European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T030117.20210518 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 18 Mai 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0301/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10798325.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B21B 35/06 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | STAUCHWALZWERK MIT EINER ANTRIEBSEINHEIT | ||||||||
Name des Anmelders: | SMS group GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | DANIELI & C. OFFICINE MECCANICHE SpA |
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Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderung nach Ladung - Hilfsanträge Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) Änderung nach Ladung - Hilfsanträge Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein) Änderung nach Ladung - Hauptantrag Änderung nach Ladung - Ermessensausübung Änderung nach Ladung - Hauptantrag Änderung nach Ladung - berücksichtigt (ja) Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund - (nein) Neuheit - (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP-B1-2 516 078 (im Folgenden: das Patent) betrifft ein Stauchwalzwerk zum seitlichen Stauchen eines Metallstrangs.
Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt und ihn auf die Gründe des Artikels 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ gestützt.
II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, das Patent zu widerrufen, da sie zu dem Schluss gelangte, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
IV. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern 2020 (VOBK 2020) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit.
V. Mit Schreiben vom 16. April 2021 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag (im Folgenden: "neuer Hauptantrag") sowie Hilfsanträge I bis VI ein.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 18. Mai 2021 ohne Einwände seitens der Verfahrensbeteiligten als Videokonferenz statt. Im Rahmen der Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin als Hauptantrag die Ansprüche des Patents (im folgenden: "Hauptantrag") und als Hilfsantrag 1 die Ansprüche des Hilfsantrags ein, welcher der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag. Zum weiteren Verfahrensablauf der Verhandlung wird auf die Niederschrift verwiesen.
VII. Anträge
Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung gemäß dem "neuen Hauptantrag" oder gemäß einem der Hilfsanträge I bis VI, allesamt eingereicht mit Schreiben vom 16. April 2021, aufrechtzuerhalten. Alternativ beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage der erteilten Ansprüche ("Hauptantrag") oder der Ansprüche des Hilfsantrags, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag ("Hilfsantrag 1").
Die Beschwerdegegnerin (die Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Anspruch 1 des Patents gemäß Hauptantrag lautet:
"Stauchwalzwerk zum seitlichen Stauchen eines Metallstrangs mit einem Paar mit den Mittelachsen senkrecht angeordneten, gegeneinander anstellbaren Stauchwalzen (9, 10), die mittels Gelenkwellen (29, 30) an einen Drehantrieb (31, 32; 34) angeschlossen sind,
dadurch gekennzeichnet,
dass die beiden Stauchwalzen (9, 10) über zusammen mit den Stauchwalzen (9, 10) verstellbare Getriebe (27, 28) und über jeweils mit einem der beiden Getriebe (27, 28) verbundene Gelenkwellen (29, 30) mit dem Drehantrieb (31, 32; 34) verbunden sind, wobei die Gelenkwellen (29, 30) unter einem spitzen Winkel gegenüber der Horizontalen geneigt sind."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 18 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Stauchwalzwerks.
IX. Stand der Technik
Auf folgendes, in der angefochtenen Entscheidung zitiertes Dokument wird verwiesen:
E1: WO 91/04107 A1.
X. Das für diese Entscheidung wesentliche schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Zulassung des neuen Hauptantrags und der Hilfsanträge I bis VI
Der neue Hauptantrag und Hilfsantrag VI beruhten auf den Anträgen, die der angefochtenen Entscheidung als Haupt- und Hilfsantrag zugrunde lagen. Bei den Änderungen in Anspruch 1 handele es sich jeweils um rein redaktionelle Änderungen. Die eingefügten Kommata dienten lediglich der besseren Kenntlichmachung der einzelnen Merkmale in Anspruch 1. Die Hinzufügung der Kommata habe keinerlei Einfluss auf die Neuheitsdiskussion.
