T 0795/19 () of 7.5.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T079519.20210507
Datum der Entscheidung: 07 Mai 2021
Aktenzeichen: T 0795/19
Anmeldenummer: 11702002.4
IPC-Klasse: A61L 2/26
B67C 7/00
A61C 19/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 368 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: AUFNAHMEBEHÄLTER FÜR ÄRZTLICHE, INSBESONDERE ZAHNÄRZTLICHE INSTRUMENTE UND ZUGEHÖRIGES PFLEGESYSTEM
Name des Anmelders: Kaltenbach & Voigt GmbH
Name des Einsprechenden: Sirona Dental Systems GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 113
European Patent Convention Art 116
European Patent Convention R 103(4)(c)
RPBA2020 Art 012(8)
RPBA2020 Art 013(2)
RPBA2020 Art 015(1)
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja) Rücknahme des Antrages auf mündliche Verhandlung
Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Rücknahme des Antrages auf mündliche Verhandlung
Einspruchsgründe - neuer Einspruchsgrund (ja) nicht berücksichtigt
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0777/15
T 0191/17
T 2698/17
T 0488/18
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2356/18
T 2896/18
T 0598/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende legten jeweils frist- und formgerecht Beschwerde gegen die auf den 14. Januar 2019 datierte Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher das europäische Patent 2 536 442 unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Streitpatent im gesamten Umfang und stützte sich auf Artikel 100 a) und 54 EPÜ (Neuheit).

III. In einer auf den 5. Februar 2021 datierten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtlage mit, wonach die Beschwerde der Patentinhaberin voraussichtlich erfolgreich sein dürfte.

IV. Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2020 verzichtete die Einsprechende auf eine Durchführung der von ihr hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung und stimmte einer Fortsetzung des Verfahrens als schriftliches Verfahren zu.

V. Die Patentinhaberin beantragte zuletzt,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und

das Patent in erteilter Fassung (Hauptantrag) aufrechtzuerhalten

oder, hilfsweise,

das Patent in geänderter Fassung auf Basis der Hilfsanträge 1 bis 4 aufrechtzuerhalten, wobei der Hilfsantrag 1 der mit der angefochtenen Entscheidung aufrechterhaltenen Fassung des Patents entspricht, so dass Hilfsantrag 1 gleichbedeutend mit einer Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden ist, und die Hilfsanträge 2 bis 4 erstmalig mit der Beschwerdeerwiderung vom 30. September 2019 eingereicht wurden.

VI. Die Einsprechende beantragte zuletzt,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und

das Patent zu widerrufen sowie

hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung der Prüfung des Einspruchs im Umfang der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Unteransprüche des Patents.

VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Aufnahmebehälter (10) für ärztliche, insbesondere zahnärztliche Instrumente (4),

wobei der Behälter (10) zur Verwendung in einem Wiederaufbereitungsgerät (1) vorgesehen ist, welches eine Kammer (3) zur Aufnahme des Behälters (10) sowie Mittel zum Desinfizieren, Sterilisieren und/oder Pflegen der Instrumente (4) aufweist,

wobei der Behälter (10) derart gestaltet ist, dass er von einem Transportzustand, in dem der Behälter (10) geschlossen ist, in einen Pflegezustand, in dem der Behälter (10) derart geöffnet ist, dass darin angeordnete Instrumente (4) zugänglich sind, überführbar ist, und

wobei der Behälter (10) derart mit dem Wiederaufbereitungsgerät (1) koppelbar ist, dass dieses in der Lage ist, den in die Kammer eingesetzten Behälter (10) wahlweise von dem Transportzustand in den Pflegezustand bzw. umgekehrt zu überführen,

dadurch gekennzeichnet,

dass der Behälter (10) zumindest ein Fenster (14, 15) aufweist, welches durch das Wiederaufbereitungsgerät (1) wahlweise geöffnet oder geschlossen werden kann."

