T 0191/17 () of 28.1.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T019117.20210128
Datum der Entscheidung: 28 Januar 2021
Aktenzeichen: T 0191/17
Anmeldenummer: 12001302.4
IPC-Klasse: B05B7/24
B05B9/01
B05B7/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Farbspritzpistole mit einem Grundkörper und einer auswechselbaren Farbleiteinrichtung
Name des Anmelders: HSM Lackiersysteme 1.Patentverwertungs UG (haftungsbeschränkt)
Name des Einsprechenden: Büttner, Dirk
3M Innovative Properties Co.
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c) (2007)
European Patent Convention Art 113 (2007)
European Patent Convention Art 116 (2007)
European Patent Convention R 103(4)(c) (2020)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 012(8) (2020)
RPBA2020 Art 015(1) (2020)
RPBA2020 Art 015(3) (2020)
Schlagwörter: Wahrung des Gebots auf ein faires Verfahren und des rechtlichen Gehörs - (ja)
Einspruchsgründe - Hauptantrag
Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (ja)
Spät eingereichte Hilfsanträge 1 bis 8
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein) keine explizite Rücknahme des Antrages auf mündliche Verhandlung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0777/15
T 0073/17
T 0517/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2698/17
T 2356/18
T 0795/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) hat form- und fristgerecht gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 2 486 985 widerrufen wurde, Beschwerde eingelegt.

II. Zwei Einsprüche richteten sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und stützten sich auf alle in Artikel 100 EPÜ angegebenen Einspruchsgründe.

III. Die Einspruchsabteilung stellte u.a. fest, dass

- der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ

i.V.m. Artikel 76 (1) EPÜ gegenüber

Anspruch 1 des Hauptantrags greift;

- Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung

eingereichten Hilfsantrags 0 die Erfordernisse

des Artikels 54 EPÜ nicht erfüllt;

- Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung

eingereichten Hilfsantrags 1 die Erfordernisse

der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ nicht erfüllt;

- die während der mündlichen Verhandlung

eingereichten Hilfsanträge 2 bis 7 nicht ins

Verfahren zuzulassen sind;

- weitere, während der mündlichen Verhandlung

angekündigte Hilfsanträge, nicht ins

Verfahren zuzulassen sind.

IV. Der Einsprechende 1 hat sich im Beschwerdeverfahren zur Sache nicht geäußert, aber mit seinem am 15. September 2020 eingegangenen Schriftsatz mitgeteilt, dass er im vorliegenden Verfahren nicht mehr als Verfahrensbeteiligter geführt werden wolle. Die Kammer betrachtet diese Erklärung als Rücknahme des Einspruchs (siehe Mitteilung der Kammer vom 18. September 2020). Der Einsprechende 1, dem diese Mitteilung zugestellt wurde und der der Qualifikation seiner Erklärung als Rücknahme seines Einspruchs nicht widersprochen hat, ist daher keine Partei mehr im vorliegenden Beschwerdeverfahren.

V. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

die Aufrechterhaltung des Patents in der

erteilten Fassung (Hauptantrag),

hilfsweise,

die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter

Fassung auf der Basis eines der zusammen mit der

Beschwerdebegründung als Hilfsanträge 1 bis 8

eingereichten Anspruchsätze.

Die Einsprechende 2 (Beschwerdegegnerin) beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde.

Beide Parteien beantragten hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

VI. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 24. September 2020 zur Vorbereitung der für den 29. Januar 2021 anberaumten mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach

die Beschwerde zurückzuweisen sei.

VII. Die Beschwerdeführerin nahm hierzu in der Sache nicht Stellung, sondern kündigte lediglich mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021 an, nicht an der auch auf ihren Hilfsantrag hin anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen.

VIII. Die Kammer hob darauf hin den Termin zur mündlichen Verhandlung auf und entschied den vorliegenden Fall im schriftlichen Verfahren.

Entscheidungsgründe

1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen

Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar sind (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren

2.1 Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 unter Wahrung der Verfahrensrechte der Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.

