T 0200/94 (Mehrschichtüberzug/HERBERTS) of 23.10.1997

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1997:T020094.19971023
Datum der Entscheidung: 23 October 1997
Aktenzeichen: T 0200/94
Anmeldenummer: 88110471.5
IPC-Klasse: C09D 175/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung eines Mehrschichtüberzuges und hierfür geeignetes wäßriges Überzugsmittel
Name des Anmelders: Herberts Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Name des Einsprechenden: 01) BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen
02) BASF Coatings AG
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja) - nicht naheliegende Lösung der Aufgabe
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0406/98
T 0020/00
T 0111/01
T 0218/07
T 0976/08

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent 0 297 576 widerrufen wurde, Beschwerde eingelegt.

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Patent wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden.

Zur Begründung wurde u. a. auf die folgenden Dokumente verwiesen:

(2) DE-A-1 953 348,

(3) US-A-4 318 833,

(7) EP-A-0 089 497, und

(9) DE-A-2 363 307.

III. In der Entscheidung wird ausgeführt, daß das Verfahren nach Anspruch 1 der am 7. Dezember 1993 geltenden Fassung zwar neu sei, aber im Hinblick auf die Dokumente (7) und (3) nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

IV. Am 23. Oktober 1997 hat eine mündliche Verhandlung vor der Kammer stattgefunden, bei der die Beschwerdegegnerin 01 (Einsprechende 01) - wie angekündigt - nicht vertreten war.

V. Die Beschwerdeführerin hat die Patentierbarkeit des Patentgegenstandes auf der Grundlage der am 23. September 1997 eingereichten Ansprüche 1 bis 7 verteidigt. Anspruch 1 dieses Anspruchssatzes lautete:

"Verfahren zur Herstellung eines Mehrschichtüberzuges, bei dem auf ein Substrat ein gesättigtes Basisüberzugsmittel aus einer wäßrigen Dispersion eines nicht-vernetzten Polymeren aufgebracht wird, dadurch gekennzeichnet, daß die wäßrige Dispersion Teilchendurchmesser der polymeren Phase von 10 nm bis 500 nm aufweist, das Polymere eine zahlenmittlere Molmasse von 10000 bis 500000 und eine Säurezahl von 12. bis 40 aufweist, und die Dispersion erhalten wurde durch Polymerisation ohne Emulgatorzusatz und in Anwesenheit von nicht-wasserlöslichen Initiatoren, von

a) 0,65 - 9 Gewichtsteilen einer Monomerenmischung aus 28. - 90 Gew.% carboxylgruppenfreien ungesättigten Monomeren, die außer der ungesättigten Bindung keine weiteren unter Polymerisations- und Härtungsbedingungen reaktiven Gruppen enthalten, 10 - 65. Gew.% einpolymerisierbaren hydroxylgruppenhaltigen Monomeren der allgemeinen Formel

R"-CH=CR'-X-R'"

worin

R' = H oder -CnH2n+1;

R" = -R' oder -COOCnH2n+1;

n = 1 bis 6;

R'" = eine lineare oder verzweigte C1-6- Alkylgruppe mit 1 bis 3 OH-Gruppen; und

X = -COO-, -CONH-, -CH2-O- oder -O-;

und 0 - 7 Gew.% ethylenisch polyungesättigten Monomeren, in

b) 1 Gewichtsteil, bezogen auf den Harzanteil, einer wäßrigen Dispersion eines harnstoffgruppenhaltigen Polyurethans, die durch Kettenverlängerung eines NCO-Gruppen enthaltenden Prepolymeren auf Polyesterbasis mit einem NCO-Gruppen-Gehalt von 1,0 bis 10 % mit mindestens zwei Urethangruppen pro Molekül, mit Carboxylgruppen entsprechend einer Säurezahl von 20 - 50 und einer zahlenmittleren Molmasse von 600 bis 6000, mit einem Polyamin mit primären und/oder sekundären Aminogruppen und/oder mit Hydrazin in wäßrigem Medium ohne Emulgatorzusatz hergestellt wurde,

und gegebenenfalls anschließenden Zusatz von Pigmenten, Füllstoffen, Lösungsmitteln, Verdickungsmitteln und/oder üblichen Lackhilfsmitteln und Zusatzstoffen, der so erhaltenen Basisüberzug abgelüftet, ein wasserverdünnbares oder in organischen Lösungsmitteln gelöstet transparentes Überzugsmittel aufgebracht und anschließend das so beschichtete Substrat einer Erwärmung bei Temperaturen bis zu 140°C unterworfen wird."

