T 2049/18 (Kochfeld / BSH) of 17.11.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T204918.20221117
Datum der Entscheidung: 17 November 2022
Aktenzeichen: T 2049/18
Anmeldenummer: 11707358.5
IPC-Klasse: H05B 6/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: KOCHFELD MIT ZUMINDEST EINER KOCHZONE SOWIE VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINES KOCHFELDS
Name des Anmelders: BSH Hausgeräte GmbH
Name des Einsprechenden: von Vopelius, Max
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11
Schlagwörter: Rechtliches Gehör - Gelegenheit zur Stellungnahme (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Antrag auf Antragsbindung (abgelehnt wegen fehlender rechtlicher Grundlage)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0951/92
T 1906/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der gegen das europäische Patent Nr. 2 543 233 eingelegte Einspruch war auf mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ), unzureichend deutliche und vollständige Offenbarung Artikel 100 b) EPÜ) und Erweiterung des Anmeldungsgegenstands (Artikel 100 c) EPÜ gestützt.

II. Anspruch 1 wie erteilt lautet (Merkmalsnummerierung gemäß der Einspruchsschrift):

F1.1 Induktionskochfeld mit einer Schaltungsanordnung (7) zum Betreiben einer Kochzone (6) des Induktionskochfelds (1), welche eine Parallelschaltung (20, 21) aufweist, in welcher zwei Induktoren (6a bis 6d) parallel geschaltet sind,

F1.2 wobei in Reihe zu der Parallelschaltung (20, 21) ein Strommesselement (22, 23) geschaltet ist und eine Vorrichtung (16) zur Belegungserkennung zumindest einer Teilkochzone (61, 62) der Kochzone (6) mit einem Zubereitungsgefäß (17, 18) ausgebildet ist, welche das Strommesselement (22, 23) aufweist,

F3 wobei die Kochzone (6) durch zumindest drei nebeneinander angeordnete Induktoren (6a bis 6d) heizbar ist und

F1.4 zwei Induktoren (6a bis 6d) mit einer ersten Treiberschaltung (8, 9) mit elektrischer Energie versorgbar sind,

F1.5 wobei die mit der ersten Treiberschaltung (8, 9) verbundenen Induktoren (6a bis 6d) unabhängig voneinander aktivierbar und deaktivierbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass

F1.6 der zumindest dritte Induktor (6a bis 6d) mit einer separaten zweiten Treiberschaltung (8, 9) mit Energie versorgbar ist,

F1.7 wobei das Induktionskochfeld (1) in einem ersten Betriebsmodus betreibbar ist, bei dem die Teilkochzonen (61, 62) gemeinsam betrieben werden und somit eine gesamte Kochfläche der Kochzone (6) bilden,

F1.8 wobei alle Teilkochzonen (61, 62) mit der gleichen elektrischen Leistung gespeist sind und

F1.9 ein Induktor (6a bis 6d) abhängig von einem Erkennen eines Zubereitungsgefäßes (17, 18) auf der Kochzone (6) über diesem Induktor (6) aktivierbar ist, F1.10 wobei die Vorrichtung (16) zur Belegungserkennung ausgebildet ist, für die Belegungserkennung der gesamten Kochzone (6) ein mehrstufiges Suchverfahren durchzuführen.

III. Hinsichtlich des Einwands der Erweiterung des Anmeldungsgegenstands hat der Einsprechende bemängelt, die während des Prüfungsverfahren in den Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale F1.7, F1.8 und F1.10 beträfen eine nicht ursprünglich offenbarte Zwischenverallgemeinerung. Der Einsprechende hat dargelegt (Einspruchsschrift, Seiten 11 - 13), dass diese Merkmale im Anspruch 1 Funktionsmerkmale der ersten Betriebsart für ein allgemeines Kochfeld definieren, in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 16, vierter Absatz in Verbindung mit Seite 17, dritter Absatz) jedoch nur für ein Kochfeld mit zwei Teilkochzonen und jeweiligen, mit je einem Induktor bestückten Unterzonen offenbart seien.

IV. Die Patentinhaberin ist mit der Erwiderung auf den Einspruch den Einspruchsgründen entgegengetreten.

V. Die Einspruchsabteilung hat das Patent widerrufen. Die Entscheidung wurde allein darauf gestützt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Offenbarungsgehalt der Anmeldung zum Anmeldezeitpunkt hinausgeht und der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht (Entscheidungsgründe, Punkt 2).

VI. Die Entscheidungsgründe bemängeln ebenfalls eine nicht ursprünglich offenbarte Verallgemeinerung durch die Aufnahme der genannten Merkmale in den Anspruch 1. Der Entscheidung liegt ein Verständnis des Anspruchs 1 zugrunde, wonach das Merkmal F1.8 nicht auf die erste Betriebsart beschränkt sei und in einer Lesart, in der es nicht die erste Betriebsart betreffe, nicht offenbart sei (Entscheidungsgründe, Seite 9, erster vollständiger Absatz; Seite 10, dritter vollständiger Absatz).

