European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T066417.20210505 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 05 Mai 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0664/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 13160977.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | H01H 33/91 H01H 33/90 H01H 3/42 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Druckgasschalter | ||||||||
Name des Anmelders: | ALSTOM Technology Ltd | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Siemens Aktiengesellschaft | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Einspruchsgrund - mangelnde Neuheit (ja) Änderung des Beschwerdevorbringens - Rücknahme und Wiedereinführung des ursprünglichen Hauptantrages nach Erhalt der Ladung Änderung des Beschwerdevorbringens - außergewöhnliche Umstände (ja) Änderung des Beschwerdevorbringens - neue Hilfsanträge nach Erhalt der Ladung Änderung des Beschwerdevorbringens - außergewöhnliche Umstände (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 17. Januar 2017, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 645 396 aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.
Die Einspruchsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt insbesondere neu sei gegenüber dem Druckgasschalter aus Dokument
D1: KR 200378595.
II. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 24. Juni 2020, teilte die Kammer den Verfahrensbeteiligten ihre vorläufige gegenteilige Meinung mit, nach der der Gegenstand von Anspruch 1 im Hinblick auf Dokument D1 nicht neu sein dürfte.
III. Daraufhin reichte die Beschwerdegegnerin am 8. Dezember 2020 einen neuen Hauptantrag und einen Hilfsantrag 1 ein, die den einzigen ursprünglichen Antrag - die Zurückweisung der Beschwerde - ersetzen sollten.
Hierauf erklärte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 31. März 2021, wieder zum ursprünglichen Hauptantrag zurückzukehren. Sie beantragte weiterhin hilfsweise, das Streitpatent auf Grundlage der Ansprüche eines weiteren Hilfsantrag I aufrechtzuerhalten. Der Hauptantrag und der Hilfsantrag 1 vom 8. Dezember 2021 würden als Hilfsanträge II und III verfolgt.
IV. Am 5. Mai 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer per Videokonferenz mit Zustimmung der Beteiligten statt. Die Schlussanträge der Beteiligten waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 645 396.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte,
die Beschwerde zurückzuweisen,
hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 31. März 2021 eingereichten Hilfsanträge I bis III aufrechtzuerhalten.
V. Der Wortlaut von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (also wie erteilt) lautet wie folgt:
"Druckgasschalter mit folgenden Merkmalen:
der Druckgasschalter weist eine erste Unterbrechungsstelle und eine zweite Unterbrechungsstelle auf,
wobei die erste Unterbrechungsstelle einen Kontakteinheitskörper (4) und einen Kontaktkörper (10) umfasst
und wobei die zweite Unterbrechungsstelle ein erstes Kontaktstück (3) und ein zweites Kontaktstück (2) umfasst,
wobei der Kontakteinheitskörper (4) und der Kontaktkörper (10) über einen Hebelmechanismus mit einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel (6) gekoppelt sind, dadurch gekennzeichnet,
dass an dem Umlenkhebel (6) ein Kurvengetriebe (28) vorgesehen ist, und dass das zweite Kontaktstück (2) durch das Kurvengetriebe (28) betätigt wird."
Der Wortlaut der Hilfsanträge I bis III ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.
VI. Das entscheidungsrelevante Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber Dokument D1. Der Anspruchswortlaut schränke den Gegenstand nicht dahingehend ein, dass die erste Unterbrechungsstelle zeitlich vor der zweiten Unterbrechungsstelle betätigt werde, auch wenn dies in der Beschreibung so offenbart werde. Daher könnten sowohl die Kontaktpaare 4 und 8 als auch die Kontaktpaare 3 und 5 der D1 mit der ersten Unterbrechungsstelle als auch mit der zweiten Unterbrechungsstelle gemäß Anspruch 1 identifiziert werden. Des Weiteren sei dem Anspruchswortlaut nicht zu entnehmen, dass der Kontaktkörper und der Kontakteinheitskörper über die beiden Hebelarme des Umlenkhebels gekoppelt sein. Vielmehr drücke der Anspruchswortlaut lediglich aus, dass beide Körper über einen Hebelmechanismus gekoppelt seien und dieser Hebelmechanismus einen Umlenkhebel mit zwei Umlenkarme aufweise. Welcher Teil des Umlenkhebels welchen der Kontaktkörper oder den Kontaktstift bewege, sei durch die gewählte Formulierung nicht eingeschränkt. Insbesondere werde durch den breiten Ausdruck "gekoppelt" nicht ausgedrückt, dass der Kontakteinheitskörper sich zwischen der geöffneten und geschlossenen Schalterstellung bewegen müsse. Es sei im Ergebnis unerheblich, dass der Kontakteinheitskörper 5 gemäß D1 fest mit dem Gehäuse des Druckgasschalters verbunden sei und die zentrale Befestigung des Umlenkhebels - und nicht einer der Hebelarme - mit ihm verbunden sei. Auch bei der in D1 gezeigten Anordnung finde aufgrund der Anordnung des Umlenkhebels eine Relativbewegung zwischen dem Kontakteinheitskörper 5 und dem Kontaktkörper 3 statt. Beide seien daher im Sinne von Anspruch 1 über den Hebelmechanismus gekoppelt. Zusätzlich weise der Hebelmechanismus zwei Hebelarme und ein Kurvengetriebe auf. Das zweite Kontaktstück 4 sowie der Kontaktkörper 3 würden durch das Kurvenbetriebe am Umlenkhebel betätigt.
