European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T302918.20200603 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 03 Juni 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 3029/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09003474.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | F02D9/04 F02D9/10 F02D11/06 F02D11/10 F16K1/22 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Abgasklappenantrieb für ein Kraftfahrzeug | ||||||||
Name des Anmelders: | Küster Holding GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Tenneco GmbH Kohlhage Automotive GmbH & Co. KG |
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Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - (ja) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Sorgfaltspflicht bei Einsatz von Hilfspersonen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - alle gebotene Sorgfalt (ja) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - einmaliges Versehen in einem zuverlässigen System zur Fristenüberwachung |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin, Küster Holding GmbH, hat wegen der Entrichtung einer nicht vollständigen Beschwerdegebühr gemäß Artikel 122 und Regel 136 EPÜ am 28. Januar 2019 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
II. Der Differenzbetrag der Beschwerdegebühr sowie die Gebühr für die Wiedereinsetzung wurden am 11. Januar 2019 entrichtet.
III. Die Antragstellerin hat den Antrag wie folgt begründet:
Die Beschwerdegebühr wurde fällig am 4. Januar 2019, aber vor dem Hintergrund der Weihnachtsfeiertage hat die Antragstellerin die Gebühr schon am 19. Dezember 2018 bezahlt. Statt der regulären Gebühr von ¤2.255,00 wurde versehentlich die ermäßigte Beschwerdegebühr von ¤1.880,00 überwiesen.
Als mögliche Erklärung für diesen Fehler verwies die Antragstellerin auf das interaktive Gebührenverzeichnis des Europäischen Patentamtes, wo am 19. Dezember 2019 die reduzierte Beschwerdegebühr von ¤1.880,00 an erster Stelle genannt wurde, und die reguläre Gebühr erst an zweiter Stelle. Diese Beträge sind beim Überweisen offenbar verwechselt worden. Weiterhin führte die Antragstellerin an, dass bis 1. April 2018 die reguläre Beschwerdegebühr auch ¤1.880,00 betrug. Dies könnte mit zur Verwechslung beigetragen haben, ebenso wie die nicht direkt verständlichen Beschreibungen der zu entrichtenden Beträge. Am 14. Januar 2019 wurde die Reihenfolge der normalen und der reduzierten Beschwerdegebühr umgestellt, möglicherweise weil es in mehreren Fällen zu Fehlern bei der Gebührenzahlung gekommen ist.
Der Vertreter der Antragstellerin hat seine langjährige Mitarbeiterin, Frau Müller, beauftragt, die Beschwerdegebühr am 19.Dezember 2018 zu bezahlen. Frau Müller ist seit 1990 bei dem Vertreter tätig und seitdem mit allen in der Kanzlei anfallenden Tätigkeiten betraut. Dies beinhaltet auch das Einreichen von fristgebundenen Schriftsätzen sowie den kompletten Bezahlungsverkehr. Seit fast 29 Jahren arbeitet Frau Müller stets gewissenhaft und zuverlässig. Ein vergleichbarer Fehler ist in all diesen Jahren nicht vorgekommen. Frau Müller wurde immer in Kanzleibesprechungen über Änderungen der Fristerfordernisse und Gebührensätze unterrichtet.
Im vorliegenden Fall hat Frau Müller, den allgemeinen Kanzleianweisungen folgend, am 19. Dezember 2018 Einsicht in das aktuelle interaktive Gebührenverzeichnis des Europäischen Patentamtes genommen und dort die entsprechende Stelle für die Beschwerdegebühr herausgesucht. Daraufhin hat Frau Müller Rücksprache mit dem Vertreter bezüglich des Betrags der zu entrichtenden Beschwerdegebühr gehalten. Der Vertreter wies Frau Müller an, die reguläre Beschwerdegebühr an das Europäische Patentamt zu überweisen. Sodann entrichtete sie die Beschwerdegebühr per Online-Überweisung. Daraufhin hat Frau Müller dem Vertreter den von ihm erstellten Beschwerdeschriftsatz vom 19. Dezember 2018 zur Unterzeichnung vorgelegt. Der Beschwerdeschriftsatz wurde dann von Frau Müller zusammen mit dem als "Journal" bezeichneten Beleg für die Entrichtung der Beschwerdegebühr per Fax am 19. Dezember 2018 an das Europäische Patentamt übermittelt. Sowohl der Vertreter als auch Frau Müller waren sich darüber im Klaren, dass nicht die ermäßigte Beschwerdegebühr, sondern die reguläre Beschwerdegebühr zu entrichten war. Die Tatsache, dass trotzdem die ermäßigte Gebühr bezahlt wurde, ist Folge eines einmaligen und nicht vorhersehbaren Fehlers bei der Ausführung der Anweisung des Vertreters.
