T 1691/15 () of 27.7.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T169115.20160727
Datum der Entscheidung: 27 Juli 2016
Aktenzeichen: T 1691/15
Anmeldenummer: 09765878.5
IPC-Klasse: B65B 69/00
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Nestec S.A.
Name des Einsprechenden: Franssen, Guy Jacques
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 79(1)
European Patent Convention Art 112(1)
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 81(2)
European Patent Convention R 99
European Patent Convention R 128
European Patent Convention R 144(d)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 54
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde (bejaht)
Änderungen - zulässig (bejaht)
Ausreichende Offenbarung (bejaht)
Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Verfahrensfehler (verneint)
Akteneinsicht - Ausschluss von Unterlagen von der Akteneinsicht (verneint)
Bekanntmachung des gesamten Schriftwechsels an alle Beteiligten eines mehrseitigen Verfahrens
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (verneint)
Orientierungssatz:

Exchanges between an opponent and the EPO which have a substantive and/or procedural bearing on the case in opposition proceedings, even if dealt with by the Directorate Quality Support in the context of a complaint handling system, should be communicated without delay to the other party/parties, as any other submission of a party or communication of the EPO in opposition proceedings. Such an exchange with a substantive and/or procedural bearing on the case should figure, by definition, in the public part of the file (see reasons, point 3).

Angeführte Entscheidungen:
R 0004/09
R 0015/09
R 0021/10
R 0019/11
R 0008/12
T 1799/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0174/16
T 2893/18

Summary of Facts and Submissions

I. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Entscheidung ein, den Einspruch zurückzuweisen und das europäische Patent Nr. 2 291 312 in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Der Einspruch hatte sich gegen das Patent als Ganzes gerichtet und war auf Artikel 100 a) EPÜ (Neuheit und erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) EPÜ (ausreichende Offenbarung) und Artikel 100 c) EPÜ (Erweiterung über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus) gestützt.

II. Die nachstehenden Dokumente aus dem Einspruchsverfahren sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

D1: EP-B1-2 146 608

D1a: WO-A-2008/139322, Veröffentlichung der Anmeldung von D1

D4/D5: angebliche frühere mündliche Offenbarung von D1a am 15. Januar 2008 auf der Grundlage von:

- Schreiben von A. Chebil (Nestlé Nespresso S.A.) an G. Franssen vom 13. Dezember 2007 und

- Vereinbarung über eine nicht vertrauliche Offenbarung vom 22. November 2007, unterzeichnet von A. Yoakim (Nestlé Nespresso S.A.) und G. Franssen am 28. November 2007

D6: Internet-Auszug mit der Definition des Begriffs "to intercept", Merriam-Webster, undatiert, 1 Seite

III. Die Kammer beraumte eine mündliche Verhandlung an und fügte der Ladung zur mündlichen Verhandlung ihre vorläufige, unverbindliche Auffassung bei:

- Die Beschwerde scheine fristgerecht eingereicht worden und zulässig zu sein.

- Die Änderungen schienen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinauszugehen.

- Die Erfindung werde als ausreichend offenbart angesehen.

- Der beanspruchte Gegenstand werde als neu angesehen.

- Der Antrag der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) auf Herausgabe von Kopien des einseitigen Schriftwechsels zwischen dem EPA und dem Beschwerdeführer oder einem anderen Verfahrensbeteiligten erscheine aus vorläufiger Sicht nicht gewährbar.

- Im Einspruchsverfahren scheine kein Verfahrensfehler unterlaufen zu sein.

Die Kammer teilte keine vorläufige Auffassung zur erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands mit, sondern gab lediglich an, wo diesbezüglich Diskussionsbedarf bestehe.

IV. Mit Schreiben vom 7. April 2016 bzw. 13. April 2016 kündigten der Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin an, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen würden. Daraufhin entschied die Kammer, die mündliche Verhandlung in Anbetracht der offenen Frage der erfinderischen Tätigkeit zu vertagen. In ihrer Mitteilung vom 26. April 2016 mit einem neuen Termin für die mündliche Verhandlung legte die Kammer ihre negative vorläufige Auffassung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 dar und machte der Beschwerdegegnerin den gesamten einseitigen Schriftwechsel zwischen dem EPA und dem Beschwerdeführer (sowie dessen Vertreterin, Frau Wouters) in dieser Sache bekannt.

Daraufhin stellte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 10. Juni 2016 einen Hilfsantrag. Außerdem beantragte sie mit Schreiben vom 27. Mai 2016 und vom 30. Juni 2016 die Vorlage von zwei Fragen zum mehrseitigen Verfahren an die Große Beschwerdekammer; die erste Frage betraf die Bekanntmachung eines einseitigen Schriftwechsels zwischen dem EPA und einem Beteiligten an den/die anderen Beteiligten des Einspruchsverfahrens und die zweite die Grundsätze der Gleichbehandlung der Beteiligten durch die Kammer und der Neutralität der Kammer bei der Äußerung einer vorläufigen Auffassung.

Der Beschwerdeführer reagierte mit Schreiben vom 16. Juni 2016 ebenfalls (s. auch seine früheren Schreiben vom 15. Februar 2016, 7. März 2016, 7. April 2016 und 19. April 2016).

V. Am 27. Juli 2016 fand in Anwesenheit beider Beteiligter die mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf unter anderem Folgendes erörtert wurde:

- die angeblichen Verfahrensfehler,

- die Vorlage an die Große Beschwerdekammer bezüglich der Bekanntmachung des einseitigen Schriftwechsels zwischen dem EPA und einem Verfahrensbeteiligten im Einspruchsverfahren an den anderen Verfahrensbeteiligten,

- die Zulässigkeit der Beschwerde,

- die Vereinbarkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des erteilten Patents mit den Artikeln 123 (2) und 83 EPÜ,

- die Vorlage an die Große Beschwerdekammer bezüglich der Grundsätze der Gleichbehandlung der Beteiligten durch die Kammer und der Neutralität der Kammer sowie

- die Vereinbarkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des erteilten Patents mit Artikel 56 EPÜ.

Die vorliegende Entscheidung wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet.

VI. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

VII. Die Beschwerdegegnerin beantragte, dass die Beschwerde für unzulässig erklärt werden solle (Antrag 1) oder dass die Kammer - falls sie die Beschwerde für zulässig befinde - ihre Entscheidung nicht auf ihre Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit in ihren Mitteilungen vom 15. Februar 2016 und vom 26. April 2016 stützen solle und - falls sie ihre vorläufige Auffassung zur erfinderischen Tätigkeit aufrechterhalte - dass die im Schreiben vom 30. Juni 2016 formulierte Frage der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden solle (Antrag 2) oder dass die Beschwerde - falls sie für zulässig befunden werde - als unbegründet zurückgewiesen werden solle (Antrag 3) oder dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Patent entsprechend den am 10. Juni 2016 eingereichten Unterlagen in geänderter Fassung aufrechterhalten werden solle (Antrag 4), dass ein weiterer geänderter Antrag zugelassen werden solle (Antrag 5) und dass die im Schreiben vom 27. Mai 2016 vorgeschlagene Frage der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden solle (Antrag 6).

VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent in der erteilten Fassung) lautet wie folgt:

"Verwendung einer Maschine (1) zum Trennen einer Packung einer gebrauchten Kapsel, die insbesondere aus einem Metall wie beispielsweise Aluminium und/oder Plastik gefertigt ist, und einer in der Kapsel enthaltenen Nahrungsmittel- oder Getränkezutat und zum separaten Sammeln der geöffneten Kapselpackung und der Kapselzutat zur Weiterverarbeitung durch übliche öffentliche Recyclingkanäle, wobei die Maschine (1) aufweist:

- Mittel (10, 11, 12, 15, 15', 151) zum Öffnen der Packung der Kapsel, die in die Maschine zugeführt ist, und zum Entfernen der Kapselzutat aus der geöffneten Kapselpackung, wozu Öffnungs- und Entfernungsmittel dazu angeordnet sind, relativ bezüglich der zugeführten Kapselpackung zu rotieren und die Kapselpackung entgegenzunehmen,

- Mittel (13, 13', 132) zum Separieren der geöffneten Kapselpackung von der Kapselzutat,

- Mittel (11, 14') zum Sammeln der geöffneten Kapselpackung und

- Mittel (14) zum Sammeln der Kapselzutat."

Die übrigen Ansprüche 2 - 15 sind abhängige Ansprüche auf bevorzugte Ausführungsformen.

Im Hinblick auf die vorliegende Entscheidung ist es nicht notwendig, den Wortlaut der unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags anzuführen.

IX. Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen Folgendes vor:

Einlegung und Zulässigkeit der Beschwerde (Antrag 1)

Alle verwaltungstechnischen Erfordernisse seien erfüllt worden, und die Beschwerde sei durch die Beschwerdebegründung hinreichend substanziiert.

Angebliche Verfahrensfehler

Seine Argumente und insbesondere seine mit Schreiben vom 31. März 2015 vorgelegten Ausführungen seien von der Einspruchsabteilung beim Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt worden.

Die Bezeichnung von D1 (bzw. D2 und D5) sei in der angefochtenen Entscheidung nicht genannt.