2.2 Der Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt gewahrt, da diese Vorschrift nur die Möglichkeit bietet, gehört zu werden. Durch die ausdrückliche Erklärung ihrer Absicht, an der mündlichen Verhandlung, zu der beide Parteien ordnungsgemäß geladen waren, nicht teilzunehmen, gibt die Beschwerdeführerin diese Gelegenheit auf (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.B.2.7.3 und V.A.4.5.3).

2.3 Da die Kammer dem Antrag der Beschwerdegegnerin auf Zurückweisung der Beschwerde stattgibt, entfaltet der dazu nachrangige Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).

2.4 Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des wechselseitigen schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien (Artikel 15 (3) VOBK 2020) im schriftlichen Verfahren bei Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung entscheidungsreif.

3. Wahrung des Gebots auf ein faires Verfahren und des rechtlichen Gehörs während des Einspruchsverfahrens

3.1 Die Beschwerdeführerin machte in ihrer Beschwerde geltend, dass das Gebot auf ein faires Verfahren und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör während des Einspruchsverfahrens verletzt wurden.

3.2 Unter den Punkten 10.1 bis 10.10 ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien im Hinblick auf die Wahrung des Gebots auf ein faires Verfahren und auf die Wahrung des rechtlichen Gehörs während des Einspruchsverfahrens folgende vorläufige Meinung mit:

3.3 "10.1 Die Patentinhaberin rügt die Verletzung der Grundsätze des Gebots auf ein faires Verfahren und des Verbots der Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil sie sich wegen fehlender Mitteilung in der Ladung betreffend die vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung in Bezug auf formelle Einwände nicht habe angemessen verteidigen können. Im vorliegenden Einspruchsverfahren komme erschwerend hinzu, dass das erste Mitglied der Einspruchsabteilung auch der zuständige Prüfer im Prüfungsverfahren war. Die o.g. Grundsätze geböten auch die Terminierung der einzelnen mündlichen Verhandlungen für die auf der früheren europäischen Anmeldung EP 08003426.7 / dem europäischen Patent EP 1 964 616 basierenden Teilanmeldungen, die Gegenstand der Beschwerdeverfahren T 186/17 (EP 11006422.7 / EP 2 386 360), T 191/17 (EP 12001302.4 / EP 2 486 985) und T 197/17 (EP 13001392.3 / EP 2 617 495) sind, mit ausreichendem Zwischenraum von mindestens zwei Monaten und nicht innerhalb einer Woche, wie es im Einspruchsverfahren der Fall war.

10.2 Während des schriftlichen Teils des vorangegangenen Einspruchsverfahrens wandte sich die Einsprechende 2 u.a. gegen die Verletzung der Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ durch Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung und gegen die fehlende Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung gegenüber der D2, siehe Punkte 6.1 und 7.1 des Einspruchschriftsatzes vom 16. März 2015. Der Patentinhaberin waren daher die o.g. Einwände seit fast zwei Jahren vor der Durchführung der mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2016 und somit weit im Voraus vor dem Abschluss des Einspruchsverfahrens bekannt.

10.3 Zu diesen Einwänden reagierte die Patentinhaberin im schriftlichen Verfahren argumentativ mit Schriftsätzen vom 1. Februar 2016, siehe Punkte 1, 2, 4.1 und 5, und vom 23. August 2016, siehe Punkte 1, 4 und 5. Sie reichte mit beiden Schriftsätzen zudem mehrere Hilfsanträge ein.

10.4 In ihrer der Ladung zur auf den 26. Oktober 2016 terminierten mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung vom 8. Februar 2016 listete die Einspruchsabteilung u.a. die Themen auf, welche zu diskutieren wären, ohne sich dabei zur Sache zu äußern. Für die bis dahin von den Parteien schriftlich vorgetragenen Argumente sah die Einspruchsabteilung offensichtlich keinen weiteren Klärungsbedarf.

10.5 Während der mündlichen Verhandlung wurden die oben genannten Einwände mit den Parteien diskutiert und die Einspruchsabteilung folgte diesbezüglich der Argumentation der Einsprechenden 2. Die Patentinhaberin konnte sich zu den o.g. Einwänden äußern, siehe Niederschrift über die mündlichen Verhandlung, und reichte dabei mehrere Hilfsanträge ein.

