T 0111/01 () of 3.6.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T011101.20020603
Datum der Entscheidung: 03 Juni 2002
Aktenzeichen: T 0111/01
Anmeldenummer: 93105361.5
IPC-Klasse: A47B 49/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Eckschrank
Name des Anmelders: Ninkaplast GmbH
Name des Einsprechenden: Hetal-Werke Franz Hettich GmbH & Co.
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 69
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0002/83
T 0219/87
T 0200/94
T 0455/94
T 0396/99
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat am 19. Januar 2001 gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 19. Dezember 2000 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet und am 7. April 2001 die Beschwerde schriftlich begründet.

II. In der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung dem Hauptantrag der Patentinhaberin (Zurückweisung des Einspruchs) nicht stattgegeben mit der Begründung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung, ausgehend von der D1 oder der D9 in Verbindung mit der D5, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a), 56 EPÜ) beruhe.

III. Die Beschwerdeführerin begründet ihre Beschwerde im wesentlichen damit, daß es zwar bekannt sei, Schränke in einem Stück aus Blech auszubilden (D5) und auch die Seitenwände aus Spanplatten mit einer gesonderten Rückwand herzustellen (D9 oder D1), daß es aber nicht üblich und nicht naheliegend sei, nur die Seitenwände aus Blech zu bilden und an denen die Rückwand zu befestigen.

IV. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) vertritt die Ansicht, daß die Ausbildung der Seitenwände einschließlich zugehöriger Befestigungsorgane für die Rückwand als Blechteile, die in der Patentschrift gestellte Aufgabe nicht lösen würde, weil der Begriff "Blech" nichts über die Wandstärke aussage und daher die beanspruchten Seitenwände nicht zwangsläufig dünnwandig seien.

Ferner ist sie der Ansicht, daß aus der D9 ein Eckschrank, der die in der Patentschrift gestellte Aufgabe löst, bekannt sei, aus der D5 die Verwendung von Blech für die Seitenwände von Schränken bekannt sei und daß daher der Materialaustausch Blech gegen Spanplatte für einen Fachmann auf der Hand liege, wenn er aus irgendeinem Grund Blech als Material für die Seitenwände vorziehen sollte.

Schließlich würde in der D9 und in der D1 nicht angegeben, welches Material zu verwenden sei und somit bestehe auch die Möglichkeit für den Fachmann Blech in Erwägung zu ziehen.

V. Am 3. Juni 2002 fand eine mündliche Verhandlung statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte

- in einem Hauptantrag: die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in unveränderter Form aufrechtzuerhalten,

- in Hilfsanträgen I und II das Patent auf der Basis der mit Schreiben vom 17. April 2002 eingereichten Ansprüche 1 aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VI. Folgende Entgegenhaltungen haben während des Beschwerdeverfahrens eine Rolle gespielt:

D1: DE-U-7 736 498

D5: US-A-2 698 776

D6: US-A-2 795 474

D7: US-A-2 803 513

D9: DE-U-9 014 366.

VII. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags (wie erteilt) lautet wie folgt:

"Eckschrank mit an die Türöffnung (18) angrenzenden Seitenwänden (16), die durch eine gewölbte Rückwand (14), den Boden (12) des Eckschrankes und am oberen Ende durch einen Lagerträger (22) miteinander verbunden sind, und mit einem Beschlag (34, 36), durch den die Tür (32) und wenigstens ein Fachboden (30) drehbar an einer am Boden (12) und an dem Lagerträger (22) gelagerten Achse (26) gehalten sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Seitenwände einschließlich zugehöriger Befestigungsorgane (46) für die Rückwand (14) als Blechteile (16) ausgebildet sind".

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit (Hauptantrag)

Nach Auffassung der Kammer offenbart keine der Entgegenhaltungen alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1. Die Neuheit wird von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) nicht bestritten.

Die Neuheit ist gegeben.

3. Nächstkommender Stand der Technik

3.1. Beide Parteien gehen von der D9 als nächstkommender Stand der Technik aus. Dem kann sich die Kammer anschließen.

3.2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom dem der D9 dadurch, daß die Seitenwände einschließlich zugehöriger Befestigungsorgane für die Rückwand als Blechteile ausgebildet sind.

4. Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag)

4.1. Von der D9 ausgehend ist die Aufgabe darin zu sehen, eine Alternative zu der in D9 offenbarten Lösung zu finden, um den Innenraum des Eckschrankes gegenüber den Innenräumen der angrenzenden Korpusse abzuschließen, um ein mögliches Eindringen feuchter Schwaden zu vermeiden, d. h. die Lücken zwischen den Seitenwänden des Eckschrankes und der Eckschranktür weitgehend geschlossen zu halten.

4.2. Die Lösung der Aufgabe wird durch die Ausbildung der Seitenwände als Blechteile erreicht, weil diese bei ausreichender Stabilität genügend dünn ausgeführt werden können, so daß die vorderen Enden der Seitenwände nicht zurückversetzt zu werden brauchen.

4.3. Die Beschwerdegegnerin hat zwar darauf hingewiesen, daß der erteilte Anspruch 1 keine Angabe zur Wandstärke gibt und daß daher das Blech auch beliebig dick sein könne und die alleinige Verwendung von Blech die Aufgabe nicht löse.

Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Beim Auslegen eines Anspruchs sollte ein Fachmann Interpretationen, die unlogisch oder technisch keinen Sinn ergeben, ausschließen. Er sollte versuchen zu einer Interpretation des Anspruchs zu gelangen, die technisch sinnvoll ist und die die Gesamtheit der Beschreibung berücksichtigt (Artikel 69 EPÜ). Das Patent muß mit der Absicht es verstehen zu wollen analysiert werden, nicht aber mit der Absicht es mißverstehen zu wollen (siehe T 396/99, letzter Absatz des Abschnittes 3.5).

Im vorliegenden Fall ist es aus der Beschreibung für einen Fachmann klar, daß hier Blech wegen seiner Eigenschaft, bei geringer Wanddicke verhältnismäßig große Stabilität zu besitzen, verwendet werden soll und daß daher nur ein Blech, das möglichst dünn ist, gemeint sein kann.

4.4. Die Kammer ist der Überzeugung, daß bei Betrachtung des entgegengehaltenen Standes der Technik darin kein Hinweis zu finden ist, wie das zu erzielende Ergebnis (die Lücken zwischen den Seitenwänden des Eckschrankes und der Eckschranktür weitgehend geschlossen zu halten) anders als in der D9 vorgeschlagen gelöst werden könnte.

In der D1 werden die Lücken zwischen den Seitenwänden und der Eckschranktür nicht geschlossen. In der D5 tritt die Problematik, die Lücken zwischen den Seitenwänden und der Eckschranktür weitgehend geschlossen zu halten, gleich gar nicht auf. In der Tat ist in der D5 die Größe des Karussells gegenüber dem spezifisch gestalteten Eckschrankkorpus so gewählt und der Drehpunkt des Karussells gegenüber den beiden Türebenen so angeordnet, daß die Dicke der Seitenwände keinen Einfluß auf die Lücken zwischen den Seitenwänden und der Eckschranktür hat. Diese Anordnung ist aber nur in Verbindung mit einer starr mit dem Karussell verbundenen Tür offenbart und nicht auf eine Eckschrankausführung mit einer nach innen beweglichen Tür, wie in der D9 benötigt, übertragbar. Weder die D6 noch die D7 offenbaren eine sich mit dem Karussell drehende Tür, so daß sich darin das Problem der Lücken zwischen den Seitenwänden eines Eckschrankes und der Tür nicht stellt.

Daher ist für einen Fachmann aus dem Stand der Technik keine Anregung auffindbar, die ihn dazu führen könnte anzunehmen, daß die Verwendung von Blech zur Herstellung der Seitenwände eines Eckschrankes eine Alternative zu der in der D9 offenbarten Abschrägung der Seitenwände sein könnte.

4.5. Die Beschwerdegegnerin hat zwar hervorgehoben, daß in der D9 nicht angegeben wird, aus welchem Material die Seitenwände hergestellt sind und somit offen bleibt, welches Material für die Seitenwände zu verwenden ist, so daß die Seitenwände auch aus Metall hergestellt sein könnten.

Die Kammer vertritt jedoch die Auffassung, daß ein Fachmann, der zum Zeitpunkt der Anmeldung (bzw. der Priorität) des angefochtenen Patents die D9 liest, in Abwesenheit jeglicher gegenteiliger Information, davon ausgehen wird, daß die in der D9 verwendeten Materialien die sind, die gängigerweise zu diesem Zeitpunkt und auch zum Zeitpunkt der Anmeldung der D9 und zu diesem Zweck (die Fertigung von Eckschränken für Einbauküchen) verwendet wurden, daß er also davon ausgehen wird, daß es sich um Span-oder Faserplatten handelt.

