European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1992:G000691.19920306 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 06 März 1992 | ||||||||
Aktenzeichen: | G 0006/91 | ||||||||
Vorlageentscheidung: | T 0367/90 | ||||||||
Anmeldenummer: | 84114954.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01R 31/36 | ||||||||
Verfahrenssprache: | FR | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Asulab | ||||||||
Name des Einsprechenden: | N.V. Philips'Gloeilampenfabrieken | ||||||||
Kammer: | EBA | ||||||||
Leitsatz: | 1. Die in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen erwerben den Anspruch auf Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ, wenn sie das wesentliche Schriftstück der ersten Verfahrenshandlung im Anmelde-, Prüfungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren in einer Amtssprache des betreffenden Staats, die nicht Deutsch, Englisch oder Französisch ist, einreichen und die erforderliche Übersetzung frühestens zum selben Zeitpunkt liefern. 2. Für den Anspruch auf Ermäßigung der Beschwerdegebühr genügt es, wenn die Beschwerdeschrift als das wesentliche Schriftstück der ersten Handlung im Beschwerdeverfahren in einer Amtssprache eines Vertragsstaats eingereicht wird, die nicht Amtssprache des EPA ist, und in eine solche übersetzt wird, auch wenn spätere Schriftstücke, etwa die Beschwerdebegründung, nur in einer Amtssprache des Europäischen Patentamts eingereicht werden. |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Anspruch auf Gebührenermäßigung | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Zusammenfassung des Verfahrens
I. Mit der Zwischenentscheidung vom 2. Juli 1991 in der Sache T 367/90 ASULAB S.A. gegen NV Philips' Gloeilampenfabrieken hat die Beschwerdekammer "Physik" 3.4.1 der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfragen vorgelegt:
(1) Wann muß ein in einer zugelassenen Nichtamtssprache abgefaßtes maßgebliches Dokument eingereicht werden, damit der Anspruch auf eine Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ erworben werden kann?
(2) Ist es insbesondere möglich, ein solches Dokument am selben Tag wie seine Übersetzung in eine Amtssprache des EPA einzureichen, ohne daß damit der Anspruch auf eine Ermäßigung der entsprechenden Gebühr erlischt?
(3) Muß im Falle einer Beschwerde die Beschwerdebegründung in einer zugelassenen Nichtamtssprache abgefaßt sein, damit der Anspruch auf eine Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ erworben werden kann?
(4) Falls die Frage 3 bejaht wird und das daraus resultierende Erfordernis nicht innerhalb der in Artikel 108 EPÜ festgelegten Frist erfüllt wird, sind dann zwanzig Prozent der Beschwerdegebühr als "geringfügiger Fehlbetrag der zu entrichtenden Gebühr" im Sinne des Artikels 9 (1) der Gebührenordnung zu verstehen? Ist ferner die Beschwerde zulässig, wenn der fehlende Betrag nach Ablauf der in Artikel 108 EPÜ vorgesehenen Zahlungsfrist entrichtet wird?
II. Im vorliegenden Fall legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende), eine Gesellschaft des niederländischen Rechts, mit einem in Niederländisch abgefaßten Schriftstück, dem eine Übersetzung ins Englische beilag, Beschwerde ein und entrichtete zugleich unter Berufung auf Artikel 14 (4) und Regel 6 (3) EPÜ sowie auf Artikel 12 der Gebührenordnung eine ermäßigte Beschwerdegebühr.
III. Später, aber noch innerhalb der in Artikel 108 letzter Satz EPÜ vorgeschriebenen Frist, reichte die Beschwerdeführerin eine nur in Englisch abgefaßte Beschwerdebegründung ein.
IV. Die Beschwerdekammer 3.4.1 verwies darauf, daß aus dem EPÜ nicht klar hervorgehe, in welcher zeitlichen Reihenfolge ein Originalschriftstück in einer Amtssprache eines Vertragsstaats, die nicht Amtssprache des Europäischen Patentamts sei (nachfolgend als "zugelassene" Nichtamtssprache bezeichnet), und seine Übersetzung in eine Amtssprache des EPA eingereicht werden müßten, damit davon ausgegangen werden könne, daß von den durch Artikel 14 (2) und (4) EPÜ eröffneten Möglichkeiten im Sinne der Regel 6 (3) EPÜ Gebrauch gemacht worden sei. Zwar sei in der Entscheidung J 4/88 (ABl. EPA 1989, 483) darauf erkannt worden, daß mit der gleichzeitigen Einreichung eines Originalschriftstücks und seiner Übersetzung Anspruch auf die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ entstehe, doch sei dabei nicht wirklich geprüft worden, ob eine Ermäßigung unter diesen Umständen gerechtfertigt sei. Die Kammer folgerte daraus, daß es diesbezüglich keine ständige Rechtsprechung gebe, und legte der Großen Beschwerdekammer die beiden ersten Fragen vor.
