European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2005:T050303.20051129 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 29 November 2005 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0503/03 | ||||||||
Anmeldenummer: | 93105916.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | C12Q 1/68 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Nachweis von Nukleinsäuren | ||||||||
Name des Anmelders: | Roche Diagnostics GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Chiron Corporation | ||||||||
Kammer: | 3.3.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Unzulässige Beschwerde der Beschwerdeführerin III (ja) Übergang der Einsprechendenstellung (nein) Zulassung des Hauptantrags (nein) Hilfsantrag: unzulässige Erweiterung (nein), Klarheit, Neuheit, erfinderische Tätigkeit (ja) Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Beschwerdeführerin I (ja) Rückzahlung der Beschwerdegebühren der Beschwerdeführerinnen II und III (nein) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Roche Diagnostics GmbH (Patentinhaberin und Beschwerdeführerin I), Chiron Corporation (Beschwerdeführerin II) und Bayer Corporation (Beschwerdeführerin III) richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 12. März 2003, in der festgestellt wurde, dass das europäische Patent Nr. 0 566 050 in geänderter Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt.
II. Das genannte Patent war auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung 93 105 916.6 erteilt worden. Seine Ansprüche 1, 9, 11, 13 und 15 lauten wie folgt:
"1. Verfahren zum Nachweis einer Nukleinsäure enthaltend folgende Schritte:
- einzelsträngig machen der Nukleinsäure unter alkalischen Bedingungen;
- Zugabe einer immobilisierbaren oder immobilisierten Fangsonde;
- Hybridisierung der Fangsonde mit der Nukleinsäure unter Immobilisierung der Nukleinsäure über die Fangsonde; und
- Nachweis der Menge an gebildetem immobilisiertem Hybrid,
dadurch gekennzeichnet, dass während der Behandlung unter alkalischen Bedingungen mindestens ein Detergenz aus der Gruppe der anionischen, nichtionischen und zwitterionischen Detergentien vorhanden ist."
"9. Verwendung eines anionischen, nichtionischen oder zwitterionischen Detergenz zur Stabilisierung von einzelsträngigen Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen."
"11. Reagenzkit zur Immobilisierung einer Nukleinsäure, enthaltend in getrennten Behältern
- eine für eine zu immobilisierende Nukleinsäure spezifische Fangsonde
- ein Reagenz enthaltend ein Alkalihydroxid und mindestens ein Detergenz aus der Gruppe der anionischen, nichtionischen und zwitterionischen Detergenzien."
"13. Reagenzkit zum Nachweis einer Nukleinsäure, enthaltend die Komponenten des Reagenzkits nach Anspruch 11, sowie mindestens eine weitere Nukleinsäure, die für die nachzuweisende Nukleinsäure spezifisch ist."
"15. Analysesystem zur automatischen Bestimmung von diagnostischen Parametern in Probenlösungen enthaltend
- mindestens ein Probenaufbewahrungsgefäß in einem Probenrotor
- mindestens ein Reagenzaufbewahrungsgefäß auf einem Reagenzrotor enthaltend eine Lösung zur Denaturierung von Nukleinsäuren enthaltend unter alkalischen Bedingungen mindestens ein Detergenz aus der Gruppe der anionischen, nichtionischen und zwitterionischen Detergentien,
- mindestens ein Reagenzaufbewahrungsgefäß enthaltend eine immobilisierbare oder immobilisierte parameterspezifische Fangsonde."
III. Gegen die Erteilung des Patents legte die Chiron Corporation (Beschwerdeführerin II) einen Einspruch ein, der auf Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ (mangelnde Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit) gestützt wurde. Während des erstinstanzlichen Verfahrens beantragte die Beschwerdeführerin II, die Bayer Corporation (Beschwerdeführerin III) als neue Einsprechende einzutragen, und begründete dies damit, dass sich der Einspruch auf die Geschäftstätigkeit beziehe, die von der Chiron Diagnostics Corporation, einer früheren hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Beschwerdeführerin II ausgeübt werde. Da die Chiron Diagnostics Corporation an die Beschwerdeführerin III verkauft worden sei, sei dieser Geschäftsbetrieb und damit auch der vorliegende Einspruch auf die Beschwerdeführerin III übergegangen.
IV. Am 27. September 2000 fand eine mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung statt. Ausweislich der über die Verhandlung erstellten Niederschrift reichte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin I) einen als "Hauptantrag 3" bezeichneten neuen Hauptantrag ein. Dieser Hauptantrag bestand aus 13 Ansprüchen und wurde der Niederschrift als Anlage 12 beigefügt. Seine Ansprüche 10 und 11 sind mit Paraphen und dem Datum "27.9.00" versehen. In der Niederschrift ist vermerkt, dass die Einspruchsabteilung die beantragte "Korrektur des falschen Rückbezugs in den Ansprüchen 10-11 des Hauptantrags 3" erlaubte.
V. Nach der mündlichen Verhandlung setzte die Einspruchsabteilung das Verfahren schriftlich fort, um eine Klärung der mit der geltend gemachten Übertragung des Einspruchs verbundenen Rechtsfragen zu ermöglichen. Am 23. November 2000 teilte ein Formalprüfer der Generaldirektion 2 des Europäischen Patentamts den Parteien mit, dass die beantragten Änderungen des Namens und der Adresse der Einsprechenden eingetragen worden seien. Mit Bescheid vom 15. Mai 2001 erklärte die Einspruchsabteilung diese Mitteilung des Formalprüfers für aufgehoben und informierte die Parteien über eine entsprechende Berichtigung im Europäischen Patentregister.
VI. In ihrer Zwischenentscheidung vom 12. März 2003 entschied die Einspruchsabteilung, dass die Beschwerdeführerin II weiterhin als Einsprechende zu behandeln sei, da die Einsprechendenstellung nicht auf die Beschwerdeführerin III übergegangen sei. Sie entschied ferner, dass das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hauptantrags 3 vom 27. September 2000 und einer angepassten Beschreibung den Erfordernissen des EPÜ genügt. Der Entscheidung war - außer einer geänderten Beschreibung - ein Anspruchssatz beigefügt, der die durchgestrichene Überschrift "Hauptantrag vom 27.09.00 (HA3)" trug. Dieser Anspruchssatz weist Unterschiede gegenüber dem Anspruchssatz auf, der der Niederschrift über die Verhandlung vom 27. September 2000 als Anlage 12 beigefügt war (s. oben, Abschnitt IV). So enthalten die Ansprüche 10 und 11 des der Entscheidung beigefügten Anspruchssatzes Rückbezüge auf sich selbst, während sich die Ansprüche 10 und 11 des Anspruchssatzes gemäß Anlage 12 der Niederschrift auf die jeweils vorangehenden Ansprüche 9 und 10 zurück beziehen.
VII. Mit Schreiben von 26. März 2003 beantragte die Beschwerdeführerin I die Berichtigung der Zwischenentscheidung gemäß Regel 89 EPÜ. Wegen der laufenden Beschwerdefrist wurde um eine eilige Bearbeitung des Antrags gebeten. Die Einspruchsabteilung reagierte auf diesen Antrag nicht.
VIII. Die Beschwerdeführerinnen I, II und III haben unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühren Beschwerden gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin I die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage ihres in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 27. September 2000 eingereichten Hauptantrags und beantragte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels (Vertauschung der Anträge durch die Einspruchsabteilung).