VI. Die Beschwerdeführerin hat - gestützt auf den von ihr am 17. Mai 1994 eingereichten Versuchsbericht - geltend gemacht, Aufgabe der beanspruchten Erfindung im Hinblick auf Dokument (7), das den nächstkommenden Stand der Technik darstelle, sei die Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung eines Mehrschichtüberzuges mit verbesserter Haftung gewesen. Die Lösung dieser Aufgabe nach dem vorliegenden Anspruch 1 werde insbesondere gekennzeichnet durch den Einsatz einer wäßrigen Polymerdispersion, die erhältlich sei durch Polymerisation einer Mischung aus carboxylgruppenfreien ungesättigten Monomeren und hydroxylgruppenhaltigen Monomeren in Gegenwart einer unter Punkt (b) des Anspruchs 1 definierten Polyurethan-Dispersion.

Bezüglich der geltendgemachten verbesserten Haftung hat sie, gestützt auf Dokument

(A) am 23. September 1997 von ihr vorgelegte Berechnungen,

u. a. ausgeführt, daß die von der Beschwerdegegnerin 02 am 1. Dezember 1994 und am 9. Februar 1995 eingereichten Versuchsberichte keinen Beweis darstellten, daß die geltendgemachte bessere Haftung fehle, weil wäßrige Polymer-Dispersionen mit stark unterschiedlichen Säurezahlen verglichen würden und die dabei eingesetzte Polymer-Dispersion, die dem Streitpatent entsprechen sollte, eine Säurezahl unterhalb des beanspruchten Bereichs hätte.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin geben die genannten Druckschriften keinerlei Hinweis auf die Verwirklichung der im vorliegenden Anspruch 1 beanspruchten Erfindung. In diesem Zusammenhang hat sie bezüglich Dokument (3) darauf hingewiesen, daß die nach diesem Dokument hergestellten acrylierten Urethanpolymere keiner Kettenverlängerung mit Polyaminen unterzogen würden und aus diesem Grund unterschiedliche Ergebnisse beim Einsatz in Mehrschichtlackierungen zeigten.

VII. Die Beschwerdegegnerin (01) hat im schriftlichen Verfahren darauf hingewiesen, daß die vorliegenden Patentansprüche gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstießen, weil die Konzentrationsangabe für die carboxylgruppenfreien ungesättigten Monomere in der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung nicht offenbart gewesen sei.

Außerdem hat sie geltend gemacht, das beanspruchte Verfahren sei nicht erfinderisch im Hinblick auf Dokument (7) und die Tatsache, daß das nach Anspruch 1 des Streitpatents benützte Überzugsmittel aus Dokument (3) bekannt gewesen sei. Bezüglich des Dokuments (3) hat sie ausgeführt, daß es bei der Terminierung der Polyurethane mit Diaminen, in Abhängigkeit von den stöchiometrischen Verhältnissen, zwangsläufig in einem mehr oder weniger großen Umfang zu einer Kettenverlängerung komme.

VIII. Die Beschwerdegegnerin 02 hat bezüglich der erfinderischen Tätigkeit - gestützt auf die von ihr am 1. Dezember 1994 und am 9. Februar 1995 eingereichten Versuchsberichte - bestritten, daß die nach dem beanspruchten Verfahren des Streitpatents erhältlichen Mehrschichtüberzüge gegenüber denen des Dokuments (7) eine verbesserte Haftung zeigten. Die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe sei daher die Bereitstellung eines neuen Verfahren zur Herstellung von weiteren Mehrschichtüberzügen mit vergleichbaren Eigenschaften. Die Lösung dieser Aufgabe durch die Herstellung des Acrylatharzes in Gegenwart der in Anspruch 1 des Streitpatents definierten Polyurethan-Dispersion (b) unter Verzicht auf carboxylgruppenhaltige Monomere, beruhe jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da diese Vorgehensweise zur Herstellung von Polyurethan-Acrylatharz-Dispersionen dem Fachmann im Hinblick auf z. B. die Dokumente (2) und (9) geläufig gewesen sei.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtene Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit den folgenden Unterlagen:

a) Patentansprüche 1 bis 7 sowie Seiten 1, 2, 3, 5, 10 und 11 der Beschreibung, eingereicht am 23. September 1997, und

b) Seiten 4, 6 bis 9, 12 bis 15 der Beschreibung, wie erteilt.

