J 0004/91 (Nachfrist für Jahresgebühr) of 22.10.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:J000491.19911022
Datum der Entscheidung: 22 October 1991
Aktenzeichen: J 0004/91
Anmeldenummer: 87301564.8
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Ahmad
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: 1. Für die Berechnung der Sechs-Monatsfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ zur Zahlung einer Jahresgebühr nebst Zuschlag ist die Regel 83 (4) EPÜ "mutatis mutandis" in einer von Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ ausgehenden Weise anzuwenden. Dies bedeutet, daß die Sechs- Monatsfrist in dem nachfolgenden sechsten Monat nicht an dem Tag endet, der durch seine "Zahl" dem Fälligkeitstag nach Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ entspricht, sondern an dem Tag, der durch seine Eigenschaft "letzter Tag des Monats" zu sein, diesem Fälligkeitstag gleichkommt. Bei der Berechnung der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ führt daher die Regel 83 (4) im Hinblick auf die Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ "von Ultimo zu Ultimo". (Abweichung von J 31/89 vom 31. Oktober 1989 - nicht veröffentlicht).
2. Die Rechtsauskunft Nr. 5/80 über "Berechnung von zusammengesetzten Fristen" (ABl. EPA 1980, 149) ist auf den Beginn der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ nicht anzuwenden. Dies bedeutet, daß diese Frist auch dann am letzten Tag des in Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ genannten Monats beginnt, wenn an diesem Tag die in Regel 85 Absätze 1, 2 und 4 EPÜ genannten Umstände vorliegen. Daher wird das Ende der Sechs-Monatsfrist durch solche Umstände bei ihrem Beginn nicht über das Ende des sechsten Monats hinaus in den siebten Monat verschoben.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 86(2)
European Patent Convention 1973 R 37(1)
European Patent Convention 1973 R 83(4)
European Patent Convention 1973 R 85
Rechtsauskunft Nr.05/80 (ABl.EPA 1980,149)
Schlagwörter: Nachfrist für Jahresgebühr - Berechnung
Rechtsauskunft Nr.5/80 nicht anwendbar im Falle Artikel 86(2) EPÜ
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0009/82
J 0031/89
J 0017/90
J 0018/90
T 0152/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0002/12
G 0002/13
G 0001/18
G 0003/19
J 0034/92
J 0047/92
J 0020/00
J 0008/07
T 0371/92
T 0377/95
T 1474/19

Sachverhalt und Anträge

I. Für die am 24. Februar 1987 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 87 301 564.8 wurde die dritte Jahresgebühr nach Regel 37 (1) EPÜ am Dienstag, den 28. Februar 1989 fällig, aber erst am Donnerstag, den 31. August 1989 zusammen mit der in Artikel 86 (2) EPÜ vorgesehenen Zuschlagsgebühr gezahlt. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ wurde durch Entscheidung der Eingangsstelle des EPA vom 6. Dezember 1990 als unzulässig abgelehnt, weil er nicht innerhalb der Zwei- Monatsfrist nach Artikel 122 (2) EPÜ gestellt worden sei.

II. Gegen diese Entscheidung legte der Anmelder am 4. Februar 1991 Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde am 10. Februar gezahlt und die Beschwerdebegründung am 10. April eingereicht.

III. In der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 1991 beantragte der Beschwerdeführer, (1.) die angefochtene Entscheidung aufzuheben und (2.) festzustellen, daß die Jahresgebühr mit Zuschlag rechtzeitig gezahlt worden ist. Hilfsweise (zu 2.) beantragte er, (3.) seinem Antrag auf Wiedereinsetzung stattzugeben.

