T 1906/11 () of 18.1.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T190611.20130118
Datum der Entscheidung: 18 Januar 2013
Aktenzeichen: T 1906/11
Anmeldenummer: 03012960.5
IPC-Klasse: G01G 19/44
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Waage
Name des Anmelders: LEIFHEIT Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Homedics, Inc.
Waagen-Schmitt GmbH
Fagor, S. Coop.
Terraillon S.A.
Nederlandsch Octrooibureau N.V.
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

Ob eine Änderung eine Zwischenverallgemeinerung darstellt, ist für die Bewertung der Zulässigkeit der Änderung ohne Bedeutung. Ausschließlich relevant ist die Frage, ob ein Fachmann, der mit der abgeänderten Fassung der Anmeldung oder des Patents konfrontiert wird, im Vergleich zu einem Fachmann, der nur die ursprünglich offenbarte Fassung zur Kenntnis nehmen würde, der abgeänderten Fassung etwaige zusätzliche technisch relevante Informationen entnimmt. Nur wenn solche zusätzlichen technisch relevanten Informationen erkannt werden können, kann auch ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Artikels 123(2) EPÜ vorliegen (vgl. Punkt 4.2).

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0248/12
T 1791/12
T 0801/13
T 0802/13
T 0834/13
T 0262/15
T 0584/15
T 0852/17
T 1679/18
T 2049/18
T 2966/19
T 0164/21
T 1358/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin richtet ihre Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents 1 371 954 in geändertem Umfang.

II. Die Einsprechende 02 (Waagen Schmidt GmbH) hat gegen diese Zwischenentscheidung hat d ebenfalls eine Beschwerde eingelegt.

III. Des Weiteren hat auch die Einsprechende 04 (Terraillon SA) eine Beschwerde wurde eingelegt.

IV. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent gemäß den in Artikel 100(a) in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ sowie Artikel 100(b) EPÜ aufgeführten Einspruchsgründen angegriffen worden. Zum Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(b) EPÜ war die Einspruchsabteilung der Meinung, dass die Erfindung so offenbart ist, dass sie der Fachmann ausführen kann. Während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde der Hauptantrag der Patentinhaberin für nicht gewährbar gehalten, da der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem erteilten Patent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Druckschrift E21 beruhe. Ein während der mündlichen Verhandlung eingereichter Hilfsantrag wurde von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachtet, da nach ihrer Auffassung die Erfordernisse der Artikel 123(2) und (3) EPÜ erfüllt seien und der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

V. Im Einspruchsverfahren wurden inter alia folgende Druckschriften zum Beleg des Einwandes fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit genannt:

E3: US-A-5 572 205

Anlage 6: Larry K. Baxter: "Capacitive sensors: design and applications", IEEE Press, 1997, Seiten 1 - 5 und 134 - 136

E7: EP-A-1 125 550

E8: US-A-4 932 487

E21: DE-A1-196 39 095

E23: US-A-4 264 903

E28: IBM Technical Disclosure Bulletin Vol. 34, No.9, Februar 1992, Seiten 77 - 78. Flowers D.K et al: "Combination keypad/scale using strain gauge transducers".

Außerdem hat die Einsprechende 02 mit ihrer Beschwerdebegründung die Entgegenhaltung E30 (DE-U1-201 10 961) und mit einem Schreiben vom 16. Oktober 2012 die weiteren Druckschriften E35 (WO-A-96/13098) und E36 (DE-T2-695 27 646) nachgereicht.

Die Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes in erteilter Fassung, hilfsweise die Zurückweisung der Beschwerden der Einsprechenden.

Die Einsprechenden 02 und 04 (im Folgenden: die Einsprechenden) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Einsprechenden 01, 03 und 05 haben im Beschwerdeverfahren weder in der Sache schriftlich Stellung genommen, noch haben sie an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.

VI. Anspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag der Patentinhaberin lautet wie folgt:

"Waage (1) mit einer Tragplatte (4) zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung (16, 24) zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage (1),

dadurch gekennzeichnet,

dass die Schaltvorrichtung (16, 24) einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte (4) angeordneten Elektrode (18, 28, 38, 44) zur Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode (18, 28, 38, 44) aufweist."

