European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2014:R001813.20140317 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 März 2014 | ||||||||
Aktenzeichen: | R 0018/13 | ||||||||
Antrag auf Überprüfung von: | T 0308/11 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05011875.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | F16H 57/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Bausatz für eine Baureihe von Planetengetrieben, Planetenträger, Antrieb und Planetengetriebe | ||||||||
Name des Anmelders: | SEW-EURODRIVE GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Wittenstein AG | ||||||||
Kammer: | EBA | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Berechtigung zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags nur der Anmelder/Patentinhaber Zulässigkeit des Überprüfungsantrags Frist nach Regel 136(1) Satz 2 - ja Sorgfaltspflicht des Vertreters nein |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.08 vom 6. Dezember 2012 wurde der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) von der Geschäftsstelle mit Schreiben vom 19. April 2013 zugestellt. Dieses Schreiben ging ausweislich am 26. April 2013 bei der Beschwerdeführerin ein.
II. Die Zweimonatsfrist zur Einreichung eines Antrags auf Überprüfung lief am 1. Juli 2013 ab (19. April 2013 +
10 Tage + 2 Monate = 29. Juni 2013 = Samstag, verlängert auf Montag, den 1. Juli 2013; Regeln 126 (2), 131 (4) und 134 (1) EPÜ).
III. Mit Schreiben, eingegangen am 7. August 2013 stellte die Antragstellerin (Beschwerdeführerin) einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist nach Artikel 112a (4) Satz 2 EPÜ. Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde am selben Tag entrichtet. Auch die versäumte Handlung (hier: Überprüfungsantrag samt Begründung und Zahlung der Überprüfungsgebühr) wurde am selben Tag nachgeholt.
IV. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurden die folgenden Unterlagen eingereicht:
- Auszug aus der Veröffentlichung "Auf einen Blick 2013" des Deutschen Patent- und Markenamts (Anlage 1),
- Statistische Daten zum Anmeldeaufkommen bei der Patentinhaberin (Anlage 2),
- Aktennotiz vom 16. Januar 2013 in der Akte PT5124PCT/EP/T (Anlage 3),
- Aktennotiz vom 5. Februar 2013 in der Akte PT5124PCT/EP/T (Anlage 4),
- Eidesstattliche Erklärung von Frau R. (Anlage 5),
- Entscheidung T 321/11 vom 29. Januar 2013 (Anlage 6).
V. Im Einzelnen wurde geltend gemacht:
Zum Arbeitsablauf bei Eingang von Schriftstücken
a) Beim Eingang eines Schriftstücks werde dieses von Frau R. geöffnet und mit einem Eingangsstempel versehen. Sie sei angewiesen zu prüfen, ob in der elektronischen, bürointernen Akte Besonderheiten vermerkt seien. Hierzu kontrolliere sie im Programm Eidopat anhand des zugehörigen Aktenzeichens, ob der Reiter "Aktennotiz" mit einer oder mehreren Aktennotizen versehen sei. Sei dies der Fall, sei sie weiterhin angewiesen, die betreffende Aktennotiz auszudrucken und sie dem Schriftstück beizufügen. Um diese Aktennotizen leicht zu erkennen, sei das Programm Eidopat dahingehend angepasst worden, dass ein roter Rahmen um die Grunddaten im Kopf zu jeder Akte gezeigt werde, wenn der Reiter "Aktennotiz" wenigstens ein Dokument enthalte. Damit werde eine Signalwirkung erzeugt, und keine Aktennotiz könne übersehen werden.
b) Nachdem die Aktennotiz ausgedruckt sei, werde das Schriftstück zusammen mit dieser ausgedruckten Aktennotiz von Frau R. dem Vorgesetzten Herrn Dr. T. vorgelegt, damit weitere Schritte vorgenommen würden.
c) Der rote Rahmen um die Kopfdaten im Programm Eidopat ermögliche zudem eine Stichprobenkontrolle, um festzustellen, ob tatsächlich eine Aktennotiz vorliege.