Hilfsweise beantragt sie die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung, falls sich weitere Änderungen als notwendig erweisen sollten.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragen die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

X. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der vorliegende Anspruch 1 stützt sich auf Anspruch 1, sowie die Beschreibung, Seite 4, Zeile 20 und Seite 7, Zeilen 21 und 22 (nicht-vernetztes Polymer) und Seite 5, Zeilen 16 und 20 (Zusammensetzung der Monomerenmischung (a)) des erteilten Patents, bzw. Anspruch 1, sowie die Beschreibung, Seite 7, Zeile 10 und Seite 14, Zeilen 25 und 26 (nicht-vernetztes Polymer) und Seite 9, Zeile 23 bis Seite 10, Zeile 7 (Zusammensetzung der Monomerenmischung (a)) der ursprünglichen Anmeldung. Nach Auffassung der Kammer errechnet sich die Untergrenze von 28 Gew.-% für die erste Komponente der Monomerenmischung (a) eindeutig aus den explizit genannten Obergrenzen von 65 und 7 Gew.-% für die zweite und die dritte Komponente dieser Mischung.

Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 7 finden ihre Stütze in den entsprechenden Ansprüchen des Patents und der ursprünglich eingereichten Anmeldung.

Außerdem ist der vorliegende Anspruch 1 gegenüber dem des Streitpatents durch die zwingende Anwendung der zweiten Komponente der Monomerenmischung (a) eingeschränkt worden.

Gegen die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüche bestehen daher keine Bedenken im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß das Verfahren des vorliegenden Anspruchs 1 in den entgegengehaltenen Druckschriften nicht beschrieben wird und daher neu ist. Da die Neuheit dieses Verfahrens nicht bestritten wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

4. Es verbleibt daher zu prüfen, ob der nun vorliegende Patentgegenstand auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

4.1. In Übereinstimmung mit der Auffassung der Verfahrensbeteiligten, betrachtet die Kammer Dokument (7) als nächstkommenden Stand der Technik.

Dieses Dokument beschreibt die Herstellung von Mehrschichtüberzügen, bei der zur Herstellung der Basisschicht ein Überzugsmittel eingesetzt wird, das als Bindemittel eine spezielle wäßrige Polyurethan-Dispersion enthält (vgl. Seite 2, Zeilen 14 bis 18, und Seite 2, Zeile 30, bis Seite 3, Zeile 20). Diese Polyurethan-Dispersion entspricht nach Auffassung aller Verfahrensbeteiligten der im vorliegenden Anspruch 1 unter (b) definierten Polyurethan-Dispersion. Außerdem beschreibt dieses Dokument, daß vorteilhaft als weitere Bindemittel wasserverdünnbare, freie Carboxylgruppen enthaltende Polyacrylatharze eingesetzt werden können, z. B. ein Acrylatharz, hergestellt aus n-Butylmethacrylat, Methylmethacrylat, 2-Hydroxyetylacrylat und Acrylsäure (vgl. Seite 10, dritter Absatz, Seite 11, erster Absatz, und Seite 23, Zeilen 3 bis 27). Durch den Einsatz eines Bindemittelgemisches aus der Polyurethan-Dispersion und einem solchen Acrylatharz werden bei Verwendung von metallischen Pigmenten besonders gute Metalliceffekte erzielt; außerdem erfolgt beim Aufbringen der weiteren Überzugsschicht (Klarlackschicht) auf die Basisschicht nur ein sehr geringes bzw. teilweise gar kein Anlösen (vgl. Seite 2, Zeilen 18 bis 28).

4.2. Die Beschwerdeführerin hat gegenüber diesem Stand der Technik, gestützt auf ihren Versuchsbericht, geltend gemacht, daß nach dem beanspruchten Verfahren des Streitpatents eine verbesserte Haftung des Mehrschichtüberzuges erhalten werde.