Anspruch 1 gemäß der von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Fassung des Patents gemäß Hilfsantrag der Patentinhaberin lautet wie folgt:

"Waage (1) mit einer Tragplatte (4) zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung (16, 24) zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage (1),

dadurch gekennzeichnet,

dass die Schaltvorrichtung (16, 24) einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte (4) angeordneten Elektrode (18, 38, 44) zur Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode (18, 38, 44) aufweist, wobei die Tragplatte (4) aus einem elektrisch nicht leitenden Material besteht und die Elektrode (18, 38, 44) unter der Tragplatte (4) angeordnet ist und die mit der elektrischen Schaltvorrichtung (16, 24) erfolgende Aus- oder Anwahl einer Funktion im Einschalten der Waage besteht".

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerden

Die Beschwerden sind zulässig.

2. Neu eingereichte Druckschriften

2.1 Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Einsprechende 02 die Druckschrift E30 eingereicht. Außerdem hat sie nach Erhalt des Ladungsbescheids vom 9. Oktober 2012 mit einem Schreiben vom 16. Oktober 2012 noch die Druckschriften E35 und E36 nachgereicht.

Die Patentinhaberin hat dazu vorgetragen, dass die neu eingeführten Entgegenhaltungen nicht prima facie hoch relevant seien und somit als verspätet vorgebracht nicht in das Verfahren zuzulassen seien.

Zur Begründung des Einreichens dieser Druckschriften hat die Einsprechende 02 ausgeführt, dass das mit der Beschwerdebegründung eingereichte Dokument E30 als nächstliegender Stand der Technik besonders relevant für das Verfahren sei und auch nicht eher habe vorgelegt werden können, da es sich auf die beschränkt aufrecht erhaltene Fassung der Patentansprüche des Streitpatents beziehe. Die Druckschrift E35 und dessen nachveröffentlichtes Familienmitglied E36 seien auch prima facie relevant.

Wie von der Einsprechenden 02 zurecht vorgetragen bildet diese Druckschrift E30 für das in eingeschränkter Fassung aufrechterhaltene Patent den nächstkommenden Stand der Technik. Im Gegensatz zu der für das Patent in erteilter Fassung in der angefochtenen Entscheidung als nächstkommender Stand der Technik betrachteten Druckschrift E21 offenbart die Druckschrift E30 nämlich auch das in Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal eines Ein-/Ausschalters an der Tragplatte der Waage.

Nachdem die eingeschränkte Fassung des Anspruchs 1 von der Patentinhaberin erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingeführt wurde, hatten die Einsprechenden keine Gelegenheit, die Druckschrift E30 früher in das Verfahren einzuführen als, wie geschehen, zusammen mit ihrer Beschwerdebegründung.

Die Kammer ist nach alledem der Auffassung, dass die Druckschrift E30 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen ist.

2.2 Das Vorlegen der Entgegenhaltungen E35 bzw. E36 erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens, und zwar nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung, stellt dagegen eine Änderung des Vorbringens der Einsprechenden im Sinne von Artikel 13 VOBK dar. Nachdem die Kammer in ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich davon abgesehen hatte, auf die im Verfahren aufgeworfenen Fragen im Hinblick auf ihrer relative Einfachheit einzugehen, kann das späte Einreichen der Entgegenhaltungen E35 und E36 nicht als angemessene Reaktion auf die Ladung gerechtfertigt werden.

Die Druckschriften E35 und E36 offenbaren zwar einen kapazitiven Berührungssensor, jedoch nicht in einer waagenähnlichen Anwendung, so dass sie prima facie auch nicht relevanter sind als die bereits in der Akte befindlichen Dokumente.

Da die Patentinhaberin darüber hinaus der Zulassung dieser Druckschriften nicht zugestimmt hat, werden sie nicht in das Verfahren zugelassen.

3. Das Patent in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag der Patentinhaberin

3.1 Im Beschwerdeverfahren wurde kein Einwand fehlender Neuheit erhoben.

3.2 In ihrer Entscheidung war die Einspruchsabteilung bei der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit von der Druckschrift E21 als nächstkommendem Stand der Technik ausgegangen. Diese Druckschrift offenbart eine Waage 1 (Figur 1) mit einer Tragplatte 3 zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung (Tastschalterflächen 19) zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage ("zur Betriebsartenwahl", siehe Spalte 1, Zeile 38).