IV. In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer eine Studie darüber vor, daß - bei richtiger Anwendung von Artikel 86 (2) zusammen mit Regel 37 (1) EPÜ - seine Zahlung am 31. August 1989 rechtzeitig gewesen sei. Darin wird näher dargelegt, daß das System der Fälligkeit von Jahresgebühren nicht auf Zeiteinheiten von Tagen, sondern auf Zeiteinheiten von Kalendermonaten ausgerichtet sei. Dementsprechend könne immer bis zum Ablauf der Zeiteinheit gezahlt werden. Die Sechs-Monatsfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ laufe daher von Monatsende zu Monatsende - ungeachtet welche Nummer jeweils der letzte Tag des Monats hat. Der Regel 83 (4) EPÜ liege demgegenüber ein Fristablauf zugrunde, bei dem die Frist mit jedem beliebigen Tag innerhalb des Monats beginnen könne und dementsprechend mit dem Tag entsprechender Nummer ende. Hier sei der "Tag" die kleinste Zeiteinheit, die fristauslösende Wirkung haben könne; nach Regel 37 (1) EPÜ sei dies jeweils der abgelaufene Monat als solcher. Die Regel 83 sei daher nicht anwendbar. Diese Regel werde auch nicht gebraucht, denn Regel 37 (1) und Artikel 86 (2) EPÜ enthielten ein in sich geschlossens Fristensystem.

V. Der Beschwerdeführer hat schriftlich sein Einverständnis zur Abfassung dieser Entscheidung in Deutsch gegeben (vgl. Entscheidung J 18/90 vom 22. März 1991, Leitsatz II und Gründe 1. - wird veröffentlicht).

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Ablauf der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ Die Entscheidung über den Hauptantrag hängt davon ab, ob die Jahresgebühr, die nach Regel 37 (1) EPÜ am Ende des Monats Februar 1989 fällig war, zusammen mit dem Zuschlag nach Artikel 86 (2) EPÜ nur bis 28. August oder bis Ende des Monats August, d. h. bis 31. August, rechtzeitig gezahlt werden konnte. 2.1 Bisherige Auffassung hinsichtlich der Berechnung der Nachfrist

In der Praxis des Amts, in der Literatur und in der Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer wurde die Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ bisher in der Weise berechnet, daß im konkreten Einzelfall zunächst die Zahl (number - quantième) festgestellt wurde, die der Fälligkeitstag am Ende des Anmeldungsmonats hatte. Als Fristende wurde dann nach Regel 83 (4) der Tag des sechsten folgenden Monats angesehen, der dem so ermittelten Tag durch "seine Zahl" entsprach. Was die Praxis des Amts anbelangt, so scheint es hierzu, außer einem unkommentierten Beispiel, keine besondere Verlautbarung zu geben. Das Beispiel findet sich in ABl. EPA 1980, 101, wo die sechs Monate von einem "30.6." zu einem "30.12" (nicht "31.12.") gerechnet werden. In der Literatur wird von "verkürztem Fristende" gesprochen (Gall in "Mitteilungen der Deutschen Patentanwälte", 1988, 135, 137 und 1991, 137, 138; siehe auch den Münchener Gemeinschaftskommentar zu Art. 86 EPÜ, hier insbes. Rdn. 92). Die Juristische Beschwerdekammer hat diese Berechnung in der Entscheidung J 31/89-Beaver vom 31. Oktober 1989 (nicht veröffentlicht) bestätigt. Die Kammer begründet ihre Entscheidung aber nur mit einem Hinweis auf die "Klarheit" der relevanten Vorschriften.

2.2 Die Konsequenzen einer dem scheinbar eindeutigen Wortlaut folgenden Auslegung Die bisherige Berechnungsart führt bei fünf von den zwölf möglichen Monatskonstellationen (Feb./Aug. - Apr./Okt. - Juni/Dez. - Sept./März - Nov./Mai) zu einem "verkürzten Fristende". Die Verkürzung führt somit zu einer Gefährdung von 42 % aller Zahlungsfälle.

