T 1962/17 () of 19.2.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T196217.20210219
Datum der Entscheidung: 19 Februar 2021
Aktenzeichen: T 1962/17
Anmeldenummer: 10732299.2
IPC-Klasse: B65G 1/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: HYBRIDLAGER
Name des Anmelders: Kardex Produktion Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: HÄNEL GMBH & CO.KG
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c) (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
RPBA2020 Art 013(2) (2020)
Schlagwörter: Hauptantrag - unzulässige Erweiterung (ja)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Hilfsantrag I neu
Spät eingereichte Hilfsanträge - Änderung des Beschwerdevorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein) Hilfsanträge II bis VI
Weitere Hilfsanträge - Hilfsanträge II bis VI - unzulässige Erweiterung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/89
G 0011/91
G 0002/10
T 0714/00
T 0764/16
T 2610/16
T 1906/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form -und fristgerecht Beschwerde gegen die auf den 10. Juli 2020 datierte Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 454 175 zurückgewiesen wurde.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Streitpatent im gesamten Umfang und stützte sich auf die Gründe nach Artikel 100 a) und c) EPÜ (Neuheit, erfinderische Tätigkeit und unzulässige Änderung).

III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 22. Oktober 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach der Beschwerde stattzugeben sein dürfte.

IV. In Reaktion auf diese Mitteilung reichte die Beschwerdegegnerin mit einem auf den 22. Dezember 2020 datierten Schriftsatz eine Stellungnahme ein, mit der sie einen weiteren Hilfsantrag I-neu vorlegte.

V. Die Beschwerdeführerin reichte in Antwort auf den Schriftsatz der Beschwerdegegnerin einen auf den 26. Januar 2021 datierten Schriftsatz ein.

VI. Am 19. Februar 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

VII. Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2454175.

IX. Die Beschwerdegegnerin beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag),

oder hilfsweise

bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage eines der Anspruchsätze, eingereicht

mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2020 als Hilfsantrag I-neu sowie

mit der Beschwerdeerwiderung als Hilfsanträge I bis V (nunmehr Hilfsanträge II bis VI)

X. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Lager (1, 1'), insbesondere Kommissionslager mit Lagerplätzen (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15'), für Lagergüter (35) aufnehmende Lagergutträger (23, 23'), mit

- einem Schnelllager (2) zur bedarfsgerechten schnellen Abholung des Lagergutes (35),

wobei das Schnelllager (2) wenigstens einen ersten Förderbereich (7) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Schnelllagerplätzen (5, 5') begrenzt ist und

in dem eine erste automatische Fördervorrichtung (6) mit einer durchschnittlichen Schnellzugriffszeit (TS) auf die Schnelllagerplätze (5, 5') beweglich angeordnet ist, und

- mit einem Langsamlager (3),

das wenigstens einen zweiten Förderbereich (10) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Langsamlagerplätzen (8, 8') begrenzt ist und

in dem eine zweite automatische Fördervorrichtung (9) mit einer durchschnittlichen Langsamzugriffszeit (TL) auf die Langsamlagerplätze (8, 8') beweglich angeordnet ist,

- wobei wenigstens ein Hybridlagerplatz (15, 15') sowohl Schnelllagerplatz (5, 5') als auch Langsamlagerplatz (8, 8') ist, und

- wobei eine durchschnittliche Langsamzugriffszeit (TL) größer als die durchschnittliche Schnellzugriffszeit (TS) ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

- das Schnelllager (2) und das Langsamlager (3) jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15') angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') versehen sind, über die das Lager (1) mit Lagergutträgern (23, 23') beschickt oder über die Lagergut (35) aus dem Lager (1, 1') entnommen werden kann."

Von der Wiedergabe des unabhängigen Anspruchs 14 gemäß Hauptantrag kann angesichts der getroffenen Entscheidung abgesehen werden.

XI. Ebenso kann angesichts der getroffenen Entscheidung von der Wiedergabe der unabhängigen Ansprüche 1 und 13 gemäß Hilfsantrag I-neu abgesehen werden.