Die Hilfsanträge I-V beruhten auf erteilten Ansprüchen und könnten somit nicht überraschen. Ihre offensichtliche Eignung, die Neuheit auch über die Fehlinterpretation des Anspruchs 1 in der Entscheidung der Einspruchsabteilung herzustellen, sei dabei als stichhaltiger Grund im Sinne des Artikels 13(2) VOBK anzusehen.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens habe zudem ein Vertreterwechsel stattgefunden. Dieser stelle ebenfalls einen außergewöhnlichen Grund dar, der das Einreichen der neuen Anträge nach Zustellung der Ladung nach Artikel 13(2) VOBK 2020 rechtfertige. Der neue Hauptantrag und die Hilfsanträge I bis VI sollten daher im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden.
b) Zulassung des Hauptantrags
Der Hauptantrag beinhalte die erteilten Ansprüche, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen seien und auf die sich die Beschwerdebegründung beziehe. Der mit Schreiben vom 16. April 2021 eingereichte neue Hauptantrag sei in Bezug auf die erteilten Ansprüche lediglich redaktionell überarbeitet worden. Im Lichte des gesamten Beschwerdevorbringens, insbesondere auch im Schriftsatz vom 16. April 2021, sei es unmittelbar erkennbar, dass die Beschwerdeführerin immer an einer Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung interessiert gewesen sei. Der erneut eingereichte Hauptantrag sei daher im Verfahren zu berücksichtigen.
c) Neuheit in Hinblick auf D1
E1 offenbare in Figur 1 zwar ein Stauchwalzwerk. Allerdings formten die Teile 32,33,35 keine Gelenkwelle, sondern lediglich eine gelenkige Kupplung, die eine horizontale Feinverstellung der Walze gegenüber der Kassette ausgleiche. Die Wellen 33 und 32 blieben dabei immer vertikal ausgerichtet.
In dem Stauchwalzwerk gemäß E1 sei das Getriebe zudem über den starren Schaft an den Drehantrieb angeschlossen. Daher seien die beiden Stauchwalzen nicht über verstellbare Getriebe und Gelenkwellen mit einem Drehantrieb gemäß der von Anspruch 1 definierten "Verortung" verbunden.
Die in E1 verwendete Kupplung sei darüber hinaus nicht wie von Anspruch 1 des Hauptantrags gefordert unter einem spitzen Winkel gegenüber der Horizontalen geneigt.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sei somit aufgrund dieser drei Unterscheidungsmerkmale neu im Lichte der E1.
d) Zulassung des Hilfsantrags 1
Der Hilfsantrag 1 entspreche dem Hilfsantrag, der auch Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen sei. Selbst wenn dieser Antrag in der Beschwerdebegründung nicht substantiiert worden sei, sei eine erneute Einreichung dieses Antrags und eine Substantiierung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer aufgrund der außergewöhnlichen Umstände gerechtfertigt, dass die Kammer den Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und die Offenbarung der E1 unsachgemäß interpretiere.
XI. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Zulassung des neuen Hauptantrags und der Hilfsanträge I bis VI
Das Einreichen des neuen Hauptantrags und der Hilfsanträge I bis VI stelle eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung dar.
Ein Vertreterwechsel sei kein außergewöhnlicher Grund, der das Einreichen neuer Anträge nach Zustellung der Ladung nach Artikel 13(2) VOBK 2020 rechtfertigen könnte.
Zudem seien die Änderungen in Anspruch 1 gemäß dem neuen Hauptantrag und Hilfsantrag VI wie von der Beschwerdeführerin selbst vorgebracht rein redaktioneller Natur, für die nicht erkennbar sei, wie sie die Begründung in der angefochtenen Entscheidung entkräften können. Rein redaktionelle Änderungen von Ansprüchen seien gemäß Regel 80 EPÜ nicht erlaubt.
b) Zulassung des Hauptantrags
Für die späte Einreichung des Hauptantrags im Rahmen der Verhandlung vor der Kammer bestehe kein außergewöhnlicher Grund. Der Hauptantrag solle daher nicht zugelassen werden.
c) Neuheit in Hinblick auf D1
Eine bestimmte von der Beschwerdeführerin als "Verortung" bezeichnete Abfolge der in Anspruch 1 genannten Bauteile werde darin nicht definiert. E1 offenbare in Figur 1 daher ein Stauchwalzwerk gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. Die Teile 32,33,35 in Figur 1 stellten eine Gelenkwelle dar, die aufgrund der horizontalen Feinverstellung der Walze einen spitzen Winkel gegenüber der Horizontalen bilde.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei daher nicht neu im Lichte der E1.
d) Zulassung des Hilfsantrags 1
Der Hilfsantrag 1 entspreche zwar dem Hilfsantrag, der Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen sei. Allerdings sei dieser Antrag im Rahmen des Beschwerdeverfahrens von der Beschwerdeführerin nie inhaltlich diskutiert und damit nicht substantiiert worden. Der Antrag müsse daher unberücksichtigt bleiben.