V. Die dritte Frage legte die Beschwerdekammer 3.4.1 vor, weil ihrer Ansicht nach aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern - insbesondere aus der obengenannten Entscheidung J 4/88 und aus der Entscheidung T 290/90 vom 9. Oktober 1990 (ABl. EPA 1992, 368) nur hervorgeht, daß im Falle einer Anmeldung und eines Einspruchs das wesentliche Element der Verfahrenshandlung in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache eingereicht werden muß, damit der Anspruch auf Gebührenermäßigung entsteht; da Artikel 108 EPÜ aber zwei gesonderte Fristen für die Einreichung der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründung vorsieht, hielt sie diese Rechtsprechung für Beschwerden nicht anwendbar.
VI. Die Beschwerdekammer 3.4.1 begründete ihre vierte, hilfsweise gestellte Frage damit, daß Artikel 9 (1) der Gebührenordnung einer Auslegung bedürfe, damit sie - falls die Große Beschwerdekammer bejahe, daß die Beschwerdebegründung in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache abgefaßt sein müsse, damit Anspruch auf Gebührenermäßigung entstehe - entscheiden könne, ob eine bewußt nicht entrichtete Gebührendifferenz als geringfügiger Fehlbetrag anzusehen sei, den das Amt unberücksichtigt lassen könne.
VII. Da die Große Beschwerdekammer es für zweckmäßig hielt, zur Frage der Sprache von Dokumenten und zu Gebührenangelegenheiten den Präsidenten des Amts zu hören, forderte sie ihn auf, zu den von der Beschwerdekammer 3.4.1 vorgelegten Fragen Stellung zu nehmen.
VIII. Die Beteiligten wurden ebenfalls aufgefordert, sich zu äußern.
IX. In einem am 17. September 1991 beim EPA eingegangenen Schreiben legte die Beschwerdeführerin dar, daß die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ ihrer Meinung nach dazu diene, zumindest teilweise die Nachteile auszugleichen, die den in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen dadurch entstünden, daß sie im Verfahren vor dem EPA einzureichende Unterlagen in einer Fremdsprache vorlegen müßten; diese Nachteile bestünden auch dann, wenn der Verfasser eine der Amtssprachen des EPA ausreichend beherrsche, um unmittelbar in dieser Sprache zu schreiben.
X. Unter Hinweis auf bestimmte Lehrmeinungen, denen zufolge die Regel 6 (3) EPÜ angesichts ihres Sinns und Zwecks nicht eng ausgelegt werden dürfe, brachte die Beschwerdeführerin vor, daß die Gewährung der Gebührenermäßigung gerechtfertigt sei, sobald der Betreffende seine Absicht, diese in Anspruch zu nehmen, durch die Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks - dem ggfs. aufgrund seiner Kürze gleich eine Übersetzung beigefügt werden könne - in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache zum Ausdruck bringe.
XI. Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß diese Auslegung insofern mit der Praxis des EPA in Einklang stehe, als das Amt zur Gewährung einer Ermäßigung der Prüfungsgebühr lediglich verlange, daß der Prüfungsantrag schriftlich in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache gestellt und übersetzt werde.