XII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II lautet:

"Lager (1, 1'), insbesondere Kommissionslager mit Lagerplätzen (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15'), für Lagergüter (35) aufnehmende Lagergutträger (23, 23'), mit

- einem Schnelllager (2),

wobei das Schnelllager (2) wenigstens einen ersten Förderbereich (7) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Schnelllagerplätzen (5, 5') begrenzt ist und

in dem eine erste automatische Fördervorrichtung (6) zur bedarfsgerechten schnellen Abholung des Lagergutes (35) mit einer durchschnittlichen Schnellzugriffszeit (TS) auf die Schnelllagerplätze (5, 5') beweglich angeordnet ist, und

- mit einem Langsamlager (3),

das wenigstens einen zweiten Förderbereich (10) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Langsamlagerplätzen (8, 8') begrenzt ist und

in dem eine zweite automatische Fördervorrichtung (9) mit einer durchschnittlichen Langsamzugriffszeit (TL) auf die Langsamlagerplätze (8, 8') beweglich angeordnet ist,

- wobei wenigstens ein Hybridlagerplatz (15, 15') sowohl Schnelllagerplatz (5, 5') als auch Langsamlagerplatz (8, 8') ist, und

- wobei eine durchschnittliche Langsamzugriffszeit (TL) größer als die durchschnittliche Schnellzugriffszeit (TS) ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

- das Schnelllager (2) und das Langsamlager (3) jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15') angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') versehen sind, über die das Lager (1) mit Lagergutträgern (23, 23') beschickt oder über die Lagergut (35) aus dem Lager (1, 1') entnommen werden kann."

XIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III lautet:

"Lager (1, 1'), insbesondere Kommissionslager mit Lagerplätzen (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15'), für Lagergüter (35) aufnehmende Lagergutträger (23, 23'), mit

- einem Schnelllager (2),

wobei das Schnelllager (2) wenigstens einen ersten Förderbereich (7) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Schnelllagerplätzen (5, 5') begrenzt ist und

in dem eine erste automatische Fördervorrichtung (6) zur bedarfsgerechten schnellen Abholung des Lagergutes (35) von wenigstens einem Hybridlagerplatz (15, 15') mit einer durchschnittlichen Schnellzugriffszeit (TS) auf die Schnelllagerplätze (5, 5') beweglich angeordnet ist, und

- mit einem Langsamlager (3),

das wenigstens einen zweiten Förderbereich (10) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Langsamlagerplätzen (8, 8') begrenzt ist und

in dem eine zweite automatische Fördervorrichtung (9) mit einer durchschnittlichen Langsamzugriffszeit (TL) auf die Langsamlagerplätze (8, 8') beweglich angeordnet ist,

- wobei der wenigstens eine Hybridlagerplatz (15, 15') sowohl Schnelllagerplatz (5, 5') als auch Langsamlagerplatz (8, 8') ist, und

- wobei eine durchschnittliche Langsamzugriffszeit (TL) größer als die durchschnittliche Schnellzugriffszeit (TS) ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das Schnelllager (2) und das Langsamlager (3) jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15') angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') versehen sind, über die das Lager (1) mit Lagergutträgern (23, 23') beschickt oder über die Lagergut (35) aus dem Lager (1, 1') entnommen werden kann."

XIV. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV lautet:

"Lager (1, 1'), insbesondere Kommissionslager mit Lagerplätzen (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15'), für Lagergüter (35) aufnehmende Lagergutträger (23, 23'), mit

- einem Schnelllager (2),

wobei das Schnelllager (2) genau einen ersten Förderbereich (7) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Schnelllagerplätzen (5, 5') begrenzt ist und

in dem eine erste automatische Fördervorrichtung (6) zur bedarfsgerechten schnellen Abholung des Lagergutes (35) von wenigstens einem Hybridlagerplatz (15, 15') mit einer durchschnittlichen Schnellzugriffszeit (TS) auf die Schnelllagerplätze (5, 5') beweglich angeordnet ist, und

- mit einem Langsamlager (3),

das genau einen zweiten Förderbereich (10) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Langsamlagerplätzen (8, 8') begrenzt ist und

in dem eine zweite automatische Fördervorrichtung (9) mit einer durchschnittlichen Langsamzugriffszeit (TL) auf die Langsamlagerplätze (8, 8') beweglich angeordnet ist,

- wobei der wenigstens eine Hybridlagerplatz (15, 15') sowohl Schnelllagerplatz (5, 5') als auch Langsamlagerplatz (8, 8') ist, und

- wobei eine durchschnittliche Langsamzugriffszeit (TL) größer als die durchschnittliche Schnellzugriffszeit (TS) ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das Schnelllager (2) und das Langsamlager (3) jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15') angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') versehen sind, über die das Lager (1) mit Lagergutträgern (23, 23') beschickt oder über die Lagergut (35) aus dem Lager (1, 1') entnommen werden kann."