10.6 Die Einspruchsabteilung folgte schliesslich den Argumenten der Einsprechenden 2, siehe Punkte 2.2.5.2, 2.3.6.2, 2.4.2.1 und 2.6 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, und widerrief das Streitpatent.

10.7 Angesichts des oben geschilderten Verfahrensablaufs konnte sich die Patentinhaberin nach der Überzeugung der Kammer angemessen verteidigen. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern besteht außerdem auf der Grundlage von Artikel 113 (1) EPÜ keine Notwendigkeit für die Einspruchsabteilung ihre Meinung vor dem Widerruf des Patents in einem Bescheid darzulegen, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, IV.C.6.2.

10.8 Die Tatsache, dass ein Mitglied der Einspruchsabteilung auch Mitglied der Prüfungsabteilung war, welche das Patent erteilt hatte, stellt ebenfalls keine Verletzung der o.g. Grundsätze dar. Sowohl die Prüfungsabteilung als auch die Einspruchsabteilung sind als Kollegialspruchkörper organisiert, welche als solche und nicht als einzelne Personen Entscheidungen fällen.

10.9 Für ihre Behauptung, dass das Gebot auf ein faires Verfahren und das Verbot der Verletzung des rechtlichen Gehörs gebieten, dass die einzelnen mündlichen Verhandlungen betreffend die drei o.g. Teilanmeldungen nicht innerhalb einer Woche terminiert werden sollten, hat die Patentinhaberin keinen Beleg vorgelegt. Es ist diesbezüglich auch anzumerken, dass innerhalb des sechsmonatigen Zeitraums, welcher zwischen der Ladung und der Durchführung der jeweiligen mündlichen Verhandlung lag, in keinem dieser Einspruchsverfahren die Patentinhaberin einen Einwand gegen den jeweiligen Termin der mündlichen Verhandlung erhoben hat oder eine Vertagung einer der o.g. mündlichen Verhandlungen beantragte.

10.10 Aus den o.g. Gründen kann die Kammer im gesamten Einspruchsverfahren weder eine Verletzung des Gebots auf ein faires Verfahren noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs erkennen."

3.4 Die Beschwerdeführerin hat die oben genannte vorläufige Meinung der Kammer weder in Frage gestellt noch kommentiert, siehe Punkt VII oben.

3.5 Die Kammer sieht - nach nochmalige Bewertung der Rechts- und Sachlage - keinen Grund, von ihrer oben genannten vorläufigen Meinung abzurücken.

3.6 Im gesamten Einspruchsverfahren ist daher weder eine Verletzung des Gebots auf ein faires Verfahren noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erkennen.

4. Hauptantrag - Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ

4.1 Die Beschwerdeführerin machte in ihrer Beschwerde geltend, dass in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ nicht greift.

4.2 Dabei gelangte die Einspruchsabteilung betreffend die Frage, ob in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ greift, unter Punkt 2.2.5.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung zur folgenden Schlussfolgerung:

4.3 "2.2.5.2 Die Einspruchsabteilung teilt diese Auffassung nicht.

Die Merkmale 1.2 bis 1.4 des erteilten Anspruchs 1 waren im Absatz [0060] der früheren europäischen Anmeldung offenbart.

Gemäß Absatz [0060] der früheren europäischen Anmeldung weist die Farbleiteinrichtung an ihrem dem Farbauslass zugewanden Ende eine Rastnase auf, die in einer Hinterschneidung des Grundkörpers rastend anordenbar ist.

Gemäß Absatz [0119] der früheren europäischen Anmeldung ist diese [Rast]nase 62 hinter dem Bereich der Farbdüse angeordnet.

Das Merkmal "an ihrem dem Farbauslass zugewanden Ende" wurde zur Abgrenzung des erteilten Anspruchs 1 nicht verwendet.