3.3 Die Patentinhaberin wendet sich gegen die Auffassung der Einspruchsabteilung, wonach die Tastschalterflächen 19 an der Tragplatte 3 neben der Ultraschallmesseinrichtung 7 (von der Einspruchsabteilung als "Schalter" bezeichnet) angeordnet sind. Nach ihrer Meinung ist der Figur 1, die eine "schematische" Darstellung der Waage zeigt, überhaupt nicht zu entnehmen, welches Bauteil die Tragplatte bildet, und die Darstellung in der Figur 2 steht gewissermaßen im Widerspruch zur Figur 1. Vielmehr erstrecke sich die Tragplatte 3 nur über den Bereich der Elektroden 4, 5, während die Tastschalterflächen 19 ebenso wie die Anzeigeeinrichtung 2 am feststehenden Gehäuseteil der Waage angebracht seien, ähnlich wie der seitlich angebrachte Ein-/Ausschalter 12, der ebenfalls außerhalb der Tragplatte angeordnet sei.

Die Kammer kann sich der Ansicht der Patentinhaberin nicht anschließen: Laut Beschreibung der Druckschrift E21 zeigt die Figur 1 "eine schematische Darstellung eines Ausführungsbeispiels" und die Figur 2 "eine weitere schematische Darstellung desselben Ausführungs­beispiels" (Spalte 1, Zeilen 29 - 32, hervorgehoben durch die Kammer). Es handelt sich bei der in den Figuren 1 und 2 dargestellten Waage demnach um dieselbe Vorrichtung. Die Figur 1 zeigt diese Waage in einer perspektivischen Ansicht. Dabei ist die obere Fläche mit dem Bezugszeichen 3 versehen, welches die "sich wiegende Person aufnehmende Platte" (Spalte 1, Zeile 35), im Folgenden "Tragplatte", bezeichnet. Obwohl die Darstellung in der Figur 1 nur "schematisch" ist, ist festzustellen, dass das Bezugszeichen 3 auf das hintere Ende der Waage zeigt. Da in der Darstellung in Figur 1 die obere Fläche - die mit den mittels den Bezugszeichen 4, 5, 19, 7 und 2 bezeichneten Bauteilen versehen ist - eindeutig einteilig gezeichnet ist, bildet die Tragplatte 3 zwangsläufig den gesamten oberen Bereich, während die Bauteile 4, 5, 19, 7 und 2 an dieser Tragplatte angeordnet sein müssen, wie es der Fachmann bei Betrachtung der Figur 1 dieser auch unmittelbar entnehmen würde.

Die Darstellung in der Figur 2 ist nach Auffassung der Kammer ebenfalls nur schematisch zu betrachten und nicht als eine genaue Querschnittzeichnung durch die Waage. Vielmehr hat die Darstellung in Figur 2 lediglich den Zweck, die elektrischen Verbindungen der einzelnen Bauteile mit der Auswerteeinrichtung 11 zu zeigen. Obwohl in dieser Darstellung die Tastschalterflächen 19 nicht sichtbar sind, ist festzuhalten, dass zusätzlich zu den Elektroden 5 und 4 auch die Sendeeinrichtung 7 an der Tragplatte 3 angeordnet ist. Da sich in Figur 1 die Tastschalterflächen 19 unmittelbar neben dieser Sendeeinrichtung 7 befinden, müssen sich diese Tastschalterflächen ebenfalls an der Tragplatte befinden.

3.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß erteiltem Patent unterscheidet sich deshalb von der Waage aus der Druckschrift E21 dadurch, dass die Schaltvorrichtung der beanspruchten Waage einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte angeordneten Elektrode aufweist, während die Druckschrift E21 die an der Tragplatte angeordnete Schaltvorrichtung lediglich als "Tastschalterflächen zur Betriebsartanwahl" bezeichnet (vgl. Spalte 1, Zeile 38) und keine weiteren Einzelheiten zu deren Beschaffenheit offenbart.

3.5 Nach Auffassung der Kammer kann daher, ausgehend von der Offenbarung in der Druckschrift E21, die zu lösende technische Aufgabe in der Bereitstellung einer passenden Schaltvorrichtung zur praktischen Realisierung der in der Druckschrift E21 nicht weiter spezifizierten "Tastschalterflächen" für die Tragplatte gesehen werden (vgl. auch die angefochtene Entscheidung, Seite 10, 3. Absatz).