Obwohl von dieser Frist in frühen Patentjahren wenig Gebrauch gemacht wird, ist sie doch von großer Bedeutung. Die Häufigkeit ihrer Nutzung steigt nämlich in dem Maße, in dem der wirtschaftliche Wert der Erfindung oder deren Patentierbarkeit fraglich wird. Letztlich ist sie eine für fast jede Patentanmeldung und fast jedes Patent potentiell bedeutsame Frist. Für die meisten Patentanmeldungen und Patente läuft diese Frist irgendwann einmal - genutzt oder ungenutzt. Das EPA trägt derzeit schon die Verantwortung für große Bestände anhängiger europäischer Patentanmeldungen. Künftig kommt die Verwaltung der Gemeinschaftspatente hinzu. Auch für diese wird Regel 37 (1) EPÜ gelten (vgl. Regel 11 der Ausführungsvorschriften zum Gemeinschaftspatentübereinkommen 1989). Nach der bisherigen Auslegung der relevanten Vorschriften wären große Bestände anhängiger europäischer Patentanmeldungen und künftig zu verwaltender Gemeinschaftspatente davon betroffen, daß die Nachfrist vor dem Ende des sechsten Monats abläuft. Betroffen wären alle jene, deren Anmeldetag - zufälligerweise - in einen Februar, April, Juni, September oder November fällt - und dies für ihre gesamte Laufzeit. Bei den anderen Anmeldungen und Patenten hingegen würde die End-Fälligkeit genauso wie die Erst- Fälligkeit auf den Monatsultimo fallen. Angesichts dieser Konsequenzen der bisherigen Auslegung der relevanten Vorschriften erscheint es berechtigt, zu überprüfen, ob die Auslegung bei einer reinen Wortauslegung oder grammatikalischen Auslegung stehen bleiben darf.

2.3 Rechtliche Grundlagen einer Auslegung Eine Theorie der Auslegung des europäischen Patentübereinkommens kann hier nicht gegeben werden. Hinsichtlich europäischen Einheitsrechts sei generell Bezug genommen auf Zuleeg in "Europarecht", 1969, 97 und auf Kutscher und Dumont in den Berichten über eine den Auslegungsmethoden gewidmeten Tagung vom 27. und 28. September 1976 in Luxemburg (herausgegeben vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften). Hinsichtlich des Europäischen Patentübereinkommens im Besonderen sei Bezug genommen auf Singer, EPÜ, Vorbemerkung, S. 9 bis 12 und die zahlreichen dort gegebenen Zitate. Im Rahmen der vorliegenden Entscheidung kommt es vornehmlich an auf die Bedeutung der "Travaux préparatoires" (Vorbereitende Arbeiten), auf das Prinzip des "sens clair" und auf eine "teleologische" Auslegung (verwandt mit dem Grundsatz des "effet utile" und der "purposive construction").

2.4 Wortbedeutung und Travaux préparatoires

2.4.1 Da es nicht um eine isolierte Anwendung von Regel 83 (4), sondern um eine von Regel 37 (1) EPÜ ausgehende Auslegung geht, beginnt hier die reine Wortauslegung schon dann zweifelhaft zu werden, wenn man die Wortauslegung mit einer Sinninterpretation verbindet. Die Regel 83 enthält Vorschriften über Fristberechnung, wie sie sich im Zivilrecht und Verfahrensrecht vieler Staaten und auch in Regel 80.2 PCT finden. Wie diese Vorbilder, so geht auch Regel 83 EPÜ davon aus, daß der Fristbeginn an irgendeinem Tag einsetzt, der in einer Reihe aufeinanderfolgender Tage steht. Dabei wird der Tag des Fristbeginns aber bereits durch seinen Kontext bestimmt: Bei Wochenfristen ist es ein Wochentag; bei Monatsfristen ist es ein Tag mit einer bestimmten Zahl. Regel 83 EPÜ selbst geht daher schon von einer differenzierten Charakterisierung des Tages des Fristbeginns aus, und zwar jeweils aus dem Zusammenhang heraus, in dem der Tag steht. In Regel 37 (1) EPÜ nun ist der Tag als "letzter Tag des Monats" charakterisiert. Daher ist es nicht selbstverständlich, wie es die bisherige Auslegung tut, daß zunächst dem Fälligkeitstag nach Regel 37 (1) EPÜ eine Zahl "zugeteilt" wird, auf die es für die Anwendung von Regel 37 (1) EPÜ gar nicht ankommt. Bereits eine kritische Wortauslegung führt daher zu Zweifeln, die Raum für eine Auslegung geben.