IX. Am 29. November 2005 fand vor der Beschwerdekammer eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin I mehrfach ihre Anträge änderte. Zu Beginn der Verhandlung beantragte sie, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage eines am 28. November 2003 eingereichten Hauptantrags oder hilfsweise auf der Grundlage der am 24. Oktober 2005 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7 aufrechtzuerhalten. Nachdem die Kammer ihre Auffassung verkündet hatte, dass Anspruch 1 des Hauptantrags die Voraussetzung der Neuheit nicht erfüllt, zog die Beschwerdeführerin I die Hilfsanträge 1 und 2 zurück. Als die Kammer ferner festgestellt hatte, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 nicht die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt, reichte die Beschwerdeführerin I einen geänderten Hilfsantrag 3 ein, der in das Verfahren zugelassen wurde. Nachdem die Kammer ihre Auffassung verkündete, dass der Gegenstand der Ansprüche 8 bis 12 dieses Hilfsantrags erfinderisch sei, nicht aber der Gegenstand des Anspruchs 1, zog die Beschwerdeführerin I ihren Hilfsantrag 4 zurück. Als die Kammer die Auffassung äußerte, dass Ansprüche 1 bis 12, nicht aber Anspruch 13 des Hilfsantrags 5 die Voraussetzungen von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit erfüllen und dass ein durch Streichung von Anspruch 13 geänderter Hilfsantrag 5 in das Verfahren zugelassen werden könnte, reichte die Beschwerdeführerin I einen neuen Hauptantrag, bestehend aus Ansprüchen 1 bis 11, und einen neuen Hilfsantrag 1, bestehend aus Ansprüchen 1 bis 12, ein. Während letzterer dem Hilfsantrag 5, abgesehen von der Streichung des Anspruchs 13, entspricht, enthält der neue Hauptantrag einen unabhängigen Anspruch 1, der keine Entsprechung im Hilfsantrag 5 aufweist, sondern eine Kombination der Ansprüche 1 und 7 des Hilfsantrags 3 darstellt.
X. Die Ansprüche 1, 8 bis 10 und 12 des neuen Hilfsantrags 1 lauten:
"1. Verwendung eines anionischen, nicht-ionischen oder Zwitter-ionischen Detergenz zur Stabilisierung von einzelsträngigen Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen in einem Verfahren zum Nachweis einer Nukleinsäure enthaltend folgende Schritte:
- einzelsträngig machen der Nukleinsäure unter alkalischen Bedingungen;
- Zugabe einer immobilisierbaren oder immobilisierten Fangsonde;
- Hybridisierung der Fangsonde mit der Nukleinsäure unter Immobilisierung der Nukleinsäure über die Fangsonde; und
- Nachweis der Menge an gebildetem immobilisiertem Hybrid;
dadurch gekennzeichnet, dass während der Behandlung unter alkalischen Bedingungen mindestens ein Detergenz aus der Gruppe der anionischen, nicht-ionischen und Zwitter-ionischen Detergentien vorhanden ist, wobei das Einzelsträngigmachen in einem Gefäß aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran vorgenommen wird."
"8. Verwendung eines anionischen, nicht-ionischen oder Zwitter-ionischen Detergenz zur Stabilisierung von einzelsträngigen Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen in Gefäßen aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran."
"9. Reagenzkit zur Immobilisierung einer Nukleinsäure, enthaltend in getrennten Behältern:
- eine für eine zu immobilisierende Nukleinsäure spezifische Fangsonde,
- ein Reagenz enthaltend ein Alkalihydroxid und mindestens ein Detergenz aus der Gruppe der anionischen, nicht-ionischen und Zwitter-ionischen Detergenzien und
- ein Gefäß aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran."
"10. Reagenzkit zum Nachweis einer Nukleinsäure, enthaltend die Komponenten des Reagenzkits nach Anspruch 9, sowie mindestens eine weitere Nukleinsäure, die für die nachzuweisende Nukleinsäure spezifisch ist."
"12. Analysesystem zur automatischen Bestimmung von diagnostischen Parametern in Probenlösungen enthaltend:
mindestens ein Probenaufbewahrungsgefäß aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran in einem Probenrotor, mindestens ein Reagenzaufbewahrungsgefäß auf einem Reagenzrotor enthaltend eine Lösung zur Denaturierung von Nukleinsäuren enthaltend unter alkalischen Bedingungen mindestens ein Detergenz aus der Gruppe der anionischen, nicht-ionischen und Zwitter-ionischen Detergenzien, und mindestens ein Reagenzaufbewahrungsgefäß enthaltend eine immobilisierbare oder immobilisierte parameterspezifische Fangsonde."
Ansprüche 2 bis 7 und Anspruch 11 sind auf besondere Ausführungsformen der in Anspruch 1 bzw. 10 beanspruchten Gegenstände gerichtet.
XI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
(6): Sanchez-Pescador et al. (1989), Antimicrobial Agents and Chemotherapy, Vol. 33, No. 10, S. 1813-1815.
(7): Urdea et al. (1990), in: "Luminescence Immunoassay and Molecular Applications" (Boca Raton, Florida, CRC Press), S. 275-292.
(8): WO 91/19567.
(9): EP 0 317 077 A1.
(11): Running and Urdea (1990), BioTechniques, Vol. 8, No. 3, S. 276-277.
(13): Favaloro et al. (1980), Methods Enzymol., Vol. 65, No. 1, S. 718-749.
(14): EP 0 201 184 A2.
XII. Die schriftlichen und in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin I vorgetragenen entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Die Einsprechendenstellung sei nicht auf die Beschwerdeführerin III übergegangen, so dass ihre Beschwerde unzulässig ist.
- Der neue Hauptantrag sei im Wesentlichen identisch mit dem zuvor während der mündlichen Verhandlung eingereichten geänderten Hilfsantrag 3. Sein Anspruch 1 enthalte lediglich noch die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 7 des geänderten Hilfsantrags 3. Ferner seien die früheren Ansprüche 9 bis 12 umnummeriert worden. Die vorgenommenen Änderungen werfen daher auch in einem späten Verfahrensstadium keine neuen Schwierigkeiten auf.
- Die Neuheit der im neuen Hilfsantrag 1 in den Ansprüchen 1 bis 8 beanspruchten Verwendungen sei im Hinblick auf die in den Entscheidungen G 2/88 (ABl. EPA 1990, 93) und G 6/88 (ABl. EPA 1990, 114) aufgestellten Kriterien gegeben. Auch die Gegenstände der Erzeugnisansprüche 9 bis 12 seien neu.
- Die in den Beispielen 5 bis 7 des Patents beschriebenen Experimente zeigen eindeutig einen stabilisierenden Effekt von Detergenzien aus der Gruppe der anionischen, nichtionischen und zwitterionischen Detergenzien auf einzelsträngige DNS in Gefäßen aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran. Im Hinblick auf die angegebenen Ergebnisse sei insbesondere ein direkter Vergleich mit dem im Dokument (6) beschriebenen Verfahren irrelevant.
- Dokument (13) beschreibe die Verwendung von SDS oder P-40 in verschiedenen Zusammenhängen. Ein erster betreffe die Anwendung in Lösungen zur Aufschließung von Zellen. Bei weiteren Verwendungen bilde SDS den Bestandteil einer Lösung, welche die Wirksamkeit von zuvor zugegebenen, auf doppelsträngige DNS einwirkenden Endonukleasen oder Pankreas-Desoxyribonuklease oder eine Amplifikationsreaktion beendet. Keine dieser Anwendungen lege den stabilisierenden Effekt von SDS auf einzelsträngige DNS in alkalischen Lösungen nahe. Dokument (14) beschreibe die bereits bekannte Verwendung von SDS-haltigen Lösungen zur Lyse (z.B. S. 16, r. Sp., Z. 12-16).
- Die Beschwerdegebühr sei zurückzuerstatten, da die Beschwerde der Beschwerdeführerin I allein dadurch notwendig geworden sei, dass die Einspruchsabteilung bei ihrer schriftlichen Entscheidung eine falsche Antragsfassung hinzugefügt und es ferner unterlassen habe, die unverzüglich beantragte Berichtigung vorzunehmen. Hierin liege eine wesentliche Verfahrensverletzung.
XIII. Die schriftlichen und in der mündlichen Verhandlung von den Beschwerdeführerinnen II und III vorgetragenen entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Die Einsprechendenstellung sei wirksam von der Beschwerdeführerin II auf die Beschwerdeführerin III übertragen worden. Eine der beiden Beschwerdegebühren sei zurückzuerstatten.
- Der kurz vor Ende der mündlichen Verhandlung eingereichte neue Hauptantrag sei nicht zuzulassen, da er, statt Probleme zu lösen, neue Probleme aufwerfe. Insbesondere enthalte er - im Unterschied zum zuvor erörterten Hilfsantrag 5 - erneut, neben dem Verwendungsanspruch 8, Verfahrensansprüche.