In der angefochtenen Entscheidung werde bei der Bezugnahme auf den Stand der Technik der Wortlaut des Anspruchs des Streitpatents verwendet. Dies gehe auf eine Verwechslung zwischen dem Stand der Technik und dem beanspruchten Gegenstand zurück.

In der maßgeblichen Anspruchsfassung sei der Ausdruck "und/oder umgekehrt" nicht enthalten, der aber in der angefochtenen Entscheidung genannt werde.

Im Einschreiben, in dem ihm die angefochtene Entscheidung mitgeteilt worden sei, fehle Blatt 1 von Formblatt 2339.

In der angefochtenen Entscheidung fehle die Unterschrift des rechtskundigen Mitglieds.

Der Recherchenprüfer habe auch am Prüfungs- und Einspruchsverfahren mitgewirkt.

All dies seien Verfahrensfehler.

Bekanntmachung des Schriftwechsels zwischen dem Beschwerdeführer und dem EPA im Einspruchsverfahren - Vorlage an die Große Beschwerdekammer (Antrag 6)

Der Schriftwechsel enthalte keine zusätzlichen Argumente, die für die Beschwerdegegnerin nicht schon durch andere (öffentlich zugängliche) Schreiben verfügbar seien. Der Bekanntmachung des gesamten Schriftwechsels an die Beschwerdegegnerin werde zugestimmt.

Hauptantrag (Antrag 3)

Die Aufnahme des Begriffs "Verwendung" in den Anspruch sei durch die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht gestützt.

D1/D1a habe der Beschwerdegegnerin zwar vor der Einreichung der Anmeldung für das Streitpatent vorgelegen, sei in diesem Patent aber nicht angeführt, sodass die zu lösende Aufgabe nicht richtig definiert und die Erfindung vom Fachmann nicht ausgeführt werden könne.

Klarheit müsse im Rahmen von Artikel 100 b) EPÜ geprüft werden, weil dort ausdrücklich von "deutlich" die Rede sei. Aufgrund von Verwechslungen bei den Bezugszeichen mangle es Anspruch 1 an Klarheit. Zudem ergebe sich mangelnde Klarheit aus dem Begriff "Verwendung" in Anspruch 1.

Neuheit liege vor. Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit stelle er aber in Anbetracht seiner früheren mündlichen Offenbarung seiner Anmeldung D1a gegenüber der Beschwerdegegnerin (belegt durch D4/D5) und angesichts des allgemeinen Fachwissens infrage.

Das einzige Unterscheidungsmerkmal des Anspruchs 1 gegenüber D4/D5 (D1a) bestehe darin, dass die Öffnungs- und Entfernungsmittel so angeordnet seien, dass sie relativ bezüglich der zugeführten Kapselpackung rotierten. Da die Translationsbewegung des Kolbens (2) in D4/D5 (D1a) dieselben technischen Wirkungen habe wie beim Patent die Rotationsbewegung, sei die beanspruchte Lösung eine naheliegende Alternative, an die der Fachmann sofort gedacht hätte und die er ohne technische Schwierigkeiten in der Vorrichtung aus D4/D5 (D1a) umgesetzt hätte. Der Gegenstand des Anspruchs 1 weise somit keine erfinderische Tätigkeit auf.

Grundsätze der Gleichbehandlung der Beteiligten und der Neutralität der Kammer - Vorlage an die Große Beschwerdekammer (Antrag 2)

Der Beschwerdeführer brachte keine Argumente zu diesem Punkt vor.

X. Die Beschwerdegegnerin brachte im Wesentlichen Folgendes vor:

Einlegung und Zulässigkeit der Beschwerde (Antrag 1)

Es sei unklar, ob die Beschwerdegebühr tatsächlich fristgerecht entrichtet worden sei, sodass die Beschwerde als nicht eingelegt betrachtet werden solle.

Die Beschwerdebegründung enthalte keine Substanziierung, wie und warum die angefochtene Entscheidung als falsch anzusehen sei und warum keine erfinderische Tätigkeit vorliege. Zudem habe der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents beantragt. Aus diesen Gründen solle die Beschwerde als unzulässig betrachtet werden.

Angebliche Verfahrensfehler

Die Beschwerdegegnerin brachte keine Argumente zu diesem Punkt vor.

Bekanntmachung des Schriftwechsels zwischen dem Beschwerdeführer und dem EPA im Einspruchsverfahren - Vorlage an die Große Beschwerdekammer (Antrag 6)

Der gesamte nicht öffentliche Schriftwechsel zwischen dem Beschwerdeführer (oder Dritten) und dem EPA sei ihr bekannt zu machen.

Die Thematik eines solchen einseitigen Schriftwechsels des EPA mit einem Beteiligten eines mehrseitigen Verfahrens müsse von der Großen Beschwerdekammer geklärt werden, weil es sich dabei um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zur Gewährleistung eines fairen und unparteiischen Verfahrens nach Artikel 112 (1) EPÜ handle.

Hauptantrag (Antrag 3)

Der Wechsel der Anspruchskategorie im Prüfungsverfahren von Vorrichtungsansprüchen zu Verwendungsansprüchen stelle keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung - wie im vorliegenden Fall - eine ausreichende Grundlage dafür biete.

Die fehlende Berücksichtigung von D1/D1a im Streitpatent sei für das Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht von Belang. Klarheit sei kein Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ.

Ausgehend von D4/D5 (D1a) als nächstliegendem Stand der Technik bestünden die Unterscheidungsmerkmale des Anspruchs 1 darin, dass die Öffnungs- und Entfernungsmittel so angeordnet seien, dass sie

- relativ bezüglich der zugeführten Kapselpackung rotierten und

- die Kapselpackung entgegennähmen.

Die Entgegennahme der Kapselpackung durch die Öffnungs- und Entfernungsmittel bedeute, dass Anspruch 1 das implizite Merkmal enthalte, dass sich die zugeführte Kapsel bewege, wenn die Öffnungs- und Entfernungsmittel damit in Berührung kämen, was in D4/D5 (D1a) nicht offenbart sei.

In Anbetracht der mit den Unterscheidungsmerkmalen verbundenen technischen Wirkungen bestehe die zu lösende Aufgabe darin, die Vorrichtung aus D4/D5 (D1a) so zu verändern, dass die gebrauchte Kapsel ohne jegliche Lageeinschränkungen in die Vorrichtung eingeführt werde. Es gehe nicht lediglich darum, eine Alternative zur Translationsbewegung zu finden.

Die beanspruchte Lösung werde in D4/D5 (D1a) weder aufgezeigt noch vorgeschlagen. Zu ihrer Umsetzung und insbesondere zur Entgegennahme der zugeführten Kapsel müsste der Mechanismus von D4/D5 (D1a) komplett umgestaltet werden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Grundsätze der Gleichbehandlung der Beteiligten und der Neutralität der Kammer - Vorlage an die Große Beschwerdekammer (Antrag 2)

Die Kammer habe neue Tatsachen bezüglich des allgemeinen Fachwissens vor dem wirksamen Datum des Streitpatents eingeführt, die nicht einmal auf Beweismitteln beruhten und auch nicht vom Beschwerdeführer vorgebracht worden seien. Dies stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Beteiligten im Einspruchsverfahren und eine fehlende Neutralität der Kammer dar. Da das Verhalten der Kammer im mehrseitigen Verfahren von grundlegender Bedeutung sei und das Recht diesbezüglich einheitlich angewandt werden müsse, solle diese Frage der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden.

Reasons for the Decision

1. Einlegung und Zulässigkeit der Beschwerde (Antrag 1)

1.1 In ihrem schriftlichen Vorbringen erklärte die Beschwerdegegnerin, dass es unklar sei, ob die Beschwerdegebühr tatsächlich fristgerecht entrichtet worden sei, sodass die Beschwerde als nicht eingelegt betrachtet werden solle.

Außerdem sei der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, wie und warum die angefochtene Entscheidung als falsch anzusehen sei und warum keine erfinderische Tätigkeit vorliege. Da die Beschwerde nicht substanziiert worden sei, solle sie als unzulässig betrachtet werden.

1.2 Diesem Standpunkt kann sich die Kammer nicht anschließen.

Die angefochtene Entscheidung war am 3. Juni 2015 an die Beteiligten versandt worden. Der Beschwerdeführer hatte sie nicht erhalten; daher wurde sie am 15. Juni 2015 nochmals versandt und gilt gemäß Regel 126 (2) EPÜ als am 25. Juni 2015 zugestellt (die Empfangsbescheinigung - Formblatt 2936 - wurde am 20. Juni 2015 unterschrieben). Die Zweimonatsfrist für die Einlegung der Beschwerde und die Entrichtung der Beschwerdegebühr nach Artikel 108 EPÜ lief somit am 25. August 2015 ab.

Die Beschwerdegebühr ging am 28. Juli 2015 beim EPA ein, und die Beschwerde wurde am 18. August 2015 per Telefax eingelegt, d. h. beide Handlungen wurden fristgerecht vorgenommen. Die frühere Zustellung vom <RES> 3. Juni 2015 ist wirkungslos.

Hinsichtlich der Zahlung der Beschwerdegebühr im vorliegenden Fall wird auf die Anlage zum Schreiben des Beschwerdeführers vom 20. August 2015 mit den entsprechenden E-Mails des EPA vom 29. Juli 2015 und vom 3. August 2015 verwiesen. Im gleichen Schreiben erklärt der Beschwerdeführer auch, dass der Zahlungsgrund auf der Überweisung ausdrücklich angegeben wurde.