Zum tatsächlichen Geschehen
a) Über die Beschwerde sei am 6. Dezember 2012 mündlich verhandelt worden. Nach Auffassung der Antragsstellerin sei es zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ vorgekommen. Nach Eingang des Protokolls über die mündliche Verhandlung sei am 16. Januar 2013 eine Aktennotiz in dem Programm Eidopat elektronisch angelegt worden (Anlage 3), die dafür sorgen sollte, dass bei Eingang der schriftlichen Entscheidung diese an den externen Berater der Patentinhaberin, Herrn Dr. M.-P., gesendet werde. In einer weiteren Aktennotiz vom 5. Februar 2013 (Anlage 4) seien die Hintergründe dargelegt, aus denen zu schließen sei, dass nach Zustellung der Entscheidung ein Antrag auf Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ gestellt werden sollte.
b) Bei Eingang der schriftlichen Entscheidung am 26. April 2013 habe es Frau R. jedoch entgegen der sonst immer fehlerfrei befolgten Anweisung versäumt, zusammen mit dem Schriftstück (hier: die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung) diese vorbereiteten Aktennotizen vorzulegen, obwohl diese ordnungsgemäß im Programm Eidopat angezeigt worden seien. Dies sei das erste Mal in über sechs Jahren gewesen, dass sie diese von ihr sonst stets befolgte Anweisung nicht beachtet habe. Herr Dr. T., dem Frau R. das Schriftstück ohne Aktennotiz vorlegt habe, sei daher zunächst davon ausgegamgen, dass in dieser Akte keine besonderen Umstände zu beachten seien, da sonst eine Aktennotiz beiliegen würde. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags machte die Antragstellerin weiterhin geltend, dass im selben Zeitraum eine mündliche Verhandlung in einer weiteren Einspruchsbeschwerde vor derselben technischen Beschwerdekammer mit demselben Vorsitzenden mit demselben Ergebnis stattgefunden habe, sodass sich für Herrn Dr. T. insofern irrtümlich ein stimmiges Bild ergeben habe, als er die am 26. April 2013 eingegangene schriftliche Entscheidung vom 6. Dezember 2012 der mündlichen Verhandlung in der Einspruchsbeschwerde vom 29. Januar 2013 vor der selben Beschwerdekammer mit demselben Vorsitzenden zugeordnet habe, die keinen Anlass zu einem Antrag auf Überprüfung durch die Große Beschwerdekammer gegeben habe, weshalb auch keine Aktennotiz zu erwarten gewesen sei.
c) Das Ausbleiben eines der beiden Umstände hätte ausgereicht, um die Frist zur Stellung des Überprüfungsantrags zu wahren: Hätte die Aktennotiz beigelegen, hätte Herr Dr. T. die Besonderheit des Falles erkannt und den Überprüfungsantrag fristgerecht eingereicht. Hätte keine weitere mündliche Verhandlung mit derart ähnlichen äußeren Merkmalen stattgefunden, wäre Herr Dr. T. zwangsläufig auf die am 6. Dezember 2012 stattgefundene Verhandlung gestoßen, hätte die Aktennotiz gefunden und den Überprüfungsantrag fristgerecht eingereicht. Erst die Kombination der für sich jeweils von der installierten und befolgten Arbeitsorganisation der Patentabteilung auffangbaren, unwahrscheinlichen Umstände habe dazu geführt, dass die Frist versäumt worden sei.
Zum Wegfall des Hindernisses
Durch ein Schreiben über die Zahlung der Jahresgebühren zu diesem Patent habe Herr Dr. T. am 18. Juli 2013 erstmals erkennen können, dass die Umstände des am 6. Dezember 2012 verhandelten Falles nicht entsprechend behandelt worden sei. Somit sei an diesem Tag das Hindernis weggefallen, welches die Antragstellerin gehindert habe, die durch die Zustellung der Beschwerde-Entscheidung ausgelösten Frist nach Artikel 112a (4) Satz 2 EPÜ zu beachten.