Für die Einreichung der Hilfsanträge erst nach der Ladung lägen keine rechtfertigenden außergewöhnlichen Umstände vor. Insbesondere sei ein Vertreterwechsel kein außergewöhnlicher Umstand. Die Hilfsanträge II und III sollten insbesondere nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden, weil ihre Gegenstände nur in der ursprünglichen Beschreibung, nicht jedoch in den erteilten Ansprüchen offenbart seien. Diese beiden Anträge seien überdies nicht eindeutig gewährbar, da sie neue Sachverhalte einbrächten, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgingen.
VII. Der entscheidungsrelevante Vortrag der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Hauptantrag sei zuzulassen. Anträge seien mündlich in der mündlichen Verhandlung zu stellen, daher stünde die Zulässigkeit des Hauptantrages vorliegend nicht zur Debatte. Die Beschwerdegegnerin sei nicht einverstanden, dass Anträge nur im schriftlichen Verfahren geändert werden könnten. Es habe ein Vertreterwechsel stattgefunden, nach dem die Kammer ihre vorläufige Mitteilung mitgeteilt habe. Diese Meinung übergehe ein wesentliches Anspruchsmerkmal. Es müsse der Beschwerdegegnerin die Möglichkeit eingeräumt werden, hierauf zu reagieren und das Patent in der erteilten Fassung zu verteidigen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber dem aus D1 bekannten Druckgasschalter. Der Kontakteinheitskörper 4 und der Kontaktkörper 10 laut Anspruch seien über einen Hebelmechanismus mit einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel 6 miteinander gekoppelt. Durch die zwei Hebelarme werde eine Umkehr der Bewegungsrichtung von Kontaktkörper 10 und Kontakteinheitsköper 4 erreicht. Durch das am Umlenkhebel 6 vorgesehene Kurvengetriebe 28 werde das zweite Kontaktstück 2 betätigt. Es gebe also bei dem Schalter gemäß Streitpatent insgesamt drei Relativbewegungen. Diese Kinematik sei in D1 nicht offenbart, weshalb der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber D1 sei.
Der Einwand der Beschwerdeführerin umfasse zwei Argumentationslinien. Zum einen identifiziere sie das Kontaktpaar 3 und 5 mit der ersten und das Kontaktpaar 4 und 8 mit der zweiten Unterbrechungsstelle, zum anderen das Kontaktpaar 3 und 5 mit der zweiten Unterbrechungsstelle und 4 und 8 mit der ersten. Jedoch verstünde das Streitpatent unter den Begriffen erste und zweite Unterbrechungsstelle nicht ein bloße Nummerierung, sondern bezeichne hiermit diejenige Unterbrechungsstelle, die als erstes beziehungsweise als zweites öffne. Der Anspruch müsse nämlich im Lichte der Beschreibung gelesen werden. Daher sei die Argumentationslinie, die das Kontaktpaar 4 und 8 der ersten Unterbrechungsstelle und damit dem Kontakteinheitskörper und dem Kontaktkörper zuordne, nicht sachgerecht.
Was die andere Argumentationslinie betreffe, offenbare D1 nicht, dass der Kontakteinheitskörper 5 und der Kontaktkörper 3 über einen Hebelmechanismus mit einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel gekoppelt seien. Bei D1 läge schon gar keine Kopplung zwischen dem Kontakteinheitskörper 5 und weiteren Kontaktelementen über den Hebelarm des Umlenkhebels 14 vor. Denn der Umlenkhebel sei mit seinem Rotationszentrum am Gehäuse befestigt und der Kontakteinheitskörper 5 bewege sich daher bei der Betätigung nicht. Das Rotationszentrum selbst könne nämlich nicht als ein Hebelarm angesehen werden. Selbst wenn man dem nicht folge, sei der Kontakteinheitskörper 5 nicht über die Hebelarme mit dem Kontaktkörper 3 gekoppelt, sondern nur mit dem Kontaktstück 4, welches aber nicht wie der Kontakteinheitskörper zur ersten, sondern zur zweiten Unterbrechungsstelle gehöre.