Da zwischen diesem vergessenen Merkmal und den anderen Merkmalen, die im Absatz [0060] der früheren europäischen Anmeldung offenbart waren und zur Abgrenzung des erteilten Anspruchs 1 verwendet worden sind, ein struktureller Zusammenhang besteht, ist die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass dieses Herausgreifen isolierter Merkmale aus einer ursprünglich offenbarten Merkmalskombination gemäß den Richtlinien für die Prüfung im EPA H-5; 3.2.1 nicht zulässig ist.

Die Einspruchsabteilung ist daher der Auffassung, dass die Farbspritzpistole gemäß erteiltem Anspruch 1 über den Inhalt der früheren europäischen Anmeldung hinausgeht."

4.4 Unter Punkt 11.2.1 ihre Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien im Hinblick auf die Frage, ob in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ greift, folgende vorläufige Meinung mit:

4.5 "Die Kammer folgt der Argumentation der Einspruchsabteilung, siehe Punkt 2.2.5.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, und der der Einsprechenden 2, siehe Punkt 2.2.1 der Beschwerdeerwiderung, wonach die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ nicht erfüllt sind."

4.6 Die Beschwerdeführerin hat die oben genannte vorläufige Meinung der Kammer weder in Frage gestellt noch kommentiert, siehe Punkt VII oben.

4.7 Die Kammer sieht - nach nochmalige Bewertung der Rechts- und Sachlage - keinen Grund, von ihrer oben genannten vorläufigen Meinung abzurücken.

4.8 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ greift daher in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hauptantrag ist nicht gewährbar.

5. Zulässigkeit der Hilfsanträge 1 bis 8

5.1 Unter Punkt 13 ihre Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien im Hinblick auf die Zulässigkeit der zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 8 folgende vorläufige Meinung mit:

5.2 "Zulässigkeit der Hilfsanträge 1 bis 8

Hilfsanträge 1 und 2

13.1 Hilfsantrag 1 entspricht dem von der Patentinhaberin am Anfang der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 0 und nicht dem korrigierten Hilfsantrag 0, welcher von der Patentinhaberin nach Erörterung des ursprünglichen Hilfsantrages 0 eingereicht und somit von ihr zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gemacht wurde, siehe Punkte 2, 5, 7 und 9 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung.

13.2 Hilfsantrag 2 entspricht dem von der Patentinhaberin am Anfang der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 1 und nicht dem geänderten Hilfsantrag 1, welcher von der Patentinhaberin nach Erörterung des ursprünglichen Hilfsantrages 1 eingereicht und somit von ihr zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gemacht wurde, siehe Punkte 2 und 16 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung.

13.3 Die vorliegenden Hilfsanträge 1 und 2 wurden zwar am Anfang der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht, sie wurden aber dann während der mündlichen Verhandlung durch andere gleichnamige Anträge ersetzt. Durch diese Verfahrensweise hat die Patentinhaberin ihre ursprünglichen am Beginn der mündlichen Verhandlung eingereichten und diskutierten Hilfsanträge 0 und 1 zurückgenommen und sie damit einer formellen Entscheidung durch die Einspruchsabteilung entzogen, die an die finale Antragstellung der Patentinhaberin, die sich, abgesehen vom Hauptantrag und den weiteren Hilfsanträgen 2 bis 7, eben nur noch auf den korrigierten Hilfsantrag 0 und den geänderten Hilfsantrag 1 bezog, gebunden war.

13.4 Die Hilfsanträge 1 und 2 sind daher gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern weder Gegenstand des Beschwerdeverfahrens im Sinne von Artikel 12 (1) a) und (2) VOBK 2020 noch sind sie auf der Basis von Artikel 12 (4) VOBK 2007 ins Verfahren zuzulassen, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, V.A.4.11.3f).

Hilfsanträge 3 bis 8

13.5 Die Hilfsanträge 3 bis 8 entsprechen den Hilfsanträgen 2 bis 7, welche die Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen hat, da sie der Meinung war, dass diese Hilfsanträge prima facie die Erfordernisse der Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ nicht erfüllen, siehe Punkt 2.6 der angefochtenen Entscheidung.

13.6 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist bei einer angefochtenen Ermessensentscheidung der ersten Instanz nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz bei einer Entscheidung in einer bestimmten Sache ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat und damit ihr eingeräumtes Ermessen überschritten hat, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.3.5.1b).

