R 0009/23 (Antrag auf Überprüfung) of 28.5.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:R000923.20250528
Datum der Entscheidung: 28 Mai 2025
Aktenzeichen: R 0009/23
Antrag auf Überprüfung von: T 1041/21
Anmeldenummer: 09799640.9
IPC-Klasse: F04C28/02
F04B49/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM STEUERN EINER KOMPRESSORANLAGE
Name des Anmelders: KAESER KOMPRESSOREN SE
Name des Einsprechenden: WF Steuerungstechnik GmbH
Kammer: EBA
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
EPC Art. 112a(2)(c)
EPC Art. 113(1)
EPC R. 106
EPC R. 109(2)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(5)
Rules of procedure of the Enlarged Board of Appeal Art 13
Rules of procedure of the Enlarged Board of Appeal Art 14(2)
Schlagwörter: Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Gelegenheit zur Stellungnahme
Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0001/08
R 0010/09
R 0016/09
R 0020/09
R 0011/11
R 0013/11
R 0017/11
R 0004/13
R 0005/13
R 0004/14
R 0003/17
R 0006/17
R 0008/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der Antrag auf Überprüfung betrifft die Entscheidung T 1041/21 vom 10. Februar 2023, mit der die technische Beschwerdekammer 3.2.04 (im Folgenden: die Kammer oder die Beschwerdekammer) die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs aufgehoben, und das europäische Patent Nr. 2 376 784 widerrufen hat.

II. Mit dem fristgemäß eingereichten und begründeten Überprüfungsantrag rügt die Antragstellerin (Patentinhaberin) gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ einen während des Beschwerdeverfahrens aufgetretenen schwerwiegenden Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ.

III. Die Antragstellerin macht die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend im Hinblick auf die Entscheidung der Beschwerdekammer, sämtliche vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsanträge (Hilfsanträge 0, 0.1 und 1 bis 11) in Anwendung von Artikel 12 (3) und (5) VOBK nicht in das Verfahren zuzulassen.

Weil die Kammer während der mündlichen Verhandlung die Hilfsanträge nicht zugelassen hatte, erhob die Antragstellerin eine Rüge nach Regel 106 EPÜ, die ebenso von der Kammer zurückgewiesen wurde.

Die Antragstellerin trägt vor, dass sie bereits mit der Beschwerdeerwiderung, mithin zu einem sehr frühen Zeitpunkt, die obenerwähnten Hilfsanträge geltend gemacht hätte und diese durch Verweis auf konkrete im Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingereichte  Schriftsätze vom 27. November 2020, 24. April 2020 und 24. Mai 2019 auch im Beschwerdeverfahren substantiiert hätte.

Nach Auffassung der Antragstellerin wurde ihr somit die Möglichkeit genommen, zu den entsprechenden Hilfsanträgen sachlich Stellung zu nehmen, was darauf zurückzuführen wäre, dass die Kammer die Hilfsanträge "willkürlich und pauschalisierend" (sic.) zurückgewiesen und dabei ohne ausreichende Rechtsgrundlage entschieden, jedenfalls aber das Ermessen fehlerhaft oder zumindest unverhältnismäßig ausgeübt hätte.

IV. Im Hinblick auf die Nicht-Zulassung der Hilfsanträge, hat die Kammer folgendermaßen entschieden :

"Ein Verweis auf "die Schriftsätze des erstinstanzlichen Verfahrens" ist pauschal. Auch der Verweis auf die drei einzelnen Schriftsätze bleibt pauschal, denn wegen der wiederholten Ergänzung und Umbenennung der Hilfsanträge im Einspruchsverfahren ist ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Schriftsätzen nicht offensichtlich, welches Vorbringen in welchem Schriftsatz zu welchem Hilfsantrag gehört. Es kann weder von anderen Beteiligten, noch von der Kammer erwartet werden, dass sie sich die Argumente der Beschwerdegegnerin für dreizehn Hilfsanträge aus drei Schriftsätzen selbst zusammensuchen. Dies hätte im vorliegenden Fall bedeutet, dass die Kammer aktiv für eine Partei hätte tätig werden müssen, was insbesondere unter dem Gesichtspunkt der zu erwarteten Unparteilichkeit der Kammer nicht in Betracht kam" (s. Punkt 5.1.2. der Entscheidungsgründe).