Weiter hat die Antragstellerin ausgeführt, dass es sich bei der Kanzlei des Vertreters um eine kleine Kanzlei handelt, und dass bei einer kleinen Kanzlei andere Anforderungen an ein Überwachungs- und Kontrollsystem gestellt werden, als bei einer großen Kanzlei. Insbesondere muss nicht immer eine Kontrolle durch eine unabhängige Person erfolgen.
Aus diesen Gründen ist die Antragstellerin der Ansicht, dass es sich hier um ein einmaliges Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden und stets zuverlässigen System gehandelt hat.
IV. Dem Antrag zur Wiedereinsetzung sind Eidesstattliche Erklärungen von Frau Müller und Dr. Müller, dem Vertreter der Antragstellerin, beigefügt, die Obenstehendes bestätigen.
V. Die Kammer hat in ihrem Bescheid von 23. Mai 2019 mitgeteilt, dass nach ihrer vorläufigen Meinung die Antragstellerin alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat. Der Vertreter hat rechtzeitig mit der zuständigen Mitarbeiterin über die Gebührenzahlung gesprochen und eine klare Instruktion gegeben, um schon zwei Wochen vor Ablauf der Frist zu bezahlen. Die betreffende Mitarbeiterin war sehr erfahren und hat unter Beweis gestellt, dass sie eine solche Aufgabe zuverlässig erledigen kann. Sie hat dafür auch die nötigen Kenntnisse gehabt.
Die Gebührenzahlung hat rechtzeitig stattgefunden. Dies bedeutet, dass das Fristüberwachungssystem funktioniert hat. Dass ein fehlerhafter Betrag überwiesen worden ist, scheint die Folge eines einmaligen Fehlers zu sein in einem ansonsten gut funktionierenden System. Auf Grund der oben beschriebenen besonderen Umstände des Falles, die tatsächlich auch bei einem erfahrenen Sachbearbeiter zu Verwirrung führen könnten, hielt die Kammer diesen Fehler für entschuldbar.
VI. Die Antragsgegnerin 2 hat argumentiert, dass die Antragstellerin nicht die in Artikel 122(1) EPÜ gebotene Sorgfalt beachtet hat, und hat dabei auf mehrere Entscheidungen der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer Bezug genommen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin 2 bemängelt, dass die Arbeit von Frau Müller unzureichend kontrolliert worden sei, und der Vertreter den Beschwerdeschriftsatz unterschrieben habe ohne sich darüber zu vergewissern, dass gleichzeitig die Überweisung der richtige Beschwerdegebühr in Auftrag gegeben war.
VII. Die Antragsgegnerin 1 hat im wesentlichen den Vortag der Antragsgegnerin 2 unterstützt und die unzureichende Kontrolle sowie die mangelhafte Umsetzung des Vieraugenprinzips bei der Überweisung der Beschwerdegebühr erwähnt.
VIII. Am 3.Juni 2020 fand eine mündliche Verhandlung statt, wobei die Antragsgegnerin 1 nicht vertreten war, wie angekündigt mit Email vom 22. Mai 2020.
IX. Die Antragstellerin beantragte, wieder in den vorigen Stand eingesetzt zu werden.
X. Die Antragsgegnerinnen beantragten, den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die am 26. Oktober 2018 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2180167 widerrufen wurde. Die Beschwerdegebühr wurde zugleich mit dem Einreichen der Beschwerde am 19. Dezember 2018 bezahlt, aber in zu geringer Höhe. Statt des vorgeschriebenen Betrags von ¤2.550,-- wurde ein Betrag von ¤1.880,-- bezahlt. Die Beschwerdegebühr wurde deswegen als nicht entrichtet betrachtet, und die Beschwerde als nicht rechtsgültig eingelegt.
Nachdem der Geschäftstellebeamte der Kammer den Vertreter darauf hingewiesen hat, hat die Antragstellerin den Differenzbetrag bezahlt, einen begründeten Wiedereinsetzungsantrag gestellt und die Gebühr dafür bezahlt. Die in Regel 136 (1) und (2) EPÜ genannten Fristen wurden dabei eingehalten, und somit ist der Antrag auf Wiedereinsetzung zulässig.
2. Begründetheit
2.1 Einem Antrag auf Wiedereinsetzung kann nur stattgegeben werden, wenn nach Artikel 122 (1) EPÜ alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet wurde, und die Beteiligten trotzdem daran gehindert waren, eine Frist einzuhalten. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Unter "aller gebotenen Sorgfalt" ist daher in diesem Zusammenhang alle angemessene Sorgfalt zu verstehen, d. h. das Maß an Sorgfalt, das der hinreichend kompetente durchschnittliche Beschwerdeführer/Patentinhaber/Vertreter unter den gegebenen Umständen aufwenden würde.