Entscheidungsgründe
1. Anwendbare Verfahrensordnung der Beschwerdekammern
1.1 Die Beschwerde ist vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) am 1. Januar 2020 eingelegt worden. Diese ist für am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden ebenso anwendbar wie für danach eingelegte Beschwerden (Artikel 25 (1) VOBK 2020).
1.2 Da die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2020 und damit nach dem Inkrafttreten der VOBK 2020 zugestellt wurde, war in der mündlichen Verhandlung am 18. Mai 2021 gemäß Artikel 25(3) VOBK 2020 für Fragen der Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten Artikel 13 VOBK 2020 anzuwenden.
2. Zulassung des neuen Hauptantrags und der Hilfsanträge I bis VI
2.1 Der neue Hauptantrag wurde - zusammen mit den weiteren Hilfsanträgen I bis VI - nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 16. April 2021 ohne jegliche Angabe von Gründen für das verspätete Vorbringen eingereicht.
Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Die Beschwerdeführerin wies im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zwar darauf hin, dass im Laufe des Beschwerdeverfahrens ein Vertreterwechsel stattgefunden habe. Allerdings stellt ein Vertreterwechsel gemäß gängiger Rechtsprechung keinen außergewöhnlichen Grund dar, der ein verspätetes Einreichen neuer Anträge rechtfertigen kann, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel V.A.4.8.2. Auch die Tatsache, dass eine Beschwerdekammer sich in der vorläufigen Meinung der Entscheidung der Einspruchsabteilung anschließt kann nicht als außergewöhnlich angesehen werden.
2.2 Bei der Ausübung ihres Ermessens über die Zulassung einer Änderung des Beschwerdevorbringens berücksichtigt die Beschwerdekammer zudem die in Artikel 13(1) VOBK genannten Kriterien, nämlich i) die Eignung der Änderung zur Lösung aufgeworfener Fragen und ii) ob der Beteiligte aufgezeigt hat, dass die Änderung prima facie die aufgeworfenen Fragen ausräumt und keinen Anlass zu neuen Einwänden gibt.
Diese Voraussetzungen werden von den Änderungen im neuen Hauptantrag und den Hilfsanträgen I bis VI nicht erfüllt.
2.2.1 Die Hilfsanträge I bis VI wurden mit Schreiben vom 16. April 2021 ohne jegliche inhaltliche Auseinandersetzung und daher unsubstantiiert eingereicht. Die Beschwerdeführerin hat in keiner Art und Weise aufgezeigt, aus welchen Gründen die Änderungen in diesen Hilfsanträgen im Vergleich zu Anspruch 1 in der erteilten Fassung die in der angefochtenen Entscheidung und in der Erwiderung auf die Beschwerde seitens der Beschwerdegegnerin erhobenen drei Einwände zur mangelnden Neuheit zumindest prima facie ausräumen können. Dies trifft insbesondere auch auf Hilfsantrag VI zu, der zwar abgesehen von der geänderten Kommasetzung (vgl. hierzu die Ausführungen zum neuen Hauptantrag, Punkt 2.2.2 untenstehend) dem Hilfsantrag entspricht, wie er der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegt, im Beschwerdeverfahren jedoch ebenfalls nicht substantiiert wurde (siehe Beschwerdebegründung, Seite 4, letzter Absatz; Mitteilung der Kammer vom 29. Mai 2020, Punkt 4; vgl. diesbezüglich auch Punkt 5 untenstehend).
