T 2356/18 () of 10.5.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T235618.20210510
Datum der Entscheidung: 10 Mai 2021
Aktenzeichen: T 2356/18
Anmeldenummer: 13736839.5
IPC-Klasse: B02C 15/00
B02C 15/04
B02C 23/32
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERTIKALROLLENMÜHLE
Name des Anmelders: thyssenkrupp Industrial Solutions AG
Name des Einsprechenden: Gebr. Pfeiffer SE
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 103(4)(c)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
RPBA2020 Art 012(2)
RPBA2020 Art 015(1)
RPBA2020 Art 015(3)
Schlagwörter: Entscheidung im schriftlichen Verfahren - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens - Beschwerdevorbringen ist auf Einwände gerichtet, die Entscheidung zugrunde liegen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0073/17
T 0191/17
T 2698/17
T 0795/19
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende hat gegen die Entscheidung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. EP 2 879 798 zurückgewiesen wurde, form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

II. Mit dem Einspruch war das Patent in vollem Umfang unter Geltendmachung der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ angegriffen worden.

III. Die vorliegende Entscheidung stützt sich auf folgende Dokumente:

D1: US 2004/0227024 A1,

D4: AT 122554 B,

D5a: DE 852 646 B.

IV. Die Parteien stellten folgende Anträge zur Entscheidung:

für die Beschwerdeführerin (Einsprechende)

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents,

für die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin)

die Zurückweisung der Beschwerde, oder,

hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderten Fassung gemäß einem der zusammen mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 und 2.

V. Die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wurde hilfsweise von beiden Parteien mit der Beschwerdebegründung bzw. mit der Beschwerdeerwiderung beantragt.

VI. Mit einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents erfinderisch ausgehend von der Lehre der D4 in Kombination mit der Lehre der D1 angesehen werde und die weiteren Einwände bezüglich der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen seien, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen sein dürfte.

VII. Die Beschwerdeführerin nahm hierzu in der Sache nicht Stellung, sondern teilte mit Schriftsatz vom 15. April 2021 lediglich mit, nicht an der auf ihren Hilfsantrag hin anberaumten mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

VIII. Die Kammer hob daraufhin den Termin zur mündlichen Verhandlung auf und entschied im schriftlichen Verfahren.

IX. Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung lautet (entsprechend der Merkmalsgliederung unter Punkt I. der Beschwerdebegründung und unter Punkt I.8 des angefochtenen Entscheidung):

M1: Vertikalrollenmühle mit wenigstens einer

Mahlrolle (1) und einem Mahlteller (2)

M2: sowie einem um den Mahlteller angeordneten

Düsenring (7), der mit einem darunter

angeordneten Ringraum (9) in Verbindung steht,

M3: wobei der Ringraum (9) wenigstens zwei über

seinen Umfang verteilt angeordnete Gaseinlässe

(10, 11, 12, 13) aufweist,

M4: die in gleicher Drehrichtung tangential

einmünden, wobei

M5: der Ringraum (9) nach außen zwischen den

Gaseinlässen (10, 11, 12, 13) jeweils durch

eine spiralförmige Wandung (14, 15, 16, 17)

begrenzt wird.

X. Der Wortlaut von Ansprüchen der Hilfsanträge ist angesichts der getroffenen Entscheidung nicht relevant.

XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel

12 (8) VOBK 2020 unter Wahrung der Verfahrensrechte der Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt beachtet, da die Verfahrensbeteiligten umfangreich zur Sache vorgetragen haben und die Kammer diesen Vortrag ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Dabei bietet diese Vorschrift nur die Möglichkeit, gehört zu werden. Durch die ausdrückliche Erklärung der Absicht, an der mündlichen Verhandlung, zu der beide Parteien ordnungsgemäß geladen waren, nicht teilnehmen zu wollen, gab die Beschwerdeführerin diese Gelegenheit auf (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Ausgabe 2019, Abschnitte III.B.2.7.3 und V.A.4.5.3, mit weiteren Nachweisen).

Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf mündliche Verhandlung ergänzt ihren Hauptantrag auf Zurückweisung der Beschwerde. Da die Kammer mit der vorliegenden Entscheidung dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin folgt, wird der vorgenannte Hilfsantrag verfahrensrechtlich nicht aktiv.

