T 0073/17 () of 15.6.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T007317.20200615
Datum der Entscheidung: 15 Juni 2020
Aktenzeichen: T 0073/17
Anmeldenummer: 11741080.3
IPC-Klasse: B25J9/16
G05B19/423
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM PROGRAMMIEREN ODER VORGEBEN VON BEWEGUNGEN ODER ABLÄUFEN EINES INDUSTRIEROBOTERS
Name des Anmelders: KEBA AG
Name des Einsprechenden: KUKA Roboter GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a) (2007)
European Patent Convention Art 100(b) (2007)
European Patent Convention Art 100(c) (2007)
European Patent Convention Art 113(1) (2007)
European Patent Convention Art 116(1) (2007)
European Patent Convention R 103 (2014)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 012(8) (2020)
RPBA2020 Art 015(1) (2020)
RPBA2020 Art 015(3) (2020)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr (ja) - 25 % der gezahlten Beschwerdegebühr
Voraussetzungen nach Regel 103 (4) a) EPÜ i.d.F. ab 01.04.2020 erfüllt (ja) - Rücknahme der Beschwerde in der Entscheidungsphase
Voraussetzungen nach Regel 103 (4) c) EPÜ i.d.F. ab 01.04.2020 erfüllt (nein) - keine ausdrückliche Rücknahme des Antrages auf mündliche Verhandlung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0191/17
T 0517/17
T 2698/17
T 2356/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende haben jeweils gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 580 027 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die in Artikel 100 a), b) und c) EPÜ angegebenen Einspruchsgründe.

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung,

- dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegenstand,

- dass das Patent den Gegenstand von Anspruch 1 nach dem mit Schriftsatz vom 2. September 2016 eingereichten ersten Hilfsantrag 1E nicht so deutlich und vollständig offenbarte, dass ein Fachmann ihn ausführen konnte (Artikel 83 EPÜ), während

- der Gegenstand von Anspruch 1 nach dem während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten zweiten Hilfsantrag 1F die Erfordernisse des EPÜ erfüllte.

Das Patent wurde in geänderter Fassung auf Basis des Anspruchssatzes gemäß Hilfsantrag 1F aufrechterhalten.

IV. Die zu Beginn des Beschwerdeverfahrens gestellten Anträge der Parteien waren wie folgt:

Die Patentinhaberin beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung,

oder hilfsweise, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsantrag 1, 2, 1E, 3, 1F, 1A, 1B, 1C, 1C-1, 1D und 4, wobei die Hilfsanträge 1, 2, 1E und 3 mit Einlegung der Beschwerde mit Schriftsatz vom 9. Januar 2017 und die Hilfsanträge 1A, 1B, 1C, 1C-1, 1D, 1F und 4 mit der Beschwerdeerwiderung vom 26. Juli 2017 eingereicht wurden.

Die Einsprechende beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

V. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 14. Januar 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach die Beschwerde der Einsprechenden unbegründet und daher zurückzuweisen wäre, während auf die Beschwerde der Patentinhaberin das Patent in der erteilten Fassung aufrechterhalten bleiben könnte.

VI. Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2020 nahm die Einsprechende ihre Beschwerde zurück und teilte mit, aufgrund der Zurücknahme auch nicht an der vorher anberaumten mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

Aufgrund der Rücknahme ihrer vorher eingelegten Beschwerde nimmt die Einsprechende im vorliegenden Beschwerdeverfahren die Stellung der Beschwerdegegnerin ein.

VII. In der vorliegenden Entscheidung sind die folgenden, aus dem Einspruchsverfahren bekannten Dokumente genannt:

E1: JP 7 241789 A

E2: JP 6 063882 A

E3: WO 2010/049101 A1

E4: EP 1 435 280 A2

E5: EP 1 588 806 A1

E6: EP 1 724 072 A1

E8: EP 2 055 446 A1

E9: EP 1 795 315 A1

E10: DE 38 10 054 A1

E11: WO 96/01977 A1

E12: DE 32 23 896 A1

E13: DE 196 26 459 A1.

Ergänzend wird auf die folgenden, seitens der Einsprechenden mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente Bezug genommen:

E1a: Maschinenübersetzung der E1

E2a: Maschinenübersetzung der E2.

Die folgenden Dokumente wurden erstmals im Beschwerdeverfahren mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden eingereicht:

E14: DE 10 2008 005 926 A1 und

E15: DE 10 2008 024 950 A1.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet in der Merkmalsgliederung entsprechend Punkt 3 der angefochtenen Entscheidung wie folgt:

A. Verfahren zum Programmieren oder Vorgeben von Bewegungen oder Abläufen eines Industrieroboters oder einer sonstigen mehrachsig steuerbaren Handhabungsvorrichtung,

B. wobei über ein von einer Bedienperson händisch zu führendes Bewegungsvorgabemittel

B1. mit integrierter und/oder externer Sensorik, welche zur Ermittlung der Orientierung und/oder Position des händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittels im Raum vorgesehen ist,

C. von einem Steuerungssystem zumindest ein Teil der Daten und Steuerbefehle für die Bewegungssteuerung oder Ablaufprogrammierung des Industrieroboters generiert werden, und

D. diese Steuerbefehle, die auf einer Vorgabe durch das händisch zu führende Bewegungsvorgabemittel basieren, vom Industrieroboter im wesentlichen unverzögert in korrespondierende Bewegungen oder Ablaufveränderungen umgesetzt werden,

E. falls die von der Bedienperson vorgegebene Bewegung oder Ablaufveränderung unter Berücksichtigung von vordefinierten technischen Beschränkungen des Industrieroboters, wie beispielsweise einer aufbau- oder umgebungsbedingten Erreichbarkeit von Positionen oder Orientierungen, oder einer technisch erreichbaren, oder einer sicherheitstechnisch zulässigen, maximalen Geschwindigkeit von Achsen oder Stellelementen des Industrieroboters, technisch ausführbar ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

F. aus der Bewegungsvorgabe durch das händisch zu führende Bewegungsvorgabemittel und/oder aus sensorisch erfassten Messwerten der vom Industrieroboter ausgeführten Bewegung oder Ablaufveränderung und/oder aus den vom Steuerungssystem generierten Steuerbefehlen eine Bewegungskenngröße ermittelt und mit einem oberen Grenzwert verglichen wird,

F1. sodass ein Auseinanderdriften zwischen der Bewegungsvorgabe von dem im Raum frei beweglichen, händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittel und einer Umsetzung der Bewegung oder Ablaufveränderung durch den Industrieroboter vom Steuerungssystem erkennbar ist,

G. und dass bei einem Überschreiten des oberen Grenzwertes die Bewegung oder Ablaufveränderung des Industrieroboters umgehend oder nach einer definiert begrenzten Nachlaufphase gestoppt wird,

I. und/oder dass bei definierter Annäherung der Bewegungskenngröße an den oberen Grenzwert oder bei einem Überschreiten eines unteren Grenzwertes, welcher niedriger als der obere Grenzwert ist, der Bedienperson die Nähe oder Annäherung zum oberen Grenzwert durch Abgabe eines Warnsignals signalisiert wird.