- Bei Anwendung der in den Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 von der Großen Beschwerdekammer aufgestellten Kriterien sei der Gegenstand der Ansprüche 8 und 1 bis 7 des neuen Hilfsantrags 1 nicht neu in Hinblick auf die Lehren der Dokumente (6) und (7). Insbesondere stellen die beanspruchten Verwendungen keine neue technische Anwendung dar, sondern beruhen auf der bloßen Entdeckung, dass bei der Ausführung von im Stand der Technik bekannten Verfahren weitere Wirkungen eintreten. Die entdeckte stabilisierende Wirkung der angegebenen Detergenzien auf einzelsträngige DNS korreliere in ihrem Anwendungsbereich wesentlich mit der im Stand der Technik bekannten Verwendung dieser Detergenzien in Verfahren zum Nachweis von Nukleinsäuren. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf die Entscheidungen T 112/92 (ABl. EPA 1994, 192) und T 254/93 (ABl. EPA 1998, 285) zu verweisen.
- Die in den Dokumenten (6) und (7) beschriebenen Verfahren fallen in den Schutzbereich des Anspruchs 8, so dass die Ausführung dieser Verfahren nach Patenterteilung eine Patentverletzung darstellen würde. Die Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 könnten nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Stand der Technik erneut patentiert werden dürfte.
- Um die in den Dokumenten (6) und (7) beschriebenen Verfahren auszuführen, mussten die Autoren dieser Entgegenhaltungen alle in den Ansprüchen 9 bis 11 genannten Reagenzien an ihrem Arbeitsplatz bereitgestellt haben. Das Formulieren von Reagenzkits sei dem Fachmann aus dem Dokument (9) bekannt gewesen. Weiterhin habe der Fachmann insbesondere Reagenzien gekannt, die ein Alkalihydroxid und ein Detergenz aus der angegebenen Gruppe, insbesondere SDS, enthalten.
- Aus dem Dokument (13) sei ersichtlich, dass es Stand der Technik war, SDS zur Steigerung der Aktivität von Proteinase K, einem Enzym, das in Lösungen DNS zersetzende Enzyme deaktiviert, einzusetzen. Eine stabilisierende Wirkung von SDS auf DNS sei dem Fachmann deswegen bekannt gewesen.
- Für solche Verwendungsansprüche, die gemäß den Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 als neu anzusehen sind, habe die Entscheidung T 112/92 das Kriterium aufgestellt, dass ihr Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, wenn sich aus dem Stand der Technik eine feststehende Verbindung zwischen dem früheren und dem späteren Verwendungszweck ergibt. Eine solche feststehende Verbindung zwischen den beanspruchten und den im Stand der Technik bekannten Verwendungen sei hier gegeben.
- Die beanspruchte stabilisierende Wirkung der angegebenen Detergenzien auf einzelsträngige DNS werde im Patent nicht ausreichend dargetan. Es werde lediglich gezeigt, dass man bei Vorhandensein von SDS mehr DNS in alkalischen Lösungen detektieren kann als bei Abwesenheit von SDS. Ferner stellen die in den Beispielen 5 bis 7 beschriebenen Experimente keine Vergleichsversuche gegenüber den im Stand der Technik bekannten Verfahren dar.
XIV. Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin I:
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hauptantrag oder hilfsweise gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hilfsantrag 1 aufrechtzuerhalten,
- die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten,
- die Beschwerde der Beschwerdeführerin III als unzulässig zu verwerfen und
- festzustellen, dass die Einsprechendenstellung nicht auf die Beschwerdeführerin III übertragen worden ist.
Die Beschwerdeführerinnen II und III haben beantragt,
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen, sowie
- eine der beiden entrichteten Beschwerdegebühren zurückzuerstatten.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit der Beschwerden
Beschwerde der Beschwerdeführerin I
1. Eine Beschwerde ist gemäß Artikel 107 Satz 1 EPÜ nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist. Die von der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung für gewährbar erachtete Anspruchsfassung entsprach dem seinerzeitigen Hauptantrag der Beschwerdeführerin I. Jedoch wurde der schriftlich ergangenen Entscheidung ein Anspruchssatz mit der durchgestrichenen Überschrift "Hauptantrag vom 27.09.00 (HA3)" beigefügt, der in Wirklichkeit von dem ausweislich der Verhandlungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung zuletzt gestellten Hauptantrag der Beschwerdeführerin I abweicht (s. oben, Abschnitt IV und VI). Aus dieser Abweichung resultiert eine Beschwer der Beschwerdeführerin I. Ihre Beschwerde ist daher zulässig.
Beschwerden der Beschwerdeführerinnen II und III
2. Die Zulässigkeit einer Beschwerde setzt nach Artikel 107 Satz 1 EPÜ voraus, dass sie von einem Verfahrensbeteiligten eingelegt worden ist. Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführerinnen II und III geltend gemacht, dass die Einsprechendenstellung der Beschwerdeführerin II bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens wirksam auf die Beschwerdeführerin III übergegangen ist, so dass letztere als Verfahrensbeteiligte anzusehen sei. Der Übergang der Einsprechendenstellung ergebe sich daraus, dass sich der Einspruch auf die Geschäftstätigkeit beziehe, die von der Chiron Diagnostics Corporation, einer früheren hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Beschwerdeführerin II, ausgeübt werde, und dass diese Gesellschaft an die Beschwerdeführerin III verkauft worden sei.
3. Der von den Beschwerdeführerinnen II und III vorgetragene Sachverhalt entspricht in wesentlichen Elementen demjenigen, der der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 2/04 (ABl. EPA 2005, 549) zugrunde lag. Auch dort hatte eine Muttergesellschaft den Einspruch ursprünglich im Interesse des Geschäftsbetriebs ihrer Tochtergesellschaft eingelegt und diese später an ein anderes Unternehmen verkauft. Es stellte sich daher ebenso wie hier die Rechtsfrage, ob die Einsprechendenstellung infolge des Verkaufs der Tochtergesellschaft übertragen wurde, wobei dort - im Unterschied zum vorliegenden Sachverhalt - allerdings keine Übertragung an das kaufende Unternehmen, sondern an die verkaufte Tochtergesellschaft selbst geltend gemacht wurde.
4. Die Große Beschwerdekammer hat eine Übertragung der Einsprechendenstellung für die oben genannte Fallkonstellation verneint. Sie hat entschieden, dass die Einsprechendenstellung nicht frei übertragbar ist und dass die Grundsätze der Entscheidung G 4/88 (ABl. EPA 1989, 480) nicht auf den Verkauf einer Tochtergesellschaft anzuwenden sind, in deren Interesse die Muttergesellschaft den Einspruch eingelegt hatte. Ihrer Auffassung nach rechtfertigen die beteiligten Interessen eine solche Analogie nicht. Würde der Einspruch übertragen, stelle sich zusätzlich die Frage, wer der rechtmäßige neue Rechtsinhaber sei, nämlich die neue Muttergesellschaft oder die verkaufte Tochtergesellschaft. Die erste Möglichkeit könne schwerlich als analog zur Entscheidung G 4/88 betrachtet werden, und die zweite liefe der ausdrücklichen Absicht der ursprünglichen Einsprechenden zuwider (G 2/04, Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe).
5. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer eine Übertragung der Einsprechendenstellung der Muttergesellschaft bei Verkauf der Tochtergesellschaft grundsätzlich nicht möglich ist, unabhängig davon, ob die Übertragung auf die Tochtergesellschaft oder - wie hier - auf die neue Muttergesellschaft angestrebt wird. Dies bedeutet, dass die Beschwerdeführerin III durch den Kauf von Chiron Diagnostics Corporation keine Beteiligtenstellung im vorliegenden Einspruchsverfahren erlangen konnte (ebenso bereits für eine entsprechende Fallkonstellation T 711/99, ABl. EPA 2004, 550, Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe). Hieraus folgt, dass die Beschwerde der Beschwerdeführerin II zulässig und diejenige der Beschwerdeführerin III unzulässig ist (vgl. auch T 1137/97 vom 14. Oktober 2002, Nr. 1-6 der Entscheidungsgründe).