13.7 Die Patentinhaberin hat in ihrer Beschwerdebegründung keine Gründe angegeben, warum die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt hat. Auch die Kammer selbst kann nicht erkennen, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt hat.

13.8 Es wurde weiterhin in etlichen Entscheidungen der Beschwerdekammern darauf hingewiesen, dass nicht substantiierte Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen sind, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.4.12.5.

13.9 Artikel 12 (4) VOBK 2007, zweiter Halbsatz, bestimmt, dass das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12 (1) VOBK 2007/2020 von der Kammer berücksichtigt wird, "wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt" (Hervorhebung durch die Kammer).

13.10 Die ersten zwei Sätze des Artikels 12 (2) VOBK 2007, dem Artikel 12 (3) VOBK 2020 im wesentlichen entspricht, lauten:

"Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten. Sie müssen deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und sollen ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen" (Hervorhebung durch die Kammer).

13.11 Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die Hilfsanträge 3 bis 8 gewährbar sein sollen. Dabei betreffen diese Hilfsanträge Kombinationen des erteilten Anspruchs 1 mit mehreren, aus unterschiedlichen Beschreibungsabsätzen der D0 (EP 1 964 616 A2) entnommenen Merkmalen. Die Beschwerdebegründung enthält keine Angaben der Beschwerdeführerin über die Patentfähigkeit dieser Hilfsanträge, obwohl in der angefochtenen Entscheidung u.a. zur fehlenden Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des damaligen Hilfsantrags 0 und zur Nichterfüllung der Erfordernisse der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ durch den jeweiligen Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung oder der damaligen Hilfsanträge 1 bis 8 entsprechende Gründe angegeben worden sind. Auch im gesamten Einspruchsverfahren wurde seitens der Einsprechenden u.a. die erfinderische Tätigkeit in Frage gestellt.

13.12 Da die Beschwerdebegründung entgegen den Erfordernissen des Artikels 12 (2) VOBK 2007 / Artikel 12 (3) VOBK 2020 nicht den vollständigen Sachvortrag zur Patentfähigkeit der Hilfsanträge 3 bis 8 aufweist, insbesondere nicht ausdrücklich und spezifisch alle Argumente anführt, ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin mit dem Antrag, das Patent auf der Grundlage dieser Hilfsanträge aufrechtzuerhalten, von der Kammer auch aus diesem Grund nicht zu berücksichtigen.

13.13 Im vorliegenden Fall ist außerdem die Kammer, der seitens der Einsprechenden 2 unter Punkten 4.2 bis 4.9 der Beschwerdeerwiderung vorgetragenen Argumentation folgend, der vorläufigen Meinung, dass prima facie die Hilfsanträge 1 bis 8 zumindest die Erfordernisse der Artikel 76(1), 123 (2) und 84 EPÜ nicht zu erfüllen scheinen.

13.14 Im Ergebnis beabsichtigt die Beschwerdekammer deshalb, in Ausübung des Ermessens der Kammer nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 keinen der Hilfsanträge 1 bis 8 ins Verfahren zuzulassen."

5.3 Die Beschwerdeführerin hat die oben genannte vorläufige Meinung der Kammer weder in Frage gestellt noch kommentiert, siehe Punkt VII oben.

5.4 Die Kammer sieht - nach nochmalige Bewertung der Rechts- und Sachlage - keinen Grund, von ihrer oben genannten vorläufigen Meinung abzurücken.

5.5 Aus den o.g. Gründen, lässt die Kammer in Ausübung ihres Ermessens Artikel 12 (4) VOBK 2007 keinen der Hilfsanträge 1 bis 8 ins Verfahren zu.

6. Im Ergebnis

- ist weder eine Verletzung des Gebots auf ein faires Verfahren noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erkennen,

- begründet keiner der seitens der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung sowie

- sind die Hilfsanträge 1 bis 8 nicht ins Verfahren zugelassen.

Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.