IX. Eine Wiedergabe des Wortlauts der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge ist nicht erforderlich, da der Entscheidungsausspruch zum Hauptantrag ergeht.

X. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Einsprechenden lässt sich wie folgt zusammenfassen und wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Die in Artikel 100 a), b) und c) EPÜ genannten Einspruchsgründe stehen der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.

XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen und wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Die in Artikel 100 a), b) und c) EPÜ genannten Einspruchsgründe stehen der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

Entscheidungsgründe

1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen

Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar sind (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Rechtliches Gehör

Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020.

Der Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt gewahrt, da diese Vorschrift nur die Möglichkeit bietet, gehört zu werden. Durch die ausdrückliche Erklärung ihrer Absicht, an der mündlichen Verhandlung, zu der beide Parteien ordnungsgemäß geladen waren, nicht teilzunehmen, gibt die Einsprechende diese Gelegenheit auf (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.B.2.7.3 und V.A.4.5.3).

Da die Kammer der Beschwerde der Patentinhaberin auf Basis ihres Hauptantrags stattgibt, entfaltet der dazu nachrangige Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).

Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des wechselseitigen umfänglichen schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien (Artikel 15 (3) VOBK 2020) unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif, so dass der Termin zur mündlich Verhandlung aufgehoben wird.

3. Zulassung der Dokumente E14 und E15 sowie der darauf gestützten Argumentationslinien ins Verfahren

3.1 Die Einsprechende argumentiert, dass E14 und E15 im Hinblick auf die Änderungen nach Hilfsantrag 1F, der erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde, exemplarisch als Beleg für allgemeines Fachwissen vorgelegt werden.

3.2 Die Kammer teilt zur Einreichung von E14 und E15 erstmals mit der Beschwerdebegründung wie folgt die Meinung der Patentinhaberin.

Zum einen unterscheidet sich die von der Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung aufrechterhaltene Fassung des Streitpatents nach Hilfsantrag 1F von der erteilten Fassung des Streitpatents lediglich durch eine Einschränkung auf einen Teil der in Merkmal F (siehe Merkmalsgliederung entsprechend der angefochtenen Entscheidung, Punkt 3) des erteilten Anspruchs 1 ursprünglich enthaltenen Alternativen und durch Aufnahme der Merkmale des erteilten Anspruchs 4. Somit waren sämtliche Änderungen nach Hilfsantrag 1F bereits in den erteilten Ansprüchen enthalten und der Einsprechenden bereits vor Ablauf der Einspruchsfrist bekannt.

Zum anderen können E14 und E15 nicht als Beleg für allgemeines Fachwissen betrachtet werden. Denn es handelt sich dabei weder um Standardfachbücher oder Standardlehrbücher, noch um eine Enzyklopädie bzw. ein gängiges Nachschlagwerk, sondern um Patentanmeldungen der Einsprechenden. Auch geht in keiner Weise aus E14 und E15 hervor, dass bestimmte Inhalte dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen wären.

Folglich sind der Kammer keine Gründe ersichtlich, warum E14 und E15 sowie die darauf basierenden Einwände der Einsprechenden hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit (siehe Beschwerdebegründung, Punkte 7.4, 8.4, 9.4, 10 und Beschwerdeerwiderung, Punkt 1.5) nicht vor Ablauf der Einspruchsfrist, spätestens jedoch während des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung hätten eingereicht werden können.

Daher sieht die Kammer auch keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 und in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Antrag der Patentinhaberin, diese verspätet eingereichten Dokumente E14 und E15 ins Verfahren zuzulassen oder die darauf gestützten neuen Argumentationslinien hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit (siehe Beschwerdebegründung, Punkte 7.4, 8.4, 9.4, 10 und Beschwerdeerwiderung, Punkt 1.5) im Verfahren zu berücksichtigen.

3.3 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit dem Bescheid vom 14. Januar 2020 mitgeteilt wurde, siehe Punkt 6. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten und wird von der Kammer nach nochmaliger Erwägung bestätigt.

4. Hauptantrag - Änderungen - Artikel 100 c) EPÜ

4.1 Die Einsprechende argumentiert, dass durch die Hinzufügung des Merkmals F1 im erteilten Anspruch 1 (siehe Merkmalsgliederung des erteilten Anspruchs 1 entsprechend der angefochtenen Entscheidung, Punkt 3) der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. An den in der angefochtenen Entscheidung als Basis für diese Änderungen genannten Stellen finde sich keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des Anspruchsmerkmals F1, dass ein Auseinanderdriften zwischen der Bewegungsvorgabe von dem im Raum frei beweglichen, händisch zu führende Bewegungsvorgabemittel und einer Umsetzung der Bewegungen oder Ablaufveränderunqen durch den Industrieroboter von einem beliebigen Steuerungssystem erkennbar ist und gemäß der "oder"-Alternative des Merkmals I nur ein Warnsignal abgegeben wird.

4.2 Die Kammer ist von dieser Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt und teilt die Meinung der Patentinhaberin, dass die Änderungen im Anspruch 1 eine Basis in der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 5, Zeilen 25 bis 32, in Zusammenschau mit Seite 6, Zeilen 8 bis 17, finden.

Dort ist auf Seite 6, Zeilen 8 bis 12, beschrieben, dass kritische Asynchronitäten bzw. zu große zeitliche Verschiebungen zwischen der Bedienhandlung der Bedienperson und der Bewegungsausführung durch den Industrieroboter vom Steuerungssystem früh- bzw. rechtzeitig unterbunden bzw. zumindest im Vorfeld signalisiert bzw. angekündigt werden. Somit geht aus dieser Passage unmittelbar hervor, dass ein Auseinanderdriften - dort als "Asynchronitäten" bzw. "zeitliche Verschiebungen" bezeichnet - vom Steuerungssystem erkennbar ist. Die Kammer folgt der Meinung der Patentinhaberin, dass hierbei ein Erkennen eine zwingende Voraussetzung für das auf Seite 6, Zeilen 8 bis 11, beschriebene "Unterbinden" bzw. "Signalisieren" ist.

Dass im vorliegenden Fall "Asynchronität" als gleichwertiger Begriff zu "Auseinanderdriften" verwendet wird, geht aus Seite 5, Zeilen 30 bis 31, in Verbindung mit Seite 6, Zeilen 12 bis 14, der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hervor.

Entgegen der Meinung der Einsprechenden wird in dieser Passage auch auf ein Steuerungssystem (Seite 6, Zeile 10) und nicht auf ein verteilt aufgebautes Steuerungssystem hingewiesen, so dass keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliegt.