Die Hilfsanträge seien allesamt nicht verspätet, denn die Kammer habe in ihrem Ladungszusatz eine Frist für weiteres Vorbringen gesetzt. Daher sei Artikel 13 (2) VOBK nicht auf die vorliegende Fallkonstellation anwendbar. Für die Hilfsanträge sei wie für den Hauptantrag der Vertreterwechsel zu berücksichtigen. Es solle an alle Anträge derselbe Maßstab angelegt werden. Die vorläufige Meinung der Kammer wich von der Entscheidung der Einspruchsabteilung ab. Dies sei eine neue Situation für die Beschwerdegegnerin, auf die sie durch Argumente und weitere Anträge reagieren können müsse.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde wurde entsprechend den Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 und der Regel 99 EPÜ frist- und formgerecht eingelegt. Sie ist daher zulässig.
2. Zulässigkeit des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin
2.1 Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2021 ist zulässig.
Die Wiedereinführung des ursprünglichen Hauptantrags (das Patent in der erteilten Fassung)stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 (anwendbar aufgrund von Artikel 25 (2) VOBK 2020) dar, deren Zulassung im Beschwerdeverfahren im Ermessen der Kammer steht.
2.2 Der Hauptantrag ist eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin.
Mit ihrer Beschwerdeerwiderung verfolgte die Beschwerdegegnerin die Zurückweisung der Beschwerde und verteidigte damit das Patent in der erteilten Fassung. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2020 ersetzte sie den Hauptantrag durch einen neuen Hauptantrag und mit Schreiben vom 31. März 2021 beantragte sie, den Hauptantrag vom 8. Dezember 2020 wieder durch ursprünglichen Hauptantrag zu ersetzen.
Aufgrund des Verfügungsgrundsatzes gemäß Artikel 113 (2) EPÜ kann ausschließlich ein Verfahrensbeteiligter selbst darüber entscheiden, welche Anträge er verfolgt. Mit ihrer eindeutigen Willenserklärung vom 8. Dezember 2020, den ursprünglichen Hauptantrag durch einen neuen Hauptantrag zu ersetzen, war der Kammer aufgrund von Artikel 113 (2) EPÜ die Befugnis entzogen, über den ursprünglichen Hauptantrag zu entscheiden (vgl. zum Beispiel T 1477/15, Gründe 14.) Die erneute Änderung der Willenserklärung vom 31. März 2021 eröffnet prinzipiell für die Kammer aufgrund des Verfügungsgrundsatzes erneut die Möglichkeit, über das Streitpatent in der erteilten Fassung zu entscheiden.
Der wiedereingeführte Hauptantrag hat den Status eines neu eingereichten Antrags, dessen Zulassung gemäß den für das betroffene Verfahren anwendbaren Vorschriften zu entscheiden ist (im Ergebnis so auch T 1613/13, Gründe 1.1 und T 1538/12, Gründe 3.1.1). Selbstverständlich wäre die Sachlage anders gewesen, wäre der ursprüngliche Hauptantrag nicht ersetzt, sondern nur um weitere Hilfsanträge ergänzt worden.
2.3 Die Änderungen des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2021 wurden erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2020 beantragt. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK bleiben jedoch Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
2.4 Die Beschwerdegegnerin selbst hat keine außergewöhnlichen Umstände aufgezeigt.
Das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2021, mit dem die Änderung des Beschwerdevorbringens beantragt wurde, enthält keinerlei explizite Gründe, die die erforderlichen außergewöhnlichen Umstände in Bezug auf die Wiedereinführung des Hauptantrags darlegen würden.
Erst während der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren brachte die Beschwerdegegnerin Gründe vor, die die Zulassung rechtfertigen sollen und zwar wie folgt.
Zuerst erklärte die Beschwerdegegnerin, sie sei nicht einverstanden, dass nur im schriftlichen Verfahren Änderungen des Vorbringens beantragt und begründet werden können. Dies sei auch in der mündlichen Verhandlung zulässig. Die Kammer kann dem nicht folgen. Entscheidend für die Natur eines Antrages als Änderung des Beschwerdevorbringens ist gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 der Zeitpunkt der Antragstellung im Vergleich zur Ladung oder einer Mitteilung nach Regel 100 (2) EPÜ.
Die Beschwerdegegnerin äußerte außerdem die Ansicht, aus der Verwendung des Begriffes "Beschwerdevorbringen" in der Verfahrensordnung ginge hervor, nur das Vorbringen der Beschwerdeführerin müsse bereits am Anfang des Beschwerdeverfahrens vollständig vorliegen. Diese Auffassung steht im direkten Widerspruch zu Artikel 12 (3) VOBK 2020, nach dem die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten müssen.