Nichtzulassung des neuen Hauptantrags und Zulassung des neuen Hilfsantrags 1 in das Verfahren
6. Die Antragssituation hat sich im Laufe der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer mehrfach geändert, nachdem die Kammer nach Erörterung der Sach- und Rechtslage ihre Auffassung zu bestimmten Fragen mitgeteilt hat (s. oben, Abschnitt IX). Die Beschwerdeführerin I hat alle zu Beginn der Verhandlung gestellten Anträge zurückgenommen, so dass über diese nicht mehr zu entscheiden ist, und kurz vor Ende der mündlichen Verhandlung einen neuen Hauptantrag und einen neuen Hilfsantrag 1 eingereicht. Es ist zu prüfen, ob diese Anträge noch in das Verfahren zuzulassen sind.
7. Nach feststehender Rechtsprechung steht es im Ermessen der Beschwerdekammern, spät eingereichte Anträge zuzulassen (vgl. auch Artikel 10b (1) Satz 1 VerfOBK). Zu den Kriterien, die bei der Ausübung dieses Ermessens zu berücksichtigen sind, zählen insbesondere der Zeitpunkt des Einreichens, die Schwierigkeit und Komplexität der Prüfung sowie der Grund für die späte Einreichung.
8. Im vorliegenden Fall erfolgte die Einreichung der neuen Anträge zu einem äußerst späten Zeitpunkt, nämlich kurz vor Beendigung der mündlichen Verhandlung. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere der ursprünglich gestellten Anträge der Beschwerdeführerin I umfassend behandelt worden. Auch hatte die Kammer einen neuen Antrag in Gestalt des geänderten Hilfsantrags 3 in das Verfahren zugelassen und erörtert. Die Kammer hatte zudem nach Erörterung des ursprünglichen Hilfsantrags 5 ihre Auffassung kundgetan, dass die Ansprüche 1 bis 12 dieses Antrags, nicht aber Anspruch 13 die Voraussetzungen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erfüllen und dass ein durch Streichung des Anspruchs 13 geänderter Hilfsantrag 5 in das Verfahren zugelassen werden könnte.
9. Der neue Hauptantrag der Beschwerdeführerin I enthält im Unterschied zum ursprünglichen Hilfsantrag 5 nicht nur Erzeugnis- und Verwendungsansprüche, sondern auch weitere Verfahrensansprüche, die sich nicht auf Verwendungen richten. Sein unabhängiger Anspruch 1 stellt eine Kombination der Ansprüche 1 und 7 des ursprünglichen Hilfsantrags 3 dar. Die Zulassung des neuen Hauptantrags in das Verfahren würde daher dazu führen, dass sich die Kammer und die Verfahrensbeteiligten kurz vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens in einem weit vorgerückten Stadium der mündlichen Verhandlung mit einem Anspruchsgegenstand zu befassen hätten, der eine erneute umfassende Prüfung der Erfordernisse des EPÜ notwendig machen würde. Hinzu kommt, dass der unmittelbar vor Stellung dieses Antrags erörterte ursprüngliche Hilfsantrag 5 - im Unterschied zum zuvor behandelten Hilfsantrag 3 in seiner ursprünglichen ebenso wie in seiner geänderten Fassung - keine Verfahrensansprüche, die sich nicht auf eine Verwendung richteten, mehr enthalten hatte. Somit würde die Behandlung des neuen Hauptantrags die mündliche Verhandlung gleichsam in ein bereits abgeschlossenes Stadium zurückversetzen.
Besondere Umstände, die die späte Stellung des neuen Hauptantrags in dieser Situation hätten rechtfertigen können, wurden von der Beschwerdeführerin I nicht geltend gemacht.
Aus diesen Erwägungen lehnt die Kammer es in Ausübung ihres Ermessens ab, den neuen Hauptantrag in das Verfahren zuzulassen.
10. Der neue Hilfsantrag 1 der Beschwerdeführerin I ist - mit Ausnahme des gestrichenen Anspruchs 13 - identisch mit dem ursprünglichen Hilfsantrag 5. Seine Behandlung erhöht nicht die Komplexität des Beschwerdeverfahrens und verursacht trotz des weit fortgeschrittenen Stadiums der mündlichen Verhandlung keine Verzögerungen, da die Kammer bereits nach Erörterung des Hilfsantrags 5 die im neuen Hilfsantrag verbliebenen Ansprüche 1 bis 12 für gewährbar erachtet hat. Der neue Hilfsantrag 1 stellt somit eine angemessene Reaktion auf das Ergebnis dieser Erörterung dar und wird deshalb von der Kammer in Ausübung ihres Ermessens in das Verfahren zugelassen.
Hilfsantrag 1
Artikel 84 und 123 (2), (3) EPÜ
11. Da Artikel 84 EPÜ keinen Einspruchsgrund darstellt und die Beschwerdeführerin II den Einspruchsgrund des Artikel 100 c) EPÜ nicht geltend gemacht hat, sind die die Ansprüche des Hilfsantrags 1 hinsichtlich der Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ nur insoweit zu überprüfen, als sie Änderungen gegenüber den erteilten Ansprüchen aufweisen. Im Rahmen des Artikel 123 (3) EPÜ kommt es ebenfalls auf eine Gegenüberstellung der geltend gemachten Ansprüche mit den erteilten Ansprüchen an.
12. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 (oben, Abschnitt X) und die von ihm abhängigen Ansprüche 2 bis 7 unterscheiden sich von den erteilten Ansprüchen 1 bis 5 und 7 bis 8 in zweierlei Hinsicht. Zum einen erstrecken sie sich nicht mehr auf ein näher definiertes Verfahren zum Nachweis einer Nukleinsäure als solches, sondern auf die Verwendung eines bestimmten Stoffes (eines anionischen, nichtionischen oder zwitterionischen Detergenz) zu einem bestimmten Zweck (Stabilisierung von einzelsträngigen Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen) in einem derartigen Verfahren. Zum zweiten enthalten sie das zusätzliche Merkmal, dass das Einzelsträngigmachen (der Nukleinsäure) in einem Gefäß aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran vorgenommen wird. Die Ansprüche 8 bis 12 unterscheiden sich von den ihnen entsprechenden erteilten Ansprüchen 9 und 11 bis 15 ebenfalls dadurch, dass sie auf den Einsatz bzw. das Vorhandensein eines derartigen Gefäßes abstellen.
13. Die Beschwerdeführerin II hat gegen die Ansprüche des Hilfsantrags keine Einwände unter Artikel 84 oder Artikel 123 (2) oder (3) EPÜ erhoben. Auch die Kammer sieht aus folgenden Gründen keine Veranlassung zu solchen Einwänden.
14. Die ursprünglich eingereichte Anmeldung offenbart die Verwendung eines anionischen, nichtionischen oder zwitterionischen Detergenz zur Stabilisierung von einzelsträngigen Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen nicht nur in allgemeiner Form (s. A-Schrift, S. 2, Z. 53-54 und Anspruch 9), sondern auch im Zusammenhang mit Verfahren zum Nachweis einer Nukleinsäure mit den Merkmalen der Ansprüche 1 bis 7 des Hilfsantrags 1 (s. A-Schrift, S. 2, Z. 44-55, S. 4, Z. 31 bis S. 5, Z. 4). Der Einsatz bzw. das Vorhandensein eines Gefäßes aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran ist ebenfalls in der ursprünglichen Beschreibung offenbart (s. A-Schrift, S. 5, Z. 7, Beispiele 6 und 7). Die Kammer erachtet daher die vorgenommenen Änderungen der Ansprüche als in Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ stehend.
15. Auch die Vorschrift des Artikels 123 (3) EPÜ steht der Anspruchsfassung des Hilfsantrags 1 nicht entgegen. Die geänderten Ansprüche sind infolge der Notwendigkeit des Einsatzes bzw. des Vorhandenseins bestimmter Gefäße enger als die erteilten Ansprüche und gehen in ihrem Schutzumfang in keiner Hinsicht über diese hinaus. Dies gilt auch für die Ansprüche 1 bis 7, da sie eine spezifischere Verwendung als die im erteilten Anspruch 9 (oben, Abschnitt II) unter Schutz gestellte zum Gegenstand haben.