Eine Basis für die von der Einsprechenden beanstandete Kombination des Merkmals F1 mit dem Merkmal I alleine, d.h. ohne Merkmal G, ist ebenfalls der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 6, Zeilen 12 bis 17, zu entnehmen, wonach durch die erfindungsgemäßen Maßnahmen eine allzu große Asynchronität zwischen den Bewegungsvorgaben seitens der Bedienperson und der Bewegungsausführung durch den Industrieroboter unterbunden wird (entsprechend Merkmal F1), indem der Industrieroboter unverzüglich gestoppt wird (entsprechend Merkmal G) und/oder indem vor dem Erreichen eines kritischen Grenzwertes ein entsprechendes Signal bzw. ein Warnhinweis an die Bedienperson automatisiert abgegeben wird (entsprechend Merkmal I).

Ferner stellen die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen in der oben genannten Passage auf Seite 6, Zeilen 8 bis 17, nicht nur auf ein Auseinanderdriften von Bewegungsvorgabe und Bewegungsausführung, d.h. auf ein Auseinanderdriften von Bewegungsvorgabe und einer Umsetzung der Bewegungen ab. Denn dass eine Ablaufveränderung oder eine Umsetzung der Bewegung bzw. Bewegungsausführung durch den Industrieroboter erfindungsgemäß betrachtet wird, ist bereits im Wortlaut des ursprünglichen Anspruch 1 enthalten. Der Fachmann kann daher der oben genannten Passage auf Seite 6, Zeilen 8 bis 17, im Hinblick auf den Gesamtinhalt der Offenbarung der Anmeldungsunterlagen eindeutig und unmittelbar entnehmen, dass das Erkennen eines Auseinanderdriftens zwischen der Bewegungsvorgabe und einer Umsetzung der Bewegung oder Ablaufveränderung durch den Industrieroboter gemäß Merkmal F1 ursprünglich offenbart ist.

Somit kann der Fachmann den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unmittelbar und eindeutig aus der Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ableiten.

Daher steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

4.3 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit dem Bescheid vom 14. Januar 2020 mitgeteilt wurde, siehe Punkt 9. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten. Die Kammer hält nach nochmaliger Würdigung der Sach- und Rechtslage an dieser Auffassung fest.

5. Hauptantrag - Ausführbarkeit - Artikel 100 b) EPÜ

Die Patentinhaberin bestreitet die Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass das Streitpatent den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen kann.

5.1 Ermittlung der Bewegungskenngröße

Gemäß Merkmal F von Anspruch 1 werden verschiedene Varianten zur Ermittlung der Bewegungskenngröße genannt. Die Einsprechende argumentiert entsprechend der angefochtenen Entscheidung, Punkt 4, dass dabei in drei Varianten die Bewegungskenngröße jedoch nicht aus der Bewegungsvorgabe ermittelt werde. Folglich könne aus einer solchen Bewegungskenngröße, die keine Informationen des Bewegungsvorgabemittels enthält, entgegen Merkmal F1 ein Auseinanderdriften der Bewegungsvorgabe nicht erkannt und somit dieses Merkmal F1 bzw. diese Varianten des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht ausgeführt werden.

Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt, denn die Lehre des erteilten Anspruchs 4 zeigt dem Fachmann eine konkrete Anweisung auf, wie die Bewegungskenngröße nach Anspruch 1 zu ermitteln ist, nämlich dass als Bewegungskenngröße ein Maß für die momentane Abweichung zwischen der vorgabegemäß auszuführenden Bewegung und der technisch möglichen Bewegung und/oder einem sensorisch erfassten Ist-Zustand der Bewegung des Industrieroboters ermittelt und herangezogen wird. Da nach Anspruch 4 deutlich offenbart ist, dass die Bewegungskenngröße auch in Abhängigkeit einer Bewegungsvorgabe zu ermitteln ist, kann ein Auseinanderdriften der Bewegungsvorgabe von dem Bewegungsvorgabemittel erkannt und folglich können sowohl Merkmal F1 von Anspruch 1 als auch die Varianten nach Anspruch 1 eindeutig ausgeführt werden.

5.2 Bewegungen bzw. Ablaufveränderungen

Die Einsprechende wendet ein, dass Anspruch 1 ausdrücklich zwischen "Bewegungen" einerseits und "Abläufen" bzw. "Ablaufveränderungen" andererseits unterscheide und diese in den Merkmalen A, C, D, E, F, F1 und G jeweils mit "oder" in Bezug nehme. Andererseits setzten Merkmale F und F1 ausdrücklich eine Bewegungsvorgabe voraus. Daher könne ein Verfahren, bei dem in den Merkmalen A, C, D, E und G jeweils statt einer Bewegung ein(e) Ablauf(veränderung) vorgegeben wird, d.h. bei dem in den Merkmalen A, C, D, E und G jeweils die zweite "oder"-Alternative ausgeführt ist, die Merkmale F und F1 nicht verwirklichen, so dass dieses nicht ausführbar sei.

Die Kammer ist von dieser Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt und teilt die Auffassung der Einspruchsabteilung unter Punkt 6.4 der angefochtenen Entscheidung. Der Begriff "Ablauf" ist in Anspruch 1 im Zusammenhang mit Bewegungen eines Industrieroboters definiert. Daher steht der Begriff "Ablauf" auch in Verbindung mit der Bewegung des Industrieroboters. Schon aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 ist für den Fachmann offensichtlich, dass eine Bewegungsvorgabe auch zu einer Ablaufveränderung führt. Eine Bewegung kann Teil eines komplexen Ablaufes sein, so dass eine Bewegungsänderung auch eine Ablaufveränderung bewirkt. Eine Bewegung kann auch als Teil eines Ablaufes verstanden werden. Somit ist in der Verwendung der Begriffe "Bewegungen" und "Abläufe" bzw. "Ablaufveränderung" durch die "oder"-Verknüpfung keine mangelnde Offenbarung zu sehen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass deren Verwendung in den Merkmalen A, C, D, E in einem Widerspruch zum Merkmal "Bewegungsvorgabe" in Merkmal F und F1 steht.

5.3 Im wesentlichen unverzögert

Die Einsprechende argumentiert, dass der Fachmann im Streitpatent keinen Hinweis finde, wie eine Umsetzung ausgestaltet sein müsse, damit die Steuerbefehle nach Merkmal D von Anspruch 1 "im wesentlichen unverzögert" umgesetzt werden können.

Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt und teilt die Meinung der Patentinhaberin, dass sich die Bedeutung für den Fachmann bereits aus dieser Formulierung selbst ergibt, nämlich dass eine bestimmte Wirkung oder ein bestimmtes Ergebnis innerhalb einer gewissen Toleranz erzielt werden kann (entsprechend der angefochtene Entscheidung, Punkt 6.3). Zudem weiß der Fachmann, wodurch die vorliegende Toleranz bedingt ist, nämlich durch Trägheiten des Systems. Hierzu ist in der Beschreibung des Streitpatents in Absatz [0052] beispielhaft ausgeführt, wie eine solche Formulierung hinsichtlich der Umsetzung der Bewegung verwendet wird und zu verstehen ist.