Mit Bezugnahme auf die Rüge nach Regel 106 EPÜ entschied die Kammer insbesondere:

"Es besteht Einigkeit, dass die Hilfsanträge 0, 0.1, 1 - 11 im Einspruchsverfahren gestellt und nicht aufgegeben worden sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht maßgeblich, denn die Nichtzulassung stützt sich nicht auf die Vorschriften der Artikel 12(2), (4) VOBK, sondern auf die der Artikel 12(3), (5) VOBK" (s. Punkt 6.3. der Entscheidungsgründe).

"Dadurch, dass der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gegeben worden ist, ausführlich und wiederholt in der Diskussion um die Zulassung der Hilfsanträgen (und nochmals in der Diskussion zu der erhobenen Rüge) zu den verschieden Aspekten Stellung zu nehmen, ist ihr Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen der Zulassung der Hilfsanträge gewahrt worden. Die Kammer hat bei ihrer Ermessensentscheidung diese Stellungnahmen und alle Umstände des vorliegenden Falls gegeneinander abgewogen und berücksichtigt. Einen weitergehenden Anspruch auf Nachholung versäumter Handlungen, hier der Substantiierung des Hilfsantrags 1, um damit möglicherweise bestehende Rechtsirrtümer zu korrigieren und eine Zulassung zu erreichen, begründet das Recht auf rechtliches Gehör nicht" (s. Punkt 6.5. der Entscheidungsgründe).

V. In ihrer Besetzung gemäß Regel 109 (2) a) EPÜ hat die Große Beschwerdekammer eine Mitteilung gemäß Artikel 13 und 14 (2) VOGBK erlassen und die Antragstellerin zu einer mündlichen Verhandlung geladen.

Die Große Beschwerdekammer hat der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie dazu tendiert den Überprüfungsantrag nicht als offensichtlich unzulässig zu erachten, jedoch aber der vorläufigen Meinung sei, dass der Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet zu verwerfen sei.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 8 Mai 2025 (irrtümlicherweise vom 8. März 2025 datiert) zu dieser Mitteilung Stellung genommen.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 28 Mai 2025 statt.

Die Antragstellerin beantragte,

- die Aufhebung der zu Überprüfende Entscheidung;

- die Wiedereröffnung des Verfahrens vor der zuständigen Beschwerdekammer; und

- die Rückerstattung der Gebühr für den Antrag auf Überprüfung.

Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Große Beschwerdekammer ihre Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Überprüfungsantrags

Die Große Beschwerdekammer ist zur Auffassung gelangt, den Überprüfungsantrag nicht als offensichtlich unzulässig zu erachten.

2. Begründetheit des Überprüfungsantrags

2.1 Der Überprüfungsantrag beruft sich zum Teil auf eine falsche Auslegung oder eine fehlerhafte Anwendung einer Verfahrensregel, genauer gesagt:

- eine irrtümliche Auslegung der Erfordernisse von Artikel 12 (3) VOBK betreffend der Vollständigkeit der Beschwerdeerwiderung (s. Punkt B.II.2 a) des Überprüfungsantrags) und,

- die Nichtanwendbarkeit von Artikel 12 (5) VOBK, der das Ausüben des Ermessens einer Beschwerdekammer, mit Bezug auf die Nichterfüllung der Erfordernisse von Artikel 12 (3) VOBK, festlegt (s. Punkt B.II.2 b) des Überprüfungsantrags).

2.1.1 Die Große Beschwerdekammer bemerkt, dass im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin das Überprüfungsverfahren nicht dazu dient, für die zur Überprüfung stehende Entscheidung maßgebliche Rechtsbestimmungen auszulegen.