16. Die vorgenommenen Änderungen der Ansprüche stehen auch nicht in Widerspruch zu Artikel 84 EPÜ. Zwar ist der geänderte Anspruch 1 infolge der Kumulation von Verwendungsmerkmalen und diese teilweise wiederholenden Verfahrensmerkmalen nicht einfach lesbar. Hinzu kommt, dass der Anspruchssatz in der geänderten Fassung zwei unabhängige Verwendungsansprüche, nämlich Anspruch 1 und Anspruch 8, enthält, von denen letzter den ersten in seinem Schutzbereich umfasst (unten, Punkt 17). Beides mag zwar die Übersichtlichkeit der Ansprüche beeinträchtigen, stellt jedoch nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall keinen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ wegen mangelnder Klarheit dar.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Ansprüche 8 sowie 1 bis 7
17. Anspruch 8 ist auf die Verwendung eines anionischen, nichtionischen oder zwitterionischen Detergenz zur Stabilisierung von einzelsträngigen Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen in Gefäßen aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran gerichtet. Anspruch 1 ist in seinem ersten Teil hiermit identisch - mit Ausnahme des die Gefäße betreffenden Merkmals -, beschränkt aber die beanspruchte Verwendung auf den Einsatz in einem Nukleinsäurenachweisverfahren, das unter anderem dadurch bestimmt wird, dass das Einzelsträngigmachen der Nukleinsäure unter alkalischen Bedingungen erfolgt, dass während der Behandlung unter alkalischen Bedingungen mindestens eines der genannten Detergenzien vorhanden ist und dass das Einzelsträngigmachen in einem der genannten Gefäße vorgenommen wird. Anspruch 1 richtet sich daher ebenso wie Anspruch 8 auf eine Verwendung, mit der eine Stabilisierung der Nukleinsäuren in Gefäßen aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran bezweckt wird und wird von Anspruch voll umfasst. Dies bedeutet, dass die Kammer bei der Neuheitsprüfung zweckmäßigerweise nicht von Anspruch 1, sondern von dem umfassenderen Anspruch 8 auszugehen hat.
18. Ein Anspruch, der auf die Verwendung eines bekannten Stoffes für einen bestimmten Zweck gerichtet ist, welcher auf einer in dem Patent beschriebenen Wirkung beruht, ist nach feststehender Beschwerderechtsprechung dahin gehend auszulegen, dass er diese technische Wirkung als funktionelles Merkmal enthält (G 2/88, ABl. EPA 1990, 93, Entscheidungsformel (iii) und G 6/88, ABl. EPA 1990, 114, Entscheidungsformel). Dies bedeutet, dass der hier zu beurteilende Anspruch 8 das funktionelle Merkmal einer stabilisierenden Wirkung des Detergenz auf einzelsträngige Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen in Gefäßen aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran aufweist.
Stand der Technik
19. Die Beschwerdeführerin II hat ihre Neuheitseinwände in erster Linie auf die Dokumente (6) und (7) gestützt.
20. Dokument (6) beschreibt einen Nukleinsäureassay zum Nachweis von Bakterien mit tetM-vermittelter Tetracyclinresistenz. Dabei werden Zellen einer Lysebehandlung in einem "Immulon II well" unterzogen, wobei die Lyselösung unter anderem Proteinase K und SDS enthält. Bei einem "Immulon II well" handelt es sich, wie von der Beschwerdeführerin II unwidersprochen vorgetragen, um ein Gefäß aus Polystyrol (s. auch Dokument (11), S. 276). SDS ist eine Kurzbezeichnung für Natriumlaurylsulphat, ein anionisches Detergenz (s. S. 4, Z. 44 der Patentschrift). Es wird sodann eine Lösung zugegeben, die neben Fangsonden auch NaOH enthält. Folglich kommt es zu einer Denaturierung der vorhandenen, durch die Lyse freigesetzten DNS, d.h. zur Erzeugung von einzelsträngiger DNS, wobei das SDS offenbar noch vorhanden ist. Eine stabilisierende Wirkung von SDS auf die einzelsträngigen Nukleinsäuren in den alkalischen Lösungen wird in Dokument (6) nicht erwähnt.
21. Dokument (7) beschreibt ein Verfahren zur Detektierung von Hepatitis B-Virus (vgl. insbesondere S. 279, letzter Absatz), das in seinen wesentlichen Merkmalen dem in Dokument (6) beschriebenen entspricht: Zunächst wird eine Serumprobe in einem Immulon 2 Remova-Well (s. S. 278, vorletzter Absatz) mit Proteinase K und SDS aufgeschlossen. Der Lyselösung, welche doppelsträngige DNS enthält, werden dann NaOH und Fangsonden zugegeben. Dieser Schritt führt zu einer Denaturierung der DNS und folglich zum Vorhandensein einzelsträngiger Nukleinsäuren. Die Möglichkeit, einzelsträngige Nukleinsäuren durch Detergenzien zu stabilisieren, wird in Dokument (7) nicht erwähnt.
22. Dem Fachmann waren somit aus dem Stand der Technik Verfahren bekannt, bei denen in einem Gefäß aus Polystyrol ein anionisches Detergenz als Bestandteil einer Lyselösung zum Aufschließen von Zellen, d.h. zum Freisetzen von doppelsträngiger DNS, verwendet wird und zum späteren Zeitpunkt des Einzelsträngigmachens der DNS in alkalischen Lösungen noch vorhanden ist. Es fehlte jedoch jegliche Information darüber, dass das Detergenz beim Einzelsträngigmachen oder danach eine besondere Funktion auszuüben vermag.
23. Die Beschwerdeführerin II hat vorgetragen, dass der Fachmann diese Information aufgrund seines allgemeinen Fachwissens mitlesen würde, und in diesem Zusammenhang auf das Dokument (13) verwiesen. Dieses Dokument zeige, SDS zur Steigerung der Aktivität von Proteinase K, einem Enzym, das in Lösungen DNS zersetzende Enzyme deaktiviert, einzusetzen. Eine stabilisierende Wirkung von SDS auf DNS sei dem Fachmann deswegen bekannt gewesen.
Dokument (13) beschreibt die Verwendung von Detergenzien in verschiedenen Zusammenhängen. Einer von ihnen ist der Einsatz in Lösungen zur Aufschließung von Zellen zwecks Freisetzung doppelsträngiger DNS (sogenante Hirt-Mischung oder Lyse-Lösung, siehe S. 720, Z. 1 und 18). Dieser Verwendungszweck, der auch in den Verfahren gemäß den Dokumenten (6) und (7) verfolgt wird, unterscheidet sich von dem Zweck der Stabilisierung einzelsträngiger DNS.
Bei anderen im Dokument (13) beschriebenen Verwendungen (S. 723, 1. Absatz und S. 727) bildet SDS den Bestandteil von Lösungen, welcher - etwa durch Erhöhung der Aktivität der Proteinase K - die Wirkung zuvor zugegebener, auf doppelsträngige DNS einwirkender Enzyme (Endonukleasen bzw. Pankreas-Desoxyribonuklease) beendet. Des Weiteren wird SDS gemäß Dokument (13) (S. 725) eingesetzt, um eine Amplifikationsreaktion zu beenden. Keine dieser Verwendungen bezieht sich jedoch auf einzelsträngige DNS, so dass keine von ihnen einen stabilisierenden Effekt von SDS auf einzelsträngige DNS in alkalischen Lösungen beschreibt.
24. Die Kammer geht daher davon aus, dass der die Dokumente (6) oder (7) lesende Fachmann das Vorhandensein des Detergenz beim Einzelsträngigmachen darauf zurückführen würde, dass die alkalische Denaturierung nach dem Lysevorgang direkt in der das Detergenz (noch) enthaltenden Lyselösung vorgenommen wird, d.h. er würde das Detergenz als ein Überbleibsel aus einem vorausgegangenen Verfahrensschritt ansehen und ihm keine weitere Funktion in dem späteren Verfahrensschritt des Einzelsträngigmachens zumessen.