XV. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag V lautet:

"Lager (1, 1'), insbesondere Kommissionslager mit Lagerplätzen (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15'), für Lagergüter (35) aufnehmende Lagergutträger (23, 23'), mit

- einem Schnelllager (2),

wobei das Schnelllager (2) genau einen ersten Förderbereich (7) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Schnelllagerplätzen (5, 5') begrenzt ist und

in dem eine erste automatische Fördervorrichtung (6) zur bedarfsgerechten schnellen Abholung des Lagergutes (35) von wenigstens einem Hybridlagerplatz (15, 15') mit einer durchschnittlichen Schnellzugriffszeit (TS) auf die Schnelllagerplätze (5, 5') beweglich angeordnet ist, und

- mit einem Langsamlager (3),

das genau einen zweiten Förderbereich (10) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Langsamlagerplätzen (8, 8') begrenzt ist und

in dem eine zweite automatische Fördervorrichtung (9) mit einer durchschnittlichen Langsamzugriffszeit (TL) auf die Langsamlagerplätze (8, 8') beweglich angeordnet ist,

- wobei der wenigstens eine Hybridlagerplatz (15, 15') sowohl Schnelllagerplatz (5, 5') als auch Langsamlagerplatz (8, 8') ist, und

- wobei eine durchschnittliche Langsamzugriffszeit (TL) größer als die durchschnittliche Schnellzugriffszeit (TS) ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das Schnelllager (2) und das Langsamlager (3) jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15') angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') für eine Bedienperson oder einen automatisch oder manuell betriebenen Transportwagen versehen sind, über die das Lager (1) mit Lagergutträgern (23, 23') beschickt oder über die Lagergut (35) aus dem Lager (1, 1') entnommen werden kann."

XVI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag VI lautet:

"Lager (1, 1'), insbesondere Kommissionslager mit Lagerplätzen (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15'), für Lagergüter (35) aufnehmende Lagergutträger (23, 23'), mit

- einem Schnelllager (2),

wobei das Schnelllager (2) genau einen ersten Förderbereich (7) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Schnelllagerplätzen (5, 5') begrenzt ist und

in dem eine erste automatische Fördervorrichtung (6) zur bedarfsgerechten schnellen Abholung des Lagergutes (35) von wenigstens einem Hybridlagerplatz (15, 15') mit einer durchschnittlichen Schnellzugriffszeit (TS) auf die Schnelllagerplätze (5, 5') beweglich angeordnet ist, und

- mit einem Langsamlager (3),

das genau einen zweiten Förderbereich (10) umfasst, der an wenigstens einer Seite von Langsamlagerplätzen (8, 8') begrenzt ist und

in dem eine zweite automatische Fördervorrichtung (9) mit einer durchschnittlichen Langsamzugriffszeit (TL) auf die Langsamlagerplätze (8, 8') beweglich angeordnet ist,

- wobei der wenigstens eine Hybridlagerplatz (15, 15') sowohl Schnelllagerplatz (5, 5') als auch Langsamlagerplatz (8, 8') ist, und

- wobei eine durchschnittliche Langsamzugriffszeit (TL) größer als die durchschnittliche Schnellzugriffszeit (TS) ist,

- wobei die Anzahl der Langsamlagerplätze (8,8') größer als die Anzahl der Schnelllagerplätze (5,5') ist,

- wobei eine Vielzahl von direkt benachbarten Hybridlagerplätzen (15, 15') einen zusammenhängenden Hybridlagerbereich (16) bilden und

- wobei wenigstens einer der Förderbereiche (7, 10, 13) als ein an wenigstens zwei sich gegenüberliegenden Seiten von Lagerplätzen (5,5', 8, 8', 11, 11',15, 15') begrenzter Förderschacht ausgestaltet ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das Schnelllager (2) und das Langsamlager (3) jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15') angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') für eine Bedienperson oder einen automatisch oder manuell betriebenen Transportwagen versehen sind, über die das Lager (1) mit Lagergutträgern (23, 23') beschickt oder über die Lagergut (35) aus dem Lager (1, 1') entnommen werden kann."