2.2.2 In Bezug auf den neuen Hauptantrag hat die Beschwerdeführerin zwar im Detail dargelegt, warum der in Anspruch 1 definierte Gegenstand neu gegenüber dem zitierten Stand der Technik sein soll. Allerdings hat die Beschwerdeführerin sowohl im Schreiben vom 16. April 2021 als auch während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer mehrmals betont, dass die vorgenommenen Änderungen, nämlich die bloße Einfügung mehrerer Kommata, eine rein redaktionelle Klarstellung sei. Sie bekräftigte ausdrücklich, dass die Bedeutung des Wortlauts des Anspruchs 1 durch die Einfügung der Kommata nicht geändert werde und die Änderung des Anspruchs keine Rolle für die Diskussion der Neuheit spiele. Diese Ansicht wurde auch von der Beschwerdegegnerin geteilt.
Die Kammer teilt die Auffassung beider Beteiligter, dass es sich bei der Einfügung mehrerer Kommata in Anspruch 1 gemäß neuem Hauptantrag (und gemäß Hilfsantrag VI) um keine Änderung des Beschwerdevorbringens in Bezug auf die Neuheitsdiskussion handelt, sondern um eine rein redaktionelle Änderung, die somit in keinerlei Bezug zu einem der Einspruchsgründe steht. Daraus ergibt sich allerdings unmittelbar ein Einwand nach Regel 80 EPÜ, wonach Ansprüche eines Patents nur dann geändert werden können, wenn diese durch einen Einspruchsgrund veranlasst sind. Rein redaktionelle Änderungen wie die Einfügung von Kommata, die die Auslegung des Anspruchs nicht zu ändern vermögen, sind daher gemäß Regel 80 EPÜ prima facie nicht gewährbar.
2.3 Unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(2) VOBK 2020 lässt die Kammer den mit Schreiben vom 16. April 2021 eingereichten neuen Hauptantrag und die Hilfsanträge I bis VI daher unberücksichtigt.
3. Zulassung des Hauptantrags
3.1 Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin nach Nichtzulassung des neuen, redaktionell überarbeiteten Hauptantrags wieder die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage der erteilten Ansprüche als Hauptantrag.
Dieser Antrag entspricht exakt dem Beschwerdevorbringen, das die Beschwerdeführerin von Anfang an im Beschwerdeverfahren verfolgt hat. Die erneute Einreichung einer Fassung der erteilten Ansprüche ohne die nach Regel 80 EPÜ beanstandeten, lediglich redaktionellen Änderungen stellen keine überraschende Wendung im Verfahren dar. Der von Anfang des Beschwerdeverfahrens an zu diskutierende Beschwerdegegenstand bleibt von dieser weiteren Änderung des Beschwerdevorbringens unberührt.
Die Kammer ist daher der Auffassung, dass aufgrund der Nichtzulassung einer rein redaktionell überarbeiten Fassung der erteilten Ansprüche außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine erneute Einreichung der erteilten Ansprüche ohne diese redaktionellen Änderungen rechtfertigen.
Auch kann diese Rückkehr zu den erteilten Ansprüchen in dieser Situation die Beschwerdegegnerin nicht überraschen, da diese ebenfalls die Auffassung vertrat, dass die rein redaktionellen Änderungen im nichtzugelassenen neuen Hauptantrag keinerlei Einfluss auf die Diskussion der Neuheit hatten.
3.2 Unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(2) VOBK 2020 hat die Kammer entschieden, den mit Schreiben vom 16. April 2021 eingereichten Hauptantrag im Verfahren zu berücksichtigen.
4. Hauptantrag - Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ
4.1 E1 offenbart auf Seite 1, erster Absatz in Kombination mit Figur 1 unstreitig ein Stauchwalzwerk zum seitlichen Stauchen eines Metallstrangs mit einem Paar mit den Mittelachsen senkrecht angeordneter, gegeneinander anstellbarer Stauchwalzen 1.
4.2 Das in Figur 1 dargestellte Bauteil 35 wird in E1 auf Seite 5, dritter Absatz als eine Kupplung mit einem Kreuzgelenk beschrieben.
Dem Argument der Beschwerdeführerin, dass es sich bei der Kupplung 35 gemäß E1 nicht um eine Gelenkwelle im Sinne des Patents handle, kann nicht gefolgt werden.