2.4.2 Auch die "Travaux préparatoires" zeigen, daß Regel 83 (4) angewendet auf Regel 37 (1) EPÜ für eine Auslegung offen ist: Im Vorentwurf 1962/64 nebst Ausführungsordnung gab es eine "Monatsende"-Regelung noch nicht. Vielmehr war dort (Art. 120) die Jahresgebühr "vor Beginn" des Patentjahres, also an jedem Tage fällig, der dem "Jahrestag" vorausgeht. Dies konnte jeder Tag eines Monats sein. Auch damals gab es Regeln, die den heutigen Regeln 83 und 85 EPÜ entsprechen. In ihrer Anwendung gab es keine Probleme, weil eben jeder Tag im Monat der Fälligkeitstag sein konnte.

Im November 1969 hat dann aber die Arbeitsgruppe I der sog. Luxemburger Regierungskonferenz (Dok. BR/12/69 v. 18. Dez. 1969, S. 38, Nr. 79) beschlossen, "die Anzahl der Fälligkeitstermine jeweils auf den Monatsultimo zu beschränken, um dadurch eine Verwaltungsvereinfachung herbeizuführen." Mehr dazu wird in allen späteren Dokumenten nicht mehr gesagt. Allerdings können aus der Redaktionsgeschichte der relevanten Vorschriften gewisse Schlüsse gezogen werden. Im sog. "Zweiten Vorentwurf von 1971" war in den Artikeln 129 bis 131 ein geschlossenes System von Vorschriften über die Jahresgebühren enthalten. Der Artikel 130 "Fälligkeit" ("Payment of renewal fees" - "Echéance") entspricht in seinem Absatz 1 der Regel 37 (1) Satz 1 und in seinem Absatz 2 dem Artikel 86 (2) EPÜ. In der Ausführungsordnung gab es auch damals die erwähnten allgemeinen Vorschriften über Fristberechnung entsprechend den heutigen Regeln 83 und 85 EPÜ.

Dennoch war es hinsichtlich des "Fälligkeit" überschriebenen Artikels 130 schwer vorstellbar, daß dort beim Übergang von Absatz 1 auf Absatz 2 die Regel 83 (4) EPÜ in einer Weise zur Wirkung kommen sollte, daß es zwar in 58 % der Fälle beim "Monatsende" bleibt, daß aber in 42 % der Fälle eine "Fristverkürzung" eintritt. Man kann nicht annehmen, daß in diesem Artikel 130 "Fälligkeit" in Absatz 1 das Ultimo-Prinzip postuliert werde, dieses dann aber hinsichtlich der Nachfrist nach Absatz 2 für fast die Hälfte der Anmeldungen nicht mehr gelten sollte. Es ist daher zumindest die Hypothese erlaubt, daß dieser Artikel 130 "Fälligkeit" in sich als geschlossenes Ganzes, d. h. als "lex specialis", angesehen wurde, in der die "lex generalis" der Regel 83 (4) nicht mit "numerierten" Tagen, sondern nur "entsprechend" angewendet werden konnte. Dies kann nur bedeuten, daß der Fälligkeitstag als Ausgangstag in seiner Charakterisierung als "Ultimo" gesehen werden muß. Im Zuge der späteren Aufteilung der Vorschriften auf Übereinkommen und Ausführungsordnung blieb Artikel 130 (2) als heutiger Artikel 86 (2) im Übereinkommen, da es sich hier um Völkerrecht handelt (Art. 5bis Unionsvertrag). Artikel 130 (1) hingegen fand seinen Platz als Regel 37 (1) Satz 1 in der Ausführungsordnung, denn hier handelt es sich um eine den Zwecken der Verwaltung dienende Vorschrift, die leicht abänderbar sein muß. Die redaktionelle Trennung der früher in einem Artikel 130 "Fälligkeit" vereinten Vorschriften ist sicher keine Entscheidung in bezug auf die Berechnung der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ.