2.2 Für die Fälle, in denen das Fristversäumnis auf einen Fehler bei der Ausführung der Absicht des Beteiligten beruht, wurde in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Kriterium entwickelt, dass die gebotene Sorgfalt als beachtet gilt, wenn die Fristsäumnis entweder durch außerordentliche Umstände oder durch ein einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem verursacht worden ist.
2.3 Die Antragstellerin hat gerade das letzte behauptet. Daher muss die Kammer prüfen, ob hier ein einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristüberwachungssystem das Fristversäumnis verursacht hat.
2.4 Im vorliegenden Fall ist der Fehler durch eine Hilfsperson, Frau Müller, gemacht worden. Sie hat bei der Ausführung der sonst klaren Anweisung des Vertreters die reguläre Beschwerdegebühr zu entrichten, die ermäßigte Gebühr entrichtet. Die Antragstellerin hat dargelegt, dass Frau Müller eine sehr erfahrene Mitarbeiterin ist, die schon über Jahrzehnte bei dem Vertreter tätig ist und seitdem mit allen in der Kanzlei anfallenden Tätigkeiten betraut wurde, inklusive dem Einreichen von fristgebundenen Schriftsätzen sowie dem kompletten Zahlungsverkehr. Weiter hat Frau Müller stets gewissenhaft und zuverlässig gearbeitet, und ein vergleichbarer Fehler ist in all diesen Jahren nicht vorgekommen. Frau Müller wurde immer in Kanzleibesprechungen über Änderungen von Fristerfordernissen und Gebührensätzen unterrichtet. Diese Darstellung ist von den Antragsgegnerinnen nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden. Die Kammer geht darum davon aus, das Frau Müller die nötige Erfahrung und Kenntnisse hatte, um ihre Aufgaben einwandfrei auszuführen, und im vorliegenden Fall eine klare Instruktion bekommen hat. Die Kammer ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Antragstellerin die in der Ausgabe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, 2019, Kap. III E 5.5.4 genannten Erfordernisse an den Umgang mit Hilfspersonen, so wie diese durch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern entwickelt worden sind, erfüllt.
2.5 Weiter wurden im vorliegenden Fall der Beschwerdeschriftsatz und die Beschwerdegebühr fristgerecht eingereicht beziehungsweise bezahlt, sogar zwei Wochen vor Ablauf der Frist. Das Fristversäumnis ist also nicht dadurch verursacht worden, dass die Frist für die Entrichtung der Beschwerdegebühr nicht eingehalten worden ist. Die Frage, ob in der Kanzlei des Vertreters der Antragstellerin ein gut funktionierendes Fristenüberwachungssystem vorhanden war, muss daher nicht untersucht werden. Aus dem gleichen Grund muss die Kammer nicht auf die von der Antragsgegnerin 2 zitierte Rechtsprechung bezüglich der Erfordernisse, die an ein Fristenkontrollensystem gestellt werden müssen, inklusive der Frage, ob dabei ein Unterschied zwischen großen und kleinen Unternehmen/Kanzleien gemacht werden kann, eingehen. Die relevante Frage ist, ob das System zur Zahlung von Gebühren als hinreichend gut funktionierend angesehen werden kann.
2.6 Die Antragsgegnerinnen haben argumentiert, dass das System zur Kontrolle der rechtzeitigen und korrekten Gebührenzahlung in der Kanzlei des Vertreter unzureichend war, und dadurch nicht die unter den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden ist. Der Vertreter habe erstens versäumt, zu kontrollieren, ob zusammen mit der Einreichung des Beschwerdeschriftsatzes auch die Entrichtung der richtige Beschwerdegebühr in Auftrag gegeben wurde. Sie haben darauf hingewiesen, dass in dem Beschwerdeschriftsatz folgender Satz enthalten ist: "Die Beschwerdegebühr wurde gemäß dem beiliegenden Beleg entrichtet.". Aus diesem Beleg gehe klar hervor, dass ein Betrag von ¤1.880,-- überwiesen wurde. Die Antragsgegnerinnen argumentieren, dass der Vertreter den Beschwerdeschriftsatz nicht hätte unterschreiben dürfen, ohne zu prüfen, ob der Beleg den richtigen Betrag aufweist. Entweder habe er es geprüft, aber den Fehler nicht bemerkt, oder er habe - so wie es die Antragstellerin dargestellt hat - unterschrieben, ohne sich den Beleg vorlegen zu lassen, und damit seine Aufsichtspflicht verletzt. In beiden Fällen sei das Versäumnis dem Vertreter und nicht der Hilfsperson zuzurechnen. Das Kriterium "einmalige Fehler in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem" gelte laut ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wie auch bestätigt durch die Große Beschwerdekammer in R18/13, nicht für Fehler des Vertreters.