Weder in Anspruch 1 noch in der allgemeinen Beschreibung des Patents wird im Detail definiert, was unter der Bezeichnung "Gelenkwelle" zu verstehen ist. Gelenkwellen mögen häufig zwei Gelenke aufweisen, so wie es für die Ausführungsformen in den Figuren des Patents dargestellt ist. Der in Anspruch 1 verwendete Begriff "Gelenkwelle" ist allerdings nicht auf eine derartige in den Figuren des Patents dargestellte Ausführungsform mit zwei Gelenken beschränkt. Eine Gelenkwelle gemäß Anspruch 1 umfasst vielmehr eine Welle mit einem oder mehreren Gelenken, die dazu beitragen, ein Drehmoment in einem Winkel zu übertragen.
Der Ausdruck Gelenkwelle umfasst daher in Übereinstimmung mit der Argumentation in Punkt 3 der angefochtenen Entscheidung auch die in Figur 1 der E1 dargestellte Kupplung in Form der zwei Wellen 32 und 33, welche durch das Kreuzgelenk 35 miteinander verbunden sind.
4.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert weiterhin, dass das Stauchwalzwerk gemäß E1 völlig anders aufgebaut sei als das Stauchwalzwerk des Patents.
4.3.1 Dieses Argument der Beschwerdeführerin beruht auf einem Vergleich der Figur 1 des Patents mit der Figur 1 der E1. Für die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 ist aber nicht wesentlich, was in einer Figur und der zugehörigen Beschreibung des Patents allgemein beschrieben und gezeigt wird, sondern vielmehr was in Anspruch 1 selbst durch die darin enthaltenen Merkmale definiert wird.
4.3.2 E1 offenbart in Figur 1 ein Stauchwalzwerk, bei dem die Gelenkwelle in Form einer Kupplung direkt an der Walze angebracht ist und ein starrer Schaft 25 den Drehantrieb mit dem Getriebe 28 verbindet, siehe Seite 4, Zeilen 17 bis 24.
Dies stellt als solches aber keinen Unterschied zu dem in Anspruch 1 definierten Gegenstand dar. Anspruch 1 definiert keine bestimmte, von der Beschwerdeführerin als "Verortung" bezeichnete Reihenfolge der Bauteile, mittels der die Kraft des Drehantriebs auf die Stauchwalze übertragen wird. Anspruch 1 legt beispielsweise nicht fest, dass die Gelenkwelle direkt am Antrieb angeschlossen ist.
Diese Unbestimmtheit der Definition der Anordnung gemäß Anspruch 1 steht auch nicht im Widerspruch zur Beschreibung des Patents, sondern ist vielmehr in Hinblick auf die in Figur 2 des Patents dargestellte, ebenfalls anspruchskonforme und erfindungsgemäße Ausführungsform sogar erforderlich. In der Ausführungsform gemäß Figur 2 wird zwischen dem Antriebsmotor 31, 32 und der Gelenkwelle 29, 30 ein separates weiteres Getriebe 35 eingesetzt.
Diese Ausführungsform bestätigt daher, dass Anspruch 1 gerade keine spezielle "Verortung" erfordert, wonach beispielsweise der Antrieb unmittelbar mit der Gelenkwelle verbunden sein müsste.
E1 offenbart somit eine Anordnung, bei der die Walze wie von Anspruch 1 gefordert über eine Gelenkwelle und über ein Getriebe mit dem Antrieb verbunden ist.
4.4 Das Getriebe 28 der E1 wird gemäß dem die Seiten 5 und 6 überbrückenden Absatz zusammen mit den Walzen 1 durch die beiden Schraubantriebe 15 und die hydraulischen Zylinder 17 verstellt. Dadurch wird die Kassette 3, welche die Walze 1 lagert, horizontal bewegt.
Durch die Bewegung der Kassette 3 relativ zum Gehäuse 5 bleiben die beiden Wellenteile 32 und 33 der Gelenkwelle der E1 parallel zueinander ausgerichtet. Allerdings wird das Mittelteil 35 der Gelenkwelle unter einem spitzen Winkel, also kleiner 90°, gegenüber der Horizontalen geneigt.