XVII. Von der Wiedergabe des unabhängigen Anspruchs 14 gemäß einem der Hilfsanträge II bis V und des unabhängigen Anspruchs 11 gemäß Hilfsantrag VI kann angesichts der getroffenen Entscheidung abgesehen werden.

XVIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen

Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar ist (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag - Unzulässige Änderungen (Artikel 100 c) EPÜ)

2.1 In der angefochtenen Entscheidung wurde festgestellt, dass das Merkmal M13, nämlich dass

"das Schnelllager (2) und das Langsamlager (3) jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz (5, 5', 8, 8', 11, 11', 15, 15') angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') versehen sind,[...]"

den ursprünglichen Unterlagen aus dem ursprünglichen Anspruch 6 sowie den Abbildungen eindeutig entnommen werden könne. Insbesondere sei aufgrund der Referenzzeichen und der Abbildung für den Fachmann zu entnehmen, dass mehrere "Beschickungs- und Entnahmestationen" vorhanden sein können (vgl. Entscheidungsgründe, Punkt 10.3).

2.2 Sowohl die angefochtene Entscheidung als auch die Beschwerdegegnerin haben für die Offenbarung eines Lagers, in dem das Schnelllager und das Langsamlager jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation versehen sind, auf die Offenbarung, insbesondere auf die Abbildungen und die damit verbundene Beschreibung auf Seite 10, Zeilen 23 bis 31, der ursprünglichen Beschreibung und den damit verbundenen ursprünglichen Anspruch 14 verwiesen (vgl. Entscheidungsgründe Punkt 10.3 und Beschwerdeerwiderung, Seiten 10 und 11, übergreifender Absatz).

2.3 Die Beschwerdeführerin bestritt, dass die in der angefochtenen Entscheidung angeführten Passagen der ursprünglichen Offenbarung geeignet wären, das umstrittene Merkmal unmittelbar und eindeutig zu entnehmen (vgl. Beschwerdebegründung, Punkt II).

2.4 Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es für die Zulässigkeit einer Änderung im Anspruch entscheidend, was der Fachmann der gesamten Offenbarung der ursprünglich eingereichten Anmeldung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnehmen würde ("Goldstandard", vgl. G 3/89, ABl. EPA 1993, 117; G 11/91, ABl. EPA 1993, 125; G 2/10, ABl. EPA 2012, 376).

2.5 Die Beschwerdeführerin argumentierte zutreffend, dass das umstrittene Merkmal M13 in der übrigen Offenbarung, in den Abbildungen und der entsprechenden Beschreibung, explizit allein in Zusammenhang mit einem Lager offenbart wird, das neben dem Schnelllager und dem Langsamlager weitere Lager aufweist. Zu diesem Umstand schweigt die angefochtenen Entscheidung, die einen Zusammenhang mit weiteren Lagern nur bezüglich eines weiteren Schnelllagers diskutiert.

2.6 Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, dass das in der Offenbarung gezeigte weitere Langsamlager lediglich fakultativ sei (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seiten 12 und 13, übergreifender Absatz und Schriftsatz vom 22. Dezember 2020, Seite 3, Absätze 1 bis 4).

2.7 Dem kann sich die Kammer nicht anschließen.

2.7.1 Die Kammer ist nicht von dem in den Entscheidungsgründen unter Punkt 10.3. und von der Beschwerdegegnerin auf Seite 11, zweiter Absatz, der Beschwerdeerwiderung angeführten Argument überzeugt, dass der Umstand, dass der betroffene Offenbarungsgehalt der Passage auf Seite 5, Zeile 4 bis 7, die Möglichkeit offen lässt, dass sowohl ein Schnelllager als auch ein Langsamlager jeweils mit wenigstens einer an wenigstens einen Lagerplatz angrenzenden und/oder in diesen integrierten Beschickungs- und/oder Entnahmestation (17, 17') versehen werden können. Auch wenn die aufgeführte Passage der konkreten technischen Lehre des Merkmals M13 nicht entgegensteht, führt dies deshalb noch nicht dazu, dass der Fachmann der genannten Passage diese technische Lehre auch direkt und unmittelbar entnimmt.

