R 0012/20 (Antrag auf Überprüfung) of 19.7.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:R001220.20240719
Datum der Entscheidung: 19 Juli 2024
Aktenzeichen: R 0012/20
Antrag auf Überprüfung von: T 0498/19
Anmeldenummer: 13820710.5
IPC-Klasse: B66C23/88
B66C23/90
B66C15/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 348 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR MELDUNG VON KIPPGEFAHR EINES KRANS
Name des Anmelders: Palfinger AG
Name des Einsprechenden: HMF Group A/S
Kammer: EBA
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 112(a)(2)(d) (2007)
European Patent Convention Art 112(a)(3) (2007)
European Patent Convention Art 113(1) (2007)
European Patent Convention R 106 (2007)
European Patent Convention R 109(2)(a) (2007)
Rules of procedure of the Enlarged Board of Appeal Art 13
Rules of procedure of the Enlarged Board of Appeal Art 14(2)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Überprüfungsantrags - Fortführung des Einspruchsverfahrens - Erlass einer abschließenden und rechtsgültigen Entscheidung der Einspruchsabteilung - Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Antragstellerin Überprüfungsantrag offensichtlich unzulässig Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Gelegenheit zur Stellungnahme Überprüfungsantrag nach summarischer Prüfung auch offensichtlich unbegründet (obiter dictum)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0001/08
R 0020/09
R 0019/11
R 0015/12
R 0016/12
R 0001/17
R 0008/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der von der Einsprechenden (im Weiteren "die Antragstellerin") eingereichte Überprüfungsantrag betrifft die Entscheidung T 498/19 vom 22. Juni 2020, mit der die Technische Beschwerdekammer 3.2.01 (im Weiteren "die Kammer") die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufgehoben und die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen hatte.

II. Mit dem fristgemäß eingereichten und begründeten Überprüfungsantrag rügt die Antragstellerin gemäß Artikel 112a (2)d) EPÜ einen während des Beschwerdeverfahrens aufgetretenen schwerwiegenden Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ.

III. Der schriftlichen Entscheidung ist zu entnehmen, dass die Kammer zur Schlussfolgerung gelangt ist, dass die im erteilten Anspruch 1 definierte Erfindung unter Berücksichtigung der Gesamtoffenbarung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass der Fachmann sie ausführen kann, mithin der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht.

IV. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Überprüfung der Ausführbarkeit der definierten Erfindung nach Anspruch 1 des Streitpatents gemäß den Erfordernissen von Artikel 83 EPÜ die Kammer nicht über den Antrag der Antragstellerin, die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des Patent zu bestätigen und die Nichtausführbarkeit von Anspruch 1 festzustellen, entschieden habe. In diesem Kontext macht die Antragstellerin geltend, dass die Kammer die von der Antragstellerin vorgebrachten Anträge und Argumente nicht umfassend berücksichtigt und insgesamt keine oder zumindest eine falsche Entscheidung getroffen hätte.

V. In ihrer Besetzung gemäß Regel 109 (2) a) EPÜ hat die Große Beschwerdekammer eine Mitteilung gemäß den Artikeln 13 und 14(2) VOGBK erlassen und die Antragstellerin zu einer mündlichen Verhandlung geladen.

Die Große Beschwerdekammer hat die Antragstellerin gebeten ihr mitzuteilen ob, infolge der Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs vom 12. September 2022 und der Bestandskraft des Streitpatents, sie noch ein rechtlich schützenswertes Interesse an ihren Antrag auf Überprüfung hat.

Zusätzlich hat die Große Beschwerdekammer der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie der vorläufigen Meinung sei, dass der Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet zu verwerfen sei.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 19. Juni 2024 zu dieser Mitteilung Stellung genommen.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 19. Juli 2024

statt.

Die Antragstellerin beantragte,

- die Entscheidung T 0498/19 der Beschwerdekammer

3.2.01 aufzuheben;

- das Verfahren vor der Beschwerdekammer

wiederzueröffnen; und

- die Gebühr für den Antrag auf Überprüfung

zurückzuzahlen.

Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Große Beschwerdekammer ihre Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeitsvoraussetzung des Überprüfungsantrags - Rügepflicht nach Regel 106 EPÜ

1.1. Gemäß dem in Regel 106 EPÜ erhaltenen Zulässigkeitserfordernis ist der Überprüfungsantrag nur dann zulässig, wenn der behauptete Mangel während des Beschwerdeverfahrens beanstandet worden ist und die Beschwerdekammer den Einwand zurückgewiesen hat, es sei denn der Beteiligte war nicht in der Lage, den Einwand schon im Beschwerdeverfahren zu erheben

1.2. Die Antragstellerin macht geltend, dass der Einwand einen Mangel betrifft, der erst mit der Zustellung der schriftlichen Entscheidung und in Kenntnis der schriftlichen Begründung der Entscheidung erkennbar wurde. Infolgedessen sei die Antragstellerin nicht in der Lage gewesen, den Einwand schon in der mündlichen Verhandlung gemäß Regel 106 EPÜ zu erheben.

1.3. Die Große Beschwerdekammer ist der Auffassung, dass die Antragstellerin nicht in der Lage war, ihren Einwand geltend zu machen, bevor sie von der schriftlichen Begründung der Entscheidung Kenntnis genommen hatte. Deshalb war, ursprünglich, der von der Antragstellerin begründete Überprüfungsantrag nicht als offensichtlich unzulässig zu betrachten, zumal auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen offensichtlich vorlagen.

1.4. Jedoch merkt die Große Beschwerdekammer an, dass das fortbestehende Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin, sowie die oben erwähnten Zulässigkeitsvoraussetzungen über das gesamte Überprüfungsverfahren bestehen müssen und von Amts wegen beachtet werden müssen.

Die Große Beschwerdekammer hat davon Kenntnis genommen, dass im Laufe des Überprüfungsverfahrens, das Einspruchsverfahren aufgrund der Zurückverweisung gemäß der Entscheidung der Beschwerdekammer weitergeführt wurde, weil nach Artikel 112a (3) EPÜ der Überprüfungsantrag keine aufschiebende Wirkung hat.

Mit einer Entscheidung vom 12. September 2022 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch der Antragstellerin zurückgewiesen und das angefochtene Patent in erteilter Fassung aufrechterhalten.

Insbesondere hat die Einspruchsabteilung, in Punkt 2.3 der oben erwähnten Entscheidung, zu Artikel 100 b) EPÜ, auf die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 22. Juni 2020 verwiesen und somit bestätigt, dass die definierte Erfindung unter Berücksichtigung der Gesamtoffenbarung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass der Fachmann sie ausführen kann.

Des Weiteren hat die Einspruchsabteilung auch entschieden, dass die Erfindung neu sei (s. Punkt 2.11) und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (s. Punkt 3.6) und damit der Entscheidungsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht.

Gegen diese Entscheidung wurde innerhalb der Beschwerdefrist keine Beschwerde eingereicht, so dass die Parteien durch Mitteilung vom 3. Januar 2023 über die Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form und den Abschluss des Einspruchsverfahrens benachrichtigt wurden.

Damit entfaltet die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 12. September 2022 eine endgültige Wirkung.

1.5. Die Große Beschwerdekammer ist der Auffassung, dass aufgrund dieser veränderten Rechtslage das fortbestehende Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin in Frage gestellt wurde.

Trotz entsprechender Aufforderung hat die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 19. Juni 2024 dazu nicht Stellung genommen.

Das Vorbringen der Antragstellerin während der mündlichen Verhandlung, dass sie sich nicht über die Rechtsfolgen der Weiterführung des Einspruchsverfahrens bewusst und auch nicht in der Lage gewesen wäre, die Zweckmäßigkeit einer weiteren Beschwerde einzuschätzen, erscheint der Großen Beschwerdekammer rechtlich nicht nachvollziehbar, weil die Antragstellerin durch einen von ihr angestellten und bevollmächtigten Vertreter während des gesamten Verfahrens vertreten war.

Indem die Antragstellerin darauf verzichtet hat, gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 12. September 2022 zumindest vorsorglich eine Beschwerde einzureichen, hat sie verfahrensrechtlich eigenverantwortlich dazu beigetragen, dass nicht nur dieser Entscheidung in Rechtskraft erwächst, sondern eben auch dazu, dass das Streitpatent bestandskräftig wird.