VI. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2013 wurde eine Ladung zu einer mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2013 an die Antragstellerin zugestellt. In ihrem Bescheid zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wies die Große Beschwerdekammer unter anderem daraufhin, dass der Wiedereinsetzungsantrag zwar zulässig sei, aber voraussichtlich nicht zum Erfolg führen werde, da die Voraussetzungen zur "gebotenen Sorgfalt" nicht gegeben seien.
VII. In Erwiderung auf den Ladungsbescheid reichte die Antragstellerin am 17. Dezember 2013 einen weiteren Schriftsatz ein, in dem
a) die Durchführung von Stichproben in dem vorhandenen Fristenüberwachungssystem näher erläutert wurde und
b) über die Wahrung der in frage stehenden Sorgfaltspflicht Stellung genommen wurde.
Zu a):
Es wurde unter anderem geltend gemacht, dass jeder Bearbeiter bei einem Bearbeitungsschritt im elektronischen System automatisch darauf hingewiesen werde, wenn eine Aktennotiz vorhanden sei. Jeder Bearbeiter könne sofort sehen, ob diese Aktennotiz von Frau R. auch vorgelegt worden sei. Weiterhin wurde betont, dass das System der Vorlage von Aktennotizen seit Einführung der elektronischen Akte zuverlässig funktioniert habe.
Zu b):
Unter Heranziehung der Entscheidungen T 1465/07 - 3.4.02 vom 9. Mai 2008 und T 287/84 3.4.01 vom 11. Juni 1985 wurde dargelegt, dass es unangemessen erscheine, zu fordern, dass die Zweimonatsfrist zur Stellung eines Überprüfungsantrags bei Eingang der Beschwerdeentscheidung generell ohne Ansehen des Falles notiert werden solle. Dieser Aufwand wäre unverhältnismäßig. Ein Vergleich mit beispielsweise der Einlegung einer Beschwerde gemäß Artikel 108 EPÜ sei nicht möglich, da in der Mehrzahl der Beschwerdekammerentscheidungen ein Antrag auf Überprüfung durch die Große Beschwerdekammer gar nicht möglich sei und daher (praktisch) keine Frist laufe. Die Verwendung des Systems der Aktennotizen statt der unbedingten Notierung der Frist für den Überprüfungsantrag habe dazu geführt, dass für den sachbearbeitenden Vertreter, dem die zugestellte Entscheidung am 26. April 2013 vorgelegt worden sei, kein Anlass bestanden habe, diesen Fall als einen Fall zu erkennen, bei dem ein Überprüfungsantrag gestellt werden müsse.
VIII. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 wurde abschließend von der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurücknehme; weiterhin wurde beantragt, über den Wiedereinsetzungsantrag im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Für den Fall, dass Wiedereinsetzung nicht gewährt werde, beantrage sie die Rückzahlung der Gebühr für den Überprüfungsantrag.
Entscheidungsgründe
Berechtigung zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags
1. Mit Schreiben vom 7. August 2013 wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Zweimonatsfrist nach Artikel 112a (4) Satz 2 EPÜ gestellt. Wiedereinsetzung kann nur vom Anmelder/Patentinhaber - mit Ausnahme der Wiedereinsetzung in die Viermonatsfrist nach Artikel 108 Satz 3 EPÜ, deren Versäumung auch dem beschwerdeführenden Einsprechenden zugänglich ist (s. G 1/86, ABl. EPA 1987, 447) beantragt werden. Im vorliegenden Fall ist die Antragstellerin die Patentinhaberin. Die Berechtigung zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags ist somit gegeben.
Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags - Wegfall des Hindernisses
2. Aus dem schriftsätzlichen Vortrag der Antragstellerin ist zusammenfassend zu entnehmen, dass ihr Vertreter, Herr Dr. T. erst am 18. Juli 2013 bei Überprüfung der Zahlung der fälligen Jahresgebühr erkennen konnte, dass er die Frist nach Artikel 112a (4) Satz 2 EPÜ versäumt hatte. Insofern war der Tag des Wegfalls des Hindernisses (Artikel 122 (2) Satz 1 und Regel 136 (1) Satz 1 EPÜ) der Tag der Kenntnisnahme der relevanten Aktennotizen vom 16. Januar 2013 und 5. Februar 2013. Daraus wird geschlossen, dass der Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der nach Regel 136 (1) Satz 1 EPÜ vorgesehenen Zweimonatsfrist ("Der Antrag auf Wiedereinsetzung nach Artikel 122 Absatz 1 ist innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses, spätestens jedoch innerhalb eines Jahres nach Ablauf der versäumten Frist schriftlich zu stellen.") gestellt worden sei, weil alle Voraussetzungen (Begründung, Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr und nachgeholte Handlung) am 7. August 2013 erfüllt waren.
3. Die Große Beschwerdekammer kann dem nicht folgen, da die vom Vertreter der Antragstellerin vorgenommene Berechnung der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Stellung des Überprüfungsantrags nicht auf der geltenden Rechtslage beruht.
4. Im vorliegenden Fall sind die Vorschriften des Artikels 122 EPÜ 2000 (nachfolgend ohne den Zusatz "2000") und der entsprechenden Regeln des EPÜ 2000 (nachfolgend ohne den Zusatz "2000") anzuwenden. Dies ergibt sich aus Artikel 1 Nr. 5 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Revisionsakte vom 29. Dezember 2000 ("Die Artikel 121 und 122 sind auf die bei ihrem Inkrafttreten anhängigen europäischen Patentanmeldungen und erteilten europäischen Patente anzuwenden, soweit die Fristen für den Antrag auf Weiterbehandlung oder Wiedereinsetzung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen sind."). Die versäumte Frist ist im vorliegenden Fall die Zweimonatsfrist nach Artikel 112a (4) EPÜ.
5. Hierzu hat der Gesetzgeber eine Sonderregelung für die Berechnung der Zweimonatsfrist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags vorgesehen. Gemäß Regel 136 (1) Satz 2 EPÜ ("Wird Wiedereinsetzung in eine der Fristen nach Artikel 87 Absatz 1 und Artikel 112a Absatz 4 beantragt, so ist der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf dieser Frist zu stellen.") knüpft die Zweimonatsfrist an die Frist zur Stellung des Überprüfungsantrags an, d.h. dass das maßgebende Ereignis zur Berechnung der Zweimonatsfrist nach Regel 136 (1) Satz 2 EPÜ der letzte Tag der Zweimonatsfrist nach Artikel 112a (4) EPÜ ist, hier also Montag, der 1. Juli 2013 (Regeln 126 (2), 131 (4) und 134 (1) EPÜ) (siehe Nr. II oben). Wiedereinsetzung konnte somit bis Sonntag, den 1. September 2013 verlängert auf Montag, den 2. September 2013 beantragt werden (Regel 134(1) EPÜ). Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde am 7. August 2013 eingereicht, d.h. innerhalb der nach Regel 136 (1) Satz 2 EPÜ vorgesehenen Zweimonatsfrist.
6. Der Antrag ist somit rechtzeitig gestellt worden.
7. Der Antrag auf Wiedereinsetzung erfüllt auch die übrigen Anforderungen von Regel 136 (1) und (2) EPÜ. Der am 7. August 2013 eingegangene Antrag wurde gleichzeitig begründet, und zur Glaubhaftmachung der zur Begründung dienenden Tatsachen wurde eine eidesstattliche Versicherung einer beteiligten Mitarbeiterin vorgelegt. Die versäumte Handlung, d.h. die Einreichung des Überprüfungsantrags, wurde vor Ablauf der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag vorgenommen. Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde am 7. August 2013 gezahlt.