2.7.2 Die von der Beschwerdegegnerin angeführten Offenbarungen auf Seite 7, Zeilen 13 bis 25, sowie in Anspruch 14 der ursprünglichen Unterlagen als Beweis dafür, dass das weitere Langsamlager lediglich optional und damit fakultativ sei (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 12 und 13, übergreifender Absatz und Schriftsatz vom 22. Dezember 2020, Seite 3, Absätze 2 und 3), beschreiben in Bezug auf die Erfindung ausschließlich eine Ausgestaltungsform des erfindungsgemäßen Lagers mit einem weiteren Langsamlager. Auch diese Offenbarungsstellen zeigen damit das Merkmal M13 ausschließlich in Zusammenhang mit dem Vorsehen des weiteren Langsamlagers.

2.7.3 Hinsichtlich der Ausführungsform der Figur 1 (und damit auch in Bezug auf die Abbildung der Figuren 2 bis 17) wird in Seite 9, Zeile 11 bis 12, der ursprünglichen Beschreibung ausdrücklich offenbart, dass ein weiterer Abschnitt des Lagers als weiteres Langsamlager 4 ausgestaltet ist. Auch hinsichtlich der weiteren Ausführungsform der Fig. 18 ist das weitere Langsamlager 4 offenbart, ohne dass dies als fakultativ angegeben ist (vgl. ursprüngliche Unterlagen, Seite 21, Zeilen 13 bis 22).

2.7.4 Es findet sich daher an keiner Stelle der ursprünglichen Unterlagen eine Offenbarung, der der Fachmann das Merkmal M13 ohne das weitere Langsamlager entnimmt, noch eine Offenbarung, die explizit angibt, dass das weitere Langsamlager in Bezug auf das Merkmal M13 lediglich fakultativ oder optional sei.

2.8 Die Kammer ist auch nicht von dem Argument der Beschwerdegegnerin überzeugt, dass das weitere Langsamlager in keinem funktionalen Zusammenhang mit der in Merkmal M13 angegebenen Struktur einer jeweiligen Beschickungs- und/oder Entnahmestation für Schnell- und Langsamlager stehe. Den ursprünglichen Unterlagen ist zu entnehmen, dass das weitere Langsamlager eine Art Eingangslager bilden kann, so dass sich die Lagerkapazität und -flexibilität erhöhen lässt (vgl. ursprüngliche Unterlagen, Seite 7, Zeilen 20 bis 25). Das wird ebenfalls in Bezug auf die Ausführungsform der Figur 1 dargestellt. Die ursprünglichen Unterlagen zeigen auf Seite 11, Zeilen 4 bis 8, dass Lagergüter über die Beschickungs- und/oder Entnahmestation 17 des weiteren Langsamlagers 4 in das Lager 1 eingelagert werden. Der Fachmann wird daher davon ausgehen müssen, dass, wenn in einer Ausführungsform ein weiteres Langsamlager offenbart ist, diesem eine besondere Funktion in Zusammenhang mit einer Einlagerung von Lagergütern zukommt.

2.9 Wie auch von der Beschwerdegegnerin selber vorgetragen, nehmen (sämtliche) Beschickungs- und/oder Entnahmestationen, unabhängig davon, ob sie sich direkt an einem der Schnelllager, Langsamlager oder weiteren Langsamlager befinden, ebenfalls eine Funktion bei der Einlagerung von Lagergütern in das Lager ein. Die Beschickungs- und/oder Entnahmestationen und das weitere Langsamlager haben damit jeweils eine Aufgabe hinsichtlich der Einlagerungsfunktionen im Lager. Der Fachmann entnimmt entsprechend unmittelbar und eindeutig den ursprünglichen Unterlagen, dass das weitere Langsamlager und die Beschickungsstationen gleichartige Funktionen im Lager ausfüllen, also einen eindeutigen funktionalen Zusammenhang.

2.10 Das Argument der Beschwerdegegnerin auf Seite 12, erster Absatz, der Beschwerdeerwiderung, dass die Aufnahme von Merkmal M13 in den Anspruch auch gerade in Hinblick auf die Entscheidung T 714/00 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) zulässig sei, überzeugt angesichts des in Punkt 2.8 oben erörterten Zusammenhangs des weiteren Langsamlagers mit der Beschickungsstation in Bezug auf die Funktion der Einlagerung von Lagergütern in das Lager nicht. In Punkt 3.3 der Entscheidungsgründen der T 714/00 wird das Erfordernis, dass ein isoliertes Merkmal nicht untrennbar mit übrigen Merkmalen einer Merkmalskombination verknüpft ist, jedoch nur als notwendige, jedoch nicht als hinreichende Bedingung für das zulässige Herausgreifen des isolierten Merkmals aus der Merkmalskombination zur Verwendung als Abgrenzung des Anspruchsgegenstands benannt.