4.3. Somit besteht die nach dem Streitpatent bestehende Aufgabe gegenüber diesem nächstkommenden Stand der Technik darin, ein Verfahren zur Herstellung eines Mehrschichtüberzuges mit verbesserter Haftung bereitzustellen (vgl. auch Seite 11, Zeilen 45 und 46, des Streitpatents).

4.4. Zur Lösung dieser Aufgabe wird das Verfahren nach dem vorliegenden Anspruch 1 vorgeschlagen, gemäß dem zur Herstellung des Basisüberzuges eine wäßrige Dispersion eines nicht-vernetzten Polymeren eingesetzt wird, die eine Säurezahl von 12 bis 40 aufweist und im wesentlichen dadurch erhalten wird, daß man die Polymerisation der Monomerenmischung (a) aus carboxylgruppenfreien ungesättigten Monomeren in der wäßrigen Polyurethan-Dispersion (b) durchführt.

4.5.1. Ausweislich der Angaben in dem von der Beschwerdeführerin am 17. Mai 1994 eingereichten Versuchsbericht, gemäß dem wäßrige Dispersionen gemäß Streitpatent (Dispersionen IB und IC) mit Dispersionen gemäß Dokument (7) mit entsprechenden Polyurethan/Acrylatharz-Gewichtsverhältnissen (Mischungen IIIC (30:70) und IIIC (40:60), wiedergegeben auf Seite 6, Zeilen 19 bis 37) verglichen wurde, zeigten wäßrige Basislacke, die Dispersionen gemäß Streitpatent enthielten, unmittelbar nach dem Härten beim Gitterschnitt-Test eine etwa doppelt so gute Haftung und bei einem Vergleich im Feuchtraumklima eine sogar fünffach verbesserte Haftung (vgl. insbesondere die Tabelle auf Seite 8).

4.5.2. Die Beschwerdegegnerin 02 hat bezüglich dieser Vergleichsversuche geltend gemacht, daß sie nicht aussagekräftig seien, weil bei der Herstellung der Polyurethan-Dispersion des Dokuments (7) nicht von einem der darin beschriebenen Beispielen ausgegangen sei. Außerdem unterscheide sich die Monomerenmischung, die zur Herstellung des Acrylharzes gemäß Dokument (7) verwendet worden sei, nicht nur durch die Anwesenheit des carboxylgruppentragenden Monomeren (Acrylsäure), sondern auch durch die Anwesenheit von unterschiedlichen Monomeren. Die Kammer hat jedoch in Einklang mit der Auffassung der Beschwerdeführerin festgestellt, daß bei der Herstellung der Polyurethan-Dispersion und der Acrylharz-Dispersion zwar die Zusammensetzung des Polyurethans an diejenige des Streitpatents angepaßt und die Säurezahl der Acrylatharz-Dispersion verringert wurde, dabei jedoch die technische Lehre des Dokuments (7) sowie die gegenüber dem Streitpatent angegebenen relevanten Unterschiede (siehe oben), nämlich die Mischung der beiden Dispersionen und die Anwesenheit von carboxylgruppentragenden Monomeren bei der Herstellung der Acrylharz-Dispersion, beibehalten wurden. Solche Abänderungen de nächsten Standes der Technik sind bei der Durchführung von Vergleichsversuchen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer nicht zu beanstanden.

4.5.3. Die Beschwerdegegnerin 02 hat außerdem - gestützt auf die von ihr am 1. Dezember 1994 und am 9. Februar 1995 eingereichten Versuchsberichte, die nach ihrer Auffassung aussagekräftiger sein sollen als der von der Beschwerdeführerin vorgelegte Versuchsbericht - geltend gemacht, daß die nach dem beanspruchten Verfahren des Streitpatents erhältlichen Mehrschichtüberzüge gegenüber denen des Dokuments (7) keinerlei verbesserte Haftung zeigten.