8. Der Antrag ist daher zulässig.
Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrages
9. Einem Antrag auf Wiedereinsetzung kann nur stattgegeben werden, wenn nach Artikel 122 (1) EPÜ alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet wurde und die Beteiligten trotzdem daran gehindert waren, eine Frist einzuhalten. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Unter "aller gebotenen Sorgfalt" ist daher in diesem Zusammenhang alle angemessene Sorgfalt zu verstehen, d. h. das Maß an Sorgfalt, dass der hinreichend kompetente durchschnittliche Beschwerdeführer/ Patentinhaber/Vertreter unter den gegebenen Umständen aufwenden würde.
10. Diese Grundsätze ergeben sich aus der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl.: z.B. T 30/90 vom 13. Juni 1991, Nr. 3 der Entscheidungsgründe und Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, 2013, Kap. III.E.4.2, 2. Absatz mit weiteren Verweisen). Die Große Beschwerdekammer in ihrer Besetzung nach Regel 109 (2) a) EPÜ schließt sich diesen Grundsätzen an. Auch wird sie sich an der in dieser Hinsicht seit langem festgeschriebenen Rechtsprechung der Beschwerdekammern orientieren.
11. Für die Fälle, in denen das Fristversäumnis auf einem Fehler bei der Ausführung der Absicht des Beteiligten beruht, wurde in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Kriterium entwickelt, dass die gebotene Sorgfalt als beachtet gilt, wenn die Fristversäumnis entweder durch außerordentliche Umstände oder durch ein einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem verursacht worden ist (vgl.: J 2/86, J 3/86, ABl. EPA 1987, 362; T 428/98, ABl. EPA 2001, 494)
12. Zu außerordentlichen Umständen zählen nach der ständigen Rechtsprechung organisatorische Umstellungen (siehe z. B. T 14/89, ABl. EPA 1990, 432 "innerbetriebliche Umorganisation", und weitere Beispiele in Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, 2013, Kap. III. E.4.3.1) oder eine plötzliche schwere Krankheit (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, 2013, Kap. III.E.4.3.2). Solche außerordentlichen Umstände treffen hier jedoch nicht zu.
13. Infolgedessen kann hier nur ein einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem geltend gemacht werden.
14. Aus dem Vortrag der Antragstellerin ist zu entnehmen, dass als Alternative zu der unbedingten Notierung der Fristen ein Fristenüberwachungssystem eingerichtet wurde, in dem Aktennotizen mit dem entsprechenden Eingang per Dienstanweisung automatisch vorgelegt werden. Zu diesem System, in dem Aktennotizen erstellt werden, um Fristen zu überwachen, ist zunächst Folgendes festzustellen:
15. Die nach Artikel 112a (4) EPÜ vorgesehene Zweimonatsfrist wurde ausschließlich in dem Fristenüberwachungssystem der Antragstellerin mit einer Aktennotiz durch Hervorhebung in roter Schrift und mit rotem Rahmen überwacht. Aus der Aktennotiz, die als Anlage 4 eingereicht wurde, ergibt sich ("Nach Eingang der Beschwerdebegründung bitte die Beschwerdebegründung unverzüglich (Beschwerdefrist zwei Monate) an CMP weiterleiten ..."), dass über die mögliche Einleitung eines Überprüfungsverfahrens in der Sache zu referieren bzw. zu entscheiden war. Dass diese Frist weiterhin noch anderweitig notiert worden wäre, wurde nicht vorgetragen. Eine mögliche eingebaute Überwachung, in dem Sinne, dass das verwendete Programm ein Erinnerungsschreiben generiert, gab es auch nicht.
16. Zu den Sorgfaltsanforderungen an ein Fristenüberwachungssystem gehört nach der ständigen Rechtsprechung, dass die Fristenüberwachung nicht einer Person allein überlassen wird, sondern im gewählten System der Fristenüberwachung ein genereller, von der für die Fristenkontrolle zuständigen Person unabhängiger, Kontrollmechanismus vorhanden ist.
17. Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich, dass die Handlung versäumt wurde, weil
- Frau R. entgegen der Anweisung, die vorbereiteten Aktennotizen mit dem Schriftstück (hier: die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung der Beschwerdekammer) vorzulegen, dieses Schriftstück samt Aktennotizen Herrn Dr. T. nicht bzw. ohne die Aktennotiz vorgelegt habe;
- Herr Dr. T. im selben Zeitraum, d.h. zwischen der mündlichen Verhandlung (6. Dezember 2012) und der Zustellung der Entscheidung (26. April 2013) eine weitere mündliche Verhandlung vor derselben Kammer mit demselben Vorsitzenden gehabt hatte, deren Ablauf keinen Anlass zur Einreichung eines Überprüfungsantrags gegeben hatte, sodass Herr Dr. T. bei Vorlage der Entscheidung vom 6. Dezember 2013 ohne die Aktennotizen Ende April 2013 nicht veranlasst war, Maßnahmen zur Einreichung eines Überprüfungsantrags zu ergreifen, da er irrtümlich diese Entscheidung der am 29. Januar 2013 stattgefundenen mündlichen Verhandlung zuordnete.
Aufgrund des Zusammentreffens beider Fehler wurde die Frist versäumt.
18. Es handelt sich also hier aus der Sicht der Antragstellerin um eine Summierung von zwei "einmaligen" Versehen bzw. Fehlern in einem System, das als gut funktionierend anzusehen sei:
a) das erste "einmalige Versehen": Frau R. scheint eine zuverlässige Hilfskraft zu sein, die - wie vorgetragen - über einen Zeitraum von sechs Jahren immer fehlerfrei die Vorgänge erledigt hat. Mit ihrer eidesstattlichen Erklärung wurde dies betätigt und glaubhaft vorgetragen. Es scheint sich also hier um ein einmaliges Versehen "trotz Vorhandensein eines funktionsfähigen Systems und trotz Befähigung der betrauten Person" zu handeln.
b) das zweite "einmalige Versehen": Herr Dr. T. als zugelassener Vertreter hat irrtümlich die Vorlage ohne Aktennotizen der schriftlichen Abfertigung der Entscheidung T 308/11 - 3.2.08 an die Ende Januar 2013 ergangene Entscheidung in der Sache T 321/11 - 3.2.08 der selben Beschwerdekammer mit dem selben Vorsitzenden zugeordnet und dadurch versehentlich die Frist versäumt. Es wurde weiterhin in zweierlei Hinsicht geltend gemacht, dass der Vertreter wären ihm mit der schriftlichen Abfertigung der Entscheidung T 308/11 - 3.2.08 die Aktennotizen vorgelegt worden, die Frist aufgrund dieser Aktennotizen die Frist gewahrt hätte und dass die Frist nicht versäumt worden wäre, wenn die mündliche Verhandlung in der Sache T 321/11 - 3.2.08 nicht Ende Januar stattgefunden hätte, auch wenn die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung T 308/11 - 3.2.08 ohne Aktennotizen vorgelegt worden wäre.
19. Eine derartige Ausweitung des Kriteriums des "einmaligen Versehens" auch auf den Vertreter steht nicht im Einklang mit den festgelegten Sorgfaltspflichten eines Vertreters im Zusammenhang mit der Fristenkontrolle. Sie würde auch im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern stehen. Ein Vertreter ist in der Ausübung seiner Sorgfaltspflicht nicht mit einer Hilfsperson gleichzusetzen.
