T 1449/17 () of 15.1.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T144917.20200115
Datum der Entscheidung: 15 Januar 2020
Aktenzeichen: T 1449/17
Anmeldenummer: 12170727.7
IPC-Klasse: B60C 5/04
B60C 29/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schlauchsystem
Name des Anmelders: Eclipse International AG
Name des Einsprechenden: BASF SE
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
RPBA2020 Art 025(2)
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0206/83
T 0032/85
T 0051/87
T 0212/88
T 0772/89
T 0691/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Patent zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass

(1) der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung neu gegenüber E1 und E9 und erfinderisch ausgehend von E1 sei (Artikel 100(a) EPÜ)

und

(2) das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Artikel 100(b) EPÜ)

und

(3) der Gegenstand der Ansprüche 2 und 7 in der erteilten Fassung nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Artikel 100(c) EPÜ).

III. Am 15. Januar 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

Schlauchsystem, insbesondere für Fahrzeugreifen, mit einem zu einem Ring geformten Schlauch (12),

- wobei der Schlauch (12) Polyurethan enthält und

- entlang seiner Ausdehnung eine zumindest im Wesentlichen konstante Wandstärke aufweist, wobei der im Wesentlichen konstante Wert der Wandstärke im Bereich zwischen 0,1 mm und 0,4 mm liegt,

dadurch gekennzeichnet,

- dass der Schlauch (12) zwei Enden (14, 16) umfasst, die zur Bildung des Rings überlappend miteinander verschweißt sind, wobei die Innenseite (26a) eines ersten, von einem Ende (14) des Schlauches (12) ausgehenden Abschnitts der Schlauchwand (13) mit der Innenseite (26b) eines zweiten, vom anderen Ende (16) des Schlauches (12) ausgehenden Abschnitts der Schlauchwand (13) verschweißt ist.

VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

E1: US 4324280

E9: Panaracer Katalog 2007, Seite 29

E20: Technisches Gutachten zur Schweissnahtuntersuchung zweier Fahrradschläuche der Fa. Panaracer

E21: Schreiben der Fa. Panaracer zum Aufbau der Chargennummer vom 03. Juli 2017

E22: Bestätigung der Fa. Panaracer von Herrn Ryuji Kuri über den Herstellungszeitraum der im Gutachten der RWTH Aachen untersuchten Fahrradschläuche vom 14. September 2017

E23: Verkaufsprospekt der Firma Panaracer aus dem Jahr 1987

E23a: Beglaubigte Übersetzung des Verkaufsprospekts

E24: Aufstellung der Verkaufszahlen aus den Jahren 1996 bis 2000

24a: Beglaubigte Übersetzung der Aufstellung der Verkaufszahlen

Entscheidungsgründe

1. Mangelnde Offenbarung - Artikel 100(b) EPÜ

Die Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

1.1 Die Einsprechende macht geltend, dass nur thermoplastische Polyurethan(co)polymere sich verschweißen lassen würden, aber nicht der größte Teil der Polyurethane, die vernetzt seien und deren Vernetzung beim Erhitzen zerstört würde. Ihrer Meinung nach gebe das Patent dem Fachmann keinen Hinweis auf geeignete Polyurethan(co)polymere, das heißt auf die allein geeigneten thermoplastischen Polyurethane(co)polymere. Die diversen physikalischen Eigenschaften der Polyurethane, die beschrieben seien, gälten vielmehr auch für die ungleich größere, aber ungeeignete Gruppe der vernetzten Polyurethane.

Die Einsprechende ist daher der Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 für den größten Teil der genannten Polyurethane nicht ausführbar sei.

1.2 Die Kammer hält diese Argumentationslinie nicht für überzeugend. Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann der Fachmann die in dem Patent enthaltenen Informationen durch sein allgemeines Fachwissen vervollständigen (T 206/83, ABl. 1987, 5; T 32/85, T51/87, ABl. 1991, 177; T 212/88, ABl. 1992, 28; T 772/89). Darüber hinaus sollten Ansprüche so ausgelegt werden, wie der Fachmann sie verstehen würde. Im vorliegenden Fall erkennt der angesprochene Fachmann, dass ein Polyurethan, das heiß verschweißt wird, ein thermoplastisches Polyurethan sein muss. Der Fachmann würde mit seinem Fachwissen kein vernetztes Polyurethan verwenden, denn er weiß, dass dieses sich durch die Hitze des Verschweißens zerstören würde. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht ausgeführt, dass dem Fachmann keine thermoplastischen Polyurethane bekannt seien, sondern dass das Patent kein Beispiel eines solchen Polyurethans angebe. Es wurde auch nicht bestritten, dass die Existenz von thermoplastischen Polyurethanen zum allgemeinen Fachwissens gehöre, sondern nur, dass solche Polyurethane eine sehr kleine Gruppe innerhalb der große Gruppe von Polyurethanen darstellten und dass in Abwesenheit eines spezifischen Beispiels der Fachmann nicht in der Lage sei, die Erfindung auszuführen. Da aber dem Fachmann thermoplastische Polyurethane allgemein bekannt sind, ist die Kammer der Ansicht, dass der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbaren Aufwand auf geeignete (thermoplastische) Polyurethane zugreifen würde.