Was die Zulässigkeit betrifft, so können zumindest die Gründe, die der Beschwerdeführer unter den Abschnitten E und L seiner ebenfalls am 18. August 2015 per Telefax eingegangenen Beschwerdebegründung nennt, als Angriff gegen die Nummer 10 bzw. 12.2 der angefochtenen Entscheidung betrachtet werden. Solange diese Verbindung zur Entscheidung besteht, ist dies für die Kammer ausreichend.

Somit sind die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 EPÜ und der Regel 99 EPÜ erfüllt. Die Beschwerde wurde fristgerecht eingelegt und die Beschwerdegebühr fristgerecht entrichtet. Daher ist die Beschwerde zulässig.

1.3 In der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdegegnerin zudem vor, dass weder die Beschwerdeschrift noch die Beschwerdebegründung eine Erklärung mit einem ausdrücklichen Antrag auf Aufhebung der Entscheidung und Widerruf des Patents enthalte. Die Kammer habe in der Anlage zur Ladung einen solchen Antrag erwähnt, der vom Beschwerdeführer aber nicht gestellt worden sei.

Des Weiteren enthielten die Abschnitte E und L der Beschwerdebegründung keine Substanziierung, warum und wie die angefochtene Entscheidung als falsch angesehen werden solle. Wie der Rest der Beschwerdebegründung, der noch weniger relevant sei, beinhalteten sie lediglich eine Reihe kritischer Anmerkungen und unbegründeter Äußerungen.

1.4 Dem kann sich die Kammer nicht anschließen.

Wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, äußerte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift ausdrücklich sein "Nichteinverständnis" mit den inhaltlichen und formalen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung und forderte die "Einspruchsabteilung" auf, ihren Standpunkt zu überdenken. Da im Einspruchsbeschwerdeverfahren keine Abhilfe im Sinne von Artikel 109 EPÜ vorgesehen ist, ist diese Aufforderung als Antrag an die Kammer zu verstehen, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen, d. h. aufzuheben.

Auch ist der Kammer klar, dass der einzige Antrag des Beschwerdeführers durchgängig und eindeutig der Widerruf des Patents war (s. Nr. 2 der angefochtenen Entscheidung). Somit kann sich der Antrag auf Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nur auf die Gewährung seines einzigen Antrags beziehen, d. h. des Antrags auf Widerruf des Patents.

Im Übrigen kann die Kammer nicht erkennen, warum es ihr nicht gestattet sein sollte, die Erklärungen in der Beschwerdeschrift und/oder der Beschwerdebegründung in einen echten Antrag umzuformulieren, wie sie es in ihrer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung getan hat. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer eine Privatperson ist und keinen zugelassenen Vertreter hat.

Schließlich wandte sich der Beschwerdeführer in Abschnitt E seiner Beschwerdebegründung ausdrücklich gegen Nummer 10 der angefochtenen Entscheidung, wo es um die Erweiterung des Inhalts des Patents über die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus durch die Aufnahme des Begriffs "Verwendung" in Anspruch 1 in der Prüfungsphase ging. Wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, kann ein Wechsel der Anspruchskategorie unter bestimmten Umständen zu einer Erweiterung des Gegenstands führen. Daher kann die Kammer aus den vorgelegten Argumenten unmittelbar ersehen, was der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung vorbringt und worauf er seine Argumente stützt, ohne eigene Untersuchungen anstellen zu müssen. Die Tatsache, dass die Argumente nicht überzeugend sind, ist für die Zulässigkeit der Beschwerde nicht relevant (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage 2013, IV.E.2.2.6.3 a) und IV.E.2.6.6).

Dasselbe gilt für Abschnitt L der Beschwerdebegründung. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Beschwerdeführer der Anerkennung der erfinderischen Tätigkeit unter Nummer 12.2 der angefochtenen Entscheidung widersprechen möchte. Ausgehend von D1 (de facto D4/D5 (D1a)) nennt der Beschwerdeführer das Unterscheidungsmerkmal und erörtert den Wechsel von einer linearen Bewegung zu einer Rotationsbewegung, der als für den Fachmann naheliegend anzusehen sei (s. insbesondere Abschnitt L, zweiter und dritter Absatz und "RESUMÉ" auf Seite 8 der Beschwerdebegründung). Damit enthält die Beschwerdebegründung einen substanziierten Einwand gegen die erfinderische Tätigkeit, mit dem gegen diesen Aspekt der angefochtenen Entscheidung vorgegangen wird. Auch hier kann die Kammer sofort verstehen, welche Argumente gegen die Entscheidung vorgebracht werden und worauf der Beschwerdeführer seine Argumentation stützt, ohne eigene Untersuchungen anstellen zu müssen.

2. Angebliche Verfahrensfehler

Der Beschwerdeführer behauptet in den Abschnitten A, J und M seiner Beschwerdebegründung, dass im Einspruchsverfahren Verfahrensfehler unterlaufen seien.

2.1 Abschnitt A

2.1.1 Seine Argumente, insbesondere die aus seinem Schreiben vom 31. März 2015, seien beim Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt worden.

2.1.2 Auch wenn der Beschwerdeführer nicht präzise genug ist, weist die Kammer darauf hin, dass D1 in der angefochtenen Entscheidung gebührend berücksichtigt und mehrmals erörtert worden ist (s. beispielsweise Nrn. 3, 11, 12.1 und 12.2). Dass D1 (das Patent) anstelle von D1a (der Patentanmeldung) genannt wird, ist ohne Belang, weil der Beschwerdeführer selbst von D1 spricht. D1 (D1a) wird in der Folge korrekt als Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ eingestuft, der also nur bei der Neuheitsprüfung zu berücksichtigen ist. Diesbezüglich wird auf das Schreiben des Beschwerdeführers vom 31. März 2015, Nummer 006 verwiesen, wonach Anspruch 1 des Streitpatents eine Alternative ("une variante") zu D1 betrifft, d. h. der beanspruchte Gegenstand auch vom Beschwerdeführer als neu gegenüber D1 (D1a) anerkannt wird. In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zur Frage der Neuheit werden Alternativen (oder "Äquivalente") tatsächlich nicht als neuheitsschädlich betrachtet (s. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage 2013, I.C.3.5).

2.1.3 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Tatsache, dass die Bezeichnung von D1 (bzw. D2 und D5) nicht genannt ist, nicht relevant für den Ausgang der angefochtenen Entscheidung, solange dort der Offenbarungsgehalt von D1 erörtert wird; dies ist unter Nummer 12.1 der Fall.

2.1.4 Schließlich ist es üblich, dass die Einspruchsabteilung bei der Prüfung, ob die Merkmale im Stand der Technik offenbart sind oder nicht, den Wortlaut des Anspruchs des Streitpatents verwendet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt keine Verwechslung zwischen D1 (D1a) und dem beanspruchten Gegenstand vor.

2.2 Abschnitt J

Die im Einspruchsverfahren zugrunde zu legende Fassung ist das erteilte Patent, das in Anspruch 1 nicht den Ausdruck "und/oder umgekehrt" umfasst. Dass "und/oder umgekehrt" in der angefochtenen Entscheidung unter Nummer 12.1 zusammen mit den Unterscheidungsmerkmalen genannt wird, ist tatsächlich nicht korrekt. Dies ist aber kein Verfahrensfehler, weil die übrigen Unterscheidungsmerkmale dem beanspruchten Gegenstand dennoch Neuheit gegenüber D1/D1a verleihen, sodass die Begründung der Einspruchsabteilung weiter Bestand hat.

2.3 Abschnitt M

2.3.1 Die angefochtene Entscheidung steht in Einklang mit Artikel 113 (1) EPÜ und Regel 111 EPÜ. Sie wurde gemäß Regel 126 (1) EPÜ korrekt durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein zugestellt. Sie wurde eindeutig gemäß Regel 126 (2) EPÜ zugestellt und ist am 20. Juni 2015 zugegangen (s. Formblatt 2936). Sollte also Blatt 1 von Formblatt 2339, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, im Einschreiben fehlen, gilt die Entscheidung dennoch als rechtswirksam zugestellt.

2.3.2 Ferner wird eine Einspruchsabteilung nur durch ein rechtskundiges Mitglied ergänzt, wenn dies nach Art der Entscheidung für erforderlich gehalten wird; dies war in der vorliegenden Sache nicht der Fall. Zudem ist es nach dem EPÜ zulässig, dass ein am Prüfungsverfahren beteiligter Prüfer ein Mitglied der Einspruchsabteilung ist, solange er nicht den Vorsitz führt. Diese Erfordernisse sind erfüllt (Artikel 19 (2) EPÜ).

2.4 Die obigen Ausführungen entsprechen der vorläufigen Auffassung der Kammer vom 15. Februar 2016, die den Beteiligten mit der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung zugegangen ist. Keiner der Beteiligten legte im späteren Verlauf des Verfahrens zusätzliche Argumente zu diesen Punkten vor.