Auch wenn man den Maßstab der "Abwägung der Wahrscheinlichkeit" anwendet, ist es aufgrund der Dicke der in den Figuren der D9 gezeigten Seitenwände, der Tatsache, daß die Seitenwände abgeschrägt sind und eine Nut in der Wanddicke eingebracht ist (Figur 2), wahrscheinlicher, daß die Seitenwände aus Spanplatten oder ähnlichen Materialen geformt sind als aus Metall.

4.6. Die Beschwerdegegnerin und die Einspruchsabteilung waren zwar der Auffassung, daß aus der D5 bereits Wände aus Blech bekannt seien und somit die Verwendung von Blech zur Herstellung der Seitenwände eines Eckschranks gemäß D9 offensichtlich sei.

In diesem Zusammenhang ist jedoch auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern hinzuweisen, nach der es nicht ausschlaggebend ist, ob ein Fachmann den Gegenstand des angefochtenen Patents hätte ausführen können, sondern ob er es in der Hoffnung auf eine Lösung der zugrundeliegenden technischen Aufgabe auch getan hätte (T 2/83, ABl. EPA 1984, 265: Abschnitt 7; T 200/94, Abschnitt 4.10). Es kommt nicht darauf an, ob der Fachmann durch Modifikationen des Standes der Technik zur Erfindung hätte gelangen können; die Frage ist vielmehr, ob er in Erwartung der tatsächlich erzielten Vorteile, d. h. im Lichte der bestehenden technischen Aufgabe, so vorgegangen wäre, weil dem Stand der Technik Anregungen für diese Vorgehensweise zu entnehmen waren (T 219/87, Abschnitt 7.4; T 455/94, Abschnitt 4.7).

4.7. Die Frage, die es daher zu beantworten gilt, ist, warum würde ein Fachmann von der D9 ausgehend die Seitenwände einschließlich zugehöriger Befestigungsorgane für die Rückwand als Blechteile ausbilden bzw. welchen Vorteil würde er erwarten.

4.8. Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, daß ein Fachmann auch aus optischen bzw. ästhetischen Gründen nach anderen Materialen Ausschau hätte halten können. Daß ein Fachmann aus der D9 die Lehre entnehmen würde, in Türnähe die Seitenwand so dünn wie möglich auszubilden und daß er, da die D5 bereits Seitenwände die aus Blech bestehen offenbart, auch auf dieses Material hätte zurückgreifen können, um einen entsprechenden ästhetischen Vorteil zu erlangen.

4.9. Auch dem kann nicht gefolgt werden. Einerseits lehrt die D9 nicht, die Seitenwände in Türnähe so dünn wie möglich auszubilden, sondern die vordere Kante der Seitenwände abzuschrägen; andererseits ist, auch wenn im angegriffenen Anspruch 1 allein ein Eckschrank beansprucht wird, dieser als Einbauteil für eine Einbauküche bestimmt und da im eingebauten Zustand die Seitenwände durch die Korpusse der angrenzenden Schränke oder durch eine Verkleidung verdeckt sind, ist auch kein ästhetischer Vorteil zu erwarten.

4.10. Somit kommt die Kammer zum Schluß, daß für einen Fachmann aus dem Stand der Technik für die beanspruchte Vorgehensweise keine Anregungen zu entnehmen waren und daher der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5. Hilfsanträge

Da dem Hauptantrag stattgegeben wird, erübrigt sich eine Stellungnahme zu den Hilfsanträgen.

6. Beschreibung

Die Beschwerdegegnerin hat zutreffenderweise die Passage Spalte 4, Zeilen 39 bis 45 der Patentschrift bemängelt.Im Lichte der Erfindung wird klar, daß "vollständig" in dem Satz "so daß die Seitenbleche von innen vollständig durch die Rückwand verkleidet sind" in diesem Zusammenhang fehl am Platze ist, da die Rückwand nicht bis zur Türöffnung verlängert werden kann. Dies wurde auch durch die Beschwerdeführerin bestätigt. Da das Patent aber unverändert aufrechterhalten wird, kommt eine alleinige Anpassung der Beschreibung nicht in Frage.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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