzw. dessen Versorgungsspannung erstmalig zu starten und damit ein Aufschalten des an den Ausgangsklemmbereich (6) angeschlossenen Verbrauchers (7) zu ermöglichen."

VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags ist eine Kombination der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags und weist somit gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags das folgende zusätzliche Merkmal auf:

"dadurch gekennzeichnet, dass der Signaleingang (11) derart gestaltet ist, dass ein Schaltmittel (14) anschließbar ist und die Auswerteeinheit (12) ausgestaltet ist, ein Betätigen des Schaltmittels (14) als eine Eigenstartaktion zu werten, wobei die Auswerteeinheit (12) an das Mittel (13) zum Bereitstellen der Hilfsspannung (15) angeschlossen ist, und das Mittel (13) zum Bereitstellen der Hilfsspannung (15) ausgestaltet ist, auf ein Signal der Auswerteeinheit (12) zu reagieren und dem Basisgerät (2) die Hilfsspannung für einen Eigenstart zur Verfügung zu stellen."

VIII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin waren wie folgt:

Hauptantrag

Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, nicht mehr zu bestreiten, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei gegenüber dem Dokument D5.

Hilfsantrag

Der Hilfsantrag sei im Beschwerdeverfahren unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 zu berücksichtigen. Es lägen außergewöhnliche Umstände vor, welche seine Einreichung erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer rechtfertigten. So sei die für die vorliegende Beschwerdesache zuständige Sachbearbeiterin der Beschwerdeführerin zwischenzeitlich nicht mehr für die Beschwerdeführerin tätig. Es sei dem nunmehr zuständigen Sachbearbeiter daher nicht möglich gewesen, bereits zu einem früheren Zeitpunkt, insbesondere mit der Beschwerdebegründung oder spätestens nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer, geeignete Hilfsanträge einzureichen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu gegenüber dem Dokument D5. D5 offenbart:

Eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (100, Figuren 1 und 2), umfassend

- ein Basisgerät (200),

- ein Batteriemodul (150),

- einen Eingangsklemmbereich (108) zum Anschluss an ein Einspeise-Netz (96),

- einen Ausgangsklemmbereich (110) zum Anschluss eines elektrischen Verbrauchers (90) ausgestaltet, den Verbraucher (90) zu versorgen und zusätzlich bei Störungen in einer Versorgungsspannung des Einspeise-Netzes die Versorgung des elektrischen Verbrauchers (90) mittels des Batteriemoduls (150) sicherzustellen, wobei der Verbraucher (90) mit einer Versorgungsspannung mittels des Batteriemoduls versorgt wird (siehe Absatz [0031]).

Aufweisend ferner Eigenstartmittel, umfassend

- einen Signaleingang (implizit in Absatz [0032]: "... the control system senses the loss of grid power ..."),

- eine Auswerteeinheit ("control system", Absatz [0032]),

- ein Mittel (150) zum Bereitstellen einer Hilfsspannung (siehe Absatz [0031]: "The battery is connected through the power conditioning system 160 to the output power receptacle 110 to provide AC power ..."),

- ausgestaltet um die unterbrechungsfreie Stromversorgung (100) auch ohne Vorhandensein des Einspeise-Netzes (96) bzw. dessen Versorgungsspannung erstmalig zu starten und damit ein Aufschalten des an den Ausgangsklemmbereich (110) angeschlossenen Verbrauchers (90) zu ermöglichen (siehe Absätze [0024], [0031] und [0032]).

2.2 Das Dokument D5 in Absatz [0031] offenbart insbesondere unmittelbar und eindeutig, dass das Batteriemodul im Notbetrieb die Versorgung des Verbrauchers übernimmt, wenn auch nur kurzzeitig. Aus Anspruch 1 ergibt sich weder, dass das Batteriemodul dauerhaft während des Notbetriebs die Stromversorgung übernimmt noch, dass es sich bei dem Batteriemodul um die einzige Energiequelle der unterbrechungsfreien Stromversorgung handelt.

Demnach ist es auch unerheblich, dass nach der Lehre der D5 ein Brennstoffzellensystem als Hauptenergieversorger im Pufferbetrieb zum Einsatz kommt. Anspruch 1 schließt nämlich nicht aus, dass neben dem Batteriemodul noch weitere Energiequellen vorhanden sind.

2.3 Des Weiteren offenbart das Dokument D5 nicht nur die kurzfristige Energieversorgung bis zur Einsatzbereitschaft des Brennstoffzellensytems. Vielmehr offenbart das Dokument D5 in Absatz [0031] auch die zusätzliche Bereitstellung von Energie durch das Batteriemodul zum Ausgleich von Stromspitzen während der gesamten Dauer des Notbetriebes.

2.4 Es ergeben sich auch keine Unterschiede zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem Dokument D5 im Hinblick auf das "Eigenstartmittel" gemäß Anspruch 1.

Das Eigenstartmittel umfasst nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 einen Signaleingang, eine Auswerteeinheit sowie ein Mittel zum Bereitstellen einer Hilfsspannung. Ferner soll das Eigenstartmittel ausgestaltet sein, um die unterbrechungsfreie Stromversorgung auch ohne Vorhandensein des Einspeise-Netzes bzw. dessen Versorgungsspannung erstmalig zu starten und damit ein Aufschalten des an den Ausgangsklemmbereich angeschlossenen Verbrauchers zu ermöglichen.