XII. Die Beschwerdeführerin akzeptiere zwar, daß eine in Artikel 14 (2) EPÜ genannte Person nach der Rechtsprechung (Entscheidungen J 7/80, ABl. EPA 1981, 137 und T 290/90, bereits erwähnt) nur dann von den durch Artikel 14 (2) und (4) EPÜ eröffneten Möglichkeiten Gebrauch mache und in den Genuß der Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ komme, wenn die wesentlichen Bestandteile der eingereichten Unterlagen, nämlich Beschreibung und Ansprüche bzw. Einspruchsgründe, in der "zugelassenen" Nichtamtssprache abgefaßt seien. Sie weise aber darauf hin, daß es in diesen beiden Fällen um Schriftstücke mit mehreren Bestandteilen (Beschreibung, Ansprüche, Antrag usw. bzw. Einspruchsschrift, Einspruchsbegründung) gehe, die innerhalb ein und derselben Frist vorzulegen seien und deren Einreichung eine einzige Verfahrenshandlung darstelle. Dieser Sachverhalt sei mit einer Beschwerde nicht vergleichbar, weil die Einreichung der Beschwerdeschrift eine andere Verfahrenshandlung darstelle als die der Beschwerdebegründung und beides nicht nur unterschiedlichen Fristen unterliege, sondern auch unterschiedliche Wirkungen habe.
XIII. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin müsse die Große Beschwerdekammer die vierte Frage der vorlegenden Kammer somit nicht beantworten. Falls sich die Große Beschwerdekammer dieser Argumentation aber nicht anschließen könne, sollte die vierte Frage ihres Erachtens aus Gründen des Vertrauensschutzes und der unklaren Rechtslage bejaht werden.
XIV. Der Präsident des Amts nahm in seiner Antwort wie folgt Stellung:
Wie den "vorbereitenden Arbeiten" zum EPÜ zu entnehmen sei, hätten die Verfasser des Übereinkommens Artikel 14 und Regel 6 mit der Absicht in das EPÜ aufgenommen, aus der Beschränkung des Übereinkommens auf drei Amtssprachen entstehende Nachteile für Angehörige von Mitgliedstaaten, deren Amtssprache nicht Amtssprache des EPA sei, zu vermeiden oder wenigstens zu mildern.
Aus diesem Grund dürften die entsprechenden Bestimmungen des EPÜ nicht eng ausgelegt werden, was stets auch die Politik und die Praxis des Amts gewesen sei.
Die Gebührenermäßigung sei also unabhängig davon, in welcher Reihenfolge das Originaldokument und seine Übersetzung im EPA eingetroffen seien, immer gewährt worden. Die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ sei aber nur dadurch zu rechtfertigen, daß der betreffenden Person Übersetzungskosten entstanden seien.
In diesem Sinne heiße es in der von der vorlegenden Beschwerdekammer genannten Entscheidung T 290/90, daß der Einsprechende die Einspruchsbegründung - den wesentlichen, einer Übersetzung bedürfenden Bestandteil des Einspruchs - in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache abfassen müsse, um Anspruch auf die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ zu erwerben. Im Falle einer Beschwerde müsse also die Beschwerdebegründung in einer "zugelassenen" Sprache vorgelegt und übersetzt werden, damit die Gebührenermäßigung gewährt werden könne, denn sie stelle den wesentlichen Bestandteil der Beschwerde dar, der einer Übersetzung bedürfe, die wiederum die Gebührenermäßigung rechtfertige.
Man könne sich nicht darauf berufen, daß es das EPA zur Gewährung einer Ermäßigung der Prüfungsgebühr als ausreichend betrachte, wenn der Prüfungsantrag gleichzeitig in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache und in einer Amtssprache des EPA gestellt werde.
Beim Prüfungsantrag handle es sich nämlich um eine in sich abgeschlossene Erklärung, wogegen die Beschwerde erst mit der Einreichung ihrer Begründung vollständig und zulässig werde. Die unterschiedlichen Fristen für das Einlegen der Beschwerde und für die Einreichung der Begründung seien dadurch bedingt, daß der Beschwerdeführer genügend Zeit für das Abfassen der Begründung haben müsse; sie seien aber kein hinreichender Grund dafür, die Ermäßigung bei der Beschwerdegebühr von anderen Bedingungen abhängig zu machen als bei der Einspruchsgebühr. Abschließend bemerkte der Präsident des EPA zur Anwendung des Artikels 9 (1) der Gebührenordnung, dieser ziele lediglich darauf ab, bei versehentlicher Nichtentrichtung eines geringfügigen Teils einer fälligen Gebühr Rechtsverluste zu verhindern. Er sei nicht dazu bestimmt, in den Fällen für Abhilfe zu sorgen, in denen ein Anmelder, Patentinhaber, Einsprechender oder Beschwerdeführer bewußt nur eine ermäßigte Gebühr entrichte, obwohl er keinen Anspruch auf Ermäßigung habe.