7. Regel 103 (4) c) EPÜ - Ankündigung, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen

7.1 Die Beschwerdeführerin erklärte im Schriftsatz vom 25. Januar 2021, dass sie an der für den 29. Januar 2021 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, zu der die Verfahrensbeteiligten ordnungsgemäß geladen worden waren.

7.2 Regel 103 (4) c) EPÜ sieht eine Erstattung der Beschwerdegebühr von 25% vor, wenn

"ein etwaiger Antrag auf mündliche Verhandlung innerhalb eines Monats ab Zustellung einer von der Beschwerdekammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung zurückgenommen wird und keine mündliche Verhandlung stattfindet." (Hervorhebung durch die Kammer)

7.3 Wie im Fall T 73/17 vom 15. Juni 2020 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) der erkennenden Kammer in anderer Besetzung stellt sich die Frage, ob diese Ankündigung der Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung eine anteilige Erstattung der Beschwerdegebühr in Höhe von 25% gemäß Regel 103 (4) c) EPÜ auslöst.

7.4 Zur Frage, ob die Ankündigung einer Partei, nicht an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen, als implizite Rücknahme ihres Antrags auf mündliche Verhandlung anzusehen ist, bestätigt die Kammer den in der Entscheidung T 73/17 (supra) unter Hinweis auf die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände für die Neufassung der Regel 103 EPÜ verfolgten Ansatz. In diesem Fall stellte die Kammer fest (Punkt 9.3 der Gründe):

"Nach ständiger Rechtsprechung kann der Antrag eines Beteiligten auf mündliche Verhandlung nur durch eine eindeutige gegenteilige schriftliche Willenserklärung zurückgenommen werden. Diese Voraussetzung wird in der Rechtsprechung regelmäßig nicht als erfüllt angesehen bei einer bloßen Ankündigung, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.C.4.3.1, mit weiteren Nachweisen). Soweit in einzelnen Verfahren eine solche Ankündigung als implizite Rücknahme ausgelegt worden zu sein scheint (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, III.C.4.3.2, mit weiteren Nachweisen), ist diese Rechtsprechung zur Überzeugung der Kammer jedenfalls nicht auf die Regel 103 (4) c) EPÜ übertragbar."

7.5 Die Kammer nimmt in ihrer aktuellen Besetzung die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.03 in der Beschwerdesache T 517/17 vom 27. Oktober 2020 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) zur Kenntnis. In dieser Entscheidung ist in Punkt 6.3 der Gründe, zweiter Absatz, in Abgrenzung zur Entscheidung T 73/17 (supra) Folgendes ausgeführt (inoffizielle Übersetzung aus der englischen Verfahrenssprache):

"Diese Kammer ist jedoch der Auffassung, dass, wenn es stimmt, dass die ausdrückliche Ankündigung, nicht an einer vereinbarten mündlichen Verhandlung vor der Kammer teilzunehmen, einer Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung gleichkommt, dies für alle Auswirkungen zutreffen und gültig sein muss, die das EPÜ und die Rechtsprechung mit einer Antragsrücknahme verbinden. Es erscheint als nicht gerechtfertigt, die ausdrückliche Ankündigung der Nichtteilnahme an einer mündlichen Verhandlung für die Zwecke der Frage, ob eine mündliche Verhandlung (noch) stattfinden soll, als gleichwertig mit einer Rücknahme des Antrages auf mündliche Verhandlung zu qualifizieren, sie für die Zwecke der Frage, ob Gebühren zurückgezahlt werden sollen, jedoch als nicht gleichwertig zu behandeln."

7.6 Nach Auffassung der Kammer scheinen diese Erwägungen nicht vollumfänglich zu erfassen, dass die Voraussetzungen gemäß Artikel 116 (1) EPÜ für eine mündlichen Verhandlung auf Antrag einer Partei einerseits und gemäß Regel 103 (4) c) EPÜ für die anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr andererseits verschieden konzeptionell sind.