1.3 Des weiteren betrifft die Erfindung des Patents nicht allein das verwendete Polyurethan, sondern vielmehr die Art und Weise, wie die zwei Enden des Schlauches verschweißt werden, wobei die Innenseite (26a) eines ersten, von einem Ende (14) des Schlauches (12) ausgehenden Abschnitts der Schlauchwand (13) mit der Innenseite (26b) eines zweiten, vom anderen Ende (16) des Schlauches (12) ausgehenden Abschnitts der Schlauchwand (13) verschweißt wird. Extrudierte und geschweißte Schläuche aus Polyurethan sind dem Fachmann bekannt, wie aus E1 hervorgeht. Der Fachmann würde daher nicht nach allen möglichen Materialien suchen, die unter den Oberbegriff Polyurethane fallen, sondern solche und ähnliche heranziehen, die ihm aus dem Stand der Technik bereits als verschweißbar bekannt sind.

2. Zulassung der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente E20 bis E24a - Artikel 12(4) VOBK 2007

Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente E20 bis E24a werden in das Beschwerdeverfahren nicht zugelassen.

2.1 Am 1. Januar 2020 ist die revidierte Fassung der VOBK in Kraft getreten (Artikel 25 Absatz 1 VOBK 2020). Artikel 12 Absätze 4 bis 6 VOBK 2020 gilt jedoch noch nicht für Beschwerdebegründungen, die vor dem 1. Januar 2020 eingereicht worden sind, und für Antworten darauf, die rechtzeitig eingereicht worden sind. Stattdessen findet auf diese Schriftsätze weiterhin Artikel 12 Absatz 4 der VOBK 2007 Anwendung (Artikel 25 Absatz 2 des VOBK 2020).

2.2 Die Einsprechende beantragt die Dokumente E20 bis E24a zuzulassen. Sie macht geltend, dass diese Dokumente hochrelevant seien. Insbesondere dienten sie dazu, die Fahrradschläuche weiter zu detaillieren, die im Katalog der Firma Panaracer angeboten wurden, der Bereits im Einspruchsverfahren als Dokument E9 in das Verfahren eingeführt worden sei. Mit den Dokumenten werde dargelegt, dass die bereits vor dem Prioritätstag am Markt erhältlichen Schläuche der Firma Panaracer alle Merkmale des beanspruchten Schlauchsystems erfüllen.

Die Suche nach gebrauchten Fahrradschläuchen, deren Verkaufsdatum feststehe, sei schwierig. Trotz aller Bemühung sei es daher nicht möglich gewesen, entsprechende Schläuche und ein entsprechendes technisches Gutachten (Dokument E20) vor der Einspruchsabteilung zu präsentieren. Dies sei erst mit der Beschwerdebegründung gelungen. Das könne jedoch nicht zu einer Verfahrensverzögerung führen, da der Patentinhaberin noch ausreichend Zeit verblieben sei, hierzu Stellung zu nehmen.

2.3 Der Argumentationslinie der Einsprechenden ist nicht zu folgen, vor allem weil die Unterlagen E20 bis E23a in keinem Zusammenhang zu dem im Einspruchsverfahren eingereichte Dokument E9 stehen. E9 ist ein Katalog, der Fahrradschläuche mit der Bezeichnung "Super Tube" bzw. "Green Lite Tube" zeigt. Die Dokumente E20-E23a befassen sich mit Fahrradschläuchen der Bezeichnung "Poly-Lite" und TX-alpha". Diese Dokumente können den Einwand der mangelnden Neuheit in Bezug auf E9 nicht ergänzen und stellen neues Vorbringen dar.

Darüber hinaus ist E24/E24a ein Lieferschein von nicht weiter spezifizierten "Green Lite" Artikeln. E24/E24a erlaubt daher nicht, die Merkmale der "Green Lite Tube" Schläuche im Katalog E9 zu beweisen.

2.4 Außerdem kann nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Vorbenutzung nur dann noch eingeführt und als Stand der Technik berücksichtigt werden, wenn zumindest die folgenden drei Bedingungen erfüllt werden: a) Es darf sich nicht um einen erkennbaren Verfahrensmissbrauch handeln, b) die Vorbenutzung muss prima facie so relevant sein, dass sie wie vorgebracht die Gültigkeit des Patents infrage stellt; und c) die Vorbenutzung muss lückenlos nachgewiesen sein, sodass keine weiteren Ermittlungen zur Feststellung ihres Gegenstands bzw. ihrer Umstände notwendig sind (T 691/12).