2.7 Sie wiesen weiter darauf hin, dass, wenn der Vertreter sich völlig auf die Hilfsperson verlässt und nicht selber eine Kontrolle ausführt, er, um das Vieraugenprinzip zu gewähren, eine Kontrolle durch eine andere Person durchführen lassen muss, bevor die Frist als fristgerecht erledigt im Fristenbuch gestrichen wird.
2.8 Die Kammer ist anderer Meinung. Das Vieraugenprinzip hat bei der Entscheidungsfindung bezüglich der Fragen, welche Gebühr zu bezahlen ist, und an welchem Tag, funktioniert. Es hat, nachdem Frau Müller das aktuelle Gebührenverzeichnis studiert hat, ein Kontakt zwischen dem Vertreter und Frau Müller stattgefunden. Dabei hat der Vertreter eine klare Anweisung gegeben, wie zu handeln war, und somit seine Verantwortung als Vertreter wahrgenommen. Nachdem von dem Vertreter entschieden worden war, welche Gebühr zu bezahlen ist, und an welchem Tag, war die Ausführung dieser Anweisung eine Routinehandlung, die man eine erfahrenen und zuverlässigen Hilfsperson überlassen kann. Zu verlangen, dass diese Ausführungshandlung nochmals kontrolliert wird, führt zu weit und sei nicht mehr verhältnismäßig.
2.9 In dieser Hinsicht schließt die Kammer sich den Erwägungen in der Entscheidung T1355/09 an. Dieser Fall ist dem vorliegenden sehr ähnlich, weil auch dort in der Ausführung einer Gebührenzahlung ein Fehler unterlaufen war, und es sich um ein sehr kleines Unternehmen handelte. Die Kammer hat Folgendes erwogen (siehe Entscheidungsgründe 1.5-1.7):
"Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob ein Kontrollmechanismus hinsichtlich der Zahlungsausführung erforderlich gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann in einer großen Kanzlei, in der eine beträchtliche Anzahl von Terminen zu überwachen ist, in der Regel erwartet werden, dass ein wirksamer Kontrollmechanismus eingebaut ist (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage 2013, III.E.4.4.3). Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch, um ein sehr kleines Unternehmen, so dass bereits aus diesem Grund ein Kontrollmechanismus nicht erforderlich ist.
Zudem bezieht sich diese Rechtsprechung darauf, dass im Rahmen der Fristüberwachung durch einen zusätzlichen Kontrollmechanismus sichergestellt sein muss, dass die Frist nicht übersehen wird. Im vorliegenden Fall wurde die Frist aber nicht übersehen, sondern es passierte ein Fehler im Rahmen der Zahlungsanweisung, d.h. bei der Ausführung der fristwahrenden Handlung.
In einem solchen Fall ist kein Kontrollmechanismus erforderlich, da das Risiko, dass in diesem Zusammenhang ein Fehler passiert vergleichsweise gering ist (siehe hierzu auch T 836/09 vom 17. Februar 2010, Punkt 5.2, in der ausgeführt ist, dass keine Kontrollpflicht besteht beim Postausgang). Würde man hier eine Kontrollpflicht verlangen, würde dies de facto zu einer Fristverkürzung führen, denn eine wirksame Kontrolle kann erst nach der Zahlung erfolgen, müsste andererseits aber noch innerhalb der Frist vorgenommen werden, um effektiv zu sein."
2.10 Die Kammer meint, dass diese Überlegungen auf den vorliegenden Fall anwendbar sind. Die Tatsache, dass der Vertreter unter den gegebenen Umständen den Beschwerdeschriftsatz unterschrieben hat, ohne sich den Bezahlungsbeleg vorlegen zu lassen, ist daher - anders als von den Antragsgegnerinnen vorgetragen - keine Verletzung seiner Aufsichtspflicht und kein Indiz dafür, dass das Kontrollsystem unzureichend war.
2.11 Die Antragstellerin hat weiterhin argumentiert, dass der Fehler bei der Auswahl des Betrags der Beschwerdegebühr durch eine irreführende Darstellung der Beträge der Beschwerdegebühren im Gebührenverzeichnis des Europäischen Patentamtes verursacht worden sein könnte, siehe oben Abschnitt III.