Artikel 116 (1) EPÜ regelt allein die Voraussetzungen für die Ladung zu und Durchführung einer mündlichen Verhandlung: auf Antrag einer Partei oder wenn dies vom Europäischen Patentamt als zweckmäßig erachtet wird. Dieser Artikel regelt dagegen nicht, unter welchen Bedingungen eine bereits anberaumte mündliche Verhandlung abgesagt werden kann. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern hat sich mit letzterer befasst und verlangt entweder eine explizite oder eine implizite Erklärung eines Verfahrensbeteiligten auf Rücknahme eines früheren Antrages auf mündliche Verhandlung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, III.C.4.3.1 und 2).

Die Verfahrenserklärung einer Partei über ihre Absicht, nicht an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die auf Antrag dieser Partei anberaumt wurde, kann die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung beseitigen, unabhängig davon, ob diese Äußerung als implizite Rücknahme oder als bloße Nichtaufrechterhaltung des Antrags auf mündliche verstanden bzw. als Wegfall des Interesses an einem mündlichen Beschwerdevorbringen angesehen wird.

Anders als Artikel 116 (1) EPÜ setzt der Regelungsgehalt von Regel 103 (4) c) EPÜ gerade an dem Punkt der Aufhebung eines bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung an, indem sie verlangt, dass der "Antrag auf mündliche Verhandlung ... zurückgenommen wird". Obwohl der Begriff "zurückgenommen" nicht weiter qualifiziert ist, weist die Tatsache, dass diese Regel ausdrücklich eine Rücknahmeerklärung vorsieht, bereits darauf hin, dass nicht weniger als eine prozessuale Antragsrücknahmeerklärung erforderlich ist, um die rechtliche Konsequenz einer teilweisen Rückzahlung der Beschwerdegebühr auszulösen.

Diese Auslegung des Wortlauts von Regel 103 (4) c) EPÜ wird durch die Vorarbeiten und die Umstände der neuen Fassung von Regel 103 EPÜ bestätigt. Danach ist

"die Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % zurückzuzahlen, wenn trotz eines vorangegangenen Antrags auf mündliche Verhandlung die Entscheidung letzten Endes ergeht, ohne dass eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Dies wird der Fall sein, wenn die Kammer eine mündliche Verhandlung nicht für sachdienlich hält und im einseitigen Verfahren der Anmelder/Beschwerdeführer seinen Antrag auf mündliche Verhandlung zurücknimmt bzw. im mehrseitigen Verfahren alle Beteiligten ihre Anträge auf mündliche Verhandlung zurücknehmen." (siehe CA/80/19, of 4 Oktober 2019, Ziffer 85)

7.7 Sowohl der Wortlaut der Bestimmung als auch ihre Gesetzgebungsgeschichte leiten somit das Verständnis der Kammer von der Regel 103 (4) c) EPÜ, dass für eine anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr eine ausdrückliche Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung erforderlich ist, nicht nur eine Ankündigung der Nichtteilnahme an einer mündlichen Verhandlung. Die prozessuale Antragsrücknahmeerklärung ist daher von entscheidender Bedeutung, so dass aus Gründen der Rechtssicherheit, insbesondere für die am Verfahren Beteiligten, eine ausdrückliche und eindeutige schriftliche Rücknahmeerklärung eine notwendige Voraussetzung für die anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist.

Die Entscheidung T 777/15 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) scheint einen ähnlichen Ansatz verfolgt zu haben, indem sie eine besondere Erklärung über die Rücknahme eines Antrags auf mündliche Verhandlung durch einen Beschwerdeführer verlangt (siehe Punkt 4 der Gründe).

7.8 Die zweite und dritte Voraussetzung von Regel 103 (4) c) EPÜ, d.h., dass die Rücknahme innerhalb eines Monats ab Zustellung der Mitteilung der Beschwerdekammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erklärt wird (hier die Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 Absatz 1 VOBK 2020 vom 24. September 2020) und dass keine mündliche Verhandlung stattfindet, müssen ebenfalls erfüllt werden.

7.9 Im vorliegenden Fall ist die dritte Anforderung erfüllt, nicht jedoch die erste und die zweite Anforderung.

7.10 Die Ankündigung der Beschwerdeführerin, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ermöglicht es der Kammer, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen, erlaubt indes keine anteilige Erstattung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (4) c) EPÜ an die Beschwerdeführerin.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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