3.6 Die Einsprechenden haben anhand einer Vielzahl von Fundstellen belegt, dass der Einsatz kapazitiver Tastschalterflächen im Stand der Technik generell bekannt war. So offenbart zum Beispiel die Druckschrift E23 in Spalte 1, Zeilen 16-19 der Beschreibung bei der Würdigung des technischen Umfelds zu diesem Patent, dass in den elektronischen Steuerungen vieler Geräte, insbesondere Haushaltsgeräte, kapazitive, auf Berührung reagierende Eingabeschalter in vorteilhafter Weise breiten Einsatz gefunden haben, da diese kapazitiven Berührungsschalter relativ kostengünstig und einfach herstellbar sind. Ebenso offenbart die Anlage 6 auf Seite 134, Abschnitt 9.6 "Touch Switch", einen sehr einfachen, aber zuverlässigen kapazitiven Berührungsschalter und auf Seite 135, Abschnitt 9.7 "Keypad" eine Schaltfläche ähnlichen Aufbaus. Auch die Einführungsseiten dieses Dokumentes weisen auf vielfache Anwendungen kapazitiver Sensoren in Haushalts- und Industriegeräten, z.B. in Näherungsdetektoren, Lichtschaltern, Tastenfeldern, Leuchtendimmern, usw.

Nach Auffassung der Kammer würde der Fachmann daher zur Lösung der Aufgabe, eine passende Schaltvorrichtung für die in der Druckschrift E21 angedeuteten Tastschalterflächen 19 bereitzustellen, ohne erfinderisches Zutun auf eine der oben erwähnten, an sich bekannten kapazitiven Schaltvorrichtungen zurückgreifen. Diese bekannten Vorrichtungen weisen allesamt eine zu berührende Elektrode auf, die der Fachmann dann auch unmittelbar an der für die Tastschalterflächen der bekannten Waage vorgesehenen Stelle, nämlich an der Tragplatte, anordnen würde.

3.7 Auf dieser Weise würde der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents geraten.

Der Gegenstand dieses Anspruchs beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wie auch bereits von der Einspruchabteilung entschieden wurde.

4. Das Patent in der geänderten, von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des Übereinkommens genügend erachteten Fassung gemäß Hilfsantrag der Patentinhaberin

4.1 Einwand gemäß Artikel 100(b) EPÜ

4.1.1 In ihrer Beschwerdebegründung hat die Einsprechende 02 auf die Ausführungen der Patentinhaberin im schriftlichen Einspruchsverfahren Bezug genommen, wonach die Elektrode anspruchsgemäß "unmittelbar" an der Tragplatte angebracht und von der Sensoreinheit "entkoppelt und entfernt" sein müsse. Aus den weiteren Ausführungen der Patentinhaberin dahingehend, dass nur mithilfe dieser Merkmale die Erfindung erfolgreich ausgeführt werden könne, da nur so der Stromverbrauch begrenzt werden könne, hat die Einsprechende gefolgert, dass diese Merkmale wesentliche Erfindungsmerkmale seien. Da diese jedoch weder in der Patentschrift beschrieben noch im unabhängigen Patentanspruch definiert seien, könne der Fachmann die Erfindung nicht erfolgreich ausführen. Das Patent sei daher nach Artikel 100(b) EPÜ zu widerrufen (vgl. Beschwerdebegründung der Einsprechenden 02, Punkt VII).

4.1.2 Zu diesem Einwand hatte die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung (vgl. Seite 4, Punkt 1.a)) insbesondere ausgeführt, dass im Anspruch 1 ausschließlich das Merkmal "an der Tragplatte" beansprucht sei, das sowohl "mittelbar als auch unmittelbar angeordnet" bedeutete. Weiterhin sei nach Auffassung der Einspruchsabteilung das Anordnen einer Elektrode "an der Tragplatte" für den Fachmann unproblematisch.