Weiterhin bemängelt die angefochtene Entscheidung, auch das Merkmal F1.10 als solches sei den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht zu entnehmen. Die ursprüngliche Anmeldung beschreibe zwar, dass für die Belegungserkennung der gesamten Kochzone ein mehrstufiges Suchverfahren durchgeführt wird, jedoch keine Vorrichtung zur Belegungserkennung, die dazu ausgebildet ist, ein solches mehrstufiges Suchverfahren für die Belegungserkennung der gesamten Kochzone durchzuführen (Entscheidungsgründe, Seite 8, zweiter vollständiger Absatz). In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls unterstrichen, dass der Absatz auf Seite 6, Zeilen 25-36 der ursprünglichen Anmeldung keine weitere technische Merkmale des Anspruchs 1 des angefochtenen Patents wie die technischen Merkmale F1.8 und F1.10 erwähnte.

VII. Zu den weiteren Einspruchsgründen machte die Einspruchsabteilung Anmerkungen (angefochtene Entscheidung, Punkt III), die nicht Teil der Entscheidungsgründe sind.

VIII. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen diese Entscheidung.

IX. Die Patentinhaberin beantragt, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben und der Einspruch zurückgewiesen wird. Weiterhin beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Weiterhin beantragt sie hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines von drei mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen.

Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde damit begründet, dass die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung auf Gründe gestützt habe, zu denen sie keine Stellung nehmen konnte (Artikel 113 EPÜ). Der fehlende Antrag auf mündliche Verhandlung erlaube der Einspruchsabteilung nicht, Gründe einzuführen, über die die Patentinhaberin sich nicht äußern konnte.

X. Der Einsprechende beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

XI. Weiterhin beantragt der Einsprechende, dass bei einer Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung die Patentinhaberin an die bisher gestellten Anträge, soweit es die Aufrechterhaltung des Streitpatents betrifft, gebunden ist.

Die Beschwerdeführerin beantragte, dass diesem Antrag nicht stattgegeben wird.

Entscheidungsgründe

Der Einwand unzulässiger Erweiterung

1. Im vorliegenden Fall ist der Einwand einer Erweiterung des Patentgegenstands durch eine Zwischenverall­gemeinerung gegeben, d.h. durch die Aufnahme von an sich offenbarten Merkmalen aus der Beschreibung in den Anspruch, wobei diese Merkmale aus dem in der Beschreibung vorgegebenen Zusammenhang isoliert worden sind. Die Zwischenverallgemeinerung für sich genommen ist für die Beurteilung der Zulässigkeit nicht ausschlaggebend. Relevant ist vielmehr, ob und welche zusätzliche Information die Fachperson aufgrund dieser Zwischenverallgemeinerung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen zusätzliche technische Information erhält (T 1906/11, Leitsatz).

2. Wie oben dargelegt, wird in der angefochtenen Entscheidung bemängelt, das Merkmal F1.8 betreffe in einer Lesart nicht den genannten ersten Betriebsmodus. Hingegen ist aus der Einspruchsschrift zu verstehen, dass das Merkmal F1.8 zu der Gruppe von Merkmalen gehört, die den ersten Betriebsmodus mitdefinieren.

3. Das seitens der Einspruchsabteilung zugrundegelegte Verständnis des Anspruchswortlauts für die Begründung der Entscheidung weicht also von dem Verständnis ab, welches der Substantiierung des Einwands in der Einspruchsschrift zugrundegelegt wird. Zu dem abweichenden Verständnis konnte sich die Patentinhaberin nicht äußern.

4. Der Einsprechende argumentierte, der Einwand der unzulässigen Erweiterung sei gegen die Aufnahme der Merkmale F1.7, F1.8 und F.10 in den Anspruch 1 gerichtet gewesen und die Einspruchsabteilung habe auf der Grundlage dieser Merkmale eine Erweiterung zuerkannt. Die Patentinhaberin habe sich zu dem Einwand äußern können und von dieser Möglichkeit mit der Erwiderung auf den Einspruch auch Gebrauch gemacht. Damit sei das Recht, gehört zu werden, ausreichend erfüllt. Es sei der Einspruchsabteilung zuzugestehen, dass sie die in der Einspruchsschrift vorgetragenen Argumente für die Entscheidungsbegründung weiterentwickeln kann.

5. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht.

6. Gemäß der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern gehören zu den tragenden Gründen einer Entscheidung die rechtlichen und faktischen Gründe, auf denen die Feststellung beruht, dass ein Erfordernis des EPÜ nicht erfüllt ist (T 951/92, Abl, 1996, 53).

7. Im vorliegenden Fall umfassen die rechtlichen und faktischen Gründe die relevante Rechtsvorschrift (Artikel 100 c) bzw. 123(2) EPÜ), den relevanten Sachverhalt, wonach die genanten Merkmale in den Anspruch 1 aufgenommen wurden, sowie die tragenden Argumente, wonach die Einführung des Konzepts eines ersten Betriebsmodus eine nicht ursprünglich offenbarte Verallgemeinerung darstellt, da in der Beschreibung dieses Konzept nur in Verbindung mit einem Kochfeld mit zwei Teilkochzonen und vier Unterzonen offenbart ist.