2.5 Das Prinzip des "sens clair" in Anwendung auf die Regeln 37 (1) und 83 (4) EPÜ

2.5.1 Schon im römischen Recht galt der Satz "in claris non fit interpretatio". In der Rechtsprechung internationaler Gerichte entspricht dies dem Prinzip des "sens clair", nach dem bei "eindeutigem Wortlaut" für eine Auslegung kein Raum sei (hierzu auch Zuleeg, a.a.O und Bruchhausen in GRUR Int. 1983, 205, 209).

2.5.2 Dem Prinzip des "sens clair" ist zwar insoweit zuzustimmen, als einem klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers zu folgen ist. Dies bedeutet aber keinen Verzicht auf funktionsgerechte Sinndeutung innerhalb der "ratio legis" (so Zuleeg, a.a.O. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften). Diese "ratio legis" war es hier (s. oben 2.4.2), "Fälligkeitstermine jeweils auf den Monatsultimo zu beschränken". Es gibt keinen Grund zur Annahme, daß man dies nur bei der Erst-Fälligkeit und nicht auch bei der End-Fälligkeit erreichen wollte. Die Gleichstellung beider wäre bei einer anderen Redaktionsweise von Regel 37 (1) EPÜ mühelos erreicht worden. Man hätte nicht abstellen dürfen auf den "letzten Tag des Monats", sondern auf den "ersten Tag des folgenden (siebten) Monats". Dann würde die Anwendung von Regel 83 (4) EPÜ auch in ihrer reinen Wortbedeutung kein Problem bereiten. Nunmehr aber erscheint es als mögliche Konsequenz, daß in 42 % der Fälle eine "Fristverkürzung" eintritt. Man kann nicht annehmen, daß der Gesetzgeber ein solches Ergebnis wollte. Dies würde dem Ziel einer Verwaltungsvereinfachung, die nur als eine Verwaltungsvereinfachung in Rechtssicherheit verstanden werden kann, widersprechen. Daher bleibt nur die Schlußfolgerung, daß der Gesetzgeber entweder die mögliche gesetzestechnische Konsequenz seiner Redaktionsweise nicht bedacht hat oder - was eher naheliegt - von einer der Ultimo-Regelung entsprechenden Anwendung der Regel 83 (4) EPÜ ausgegangen ist.

2.6 Die teleologische Auslegung

Es gibt somit zwei Möglichkeiten, die Regel 83 (4) i. V. m. Regel 37 (1) EPÜ anzuwenden, nämlich die Anknüpfung an die "Zahl" des vorausgegangenen Monatsultimo oder aber die Anknüpfung an diesen entsprechend seinem Charakter als "Ultimo" und seiner Funktion, dadurch der Verwaltungsvereinfachung zu dienen. Dabei darf davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber die bedeutsame, dem Unionsvertrag entsprechende Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ nicht in einer Weise an eine Ultimo-Fälligkeit anknüpfen wollte, daß in 58 % der Fälle wieder ein "Ultimo" erreicht wird, während in 42 % der Fälle eine "Fristverkürzung" eintritt. Dies kann auf seiten der Anmelder und Patentinhaber immer wieder zu Irrtum und Rechtsverlust führen. Daher sieht die Kammer die relevanten Vorschriften nicht in einer "Klarheit", die ihr eine Auslegung verwehren würde. Sie kann somit nach den Regeln einer teleologischen Auslegung jene Möglichkeit wählen, die dem am besten entspricht, was als "ratio legis" zu erkennen ist, nämlich eine "Verwaltungsvereinfachung in Rechtssicherheit für die Anmelder". Diese Auslegungsmethode entspricht ungefähr auch dem, was als Auslegung im Sinne des "effet utile" oder einer "purposive construction" bezeichnet wird (s. hierzu die unter 2.3 angegebene Literatur). 2.7 Ergebnis der Auslegung von Regel 83 (4) i. V. m. Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ

Regel 83 Absätze 3 und 4 EPÜ haben als gemeinsames Prinzip, daß sie von einem durch "Benennung" oder "Zahl" charakterisierten Tag zu dem "korrespondierenden Tag" führen. In Regel 37 (1) EPÜ aber ist der Fälligkeitstag charakterisiert als "Ultimo". Daher legt sich für die Berechnung der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ eine Anwendung der Regel 83 (4) EPÜ in "entsprechender" Weise, also "mutatis mutandis" nahe. Die gemeinsame Herkunft von Regel 37 (1) Satz 1 und Artikel 86 (2) EPÜ aus dem früheren Artikel 130 "Fälligkeit" des Zweiten Vorentwurfs von 1971 stützt eine solche Auslegung. Die Kammer kommt somit in Abweichung von der Entscheidung J 31/89 vom 31. Oktober 1989 (nicht veröffentlicht) zu folgendem Ergebnis:

Für die Berechnung der Sechs-Monatsfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ zur Zahlung einer Jahresgebühr nebst Zuschlag ist die Regel 83 (4) EPÜ "mutatis mutandis" in einer von Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ ausgehenden Weise anzuwenden. Dies bedeutet, daß die Sechs- Monatsfrist in dem nachfolgenden sechsten Monat nicht an dem Tag endet, der durch seine "Zahl" dem Fälligkeitstag nach Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ entspricht, sondern an dem Tag, der durch seine Eigenschaft "letzter Tag des Monats" zu sein, diesem Fälligkeitstag gleichkommt. Bei der Berechnung der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ führt die Regel 83 (4) im Hinblick auf die Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ "von Ultimo zu Ultimo".

2.8 Die Einordnung des Ergebnisses in den Gesamtzusammenhang des Übereinkommens - rechtssystematische Auslegung Die angewendeten Auslegungsmethoden dürfen einer rechtssystematischen Auslegung des Übereinkommens nicht widersprechen. Zu diesem Zweck ist zu prüfen, wie sich im Gesamtsystem des Übereinkommens andere Fälle darstellen, in denen es um den Ablauf von Fristen für die Zahlung von Jahresgebühren geht.

2.8.1 In Betracht zu ziehen sind zunächst die Regelungen für

(1) die Frist nach Regel 104b (1) Buchstabe e EPÜ für die Zahlung der dritten Jahresgebühr bei Eintritt einer Euro-PCT-Anmeldung in die regionale Phase beim EPA,

(2) die Frist nach Regel 37 (3) EPÜ für die Zahlung von Jahresgebühren zurückliegender Jahre bei Teilanmeldungen und

(3) die Frist nach Artikel 141 EPÜ für die in den nationalen Bereich überführten europäischen Patente.

In diesen Fällen handelt es sich um Sonderregelungen für erstmals zu zahlende Jahresgebühren bei Eintritt in ein neues System, wobei zwangsläufig vom Ultimo-Rhythmus laufender Zahlungen abgewichen werden muß. Diese Sonderfälle stehen daher zu der oben vorgenommenen Auslegung nicht in Widerspruch.