4.1.3 Die Kammer hält die Überlegungen der Einspruchsabteilung für überzeugend. Da die Einsprechende 02 dazu keine Gegenargumente vorgetragen und insbesondere in keiner Weise erklärt hat, warum die Erläuterungen zu den verschiedenen Ausführungsbeispielen in der Beschreibung des Patents es dem Fachmann nicht ermöglichen sollten, den technisch eher einfachen Gegenstand des Patents nachzuarbeiten, folgt die Kammer der Auffassung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

4.2 Einwand gemäß Artikel 123(2) EPÜ

4.2.1 Die Einsprechenden haben bemängelt, dass das dem Anspruch 1 neu hinzugefügte Merkmal, wonach "die Elektrode unter der Tragplatte angeordnet ist", eine nach Artikel 123(2) EPÜ unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstelle. Dieses Merkmal bedeute nämlich, dass eine beliebige Elektrode unter der Tragplatte angeordnet sein könne. Dafür gebe es in der ursprünglichen Patentanmeldung keine Offenbarung. Als unter der Tragplatte angeordnete Elektrode sei dort lediglich eine unter der Tragplatte aufgebrachte elektrisch leitende Druckschicht offenbart.

4.2.2 Die Debatte zwischen den Parteien zu dem Angriff der Einsprechenden gemäß Artikel 123(2) EPÜ konzentrierte sich weitgehend auf die Frage, ob die in Anspruch 1 erfolgte Änderung eine Zwischenverallgemeinerung darstellt, im Sinne zum Beispiel der von den Einsprechenden zitierten Entscheidung T1067/97

Für die Kammer ist diese Frage jedoch im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Ob eine Änderung sich unter dem Begriff "Zwischenverallgemeinerung" subsumieren lässt oder unter anderen Begriffen, wie etwa "Weglassen eines ursprünglich beanspruchten Merkmals" oder "Mehrfachauswahl aus zwei Gruppen alternativer Merkmale", erlaubt noch keinerlei Aussage über die Zulässigkeit dieser Änderung nach Artikel 123(2) EPÜ. Ausschließlich relevant dafür ist die Frage, ob ein Fachmann, der mit der abgeänderten Fassung der Anmeldung oder des Patents konfrontiert wird, im Vergleich zu einem Fachmann, der nur die ursprünglich offenbarte Fassung zur Kenntnis nehmen würde, der abgeänderten Fassung zusätzliche technisch relevante Informationen entnimmt. Nur wenn solche zusätzlichen technisch relevanten Informationen erkannt werden können, kann auch ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Artikels 123(2) EPÜ vorliegen.

4.2.3 Den Einsprechenden ist insofern zuzustimmen, als der vorliegende, geänderte Anspruch 1, indem er nunmehr eine unter der Tragplatte angeordnete, nicht näher spezifizierte Elektrode definiert, dem Fachmann eindeutig die technische Lehre liefert, eine Elektrode beliebiger Beschaffenheit unter der Tragplatte anzuordnen.

4.2.4 Zur Beschaffenheit und Lokalisierung der Elektrode sind in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen folgende Hinweise zu finden (die Fundstellen sind in Bezug auf die veröffentliche Fassung der Anmeldungsunterlagen angegeben):

"Grundsätzlich ist die Ausbildung der Elektrode nicht beschränkt. Besonders vorteilhaft ist es jedoch, wenn die Elektrode eine elektrisch leitende Druckschicht auf oder unter der Tragplatte aufweist" (vgl. Absatz [0007]).

"Gemäß einer anderen vorteilhaften Weiterbildung der Erfindung weist die Elektrode eine zumindest in einem Teilbereich elektrisch leitende Bedampfungsschicht auf oder unter der Tragplatte auf" (vgl. Absatz [0008]).

"... geeignet ist es, wenn die Elektrode vorzugsweise ein elektrisch leitendes, an der Tragplatte angebrachtes Metallelement aufweist" (vgl. Absatz [0010]).

Die Figuren zeigen darüber hinaus zwei Ausführungsbeispiele:

Das erste, in den Figuren 1 und 2 abgebildete Beispiel weist eine erste Elektrode 18 auf, die aus einer unter der Tragplatte aufgebrachten, elektrisch leitenden Druckschicht 32 besteht (vgl. Absatz [0015]), sowie eine zweite Elektrode 28, die aus einer Bedampfungsschicht besteht (vgl. Absatz [0016]) und als auf der oberen Fläche der Tragplatte angeordnet gezeichnet ist.