1.6. Die folglich eingetretene Bestandskraft des Streitpatents lässt das bei Beginn des Überprüfungsverfahren zunächst zu bejahende Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin entfallen. Denn damit sind sowohl das unmittelbare Überprüfungsbegehren der Antragstellerin auf Aufhebung und Wiedereröffnung des durch die angefochtene Entscheidung abgeschlossene Beschwerdeverfahrens als auch ihr mittelbares und finales Überprüfungsbegehren auf Widerruf des Streitpatents rechtlich unmöglich geworden.

Die Große Beschwerdekammer gelangt deshalb zum Schluss, dass die Antragstellerin sich nicht mehr auf ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse stützen kann und, dass auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des ursprünglich eingereichten Überprüfungsantrags somit nicht mehr vorliegen.

Somit ist der Überprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig zu verwerfen.

2. Begründetheit des Überprüfungsantrags

Auch unabhängig von der offensichtlichen Unzulässigkeit des Überprüfungsantrag wäre dieser auch als auf der Basis der nachfolgenden summarischen Erwägungen offensichtlich unbegründet zu verwerfen gewesen.

2.1. Es wird von der Antragstellerin nicht bestritten, dass während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die verschiedenen Aspekte der Ausführbarkeit der in Anspruch 1 definierten Erfindung diskutiert wurden.

Diese Sachlage wird ergänzend bestätigt im Hinblick auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 21. Juli 2020 und 7. August 2020, mit denen sie eine Ergänzung des Protokolls zur mündlichen Verhandlung beantragte und aus dem sich ergibt, dass sie die Gelegenheit hatte, ihre Argumente vollständig vorzubringen.

Jedoch trägt die Antragstellerin vor, dass sie der Auffassung sei, dass die während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente von der Kammer nicht wahrgenommen und in der schriftlichen Entscheidung nicht behandelt wurden oder zumindest falsch ausgewertet wurden.

2.2. Die Große Beschwerdekammer stellt fest, dass die Kammer in den Punkten 1.1. bis 1.6 ihrer Entscheidung eine vollständige Begründung betreffend der Ausführbarkeit gegeben hat.

Aus der Begründung der Entscheidung der Kammer und der von der Antragstellerin als zutreffend bestätigten Zusammenfassung der Argumente der Beschwerdegegnerin (nunmehrige Antragstellerin) (S. 2, Punkt V, b) geht hervor, dass die von der Antragstellerin vorgebrachten Argumente oder Aspekte betreffend der Ausführbarkeit von der Kammer als relevant für die Entscheidung in Betracht gezogen wurden.

Die Tatsache, dass das Protokoll über die mündliche Verhandlung nicht im Detail alle vorgetragenen Argumente wiedergibt, ist kein Indiz dafür, dass die Parteien nicht die Gelegenheit gehabt hätten, zu allen wesentlichen Aspekte des Falls vorzutragen und gehört zu werden (siehe dazu R 20/09, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe).

Auch aus der Tatsache, dass eine Beschwerdekammer nach Diskussion und bei der Würdigung der Vorträge der Parteien ihre eigenen Schlüsse zieht, um zu einer Entscheidung zu gelangen, kann nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geschlossen werden (siehe R 19/11, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).

Die Große Beschwerdekammer ist deshalb der Auffassung, dass es keinen Grund und keinen Beleg dafür gibt, in Zweifel zu ziehen, dass die Kammer ausführlich zu allen wesentlichen Aspekten unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin entschieden hat.

2.3. Die Antragstellerin scheint vielmehr vorzutragen, wie sie es während der mündlichen Verhandlung nochmals deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die Entscheidung betreffend der Ausführbarkeit technisch falsch begründet sei. Im Ergebnis stellt sich dies als ein Nichteinverständnis mit der Begründung der Entscheidung dar.

Die Große Beschwerdekammer bemerkt jedoch ergänzend, dass dieser Ansatz dazu führte, die zu überprüfende Entscheidung auf ihre technische Begründetheit zu überprüfen, was die Zuständigkeit der Großen Beschwerdekammer im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach Artikel 112a EPÜ überschritte (siehe R 16/12, Punkte 4.2 und 4.7 der Entscheidungsgründe; R 8/20, Punkt 3.4 der Entscheidungsgründe).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unzulässig verworfen.

Quick Navigation