2.1.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer sind die Gründe, die einen Antrag auf Überprüfung durch die Große Beschwerdekammer in Artikel 112a (2) EPÜ rechtfertigen, abschließend aufgeführt (siehe R 1/08, Gründe 2.1; R 10/09, Gründe 2.4 und 2.5; R 16/09, Gründe 2.3.5; und insbesondere insbesondere R 20/09 vom 7. September 2010, Gründe 3.2).

Eine mögliche fehlerhafte Anwendung einer Vorschrift der VOBK stellt an sich keinen Grund für eine Überprüfung dar, es sei denn, es kann nachgewiesen werden, dass dieser Fehler zu einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der vorgenannten Bestimmungen führt (siehe R 3/17, Begründung 3.1.2).

2.1.3 Ein solcher Nachweis wurde jedoch im vorliegenden Fall von der Antragstellerin nicht erbracht. Die bloße Behauptung, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliege, ist offensichtlich unzureichend.

Es geht schon aus der Mittelung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK hervor, dass die Parteien darauf aufmerksam gemacht wurden, dass pauschale Verweise auf Vorbringen, das im Verfahren vor der dem Beschwerdeverfahren vorausgegangenen und in sich abgeschlossenen Verwaltungsinstanz geltend gemacht wurde, nicht automatisch im Beschwerdeverfahren Berücksichtigung findet (s. Mitteilung, Punkte 1 und 8.1.).

Auf diese Mitteilung reagierte die Antragstellerin (damals Beschwerdegegnerin) nur insoweit, dass sie einen weiteren Hilfsantrag 0.2 einreichte (s. Schriftsatz vom 2. Dezember 2022, Punkt G.). Eine weitere Substanziierung der anderen geltend gemachten Hilfsanträge, wie sie es später im Überprüfungsverfahren für angemessen hielt (s. Punkt II.3, a) bis m) des Überprüfungsantrags), erfolgte jedoch nicht.

Auch ist die Tatsache, dass die Einsprechende (damals Beschwerdeführerin) die Zulässigkeit der Hilfsanträge nicht beanstanden hätte, oder sich zu diesen nicht ausführlich geäußert hätte, nicht zutreffend.

Es ist offenkundig, dass den Parteien, insbesondere der Antragstellerin, die Gelegenheit gegeben wurde, sich zur Frage der Substanziierung der Hilfsanträge im Detail zu äußern, dies insbesondere auch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

Die Große Beschwerdekammer bemerkt, dass nach ständiger Rechtsprechung einer Partei kein automatischer Anspruch auf Zulassung von Hilfsanträgen zusteht (s. bspw. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 11. Auflage 2025, V.A. 4.2.3 b).

Die Große Beschwerdekammer stellt fest, dass die Kammer unter Berücksichtigung der während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente ihre Entscheidung begründet hat, in dem sie sich auf die überwältigende Mehrheit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern gestützt hat, der zufolge pauschale Hinweise auf Vorbringen oder Anträge aus dem Verfahren vor der Verwaltungsinstanz nicht ausreichend sind, und zwar weder für die Beschwerdebegründung noch für die Beschwerdeerwiderung(Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 11. Auflage 2025, V.A. 2.6.5 und 4.3.5).

In diesem Zusammenhang ist für die Große Beschwerdekammer ein schwerwiegender Verfahrensmangel seitens der Kammer zulasten der Antragstellerin offensichtlich nicht gegeben.

2.1.4 Der Überprüfungsantrag, soweit er sich auf eine fehlerhafte Auslegung oder Anwendung von Artikel 12 (3) und (5) VOBK bezieht, wird deshalb als offensichtlich unbegründet betrachtet.

2.2 Die Antragstellerin macht zusätzlich geltend, dass in Bezug auf die Zulassung der Hilfsanträge die Kammer, wenn überhaupt dazu befugt, ihr Ermessen fehlerhaft und unverhältnismäßig ausgeübt hätte.