Seit den Änderungen im Beschwerdegebührensystem von April 2018 ist es, wie die Kammer feststellt, in mehreren Fällen zu Fehlern bei der Gebührenzahlung gekommen, siehe zum Beispiel die von der Beschwerdegegnerin 2 erwähnten Entscheidungen T1222/19 und T1060/19.
Auch wenn die Kammer bereits festgestellt hat, dass ein hinreichend gut funktionierendes System zur Gebührenzahlung vorhanden und der Fehler einmalig und somit entschuldbar war, will sie diesem Umstand des Einzelfalls in der Entscheidung Rechnung tragen. Aus Sicht der Kammer trägt dieser Umstand zu der Entschuldbarkeit des Fehlers bei.
2.12 Die Antragsgegnerin 2 behauptet, dass die Entscheidung T1355/09 nicht der in der Praxis tatsächlich erforderlichen Vorgehensweise entspreche, und dass der in dieser und anderen Entscheidungen gemachte Unterschied zwischen kleinen und großen Kanzleien bzw. Unternehmen in der Rechtsprechung keine Rolle mehr spiele. Dabei verweist sie auf die Entscheidung R18/13 der Großen Beschwerdekammer.
Die Kammer kann der Antragsgegnerin 2 in dieser Auffassung nicht folgen. Erstens stand die Frage, ob es für die Organisation der Fristüberwachung etwas ausmacht, ob eine Kanzlei groß oder klein ist, gar nicht zur Debatte, und hat die Grosse Beschwerdekammer hat sich dazu auch nicht geäußert. Zweitens ging es in R18/13 um ein Versehen bei der Fristüberwachung und nicht um einen Fehler bei der Ausführung einer Anweisung, einen bestimmten Betrag zu überweisen. Drittens vermag die Kammer nicht zu sehen, dass die Große Beschwerdekammer die Absicht hatte, die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu ändern. Im Gegenteil, die Große Beschwerdekammer hat ausdrücklich auf die ständige Rechtsprechung bezüglich der Wiedereinsetzung Bezug genommen und sich dieser Rechtsprechung angeschlossen. Der Behauptung der Antragsgegnerin 2, dass die ältere Rechsprechung bezüglich kleiner und großer Kanzleien und die Organisation der Fristenüberwachung ihre Gültigkeit verloren habe, muss die Kammer daher widersprechen.
2.13 Die Antragsgegnerin 2 hat noch auf zwei kürzlich ergangene Entscheidungen in Wiedereinsetzungsfällen verwiesen (T1222/19 und T 1060/19), wobei es auch darum ging, dass statt der regulären Beschwerdegebühr die ermäßigte Gebühr entrichtet wurde, obwohl die Voraussetzungen für eine Ermäßigung nicht vorlagen. In beiden Fällen wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen.
Diese Entscheidungen basieren aber auf Fallkonstellationen, die mit der vorliegenden nicht zu vergleichen sind. In T1222/19 wurde die Fehler von einer Ersatzkraft gemacht. Die Kammer hatte dort bemängelt, dass diese Ersatzperson nicht ausreichend mit ihren Aufgaben vertraut gemacht worden war, und die Ausführung ihrer Arbeit nicht überwacht wurde. Weiter scheint dort der Ersatzhilfsperson überlassen worden zu sein, die fristgerechte Bezahlung der richtigen Beschwerdegebühr zu überwachen. Im vorliegenden Fall hat der Vertreter selber entschieden, welche Gebühr wann zu bezahlen ist, aber bei der Ausführung ist der erfahrenen und ausreichend unterrichteten Hilfsperson ein Fehler unterlaufen.
In T1060/19 hat der Vertreter der Beschwerdeführerin das Europäische Patentamt ermächtigt, eine Beschwerdegebühr von ¤1.880,-- von seinem Konto abzubuchen, obwohl die Voraussetzungen für die Ermäßigung der Beschwerdegebühr nicht vorlagen. In diesem Fall ging es um einen Fehler des Vertreters selbst. Die Kammer erwog, dass das Kriterium "einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem" nicht anwendbar ist auf ein Versehen des Vertreters, sondern nur auf das einer Hilfsperson. Diese Rechtsauffassung wird von der jetzigen Kammer geteilt und auch in dieser Entscheidung angewandt.
3. Im Ergebnis ist die Kammer deshalb der Auffassung, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung die Erfordernisse von Artikel 122(1) EPÜ erfüllt, und die Einwände der Antragsgegnerinnen 1 und 2 dagegen nicht stichhaltig sind.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Antragstellerin wird wieder in den vorigen Stand eingesetzt