VIII. Anspruch 7 gemäß Hauptantrag lautet:

"System zum Desinfizieren, Sterilisieren und/oder Pflegen von ärztlichen, insbesondere zahnärztlichen Instrumenten mit

einem Wiederaufarbeitungsgerät (1), welches eine Kammer (3) zur Aufnahme der Instrumente (4) sowie Mittel zum Desinfizieren, Sterilisieren und/oder Pflege von in der Kammer (3) befindlichen Instrumenten (4) aufweist,

sowie einer von dem Wiederaufarbeitungsgerät (1) trennbaren Halterung zur Anordnung der Instrumente (4) in der Kammer (3) des Wiederaufarbeitungsgeräts (1)

dadurch gekennzeichnet, dass

die Halterung als Behälter (10) gemäß einem der vorherigen Ansprüche ausgebildet ist."

IX. In dieser Entscheidung werden die folgenden Dokumente erwähnt:

A2: EP 0 638 298 A1;

A3: EP 0 937 441 A1;

A4: DE 31 17 264 A1.

X. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien, wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensrechtliche Aspekte

1.1 Die vorliegende Entscheidung ergeht unter Aufhebung des für den 22. Juli 2021 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020.

1.2 Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des umfänglichen schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif.

1.3 Der von der Patentinhaberin hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung kommt angesichts des Ausspruches dieser Entscheidung in Form der Stattgabe der Beschwerde auf der Basis des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags nicht zum Tragen.

1.4 Die Einsprechende hat sich mit ihrem Schriftsatz vom 25. Februar 2021 ausdrücklich mit einer Fortsetzung des Verfahrens als schriftliches Verfahren einverstanden erklärt.

1.5 Nachdem die von der Kammer in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 dargelegte vorläufige Meinung von der Einsprechenden, abgesehen von der Frage der Berücksichtigung des neuen Einspruchsgrundes der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, zu der sie auf die vorgenannte Mitteilung weiter vortrug, weder weiter kommentiert noch bestritten wurde, sieht die Kammer - nachdem sie erneut alle relevanten Aspekte in Bezug auf diese Fragen berücksichtigt hat - keinen Grund, von ihren in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 getroffenen Feststellungen abzuweichen und bestätigt diese, wie im folgenden näher dargestellt.

2. Hauptantrag - Patent wie erteilt - Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

2.1 Dokument A2 bzw. A3

2.1.1 In der angefochtenen Entscheidung wurde auf Seite 6, Absatz 3, richtigerweise und von den Parteien auch unbestritten festgehalten, dass die Dokumente A2 und A3 sich sehr ähnlich sind und beinahe identische Offenbarungen beinhalten. Die folgende Gründe gelten daher gleichermaßen für die Dokumente A2 und A3.

2.1.2 Die Patentinhaberin rügte die Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass Dokument A2 bzw. A3 offenbare, dass

"der Behälter (10) derart mit dem Wiederaufbereitungsgerät (1) koppelbar ist, dass dieses in der Lage ist, den in die Kammer eingesetzten Behälter (10) wahlweise von dem Transportzustand in den Pflegezustand bzw. umgekehrt zu überführen,"

und dass

"ein Fenster (14, 15) des Behälters (10) durch das Wiederaufarbeitungsgerät (1) wahlweise geöffnet oder geschlossen werden kann."

2.1.3 Sie argumentierte, dass die in Dokument A2 bzw. A3 offenbarte Kassette 12 nicht derart an ein Wiederaufarbeitungsgerät koppelbar sei, dass das Wiederaufarbeitungsgerät in der Lage sei, die in die Kammer eingesetzte Kassette wahlweise von dem Transportzustand in den Pflegezustand bzw. umgekehrt zu überführen. Vielmehr sei in den Ausführungsbeispielen der Figuren 3 und 4 des Dokuments A2 bzw. A3 vorgesehen, dass die Klappe 20 der Kassette 12 automatisch beim Einschieben der Kassette 12 in die Kammer 2 des Geräts 1 aufgeklappt werde. Die im Dokument A2 bzw. A3 gezeigte Kopplung zwischen Kassette und Wiederaufbereitungsgerät erfolge also dahingehend, dass die Abdeckplatte automatisch beim Einschieben der Kassette in die Kammer geöffnet sowie beim Entnehmen der Kassette selbsttätig geschlossen werde (vgl. Beschwerdebegründung der Patentinhaberin, Seite 3, Absatz 3, bis Seite 4 Absatz 1).