2.8.2 Als mögliche Durchbrechung der Ultimo-Regelung ist aber auch die Rechtsauskunft Nr. 5/80 über "Berechnung von zusammengesetzten Fristen" (ABl. EPA 1980, 149) in Betracht zu ziehen. In ihr ist (auf Seite 152) mehr beiläufig gesagt, daß die Grundsätze der Rechtsauskunft auch auf die Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ anzuwenden seien. Demnach würde diese Nachfrist dann nicht am "Ultimo" beginnen, wenn an diesem Tag Umstände der in Regel 85 Absatz 1, 2 und 4 EPÜ genannten Art vorliegen. Der Ablauf der Nachfrist würde daher vom Ende des sechsten Monats gelöst und in den siebten Monat hinein verschoben. Dann könnte der Irrtum entstehen (so im Fall J 17/90), daß auch im siebten Monat wieder das Prinzip des Ultimo gilt. Obwohl für die Entscheidung des vorliegenden Falles eine solche Verschiebung keine Rolle spielt, ist eine Beschäftigung mit dieser Frage kein "obiter dictum". Zu einer Rechtsauslegung, die von dem reinen Wortlaut der Regel 83 (4) EPÜ abweicht, gehören auch rechtssystematische Überlegungen. Wenn es um die Auslegung der Regel 83 (4) geht, darf die Einwirkung der Regel 85 EPÜ auf das gewonnene Ergebnis nicht außer Betracht bleiben.

3. Die Anwendbarkeit der Rechtsauskunft Nr. 5/80 über die "Berechnung von zusammengesetzten Fristen" (ABl. EPA 1980, 149, 152) auf die Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ

3.1 Historisch gesehen wurde die Rechtsauskunft Nr. 5/80 geschaffen im Hinblick auf die früheren Regeln 85a, 85b und 104b (1) EPÜ, die inzwischen wieder so geändert sind, daß die Rechtsauskunft nur noch im Fall der Regel 85a (2) EPÜ anwendbar ist. In der Rechtsauskunft ist die Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ nur beiläufig erwähnt. Die Rechtsauskunft diente vor allem den genannten Regeln in ihrer früheren Fassung. Bei der Konzeption dieser früheren Nachfristen hatte man auf die Prüfungsantragsfrist (Regel 85b EPÜ) Rücksicht zu nehmen. Im Hinblick auf diese wollte man keine Nachfrist schaffen, die als Verlängerung der Prüfungsantragsfrist verstanden werden konnte, sondern eine "Nach"-Frist als Heilungsmöglichkeit besonderer Art. Daraus erklärt sich die Formulierung "innerhalb einer Nachfrist von ... nach Ablauf der Frist ...". Aufgabe der Rechtsauskunft war es daher, eine Berechnungsart zu finden für eine Frist, die "nach Ablauf" einer anderen Frist erst beginnt. Die Juristische Beschwerdekammer hat die Anwendbarkeit der Rechtsauskunft auf die Fristen nach den früheren Regeln nicht beanstandet (J 9/82, ABl. EPA 1983, 57; J 14/86, ABl. EPA 1988, 85); sie hatte dabei keinen Anlaß, dies zu tun.

3.2 Im vorliegenden Fall ist es ausreichend zu untersuchen, ob die Rechtsauskunft tatsächlich auch, wie darin beiläufig erwähnt, auf die Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ anzuwenden ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um eine Nachfrist, die sich an den Ablauf einer vorausgegangenen Frist anschließt, wie in den oben genannten Regeln, sondern um eine "Schonfrist" ("period of grace" - "délai de grâce"), die an den Fälligkeitstag in Regel 37 (1) EPÜ anknüpft. Ist dieser Fälligkeitstag ein Samstag/Sonntag, so ist zwar eine am folgenden Werktag tatsächlich eingehende Zahlung noch zuschlagsfrei. Nach allgemeiner und richtiger Auffassung ist hier Regel 85 (1) EPÜ entsprechend anwendbar, obwohl diese Regel streng nach ihrem Wortlaut auf diesen Fall nicht paßt: Ein "Fälligkeitstag" ist keine "Frist", die sich "verlängern" kann. Obwohl, wie gesagt, Regel 85 EPÜ bei tatsächlicher Zahlung im Falle von Wochenende/Feiertag, Poststreik und Störung des Dienstbetriebes des EPA anwendbar ist, so "verschiebt" sich deswegen der Fälligkeitstag nicht.