2.11 Im gleiche Maße kann das Argument der Beschwerdegegnerin, dass das weitere Langsamlager aus funktioneller Sicht kein notwendiger Bestandteil des Lagers sei, weil eine Einlagerung über die Beschickungs- und Entnahmeöffnungen von Schnelllager und Langsamlager ebenfalls möglich ist, so dass das weitere Langsamlager für die erfindungsgemäße Funktion des Lagers entbehrlich wäre (vgl. Schriftsatz vom 22. Dezember 2021, Seite 6, Absätze 3 und 4), angesichts der klaren Offenbarung zur Funktion des weiteren Langsamlagers bei der Einlagerung nicht überzeugen.

2.12 Entgegen den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung geht daher der geänderte Anspruch 1 über die Offenbarung der ursprünglichen Anmeldefassung hinaus, weshalb ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist.

3. Berücksichtigung des Hilfsantrags I-neu im Verfahren

3.1 Der Hilfsantrag I-neu wurde mit dem Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 22. Dezember 2020, d.h. nach der auf den 18. September 2020 datierten Ladung zur mündlichen Verhandlung und nach der auf den 22. Oktober 2020 datierten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020, eingereicht. Das Vorlegen des Hilfsantrags I-neu stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin dar und unterliegt den Erfordernissen des Artikels 13 (2) VOBK 2020.

3.2 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Notwendige Vorraussetzung für die Zulassung des Hilfsantrags I-neu ist daher das Aufzeigen stichhaltiger Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.

3.3 Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass die Einreichung des Hilfsantrags I-neu eine Reaktion auf die Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 darstelle, um den Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ, im Hinblick auf das aufgenommene Merkmal M13, auszuräumen. Für die Beschwerdegegnerin habe vor Erhalt der vorläufigen Beurteilung durch die Kammer keine Notwendigkeit bestanden, eine derartige Änderung einzureichen, da das Patent im Einspruchsverfahren, wie erteilt, aufrechterhalten wurde.

3.4 Der hier relevante Einwand aus Artikel 100 c) EPÜ wurde jedoch bereits in der Einspruchsbegründung vorgetragen, in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt und in der Beschwerdebegründung wiederholt aufgeworfen. Die Mitteilung der Kammer (Artikel 15 (1) VOBK 2020) ist diesem Einwand gefolgt und enthielt nichts, was über die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Einwände hinaus ging.

3.5 Die Kammer folgt der in der bisherigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern vertretene Auffassung, dass es im Hinblick auf Artikel 13 (2) VOBK 2020 unerheblich ist, ob die in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 geäußerte vorläufige Meinung der Kammer von der angefochtenen Entscheidung abweicht. Mit einer für die Beteiligten ungünstigen vorläufigen Meinung kann prinzipiell jederzeit in den Verfahren vor den Beschwerdekammern vor Verkündung der Entscheidung gerechnet werden (siehe hierzu u.a. T 764/16, Punkt 3.3.2 der Entscheidungsgründe) und T 2610/16, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe). Damit hält die Kammer auch weiter an der Praxis vor der Änderung der Verfahrensordnung zum 1. Januar 2020 fest (siehe hierzu auch T 1906/17, Punkt 3. der Entscheidungsgründe).

3.6 Im Ergebnis zeigte die Beschwerdegegnerin keine stichhaltigen Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auf, die ein Abweichen vom in Artikel 13 (2) VOBK 2020 festgelegten Grundsatz der Nichtberücksichtigung eine Änderungen des Beschwerdevorbringens rechtfertigten.

3.7 Der Hilfsantrag I-neu bleibt gemäß Artikel 13 (2) VOBK im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt.

4. Hilfsanträge II bis VI

Sämtliche von der Beschwerdegegnerin mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Anspruchsätze gemäß einem der Hilfsanträge II bis VI weisen gleichfalls in Anspruch 1 das Merkmal M13 auf und verstoßen damit, wie in Punkt 2. oben dargelegt, gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ, so dass sie nicht geeignet sind, das Patent erfolgreich zu verteidigen.

5. Ergebnis

Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Da ferner der Hilfsantrag I-neu der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt bleibt und die Hilfsanträge II bis VI nicht gewährbar sind, war dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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