2.5 Außerdem wandte sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Februar 2016 dagegen, dass der Recherchenprüfer auch in der Prüfungs- und der Einspruchsabteilung mitgewirkt hatte.

Diese Mitwirkung ist aus der Sicht der Kammer aber nicht problematisch, weil sie der üblichen Praxis des EPA entspricht und in Einklang mit dem EPÜ steht (vgl. Artikel 17, 18 (2) und 19 (2) EPÜ).

2.6 Aus diesen Gründen kann die Kammer nicht erkennen, dass im Einspruchsverfahren ein Verfahrensfehler unterlaufen ist.

3. Bekanntmachung des Schriftwechsels zwischen dem Beschwerdeführer und dem EPA im Einspruchsverfahren - Vorlage an die Große Beschwerdekammer (Antrag 6)

3.1 In seinem Schreiben vom 7. Mai 2015 im Beschwerdeverfahren verwies der Beschwerdeführer unter anderem auf folgende Schreiben:

- Schreiben des EPA vom 30. April 2014 und

- Schreiben von Frau Wouters vom 3. Juli 2014.

Diese Schreiben fehlten im öffentlichen Teil der Akte, was die Beschwerdegegnerin zur Stellung des Antrags veranlasste, dass ihr der gesamte Schriftwechsel zwischen dem EPA und dem Beschwerdeführer bzw. Frau Wouters und allen anderen nicht genannten Personen, die im Namen des Beschwerdeführers agierten, bekannt gemacht werden solle, so er nicht im öffentlichen Teil der Akte vorhanden sei.

3.2 Da die Kammer Zugang zur kompletten Akte einschließlich des nicht öffentlichen Teils hat, stellte sie fest, dass der Beschwerdeführer im Einspruchsverfahren auf der Grundlage von ihm eingereichter Reklamationen einen Schriftwechsel mit dem EPA zu fallspezifischen Fragen geführt hat.

Derartige Reklamationen werden von der Direktion Qualitätsunterstützung des EPA bearbeitet. Diese Direktion wurde mit der amtsweiten Bearbeitung von Reklamationen betraut und ist für die Verwaltung und Abwicklung aller (externen) Reklamationen sowie für das Abfassen und Versenden von Antworten an die Reklamanten zuständig. Dieses zentralisierte Verfahren soll eine einheitliche Behandlung aller beim EPA eingereichten Reklamationen gewährleisten.

Die Reklamationen und die Antworten der Direktion Qualitätsunterstützung werden standardmäßig in den nicht öffentlichen Teil der Akte aufgenommen.

Rechtsgrundlage dafür ist offenbar der Beschluss der Präsidentin des EPA, ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 3, J.3, Artikel 1 (2) b), wo es wie folgt heißt: "Schriftstücke ... können ausnahmsweise von Amts wegen von der Akteneinsicht ausgeschlossen werden, wenn die Akteneinsicht prima facie schutzwürdige persönliche oder wirtschaftliche Interessen einer anderen natürlichen oder juristischen Person als die eines Beteiligten oder seines Vertreters beeinträchtigen würde" (Artikel 128 (4) und Regel 144 d) EPÜ).

3.3 Gemäß Regel 79 (1) EPÜ teilt das EPA dem Patentinhaber den Einspruch mit. Sind mehrere Einsprüche eingelegt worden, so werden sie nach Regel 79 (2) EPÜ den übrigen Einsprechenden mitgeteilt. Gemäß Regel 79 (3) EPÜ teilt das EPA vom Patentinhaber eingereichte Stellungnahmen und Änderungen den übrigen Beteiligten mit, und gemäß Regel 81 (2) EPÜ übersendet es sämtlichen Beteiligten alle Bescheide nach Artikel 101 (1) EPÜ und alle hierzu eingehenden Stellungnahmen.

Infolgedessen hat sich der Grundsatz etabliert, dass der gesamte Schriftwechsel im mehrseitigen Einspruchsverfahren allen Beteiligten zugehen muss. Dies wird auch in der Mitteilung des EPA vom 3. Juni 2009, ABl. EPA 2009, 434 anerkannt.

3.4 Die Kammer hat aufgrund ihres Zugangs zur kompletten vom EPA geführten Akte festgestellt, dass im Einspruchsverfahren der nachstehende Schriftwechsel mit dem Beschwerdeführer erfolgte, der im nicht öffentlichen Teil der Akte dokumentiert ist:

a) Niederschrift über eine telefonische Rücksprache vom 5. März 2014 mit dem Einsprechenden bezüglich seines am 26. Februar 2014 eingelegten Einspruchs, die dem Einsprechenden zusammen mit der Dokumentation zur Einlegung eines Einspruchs per Telefax übermittelt wurde;

b) E-Mail des Einsprechenden vom 12. März 2014 an die für Reklamationen zuständige Stelle (Direktion Qualitätsunterstützung), die den Einspruch betraf und sich auf Fragen bezog, die eindeutig von Belang für das Einspruchsverfahren waren, und zwar insbesondere auf inhaltliche Fragen wie den Wechsel zu einem Verwendungsanspruch und die Neuheit gegenüber D1;

c) Antwort der Direktion Qualitätsunterstützung an den Einsprechenden vom 30. April 2014 (erstes oben unter Nr. 3.1 genanntes Schreiben)

d) Oben (Nr. 3.1) genanntes Schreiben von Frau Wouters vom 3. Juli 2014 im Namen des Einsprechenden, das sich eindeutig auf die Sachfragen des Einspruchsverfahrens bezog;

e) Antwort der Direktion Qualitätsunterstützung auf dieses Schreiben vom 10. Juli 2014, wonach das Schreiben vom 3. Juli 2014 als Einwendung Dritter behandelt werde;

f) Schreiben des Einsprechenden vom 25. Juni 2015 an den Präsidenten des EPA, das ebenfalls eindeutig inhaltliche und verfahrenstechnische Fragen des Einspruchsverfahrens betraf;

g) Antwort der Direktion Qualitätsunterstützung vom 17. Juli 2015 auf das an den Präsidenten des EPA gerichtete Schreiben;

h) E-Mail des Einsprechenden an den Präsidenten des EPA vom 26. Juli 2015, in der er verfahrenstechnische und inhaltliche Unregelmäßigkeiten bei der Bearbeitung der Reklamationen und des Einspruchs anzeigt;

i) Antwort der Direktion Qualitätsunterstützung vom 9. September 2015 auf diese E-Mail.

3.5 In Einklang mit dem oben erläuterten allgemein anerkannten Grundsatz hätte der gesamte Schriftwechsel zwischen dem damaligen Einsprechenden (dem jetzigen Beschwerdeführer) und dem EPA - der sich eindeutig auf fallspezifische Fragen bezog - unverzüglich auch der Patentinhaberin (der jetzigen Beschwerdegegnerin) zugehen müssen (s. Nr. 3.3 oben).

Dies gilt insbesondere für das Schreiben vom 3. Juli 2014, zu dem die Direktion Qualitätsunterstützung angab, dass es als Einwendung Dritter im Einspruchsverfahren behandelt werde, und für die Einbeziehung des Präsidenten des Amts in das Reklamationsverfahren sowie für die Reklamationen bezüglich der Tätigkeit der Recherchen- und Prüfungsabteilung, deren Recherchenprüfer bzw. beauftragter Prüfer später auch der Einspruchsabteilung angehörte. In Anbetracht dieser beiden Fragen hätte die Patentinhaberin tatsächlich über die Umstände der Tätigkeit der Einspruchsabteilung informiert werden müssen.

3.6 Daher entschied die Kammer unter Berücksichtigung der weiteren, im Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 13. April 2016 vorgebrachten Argumente, in dem auf den oben genannten Grundsatz verwiesen wurde, dass der oben angeführte gesamte Schriftwechsel der Beschwerdegegnerin bekannt gemacht werden solle.

3.7 Von keinem der oben aufgeführten Schreiben an das EPA und der entsprechenden Antworten der Direktion Qualitätsunterstützung lässt sich behaupten, dass es prima facie schutzwürdige persönliche oder wirtschaftliche Interessen natürlicher oder juristischer Personen - seien es nun Verfahrensbeteiligte oder nicht - beeinträchtigt.

Daher bestand keine Notwendigkeit, diese Schreiben aus dem öffentlichen Teil der Akte auszuschließen. Ein solcher Ausschluss sollte laut dem oben (Nr. 3.2) angeführten Beschluss der Präsidentin des EPA ohnehin nur die Ausnahme sein und nicht die Regel.

Der Beschwerdeführer selbst hatte in seinem Schreiben vom 7. Mai 2015 einige dieser Schreiben ausdrücklich genannt und in der mündlichen Verhandlung sogar nachträglich sein ausdrückliches Einverständnis damit erklärt, dass der gesamte Schriftwechsel der Beschwerdegegnerin bekannt gemacht wurde, weil er keine zusätzlichen Argumente enthalte, die dieser nicht aufgrund der anderen im Europäischen Patentregister verfügbaren Schreiben bekannt gewesen wären.

Durch die Mitteilung der Kammer vom 26. April 2016, mit der der Schriftwechsel der Beschwerdegegnerin bekannt gemacht wurde und die zum öffentlich zugänglichen Teil der Akte gehört, wird dieser Schriftwechsel ebenfalls öffentlich, sodass das Problem gelöst ist.