XV. Die Beschwerdegegnerin in der Sache T 367/90 äußerte sich nicht.
Entscheidungsgründe
Fragen 1 und 2
1. Zunächst gilt es, die Bestimmungen des Artikels 14 und der Regel 6 EPÜ zu untersuchen.
2. Artikel 14 (2) EPÜ sieht vor, daß natürliche oder juristische Personen mit Wohnsitz oder Sitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats, in dem eine andere Sprache als Deutsch, Englisch oder Französisch Amtssprache ist, und die im Ausland ansässigen Angehörigen dieses Staates europäische Patentanmeldungen in einer Amtssprache dieses Staats einreichen können. Ebenso können nach Artikel 14 (4) EPÜ die in Absatz 2 genannten Personen "fristgebundene Schriftstücke in einer Amtssprache des betreffenden Vertragsstaats einreichen".
3. Diese Personen müssen jedoch, wenn sie von Artikel 14 (2) und (4) EPÜ Gebrauch machen, innerhalb einer in der Ausführungsordnung vorgeschriebenen Frist eine Übersetzung ins Deutsche, Englische oder Französische einreichen; andernfalls gilt die Patentanmeldung als zurückgenommen (Art. 90 (3) EPÜ) oder das Schriftstück in der Originalsprache nach Artikel 14 (5) EPÜ als nicht eingegangen, was mit der Entscheidung T 193/87 vom 13. Juni 1991, Alfa Laval AB gegen Otto Tuchenhagen GmbH & Co KG und Appendage Fabriek Hoogoven BV, bestätigt wurde.
4. Für Patentanmeldungen wird diese Frist in Regel 6 (1) EPÜ, für sonstige Schriftstücke in Regel 6 (2) EPÜ festgelegt. Sie beträgt drei Monate ab Einreichung der Patentanmeldung, wobei sie den Zeitraum von dreizehn Monaten ab dem Prioritätstag nicht überschreiten darf, und jeweils einen Monat ab Einreichung einer Teilanmeldung oder einer neuen Patentanmeldung durch eine Person, die nicht der Anmelder ist und der durch rechtskräftige Entscheidung der Anspruch auf Erteilung eines europäischen Patents zugesprochen wurde. Für sonstige Schriftstücke gilt eine Frist von einem Monat ab der Einreichung. Ist das Schriftstück ein Einspruch oder eine Beschwerde, so verlängert sich die Frist gegebenenfalls bis zum Ablauf der Einspruchs- oder Beschwerdefrist (siehe R. 6 (2) EPÜ).
5. In Regel 6 (3) EPÜ heißt es schließlich: "Macht ein Anmelder, Patentinhaber oder Einsprechender von den durch Artikel 14 Absätze 2 und 4 eröffneten Möglichkeiten Gebrauch, so werden dementsprechend die Anmeldegebühr, die Prüfungsgebühr, die Einspruchsgebühr und die Beschwerdegebühr ermäßigt."
6. Den Bestimmungen des Artikels 14 (4) EPÜ ist zu entnehmen, daß für die Einreichung dieser Dokumente in der "zugelassenen" Nichtamtssprache keine gesonderte Frist vorgesehen wurde. Sie sind somit innerhalb derselben Fristen einzureichen wie die in einer Amtssprache des EPA abgefaßten Dokumente, wenn nicht von den durch Artikel 14 (4) EPÜ eröffneten Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird.
7. Die von der vorlegenden Beschwerdekammer 3.4.1 unter Nr. 4 der Entscheidungsgründe erwogene Auslegung, wonach der Anmelder, Patentinhaber oder Einsprechende bei gleichzeitiger Einreichung des Originalschriftstücks und seiner Übersetzung nicht von den durch Artikel 14 (4) EPÜ eröffneten Möglichkeiten Gebrauch macht, ist ihrer Meinung nach dadurch zu rechtfertigen, daß Artikel 14 (4) und Regel 6 (2) EPÜ im wesentlichen darauf abzielen, dem Betreffenden die fristgerechte Einreichung des Schriftstücks in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache zu ermöglichen. Wer nun gleichzeitig eine Übersetzung einreiche, habe ganz offensichtlich die in Artikel 14 (4) EPÜ vorgesehene Frist, deren Dauer in Regel 6 (2) EPÜ festgelegt sei, nicht benötigt und infolgedessen nicht im Sinne der Regel 6 (3) EPÜ von den durch Artikel 14 (4) eröffneten Möglichkeiten Gebrauch gemacht.