Dies ist insofern analog zur Ausführungsform gemäß Figur 1 des Patents, als auch dort die beiden jeweils mit dem Getriebe und dem Antriebsmotor verbundenen Wellenteile der Gelenkwelle parallel zueinander ausgerichtet sind und nur das Wellenteil zwischen den beiden Gelenken der Gelenkwelle in einem spitzen Winkel gegenüber der Horizontalen geneigt ist.
Dabei erfolgt die Winkelbewegung des Mittelteils der Gelenkwelle der E1 zwar ausgehend von einer im Wesentlichen vertikalen Achse und nicht, wie in Figur 1 des Patents dargestellt, ausgehend von einer im Wesentlichen horizontalen Achse. Allerdings ist dieser Unterschied in Hinblick auf den Ausdruck "spitzer Winkel gegenüber der Horizontalen" in Anspruch 1 unerheblich.
4.5 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Argumente der Beschwerdeführerin keine Zweifel an der Richtigkeit der Argumentation in Punkt II.3 der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag in Hinblick auf E1 aufkommen lassen.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hauptantrags daher entgegen.
5. Zulassung des Hilfsantrags 1
5.1 Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin erneut die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des zuvor durch die mit Schreiben vom 16.April 2021 eingereichten Anträge ersetzten Hilfsantrags, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag.
Dieser Hilfsantrag wurde von der Beschwerdeführerin im Rahmen des Beschwerdeverfahrens in keiner Weise substantiiert. Im letzten Absatz auf Seite 4 der Beschwerdebegründung führte sie in Bezug auf den Hilfsantrag lediglich folgendes aus:
"Zu dem Hilfsantrag wird ggf. im Laufe des [sic] Beschwerde noch Stellung genommen werden. Er bleibt auf jeden Fall derzeit bestehen."
Die Beschwerdeführerin hat sich also bewusst dafür entschieden, in ihrer Beschwerdebegründung keine Gründe dafür anzugeben, warum die angefochtene Entscheidung zur mangelnden Neuheit in Bezug auf den Hilfsantrag falsch sein soll. Dieser Hilfsantrag wird von der Kammer gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht berücksichtigt, da die in Artikel 12(4) VOBK 2007 erwähnten Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2007 nicht erfüllt sind.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Neuheitseinwänden in der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf den Hilfsantrag erfolgte auch nicht im übrigen Beschwerdeverfahren. In dem Schreiben vom 16. April 2021 hat die Beschwerdeführerin in Bezug auf den mit diesem Schreiben eingereichten Hilfsantrag VI, der eine lediglich redaktionell überarbeitete Version des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags darstellt, inhaltlich ebenfalls keinerlei Argumente vorgebracht, sondern lediglich auf Folgendes verwiesen:
"Der sechste Hilfsantrag entspricht dem bereits im Verfahren befindlichen Hilfsantrag."
Auch wenn die Beschwerdeführerin in Bezug auf die erteilten Ansprüchen dargelegt hat, warum deren Gegenstand entgegen der Meinung der Einspruchsabteilung neu sein soll, hat sie bis zum Zeitpunkt der erneuten Einreichung des Hilfsantrags 1 im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer somit nicht erkennen lassen, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung für den Gegenstand des Hilfsantrags falsch sein soll.
Das gesamte Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin im schriftlichen Beschwerdeverfahren richtete sich daher ausschließlich auf den Gegenstand der erteilten Ansprüche.
Die erneute Einreichung des bis dahin unsubstantiierten Hilfsantrags im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer stellt mithin eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar, die nach Artikel 13(2) VOBK 2020 nur dann berücksichtigt werden kann, wenn für das verspätete Vorbringen außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Aus der Tatsache, dass die Beschwerdekammer in Bezug auf den Hauptantrag der Begründung in der angefochtenen Entscheidung und nicht der Argumentation der Beschwerdeführerin gefolgt ist, lässt sich kein außergewöhnlicher Umstand ableiten, der eine derartige Änderung des Beschwerdevorbringens in dieser späten Phase des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen könnte.
5.2 Unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(2) VOBK 2020 lässt die Kammer den während der Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten Hilfsantrag 1 daher unberücksichtigt.
6. Da nach alledem kein gewährbarer Anspruchsatz vorliegt, hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.