20. In J 5/80 (ABl. EPA 1981, 343) hat die juristische Beschwerdekammer in einer Grundsatzentscheidung unter Heranziehung der "travaux préparatoires" zu Artikel 122 EPÜ und der darin wiedergegebenen eingehenden Diskussionen über die Wiedereinsetzung auf der Münchner Diplomatischen Konferenz den Begriff der "nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt" gemäß Artikel 122 (1) EPÜ ausgelegt und kam zu dem Ergebnis, dass "an eine Hilfsperson, der Routinearbeiten übertragen sind, nicht die gleichen strengen Anforderungen wie an den Anmelder oder seinen Vertreter" gestellt werden dürfen (Nr. 6 der Entscheidungsgründe).
21. In den Berichten zu Artikel 122 EPÜ kam aber nur zum Ausdruck, dass "die Konferenz nicht ausschließen wollte, das ein Verschulden eines Angestellten entschuldigt werden könne" (siehe Berichte der Münchner Diplomatischen Konferenz über die Einführung eines europäisches Patenterteilungsverfahrens, Nrn. 559 ff. und 571 Abs.2). Eine Möglichkeit zur Entschuldigung eines Verschuldens des Anmelders oder des Vertreters wurde nicht erörtert. Dies bedeutet, dass für die Konferenzteilnehmer eine Entschuldigung eines Verschuldens des Vertreters nicht in Betracht kam. Vielmehr kann ein "einmaliges Versehen" - wie für die Hilfspersonen - nicht auf den Vertreter übertragen werden. Der Vertreter hat durch regelmäßige Überprüfungen der Fristen und der Akten dafür zu sorgen, dass das gebotene hohe Maß an Sorgfalt bei der Fristenüberwachung eingehalten wird. Wird ihm eine Akte zur Bearbeitung vorgelegt, kann er sich nicht darauf verlassen, dass sein Hilfspersonal bisher allen ihm übertragenen Pflichten in zuverlässiger Weise genügt hat. Vielmehr ist er verpflichtet mit entsprechenden Kontrollmechanismen vor der Übergabe einer Akte dafür zu sorgen, dass die laufenden Fristen eingehalten werden, bzw. spätestens wenn ihm die Akte zur Bearbeitung übergeben wird (hier: die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung), selbst die Überprüfung einer allfällig einzuhaltenden Frist vorzunehmen. Zu den Sorgfaltspflichten des Vertreters, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, 2013, Kap. III.E.4. e) und insbesondere die dort zitierten Entscheidungen T 1561/05 vom 17. Oktober 2006 und T 592/11 vom 25. Oktober 2012.
22. Aus dem Vortrag der Antragstellerin geht nicht eindeutig hervor, dass bei der Bearbeitung der Fristen eine Kontrolle vorgesehen ist bzw. wie eine Aktennotiz unter einem entsprechenden Vorgang zur Wahrung einer Frist beitragen kann. Weder eine zweite Hilfsperson noch der Vertreter selbst überprüfen (auch nur stichprobenweise), ob ein Vorgang (hier: der Empfang der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung) mit einer Aktennotiz versehen ist. Es scheint, dass allein die Erinnerung des Vertreters ein mögliches Versehen der Hilfsperson bzgl. der Wahrung einer Frist abwenden kann. Auch dass sich Herr Dr. T. bei der Vorlage der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung T 308/11 - 3.2.08 "zwangsläufig" an die Aktennotizen erinnert hätte, wenn die mündliche Verhandlung in der Sache T 321/11 vor der Kammer 3.2.08 Ende Januar 2013 nicht bzw. vor einer anderen Kammer oder vor derselben Kammer mit einem anderen Vorsitzenden stattgefunden hätte, ist eine bloße Behauptung. Vielmehr kann aus einer solchen Behauptung lediglich die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die von dem Gesetzgeber festgelegten strengen Sorgfaltspflichten nicht eingehalten wurden und das vorhandene System zur Wahrung von Fristen keinen unabhängigen Kontrollmechanismus vorsieht. Es bedürfte hierfür ggf. auch einer tatsächlichen Überprüfung der in dem computerunterstützten System vorhandenen Eingaben (hier: Aktennotizen) durch den Vertreter. Dies scheint jedoch im vorliegenden Fall nicht vorgesehen und nicht geschehen zu sein.