Zumindest die Bedingungen c) ist hier nicht erfüllt. Die Einsprechende hat selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie mit den für sie erhältlichen Unterlagen die Vorbenutzung nicht lückenlos nachweisen könne.

2.5 Die Kammer kam daher in Ausübung ihres Ermessens im Rahmen von Artikel 114(2) EPÜ und Artikel 12(4) VOBK 2007 zum Ergebnis, dass die Dokumente E20-E24a nicht zu berücksichtigen sind.

3. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 100(b) und 56 EPÜ

Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 7 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber E1 mit dem Fachwissen des Fachmanns.

3.1 E1 stellt der nächstliegende Stand der Technik dar und offenbart einen Schlauch für einen Fahrradreifen, wobei der Schlauch Polyurethan enthält (E1, Spalte 1, Zeilen 64-66) und eine Wandstärke im Bereich zwischen 0,25 mm und 0,35 mm aufweist (E1, Beispiel 1. Spalte 5, Zeilen 33-36), wobei der Schlauch zwei Enden umfasst, die zur Bildung des Rings überlappend miteinander verschweißt sind (E1, Abbildung 1, Spalte 6, Zeilen 8-12).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von E1 dadurch, dass die Innenseite eines ersten, von einem Ende des Schlauches ausgehenden Abschnitts der Schlauchwand mit der Innenseite eines zweiten, vom anderen Ende des Schlauches ausgehenden Abschnitts der Schlauchwand verschweißt ist.

Gemäß Absatz [0028] des Patents hat das Verschweißen der Innenseite der Schlauchwand im Bereich des einen Endes mit der Innenseite der Schlauchwand im Bereich des anderen Endes des Schlauches den technischen Effekt, dass die so gebildete Schweißung eine aubetaen um den verschweißten Schlauch umlaufende Rippe mit einer flansch-ähnlichen Form bildet. Eine solche Verschweißung ist besonders stabil gegenüber mechanischen Zug-, Reib- und Wetzbelastungen.

Die zu lösende objektive technische Aufgabe kann damit gesehen werden, ein stabileres Verschweißen der beiden Enden des Schlauches zu erreichen.

Keines der eingereichten Dokumente offenbart ein solches Verschweißen der beiden Enden des Schlauches. Für den Fachmann besteht daher kein Grund, die Enden des Schlauches erfindungsgemäß zu verschweißen.

3.2 Die Einsprechende ist der Meinung, dass das Verschweißen der Innenseite der beiden Enden des Schlauches keinen besonderen Effekt erkennen lasse, sodass die Aufgabe der vorliegenden Erfindung umzuformulieren und darin zu sehen sei, ein alternatives Verbindungsverfahren für die Schlauchenden bereitzustellen.

E1 offenbare bereits die Möglichkeit, die Enden des Schlauches überlappend miteinander zu verbinden oder eine Stoßverbindung vorzusehen. Ihrer Meinung nach sei eine Stumpfschweißung, aufgrund der geringe Wandstärke quasi nicht möglich. Es blieben daher nur drei Möglichkeiten, die Enden des Schlauchs miteinander zu verschweißen: Innenseite auf Innenseite, Innenseite überlappend auf Außenseite oder Außenseite auf Außenseite. Sowohl die Variante Innenseite auf Außenseite als auch Außenseite auf Außenseite zu verschweißen führe bei üblichen Verfahren dazu, dass Werkzeuge im Inneren des Schlauches positioniert würden müssen, sodass der Fachmann diese Variante von Vornherein ausgeschlossen hätte. Es sei daher aufgrund der Gestaltung des Schlauches als torusförmiger Körper für den Fachmann naheliegend, eine Verschweißung der Innenflächen der Schlauchenden miteinander vorzusehen.

3.3 Die Kammer hält diese Argumentationslinie nicht für überzeugend. Für das Verschweißen der Schlauchenden stehen in E1 zwei mögliche Lösungen zur Verfügung: das Verschweißen der Innenseite mit der Außenseite oder das Stumpfschweißen. Ausgehend von E1 hat der Fachmann keine Motivation, die Art des Schweißens der beiden Schlauchenden zu ändern. Darüber hinaus zeigt kein Dokument des Standes der Technik das Verschweißen der beiden Innenflächen der Endstücke eines Schlauches. Für einen Fachmann besteht daher kein Grund, die beiden ihm angegebenen Schweißlösungen zu verwerfen, um eine andere herzustellen.

3.4 Die obige Überlegung gilt für Anspruch 7, der ein Verfahren zur Herstellung eines Schlauchsystems nach Anspruch 1 oder gemäß einem der von von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2-6 betrifft.

4. Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(c) wurde im Beschwerdeverfahren nicht mehr geltend gemacht.

5. Zusammenfassend ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu bestätigen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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