2.1.4 Sowohl in der angefochtenen Entscheidung als auch durch die Einsprechende wurde demgegenüber die Ansicht vertreten, dass die Klappe des Ausführungsbeispiels, wie auch in den Figuren 3 und 4 erkennbar sei, einen Überstand aufweise, wodurch ein automatisches Öffnen und Schließen der Öffnungen anhand der Klappe möglich sei (vgl. Entscheidungsgründe, Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, Absatz 2, und Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden, Seite 7, Absatz 2 und 3).

2.1.5 Die Einsprechende vertrat ferner die Ansicht, dass es angesichts des Wortlautes der oben genannten Merkmale lediglich auf eine Eignung des Aufnahmebehälters für eine Einsetzbarkeit in ein generisches Wiederaufarbeitungsgerät ankomme, sowie darauf, dass der Aufnahmebehälter die Eignung besitze, mit einem generischen Wiederaufarbeitungsgerät koppelbar und von diesem im eingesetzten Modus zwischen einen geöffneten und einen geschlossenen Zustand überführbar zu sein (vgl. Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden, Seiten 4 und 5, übergreifender Absatz).

2.1.6 Die Patentinhaberin verwies jedoch zurecht darauf, dass eine notwendige Voraussetzung für die objektive Eignung der in A2 bzw. A3 gezeigten Kassette für ein Zusammenwirken mit einem Wiederaufarbeitungsgerät im Sinne der Lehre des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag darin besteht, dass diese Eignung zum Prioritätstag des Streitpatents für den Fachmann hätte erkennbar sein müssen (vgl. Beschwerdebegründung der Patentinhaberin, Seite 3, Absatz 4).

2.1.7 Das Dokument A2 (und entsprechend auch das Dokument A3) offenbart eine Kassette 12 zur Aufnahme ärztlicher Instrumente in Zusammenhang mit einem konkreten Ausführungsbeispiel eines Geräts 1, das zur Aufbereitung der Instrumente dient.

2.1.8 Das Dokument A2 bzw. A3 offenbart dabei die Kassette 12 ausschließlich mit einer Abdeckung der Öffnungen 17, die alternativ als Klappe 20 oder als Rollladenelement realisiert ist und bei der die Abdeckung automatisch beim Einschieben der Kassette 12 in die Kammer 2 des Geräts 1 geöffnet sowie beim Entnehmen der Kassette 12 selbsttätig geschlossen wird (vgl. Dokument A2, Spalte 3, Zeile 45, Spalte 4, Zeile 20). Eine andere Form eines Zusammenwirkens zwischen der Kassette 12 und dem Gerät 1 ist dem Dokument A2 bzw. A3 nicht zu entnehmen und es bleibt unklar, weshalb der Fachmann eine andere Form eines Zusammenwirkens unmittelbar und eindeutig aus der Offenbarung des Dokuments A2 bzw. A3 hätte erkennen können. Der Fachmann entnimmt vielmehr eindeutig, dass die in Dokument A2 bzw. A3 offenbarte Kassette die Funktion des Öffnens bzw. Schließens der Abdeckung in sinnvoller Weise im wesentlichen nur durch das offenbarte Zusammenwirken mit dem Gerät 1 erzielt.

2.1.9 Damit wird entgegen der Feststellung der angefochtenen Entscheidung auf Seite 5, letzter Absatz, bis Seite 6, Absatz 2, und der Darstellung der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden auf der Seite 6, Absatz 1, bis Seite 7, eine Eignung der in den Dokumenten A2 und A3 offenbarten Kassette für ein wahlweises Öffnen bzw. Schließen durch das Wiederaufarbeitungsgerät nicht direkt und unmittelbar offenbart. Vielmehr ist der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag neu gegenüber den Dokumenten A2 und A3 im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

2.2 Dokument A4

2.2.1 In Punkt E und G ihrer Beschwerdeerwiderung erneuerte die Einsprechende ihren bereits im Einspruchsverfahren vorgebrachten, jedoch in Hinblick auf die damalige Entscheidung nicht in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigten Einwand, dass die Gegenstände von Anspruch 1 und von dem auf Anspruch 1 zurückbezogenen Anspruch 7 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber dem Dokument A4 seien.