8. Die Große Beschwerdekammer kann sich dieser Auslegung nicht anschließen, weil sie sowohl dem Buchstaben als auch dem Geist der einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens entgegensteht.
9. Wie unter Nr. 4 erwähnt, beginnt die Frist für die Einreichung der Übersetzung nach Regel 6 (1) und (2) EPÜ mit der Einreichung der Patentanmeldung bzw. des Originalschriftstücks, und darunter fällt eindeutig auch die gleichzeitige Einreichung der Übersetzung. Zwar heißt es in Regel 83 (2) EPÜ zur Berechnung von Fristen: "Bei der Fristberechnung wird mit dem Tag begonnen, der auf den Tag folgt, an dem das Ereignis eingetreten ist, aufgrund dessen der Fristbeginn festgelegt wird." Es ist jedoch klar, daß diese Bestimmung nur die Berechnung der Dauer, nicht aber den Beginn der Frist betrifft, den ja das jeweilige Ereignis selbst darstellt. Diese Auslegung deckt sich im übrigen sowohl mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern in bezug auf die gleichzeitige Einreichung einer Patentanmeldung in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache und ihrer Übersetzung in eine Amtssprache des EPA (siehe die in der Vorlage-Entscheidung genannte Entscheidung J 4/88, ABl. EPA 1989, 483) als auch mit der Praxis des EPA, die im Falle des Antrags auf Prüfung durch die EPA-Formblätter für den Erteilungsantrag und den Eintritt in die nationale Phase offiziell bestätigt wird, auf die sich die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung bezogen hatte.
10. Auch kann man der Beschwerdekammer 3.4.1 wohl kaum darin beipflichten, daß das EPA die gleichzeitig mit einem Originaldokument eingereichte Übersetzung als "offizielles Schriftstück" betrachten und das Originaldokument mit der Begründung außer acht lassen könne, es sei überflüssig und gegenstandslos. Eine Übersetzung kann nie zum Original werden; sie ist und bleibt, unabhängig vom Tag ihrer Einreichung, eine Übersetzung, und zwar mit allen sich daraus ergebenden Rechtsfolgen, insbesondere der Möglichkeit, sie so zu berichtigen, daß sie mit dem Ausgangstext übereinstimmt. Diese Möglichkeit ist für die Unterlagen der Patentanmeldung ausdrücklich in Artikel 14 (2) EPÜ vorgesehen und ergibt sich für später eingereichte Schriftstücke aus der Anwendung der Regel 88 EPÜ.
11. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß den Bestimmungen des Artikels 14 (2) und (4) und der Regel 6 (1) und (2) EPÜ - wie aus den unter Nr. XIV erwähnten, vom Präsidenten des EPA angeführten vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ klar hervorgeht - die Absicht zugrunde lag, einen zumindest teilweisen Ausgleich für die Nachteile zu schaffen, die Angehörigen von Vertragsstaaten, deren Amtssprache nicht Amtssprache des EPA ist, dadurch entstehen, daß sie eine Übersetzung in eine Amtssprache des EPA anfertigen lassen müssen. In Artikel 14 und Regel 6 EPÜ geht es daher im wesentlichen darum, daß diese Personen alle im EPÜ für die Einreichung von Patentanmeldungen und nachfolgenden Schriftstücken vorgesehenen Fristen einhalten können und für deren Übersetzung mindestens einen Monat Zeit haben. Außerdem wird gewährleistet, daß sie Übersetzungsfehler nachträglich berichtigen können.
12. Die Übersetzung muß allerdings als solche eingereicht werden und darf keinesfalls mit dem Originaldokument verwechselt werden oder an dessen Stelle treten können.
Da eine Übersetzung nur dann als solche erkennbar ist, wenn zum Zeitpunkt ihres Eingangs der Originaltext bereits vorliegt, können Übersetzungen, die vor dem Original beim EPA eingehen, nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer nicht als im Sinne des Artikels 14 (2) und (4) und der Regel 6 (1) und (2) EPÜ wirksam eingereicht anerkannt werden. Wer von diesem Artikel und dieser Regel Gebrauch machen will, darf die "Übersetzung" frühestens zum selben Zeitpunkt einreichen wie das Original. Andernfalls muß das zuerst vorgelegte Dokument als Original gelten, und zwar mit allen sich daraus ergebenden Rechtsfolgen, insbesondere im Hinblick auf die Höhe der zu entrichtenden Gebühren.