Die in Anspruch 1 enthaltene Definition des Eigenstartmittels besagt nicht, wie die genannten technischen Mittel zur Erfüllung des in Anspruch 1 genannten Zwecks zusammenwirken, wie diese in dem "Eigenstartmittel" eingefügt bzw. verschaltet sind und auch nicht, wie die Hilfsspannung konkret erzeugt wird.

Vor diesem Hintergrund ist die Kammer überzeugt, dass ein Signaleingang zwingend vorhanden sein muss, denn die Steuerung ("control system", siehe Absatz [0032]) erfasst jedenfalls einen Ausfall des Versorgungsnetzes. Es muss ferner zwingend eine Auswerteeinheit zur Erfassung der Stellung "POWERCELL" des Schalters 124 sowie zur Erkennung des Ausfalls des Versorgungsnetzes vorgesehen sein. Darüber hinaus sind Mittel zum Bereitstellen einer Hilfsspannung in Form des Batteriesystems 150 unmittelbar und eindeutig in D5 offenbart.

Mangels jedweder weitergehender Definition dieser Elemente in Anspruch 1 kann die Kammer keine Unterschiede zu der in D5 offenbarten unterbrechungsfreien Stromversorgung erkennen.

2.5 Weiterhin offenbart D5 insbesondere in Absatz [0032], dass die unterbrechungsfreie Stromversorgung auch ohne Vorhandensein des Einspeise-Netzes bzw. dessen Versorgungsspannung erstmalig gestartet wird und damit ein Aufschalten des an den Ausgangsklemmbereich angeschlossenen Verbrauchers ermöglicht wird:

"When the mode switch 124 is in the "POWERCELL" position, the control system senses the loss of grid power and switches to AC power derived from the battery system 150 ..."

2.6 Die obigen Feststellungen der Kammer stehen im Einklang mit der in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 dargelegten vorläufigen Meinung der Kammer (siehe Punkte 5 bis 8 dieser Mitteilung).

2.7 In Abweichung ihrer bis dahin schriftlich vorgebrachten Argumente, hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritten, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu ist gegenüber dem Dokument D5.

2.8 Die Kammer hat daher entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu ist gegenüber dem Dokument D5 (Artikel 54 EPÜ). Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.

3. Hilfsantrag - Berücksichtigung im Beschwerdeverfahren (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

3.1 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020, anwendbar unter Artikel 25 (1) VOBK 2020, bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.2 Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichte Hilfsantrag umfasst die Merkmale der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags. Er stellt insoweit eine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 dar. Die Beschwerdeführerin hat dies nicht bestritten.

3.3 Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern, dass ein Vertreterwechsel keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt, der verspätetes Vorbringen zu rechtfertigen vermag, denn anderenfalls wäre es in das Belieben der Partei gestellt, das Verfahren zu steuern, indem strategisch ein neuer Vertreter bestellt wird (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, V.A.4.8.2; zu Artikel 13 (2) VOBK 2020: T 301/17, Entscheidungsgründe 2.1; T 664/17, Entscheidungsgründe 2.4). Dies gilt auch für den Fall, dass die Zuständigkeit für die Beschwerdesache von einem Sachbearbeiter auf einen anderen Sachbearbeiter der Beschwerdeführerin übertragen wird.

3.4 Die Kammer hält das Argument der Beschwerdeführerin zwar für plausibel, wonach der nunmehr zuständige Sachbearbeiter das Verfahren betreffend die vorliegende Patentanmeldung anders geführt hätte als seine Vorgängerin und insbesondere zu einem früheren Zeitpunkt im Verfahren ein oder mehrere Hilfsanträge eingereicht hätte. Dies allein stellt jedoch noch keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der die erstmalige Einreichung des Hilfsantrags in der mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnte.

Andere stichhaltige Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 hat die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.

3.5 Der Vollständigkeit halber bemerkt die Kammer, dass die Einreichung des Hilfsantrags ohnehin bereits im erstinstanzlichen Verfahren veranlasst gewesen wäre (Artikel 12 (4) VOBK 2007, anwendbar unter Artikel 25 (2) VOBK 2020). Die Prüfungsabteilung hatte nämlich bereits in ihrer Mitteilung vom 29. März 2018 das Dokument D5 eingeführt und dargelegt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des einzigen Antrags nicht neu sei gegenüber diesem Dokument.

Mit Schreiben vom 18. Juli 2018 hat die beschwerdeführende Patentanmelderin in Reaktion auf die Mitteilung der Prüfungsabteilung lediglich redaktionell überarbeitete, substantiell jedoch unveränderte Ansprüche eingereicht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte für die Beschwerdeführerin jedoch Veranlassung bestanden, ein oder mehrere Hilfsanträge für den Fall einzureichen, dass die Prüfungsabteilung ihre Meinung in Bezug auf den damaligen einzigen Antrag im Lichte des Dokuments D5 nicht ändern würde. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Patentanmelderin im erstinstanzlichen Verfahren keine mündliche Verhandlung beantragt hatte.

3.6 Die Kammer hat daher entschieden, ihr Ermessen unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 dahingehend auszuüben, den Hilfsantrag im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt zu lassen.

4. Ergebnis

Da der Hauptantrag der Beschwerdeführerin nicht gewährbar war und der Hilfsantrag im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt geblieben ist, war die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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