In Anbetracht der obigen erwähnten Rechtslage trifft die Kammer unter Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung auf der Grundlage des wechselseitigen schriftsätzlichen Vorbringens beider Parteien die vorliegende Entscheidung (Artikel 15 (3) VOBK 2020).

Eine anteilige Rückzahlung der von der Beschwerdeführerin gezahlten Beschwerdegebühr nach Regel 103 (4) c) EPÜ scheidet vorliegend aus, da die Beschwerdeführerin zum einen ihren Antrag auf mündliche nicht förmlich zurückgenommen hat und unabhängig davon ihre Erklärung über die Nichtteilnahme an der zunächst anberaumten mündlichen Verhandlung ohnehin außerhalb der Frist der Regel 103 (4) c) EPÜ erfolgte (siehe insoweit auch T 73/17, Punkt 9.3 der Entscheidungsgründe, T 191/17, Punkt 7 der Entscheidungsgründe, T 2698/17, Punkt 6 der Entscheidungsgründe, und T 795/19, Punkt 4 der Entscheidungsgründe).

2. Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gegenüber D1 (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

2.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass das Merkmal M5 des Anspruchs 1, nämlich (siehe Punkt IX oben) dass:

"der Ringraum (9) nach außen zwischen den Gaseinlässen (10, 11, 12, 13) jeweils durch eine spiralförmige Wandung (14, 15, 16, 17) begrenzt wird",

unklar sei, weil weder im Anspruch 1 noch in der Beschreibung eindeutig definiert sei, wo der Gaseinlass endet und der Ringraum beginnt (siehe Seite 3, Absatz 5 bis 7 der Beschwerdebegründung).

Ferner fordere das Merkmal M5 nicht, dass der Ringraum nach außen zwischen den beiden Gaseinlässen durch eine spiralförmige Wandung begrenzt wird, die über den gesamten Bereich zwischen zwei Gaseinlässen spiralförmig ausgebildet ist.

Somit folgert die Beschwerdeführerin, dass das Merkmal M5 in der Ausführungsform von Figuren 3a und 3b offenbart sei (siehe Seite 5, letzter Absatz - Seite 6, erster Absatz der Beschwerdebegründung) und dass der Gegenstand des Anspruchs 1 entsprechend nicht neu sei.

2.2 Diese Argumentationslinie ist erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden.

Im Einspruchsverfahren argumentierte die Beschwerdeführerin, dass das Merkmal M5 in den Ausführungsformen der Figuren 4a, 4b, 5a und 5b offenbart wäre, die allerdings andere Ausführungsbeispiele als die der Figuren 3a und 3b zeigten (siehe Punkt 2.11 der Entscheidungsgründe).

Ein Grund für dieses Vorbringen erst mit der Beschwerdebegründung ist von der Beschwerdeführerin nicht angegeben worden.

Die Kammer sieht auch keinen.

Die Kammer erachtet daher, dass der obige Einwand bereits im Einspruchsverfahren hätte vorgebracht werden können und sollen.

Mit dieser Vorgehensweise hat die Beschwerdeführerin verhindert, dass die Beschwerdegegnerin zu der obigen Argumentationslinie im Einspruchsverfahren Stellung nehmen und die Einspruchsabteilung über diese Frage entscheiden konnten.

Diese Handlungsweise widerspricht dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (siehe Artikel 12 (2) VOBK 2020).

In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hat die Kammer ihre vorläufige Stellungsnahme bekannt gegeben, demzufolge der obige Einwand ins Verfahren nicht zugelassen werden dürfte (siehe dort Punkt 9), auf die die Beschwerdeführerin nicht reagiert hat.

Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer vorläufigen Auffassung abzuweichen, und hält es in Anbetracht des Artikels 12 (2) VOBK 2020 für angemessen, von ihrem Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 Gebrauch zu machen und den oben genannten Einwand nicht zum Verfahren zuzulassen.

3. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 ausgehend von D1 (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

Ausgehend von D1 formuliert die Beschwerdeführerin für ihre beiden Argumentationslinien die zu lösende objektive technische Aufgabe (siehe Punkt II.3, fünfter Absatz, und Punkt II.4, vierter Absatz, der Beschwerdebegründung) als:

"...eine konkrete Ausführungsform für eine in den Figuren 3a und 3b offenbarte Luftführungsanordnung aufzufinden, bei der eine graduelle Verringerung eines Leitungsquerschnittes umgesetzt ist...".