In der Regel 85 EPÜ geht es um Situationen, in denen die Entgegennahme von Schriftstücken oder Zahlungen durch das EPA behindert ist, nämlich durch Schließung an Wochenenden und Feiertagen (Absatz 1), durch Unterbrechung der Postzustellung (Absatz 2) oder Störung des Dienstbetriebs des EPA (Absatz 4). Zwar besagt der Wortlaut von Regel 85 EPÜ, daß sich in diesen Situationen "eine abgelaufene Frist verlängert". Dies kann aber nicht schlechthin gelten. Eine unerläßliche weitere Voraussetzung dafür, daß diese Regel überhaupt zur Anwendung kommt, muß es daher sein, daß im zeitlichen Bereich der Störung eine Zahlung oder Einsendung tatsächlich versucht wird. Allein der Gedanke an den Poststreik sollte überzeugen, daß der Beginn der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ durch ein solches Ereignis nicht beeinträchtigt wird.

Für die Berechnung der Sechs-Monatsfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ ist es daher irrelevant, ob die in Regel 85 EPÜ genannten Umstände vorlagen. Deren Anwendung bei Beginn der Nachfrist dürfte kaum als sinnhaft angesprochen werden. Bei Ablauf der Sechs-Monatsfrist allerdings ist nunmehr Regel 85 EPÜ auch von ihrem Wortlaut her anwendbar, da eine Frist abläuft, die sich entsprechend dieser Regel "verlängert". 3.3 Ergebnis der Erwägungen über die Anwendbarkeit der Rechtsauskunft 5/80 über "Berechnung von zusammengesetzten Fristen" auf die Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ Als Ergebnis dieser Erwägungen kann daher folgendes festgehalten werden:

Die Rechtsauskunft Nr. 5/80 über "Berechnung von zusammengesetzten Fristen" (ABl. EPA 1980, 149) ist auf den Beginn der Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ nicht anzuwenden. Dies bedeutet, daß diese Frist auch dann am letzten Tag des in Regel 37 (1) Satz 1 EPÜ genannten Monats beginnt, wenn an diesem Tag die in Regel 85 Absätze 1, 2 und 4 EPÜ genannten Umstände vorliegen. Daher wird das Ende der Sechs-Monatsfrist durch solche Umstände bei ihrem Beginn nicht über das Ende des sechsten Monats hinaus in den siebten Monat verschoben.

3.4 Die vorstehend vertretene Auffassung kann allerdings einzelne Anmelder in Schwierigkeit bringen, sofern sie nach der Rechtsauskunft noch rechtzeitig gezahlt hätten. Aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes müßte daher die Rechtsauskunft so lange als auf die Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ anwendbar betrachtet werden, solange keine anderweitige Verlautbarung des EPA ergangen ist und solange in den Hinweisen auf die Nachfrist in den Formblättern des EPA noch Fälligkeitstage angegeben werden, die unter Anwendung der Rechtsauskunft ermittelt sind (d. h. Fälligkeitstage im siebten Monat). Darüber hinaus bliebe im Einzelfall auch noch die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung.

4. Zu Hilfsantrag und Wiedereinsetzungsgebühr Da dem Hauptantrag stattgegeben werden kann, konnte auf Darstellung und Erörterung des Begehrens auf Wiedereinsetzung in Tatbestand und Gründen verzichtet werden. Infolge des Hilfsverhältnisses der Anträge ist die Wiedereinsetzungsgebühr zurückzuzahlen (T 152/82, ABl. EPA 1984, 301).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, daß für die europäische Patentanmeldung 87 301 564.8 die dritte Jahresgebühr mit Zuschlagsgebühr am 31. August 1989 rechtzeitig gezahlt wurde.

3. Die Rückzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr wird angeordnet.

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