5.4 Folglich offenbart das Streitpatent die beanspruchte Lehre gemäß erteiltem Anspruch 1 so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Daher steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

5.5 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit dem Bescheid vom 14. Januar 2020 mitgeteilt wurde, siehe Punkt 10. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten. Die Kammer hält nach nochmaliger Würdigung der Sach- und Rechtslage an dieser Auffassung fest.

6. Hauptantrag - Neuheit - Artikel 100 a) EPÜ

Die Einsprechende bestreitet die Neuheit des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 gegenüber der Offenbarung von Dokument E5 oder von Dokument E6.

Die im Folgenden verwendete Merkmalsanalyse entspricht derjenigen, die unter Punkt 3 der angefochtenen Entscheidung angegeben ist.

6.1 Neuheit gegenüber E5

Es ist unstreitig, dass E5 ein Verfahren zum Vorgeben von Bewegungen eines Industrieroboters mit den Merkmalen A bis C und E des erteilten Anspruchs 1 beschreibt.

6.1.1 Merkmal D

Die Patentinhaberin ist der Ansicht, dass eine "im wesentlichen unverzögerte" Umsetzung der Bewegungsvorgabe in eine Roboterbewegung in E5 nicht gezeigt sei, denn nach E5 erfolgten die Bewegungsvorgabe und die Ausführung durch den Roboter abwechselnd. Die Verzögerung bei der Lösung gemäß E5 sei sogar so groß, dass überhaupt keine zeitliche Überlappung zwischen einer Bewegungsvorgabe und der daraus resultierenden Roboterbewegung vorkomme.

Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt und teilt die Meinung der Einsprechenden, dass nach E5 diese Steuerbefehle, die auf einer Vorgabe durch das händisch zu führende Bewegungsvorgabemittel ("Beeinflussungs-Vorrichtung 1") basieren, vom Industrieroboter im wesentlichen unverzögert in korrespondierende Bewegungen umgesetzt werden (siehe Absatz [0038], Fig. 4; Absatz [0043], Fig. 5 von E5). Zwar erfolgen nach E5 die korrespondierenden Bewegungen abwechselnd. Jedoch erfolgen bei allen Robotersteuerungen die Kommandoausführungen aufgrund mechanischer, elektro- und regelungstechnischer Trägheiten stets mit einer gewissen Verzögerung. Auch Merkmal D von Anspruch 1 erfordert somit nicht eine instantane Umsetzung der Bewegung, sondern umfasst wortsinngemäß eine gewisse Verzögerung, wie sie auch in E5 bei einem wiederholten Wechsel zwischen einer Bewegungsvorgabe (Posenvorgabe) mit Hilfe der Beeinflussungs-Vorrichtung und einer anschließenden Bewegungsfreigabe zur Bewegungsausführung zwangsläufig auftritt (siehe Absatz [0037]].

Im Übrigen scheinen auch nach E5 die korrespondierenden Bewegungen des Industrieroboters nach dem Verständnis des Fachmanns im wesentlichen unverzögert zu erfolgen, da dies gerade Sinn und Kennzeichen eines handgeführten Teachens ist. Der Fachmann versteht daher die korrespondierende Bewegung des Industrieroboters nach E5 als im wesentlichen unverzögert.

Das Merkmal D ist somit aus E5 bekannt.

6.1.2 Merkmal F

Die Patentinhaberin argumentiert, dass die in E5 beschriebenen Messungenauigkeiten und Positions- und Orientierungsungenauigkeiten keine Bewegungskenngröße, sondern eine Sensorkenngröße darstelle, die Sensorfehler erfasse. Die Messungenauigkeiten enthielten somit Informationen über die Sensorik, nicht aber über die Bewegung. Daher sei die Ermittlung einer Bewegungskenngröße nach Merkmal F des Anspruch 1 nicht offenbart.

Die Kammer ist davon nicht überzeugt, da die in E5 genannte Messungenauigkeit aus Messwerten einer Bewegung (als Positions- und Orientierungsungenauigkeit; siehe Absatz [0039]) entsteht und somit als Bewegungskenngröße zu verstehen ist.

Die Kammer folgt weiter der Meinung der Einsprechenden, dass nach E5 Positions- und Orientierungsungenauigkeiten überwacht werden und ein optisches oder akustisches Signal an eine Bedienperson zum Stoppen der Bewegungsvorgabe ausgegeben wird (Absatz [0039]). Bei Überschreiten vorbestimmter Parameterwerte für die Messungenauigkeit ist nach Maßgabe der Kontrolleinrichtung keine Beeinflussung des Industrieroboters ("Handhabungsgeräts") möglich (Absatz [0016]). Das Überwachen, ob die Positions- und Orientierungsungenauigkeit als Messungenauigkeit vorbestimmte Parameterwerte überschreitet, beinhaltet ein Vergleichen der ermittelten Bewegungskenngröße mit einem oberen Grenzwert, d.h. einem vorbestimmten Parameterwert. Dabei wird die Bewegungskenngröße als Positions- und Orientierungsungenauigkeit auch aus der Bewegungsvorgabe durch das Bewegungsvorgabemittel ("Beeinflussungs-Vorrichtung 1") ermittelt (Absatz [0039]).

Das Merkmal F ist daher aus E5 bekannt.

6.1.3 Merkmal F1

Nach E5 weist das Bewegungsvorgabemittel ("Beeinflussungs-Vorrichtung 1") eine Kontrolleinrichtung zum Überwachen einer Messungenauigkeit der Stellungsbestimmungs-Sensorik auf (siehe Absatz [0007]). Dabei wird eine Messungenauigkeit der zur Stellungsmessung des Bewegungsvorgabemittels eingesetzten Sensorik überwacht.

Dass die Bewegungskenngröße nach Merkmal F so ermittelt und mit einem oberen Grenzwert verglichen wird, dass ein Auseinanderdriftens zwischen der Bewegungsvorgabe des Bewegungsvorgabemittels und einer Umsetzung der Bewegung oder Ablaufveränderung durch den Industrieroboter vom Steuerungssystem erkennbar ist, ist in E5 hingegen, entgegen der Auffassung der Einsprechenden, nicht beschrieben.

Das Merkmal F1 ist daher in E5 nicht offenbart.

6.1.4 Merkmale G und I

Die Einsprechende argumentiert, dass die Merkmale G und I von Anspruch 1 aus E5, Absätze [0016] und [0039], bekannt seien.

Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt, denn E5 beschreibt, dass, wenn die Messungenauigkeit einen vorbestimmten Wert überschreitet (siehe Absätze [0016] und [0039]), ein Signal ausgegeben wird, mit dessen Hilfe zwar die Bewegungsvorgabe gestoppt wird (Absatz [0039]). Entgegen der Meinung der Einsprechenden offenbart dies jedoch nicht unmittelbar, dass die Bewegung des Industrieroboters gestoppt wird. Vielmehr wird in E5 aufgezeigt, dass bei Überschreiten vorbestimmter Parameterwerte bzw. bei Erreichen eines vorgegebenen Wertes für die Messungenauigkeit keine Beeinflussung des Handhabungsgeräts möglich ist ([0016] und [0009]) und "die Einflussnahmemöglichkeit für eine Bedienperson unterbunden" wird (Absatz [0016]). Dies offenbart allerdings ebenfalls nicht unmittelbar und eindeutig, dass der Roboter gemäß Merkmal G in seiner Bewegung gestoppt wird.

Ferner überzeugt die Argumentation der Einsprechenden nicht, dass das Signal nach E5 ausgegeben wird (siehe Absatz [0039]), wenn die Kenngröße sich dem Grenzwert nähert. Denn in E5 ist weder eine definierte Annäherung der Messungenauigkeit an einen oberen Grenzwert, noch ein Überschreiten eines unteren Grenzwertes, welcher niedriger ist als der obere Grenzwert, oder die Signalisierung der Nähe oder Annäherung zum oberen Grenzwert offenbart.

Somit fehlt in E5 die Offenbarung der Merkmale G und I von Anspruch 1.

6.1.5 Folglich offenbart E5 die Merkmale F1, G und I des erteilten Anspruchs 1 nicht, so dass der Gegenstand dieses Anspruchs neu gegenüber E5 ist.

6.2 Neuheit gegenüber E6

6.2.1 Die Einsprechende bestreitet die Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass E6 das Merkmal F1 des Anspruchs 1 nicht offenbart und führt weiter aus, dass E6 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 vorwegnehme. E6 offenbare ein Verfahren zum Programmieren von Bewegungen eines Industrieroboters 100, wobei über ein Bewegungsvorgabemittel in Form eines Handgriffs 200 von einem Steuerungssystem 150 zumindest ein Teil der Daten und Steuerbefehle für die Bewegungssteuerung oder Ablaufprogrammierung des Industrieroboters generiert werden. Der Handgriff 200 sei zwar am Roboter befestigt, aber gleichwohl aufgrund einer nachgiebigen Regelung des Roboters von einer Bedienperson händisch zu führen. Winkelmesser in den Robotergelenken bilden eine externe Sensorik, welche zur Ermittlung der Orientierung und/oder Position des händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittels im Raum vorgesehen sei. Aus sensorisch erfassten Messwerten der vom Industrieroboter ausgeführten Bewegung werde eine mehrdimensionale Bewegungskenngröße in Form einer Beschleunigung, Geschwindigkeit und eines Abstandes ermittelt und mit einem oberen Grenzwert verglichen. Bei einem Überschreiten des oberen Grenzwertes werde die Bewegung des Industrieroboters umgehend gestoppt. Ein Auseinanderdriften zwischen der Bewegungsvorgabe von dem im Raum frei beweglichen, händisch zu führende Bewegungsvorgabemittel und einer Umsetzung der Bewegungen oder Ablaufveränderungen durch den Industrieroboter sei vom Steuerungssystem erkennbar (Merkmal F1). Gebe der Bediener nämlich am Handgriff 200 eine Bewegung mit einer unzulässig hohen Beschleunigung oder Geschwindigkeit vor, so führte der Roboter diese nicht aus, sondern wird stattdessen stillgesetzt. Dabei driften Bewegungsvorgabe und Umsetzung durch den Industrieroboter immer weiter auseinander. Das Steuerungssystem 150 könne ein solches Auseinanderdriften erkennen.

6.2.2 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt.

E6 beschreibt ein Verfahren, bei dem ein Industrieroboter einen Beschleunigungsmesser 205 zur Überwachung der Bewegung einer am Endeffektor des Roboters angebrachten Griffbaugruppe 200 umfasst. Der Roboter weist eine Griffbaugruppe oder Griffanordnung 200 auf, die mit einer Schnellspannbaugruppe 202 am Endeffektor befestigt ist. Der Beschleunigungsmesser überwacht die Bewegung der Griffanordnung 200. Eine Steuerung beendet die Bewegung des Roboters, wenn die überwachte Beschleunigung der Griffanordnung 200 während des Einlernens ("lead through teaching") des Roboters vorgegebene Kriterien überschreitet.

Entgegen den Ausführungen der Einsprechenden ist in E6 nicht angegeben, dass mit der Griffanordnung 200 eine Bewegung des Roboters vorgegeben wird. Ferner findet sich keine Offenbarung in E6, dass die Griffanordnung 200 von einer Bedienperson händisch geführt wird oder aufgrund ihrer Befestigung am Roboterendeffektor überhaupt händisch geführt werden kann. Daher ist die Griffanordnung 200 nicht als Bewegungsvorgabemittel gemäß Anspruch 1 zu betrachten.

Die Kammer folgt der Meinung der Patentinhaberin, dass das in E6 offenbarte Verfahren auf einem anderen Prinzip als das vorliegend beanspruchte Verfahren beruht. Während das Verfahren nach Anspruch 1 von einem "im Raum frei beweglichen, händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittel" (siehe Merkmal F1) ausgeht, ist die Griffanordnung 200 am Roboterendeffektor fixiert, also mechanisch angekoppelt. Aufgrund der Verbindung mit dem Roboter (siehe Absatz [0021]) kann eine Bedienperson mit der Griffanordnung 200 keine Bewegungen ausführen, die von der Bewegung des Roboters abweichen. Somit ist ein Auseinanderdriften zwischen der Bewegung der Griffanordnung 200 und der des Roboters in der Tat nicht möglich. Die Bewegung von Griffanordnung 200 und Roboter sind zwangsweise immer synchron.

Daher offenbart E6 das Merkmal F1 nicht.

Da die Griffanordnung 200 nicht als ein im Raum frei bewegliches, händisch zu führendes Bewegungsvorgabemittel gemäß Merkmal F1 des Anspruchs 1 zu verstehen ist, teilt die Kammer auch die Auffassung der Patentinhaberin, entgegen der Feststellung der angefochtenen Entscheidung (unter Punkt 9.5), dass E6 weiterhin zumindest nicht die Merkmale B, B1, D und F des Anspruchs 1 zeigt, die jeweils einen Verfahrenschritt mit dem im Raum frei beweglichen, händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittel umfassen.

6.2.3 Folglich offenbart E6 zumindest die Merkmale B, B1, D und F und F1 des erteilten Anspruchs 1 nicht, so dass der Gegenstand dieses Anspruchs neu gegenüber E6 ist.