23. In ihrer Erwiderung auf den Ladungsbescheid der Großen Beschwerdekammer hat die Antragstellerin insbesondere auf die Stichprobenkontrolle des vorhandenen Aktensystems hingewiesen und die Schlussfolgerung gezogen, dass es sich im allgemeinen um ein System handele, dass "bisher zuverlässig funktioniert" habe. Hierzu kann die Große Beschwerdekammer nur feststellen, dass in dem am 7. August 2013 eingegangenen Schreiben, im Zusammenhang mit dem Wegfall des Hindernisses vorgetragen wurde, dass Herr Dr. T. erst am 18. Juli 2013 auf das Verstreichen der Zweimonatsfrist aufmerksam wurde, als sich die Frage stellte, ob die Jahresgebühren weiterhin gezahlt werden sollen. Dies allein lässt unmissverständlich darauf schließen, dass eine Doppelkontrolle nicht gegeben ist. Auch Stichprobenkontrollen scheinen in dem vorhandenen System nicht vorgesehen, da nur bei einem gegebenen Anlass (hier: die Einreichung eines Schreibens zur Zahlung der Jahresgebühren) das Nichtvorlegen der Aktennotiz und die Versäumung der Zweimonatsfrist zur Stellung des Überprüfungsantrags festgestellt wurden.
24. Auch dem Vortrag, dass ein System zur Überwachung der Zweimonatsfrist zur Einreichung eines Überprüfungsantrags nicht die gleichen Maßstäbe anzulegen wären wie bei anderen Fristen (z.B.: bei der Zweimonatsfrist zur Einreichung der Beschwerde), kann die Große Beschwerdekammer nicht folgen. Die Frist für den Überprüfungsantrag knüpft wie alle anderen Fristen - an ein maßgebendes Ereignis an und ist zu überwachen. Im vorliegenden Fall war nach der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer weitgehend entschieden, dass diese Zweimonatsfrist sorgfältig zu überwachen war. Also hätten entsprechenden auch außerordentlichen Vorkehrungen getroffen werden müssen, damit die gebotene Sorgfaltspflicht gewahrt wird.
25. Auch ist eine mögliche Anwendung von Verhältnismässigkeitsgrundsätzen ("... in der Regel läuft bei einer Beschwerdekammerentscheidung praktisch keine Frist für den Überprüfungsantrag ...") fehl am Platz.
Die Frist zur Einreichung eines Überprüfungsantrags ist vom Anmelder bzw. Patentinhaber mit besonderer Aufmerksamkeit zu überwachen. Dies ergibt sich allein schon aus dem Zulässigkeitserfordernis, dass der Überprüfungsantrag nur innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung gestellt werden kann. Zur Wahrung der Rechtssicherheit und, um die Ungewissheit über die Rechtskraft der Entscheidung der Beschwerdekammer zu minimieren, hat der Gesetzgeber hierzu eine "strenge" Sonderregelung geschaffen, die das maßgebende Ereignis zur Berechnung dieser Frist nicht an den tatsächlichen Wegfall des Hindernisses knüpft. Insofern wurde die übliche Frist von einem Jahr zur Einreichung eines Wiedereinsetzungsantrags auf zwei Monaten verkürzt. Allein diese gesetzgeberische Maßnahme zeigt, dass gerade für diese Zweimonatsfrist sehr hohe Maßstäbe anzusetzen sind.
26. Aus dem vorgenannten Gründen kann dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattgegeben werden. Infolgedessen gilt der Antrag auf Überprüfung als nicht gestellt. Die gezahlte Überprüfungsgebühr ist ohne Rechtsgrund gezahlt worden und ist daher zurückzuzahlen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Überprüfung gilt als nicht gestellt.
3. Die Rückzahlung der Überprüfungsgebühr wird angeordnet.