Ferner argumentierte die Beschwerdegegnerin, der schriftliche Antrag der Beschwerdeführerin, die neuen Anträge nicht zuzulassen, stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar. Die Kammer merkt hierzu an, dass die Beschwerdeführerin im Wesentlichen in der Sache nur kursorisch eingewandt hat, dass die Änderungen verspätet und aufgrund neuer Sachverhalte nicht eindeutig gewährbar seien. Nach Ansicht der Kammer stellt dies lediglich gewöhnliche Umstände in einem zweiseitigen Beschwerdeverfahren und nicht einen außergewöhnlichen Umstand dar.
Die Beschwerdegegnerin vertrat schließlich die Auffassung, dass der Vertreterwechsel vom 8. Dezember 2020 einen außergewöhnlichen Umstand darstelle. Durch den Vertreterwechsel sei eine schnelle Reaktion auf die Ladung nötig gewesen. Die vorläufige Meinung der Kammer sei aber fehlerhaft, da sie angeblich Merkmale des Anspruchs übergehe. Die Beschwerdegegnerin habe darauf zunächst mit einem geänderten Hauptantrag reagiert, aber aufgrund des Zeitmangels erst später einen angeblichen Fehler in der vorläufigen Meinung festgestellt. Es müsse ihr erlaubt sein, dann noch angemessen zu reagieren.
Auch dies überzeugt die Kammer nicht. Erstens stellt ein Vertreterwechsel nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern keinen außergewöhnlichen Umstand dar (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, Juli 2019, V.A.4.8.2). Andernfalls wäre es ins Belieben einer Partei gestellt, das Verfahren zu steuern, indem strategisch ein neuer Vertreter gewählt wird. Zweitens ist objektiv zum Zeitpunkt des Vertreterwechsels keine schnelle Reaktion nötig gewesen. Die Ladung der Kammer erging am 24. Juni 2020. Der Termin für die mündliche Verhandlung war für den 5. Mai 2021 angesetzt. Der Zeitpunkt, in dem der Kammer der Vertreterwechsel mitgeteilt wurde, war der 8. Dezember 2020. Dieses Datum scheint weder mit der Ladung noch mit dem Termin in Zusammenhang zu stehen. Es mag nachvollziehbar sein, dass ein neu bestellter Vertreter versucht, durch eine zeitnahe Reaktion noch Einfluss auf den Verfahrensverlauf zu nehmen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht waren aber die Handlungsmöglichkeiten der Beschwerdegegnerin zu diesem Zeitpunkt bereits dadurch eingeschränkt, dass sie vor Zustellung der Ladung keine Hilfsanträge vorgelegt hatte. Die Kammer bemerkt auch, dass der subjektiv empfundene Zeitdruck der Beschwerdegegnerin im Widerspruch zu ihrer Behauptung steht, Anträge würden mündlich in der mündlichen Verhandlung gestellt. Unter diesem subjektiven Verständnis hätte sie zwischen Vertreterwechsel und mündlicher Verhandlung noch etwa fünf Monate Zeit gehabt.
Die Kammer kann aber insbesondere nicht nachvollziehen, wieso die Beschwerdegegnerin unter dem subjektiven Eindruck der Zeitnot den ursprünglichen Hauptantrag durch einen neuen Hauptantrag ersetzte anstelle davon, den ursprünglichen Hauptantrag aufrechtzuerhalten und durch weitere Hilfsanträge zu ergänzen. Auf diese Weise hätte sich die Beschwerdegegnerin die Möglichkeit gewahrt, den ursprünglichen Hauptantrag weiterzuverfolgen.
Damit sind die vorgetragenen Gründe der Beschwerdegegnerin allesamt nicht stichhaltig.
2.5 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 obliegt es dem Beteiligten, der sein Beschwerdevorbringen ändern möchte, mit stichhaltigen Gründe außergewöhnliche Umstände aufzuzeigen. Dies bedeutet nach Auffassung der Kammer, dass sie selbst nicht verpflichtet ist, aktiv zu prüfen, ob außergewöhnliche Umständen vorgelegen haben. Die Regelung geht aber auch nicht so weit, die Ermessensausübung der Kammer dahingehend einzuschränken, dass sie sich ausschließlich auf die vom Beteiligten vorgetragenen Gründe stützen dürfte.
2.6 Unter den vorliegenden Umständen sieht die Kammer eine unbillige Härte für die Beschwerdegegnerin, falls der Hauptantrag - und zwar die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung - nicht wieder in das Verfahren zugelassen würde.