Das zweite, in der Figur 3 abgebildete Ausführungsbeispiel weist als Elektrode ein unter der Tragplatte angeklebtes Metallelement auf (vgl. Absatz [0017]).

Die ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen offenbaren somit an unterschiedlichen Stellen der Beschreibung und der Figuren Elektroden, die unter der Tragplatte angeordnet sind und entweder aus einer elektrisch leitenden Druckschicht, einer elektrisch leitenden Bedampfungsschicht oder einem aufgeklebten Metallteil bestehen. Bereits aus dieser Anzahl von als vorteilhaften Ausbildungen bezeichneten Varianten würde sich für den Fachmann die Erkenntnis ergeben, dass die Ausbildung der Elektrode auf der unteren Fläche der Tragplatte grundsätzlich nicht eingeschränkt ist, bzw. dass es sich um eine Elektrode beliebiger Beschaffenheit handeln kann. Diese Tatsache wird in Absatz [0007] der Beschreibung aber auch nochmals ausdrücklich präzisiert.

Dass der ursprünglich eingereichte abhängige Anspruch 2 sich dann auf eine, offenbar als besonders vorteilhaft betrachtete Ausführung der Elektrode - nämlich als Druckschicht - bezieht, kann nicht als einschränkend für die ganze Offenbarung verstanden werden, wie es die Einsprechenden meinen.

4.2.5 Aus dem oben erfolgten Vergleich zwischen den sich einerseits aus dem geänderten Patentanspruch 1 und andererseits aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen für den Fachmann ergebenden technischen Lehren und aus deren Übereinstimmung muss geschlossen werden, dass die vermeintliche zusätzliche, durch die Änderung des Anpruchs 1 eingeführte technische Lehre bereits in den Anmeldungsunterlagen enthalten war, so dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen des Artikels 123(2) EPÜ vorliegt.

5. Patentierbarkeit

5.1 Obwohl der strukturelle Aufbau der Waage aus der Figur 6 der Druckschrift E30 dort - wie übrigens in allen der von den Einsprechenden zitierten und Waagen betreffenden Entgegenhaltungen - nicht detailliert beschrieben ist, kann sich die Kammer der Auffassung der Einsprechenden anschließen, wonach diese Waage den nächstkommenden Stand der Technik darstellt. Diese Waage weist nämlich ein Gehäuseteil 9 auf, das mit einem Leistungsschalter 92 und mit Elektroden 2a, 2b, 3a, 3b zur Messung des elektrischen Körperwiderstands über die Füße eines Benutzers, der ausdrücklich auf dem Gehäuseteil stehen soll, versehen ist (vgl. den die Seiten 7 und 8 überbrückenden Absatz).

Somit bildet das Teil 9 eine Tragplatte, die - wegen der Anordnung der Elektroden - aus elektrisch nicht leitendem Material bestehen muss und eine elektrische Schaltvorrichtung zum Einschalten der Waage im Sinne von Anspruch 1 aufweist.

Bei der Waage gemäß E21 erfolgt das Einschalten dagegen über einen an einer Seitenwand der Waage angeordneten Schalter 12, sodass dieser Aufbau dem beanspruchten Gegenstand gemäß abgeändertem Anspruch 1 ferner liegt.

5.2 Auch zur Gestaltung des Schalters 92 liefert die Druckschrift E30 keinerlei Einzelheiten. Die Kammer kann sich jedoch der Auffassung der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung anschließen, wonach es für den Fachmann aus der Darstellung in der Figur 6 unmittelbar ersichtlich ist, dass es sich hierbei um einen mechanischen Druckknopf-Schalter handeln muss.

Somit unterscheidet sich der beanspruchte Gegenstand vom nächstkommenden Stand der Technik gemäß Figur 6 der Druckschrift E30 dadurch, dass anstatt des bekannten Druckknopf-Schalters ein kapazitiver Näherungsschalter mit unter der Tragplatte angeordneter Elektrode verwendet wird.

5.3 Obwohl der beanspruchte Gegenstand prima facie relativ einfach erscheint, ist es den Einsprechenden nicht gelungen, eine überzeugende logische Argumentationskette aufzuzeigen, wie der vom nächstkommenden Stand der Technik ausgehende Fachmann in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand hätte gelangen können.