Die Große Beschwerdekammer kann sich deshalb der Meinung des Präsidenten des EPA nicht anschließen, wonach den in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ auch dann zustehen sollte, wenn sie die Übersetzung vor dem Original einreichen. Ihrer Ansicht nach trifft vielmehr die in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (A- XI, 9.2.1, Absatz 3) enthaltene Auslegung des Artikels 14 und der Regel 6 EPÜ zu, wo es heißt: "Wird ... zuerst die europäische Patentanmeldung oder ein fristgebundenes Schriftstück in der Verfahrenssprache und nachträglich ein solches Dokument in der zugelassenen Nichtamtssprache eingereicht, so liegt keine Verwendung dieser Sprache im Sinn des Artikel 14 vor. Eine Ermäßigung ... der betreffenden Gebühr wird nicht gewährt."
13. Da im Anmelde-, Prüfungs-, Einspruchs- und Beschwerdeverfahren aber zahlreiche Schriftstücke zu unterschiedlichen Zeitpunkten einzureichen sind, muß festgelegt werden, bei welchen Schriftstücken von den durch Artikel 14 (2) und (4) EPÜ eröffneten Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden muß, damit der Anspruch auf die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ entsteht.
14. Bei wörtlicher Auslegung der Regel 6 (3) EPÜ könnte es zur Bedingung gemacht werden, daß alle im jeweiligen Verfahren eingereichten Schriftstücke in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache abgefaßt sind und übersetzt werden, damit der Anspruch auf Gebührenermäßigung entsteht. In diesem Fall könnte der Ermäßigungsbetrag erst am Ende des betreffenden Verfahrens erstattet werden.
15. Nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer muß eine solche wörtliche Auslegung ausgeschlossen werden, weil sie dem Sinn der Regel 6 (3) EPÜ zuwiderläuft und zu unhaltbaren Ergebnissen führt.
16. Formal ist zunächst festzuhalten, daß es in Regel 6 (3) EPÜ um eine Gebührenermäßigung (reduction of fees, réduction du montant des taxes) und nicht - wie z. B. in den Artikeln 10, 10a und 10b der Gebührenordnung - um eine Rückerstattung geht. Im letzteren Fall wird die Gebühr, die zunächst in voller Höhe zu entrichten ist, ganz oder teilweise zurückerstattet, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ ist dagegen unmittelbar mit der Verfahrenshandlung verknüpft (Einreichung einer Patentanmeldung, eines Prüfungsantrags, einer Einspruchs- oder Beschwerdeschrift). Es handelt sich dabei also um einen Anspruch, der durch die Verfahrenshandlung entsteht. Der Betreffende zahlt daher zu Recht nur die ermäßigte Gebühr, wobei die Gültigkeit dieser Zahlung durch Ereignisse, die nach der Vornahme dieser Handlung eintreten, nicht berührt wird.
17. In der Frage, worin die den Anspruch auf Gebührenermäßigung begründende Handlung besteht, entspräche eine enge Auslegung nicht dem Billigkeitsbestreben der Regel 6 (3) EPÜ, wie dies auch in der Rechtslehre hervorgehoben wird.
18. So hieß es in der von der Beschwerdekammer angeführten Rechtsprechung, daß es für die Zwecke der Regel 6 (3) EPÜ genügt, wenn der Anmelder, Patentinhaber oder Einsprechende die wesentlichen Bestandteile der Patentanmeldung (siehe die bereits erwähnten Entscheidungen J 7/80 und J 4/88) bzw. der Einspruchsschrift (siehe die bereits erwähnte Entscheidung T 290/90) in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache einreicht.
19. In der Praxis räumt das Amt insbesondere auch ein, daß der Anspruch auf Ermäßigung der Prüfungsgebühr entsteht, sobald der Antrag auf Prüfung in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache gestellt wird, und auch dann nicht erlischt, wenn anschließend eingereichte Schriftstücke nur in einer Amtssprache des EPA abgefaßt sind.
20. Nach der obigen Rechtsprechung und Praxis reicht es also zum Erwerb des Anspruchs auf Gebührenermäßigung aus, wenn der wesentliche Bestandteil der jeweils ersten Verfahrenshandlung in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache abgefaßt ist.