Es wäre, wie oben dargelegt, nicht zu beanstanden gewesen, wenn die Beschwerdegegnerin anstelle davon den ursprünglichen Hauptantrag durch einen neuen zu ersetzen, den ursprünglichen Hauptantrag durch Hilfsanträge ergänzt hätte. Dann hätte die Kammer und die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung über den Hauptantrag in der Sache und zumindest über die Zulässigkeit der Hilfsanträge diskutieren müssen. Durch die Zulassung der Wiedereinführung des Hauptantrages ins Verfahren sähe sich die Kammer und die Beschwerdeführerin der gleichen Verfahrenssituation gegenüber gestellt. Darüber hinaus brachte sie keine zusätzliche Komplexität mit sich und konnte von der Beschwerdeführerin und der Kammer ohne Verzögerung behandelt werden. Bei der Rücknahme und Wiedereinführung des Hauptantrages sieht die Kammer auch keinen Verfahrensmissbrauch seitens der Beschwerdegegnerin.
Die Diskussion in der mündlichen Verhandlung des ursprünglichen Hauptantrages in der Sache war auch durch das Beschwerdevorbringen der Parteien und die vorläufige Meinung der Kammer ausreichend vorbereitet, um sinnvoll in der mündlichen Verhandlung geführt zu werden. Einer der Zwecke des Artikels 13 VOBK 2020 ist es, eine Partei in ihrem Recht auf Stellungnahme nicht bei der Zulassung nachträglicher Änderungen des Vorbringens der Gegenpartei zu benachteiligen (Artikel 13 (2) VOBK 2007), etwa weil sie dieses Recht in der zur Verfügung stehenden Zeit nur unzureichend wahrnehmen kann (vgl. auch "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, Juli 2019, V.A.4.2.1). Unter den oben dargelegten Umständen des vorliegenden Falles, steht die Zulassung der Wiedereinführung des ursprünglichen Hauptantrages zu diesem Regelungszweck nicht im Widerspruch. Die Kammer bemerkt in diesem Zusammenhang allerdings, dass andere Umstände denkbar sind, bei denen eine Rücknahme und Wiedereinführung eines Antrages sehr wohl dem Regelungszweck des Artikel 13 VOBK zuwiderlaufen könnten, zum Beispiel wenn der Fall sehr komplex ist und mehrere Anträge zurückgenommen und wiedereingeführt werden sollen oder wenn dadurch der Gegenstand der bisherigen Diskussion geändert würde. In solch einem Fall könnte möglicherweise die ausreichende sorgfältige Beschäftigung und Vorbereitung eines zunächst zurückgenommen Antrages, der dann wieder eingeführt werden soll, nicht vorausgesetzt werden. Insofern ist die vorliegende Ermessensausübung der Kammer das Ergebnis einer Einzelfallbetrachtung.
Demgegenüber hätte die Verweigerung der Zulassung der Wiedereinführung des Hauptantrages vermutlich den Widerruf des Streitpatents bedeutet, da dann keine Ansprüche vorgelegen hätten, auf Grundlage derer die Kammer noch hätte entscheiden können. In Anbetracht der vorgenannten Umstände des vorliegenden Falles hätte dies eine unbillige Härte dargestellt. Daher erkennt die Kammer die Umstände des Falles als außergewöhnliche Umstände an und übt ihr Ermessen dahingehend aus, die Wiedereinführung des Hauptantrages zuzulassen.
3. Hauptantrag - Neuheit
3.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist nicht neu gegenüber dem aus Dokument D1 bekannten Druckgasschalter.
3.2 Dokument D1 ist in koreanischer Sprache veröffentlicht. Die Neuheit wurde in der mündlichen Verhandlung unter anderem auf Grundlage einer von der Beschwerdeführerin am 12. Mai 2015 eingereichten menschliche Übersetzung ins Deutsche, im Folgenden als D1a bezeichnet, und der auf der durch das Europäischen Patentamt betriebenen Internetseite Espacenet erhältlichen Maschinenübersetzung ins Englische diskutiert. Die Richtigkeit der Übersetzung ins Deutsche wurde von der Beschwerdegegnerin nicht angezweifelt. Die angegebenen Fundstellen beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf D1a.