2.2.2 Entgegen des auf den Seiten 11 und 12, übergreifender Absatz, in ihrer Beschwerdeerwiderung vorgetragenen Verständnisses der Einsprechenden ist unter dem Begriff "Fenster" allerdings eine Öffnung in einer Wand zu verstehen, wogegen das Dokument A4 ausschließlich einen Schlitz einer Aufbewahrungskassette offenbart, der durch ein Anheben einer Gehäusehälfte gegenüber eine weiteren Gehäusehälfte erzielt wird.

2.2.3 Die Gegenstände von Anspruch 1 und Anspruch 7 gemäß Hauptantrag unterscheiden sich daher durch das Merkmal "dass der Behälter (10) zumindest ein Fenster (14, 15) aufweist" von der Offenbarung des Dokuments A4 und sind daher neu gegenüber dem Dokument A4 im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

3.1 Mit ihrer Beschwerdeerwiderung trug die Einsprechende erstmalig den Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) und Artikel 56 EPÜ vor. Sie argumentierte, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber dem Dokument A2 bzw. A3 sowie gegenüber dem Dokument A4, sowie dass der Gegenstand von Anspruch 7 gemäß Hauptantrag gegenüber dem Dokument A4 sowie dem Dokument A2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

3.2 In der angefochtenen Entscheidung wurde unter Punkt 2. der Sachverhaltsdarstellung zutreffend festgehalten, dass die Einsprechende mit ihrem Einspruch den Widerruf des Patents in vollem Umfang auf der Grundlage von Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 (1) und (2) EPÜ beantragt hatte. Damit war ausweislich der angefochtenen Entscheidung lediglich der Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

3.3 Mit ihrem Vortrag zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit brachte die Einsprechende einen neuen Einspruchsgrund ein, der im Beschwerdeverfahren nur mit dem Einverständnis der Patentinhaberin geprüft werden darf (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Kapitel V.A.3.1 h)). Ein solches Einverständnis der Patentinhaberin liegt nicht vor.

3.4 Soweit die Einsprechende ferner in ihrem auf den 19. März 2021 datierten Schriftsatz eine fehlende erfinderische Tätigkeit der Unteransprüche des Hauptantrags bemängelte, verwies sie auf ihren Vortrag in der Einspruchsschrift und ihrer Beschwerdebegründung (vgl. Schriftsatz datiert auf den 19. März 2021, Seite 1, letzter Absatz, und Seite 2, erster Absatz). Die Kammer weist darauf hin, dass auch in der Beschwerdebegründung zur erfinderischen Tätigkeit der Unteransprüche lediglich nur auf die Einspruchsschrift verwiesen wurde (vgl. Beschwerdebegründung, in Punkt IV., Seite 19, Absatz 3). Eine bloße Bezugnahme auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren kann jedoch eine sachgerechte Begründung im Beschwerdeverfahren nicht ersetzen, weil gemäß Artikel 12 (3) VOBK 2020 (siehe auch Artikel 12 (2) VOBK 2007) der gesamte Sachverhalt mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegt werden muss, das heißt ohne alleinige Bezugnahme auf das vorherige Verfahren.

3.5 Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Unteransprüche ist daher gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 im Verfahren nicht zu berücksichtigen.

3.6 Entsprechend ist der Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung, um die Prüfung des Einspruchs im Umfang der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Unteransprüche des Hauptantrags fortzusetzen, unbegründet.

3.7 Unabhängig davon wurde der Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung erstmalig mit dem auf den 19. März 2021 datierten Schriftsatz und damit nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2020 vorgelegt. Die Einsprechende hat es entgegen der Erfordernisse des Artikels 13 (2) VOBK 2020 versäumt, zu einem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die eine Änderung ihres Beschwerdebegehrens rechtfertigen könnten, vorzutragen, so dass der Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung bereits deshalb unberücksichtigt zu bleiben hat.

4. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

4.1 Die Einsprechende hatte ihren Antrag auf mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 25. Februar 2021 und damit innerhalb eines Zeitraums von einem Monat nach der auf den 5. Februar 2021 datierten Mitteilung der Beschwerdekammer zurückgenommen.

4.2 Die Entscheidung der Kammer ergeht nunmehr im schriftlichen Verfahren, ohne dass eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, siehe dazu auch Punkt 1. oben.