Selbst wenn man zugunsten der Beschwerdeführerin II davon ausgehen würde, dass im Rahmen der Neuheitsprüfung nicht nur die den Dokumenten (6) oder (7) bei ihrer Lektüre direkt entnehmbaren Informationen zu berücksichtigen sind, sondern auch solche, die sich bei der Nacharbeitung der beschriebenen Verfahren zwangsläufig ergeben, so fehlt hier jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der nacharbeitende Fachmann eine stabilisierende Wirkung auf die einzelsträngige DNS hätte erkennen können, oder gar dafür, dass er dies ohne weiteres und zwangsläufig getan hätte. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die in den Dokumenten (6) und (7) beschriebenen Protokolle fixe und relativ kurze Standzeiten der alkalisch denaturierten Nukleinsäureproben vorschreiben. So wird die Standzeit im Dokument (6), S. 1813, r. Sp., Z. 8-15, mit 20 Minuten und im Dokument (7), S. 279, letzter Absatz, mit 10 Minuten angegeben. Des Weiteren wird in beiden Dokumenten eine qualitative, keine quantitative Nukleinsäurebestimmung vorgenommen, so dass die Stabilität der einzelsträngigen Nukleinsäuren in den alkalischen Lösungen eine untergeordnete Rolle spielen dürfte.
25. Die Beschwerdeführerin II hat geltend gemacht, dass die Grundsatzentscheidungen G 2/88 und G 6/88 nur dann die Neuheit einer beanspruchten Verwendung eines Erzeugnisses rechtfertigen können, wenn diese sich tatsächlich gegenüber bereits bekannten Verwendungen des Erzeugnisses abgrenzen lässt. In der Tat ist in der Beschwerderechtsprechung des EPA wiederholt hervorgehoben worden, dass eine beanspruchte technische Lehre nicht als neu anzusehen sei, wenn sie lediglich eine bereits bekannte Wirkung erklärt (vgl. T 254/93, ABl. EPA 1998, 285) oder wenn die neu entdeckte technische Wirkung der bekannten Verwendung des bekannten Stoffs bereits zugrunde gelegen hat (vgl. T 892/94, ABl. EPA 2000, 1).
Eine solche Situation ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Wirkung der im Anspruch genannten Detergenzien, einzelsträngige Nukleinsäuren unter alkalischen Bedingungen in den genannten Gefäßen zu stabilisieren, ist, wie bereits dargelegt, nicht im Stand der Technik offenbart gewesen. Sie lag auch nicht bereits einem im Stand der Technik befindlichen Verfahren zugrunde, da sich die Verwendung von Detergenzien als Bestandteil einer Lyselösung prinzipiell deutlich von einer Verwendung zur Stabilisierung einzelsträngiger DNS unterscheidet. Zum einen ist es möglich, dass eine Lysebehandlung ohne Stabilisierung einzelsträngiger DNS erfolgt, oder dass einzelsträngige DNS stabilisiert wird, ohne dass zuvor eine Lysebehandlung erfolgt. Zum anderen tritt bei einem Verfahren, bei dem Detergenzien nicht nur zur Lysebehandlung, sondern auch zur Stabilisierung denaturierter DNS eingesetzt werden, die jeweilige Wirkung in unterschiedlichen Verfahrensstadien ein. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die technische Wirkung der Stabilisierung einzelsträngiger DNS, die den zu prüfenden Anspruch als funktionelles Merkmal kennzeichnet, der im Stand der Technik beschriebenen Verwendung als Bestandteil einer Lyselösung bereits zugrunde lag.
26. Die Beschwerdeführerin II hat ferner argumentiert, dass die Gewährung der Verwendungsansprüche im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis führe, dass der Stand der Technik noch einmal patentiert werde, da derjenige, der diesen nacharbeite, nunmehr unter das Verbotsrecht des Patents fallen werde. Zwar ist davon auszugehen, dass bei der Anwendung der Lehre der Dokumente (6) oder (7) das als Überbleibsel aus dem vorangegangenen Lyseschritt noch vorhandene SDS eine stabilisierende Wirkung auf die einzelsträngige DNS auszuüben vermag (vgl. unten Punkt 36). Diese Wirkung ist jedoch, wie bereits oben erörtert, von den Verfassern der Dokumente (6) und (7) weder erkannt noch genutzt worden.
Die Tatsache, dass die einer beanspruchten Verwendung zugrunde liegende Wirkung bereits in einer der Öffentlichkeit zugänglichen Lehre inhärent enthalten gewesen war, ist nach dem EPÜ grundsätzlich nicht ausreichend, um dieser Verwendung die Neuheit abzusprechen (G 2/88, Punkt 10.1 und 10.2 der Entscheidungsgründe). Auch wenn die Patentierung einer solchen Verwendung im Einzelfall dazu führen kann, dass eine vom Stand der Technik gelehrte Handlungsweise zu einer Verletzung wird, wenn sie im Lichte des durch die patentierte Erfindung vermittelten neuen technischen Wissens (auch) zu dem neuen Zweck vorgenommen wird, so ist dies nach der einschlägigen Beschwerderechtsprechung im Rahmen der Neuheitsprüfung hinzunehmen (G 2/88, Punkt 10.1 der Entscheidungsgründe). Es ist Sache der Verletzungsgerichte, anhand aller objektiven - und möglicherweise auch subjektiven - Merkmale darüber zu entscheiden, ob eine bestimmte Tätigkeit die Merkmale der patentierten Verwendung verwirklicht und ob sich der Angegriffene eventuell auf ein die Wirkung des Patents beschränkendes Vorbenutzungsrecht berufen kann.
27. Die Kammer gelangt somit zu dem Schluss, dass Anspruch 8 dem Erfordernis der Neuheit genügt.
28. Die Ansprüche 1 bis 7 richten sich auf Verwendungen, die, verglichen mit Anspruch 8, weitere einschränkende Merkmale aufweisen (s. oben, Punkt 17). Die Neuheit dieser Verwendungen ergibt sich daher unmittelbar aus der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 8.
Ansprüche 9 bis 12
29. Ansprüche 9 bis 11 richten sich auf Reagenzkits mit getrennten Behältern, die neben weiteren Bestandteilen (spezifische Fangsonde, Gefäß aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran) ein Reagenz enthalten, das ein Alkalihydroxid und mindestens ein anionisches, nichtionisches oder zwitterionisches Detergenz enthält. Auch das Analysesystem nach Anspruch 12 weist neben weiteren Komponenten (Probenaufbewahrungsgefäß aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran in einem Probenrotor, Reagenzaufbewahrungsgefäß enthaltend eine parameterspezifische Fangsonde) mindestens ein Reagenzaufbewahrungsgefäß auf einem Reagenzrotor mit einer Lösung zur Denaturierung von Nukleinsäuren auf, die unter alkalischen Bedingungen mindestens ein anionisches, nichtionisches oder zwitterionischen Detergenz enthält.
30. Weder die Dokumente (6) und (7) noch die weiteren Dokumente (13) und (14), die von der Beschwerdeführerin II als wesentlich für die Prüfung der Neuheit der Gegenstände der Ansprüche 9 bis 12 angesehen werden, beschreiben Reagenzkits oder Analysesysteme, die in Kombination mit den übrigen oben genannten Komponenten ein Reagenz oder eine Lösung gemäß den obigen Ansprüchen enthalten. Das weitere Argument der Beschwerdeführerin II, dass die Autoren der Dokumente (6) und (7) alle genannten Komponenten an ihrem Arbeitsplatz bereitgestellt haben mussten, erachtet die Kammer nicht für überzeugend. Da ein Reagenzkit durch ein enges räumliches Nebeneinander und ein spezifisches Zusammenfassen der in ihm enthaltenen Komponenten charakterisiert wird, wird es durch die mögliche Tatsache, dass seine Komponenten unter zahlreichen weiteren Reagenzien und sonstigen Laborgegenständen im gleichen Raum vorhanden waren, nicht vorweggenommen. Somit sind die Reagenzkits der Ansprüche 9 bis 11 und das Analysesystem des Anspruchs 12 als neu anzusehen.
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Ansprüche 1 bis 8
31. Bei der Prüfung der Verwendungsansprüche des Hilfsantrags 1 auf erfinderische Tätigkeit geht die Kammer, ebenso wie bei der Neuheitsprüfung (oben, Punkt 17), zweckmäßigerweise von Anspruch 8 als dem weitesten dieser Ansprüche aus. Dieser Anspruch betrifft die Verwendung bestimmter Detergenzien zur Stabilisierung von einzelsträngigen Nukleinsäuren in alkalischen Lösungen in Gefäßen aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran. Der Patentschrift ist auf Seite 4, Zeilen 51 bis 53, zu entnehmen, dass dank dieser Stabilisierung die Bedingungen für das Einzelsträngigmachen zwischen einer Minute und acht Stunden aufrechterhalten werden können, ohne dass eine merkliche Zersetzung der Nukleinsäuren stattfindet. Dies ermögliche es unter anderem, automatisierte Analyseverfahren auszuführen, bei denen die Standzeiten der gefüllten Probenaufbewahrungsgefäße von Gefäß zu Gefäß variieren und somit die Zeiten der Behandlung mit Alkali systembedingt unterschiedlich lang sind (siehe Patentschrift, S. 5, Z. 2-4).