3.3 Dokument D1 offenbart einen
Druckgasschalter (Titel) mit folgenden Merkmalen:
Der Druckgasschalter weist eine erste Unterbrechungsstelle (Figuren 1a bis c, Kontaktpaar 3 und 5) und eine zweite Unterbrechungsstelle (Kontaktpaar 4 und 8) auf, wobei die erste Unterbrechungsstelle einen Kontakteinheitskörper (5) und einen Kontaktkörper (3) umfasst
und wobei die zweite Unterbrechungsstelle ein erstes Kontaktstück (8) und ein zweites Kontaktstück (4) umfasst,
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK|FORMEL/TABELLE/GRAPHIK |
Figur 1c aus D1|Figur 2 des Streitpatents|
wobei der Kontakteinheitskörper (5) und der Kontaktkörper (3) über einen Hebelmechanismus (Elemente 6, 7, 9, 10, 14, 16) mit einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel (14) gekoppelt sind, dadurch gekennzeichnet,
dass an dem Umlenkhebel (14) ein Kurvengetriebe (18) vorgesehen ist, und dass das zweite Kontaktstück (4) durch das Kurvengetriebe (18) betätigt wird.
Daher sind die Merkmale von Anspruch 1 wie erteilt in Kombination bereits aus D1 bekannt.
3.4 Ein Teil der Argumentation der Beschwerdegegnerin, die die Einspruchsabteilung nahezu wörtlich in der angefochtenen Entscheidung übernommen hat, stützt sich im Wesentlichen darauf, dass Dl keinen Umlenkhebel mit zwei Hebelarmen offenbare, und demzufolge die Kinematik des anspruchsgemäßen Druckgasschalters anders als in D1 sei. Dort seien drei Relativbewegungen, nämlich zwischen dem Kontakteinheitskörper, dem Kontaktkörper und dem Kontaktstück durch die beiden Hebelarme und das Kurvengetriebe des Umlenkhebels möglich.
Die Kammer teilt hingegen die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass das Element 14 aus Figur la der Dl als ein Umlenkhebel mit zwei Hebelarmen angesehen werden kann. Denn die Drehachse liegt bei diesem Umlenkhebel in etwa mittig, so dass beiderseits der Mitte je ein Hebelarm gesehen werden kann. Die Kammer kann insbesondere nicht am Anspruchswortlaut ablesen, dass es sich bei einem "zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel" um drei getrennte Elemente handeln soll, die irgendwie nicht starr miteinander verbunden seien. Auf dieser Lesart scheint sich aber das Vorbringen der Beschwerdegegnerin stillschweigend zu stützen. Einer der beiden Hebelarme der Dl umfasst das Kurvengetriebe (18), was nach Ansicht der Kammer nicht durch den Anspruchswortlaut (" ... dass an dem Umlenkhebel ein Kurvengetriebe vorgesehen ist") ausgeschlossen ist. Da der Umlenkhebel der Dl den Hebelarm umfasst, umfasst er auch das Kurvengetriebe. Die inneren Wangen 4 des Kontaktstücks 1 können, im Einklang mit dem Vortrag der Beschwerdeführerin als ein zweites Kontaktstück im Sinne von Anspruch 1 angesehen werden. Dieses wird über die Elemente 6,7 und 2 durch das Kurvengetriebe betätigt, denn man erkennt durch den Vergleich der Figuren 1a bis 1c, dass eine Relativbewegung zwischen diesem Kontaktstück und dem mit 5 bezeichneten Kontakteinheitskörper stattfindet. Die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin belegen lediglich, dass das Ausführungsbeispiel gemäß der Figuren 1 und 2 des Streitpatents neu gegenüber Dl ist. Insbesondere ist der Gegenstand nicht derart eingeschränkt, dass drei phasenweise unabhängige Relativbewegungen auftreten.
3.5 Die Auffassung der Beschwerdegegnerin, die Begriffe erste und zweite Unterbrechungsstelle definierten eine Betätigungsreihenfolge, ist für die Kammer nicht nachzuvollziehen. Nach ständiger Rechtsprechung und Prüfungspraxis des Patentamts und im Einklang mit Artikel 84 EPÜ liegt der Sachprüfung der Wortlaut des Anspruchs zugrunde, da dieser den Gegenstand angibt, für den Schutz begehrt wird. Die Beschreibung kann nicht herangezogen werden, um die Bedeutung klarer Begriffe im Anspruch einzuschränken (siehe hierzu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, Juli 2019, II.A.3.1). Aus dem Wortlaut "erste und zweite Unterbrechungsstelle" lässt sich lediglich ableiten, dass zwei Unterbrechungs-stellen vorhanden sind. Auch aus den auf dem Gebiet der Druckgasschalter eher unüblichen Begriffen "Kontaktkörper" und "Kontakteinheitskörper" lässt sich keine Betätigungsreihenfolge ableiten. Die obige Analyse beruht aber ohnehin auf einer Identifikation der Nennstromkontaktpaare 3 und 5 und Lichtbogenkontaktpaare 4 und 8 der D1 mit dem Kontaktkörper und -einheitskörper 10 und 4 und den Kontaktstücken 3 und 2 des Streitpatents, wie es die Beschwerdeführerin in einer ihrer Argumentationslinien in der mündlichen Verhandlung oder auch im Absatz, der die Seiten 4 und 5 des Schreibens vom 16. März 2021 überbrückt, vorgetragen hat und wie es die Beschwerdegegnerin selbst als sachgerecht bezeichnet.