5.3.1 Bereits die von den Einsprechenden vorgeschlagene Definition der technischen Aufgabe ausgehend von E30, nämlich "einen funktionssicheren und insbesondere gegenüber Feuchtigkeit oder Spritzwasser unempfindlichen Schalter zum Bedienen der Waage vorzusehen" (vgl. Beschwerdeschrift der Einsprechenden 02, Seite 14, 2. Absatz), scheint der Kammer mit rückschauenden Überlegungen in Kenntnis der Erfindung behaftet zu sein. Diese Definition zeigt nämlich von vornherein auf den Lösungsansatz, wonach der Schalter zu ersetzen sei. Auch die vermeintliche Schwierigkeit bei der Verwendung von mechanischen Schaltern bei Personenwaagen ist zumindest nicht aus dem Stand der Technik herleitbar. Keine der fünf Einsprechenden, darunter bekannte Mitbewerber der Patentinhaberin auf dem relevanten Gebiet, hat überzeugend dargelegt, dass der Fachmann sich dieser spezifischen Aufgabe besonders widmen würde, und es setzt sich auch keine der zitierten Entgegenhaltungen mit der Gestaltung von Schaltern in Waagen oder ähnlichen batteriebetriebenen Haushaltsgeräten auseinander.

5.3.2 Aber auch die beanspruchten Merkmale, wonach die Schaltervorrichtung für das Einschalten der Waage nicht nur ein kapazitiver Näherungsschalter ist, sondern eine Elektrode aufweist, die unter der Tragplatte angeordnet ist, ergeben sich nicht in naheliegender Weise aus dem ermittelten Stand der Technik.

5.3.3 Ob der Fachmann bei batteriebetriebenen Haushaltsgeräten für die Einschaltfunktion überhaupt in naheliegender Weise eine kapazitive Schaltvorrichtung in Erwägung gezogen hätte, die im Gegensatz zu einem mechanischen Schalter auch im ausgeschalteten Zustand Strom verbraucht, ist fraglich. Und dies um so mehr, als dem Fachmann - wie auch von der Patentinhaberin vorgetragen - spritzwasserfeste, mit Dichtungen oder einer elastomeren Deckmembran versehene mechanische Schalter zur Verfügung standen, deren Verwendung im Gegensatz zu der eines kapazitiven Näherungsschalters auch keinerlei Änderung der elektrischen Schaltung der bekannten Waage erforderlich gemacht hätte. Auf jeden Fall zeigt keine der von den Einsprechenden ermittelten Druckschriften einen solchen Näherungsschalter zum Einschalten eines batteriebetriebenen Geräts irgendwelcher Art.

Es mag zwar sein, wie die Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, dass als Ergebnis der steten technischen Weiterbildung und Verbesserung der entsprechenden Schaltungen die am Anmeldetag zur Verfügung stehenden kapazitiven Näherungsschalter einen nur sehr geringen Stromverbrauch aufgewiesen haben, der sie für die beanspruchte Anwendung ohne Schwierigkeit verwertbar gemacht hätte. Die Erkenntnis jedoch, dass technische Verbesserungen einer bekannten Vorrichtung ihr auf einmal neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnen, kann bereits als Beitrag zu einer erfinderischen Leistung bewertet werden.

5.3.4 Aber auch für ein Naheliegen der beanspruchten Lokalisierung der Elektrode unter der Tragplatte haben die Einsprechenden keine überzeugende Argumentation geliefert. Auch wenn der Fachmann auf die Idee kommen würde, den bekannten Schalter aus der Druckschrift E30 durch einen kapazitiven Näherungsschalter zu ersetzen, so würde er allenfalls den bekannten beweglichen Druckknopf dieses Schalters durch eine an dessen Stelle in die Tragplatte eingelassene, mit ihr dicht verbundene Elektrode ersetzen. Somit wäre die angebliche technische Aufgabe bereits gelöst, ohne dass es notwendig wäre, die Elektrode wie beansprucht unter der Tragplatte anzuordnen.

Zu dieser besonderen Anordnung der Elektrode unter der Tragplatte haben die Einsprechenden zwar auf die Druckschrift E3 verwiesen, die ein kapazitives Tastenfeld offenbart, das unterhalb einer Kochplatte angeordnet ist.