32. Gemäß dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz, der in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit angewandt wird, ist zunächst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln. Dieser wird in der Regel durch ein Dokument gebildet, welches einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 4. Aufl., S. 118). Im vorliegenden Fall bereitet die Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik nach diesem Prinzip allerdings erhebliche Schwierigkeiten, da keines der im Verfahren befindlichen Dokumente des Stands der Technik eine Stabilisierung einzelsträngiger DNS in alkalischen Lösungen beschreibt. Auch in der Beschreibungseinleitung der Patentschrift wird keine derartige Stabilisierung als vorbekannt beschrieben, sondern lediglich auf die Verwendung eines Puffers zur Stabilisierung von DNS (im Allgemeinen) in neutraler oder leicht saurer bzw. basischer Lösung, sowie auf die Stabilisierung von DNS durch Aufbewahrung in Wasser, Lyophilisierung, Einfrieren bei -20ºC oder Lagerung als Ethanolpräzipitat bei -20ºC hingewiesen (siehe S. 2, Z. 28-30). Im vorliegenden Fall ist es daher nach Auffassung der Kammer angemessen, jenes Dokument als nächstliegenden Stand der Technik auszuwählen, dass aufgrund gemeinsamer technischer Merkmale mit der beanspruchten Erfindung das erfolgversprechendste Sprungbrett zu ihr darstellt.
33. In Dokument (6) wird, wie bereits erörtert (oben, Punkt 20 und 24), ein Verfahren beschrieben, bei dem DNS in einer alkalischen Lösung während eines Zeitraums von 20 Minuten in einem Gefäß aus Polystyrol einzelsträngig gemacht wird. In der Lösung ist auch ein anionisches Detergenz vorhanden, das in einem früheren Verfahrensschritt als Bestandteil einer Lyselösung zum Aufschließen von Zellen hinzugegeben worden ist. Dabei übt das Detergenz, wie die vorliegende Erfindung aufzeigt, eine zum Prioritätszeitpunkt nicht erkannte stabilisierende Wirkung auf die einzelsträngige DNS aus. Aufgrund dieser gemeinsamen Merkmale betrachtet die Kammer das Dokument (6) als nächstliegenden Stand der Technik.
34. Es stellt sich somit die Frage, ob der Fachmann, wenn er sich ausgehend vom Dokument (6) die Aufgabe gestellt hätte, die entstehende einzelsträngige DNS möglichst vollständig zu erhalten, d.h. sie zu stabilisieren, zu der beanspruchten Lösung gelangt wäre, ohne erfinderisch tätig zu werden. Dies wäre dann anzunehmen, wenn der Fachmann in naheliegender Weise erkannt hätte, dass das aufgrund eines früheren Verfahrensschrittes noch vorhandene anionische Detergenz eine derartige stabilisierende Wirkung ausübt, oder wenn er aufgrund weiteren Standes der Technik eines der im Anspruch 8 genannten Detergenzien als mögliches Stabilisierungsmittel in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen hätte.
35. Wie bereits oben (Punkt 24) ausgeführt, enthält das Dokument (6) keinerlei Information darüber, dass das Vorhandensein des anionischen Detergenz SDS als Überbleibsel aus der Lyselösung dem Zweck zu dienen vermag, die entstehende einzelsträngige DNS zu stabilisieren. Angesichts der fixen und relativ kurzen Standzeiten der alkalisch denaturierten Nukleinsäureproben und angesichts des Umstandes, dass das Ziel des Verfahrens nach Dokument (6) eine qualitative, nicht eine quantitative Nukleinsäurebestimmung war, konnte der Fachmann auch weder aufgrund der in diesem Dokument gegebenen technischen Informationen noch durch eine Nacharbeitung des beschriebenen Verfahrens in naheliegender Weise eine derartige stabilisierende Wirkung erkennen.
Die Beschwerdeführerin II hat sich auf die Entscheidung T 112/92 (Abl. EPA 1994, 192) berufen, in der festgestellt wurde, dass ein Verwendungsanspruch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, wenn sich aus dem Stand der Technik eine feststehende Verbindung zwischen dem früheren und dem späteren Verwendungszweck ergibt (siehe auch T 1028/93 vom 8. Februar 1996, Punkt 3.3.4 der Entscheidungsgründe). Jedoch fehlt es, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, im vorliegenden Fall gerade an einer solchen feststehenden Verbindung.
Die Kammer stellt ferner fest, dass keines der übrigen im Verfahren befindlichen Dokumente die Information enthält, dass die im Anspruch 8 genannten Detergenzien eine stabilisierende Wirkung auf einzelsträngige DNS ausüben können. Daher hätte der Fachmann, selbst wenn er eines dieser Dokumente mit dem Dokument (6) kombiniert hätte, die beanspruchte Verwendung nicht auf naheliegende Weise gefunden.
36. Es bleibt schließlich noch zu klären, ob der Gegenstand des Anspruchs 8 die oben unter Punkt 34 definierte Aufgabe löst. Nach Auffassung der Kammer belegen die in den Beispielen 5 bis 7 aufgeführten Daten in aussagekräftiger Weise einen stabilisierenden Effekt von Detergenzien aus der Gruppe der anionischen, nichtionischen und zwitterionischen Detergenzien auf einzelsträngige DNS in Gefäßen aus Polystyrol, Polyethylen oder Luran. Somit wird die gestellte Aufgabe durch die Verwendung gemäß Anspruch 8 gelöst.
37. Angesichts der obigen Ausführungen erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 8 somit die Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit. Das gleiche gilt für die gegenüber Anspruch 8 beschränkteren Gegenstände der Ansprüche 1 bis 7.
Ansprüche 9 bis 11
38. Ansprüche 9 bis 11 richten sich auf bestimmte Reagenzkits zur Immobilisierung einer Nukleinsäure. Die Kammer geht in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beschwerdeführerin II davon aus, dass für diese Gegenstände das Dokument (9) den nächstliegenden Stand der Technik bildet. Dort werden z.B. auf Seite 14, Zeilen 5 bis 12, Kits für Hybridisierungsassays für amplifizierte Nukleinsäuren beschrieben, die typischerweise in getrennten Behältern unter anderem eine Fangsonde, eine zur Immobilisierung des Analyts bestimmte Festphase und ein Denaturierungsreagenz enthalten. Als Beispiel für ein Denaturierungsreagenz wird Alkalihydroxid aufgeführt (s. S. 12, Z. 15-16). Von diesen Kits des Standes der Technik unterscheiden sich die Reagenzkits der Ansprüche 9 bis 11 insbesondere dadurch, dass die Alkalihydroxid-Lösung ein anionisches, nichtionisches oder zwitterionisches Detergenz enthält. Es ist deshalb zu prüfen, ob im Stand der Technik Analyseverfahren beschrieben werden, die den Fachmann in naheliegender Weise veranlassen würden, die aus dem Dokument (9) bekannten Kits so zu modifizieren, dass er zu den beanspruchten Kits gelangt. Da die der Kammer vorliegenden Dokumente weder eine stabilisierende Wirkung noch andere Vorteile der anspruchsgemäßen Detergenzien in Hinblick auf einzelsträngige DNS offenbaren, fehlte dem Fachmann jegliche Anregung, dem Denaturierungsreagenz der Kits des Standes der Technik ein derartiges Detergenz hinzufügen.
Die Gegenstände der Ansprüche 9 bis 11 lassen sich somit nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ableiten. Sie genügen daher dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit.