6.3 Daher steht der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

6.4 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit dem Bescheid vom 14. Januar 2020 mitgeteilt wurde, siehe Punkt 11. Diese vorläufige Feststellung wurde von den Parteien weder kommentiert noch bestritten. Die Kammer hält nach nochmaliger Würdigung der Sach- und Rechtslage an dieser Auffassung fest.

7. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit - Artikel 100 a) EPÜ

7.1 Ausgehend von E1, E2 oder E3

Die Einsprechende erhebt Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit von Anspruch 1 ausgehend von E1, E2 oder E3 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen und/oder mit der Lehre eines der Dokumente E4, E5 oder E8 bis E13.

Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt.

Die Dokumente E1 bis E3 beschreiben jeweils ein Verfahren zum Programmieren oder Vorgeben von Bewegungen oder Abläufen eines Industrieroboters, bei dem die Bewegung des Roboters mittels eines Bewegungsvorgabemittels (E1: "teach pendant 30"; E2: "personal computer 3"; E3: "Programmierhandgerät 22") kontrolliert wird. Die Bewegungsbefehle werden mittels eines Joysticks (E3: "Joystick 23") oder über eine Tastatur (E1 und E2: jeweils Figur 1) eingetragen.

Es ist unstreitig, dass keines dieser bekannten Verfahren beschreibt, dass das Bewegungsvorgabemittel eine Sensorik zur Ermittlung der Orientierung und/oder Position des händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittels im Raum aufweist (Merkmal B1).

Folglich ist eine Umsetzung der Bewegungsvorgabe, die nach Merkmal B1 aus der ermittelten Orientierung und/oder Position des Bewegungsvorgabemittels resultiert, durch den Industrieroboter sowie auch ein Erkennen eines Auseinanderdriftens zwischen dieser Bewegungsvorgabe von dem im Raum frei beweglichen, händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittel und der Umsetzung der Bewegung durch den Industrieroboter vom Steuerungssystem nicht beschrieben.

Dokumente E1, E2 oder E3 offenbaren daher zumindest das Merkmal B1 von Anspruch 1 nicht.

Der mit dem Unterscheidungsmerkmal verbundene technische Effekt besteht darin, eine allzu große Asynchronität zwischen den Bewegungsvorgaben seitens der Bedienperson und der Bewegungsausführung durch den Industrieroboter rechtzeitig zu unterbinden bzw. auch für die Bedienperson durch Signalisierung erkennbar zu machen.

Ausgehend von E1, E2 oder E3 ist die objektive technische Aufgabe somit darin zu sehen, ein Verfahren zum Programmieren oder Vorgeben von Bewegungen oder Abläufen eines Industrieroboters bereitzustellen, welches der Bedienperson ein möglichst komfortables Programmieren oder Vorgeben von komplexen Bewegungen, Abläufen oder Funktionen eines Industrieroboters ermöglicht und Probleme in Verbindung mit einem Auseinanderdriften der Bewegungsvorgabe der Bedienperson und der Bewegungsausführung durch den Industrieroboter in einfacher Art und Weise zur Gänze oder möglichst vollständig unterbindet (Absatz [0010] der Streitpatentschrift).

Da allerdings weder E1 noch E2 oder E3 ein Bewegungsvorgabemittel mit integrierter und/oder externer Sensorik offenbart, welche zur Ermittlung der Orientierung und/oder Position des frei im Raum beweglichen, händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittels im Raum vorgesehen ist, stellt sich ausgehend von E1, E2 oder E3 das zugrundeliegende Problem überhaupt nicht. Entsprechend dem Vortrag der Patentinhaberin gibt es somit für den Fachmann keinerlei Veranlassung, die Lehre von E1 bis E3 in irgendeiner Form zu verändern.

Dokumente E4, E5 und E8 bis E13 betreffen zwar händisch zu bedienende Bewegungsvorgabemittel (E4: "pointing member 1"; E5: "Vorrichtung 1"; E8: "TPU 1"; E9: "hand-held control device 12"; E10: "Führungseinrichtung 1"; E11: "hand-held controller wand 10"; E12: "Abtasteinrichtung 1"; E13: "Handgerät 12").

Allerdings ist in keinem der Dokumente E4, E5 und E8 bis E13 die zugrunde liegende Aufgabe angesprochen, ein Auseinanderdriften der Bewegungsvorgabe der Bedienperson von dem im Raum frei beweglichen, händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittel und der Bewegungsausführung durch den Industrieroboter zu unterbinden bzw. der Bedienperson erkennbar zu machen.

Vielmehr liegt E5 die Aufgabe zugrunde, die Messungenauigkeit der zur Stellungsmessung des Bewegungsvorgabemittels eingesetzten Sensorik zu überwachen (siehe auch oben unter Punkt 6.1).

E4 ist darauf gerichtet, eine verbesserte Industrieroboterprogrammierlösung zu schaffen, die die Lernzeit für den Lernvorgang verkürzt und die Qualität des Bearbeitungsergebnisses erhöht (Absatz [0010]).

In E8 ist als Problem eine Integrationsdrift erwähnt, die zu einer immer größeren Abweichung zwischen dem Koordinatensystem der TPU und dem tatsächlichen Koordinatensystem des Roboters führt. Zur Lösung dieses Problems regt E8 an, das Koordinatensystem der TPU einzustellen, um dem Koordinatensystem des Roboters zu entsprechen (Absatz [0030]). Somit ist auch in E8 das zugrundeliegende Problem nicht angesprochen.

E9 betrifft eine Handsteuervorrichtung zum manuellen Steuern der Bewegungen eines Industrieroboters, wobei ein intuitives und einfaches Verfahren zum manuellen Bewegen oder Programmieren des Roboters bereitgestellt wird (Absatz [0009]).

E10 liegt die Aufgabe zugrunde, ein einfaches und zuverlässig arbeitendes Verfahren zur Bewegungsführung von mehrachsigen Manipulatoren unter Verwendung einer handbetätigten Führungseinrichtung zu schaffen (Spalte 2, Zeilen 22 bis 26).

E11 lehrt eine einfach zu bedienende, intuitive räumliche Eingabevorrichtung bereitzustellen, die es einem Benutzer ermöglicht, die Verschiebung und Drehung eines beweglichen Objekts mit einfachen Handbewegungen zu befehlen.

E12 betrifft ein Verfahren zur Erstellung von Programmen für bahngesteuerte Industrieroboter mittels einer Abtasteinrichtung, mit der die zu programmierende Bahn von Hand abgefahren wird und deren relative Position und Orientierung durch eine Auswerteeinrichtung in Form elektrischer Daten abgespeichert werden.

E13 lehrt ein Verfahren zum Teachen eines programmgesteuerten Roboters bezüglich der Arbeits- oder Bahnpunkte an einem Werkstück und gibt auch keinen Hinweis auf die zugrundeliegende Aufgabe.