Weiterhin wand die Beschwerdegegnerin ein, D1 offenbare nicht, dass der Kontaktkörper und der Kontakteinheitskörper über einen Hebelmechanismus mit einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel gekoppelt seien. Erstens sei der Kontakteinheitskörper 5 in D1 ein ortsfester Kontakt, der am Gehäuse festgelegt sei. Nur der Kontaktkörper 3 bewege sich auf ihn zu. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Umlenkhebel zwei Hebelarme und ein Kurvengetriebe aufweise, dann sei aber dieser Umlenkhebel in seinem Zentrum und am Gehäuse befestigt. Damit ist der Kontakteinheitskörper 5 in D1 nicht mit einem Hebelarm des Umlenkhebels verbunden und es ist auch keine Kopplung offenbart.
Auch hier entspricht die Lesart der Beschwerdegegnerin nicht dem tatsächlichen Wortlaut des Anspruches. Erstens führt die Beschwerdeführerin zutreffend aus, dass eine Kopplung zwischen dem Kontakteinheitskörper und dem Kontaktkörper über einen Hebelmechanismus nicht bedeute, dass der Kontakteinheitskörper sich zwischen einer geöffneten und geschlossenen Stellung hin- und herbewegen müsse. Es ist zutreffend, dass man dem Wortlaut höchstens entnehmen kann, dass eine Relativbewegung der beiden Kontaktstücke auftritt, was in D1 natürlich der Fall sei. Weiterhin definiert Anspruch 1 nicht, dass der Kontaktkörper und der Kontakteinheitskörper an den Hebelarmen des Umlenkhebels befestigt sind oder über die Hebelarme des Umlenkhebels gekoppelt sind, wie es die Beschwerdegegnerin in ihrer Argumentation annimmt. Stattdessen wird dort definiert, dass der Kontakteinheitskörper und der Kontaktkörper über einen Hebelmechanismus gekoppelt sind und dass der Hebelmechanismus einen Umlenkhebel mit zwei Hebelarmen aufweist. Diese Formulierung lässt es aber gerade offen, über welche Bestandteile des Hebelmechanismus die Kopplung zwischen Kontaktkörper und Kontakteinheitskörper erfolgt.
Die Kammer stellt auch fest, dass dem Wortlaut des Kennzeichens zu entnehmen ist, dass an dem Umlenkhebel ein Kurvengetriebe vorgesehen ist, und dass das zweite Kontaktstück durch das Kurvengetriebe betätigt wird. In D1 wird durch das Kurvengetriebe 18 sowohl das zweite Kontaktstück 4 als auch der mit ihm einstückig ausgebildete Kontakteinheitskörper 3 betätigt. Auch dies wird vom Anspruchswortlaut nicht ausgeschlossen.
3.6 Daher ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages nicht neu gegenüber dem aus Dokument D1 bekannten Druckgasschalter.
4. Zulässigkeit der Hilfsanträge I bis III
4.1 Die Hilfsanträge I bis III der Beschwerdegegnerin sind nicht zulässig.
4.2 Die Hilfsanträge wurden am 8. Dezember 2020 und 31. März 2021, mithin allesamt nach Zustellung der Ladung vorgelegt. Sie sind daher eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin.
4.3 Die Beschwerdegegnerin hat keine außergewöhnlichen Umstände darlegen können.
Sie vertrat die Auffassung, die Kammer habe in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK eine Frist von einem Monat vor der mündlichen Verhandlung für weitere Anträge gesetzt. Daher seien die vorgelegten Hilfsanträge gar keine Änderung. Dies ist nicht zutreffend. Die Kammer hat die Beteiligten am Ende ihrer Mitteilung folgendermaßen informiert:
"Die Berücksichtigung von neuem Vorbringen im Verfahren geschieht nach Maßgabe der Artikel 12 und 13 VOBK 2020 (Amtsblatt EPA 2019, A63). Die Übergangsbestimmungen für die Verfahrensordnung sind in Artikel 25 VOBK 2020 geregelt. Zusätzlich zu den dort genannten Erfordernissen muss weiteres Vorbringen spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorliegen."