Anspruch 12
39. Anspruch 12 ist auf ein näher definiertes Analysesystem zur automatischen Bestimmung von diagnostischen Parametern in Probenlösungen gerichtet. Gegenüber diesem Gegenstand bildet Dokument (8), das unter anderem die Automatisierung von DNS-Analyse-Assays beschreibt, den nächstliegenden Stand der Technik (s. insbesondere S. 22, Z. 24 ff. sowie Figur 13). Der Denaturierungsschritt erfolgt entweder durch Hitze (s. z.B. S. 25, Z. 19 ff.) oder durch ein lediglich allgemein beschriebenes Denaturierungsmittel (s. z.B. Anspruch 13). Von diesen in Dokument (8) dargestellten Analysesystemen unterscheidet sich das den Gegenstand von Anspruch 12 bildende Analysesystem insbesondere dadurch, dass es mindestens ein Reagenzaufbewahrungsgefäß mit einer Denaturierungslösung, die ein anionisches, nichtionisches oder zwitterionisches Detergenz enthält, aufweist. Es ist deshalb zu prüfen, ob sich aus dem sonstigen Stand der Technik Anregungen ergeben, die den Fachmann in naheliegender Weise veranlassen würden, bei den Analysesystemen gemäß Dokument (8) Reagenzaufbewahrungsgefäße mit einer derartigen Denaturierungslösung vorzusehen. Wie bereits oben im Zusammenhang mit den Ansprüchen 9 bis 11 dargelegt, offenbart keines der im Verfahren befindlichen Dokumente eine stabilisierende Wirkung der anspruchsgemäßen Detergenzien oder andere Vorteile in Hinblick auf einzelsträngige DNS. Der Fachmann hatte daher auch im vorliegenden Zusammenhang keine Anregung zu einer entsprechenden Modifizierung des Standes der Technik.
Der Gegenstand des Anspruchs 12 lässt sich somit nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ableiten und genügt daher dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit.
Anträge auf Rückerstattung von Beschwerdegebühren
Antrag der Beschwerdeführerin I
40. Gemäß Regel 67 EPÜ wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet, wenn der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
41. Anlass für die Beschwerde der Beschwerdeführerin I war der Umstand, dass die Einspruchsabteilung ihrer Entscheidung einen Anspruchssatz beifügte - und damit zugrunde legte -, der von dem in der mündlichen Verhandlung zuletzt gestellten seinerzeitigen Hauptantrag ("HA3") der Beschwerdeführerin I abwich (oben, Abschnitt VI). Dies stellt einen Verstoß gegen das in Artikel 113 (2) EPÜ verankerte Gebot dar, dass sich das Europäische Patentamt bei Entscheidungen über europäische Patente an die vom Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten hat. Ein solcher Verstoß bedeutet einen wesentlichen Verfahrensmangel, selbst wenn er, wie es im vorliegenden Fall wahrscheinlich ist, auf ein versehentliches Vertauschen von Unterlagen zurückgeht und durch den beträchtlichen Zeitraum von mehr als zwei Jahren zwischen der mündlichen Verhandlung und der schriftlich getroffenen Entscheidung mitverursacht worden ist.
42. Erschwerend kommt hinzu, dass die Einspruchsabteilung aufgrund des von der Beschwerdeführerin I unverzüglich gestellten Berichtigungsantrags die Gelegenheit erhalten hatte, die Entscheidung nach Regel 89 EPÜ zu berichtigen, falls ihr tatsächlich ein Versehen zugrunde lag. Die Einspruchsabteilung blieb jedoch untätig und ließ diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen, so dass sich die Beschwerdeführerin I zur Einlegung der Beschwerde gezwungen sah.
43. Das mit der Beschwerde verfolgte Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin I bestand darin, die durch den Verfahrensmangel entstandene Abweichung zwischen den Ansprüchen ihres seinerzeitigen Hauptantrags und dem der Entscheidung beigefügten Anspruchssatz zu beseitigen. Die Abweichung betraf die Rückbezüge der abhängigen Ansprüche 10 und 11 des seinerzeitigen Hauptantrags. Dieses Rechtsbegehren ist erfolgreich gewesen, da die von der Kammer für gewährbar erachteten Ansprüche 9 und 10 den Ansprüchen 10 und 11 des seinerzeitigen Hauptantrags entsprechen und die von der Beschwerdeführerin I angestrebten korrekten Rückbezüge aufweisen. Ihrer Beschwerde ist daher im Sinne von Regel 67 EPÜ stattgegeben worden, obwohl sie, betrachtet man den Ausgang des Beschwerdeverfahrens insgesamt, nicht in vollem Umfang obsiegt hat. Die Voraussetzungen der Regel 67 EPÜ sind somit hinsichtlich der Beschwerde der Beschwerdeführerin I erfüllt, so dass die von ihr entrichtete Beschwerdegebühr zurückzuerstatten ist.
Antrag der Beschwerdeführerinnen II und III
44. Die Beschwerdeführerinnen II und III haben beantragt, dass eine der beiden von ihnen entrichteten Beschwerdegebühren zurückerstattet wird. Hintergrund dieses Antrags ist, dass die beiden Beschwerden in nahezu identischer Form eingelegt und begründet wurden und diese zweifache Beschwerdeeinlegung nur deshalb erfolgte, weil wegen der geltend gemachten Übertragung der Einsprechendenstellung an die Beschwerdeführerin III eine rechtliche Unsicherheit über die Identität des zur Einlegung der Beschwerde nach Artikel 107 Satz 1 EPÜ befugten Verfahrensbeteiligten bestand.
45. Wie sich aus den beiden Beschwerdeschriften unzweifelhaft ergibt, entsprach es der Absicht der Beschwerdeführerinnen II und III, zwei selbstständige separate Beschwerden einzureichen. Der Sachverhalt unterscheidet sich in diesem Punkt von dem der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 2/04 zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem eine (einzige) Beschwerde im Namen einer Person und hilfsweise im Namen einer anderen Person eingereicht wurde. Angesichts der Eindeutigkeit der prozessualen Erklärungen der Beschwerdeführerinnen II und III können diese nicht so ausgelegt werden, dass in Wirklichkeit nur eine Beschwerde eingelegt werden sollte und daher auch nur eine Beschwerdegebühr zu entrichten war. Die Kammer kann somit nicht die Erstattung einer der beiden entrichteten Beschwerdegebühren aus dem Grunde anordnen, dass die Gebührenzahlung ohne Rechtsgrund erfolgt ist.
46. Es bleibt für jede der beiden Beschwerden zu prüfen, ob eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr aus den in Regel 67 EPÜ genannten Gründen zu erfolgen hat.
Wie bereits festgestellt (oben, Punkt 5), ist die Beschwerde der Beschwerdeführerin III als unzulässig zu verwerfen. Da ihr nicht stattgegeben werden kann, ist eine der Voraussetzungen der Regel 67 EPÜ nicht erfüllt. Die von der Beschwerdeführerin III entrichtete Beschwerdegebühr ist daher nicht zurückzuerstatten.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin II ist zwar teilweise erfolgreich, da die Fassung, in der das Patent aufrechtzuerhalten ist, zusätzlich zu den im erstinstanzlichen Verfahren vorgenommenen Änderungen weitere Änderungen der Patentansprüche aufweist. Jedoch besteht zwischen dem oben (Punkt 41 und 42) festgestellten wesentlichen Verfahrensmangel und der Einlegung der Beschwerde kein Kausalzusammenhang. Wie sich aus der Beschwerdebegründung und dem weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin II ergibt, richtete sich ihre Beschwerde gegen das materiellrechtliche Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung, wonach die Voraussetzungen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit als erfüllt anzusehen waren, nicht gegen den Verfahrensmangel als solchen, nämlich die Zugrundelegung eines der Antragslage nicht entsprechenden Anspruchssatzes in der Entscheidung. Aufgrund dieses fehlenden Kausalzusammenhangs zwischen Verfahrensmangel und Beschwerde entspricht eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr nicht der Billigkeit im Sinne von Regel 67 EPÜ, so dass der entsprechende Antrag der Beschwerdeführerin II zurückzuweisen ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin III wird als unzulässig verworfen.
2. Es wird festgestellt, dass die Einsprechendenstellung nicht auf die Beschwerdeführerin III übertragen worden ist.
3. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
4. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 12 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1 und einer anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.
5. Die von der Beschwerdeführerin I entrichtete Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.
6. Der Antrag der Beschwerdeführerinnen II und III auf Rückerstattung einer Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.