2.2.1 Die Große Beschwerdekammer stellt fest, dass nach ständiger Rechtsprechung die Beurteilung der Ausübung des Ermessens einer Beschwerdekammer grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der Großen Beschwerdekammer im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach Artikel 112a EPÜ fällt, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass die Kammer ihr Ermessen in willkürlicher Weise missbraucht hat oder offensichtlich rechtswidrig im Hinblick auf die Rechte der Antragstellerin nach Artikel 113 (1) EPÜ ausgeübt hätte (siehe insbesondere R 6/17, Punkt 3.5 der Entscheidung; R 4/14, Punkte 9 und 11 der Entscheidung; R 5/13, Punkt 15 der Entscheidung; R 4/13, Punkt 5.5. der Entscheidung; R 17/11, Punkt 10 der Entscheidung; R 13/11,Punkt 4 der Entscheidung; R 11/11, Punkt 8 der Entscheidung; R 10/09, Punkt 3.2, 3.3. und 5 der Entscheidung).

2.2.2 Die Große Beschwerdekammer bemerkt, dass die Kammer schon in der Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass pauschale Verweise auf Vorbringen vor der Verwaltungsinstanz nicht berücksichtigt werden können.

Aufgrund dieser Mitteilung hätte es für die Antragstellerin, die im Beschwerdeverfahren von erfahrene zugelassene Vertreter vertreten wurde, offensichtlich sein müssen, dass die Kammer beabsichtigt, die Zulässigkeit der Hilfsanträge mangels ausreichender Substanziierung zu beanstanden und nicht darauf verzichtet, ihr Ermessen nach Artikel 12 (5) VOBK ausüben zu können. Der Vortrag der Antragstellerin, dass ein Missverständnis entstünde, weil die Kammer kursorisch zu den Hilfsanträgen Stellung genommen hätte, überzeugt deshalb nicht.

2.2.3 Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt sich zudem, dass die Parteien, insbesondere die Antragstellerin, die Gelegenheit hatte, sich zu den Fragen der Zulassung und der (Nicht-) Substanziierung der Hilfsanträge ausführlich zu äußern (s. Protokoll, Seiten 4 bis 7). Überdies wurden die Parteien auch zur von der Antragstellerin geltend gemachten Rüge nach Regel 106 EPÜ gehört.

2.2.4 Die Beschwerdekammer hat in den Punkten 5 und 6 ihrer Entscheidung eine vollständige Begründung zur Frage der Zulässigkeit der Hilfsanträge wie auch zu der diesbezüglichen Rüge der Antragstellerin nach Regel 106 EPÜ gegeben.

Aus der Begründung der Entscheidung der Beschwerdekammer und der von der Antragstellerin als zutreffend bestätigten Zusammenfassung der Argumente der Beschwerdegegnerin (nunmehrige Antragstellerin) (s. Punkt 5.1.3. bis 5.1.5 der Entscheidungsgründe) geht hervor, dass die von der Antragstellerin vorgebrachten Argumente oder Aspekte betreffend der Zulässigkeit der Hilfsanträge von der Beschwerdekammer für die Entscheidung ausführlich berücksichtigt und erörtert wurden.

2.2.5 Die Große Beschwerdekammer ist deshalb der Ansicht, dass es keinen Grund und keinen Beleg dafür gibt, dass die Beschwerdekammer ihr Ermessen in willkürlicher Weise missbraucht oder offensichtlich rechtswidrig ausgeübt hätte. Auch insoweit wird der Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet betrachtet.

3. Die Große Beschwerdekammer gelangt deshalb zur Überzeugung, dass kein in der Ausführungsordnung genannter schwerwiegender Verfahrensmangel vorliegt und deshalb der Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet zu verwerfen ist (Regel 109 (2) a) EPÜ).

Somit sind die Anträge der Antragstellerin auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und auf Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens gleichermaßen erfolglos. Das Gleiche gilt für die weiteren Anträge der Antragstellerin, die in Abhängigkeit von den vorgenannten erfolglosen Anträgen keine Rechtsgrundlage haben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.

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