Dadurch hat die Kammer die Beteiligten weder zum Einreichen weiteren Vorbringens aufgefordert noch zum Ausdruck gebracht, dass neues Vorbringen zulässig sei, solange es nur bis spätestens einen Monat vor der Verhandlung vorliegt. Die obige Passage weist lediglich auf die existierenden Erfordernisse für die Zulassung neuen Vorbringens gemäß Artikeln 12 und 13 VOBK hin, die auch für neues Vorbringen, das innerhalb eines Monats vor der mündlichen Verhandlung eingereicht wird, gelten.
Die Tatsache, dass die vorläufige Meinung der Kammer von der für die Beschwerdegegnerin günstigen Entscheidung der Einspruchsabteilung abweicht, ist ebenfalls kein außergewöhnlicher Umstand, sondern liegt in der Natur einer ergebnisoffenen gerichtlichen Überprüfung. Das Einreichen von Hilfsanträge war daher schon zumindest mit der Beschwerdeerwiderung möglich und angemessen. Die Beschwerdegegnerin war hiervon auch nicht deshalb entbunden, weil die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung keinen gegenüber dem Einspruchsverfahren neuen Sachvortrag vorgelegt hat. Um für den Fall, dass der Hauptantrag in der Beschwerde scheitert, neue Hilfsanträge vorlegen zu können, muss die Beschwerdegegnerin nur verstehen, welchen Einwand sie eventuell auszuräumen hat, im vorliegenden Fall mangelnde Neuheit im Hinblick auf Dokument D1. Nimmt die Beschwerdegegnerin diese Möglichkeit nicht war, trägt allein sie das Risiko, dass eine spätere Änderung des Vorbringens nicht zugelassen wird.
Die Beschwerdegegnerin trug schriftlich vor, der Hilfsantrag I sei nicht verspätet, denn er sei durch die vorläufige Stellungnahme der Beschwerdekammer und die Argumentation der Beschwerdeführerin verursacht. Dies kann die Kammer nicht akzeptieren. Wie bereits weiter oben dargelegt, hat sie in der vorläufigen Meinung lediglich zu den vorliegenden Argumenten der Beschwerdeführerin und der angefochtenen Entscheidung Stellung genommen, ohne selbst neue Aspekte ins Verfahren eingeführt zu haben. Da sämtliche in der Mitteilung der Kammer behandelten Einwände bereits Gegenstand des bisherigen Verfahrens waren, kann diese Mitteilung das Vorliegen außergewöhnliche Umstände nicht begründen (siehe auch T 1187/16, Punkt 3 der Gründe). Eine nicht näher ausgeführte Behauptung, ein Hilfsantrag sei eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer, kann auch nicht als stichhaltige Gründe im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 angesehen werden, siehe hierzu insbesondere die Erklärungen zur neuen Verfahrensordnung (siehe CA/3/19, Punkt 59. auf Seite 12/78 sowie Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2020), wo es heißt
"Bringt ein Beteiligter beispielsweise vor, dass die Kammer einen Einwand erstmals in einer Mitteilung erhoben hat, so muss er genau darlegen, warum dieser Einwand neu ist und nicht unter die zuvor von der Kammer oder einem Beteiligten erhobenen Einwände fällt."
Dies ist im vorliegenden Fall erkennbar nicht geschehen.
Die Beschwerdegegnerin war weiter der Ansicht, der Hilfsantrag I sei zulässig, weil er sich auf erteilte Ansprüche beschränke. Dabei übersieht sie aber die Erfordernisse des Artikels 13 (2) VOBK, gemäß derer Änderungen nach Zustellung der Ladung um zulässig zu sein in erster Linie außergewöhnlicher Umstände bedürfen. Da diese nicht vorliegen, ist die Tatsache, dass der Hilfsantrag I nur auf die Kombination erteilter Ansprüche gerichtet ist, nicht ausschlaggebend.
4.4 Die Beschwerdegegnerin hat bezüglich der Hilfsanträge II und III keine Argumente vorgetragen, die über den Vortrag zum Hilfsantrag I hinausgingen. Da, wie oben dargelegt, auch die Hilfsanträge II und III eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin darstellen und keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen, die ihre Zulassung dennoch rechtfertigen würden, lässt die Kammer auch die Hilfsanträge II und III nicht in das Beschwerdeverfahren zu.
5. Schlussfolgerungen
Da der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber dem aus Dokument D1 bekannten Druckgasschalter ist, steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegen. Da die Hilfsanträge I bis III der Beschwerdegegnerin nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen wurden, liegt kein Antrag vor, auf Grundlage dessen das Streitpatent aufrechterhalten werden könnte. Daher gibt die Kammer dem Antrag der Beschwerdeführerin statt, das Patent gemäß Artikel 101 (2) EPÜ zu widerrufen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.