Die Kammer stellt fest, dass im Einspruchsverfahren die Beschwerdeführerin ausgehend von D1 eine andere Aufgabe betrachtet hat (siehe die Entscheidungsgründe, Punkt 3.11, erster Absatz, dritter Satz), nämlich

"...in dem Düsenring eine gleichmäßige Luftverteilung mit einer hohen Luftgeschwindigkeit zu erhalten, wobei die Luftgeschwindigkeit ausreichend ist, um Mahlgut anzuheben..."

Die neue Formulierung der zu lösenden Aufgabe stellt ein neues Vorbringen seitens der Beschwerdeführerin dar, wofür kein Grund angegeben wurde.

Die Änderung der objektiven technischen Aufgabe im Vergleich zum Einspruchsverfahren ist nicht unerheblich, da die Bestimmung der objektiven technischen Aufgabe ein Kernbestandteil der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit ist.

Die Kammer ist der Auffassung, dass die auf der obigen Aufgabestellung basierenden Argumentationslinien der fehlenden erfinderischen Tätigkeit im Einspruchsverfahren hätte vorgebracht werden können und müssen, so dass die Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren Stellung nehmen und die Einspruchsabteilung über diese Frage entscheiden konnte.

Diese Handlungsweise widerspricht dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (siehe Artikel 12 (2) VOBK 2020).

In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hat die Kammer ihre vorläufige Stellungsnahme mitgeteilt, wonach die Einwände der fehlenden erfinderischen Tätigkeit basierend auf der obigen Aufgabe ins Verfahren nicht zugelassen werden dürften (siehe dort Punkt 10 und 11).

Die Beschwerdeführerin hat nicht auf die Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 reagiert.

Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer vorläufigen Auffassung abzuweichen, und hält es in Anbetracht des Artikels 12 (2) VOBK 2020 für angemessen, in entsprechender Weise zu Punkt 2.2 oben, von ihrem Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 Gebrauch zu machen und die oben genannten Einwände nicht ins Verfahren zuzulassen.

4. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 ausgehend von D4 in Kombination mit D1 (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass ausgehend von D4, mit der Aufgabe eine Vertikalrollenmühle bereitzustellen, bei der die Luftführung, die dazu dient, Mahlgut dem Sichter zuzuführen, gleichmäßig ist, der Fachmann aufgrund der Zusammenfassung der D1 einen zweiten Lufteinlass vorsähe, so dass er zum Gegenstand des Anspruchs 1 käme (siehe Punkt II.5 der Beschwerdebegründung), überzeugt nicht.

Vielmehr stimmt die Kammer mit der Beschwerdegegnerin (siehe Punkt III.3 der Beschwerdeerwiderung) überein, dass die Argumentation der Beschwerdeführerin eine rückschauende Betrachtung darstellt.

Sollte der Fachmann aufgrund der Lehre der D1 auf die Idee kommen, einen weiteren Lufteinlass in D4 hinzufügen, um eine Vergleichmäßigung der Strömung zu erreichen, dann zöge er die gesamte Lehre von D1 in Betracht und griffe dabei insbesondere, wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert (siehe Seite 7, vierter Satz, der Beschwerdeerwiderung), auf die gesamte Lösung des Ausführungsbeispiels gemäß den Figuren 3a und 3b der D1 zurück, so dass er auf die spiralförmige Wandung von D4 verzichtete. Dass der Fachmann aufgrund der Lehre der D1 ausgehend von der Ausführungsform der Figur 2 der D4 zu einer Vertikalrollenmühle gemäß der Figur auf Seite 11 der Beschwerdebegründung käme, ist eine unbewiesene Behauptung und kann nur als das Ergebnis einer ex-post-facto Analyse angesehen werden.

Die vorstehende Auffassung der Kammer wurde den Parteien in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 bekannt gegeben (siehe dort Punkt 12), auf die die Beschwerdeführerin nicht reagiert hat.

Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage bleibt die Kammer von der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5. Die Beschwerdeführerin hat somit die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht dargetan, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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