Die Beschwerdeführerin hat dies jedoch - gestützt auf Dokument (A) - im wesentlichen mit dem Argument bestritten, daß die von der Beschwerdegegnerin 02 für den Vergleichsversuch verwendeten Dispersionen aufgrund ihrer stark unterschiedlichen Säurezahlen nicht vergleichbar gewesen seien. Die eingesetzte Dispersion, die angeblich gemäß Streitpatent hergestellt worden sei (Versuch 3), weise nämlich eine berechnete Säurezahl von 9,8 auf, während die verwendete Dispersion gemäß Dokument (7) (Versuch 4) eine berechnete Säurezahl von 43,6 aufweise (vgl. Dokument (A), die Tabelle auf Seite 4). Desweiteren hat die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang bezüglich der von ihr selbst durchgeführten Vergleichsversuche ausgeführt, daß die in diesen Versuchen verwendeten Dispersionen dagegen vergleichbare Säurezahlen hätten, nämlich Säurezahlen in der Größenordnung von 18 in der Versuchsreihe IB, IIB und IIIC (30:70) und von 23 in der Versuchsreihe IC, IIC und IIIC (40:60) (vgl. dazu auch die in der unteren Tabelle auf Seite 6 des Dokuments (A) unter IA, IIA und IIIA* bzw. unter IB, IIB und IIIB* angegeben gemessenen Säurezahlen).

4.5.4. Obwohl dieser Einwand der Beschwerdeführerin auf berechneten, statt gemessenen Säurezahlen beruht, erscheint es der Kammer aufgrund des großen Unterschieds zwischen den berechneten Zahlen plausibel, daß im Vergleichsversuch der Beschwerdegegnerin 02 der Vergleich tatsächlich mit Dispersionen mit stark unterschiedlichen Säurezahlen durchgeführt wurde. Außerdem ist es nach Auffassung der Kammer leicht einzusehen, daß ungleiche Säurezahlen, d. h. unterschiedliche Zahlen von Vernetzungsstellen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen müssen. Die Behauptung der Beschwerdegegnerin 02, daß die nach dem beanspruchten Verfahren des Streitpatents erhältlichen Mehrschichtüberzüge gegenüber denen des Dokuments (7) keinerlei verbesserte Haftung zeigten, wurde daher nach Auffassung der Kammer experimentell nicht überzeugend untermauert.

4.5.5. Wenn eine Beschwerdekammer nicht in der Lage ist, den Sachverhalt im Wege der Amtsermittlung zweifelsfrei festzustellen, so trifft dieser Nachteil - nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern - die beweispflichtige Partei (hier: Beschwerdegegnerin 02), die sich auf die betreffende Tatsachenbehauptung stützt. Im vorliegenden Fall wurde daher nach Auffassung der Kammer die Lösung der (unter Punkt 4.3 oben) definierten Aufgabe im ganzen beanspruchten Bereich glaubhaft gemacht.

4.6. Es ist nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot die (unter Punkt 4.3 oben) definierte Aufgabe durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents zu lösen.

4.7. Dokument (7) beschreibt - wie bereits ausgeführt - die Herstellung von Mehrschichtüberzügen, bei der zur Herstellung der Basisschicht ein Überzugsmittel eingesetzt wird, das als Bindemittel ein Bindemittelgemisch aus einer wäßrigen Polyurethan-Dispersion, die der im vorliegenden Anspruch 1 unter (b) definierten Polyurethan-Dispersion entspricht, und eine freie Carboxylgruppen enthaltende Acrylatharz-Dispersion enthält. Diese Lehre gibt daher keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die im Bindemittelgemisch vorhandene Acrylatharz-Komponente in Gegenwart der wäßrigen Polyurethan-Dispersion hergestellt werden kann. Zudem gibt es in Dokument (7) keinerlei Hinweise auf die im Anspruch 1 des Streitpatents angegebene spezielle Monomerenmischung aus carboxylgruppenfreien ungesättigten Monomeren zur Herstellung der Acrylatharz-Komponente. Dokument (7) gibt daher, nach Überzeugung der Kammer, keinerlei Anregung zur beanspruchten Lösung der hier bestehenden Aufgabe, die Haftung des Mehrschichtüberzuges zu verbesseren.