3.8 Wie von der Kammer in der mündlichen Verhandlung angeführt und von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten wurde, war der Beschwerdegegnerin ausreichend Zeit (rund drei Monate) eingeräumt worden, um sich mit diesem Schriftwechsel zu befassen, um sich gemäß Artikel 113 (1) EPÜ dazu zu äußern und um Argumenten des Beschwerdeführers entgegenzutreten, von denen sich die Kammer bewusst oder unbewusst hätte beeinflussen lassen können.

3.9 Ferner machte die Beschwerdegegnerin geltend, dass sie nur zufällig festgestellt habe, dass es einen ihr nicht bekannten Schriftwechsel zwischen dem Einsprechenden und dem EPA gegeben habe. Dies zeige, dass in Fällen wie diesem ein konkretes Problem bezüglich der ordnungsgemäßen Führung der Akten vorliege.

Tatsächlich nimmt die Kammer nicht von Amts wegen eine Prüfung der gesamten Akte und schon gar nicht eine Kontrolle vor, ob der nicht öffentliche Teil der Akte Unterlagen enthält, die öffentlich sein sollten. Mit der vorliegenden Entscheidung und deren Verteilung zur Unterrichtung an die anderen Vorsitzenden und Mitglieder der Beschwerdekammern möchte sie für die Probleme sensibilisieren, die sich ergeben können, wenn Schriftwechsel mit dem EPA, insbesondere im Rahmen eines Reklamationsverfahrens, den anderen Beteiligten des Einspruchsverfahrens vorenthalten und aus dem öffentlichen Teil der Akte ausgeschlossen werden.

3.10 Zudem beanstandete die Beschwerdegegnerin, dass das EPA den Einsprechenden quasi bei der Einlegung des Einspruchs unterstützt habe. Dies ergebe sich aus der Niederschrift über eine telefonische Rücksprache und dem Telefax (Position a der Auflistung unter Nr. 3.4 oben), wonach sich ein Mitarbeiter des EPA offenbar telefonisch an den Einsprechenden gewandt, ihn nach seiner Anschrift gefragt und ihm mitgeteilt habe, dass er eine Einspruchsgebühr in einer bestimmten Höhe zu entrichten habe. Dieses Telefonat sei durch ein Telefax mit dem Wortlaut der einschlägigen Rechtsvorschriften und Formblatt 2300 ergänzt worden.

3.11 Nach Artikel 99 (1) EPÜ gilt ein Einspruch als nicht eingelegt, wenn die Einspruchsgebühr nicht oder nicht fristgerecht entrichtet worden ist. Stellt die Einspruchsabteilung laut Regel 77 (1) EPÜ fest, dass der Einspruch Artikel 99 (1) EPÜ nicht entspricht, so verwirft sie den Einspruch als unzulässig, sofern die Mängel nicht bis zum Ablauf der Einspruchsfrist beseitigt worden sind.

Nach der Praxis des EPA teilt der Formalsachbearbeiter einem Einsprechenden etwaige Mängel des Einspruchs mit, die bis zum Ablauf der Einspruchsfrist beseitigt werden müssen (Regel 77 (1) EPÜ). Als ein solcher Mangel gilt die Nichtentrichtung der Einspruchsgebühr (s. Richtlinien für die Prüfung im EPA, November 2015, D-IV, 1.2.1 und 1.3.1).

Dies ist offenbar geschehen, wobei es tatsächlich unüblich ist, dass sich das EPA dafür telefonisch an einen Einsprechenden wendet; dies könnte jedoch der Tatsache geschuldet sein, dass in der Einspruchsschrift keine Privatanschrift angegeben war. Darin kann die Kammer aber keine Vorzugsbehandlung des Einsprechenden erkennen.

3.12 Vorlage an die Große Beschwerdekammer

3.12.1 In Anbetracht der vorstehenden Thematik beantragte die Beschwerdegegnerin die Vorlage der folgenden Frage an die Große Beschwerdekammer (s. Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 27. Mai 2016):

"Ist das Europäische Patentamt im mehrseitigen Verfahren, in dem ein Beteiligter mit dem Amt einen einseitigen Schriftwechsel über das Verfahren führt, verpflichtet, den/die anderen Beteiligten unverzüglich über diesen Schriftwechsel zu unterrichten, um das Recht des/der anderen Beteiligten auf ein faires und unparteiliches Verfahren insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 6 EMRK zu wahren?"

3.12.2 Die Kammer beschloss, diese Frage nicht der Großen Beschwerdekammer vorzulegen, weil sie selbst in der Lage war, sie in Bezug auf die Sachlage im vorliegenden Fall zu beantworten und durch die Bekanntmachung des gesamten Schriftwechsels an die Beschwerdegegnerin zu klären.

4. Hauptantrag (Antrag 3)

4.1 Wirksames Datum des Streitpatents

Die Kammer ist der Auffassung, dass die Priorität des Streitpatents wirksam in Anspruch genommen wurde. Das wirksame Datum für den beanspruchten Gegenstand ist somit der 20. Juni 2008. Dies wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

4.2 Dokumente

4.2.1 Dokument D1 ist eine EP-Patentschrift; die zugehörige Anmeldung D1a (WO-A-2008/139322) wurde am 23. April 2008, d. h. vor dem oben genannten wirksamen Datum des Streitpatents, eingereicht und am 20. November 2008, d. h. nach diesem wirksamen Datum, veröffentlicht. Wie von der Einspruchsabteilung richtig festgestellt wurde, ist D1a somit ein Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ und also nur bei der Neuheitsprüfung zu berücksichtigen (s. Nr. 12.1 der angefochtenen Entscheidung).

4.2.2 Bezüglich der angeblichen früheren mündlichen Offenbarung vom 15. Januar 2008 (D4/D5) ist die Kammer der Auffassung, dass die in D1a beschriebene Erfindung der Beschwerdegegnerin bedingungslos offenbart wurde und daher als öffentlich anzusehen ist. Entgegen den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung (Nr. 12.2, Seite 5, erster vollständiger Absatz) wird der Inhalt von D1a damit als Widerspiegelung dessen betrachtet, was damals offenbart wurde. Infolgedessen gehört die angebliche frühere mündliche Offenbarung D4/D5 (D1a) zum Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ (s. Beschwerdebegründung, Abschnitt G, letzte beide Absätze; Erwiderung der Beschwerdegegnerin auf die Beschwerdebegründung, Nr. 2).

4.2.3 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer vom 15. Februar 2016 zu den Dokumenten D1 und D4/D5 (D1a) (s. Nr. 8), die den Beteiligten mit der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung zugegangen war und von den Beteiligten in der Folge nicht beanstandet wurde.

4.2.4 D6 wurde von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegt und betrifft die Definition des in Anspruch 1 verwendeten Verbs "entgegennehmen".

Obwohl dieses Dokument verspätet eingereicht wurde, wurde seine Zulassung zum Verfahren vom Beschwerdeführer nicht beanstandet, und auch aus der Sicht der Kammer sprach nichts gegen die Zulassung. Vielmehr befand die Kammer, dass D6 die Diskussion über die Auslegung des Anspruchs 1 und insbesondere über das Vorliegen eines impliziten Merkmals stütze, wonach sich die zugeführte(n) Kapsel(n) bewege(n), wenn die Öffnungs- und Entfernungsmittel damit in Berührung kommen (s. Nr. 4.6 unten). Dass D6 nicht datiert ist, ist dabei nicht von Bedeutung, weil dieses Dokument eine Begriffsdefinition betrifft, die offenkundig auch vor dem Prioritätstag des Streitpatents gültig war. Dies wurde vom Beschwerdeführer ebenfalls nicht bestritten.

4.3 Zulässigkeit von Änderungen

4.3.1 Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt (Änderungen gegenüber Anspruch 1 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung sind hervorgehoben):

"Kapselmaschine (1) , angeordnetVerwendung einer Maschine (1) zum Trennen einer Packung einer gebrauchten Kapsel, die insbesondere aus einem Metall wie beispielsweise Aluminium und/oder Plastik gefertigt ist, und einer in der Kapsel enthaltenen Nahrungsmittel- oder Getränkezutat und zum separaten Sammeln der geöffneten Kapselpackung und der Kapselzutat zur Weiterverarbeitung durch übliche öffentliche Recyclingkanäle, wobei die Maschine (1) aufweist:

- Mittel (10, 11, 12, 15, 15', 151) zum Öffnen der Packung der Kapsel, die in die Maschine zugeführt ist, und zum Entfernen der Kapselzutat aus der geöffneten Kapselpackung, wozu Öffnungs- und Entfernungsmittel insbesondere dazu angeordnet sind, relativ bezüglich der zugeführten Kapselpackung zu rotieren und die Kapselpackung entgegenzunehmen und/oder umgekehrt,

- Mittel (13, 13', 132) zum Separieren der geöffneten Kapselpackung von der Kapselzutat,

- Mittel (11, 14') zum Sammeln der geöffneten Kapselpackung und

- Mittel (14) zum Sammeln der Kapselzutat."

4.3.2 Anspruch 1 in der erteilten Fassung basiert auf Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung sowie auf Seite 3, Zeilen 36 - 39, Seite 13, dritter Absatz und Seite 16, Zeile 3 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (s. Nr. 10 der angefochtenen Entscheidung).