4.3 Die Vorraussetzungen der Regel 103 (4)(c) EPÜ für eine Zurückzahlung von 25% der von der Einsprechenden gezahlten Beschwerdegebühr liegen damit vor.

4.4 Es bestehen dagegen keine Gründe dafür, dass nach Regel 103 (4) c) EPÜ auch eine Zurückzahlung von 25% der von der Patentinhaberin gezahlten Beschwerdegebühr anzuordnen wäre.

4.5 Die Kammer sieht für den vorliegenden Fall durchaus eine Ähnlichkeit zu dem Sachverhalt der Entscheidung T 488/18. Die Kammer folgt jedoch nicht den Erwägungen der T 488/18, sondern teilt vielmehr die in Punkt 4.1 der Entscheidungsgründe T 755/15 dargestellte Auffassung, dass Regel 103 (4) c) EPÜ so zu verstehen ist, dass die dortige Regelung einem Beteiligten, der zunächst eine mündliche Verhandlung vor der Kammer beantragt hatte, einen Anreiz bietet, einen solchen Antrag in einem späteren Stadium des Beschwerdeverfahrens zu überdenken, und eine teilweise Rückerstattung der Beschwerdegebühr an diesen Beteiligten vorsieht für den Fall, dass er seinen früheren Antrag aufgibt.

4.6 Die Kammer ist davon überzeugt, dass ein Beteiligter, der sich gegenüber dem von Regel 103 (4) c) EPÜ gebotenen Anreiz passiv verhält, nicht von einer Rückerstattung der Beschwerdegebühr aufgrund der aktive Vorgehensweise eines anderen Verfahrensbeteiligten profitieren kann. Das mit Regel 103 (4) c) EPÜ geschaffene Gebührenerstattungssystem setzt vielmehr nach Überzeugung der Kammer grundsätzlich voraus, dass der von einer anteiligen Rückzahlung der Beschwerdegebühr nutznießende Beteiligte selber durch eine Verfahrenshandlung aktiv dazu beigetragen hat, dass von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

4.7 Der Umstand, dass ein gestellter Antrag auf hilfsweise mündliche Verhandlung deshalb prozessual nicht wirksam ist, weil, wie im vorliegenden Fall, die Patentinhaberin bereits mit ihrem Hauptantrag, also einem höherrangigen Antrag, erfolgreich ist, kann keinen solchen aktiven Beitrag darstellen.

4.8 In diesem Zusammenhang weist die erkennende Kammer darauf hin, dass sie in anderer Besetzung bereits grundsätzlich Einverständnis mit der in den Punkten 4.5 bis 4.6 dargestellten Auffassung gezeigt hat (vgl. dazu T 191/17, Punkt 7.7 der Entscheidungsgründe, und T 2698/17, Punkt 6.6 der Entscheidungsgründe).

4.9 Die Rücknahme auf Antrag auf mündliche Verhandlung durch die Einsprechende erlaubt daher keine anteilige Rückerstattung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (4) c) EPÜ an die Patentinhaberin.

5. Weitere Hilfsanträge

Angesichts der oben dargestellten Entscheidungsgründe erübrigt sich eine Entscheidung zu den weiteren Hilfsanträge der Patentinhaberin.

6. Ergebnis

6.1 Die Patentinhaberin konnte in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 wie erteilt darlegen. Ansprüche 1 und 7 wie erteilt sind zudem neu gegenüber dem Dokument A4.

6.2 Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit wird nicht im Verfahren berücksichtigt.

6.3 Der von der Einsprechenden hilfsweise gestellte Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung bleibt unberücksichtigt

6.4 Damit ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Einspruch muss zurückgewiesen werden, was einer Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entspricht.

6.5 Die Voraussetzungen der Regel 103 (4) c) EPÜ liegen für die Einsprechende vor, weshalb die von der Einsprechenden gezahlte Beschwerdegebühr zu 25% zurückzuerstatten ist.

6.6 Die Vorraussetzung der Regel 103 (4) c) EPÜ liegen dagegen für die Patentinhaberin nicht vor, weshalb der Patentinhaberin keine anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr zusteht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

3. Die von der Einsprechenden gezahlte Beschwerdegebühr wird zu 25% zurückerstattet.

Quick Navigation