4.8. Dokument (3) beschreibt als Metallic-Basislack verwendbare wasserverdünnbare Überzugsmittel auf der Basis einer Polyurethan/Acrylatharz-Dispersion, die durch Polymerisation einer Monomerenmischung aus ungesättigten Monomeren wie Butylacrylat, Methylmethacrylat und Hydroxymethylmethacrylat in Anwesenheit einer wäßrigen Dispersion eines voll umgesetzten wasserlöslichen Polyurethans hergestellt worden ist (vgl. Spalte 2, Zeile 66 bis Spalte 3, Zeile 5, und Anspruch 1). Bei der Herstellung des Polyurethans wird ein Diisocyanat, ein Polyol und eine anionische Verbindung zu einem voll umgesetzten wasserlöslichen Polyurethan umgesetzt, wobei gegebenenfalls restliche freie Isocyanatgruppen mit einer Verkappungsgruppe ("capping group") terminiert werden können (vgl. Spalte 2, Zeilen 8 bis 24, und Spalte 3, Zeilen 61 bis 66). Es können monofunktionelle und difunktionelle Verkappungsmittel eingesetzt werden, wobei als geeignete Verbindungen u. a. difunktionelle Diamine genannt werden (vgl. Spalte 3, Zeile 66 bis Spalte 4, Zeile 28). Nach Auffassung der Kammer ist es bezüglich der Verkappung von Isocyanatgruppen dem Fachmann geläufig, daß dabei - wie von den Beschwerdegegnerinnen nicht bestritten und von den Beispielen des Dokuments (3) bestätigt - zur Vermeidung von Kettenverlängerungen die Verkappungsmittel mit einem Überschuß einzusetzen. Zwar könnte es dabei in Abhängigkeit vom molaren Überschuß zu einer geringen Kettenverlängerung kommen, aber es ist nach Überzeugung der Kammer klar, daß mit einem gezielten Kettenverlängerungsverfahren gemäß Streitpatent, bei dem zunächst das Polyurethan mit einem Gehalt an freien NCO-Gruppen von 1,0 bis 10 % hergestellt wird und dann dieses Polyurethan mit einem Polyamin und/oder Hydrazin unter Einhaltung von äquivalenten Mengen NCO-Gruppen und NH2-Gruppen zur Kettenverlängerung umgesetzt wird, unterschiedliche Produkte mit erheblich höheren Molmassen erhalten werden. Dies wird außerdem durch den von der Beschwerdeführerin am 17. Mai 1994 eingereichten Versuchsbericht bestätigt, aus dem nach Auffassung der Kammer hervorgeht, daß die Produkte gemäß Streitpatent gegenüber denen des Dokuments (3) bezüglich Metalliceffekt und Blasenbildung überlegen sind (vgl. insbesondere die Tabelle auf Seite 8). In jedem Fall enthält Dokument (3) keinerlei Hinweise auf den Einsatz von kettenverlängerten Polyurethanen, welcher Einsatz im beanspruchten Verfahren des Streitpatents ein wesentliches Merkmal darstellt.

4.9. Die Dokumente (2) und (9) sind weniger relevant als Dokument (3), weil sie zwar - wie Dokument (3) - die in situ Herstellung von acrylierten Polyurethanen beschreiben (vgl. Dokument (2), Seite 2, vierter Absatz; und Dokument (9), Seite 3, vierter Absatz), aber keinerlei Hinweise auf eine Anwendung dieser Produkte in Basisüberzugsmittel zur Herstellung eines Mehrschichtüberzuges geben, geschweige denn auf die Lösung der hier vorliegenden Aufgabe, die Haftung eines solchen Mehrschichtüberzuges zu verbesseren.

4.10. In diesem Zusammenhang weist die Kammer noch darauf hin, daß - nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern - eine Erfindung nicht schon naheliegend ist, wenn ein Fachmann aufgrund des Standes der Technik zum beanspruchten Gegenstand hätte kommen können, sondern nur, wenn er ihn aufgrund eines hinlänglichen Anlasses in Erwartung der Lösung der vorliegenden Aufgabe auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (vgl. z. B. T 02/83, Nr. 7 der Entscheidungsgründe, ABl. EPA 1984, 265; T 90/84 vom 2. April 1985, Nr. 9 der Entscheidungsgründe; und T 256/84 vom 11. August 1986, Nr. 12 der Entscheidungsgründe). Wie aus den Darlegungen weiter oben hervorgeht, fehlt im vorliegenden Fall ein solcher Anlaß.

4.11. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand nach Anspruch 1 des Streitpatents dem Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt wurde und daher gewährbar ist.

Die abhängigen Patentansprüchen 2 bis 7 betreffen besondere Ausgestaltungen des Verfahrens nach Anspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird mit der Anordnung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, das Patent mit den Ansprüchen 1 bis 7, eingereicht am 23. September 1997, sowie einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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