Da weder in E4 noch in E5 oder E8 bis E13 die zugrundeliegende Aufgabe angesprochen ist, zöge der Fachmann keines dieser Dokumente zur Lösung der Aufgabe heran, so dass der Fachmann ausgehend von E1, E2 oder E3 - auch unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissens - in Kombination mit der Lehre von E4, E5 oder E8 bis E13 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangte.

7.2 Ausgehend von E5

Die Einsprechende erhebt Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit von Anspruch 1 ausgehend von E5 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre eines der Dokumente E6, E1, E2 und/oder E3 (siehe Beschwerdeerwiderung vom 6. Juli 2017, Punkt 6.2).

Wie oben unter Punkt 6.1.5 angegeben, offenbart E5 die Merkmale F1, G und I des erteilten Anspruchs 1 nicht.

Weder E1 noch E2 oder E3 betrifft ein Verfahren, bei dem das Bewegungsvorgabemittel eine Sensorik zur Ermittlung der Orientierung und/oder Position des händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittels im Raum aufweist. Somit stellt sich nach der Lehre dieser Dokumente das zugrunde liegende Problem nicht, ein Auseinanderdriften der Bewegungsvorgabe von einem im Raum frei beweglichen, händisch zu führenden Bewegungsvorgabemittel und der Bewegungsausführung durch den Industrieroboter zu unterbinden bzw. der Bedienperson erkennbar zu machen (siehe Punkt 7.1 oben).

Wie oben unter Punkt 6.2.3 angegeben, gibt E6 keinen Hinweis auf die Merkmale B, B1, D und F und F1 des erteilten Anspruchs 1. Dabei ist auch in E6 das zugrundeliegende Problem nicht erwähnt.

Da weder in E1 bis E3 noch in E6 die zugrundeliegende Aufgabe angesprochen ist, zöge der Fachmann keines dieser Dokumente zur Lösung der Aufgabe heran, so dass der Fachmann ausgehend von E5 als nächstliegendem Stand der Technik in Zusammenschau mit der Lehre von E6, E1, E2 und/oder E6 nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangte.

7.3 Ausgehend von E6

Die Einsprechende erhebt Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit von Anspruch 1 ausgehend von E6 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen (siehe Beschwerdeerwiderung vom 6. Juli 2017, Punkt 6.3).

Wie der Fachmann ausgehend von Dokument E6, das die Merkmale B, B1, D und F und F1 von Anspruch 1 nicht zeigt (siehe Punkt 6.2.3 oben), lediglich aufgrund seines Fachwissens zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gelangen sollte, ist auf der Basis des Beschwerdevorbringens der Einsprechenden nicht ersichtlich.

7.4 Weiterhin erhebt die Einsprechende Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit von Anspruch 1

- ausgehend von E8 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von Dokument E14 oder E15, sowie

- ausgehend von E5 oder einem der Dokumente E9 bis E13 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von Dokument E14 oder E15

zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren (siehe Beschwerdebegründung, Punkte 9.4 und 10. sowie Beschwerdeerwiderung, Punkt 1.5).

Angesichts der Tatsache, dass diese Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit seitens der Einsprechenden ohne rechtfertigende Begründung für deren Einreichung erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebracht wurden, sieht die Kammer keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 diese verspäteten Einwände in das Verfahren zuzulassen.

Selbst wenn eine dieser Argumentationslinien im Beschwerdeverfahren Berücksichtigung gefunden hätte, weist die Kammer rein vorsorglich darauf hin, dass die diesbezüglich seitens der Einsprechenden vorgetragenen Argumente die Kammer nicht überzeugten, weil auch in E14 und E15 - auf die seitens der Einsprechenden als Fachwissen Bezug genommen wird, dass üblicherweise Schleppfehler überwacht werden (E14: Absatz [0002]; E15: Absatz [0024]) - die zugrunde liegende Aufgabe nicht angesprochen ist.

7.5 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 eine erfinderische Tätigkeit aufweist.

Daher steht der Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

7.6 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit dem Bescheid vom 14. Januar 2020 mitgeteilt wurde, siehe Punkt 12. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten. Die Kammer hält nach nochmaliger Würdigung der Sach- und Rechtslage an dieser Auffassung fest.

8. Da dem Hauptantrag stattgegeben wurde, war über die Hilfsanträge nicht mehr zu entscheiden.

9. Anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr

9.1 Durch die am 1. April 2020 in Kraft getretene Neufassung der Regel 103 EPÜ sind neue Tatbestände für eine anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr eingeführt worden. Nach dem vorliegend relevanten Absatz 4 dieser Regel wird die Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % zurückgezahlt, wenn

"a) die Beschwerde nach Ablauf der Frist nach Absatz 3 Buchstabe a, aber vor Verkündung der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird,

b) die Beschwerde nach Ablauf der Frist nach Absatz 3 Buchstabe b, aber vor Erlass der Entscheidung zurückgenommen wird,

c) ein etwaiger Antrag auf mündliche Verhandlung innerhalb eines Monats ab Zustellung einer von der Beschwerdekammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung zurückgenommen wird und keine mündliche Verhandlung stattfindet."

9.2 Die Einsprechende hat ihre Beschwerde in ihrem Schriftsatz vom 25. Mai 2020 mehr als einen Monat ab Zustellung der Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 14. Januar 2020 zur Vorbereitung der ursprünglich für den 6. Juli 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Der Umstand, dass vor dem Hintergrund der positiven Beurteilung der Beschwerde der Patentinhaberin in der vorgenannten Mitteilung der Beschwerdekammer die Notwendigkeit zur Durchführung der ursprünglich für den 6. Juli 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung infolge der Rücknahme der Beschwerde der Einsprechenden obsolet wurde und deshalb der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben wurde, ändert nichts an der Einschlägigkeit der Regel 103 (4) a) EPÜ.

Auch wenn die vorliegende Entscheidung nunmehr im schriftlichen Verfahren ergeht, greift nach dem für die Beschwerdekammer erkennbaren gesetzgeberischen Willen nicht der Rückzahlungstatbestand nach Regel 103 (3) c) EPÜ ein, der eine hälftige Rückzahlung der Beschwerdegebühr vorsieht.

Aus den vorbereitenden Arbeiten und den Umständen für die Neufassung der Regel 103 EPÜ (CA/80/19 vom 4. Oktober 2019 und CA/80/19 Korr. 1 vom 8. November 2019: Paket gebührenbezogener Maßnahmen; Beschluss des Verwaltungsrates vom 12. Dezember 2019 zur Änderung der Regel 103 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen CA/D 14/19, ABl. EPA 2020, A5) ist bekannt, dass die Rückzahlungstatbestände und die darin geregelten Rückzahlungshöhen sich daran orientieren, in welchem Verfahrensstadium des Beschwerdeverfahrens die Beschwerderücknahme erfolgt (siehe CA/80/19, supra, Nr. 60).