21. Die Große Beschwerdekammer hält diese Auslegung der Regel 6 (3) EPÜ für korrekt. Grundlage für den Anspruch auf Gebührenermäßigung nach dieser Regel ist nämlich die Vornahme einer bestimmten Handlung, und zwar die Einreichung einer Patentanmeldung, eines Prüfungsantrags, einer Einspruchs- oder einer Beschwerdeschrift. Eine teilweise Rückerstattung der Gebühren für den Fall, daß ein Dokument später in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache verfaßt und übersetzt wird, ist im EPÜ dagegen weder vorgesehen noch zugelassen. Die Große Beschwerdekammer stellt daher fest, daß Regel 6 (3) EPÜ sowohl in der Entscheidung J 4/88 (ABl. EPA 1989, 483) - nach der es genügt, wenn der Anmelder beim Einreichen der Anmeldung von den durch Artikel 14 (2) EPÜ eröffneten Möglichkeiten Gebrauch macht, um Anspruch auf Ermäßigung der Prüfungsgebühr zu erwerben, auch wenn der Prüfungsantrag nicht in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache gestellt wird - als auch in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (A-XI, 9.2.3.1 und 9.2.5.1) - wo es heißt, daß die Ermäßigung der Anmeldegebühr automatisch eine Ermäßigung der Prüfungs- bzw. Beschwerdegebühr zur Folge hat - falsch ausgelegt wird. Die Große Beschwerdekammer vertritt vielmehr die Ansicht, daß die Gebührenermäßigung nur dann zu gewähren ist, wenn der Anmelder bzw. der Beschwerdeführer bei der jeweiligen Handlung, d. h. beim Stellen des Prüfungsantrags oder beim Einlegen der Beschwerde, von den durch Artikel 14 (2) und (4) EPÜ eröffneten Möglichkeiten Gebrauch macht. Bekräftigt wird dies durch die Tatsache, daß etwa die Eigentumsrechte an der Patentanmeldung zwischenzeitlich einer anderen Person übertragen worden sein könnten, die die Bedingungen des Artikels 14 (2) EPÜ vielleicht nicht erfüllt. Dasselbe gilt natürlich analog für den - in den Richtlinien nicht vorgesehenen - Fall, daß der Patentinhaber oder der Einsprechende gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde einlegt.
22. Die Große Beschwerdekammer stellt daher fest, daß die in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen dann Anspruch auf die Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ erwerben, wenn sie ein Schriftstück, das den wesentlichen Bestandteil der ersten Verfahrenshandlung im Anmelde-, Prüfungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren darstellt, in einer Amtssprache des betreffenden Staates, die nicht Deutsch, Englisch oder Französisch ist, einreichen und die erforderliche Übersetzung frühestens zum selben Zeitpunkt liefern.
Frage 3
23. Aus der Anwendung der obengenannten Grundsätze auf das Beschwerdeverfahren ergeben sich die nachstehenden Folgerungen.
24. In Artikel 108 EPÜ sind für die Einreichung der Beschwerdeschrift und -begründung zwei verschiedene Fristen vorgeschrieben. Infolgedessen reicht es zur Ermäßigung der Beschwerdegebühr aus, wenn die Beschwerdeschrift in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache eingereicht wird; die später eingereichte Beschwerdebegründung stellt nämlich eine gesonderte Verfahrenshandlung dar und kann daher auch nur in einer Amtssprache des EPA abgefaßt werden, ohne daß der - mit der Einreichung der Beschwerdeschrift entstehende - Anspruch auf Ermäßigung erlischt; die Beschwerde selbst gilt im übrigen erst nach Entrichtung der Beschwerdegebühr als eingelegt.
25. Die Große Beschwerdekammer hat die Bemerkungen des Präsidenten des EPA sorgfältig geprüft, die in diesem Punkt zu einem anderslautenden Schluß führen. Der Präsident ging zum einen von der bereits erwähnten Entscheidung T 290/90 aus, der zufolge die Einspruchsbegründung als der wesentliche und durch die Übersetzung Mehrkosten verursachende Bestandteil der Einspruchsunterlagen in der "zugelassenen" Nichtamtssprache abgefaßt sein muß, damit die Einspruchsgebühr ermäßigt wird. Zum anderen machte er geltend, daß die Beschwerdebegründung ihrem Wesen nach mit der Einspruchsbegründung gleichzusetzen sei, also den wesentlichen Bestandteil der Beschwerde darstelle, deren erforderliche Übersetzung eine Gebührenermäßigung rechtfertige. So gelangte der Präsident zu der Auffassung, daß Regel 6 (3) EPÜ nur dann anwendbar sein dürfe, wenn die Beschwerdebegründung in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache verfaßt und übersetzt werde.