Diese Anwendung ist jedoch nicht nur vom relevanten Gebiet der Personenwaagen gemäß nächstkommenden Stand der Technik E30 entfernt, die eigentliche Lehre der Druckschrift E3 ist mit diesem auch kaum vereinbar. Die Druckschrift E3 befasst sich zwar mit der Problematik des Vorhandenseins von Feuchtigkeit und Wasserspritzern auf unter einer horizontalen Fläche liegenden Tastenfeldern. Dabei geht es jedoch nicht um die von in die Tastenvorrichtung eindringendem Wasser ausgehende Gefahr, sondern um die mögliche Beeinträchtigung der Detektionsfunktion eines kapazitiven Tastenfeldes, wenn auf der darüber liegenden Fläche Wasser vorhanden ist (vgl. Spalte 1, 2. Absatz). Dieses Problem, das sich in dem nächstkommenden Stand der Technik gemäß E30 in Abwesenheit eines solchen kapazitiven Tastenfelds gar nicht stellt, wird in der Druckschrift E3 durch die Ansteuerung des kapazitiven Tastenfelds mit aufwendiger Hochfrequenztechnik gelöst (vgl. die Zusammenfassung), die für den dort beschriebenen Einsatz bei einer Kochplatte zwar geeignet sein mag. Dass aber der Fachmann die Verwendung dieser komplexen Technik als einfache Alternative zu einem mechanischen Druckknopfschalter in einer batteriebetriebenen Personenwaage und zur Lösung einer anderen Aufgabe überhaupt in Erwägung ziehen würde, ist nach Auffassung der Kammer nicht realistisch.

5.3.5 Die weiteren von den Einsprechenden zitierten Druckschriften kommen dem beanspruchten Gegenstand nicht näher.

Insbesondere offenbart die Druckschrift Anlage 6 in ihrem Abschnitt 9.6 lediglich einen kapazitiven Berührungsschalter ("Touch Switch"), der Elektroden aufweist, die sich auf den beiden Seiten einer Glas-Epoxy-Leiterplatte gegenüber liegen. Im Abschnitt 9.7 ist ein Tastenfeld offenbart ("Keypad"), deren Elektroden auf beiden Seiten einer Polykarbonatplatte angeordnet sind, über der noch eine davon getrennte Acrylplatte zur Berührung durch den Benutzer liegt.

Die Entgegenhaltung E23 offenbart eine kapazitive Steuerungsanordnung, die auf eine drehende Bewegung des Fingers eines Benutzers reagieren und auf einer Schalttafel unter Vermeidung der für den Durchgang herkömmlicher Steuerachsen sonst erforderlichen Bohrungen angewendet werden soll (vgl.Zusammenfassung).

Die Entgegenhaltung E7 offenbart eine Personenwaage, deren Tragplatte Elektroden 5 zur Bestimmung des Körperfetts aufweist, sowie nicht weiter beschriebene Eingabeschalter zur Eingabe von Parametern. Wie die Waage eingeschaltet wird, wird nicht erläutert.

Die Druckschrift E28 betrifft eine Vorrichtung mit kombinierter Waage- und Eingabetastaturfunktion zur Verwendung insbesondere in Kaufhäusern. Sowohl die Waagefunktion als auch die Eingabe von Steuerbefehlen oder Parametern werden über eine berührungsempfindliche Platte ausgeführt. Die Oberfläche der Platte weist keinen kapazitiven Näherungsschalter auf, sondern wird mechanisch von drei oder mehr Dehnungsmessstreifen-Sensoren getragen, welche die Kraftkomponente in vertikaler Richtung registrieren. Mittels eines Eingabefeldes der Tastatur kann die Vorrichtung zwischen Eingabefunktion und Waagefunktion umgeschaltet werden.

Die Druckschrift E8 offenbart eine Präzisionswaage, deren Gehäusefront mit einem Näherungsschalter 45' versehen ist, der den Kalibrierungsvorgang unterbricht oder verhindert, wenn sich jemand in der Nähe der Waage aufhält und das Ergebnis dadurch verfälscht werden könnte (vgl Figur 1 und Zusammenfassung).

5.4 Aus den vorstehenden Gründen wird die bereits von der Einspruchsabteilung anerkannte Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag der Patentinhaberin durch die Ausführungen der Einsprechenden nicht in Frage gestellt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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