Dabei werden vier verschiedene Verfahrensstadien definiert: Anfangsphase, Zwischenphase, Prüfungsphase, Entscheidungsphase. Vorliegend relevant sind die beiden letztgenannten.

"Die Prüfungsphase beginnt, wenn der Berichterstatter die Akte in Bearbeitung nimmt und mit der inhaltlichen Prüfung der Beschwerde beginnt. Dazu gehört die Abfassung des internen Votums zum Beschwerdefall und möglicherweise der Versand einer Mitteilung nach Regel 100 (2) EPÜ (über inhaltliche Fragen) oder, wenn eine mündliche Verhandlung anberaumt ist, der Versand einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK" (CA/80/19, supra, Nr. 70).

"Die Entscheidungsphase beginnt unmittelbar nach Ende der Prüfungsphase. Sie schließt die Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung sowie die Verkündung der Entscheidung über die Beschwerde am Ende der mündlichen Verhandlung und/oder die Abfassung und den Erlass der schriftlichen Entscheidung ein" (CA/80/19, supra, Nr. 78).

Ferner ist bekannt, dass mit der Regel 103 (3) c) EPÜ gesetzgeberisch beabsichtigt ist, Fälle einer Direktentscheidung abzudecken, d.h. Fälle, in denen weder eine mündliche Verhandlung anberaumt noch der Beschwerdeführer zur Stellungnahme aufgefordert werden muss (CA/80/19, supra, Nr. 77). Um eine solche Direktentscheidung handelt es sich aber vorliegend eindeutig nicht, da sie nach Ladung der Parteien zu einem Termin zur mündlichen Verhandlung und nach Zustellung einer diesen Termin vorbereitenden Mitteilung der Beschwerdekammer ergeht.

Damit erfolgte die Rücknahme der Beschwerde durch die Einsprechende eben nicht mehr während der Prüfungsphase, sondern erst in der Entscheidungsphase des vorliegenden Beschwerdeverfahrens und ist unter den Rückzahlungstatbestand nach Regel 103 (4) EPÜ zu subsumieren, deren Voraussetzungen evident erfüllt sind.

9.3 Da die Einsprechende in ihrem Schriftsatz vom 25. Mai 2020 zugleich erklärt hat, nicht am ursprünglich anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen, stellt sich die Frage, ob dadurch daneben auch noch der Rückzahlungstatbestand nach Regel 103 (4) c) EPÜ zum Tragen kommen könnte.

Abgesehen davon, dass der Schriftsatz der Einsprechenden nicht innerhalb eines Monats ab Zustellung der Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 14. Januar 2020 eingereicht wurde, ist die Absichtserklärung der Einsprechenden, an der mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen, nicht als eine Rücknahme ihres bereits in ihrer Beschwerdeschrift vom 16. Januar 2017 hilfsweise gestellten Antrages auf mündliche Verhandlung im Sinne der Regel 103 (4) c) EPÜ zu qualifizieren.

Nach ständiger Rechtsprechung kann der Antrag eines Beteiligten auf mündliche Verhandlung nur durch eine eindeutige gegenteilige schriftliche Willenserklärung zurückgenommen werden. Diese Voraussetzung wird in der Rechtsprechung regelmäßig nicht als erfüllt angesehen bei einer bloßen Ankündigung, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.C.4.3.1, mit weiteren Nachweisen). Soweit in einzelnen Verfahren eine solche Ankündigung als implizite Rücknahme ausgelegt worden zu sein scheint (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, III.C.4.3.2, mit weiteren Nachweisen), ist diese Rechtsprechung zur Überzeugung der Kammer jedenfalls nicht auf die Regel 103 (4) c) EPÜ übertragbar.

Maßgeblich für die Kammer sind dabei folgende Erwägungen:

Aus vorbereitenden Arbeiten und den Umständen für die Neufassung der Regel 103 EPÜ ergibt sich, dass sich der Gesetzgeber bewusst war, dass Verfahrensbeteiligte insbesondere schon in der Eingangsphase des Beschwerdeverfahrens eine mündliche Verhandlung "oft nur zur Sicherheit ... [beantragen], um zu verhindern, dass die Kammer ohne Vorankündigung eine schriftliche Entscheidung erlässt... Die Beteiligten neigen dazu, die Kammer dann eher kurzfristig über ihre Absicht zu unterrichten, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen" (siehe CA/80/19, supra, Nr. 84). Deshalb war es für den Gesetzgeber offensichtlich wichtig, dass Beschwerdeführer "durch einen entsprechenden Anreiz dazu veranlasst werden sollten, ihre Absicht zur Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung mitzuteilen..." (siehe CA/80/19, supra, Nr. 85, Hervorhebung durch die Beschwerdekammer).

Daraus folgt für die Kammer, dass der Gesetzgeber offenbar einen Unterschied zwischen einer bloßen Ankündigung der Nichtteilnahme an einer mündlichen Verhandlung und einer ausdrücklichen Rücknahme des Antrages auf mündliche Verhandlung unterscheidet.

Vor diesem Hintergrund versteht die Beschwerdekammer die konkrete Formulierung der Regel 103 (4) c) EPÜ. Diese nennt explizit eine Rücknahme des Antrages auf mündliche Verhandlung als eine zwingende Voraussetzung für die anteilige Rückzahlung und lässt eben nicht allein das Nichtstattfinden einer mündlichen Verhandlung dafür genügen. Damit kommt der Rücknahmeerklärung eine entscheidende Bedeutung zu, so dass schon aus Gründen der Rechtssicherheit gerade auch für die Verfahrensbeteiligten eine ausdrückliche und eindeutige schriftliche Rücknahmeerklärung notwendige Tatbestandsvoraussetzung für die anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist.

Vorliegend hat die Einsprechende ihren Antrag auf mündliche Verhandlung nicht ausdrücklich und eindeutig zurückgenommen, so dass die Voraussetzungen von Regel 103 (4) c) EPÜ nicht erfüllt sind.

9.4 Im Ergebnis ist folglich nur der Rückzahlungstatbestand nach Regel 103 (4) a) erfüllt, nicht dagegen auch der nach Regel 103 (4) c) EPÜ, so dass das Kumulationsverbot nach Regel 103 (5) EPÜ nicht zum Tragen kommt.

9.5 Deshalb entscheidet die Beschwerdekammer nach Regel 103 (6), Satz 2 EPÜ, dass gemäß Regel 103 (4) a) EPÜ die von der Einsprechenden bei der Einreichung ihrer Beschwerde gezahlte Beschwerdegebühr anteilig in Höhe von 25 % zurückgezahlt wird.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

3. Die von der Einsprechenden gezahlte Beschwerdegebühr wird in Höhe von 25 % zurückgezahlt.

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