8. Die Einspruchsabteilung hat ihrer Entscheidung die von der Einsprechenden genannte Rechtvorschrift und auch den gleichen Sachverhalt, nämlich die Aufnahme der Merkmale F1.7, F1.8 und F1.10 während des Prüfungsverfahrens in den Anspruch 1, zugrundegelegt. Sie ist jedoch bei den tragenden Argumenten vom Vortrag der Einsprechenden abgewichen.

9. Auch die Feststellung der Einspruchsabteilung, wonach die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zwar eine Belegungserkennung der gesamten Kochzone beschreiben, bei der ein mehrstufiges Suchverfahren durchgeführt wird, jedoch keine Vorrichtung zur Belegungserkennung, die dazu ausgebildet ist, ein solches mehrstufiges Suchverfahren für die Belegungserkennung der gesamten Kochzone durchzuführen, weicht von den vorgetragenen Argumenten der Einsprechenden ab. Dies gilt ebenfalls für die darauf aufbauende weitere Feststellung, dass der Absatz auf Seite 6, Zeilen 25-36 der ursprünglichen Anmeldung zwar beschreibt, dass für die Belegungserkennung der gesamten Kochzone ein mehrstufiges Suchverfahren durchgeführt wird, jedoch keine weiteren technischen Merkmale des Anspruchs 1 des angefochtenen Patents wie die technischen Merkmale F1.8 und F1.10 erwähnt.

10. Nach Auffassung der Kammer ist bei dem Einwand einer Gegenstandserweiterung, bei dem ja die beanstandeten Merkmale in der Anmeldung durchaus offenbart sind, durch die Aufnahme in einen Anspruch jedoch möglicherweise einen neuen Sachverhalt definieren, insbesondere den tragenden Argumenten, worin die Erweiterung des Patentgegenstands liegt, bei der Entscheidungsbegründung ein besonderes Gewicht beizumessen. Eine Abweichung der Argumente vom Vortrag der Einsprechenden bei der Bedeutung der hinzugefügten Merkmale im Zusammenhang des Anspruchs ist daher nicht lediglich eine Weiterentwicklung der vorgetragenen Argumente, sondern eine Änderung der tragenden Gründe für den Einwand.

11. Die angefochtene Entscheidung stützt sich in erster Linie auf den Einwand der Erweiterung des Patent­gegenstands in Form einer Zwischenverallgemeinerung. Die weiteren Ausführungen im Teil III der angefochtenen Entscheidung sind nicht Bestandteil der Entscheidungsgründe. Die angefochtene Entscheidung genügt folglich nicht dem Erfordernis des Artikels 113(1) EPÜ, dass sie nur auf Gründe gestützt wurde, zu denen sich die Patentinhaberin äußern konnte. Sie ist daher aufzuheben. Die Aufhebung rechtfertigt auch eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103(1)a) EPÜ und eine Zurückverweisung nach Artikel 11 VOBK.

Der Antrag auf Antragsbindung

12. Eine Bindung der Parteien an im Laufe des Beschwerdeverfahrens gestellten Anträge im Falle einer Zurückverweisung an die erste Instanz (das Organ, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat) ist im EPÜ nicht explizit vorgesehen.

13. Lediglich Artikel 111(2) EPÜ benennt in einem solchen Fall Konsequenzen aus einer solchen Entscheidung für die erste Instanz. Artikel 111 (2) EPÜ lautet:

"Verweist die Beschwerdekammer die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an das Organ zurück, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, so ist dieses Organ durch die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer, die der Entscheidung zugrunde gelegt ist, gebunden, soweit der Tatbestand derselbe ist. [...]"

14. Artikel 111(2) EPÜ weist explizit auf die Möglichkeit eines sich ändernden Tatbestands hin. Nach Auffassung der Kammer fördert dieser Wortlaut eine pragmatische Vorgehensweise, die durchaus berücksichtigt, dass die Umstände, und somit der Tatbestand, solange ein Fall anhängig ist, sich ändern können. Eine Bindung der Patentinhaberin an die im Laufe des Beschwerdeverfahrens gestellten Anträge würde de facto bei solchen Änderungen des Tatbestands ihr Recht, das Patent zu verteidigen, einschränken.

15. Darüber hinaus würde eine angeordnete Bindung der Einspruchsabteilung an solche im Laufe des Beschwerdeverfahrens gestellten Anträge der Patentinhaberin dem Wortlaut des Artikels 111 (2) EPÜ, der einzig und allein eine Bindung an die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer vorsieht, widersprechen. Eine solche Entscheidung der Kammer wäre somit ultra vires, indem sie die vom EPÜ bestimmten Befugnisse der Kammer überschreiten würde.

16. Für den vom Einsprechenden gestellten Antrag (Punkt VII, oben) fehlt eine Rechtsgrundlage im EPÜ. Dem Antrag kann daher nicht stattgegeben werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.

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