Daß die Fristen für das Einlegen der Beschwerde und das Einreichen der Beschwerdebegründung unterschiedlich sind, weil dem Beschwerdeführer die notwendige Zeit für die Vorbereitung seiner Argumente eingeräumt werden muß, ist nach Ansicht des Präsidenten des EPA kein hinreichender Grund dafür, die Beschwerdegebühr unter anderen Voraussetzungen zu ermäßigen als die Einspruchsgebühr. Bei der Prüfung verlange das Amt in der Praxis zwar nur, daß der förmliche Antrag in der "zugelassenen" Nichtamtssprache abgefaßt sei, doch handle es sich hierbei um eine formale, in sich abgeschlossene Handlung, wogegen die Beschwerde erst mit der Einreichung der Begründung vollständig sei.
26. Die Große Beschwerdekammer kann sich dieser Auslegung nicht anschließen. Auf formaler Ebene stellt sie fest, daß die Beschwerdeschrift eine ebenso eigenständige Verfahrenshandlung mit eigenen Rechtsfolgen darstellt wie der Prüfungsantrag und - zusammen mit der Entrichtung der Beschwerdegebühr - zur Einlegung der Beschwerde und zur Befassung der zuständigen Beschwerdekammer beiträgt. Sie hat somit andere Folgen als die Beschwerdebegründung, die ja eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde darstellt. Da Regel 6 (3) EPÜ die Gebührenermäßigung eindeutig an die ausdrücklich erwähnte Handlung knüpft, im vorliegenden Fall also an die Handlung, die zur Einlegung der Beschwerde beiträgt, ist dieser Auslegung - auch im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Systems - zu folgen.
27. Ebensowenig kann man den angeführten sachlichen Grund gelten lassen, daß die Beschwerdebegründung das einzige Schriftstück sei, dessen Übersetzung eine Gebührenermäßigung rechtfertige, denn unabhängig davon, in welcher Sprache eine solche Begründung eingereicht wird, hat - wie oben erwähnt - die Tatsache, daß dieses Schriftstück bzw. seine Übersetzung in einer der Amtssprachen des EPA einzureichen ist, für die Betreffenden Kosten für die Übersetzung, Überarbeitung oder Abfassung in einer Fremdsprache zur Folge, die die Verfasser des Übereinkommens zumindest teilweise ausgleichen wollten.
28. Unter diesen Umständen hält es die Große Beschwerdekammer für angezeigt, Regel 6 (3) EPÜ für Beschwerden genauso auszulegen wie für Prüfungsanträge und es für den Anspruch auf Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ als ausreichend zu betrachten, wenn die Beschwerdeschrift in einer "zugelassenen" Nichtamtssprache eingereicht wird.
Frage 4
29. In Anbetracht der Antwort auf die dritte von der Kammer 3.4.1 vorgelegte Frage erübrigt es sich, auf die vierte, hilfsweise gestellte Frage einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Rechtsfragen sind wie folgt zu beantworten:
Fragen 1 und 2
Die in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen erwerben den Anspruch auf Gebührenermäßigung nach Regel 6 (3) EPÜ, wenn sie das wesentliche Schriftstück der ersten Verfahrenshandlung im Anmelde-, Prüfungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren in einer Amtssprache des betreffenden Staats, die nicht Deutsch, Englisch oder Französisch ist, einreichen und die erforderliche Übersetzung frühestens zum selben Zeitpunkt liefern.
Frage 3
Für den Anspruch auf Ermäßigung der Beschwerdegebühr genügt es, wenn die Beschwerdeschrift als das wesentliche Schriftstück der ersten Handlung im Beschwerdeverfahren in einer Amtssprache eines Vertragsstaats eingereicht wird, die nicht Amtssprache des EPA ist, und in eine solche übersetzt wird, auch wenn spätere Schriftstücke, etwa die Beschwerdebegründung, nur in einer Amtssprache des Europäischen Patentamts eingereicht werden.