4.3.3 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat die Einspruchsabteilung somit unter Nummer 10 der angefochtenen Entscheidung die Gründe dargelegt, aus denen sie die Aufnahme des Begriffs "Verwendung" für nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig befunden hat.

Außerdem verweist die Kammer auf folgende Passagen der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung:

- Seite 8, Zeile 30 bis Seite 9, Zeile 32,

- Seite 10, Zeile 34 bis Seite 11, Zeile 22,

- Seite 12, Zeilen 17 - 34,

- Seite 13, Zeilen 7 - 25,

- Seite 13, Zeile 30 bis Seite 14, Zeile 10,

- Seite 16, Zeilen 3 - 34 und

- Anspruch 15,

wo die Maschine aus dem ursprünglichen Anspruch 1 in Betrieb, d. h. in Verwendung, beschrieben wird.

Durch die Aufnahme des Worts "Verwendung" in die Ansprüche ergibt sich keine neue Lehre, die sich für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung als Ganzer ergeben würde.

4.3.4 Die abhängigen Ansprüche 2 bis 15 des Patents in der erteilten Fassung beruhen auf den abhängigen Ansprüchen 2 bis 14 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.

4.3.5 Daher sieht die Kammer keinen Grund, die entsprechende Begründung und die Schlussfolgerung unter Nummer 10 der angefochtenen Entscheidung zu beanstanden.

4.3.6 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer vom 15. Februar 2016 zur Zulässigkeit der Änderungen (s. Nr. 9), die den Beteiligten mit der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung zugegangen war. In der Folge wurden vom Beschwerdeführer weder schriftlich noch mündlich weitere Argumente vorgebracht.

4.4 Ausreichende Offenbarung

4.4.1 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers muss D1 (bzw. D1a) nicht genannt sein, damit die ursprüngliche subjektive Aufgabe abgeleitet werden kann, die in den Absätzen [6], [9] und [12] des Streitpatents ohnehin ausdrücklich aufgeführt ist. Zudem kann der Fachmann dem Streitpatent ausreichende und klare technische Informationen entnehmen, um die Erfindung auszuführen und so insbesondere die gestellte Aufgabe zu lösen (s. die in den Abbildungen dargestellten Ausführungsformen und die entsprechenden Passagen der Beschreibung).

Die Tatsache, dass der Beschwerdegegnerin vor dem wirksamen Datum Informationen zu D1a vorgelegen haben könnten, ändert daran nichts.

Außerdem ist die fehlende Nennung eines Dokuments aus dem Stand der Technik als solche kein Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 EPÜ.

Daher sieht die Kammer keinen Grund, die Begründung und die Schlussfolgerung unter Nummer 11 der angefochtenen Entscheidung zu beanstanden.

4.4.2 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist mangelnde Klarheit als solche kein Einspruchsgrund. Der vom Beschwerdeführer diesbezüglich angeführte Artikel 100 b) EPÜ ("so deutlich und vollständig ...") betrifft die ausreichende Offenbarung im Sinne von Artikel 83 EPÜ, die es dem Fachmann ermöglicht, die Erfindung auszuführen (s. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage 2013, II.A.1.5). Daher sieht die Kammer keinen Grund, die Begründung und die Schlussfolgerung unter Nummer 9 der angefochtenen Entscheidung zu beanstanden.

4.4.3 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer vom 15. Februar 2016 zur ausreichenden Offenbarung (s. Nr. 10), die den Beteiligten mit der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung zugegangen war.

4.4.4 In der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer lediglich ergänzend aus, dass die Beschwerdegegnerin aufgrund des Begriffs "Verwendung" in Anspruch 1 bei der Durchsetzung ihrer Rechte möglicherweise auf die Mittel aus seinem Patent (D1) zurückgreifen könnte. Dann würde der Schutzbereich von Anspruch 1 diesbezüglich unklar erscheinen.

4.4.5 Dem kann sich die Kammer nicht anschließen, weil mangelnde Klarheit, wie oben bereits ausgeführt, kein Einspruchsgrund ist. Zudem sind die Mittel in Anspruch 1 des Streitpatents genau angegeben und von den Mitteln aus D1 in Bezug auf die Neuheit eindeutig unterscheidbar (s. Nrn. 4.5 und 4.6.3 unten).

4.5 Neuheit

4.5.1 Entgegen der in seinem schriftlichen Vorbringen formulierten Auffassung des Beschwerdeführers reicht die bloße Behauptung, dass die Wirkungen in D4/D5 (D1a) und im Streitpatent identisch seien, nicht für die Schlussfolgerung aus, dass D4/D5 (D1a) den beanspruchten Gegenstand vollständig vorwegnimmt. Zum Ausschluss der Neuheit muss nachgewiesen werden, dass alle technischen Merkmale des Anspruchs in D4/D5 (D1a) unmittelbar und eindeutig offenbart sind.

Da in D4/D5 (D1a) noch nicht einmal offenbart ist, dass die Öffnungs- und Entfernungsmittel so angeordnet sind, dass sie relativ bezüglich der zugeführten Kapselpackung rotieren, ist die Neuheit gegenüber D4/D5 (D1a) anzuerkennen.

Daher kann die Kammer die Begründung und die Schlussfolgerung unter Nummer 12.1 der angefochtenen Entscheidung nicht beanstanden.

4.5.2 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer vom 15. Februar 2016 zur Neuheit (s. dort Nr. 11), die den Beteiligten mit der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung zugegangen war und vom Beschwerdeführer in der Folge nicht beanstandet wurde. In der mündlichen Verhandlung räumte der Beschwerdeführer die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Streitpatents ein.

4.6 Erfinderische Tätigkeit

4.6.1 Wie bereits unter der Nummer 4.2.1 angeführt, kann das Dokument D1a als solches nicht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands herangezogen werden, weil es ein Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ ist.

Dagegen kann die auf D1a basierende angebliche frühere mündliche Offenbarung D4/D5 zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands herangezogen werden.

Sie wird tatsächlich als nächstliegender Stand der Technik herangezogen, weil die Vorrichtung aus D4/D5 (D1a) wie die in Anspruch 1 beschriebene dazu dient, die Verpackung einer gebrauchten Kapsel von deren Inhalt zu trennen (D1a, Seite 1, Zeilen 1 - 3).

Wie bereits unter Nummer 1.4 zur Zulässigkeit der Beschwerde angeführt, bestreitet der Beschwerdeführer allerdings die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands basierend auf D4/D5 (D1a) und dem allgemeinen Fachwissen.

4.6.2 Die angebliche frühere mündliche Offenbarung D4/D5 (D1a) betrifft die Verwendung einer Maschine zum Trennen einer Packung einer gebrauchten Kapsel ("capsule usagée" 1), die insbesondere aus einem Metall wie beispielsweise Aluminium gefertigt ist, und dem Kaffee ("marc"), d. h. der in der Kapsel enthaltenen Getränkezutat, und zum separaten Sammeln der geöffneten Kapselpackung ("capsule retournée" 15, "capsule vidée et réduite", "capsule écrasée" 17) und des Kaffees zur Weiterverarbeitung durch übliche öffentliche Recyclingkanäle, wobei die Maschine ("machine expresso") aufweist:

- Mittel ("piston de vidange" 2) zum Öffnen der Packung der Kapsel (1), die in die Maschine eingeführt wird, und zum Entfernen des Kaffees aus der geöffneten Kapselpackung, wozu Öffnungs- und Entfernungsmittel (2) dazu angeordnet sind, relativ bezüglich der zugeführten Kapselpackung eine Translationsbewegung auszuführen,

- Mittel zum Separieren (2, "piston de déplacement" 3, "rainures d'éjection" 13) der geöffneten Kapselpackung vom Kaffee,

- Mittel ("réservoir" 6) zum Sammeln der geöffneten Kapselpackung (17) und

- Mittel ("récipient à marc" 5) zum Sammeln des Kaffees (Absätze [1], [3] und [14] bis [20]; Ansprüche 1 und 4; Abbildungen).

4.6.3 Damit sind die einzigen Unterscheidungsmerkmale gegenüber D4/D5 (D1a) die folgenden (s. auch Nr. 12.1 der angefochtenen Entscheidung):

wozu Öffnungs- und Entfernungsmittel dazu angeordnet sind,

- relativ bezüglich der zugeführten Kapselpackung zu rotieren und

- die Kapselpackung entgegenzunehmen.

4.6.4 Die Kammer teilt die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass die beanspruchte Entgegennahme der Kapselpackung durch die Öffnungs- und Entfernungsmittel zwangsläufig bedeutet, dass Anspruch 1 das implizite Merkmal umfasst, dass sich die zugeführte Kapsel bewegt, wenn die Öffnungs- und Entfernungsmittel damit in Berührung kommen (s. D6, "to stop and take someone or something that is going from one place to another place before that person or thing gets there" - jemanden oder etwas auf dem Weg zu einem Ziel aufhalten).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist dieses implizite Merkmal nicht in D4/D5 (D1a) offenbart, wo die Kapselpackung eindeutig ortsfest sein muss, wenn der Kolben (2) damit in Berührung kommt (Absätze [14] bis [16]). Das Argument des Beschwerdeführers, dass dies bei der Vorrichtung aus D4/D5 (D1a) auch geschehen könnte, während die Kapsel nach der Zubereitung des Kaffees herunterfällt, ist nicht stichhaltig, weil in D1a auf Seite 2 etwas anderes beschrieben wird: Nach der Zubereitung des Kaffees wird der Griff ("poignée" 7) betätigt ("ouverture"), und die gebrauchte Kapsel fällt herunter. Erst bei der nächsten Betätigung des Griffs (7) ("fermeture"), um mit einer weiteren Kapsel Kaffee zuzubereiten, wird die erste, gebrauchte Kapsel durch den Kolben (2) zusammengedrückt. Das beanspruchte Merkmal wäre nur dann vorweggenommen, wenn unmittelbar und eindeutig zu entnehmen wäre, dass nicht die zweite Kapsel zugeführt, sondern der Kolben (2) unabhängig und rasch betätigt werden muss, sobald der Griff (7) die Kapsel freigibt. Dies ist nicht der Fall, insbesondere deshalb nicht, weil die Vorrichtung aus D1a nicht für diesen Zweck konzipiert oder konstruiert ist.

4.6.5 Die Kammer teilt die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale - Rotationsbewegung und Entgegennahme - darin besteht, dass die zugeführte Kapsel nicht mehr ortsfest sein muss, wenn die Öffnungs- und Entfernungsmittel damit in Berührung kommen, sodass sie - und möglicherweise auch mehrere Kapseln gleichzeitig - ohne Lageeinschränkungen in die Vorrichtung eingeführt werden kann (s. Streitpatent, erste Ausführungsform, Einlass 5 sowie Öffnungs- und Entfernungsvorrichtung 10, Absätze [34] und [35], Abb. 1 bis 3, Schlagelemente oder Kapselöffner 15 in den Ausführungsformen 4 bis 9, Abb. 4 bis 9).

Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, wird diese technische Wirkung in der Vorrichtung aus D4/D5 (D1a) entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers durch die Verwendung eines Kolbens ("piston de vidange" 2) mit einer linearen Bewegung bezüglich einer ortsfesten Kapsel nicht erzielt, sodass die zu lösende Aufgabe nicht die bloße Bereitstellung einer alternativen Bewegung zu der Bewegung aus D4/D5 (D1a) zum Trennen der Packung der gebrauchten Kapsel von der Kapselzutat sein kann.

4.6.6 Somit kann die zu lösende Aufgabe tatsächlich als eine dahin gehende Veränderung der Vorrichtung aus D4/D5 (D1a) betrachtet werden, dass die gebrauchte Kapsel ohne Lageeinschränkungen in die Vorrichtung eingeführt werden kann.

4.6.7 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass die beanspruchte Lösung dieser Aufgabe in D4/D5 (D1a), wo es um die lineare Bewegung eines Kolbens in Richtung einer ortsfesten zugeführten Kapsel geht, weder offenbart noch nahegelegt wird. Aus der Sicht der Kammer könnte der Fachmann darauf kommen, den Arbeitsteil des Kolbens (2) aus D4/D5 (D1a) rotieren zu lassen, wenn er mit der zugeführten Kapsel in Berührung kommt, um das Aufbrechen und Öffnen der zugeführten Kapsel zu erleichtern. Dies ist aber nicht die beanspruchte Lösung, wonach die zugeführte Kapsel durch die Öffnungs- und Entfernungsmittel entgegengenommen wird.

Zur Umsetzung einer solchen Entgegennahme, d. h. der Entgegennahme einer zugeführten Kapsel, die sich bewegt, wenn der Kolben (2) damit in Berührung kommt, müsste der Mechanismus aus D4/D5 (D1a) völlig umgestaltet werden. Der Beschwerdeführer hat nicht erläutert, wie der Fachmann dies ohne erfinderische Tätigkeit erzielen würde.

4.6.8 Nach Ansicht des Beschwerdeführers musste der Verfasser von D1a nicht alle möglichen Anpassungen seiner Erfindung angeben. Eine Ausführungsform sei ausreichend, um den Erfordernissen der Regel 42 (1) e) EPÜ zu genügen. So hätte der Fachmann angesichts der zu erzielenden technischen Wirkungen, die in D4/D5 (D1a) und im Streitpatent gleich seien, sofort an die beanspruchte Lösung als mögliche Ausführungsform gedacht, die eine naheliegende und einfache technische Anpassung von D4/D5 (D1a) sei.

Insbesondere würden im Streitpatent die Zentrifugal-/Zentripetalkräfte genutzt, um die Kapseln in Richtung auf die Öffnungs- und Entfernungsmittel zu bewegen und einen Druck auf sie auszuüben. Dieser Druck sei mit dem Druck vergleichbar, der zum gleichen Zweck durch den Kolben ("piston de vidange" 2 oder "piston d'écrasement" 4) in D4/D5 (D1a) ausgeübt werde; beide würden in Newton ausgedrückt.

Dies gelte umso mehr, als im Streitpatent Mittel vorgesehen seien, um die zugeführte Kapsel auf die Rampe zu schlagen und vorwärts zu treiben (s. Anspruch 7), und Mittel wie eine archimedische Schraube, um die Kapsel zu bewegen (s. Anspruch 9), d. h. Mittel, die wie der Kolben aus D4/D5 (D1a) wirkten. Insbesondere eine archimedische Schraube sei ein Mittel, das - wie ein Kolben - eine Rotationsbewegung in eine Translationsbewegung umwandle.

4.6.9 Dem kann sich die Kammer nicht anschließen, weil D4/D5 (D1a), wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, weder offenbart oder nahelegt, dass die zugeführte Kapsel eine relative Rotationsbewegung bezüglich der Öffnungs- und Entfernungsmittel ausführt, noch dass die zugeführte Kapsel in Bewegung ist, wenn die Öffnungs- und Entfernungsmittel damit in Berührung kommen. Vielmehr werden die zugeführten Kapseln in den Ansprüchen 1 und 4 von D1a gepresst ("emboutissage"), um ihren Inhalt zu entleeren. Die Kapseln aus D4/D5 (D1a) sind somit eindeutig ortsfest, während der Kolben eine Translationsbewegung ausführt, um sie aufzubrechen. Dies kommt auch in der einzigen erfindungsgemäßen Ausführungsform von D1a (Abbildungen) zum Ausdruck.

Selbst wenn der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens eine relative Rotationsbewegung zwischen der Kapsel und den Öffnungs- und Entfernungsmitteln in Betracht zöge, hätte er - wie von der Beschwerdegegnerin weiter vorgebracht - keinen Hinweis darauf, wie dies in der Vorrichtung aus D4/D5 (D1a) umzusetzen wäre, schon gar nicht, wenn die zugeführte Kapsel ohne eine komplette Umgestaltung der bekannten Vorrichtung entgegengenommen werden muss, d. h. in Bewegung ist. Der Beschwerdeführer hat keine plausible Erläuterung vorgelegt, wie der Fachmann eine solche Umgestaltung vornehmen würde.

4.6.10 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass Anspruch 1 des erteilten Patents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5. Grundsätze der Gleichbehandlung der Beteiligten und der Neutralität der Kammer - Vorlage an die Große Beschwerdekammer (Antrag 2)

5.1 In ihrer Mitteilung vom 26. April 2016, Nr. 3 gab die Kammer eine negative vorläufige Auffassung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 ab.

In ihrem Schreiben vom 30. Juni 2016 und in der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdegegnerin vor, dass die folgenden Passagen a und b dieser Mitteilung (s. Nr. 3.2, zweiter Absatz) dem Vorbringen neuer Tatsachen durch die Kammer gleichkämen:

a) Der Fachmann wird keine Schwierigkeit sehen, zumindest den Teil des Kolbens 2 aus D1a, der mit der Kapsel in Berührung kommt, d. h. den Arbeitsteil, zusätzlich zur Translationsbewegung in eine solche Rotationsbewegung zu versetzen (s. Abb. 5, unterhalb der Hebelkontakte befindlicher Teil des Kolbens 2), ohne die Maschine aus D1a umgestalten zu müssen, und

b) der Fachmann wird erkennen, dass die kombinierte Translations- und Rotationsbewegung das Aufbrechen und Öffnen der Kapsel sogar erleichtern würde.

Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass diese neuen Tatsachen, die nicht einmal auf Beweismittel gestützt seien, das allgemeine Fachwissen vor dem wirksamen Datum des Streitpatents beträfen. Zudem seien sie nicht vom Beschwerdeführer vorgebracht worden.

Die Beschwerdegegnerin bestritt nicht, dass die Kammer berechtigt ist, vorläufige Auffassungen und Tatsachenbewertungen abzugeben. Sie war jedoch der Auffassung, dass das Vorbringen neuer Tatsachen durch die Kammer - wie angeblich im vorliegenden Fall - einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Beteiligten und eine fehlende Neutralität der Kammer darstelle, und verwies diesbezüglich auf G 9/91, ABl. EPA 1993, 408, Nummer 2 der Entscheidungsgründe.

5.2 Die Beschwerdegegnerin beantragte die Vorlage der folgenden Frage an die Große Beschwerdekammer (s. Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 30. Juni 2016):

"Wenn die Kammer im Rahmen der Bearbeitung eines Falls im mehrseitigen Einspruchsbeschwerdeverfahren zu einer vorläufigen Auffassung gelangt, die gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung der Beteiligten und der strikten Neutralität der Kammer verstößt:

i) Welche Abhilfemöglichkeiten bestehen?

ii) Kann ein Beteiligter daran gehindert werden, sich auf diese vorläufige Auffassung zu stützen?"

5.3 Aus den nachstehenden Gründen, die in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, beschloss die Kammer, diese Frage nicht der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.

5.3.1 Unter der Prämisse, dass die Kammer tatsächlich neue Tatsachen vorgebracht hat, ist auf G 9/91 (a. a. O.), Nummer 18 der Entscheidungsgründe zu verwiesen: Das Erheben eines neuen Einspruchsgrunds durch eine Kammer wird von der Großen Beschwerdekammer gebilligt, wenn die Kammer diesen für hoch relevant hält. Ob die Kammer tatsächlich darüber entscheiden kann, ist aber von der Zustimmung des Patentinhabers abhängig.

Beim Vorbringen neuer Gründe kann es sich um neue Tatsachen, neue Beweismittel oder neue Argumente handeln. Wenn ein solches Vorbringen zulässig ist, kann die jetzige Kammer kein Problem darin erkennen, den bestehenden Einspruchsgrund "mangelnde erfinderische Tätigkeit", der auf den bereits vorliegenden Stand der Technik D4/D5 (D1a) und das Argument gestützt wird, dass der Fachmann mit seinem allgemeinen Fachwissen einen Weg finden würde, um die Translationsbewegung des Kolbens in eine Rotationsbewegung umzuwandeln, um die Punkte a und b (s. Nr. 5.1 oben) zu ergänzen.

Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass ein neuer Grund nicht unbedingt mit neuen Tatsachen gleichzusetzen ist. So kann ein neuer Grund auch auf bereits vorliegenden Tatsachen basieren, z. B. Neuheit als neuer Grund auf der Basis eines bereits vorliegenden und bislang nur im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit erörterten Stands der Technik. Dies geht aber an der Sache vorbei. Der in G 9/91 (a. a. O.) erörterte neu vorgebrachte Grund deckt das gesamte Spektrum zwischen Einwänden, die auf bereits aktenkundigen Tatsachen basieren, und Gründen ab, die noch nicht vorgebracht wurden und auf neuen Tatsachen basieren.

Daher sieht die Kammer keine rechtliche Grundlage, die sie am Vorbringen neuer Tatsachen hindern würde, falls sie diese für hoch relevant erachten sollte.

5.3.2 Vorbringen neuer Tatsachen durch die Kammer

Aus der Sicht der Kammer ist die Beurteilung des allgemeinen Fachwissens und dessen, wie der Fachmann dieses Wissen einsetzen würde, im vorliegenden Fall keine neue Tatsache, sondern eine Beurteilung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Tatsachen und der von der Beschwerdegegnerin geführten Argumentation durch die Kammer (s. u.) und damit ein Argument.

Der Beschwerdeführer hatte bereits in seiner Beschwerdebegründung, Abschnitt L und "RÉSUME" (Seite 8), auf den Fachmann und seine Möglichkeiten verwiesen, d. h. auf sein allgemeines Fachwissen ("la technique proposée dans le brevet Nestec ...  en découle de façon évidente pour tout homme de métier"). Außerdem erklärte er, dass die von Nestec vorgeschlagene Lösung eine bloße Umwandlung einer linearen Bewegung in eine Rotationsbewegung sei ("passage de mouvement rotatif en linéaire et vice-versa ...").

Auf dieser Grundlage stellte die Kammer unter Nummer 12 ihrer Anlage zur Ladung vom 15. Februar 2016 Folgendes fest:

"In der mündlichen Verhandlung ist dann die Frage zu klären, ob es sich für den Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens in naheliegender Weise ergeben würde, eine Änderung der linearen Bewegung der Öffnungs- und Entfernungsmittel aus D4/D5 (D1a) ("piston" 2) in eine Rotationsbewegung ins Auge zu fassen, um die Kapselpackung von der Kapselzutat zu trennen."

Die Beschwerdegegnerin antwortete in ihrem Schreiben vom 13. April 2016 (s. letzter Absatz), dass "die beanspruchte Erfindung im Stand der Technik nicht nahegelegt wird und im Rahmen der bekannten Vorrichtung nicht einmal praktisch umgesetzt werden kann" (Hervorhebung durch die Kammer).

5.3.3 In den von der Beschwerdegegnerin in ihrem Schreiben vom 30. Juni 2016 angeführten Entscheidungen werden Begriffe wie "Gleichbehandlung", "nicht an die Stelle des Einsprechenden treten" (T 1799/08, Nr. 11 der Entscheidungsgründe und R 15/09, Nr. 4.2 der Entscheidungsgründe) und "strikte Neutralität" (R 21/10, Nr. 2.3 der Entscheidungsgründe, R 19/11, Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe, R 4/09, Nr. 2.3.3 der Entscheidungsgründe und R 8/12, Nr. 13 der Entscheidungsgründe) verwendet.

5.3.4 "Gleichbehandlung" – "nicht an die Stelle des Einsprechenden treten" – "Neutralität"

Im Fall T 1799/08 war die Sachlage eine andere, weil die Einsprechende nicht an der mündlichen Verhandlung teilnahm, in der die Kammer einen von dieser nicht ordnungsgemäß substanziierten Einspruchsgrund umfassend hätte untersuchen und anstelle der Einsprechenden eine detaillierte und vollständige Begründung vorlegen müssen. Dies ist kaum mit dem vorliegenden Fall vergleichbar, in dem der Beschwerdeführer an der mündlichen Verhandlung teilnahm und weitere Argumente zum einfachen Wechsel von der Translations- zur Rotationsbewegung vorbrachte und die Kammer ihre Einschätzung als Reaktion auf die Äußerungen der Beschwerdegegnerin zu den technischen Schwierigkeiten des Fachmanns vortrug, zur beanspruchten Lösung zu gelangen.

In der Sache R 15/09 wurde die Frage der Gleichbehandlung und der Neutralität in dem Sinne erörtert, dass die Kammer nach der Anhörung der Beteiligten den ein oder anderen Beteiligten nicht umfassend über ihren Standpunkt informieren sollte. Dasselbe gilt für den Verweis auf die Neutralität in der Entscheidung R 8/12: "...  gibt es keinen Grundsatz, der eine Kammer dazu verpflichtet, einem Beteiligten vor dem Erlass ihrer Entscheidung jedes mögliche Argument zu seinen Gunsten oder Ungunsten mitzuteilen", in der Entscheidung R 19/11: "...  haben die Beteiligten keinen Anspruch darauf, vor einer Entscheidung Hinweise zu den Entscheidungsgründen zu erhalten" und in der Entscheidung R 21/10, wo es heißt, dass einer Kammer nicht vorgeworfen werden kann, neutral zu bleiben und die Beteiligten nicht über alle möglichen Auslegungen des betreffenden Anspruchs zu unterrichten ("Il ne saurait pas plus être fait reproche à la Chambre de recours, dans une procédure inter partes, de n'avoir pas manqué à son absolu devoir de neutralité en n'informant pas les parties de toute possible interprétation de la revendication dont s'agit").

5.3.5 All diesen Entscheidungen ist gemeinsam, dass die Kammer in ihre schriftliche Entscheidung auch Argumente aufnehmen kann, die in der mündlichen Verhandlung bzw. im Verfahren nicht ausdrücklich vorgebracht wurden, solange diese im Zusammenhang mit der geführten Diskussion stehen. Der vorliegende Fall ist völlig anders gelagert: Die Kammer hat ihre Einschätzung in ihrer Anlage zur Ladung vom 26. April 2016 genau deshalb mitgeteilt, um solche neuen Argumente - auch wenn sie in eindeutigem Zusammenhang mit der Diskussion über die erfinderische Tätigkeit und insbesondere damit standen, wie der Fachmann sein allgemeines Fachwissen anwenden würde - in der Entscheidung zu vermeiden.

5.3.6 In der Sache R 4/09 ging es darum, dass die Kammer ihre Neutralitätspflicht verletzt hätte, wenn sie der Patentinhaberin eine Anspruchsfassung vorgeschlagen hätte, mit der ein Einwand hätte ausgeräumt werden können. Diese Sache ist kaum auf den vorliegenden Fall anwendbar.

5.3.7 Da die Kammer befindet, dass der vorliegende Fall nicht die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Neutralität betrifft, ist die Voraussetzung (Verstoß gegen diese Grundsätze) für eine Befassung der Großen Beschwerdekammer vor der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit nicht erfüllt. Folglich konnte sie zur inhaltlichen Erörterung der erfinderischen Tätigkeit übergehen (s. Nr. 4.6 oben).

6. Hilfsanträge (Anträge 4 und 5)

In Anbetracht der obigen Feststellungen müssen die weiteren Hilfsanträge 4 und 5 der Beschwerdegegnerin nicht erörtert werden.

Order

For these reasons it is decided that:

1. Die beiden Anträge auf Befassung der Großen Beschwerdekammer werden zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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